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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils SB-04-25: Kantonsgericht Graubünden

Das Kantonsgericht von Graubünden hat in einem strafrechtlichen Berufungsverfahren entschieden, dass der Berufungskläger A. schuldig ist, gegen das Strassenverkehrsgesetz verstossen zu haben. Er wurde zu einer Busse von Fr. 200.-- verurteilt und musste die Gerichtskosten in Höhe von CHF 2'123.40 tragen. Der Vorwurf lautete auf Verletzung von Verkehrsregeln, da A. sich geweigert hatte, sein Fahrzeug zurückzusetzen, obwohl die Polizei dies mehrfach anordnete. Der Berufungskläger behauptete, dass die Polizei zuerst von Nötigung sprach und dann die Weisung zum Zurücksetzen gab. Das Gericht entschied jedoch, dass A. den Tatbestand der Nötigung erfüllt habe. Der Berufungskläger legte Berufung ein und beantragte eine mündliche Verhandlung sowie die Befragung eines Zeugen. Die Zeugenaussagen waren jedoch nicht eindeutig, und das Gericht entschied, dass die Aussagen des Berufungsklägers glaubhaft erschienen. Letztendlich wurde die Berufung abgewiesen, da das Gericht davon ausging, dass die Polizei zuerst von Nötigung sprach und dann die Weisung zum Zurücksetzen gab.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB-04-25

Kanton:GR
Fallnummer:SB-04-25
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SB-04-25 vom 28.07.2004 (GR)
Datum:28.07.2004
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verletzung von Verkehrsregeln
Schlagwörter : Berufung; Berufungskläger; Nötigung; Polizei; Recht; Beweis; Kanton; Kantons; Aussage; Graubünden; Fahrzeug; Weisung; Zeuge; Staat; Verkehr; Kantonsgericht; Polizist; Berufungsklägers; Zeugen; Kantonsgerichts; Bezirk; Urteil; Einvernahme; Staatsanwalt
Rechtsnorm:Art. 10 SVG ;Art. 109 StGB ;Art. 125 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 142 StPO ;Art. 144 StPO ;Art. 146 StPO ;Art. 181 StGB ;Art. 27 SVG ;Art. 307 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 337 StGB ;Art. 34 StGB ;Art. 37 SVG ;Art. 52 SVG ;Art. 92 SVG ;
Referenz BGE:115 a 100; 119 Ia 316; 120 Ia 37; 121 I 308; 124 I 211; 124 IV 87; 127 IV 122;
Kommentar:
Stefan Trechsel, Schweizer, , 2. Aufl., Art. 33 StGB, 1997

Entscheid des Kantongerichts SB-04-25

Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni
Dretgira chantunala dal Grischun
_____
Ref.:
Chur, 28. Juli 2004
Schriftlich mitgeteilt am:
SB 04 25
(nicht mündlich eröffnet)

Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vorsitz Vizepräsident
Schlenker

RichterInnen Riesen-Bienz und Vital
Aktuarin ad hoc
Riesen-Ryser
——————
In der strafrechtlichen Berufung
des A., Berufungskläger, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Fabrizio Riccardo
Visinoni, c/o Advokaturbüro Lüthi & Lazzarini, Via Retica 26, 7503 Samedan,

gegen

das Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom 10. Juni 2004, mitgeteilt
am 15. Juni 2004, in Sachen gegen den Berufungskläger,
betreffend Verletzung von Verkehrsregeln,
hat sich ergeben:


2
A.
Am 29. Juli 2002, kurz vor 14:20 Uhr, fuhr A. am Steuer eines Wa-
gens der Marke O., Kennzeichen P., vom Parkplatz des Hotels P. in I. in die M. in
Richtung N. ein. Auf dem Beifahrersitz sass sein Sohn B.. Kurz vor der Veren-
gung, die vom Hotel P. und dem Gebäude Chesa M. gebildet wird, bemerkte A.,
dass aus der anderen Richtung der Engadin-Bus nahte. A. lenkte sein Fahrzeug
nach rechts auf den Gehweg und hielt auf Höhe des Hauses M., wo er wohnt, an.
Ein Teil seines Wagens befand sich noch auf der Strasse. Der Engadin Bus fuhr in
den Engpass hinein. Vor dem Wagen von A. brachte der Buschauffeur D. sein
Fahrzeug zum Stehen. Mittels Handzeichen forderte er A. auf, etwas zurückzuset-
zen, damit der Bus passieren könne. A. kam dieser Aufforderung nicht nach. D.
wiederholte seine Aufforderung mündlich. A. weigerte sich, seinen Wagen zurück-
zusetzen, da der Bus genügend Platz habe, um an ihm vorbei zu fahren. Beide
Fahrzeuge verharrten in der Folge in ihrer Position, wodurch der Verkehr blockiert
wurde. Ein Fahrgast begab sich zum nicht weit entfernten Polizeiposten und mel-
dete den Vorfall, worauf zwei Polizisten ausrückten. Kpl mbA C., einer der Polizis-
ten, forderte A. mehrfach auf, seinen Wagen zurückzusetzen, was A. jedoch nicht
tat. Er verlangte vielmehr eine Tatbestandsaufnahme, bevor er sein Fahrzeug be-
wegen wollte. Die Polizisten kamen diesem Verlangen nach und A. setzte an-
schliessend seinen Wagen zurück, worauf der Verkehr wieder normal zirkulieren
konnte. Bei der Kontrolle durch die Polizeibeamten konnte A. weder den Führer-
noch den Fahrzeugausweis vorweisen, da er beide Ausweise nicht bei sich hatte.
B.
Mit Verfügung vom 20. August 2002 eröffnete die Staatsanwaltschaft
Graubünden eine Strafuntersuchung gegen A. wegen Nötigung und Verletzung
von Verkehrsregeln. Nach der Einvernahme von A., D., den beteiligten Polizisten
sowie zwei Zeugen wurde am 24. Juli 2003 ein Augenschein mit Rekonstruktion
durchgeführt. Beide am Vorfall vom 29. Juli 2002 beteiligten Fahrzeuge wurden
gemäss Skizze der Polizei vom 2. August 2002 aufgestellt. Der beigezogene Len-
ker des Busses, ein Fahrlehrer für Gesellschaftswagen, fuhr in der Folge zwei Mal
ohne Schwierigkeiten am abgestellten Fahrzeug von A. vorbei und befuhr dann in
einem Zug die anschliessende Rechtskurve. Mit Verfügung vom 21. August 2003,
mitgeteilt am 28. August 2003, stellte der Untersuchungsrichter die Strafuntersu-
chung gegen A. wegen Nötigung ein und überwies das Verfahren wegen Verlet-
zung von Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 37 Abs. 2 SVG in Verbindung mit Art. 90
Ziff. 1 SVG sowie von Art. 99 Ziff. 3 SVG zur Beurteilung an das Kreisamt
Oberengadin.


3
C. Der
Kreispräsident
Oberengadin verurteilte A. mit Strafmandat vom
10. November 2003, mitgeteilt am 27. November 2003, wegen Verletzung der Art.
27 Abs. 1 SVG und Art. 37 Abs. 2 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG sowie
Widerhandlung gegen Art. 99 Ziff. 3 SVG zu einer Busse von Fr. 300.--. Gegen
diesen Entscheid erhob A. mit Schreiben vom 4. Dezember 2003 Einsprache, wo-
rauf das ordentliche Verfahren durchgeführt wurde. Nach Ergänzung der Untersu-
chung versetzte das Bezirksgerichtspräsidium Maloja A. mit Anklageverfügung
vom 14. Mai 2004 wegen Verletzung von Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit
Art. 90 Ziff. 1 SVG sowie Widerhandlung gegen Art. 99 Ziff. 3 SVG in Anklagezu-
stand. Die Einvernahme des von A. beantragten Zeugen B. wurde entgegen dem
Beweisergänzungsantrag im Rahmen der Hauptverhandlung vorgesehen. Dage-
gen beschwerte sich A. mit Eingabe vom 2. Juni 2004 bei der Beschwerdekammer
des Kantonsgerichts Graubünden. Diese wies die Beschwerde mit Urteil vom 4.
Juni 2004 ab.
D.
Mit Urteil vom 10. Juni 2004, mitgeteilt am 15. Juni 2004, erkannte
der Bezirksgerichtsausschuss Maloja:
„1. A. ist schuldig der Widerhandlung gegen das Strassenverkehrs-
gesetz im Sinne von Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art.
90 Ziff. 1 SVG sowie im Sinne von Art. 99 Ziff. 3 SVG.

2. Dafür wird A. mit einer Busse von Fr. 200.-bestraft.
3. Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus:

- der polizeilichen Tatbestandsaufnahme,

der Kosten der Staatsanwaltschaft und

Barauslagen
CHF
873.40
- Gebühren des Kreisamtes Oberengadin
CHF
250.00
- der Gerichtsgebühr des Bezirksgerichts-

ausschusses
CHF 1'000.00
total CHF

2'123.40
werden A. auferlegt.
4. Eine ausseramtliche Entschädigung wird nicht ausgerichtet.
5. (Rechtsmittelbelehrung).
6. (Mitteilung).“
In der Begründung hielt das Gericht fest, die Darstellung von A. und des
Zeugen B., wonach der Polizist C. zuerst den Vorwurf der Nötigung erhoben und
erst dann die Weisung erteilt habe, zurückzufahren, erscheine lebensfremd. Nach
der allgemeinen Lebenserfahrung habe die Reihenfolge vielmehr umgekehrt sein
müssen, dass also die Polizei bei ihrer Ankunft zuerst das Verkehrschaos habe
entwirren wollen und daher im Sinne eines ersten logischen Schrittes A. aufgefor-


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dert habe, zurückzufahren. In der Folge müsse sich der Angeklagte in rechthabe-
rischer Weise geweigert haben, diese Anweisung zu befolgen, wodurch der Tat-
bestand von Art. 27 Abs. 1 SVG bereits erfüllt gewesen sei. Die Aussagen von A.,
dass Busse und Lastwagen dort gar nicht durchfahren sollten und er hier wohne,
der Verkehr mit dem Lärm und der Luftbelästigung eine Zumutung sei, hätten das
Gericht zur Überzeugung gebracht, dass es A. nicht in erster Linie um eine Tatbe-
standsaufnahme gegangen sei, sondern um eine Demonstration. Die Renitenz
des Angeklagten habe zur Eskalation und zur Aussage des Polizisten C. führen
müssen, was der Angeklagte da mache, sei Nötigung. Zu diesem Zeitpunkt, also
nach Vollendung des Tatbestandes von Art. 27 Abs. 1 SVG, sei das Argument der
Verteidigung, es liege ein übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund vor, nicht mehr
zu hören. Die Anweisung des Polizisten, den Wagen zurückzusetzen, sei keines-
wegs eine sinnlose Anweisung gewesen, sondern ein taugliches und wohl das
schnellste und einfachste Mittel, um das Verkehrschaos zu entwirren. Mit der vor-
liegenden Strafsache nichts zu tun habe das angeblich negative Erlebnis des An-
geklagten mit dem Polizisten C., als dieser einen am Haus von A. durch einen
Lastwagen verursachten Schaden nicht protokolliert habe. A. habe ja gewusst,
wer den Schaden verursacht habe. Das Interesse an der Aufnahme eines solchen
Schadens liege daher nur in der Beweissicherung für die Durchsetzung einer zivil-
rechtlichen Schadenersatzklage. Für die Aufnahme eines solchen Schadens sei
jedoch der Kreispräsident zuständig. Das Verschulden des Angeklagten wiege
nicht schwer, wenn man die ganze Entstehungsgeschichte des Vorfalles aus-
klammere und nur den strafrechtlich relevanten Sachverhaltsabschnitt vom Ein-
treffen der Polizei bis zum Wegstellen des Fahrzeugs durch den Angeklagten iso-
liert betrachte. Unverständlich sei jedoch, wie es der Angeklagte überhaupt habe
so weit kommen lassen können, dass die Polizei habe eingeschaltet werden müs-
sen. Als Lenker eines Personenwagens habe ihm klar sein müssen, dass es nicht
am Chauffeur des unbeweglicheren Busses habe liegen können, zurückzufahren.
Es sei anzunehmen, dass der Angeklagte mit seiner Aktion habe manifestieren
wollen, dass der Buschauffeur in der Lage gewesen wäre, die Rechtskurve zu be-
fahren, ohne dass er seinen Personenwagen hätte zurücksetzen müssen. Es sei
ihm wohl darum gegangen, die Richtigkeit seines Standpunkts nachzuweisen und
den Buschauffeur in den Senkel zu stellen, wozu er einen zwanzigminütigen Ver-
kehrsstau in Kauf genommen habe. Ein solches Verhalten sei stur und rücksichts-
los. In Anbetracht der bevorstehenden Verjährung und der hohen Kosten, die der
Angeklagte zu tragen habe, erscheine eine Busse von Fr. 200.-angemessen.


5
E.
Gegen dieses Urteil erhob A. mit Eingabe vom 12. Juli 2004 Beru-
fung an den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden. Er beantragt:
Materiell
1. Das angefochtene Urteil sei aufzuheben und A. sei der Verlet-
zung von Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1
SVG freizusprechen.

2. A. sei der Widerhandlung gegen Art. 99 Ziff. 3 SVG schuldig zu
sprechen.
3. Unter gesetzlicher Kostenund Entschädigungsfolge.
Formell
1. Es ist eine mündliche Berufungsverhandlung vor Kantonsge-
richtsausschuss Graubünden durchzuführen.
2. Anlässlich der mündlichen Verhandlung sei der Zeuge B. einzu-
vernehmen.“
Er führte aus, er habe dargelegt, dass der Polizist unverzüglich nach des-
sen Eintreffen das Wort Nötigung ausgesprochen habe, bevor irgendetwas ande-
res gesprochen worden sei. Dies habe auch der Zeuge B. bei seiner Einvernahme
vor dem Bezirksgerichtsausschuss bestätigt. Aufgrund ihrer Erwägungen sei da-
von auszugehen, dass die Vorinstanz die Zeugenaussage von B., welcher klar
ausgesagt habe, der Polizist habe von Nötigung gesprochen und dann die Wei-
sung zum Zurücksetzen gegeben, frei interpretiert habe, ohne diese Haltung näher
zu begründen. Der Zeuge sei vom Gericht anlässlich der Einvernahme nicht näher
nach dem genauen Ablauf des Wortwechsels gefragt worden. Das Gericht hätte
diese Frage näher klären müssen, insbesondere da der Schuldspruch lediglich
darauf gründe, dass der Polizist vorher gesagt haben soll, es sei das Fahrzeug zu
entfernen, bevor er gesagt habe, es sei eine Nötigung. Die Ermittlung des genau-
en Sachverhaltes sei daher nur durch die spezifische Einvernahme des Zeugen B.
möglich, weshalb seine nochmalige Befragung vor dem Kantonsgerichtsaus-
schuss beantragt werde. Wenn es sich erweise, dass der Polizist tatsächlich zu-
erst von Nötigung gesprochen habe, sei zu prüfen, ob A. seine Handlung rechtfer-
tigen könne. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass Polizist C., als er den Be-
rufungskläger gesehen habe, sofort die „harte“ Linie gefahren sei. Im Juni 2002 sei
nämlich die Hausfassade des Hauses des Berufungsklägers durch einen Lastwa-
gen beschädigt worden. A. habe die Kantonspolizei benachrichtigt und erwartet,
dass der Schaden nun aufgenommen werde. Trotz seiner Aufforderung sei unver-
ständlicherweise kein Polizeiprotokoll aufgenommen worden. Der Berufungskläger
sehe sich nun damit konfrontiert, dass niemand für den Schaden aufkommen wol-


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le. Der Beamte sei Kantonspolizist C. gewesen. Im übrigen sei die Kantonspolizei
verpflichtet gewesen, den Schaden aufzunehmen. Die Vorinstanz übersehe bei
ihrer abweichenden Begründung, dass der von A. geltend gemachte Schaden
durch ein Motorfahrzeug verursacht worden sei. Der Vorfall hätte daher aufgrund
von Art. 52 Abs. 2 SVG in Verbindung mit Art. 92 SVG von der Polizei aufgenom-
men werden müssen. Die Vorinstanz habe die gesamten Kosten der Untersu-
chung, des Gerichtsverfahrens und der Verteidigung A. überbunden. Sie erachte
es auch als richtig, keine Entschädigung zuzusprechen, obwohl der Vorwurf der
Verletzung von Art. 37 Abs. 2 SVG unbeurteilt geblieben sei. Gemäss Gesetz ste-
he dem Angeschuldigten eine durch den Staat zu entrichtende Entschädigung zu
für Nachteile, die er durch die Untersuchungsmassnahmen erlitten habe. A. sei
nicht wegen Verletzung von Art. 37 Abs. 2 SVG verurteilt worden. Diesbezüglich
hätte zumindest eine anteilsmässige Kostenübernahme durch den Staat sowie
eine anteilsmässige Entschädigung für die ausseramtlichen Kosten erfolgen müs-
sen. Im übrigen habe der Berufungskläger immer zugegeben, dass er die notwen-
digen Ausweise nicht bei sich gehabt habe. Er hätte die entsprechende Ord-
nungsbusse unverzüglich bezahlen können, so dass diesbezüglich überhaupt kei-
ne Verfahrenskosten entstanden wären. Es werde sich zudem zeigen, dass der
Berufungskläger auch mit dem Beharren auf der Tatbestandsaufnahme rechtmäs-
sig gehandelt habe. Er habe in jedem Fall einen Beweisnotstand vermeiden müs-
sen. Erst die Tatbestandsaufnahme habe ihm dies ermöglicht. Eine Kennzeich-
nung durch ihn persönlich hätte offensichtlich keine Beweisqualität gehabt.
F.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2004 verzichtete die Vorinstanz auf die
Einreichung einer Vernehmlassung unter Hinweis auf die Verfahrensakten. Die
Staatsanwaltschaft Graubünden verzichtete mit Schreiben vom 19. Juli 2004 auf
eine Vernehmlassung.
Auf die weiteren Ausführungen im angefochtenen Urteil sowie in den
Rechtsschriften wird, soweit erforderlich, in den nachfolgenden Erwägungen ein-
gegangen.
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1.
a) Gegen Urteile der Bezirksgerichtsausschüsse können der Verur-
teilte und der Staatsanwalt beim Kantonsgerichtsausschuss Berufung erheben
(Art. 141 Abs. 1 StPO). Dazu ist die Berufung innert zwanzig Tagen seit der
schriftlichen Eröffnung des angefochtenen Entscheides einzureichen; sie ist zu


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begründen und hat darzutun, welche Mängel des erstinstanzlichen Entscheides
gerügt werden und ob das ganze Urteil lediglich Teile davon angefochten
werden (Art. 142 Abs. 1 StPO). Diesen Anforderungen vermag die vorliegende
Berufung zu genügen. Auf die fristund formgerecht eingereichte Berufung ist da-
her einzutreten.
b) Der Berufungskläger beantragt in seiner Berufung vom 12. Juli 2004 die
Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung.
aa) Wird im Berufungsverfahren eine Änderung des vorinstanzlichen Urteils
zu Ungunsten des Verurteilten Freigesprochenen beantragt, so kann dieser
gemäss Strafprozessordnung des Kantons Graubünden die Durchführung einer
mündlichen Berufungsverhandlung verlangen. In den übrigen Fällen kann der
Kantonsgerichtspräsident eine solche von sich aus auf Antrag der Parteien
anordnen, wenn die persönliche Befragung des Angeklagten für die Beurteilung
der Streitsache wesentlich ist (Art. 144 Abs. 1 StPO). Findet keine mündliche Be-
rufungsverhandlung statt, so trifft der Kantonsgerichtsausschuss seinen Entscheid
ohne Parteivortritt aufgrund der Akten (Art. 144 Abs. 3 StPO). Soweit die im bünd-
nerischen Strafprozess vorgesehene Ordnung. Der Angeschuldigte in einem
Strafverfahren hat aber unabhängig von der kantonalen Verfahrensordnung ge-
stützt auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK einen Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger
Weise und öffentlich gehört wird. Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden
Garantie auf ein faires Verfahren. Das Gebot der Verfahrensöffentlichkeit gilt dem
Grundsatz nach nicht nur für das erstinstanzliche Strafverfahren, sondern erstreckt
sich auf die Gesamtheit eines korrekten Strafverfahrens inklusive des gesamten
Rechtsmittelweges, somit auch auf das Berufungsverfahren gemäss Art. 141 ff.
StPO. Die Art der Anwendung von Art. 6 Ziff. 1 EMRK auf ein Verfahren vor einer
Rechtsmittelinstanz hängt von deren Besonderheiten ab. Von einer mündlichen
Verhandlung vor der Rechtsmittelinstanz kann etwa abgesehen werden, soweit
die erste Instanz tatsächlich mündlich verhandelt hat, wenn nur Rechtsfragen
Tatfragen zur Diskussion stehen, die sich leicht nach den Akten beurteilen lassen,
ferner, wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen die Sache von geringer
Trageweite ist und sich keine Fragen zur Person und deren Charakter stellen (vgl.
BGE 119 Ia 316 E 2b; ZGRG 2/99, S. 46). Zudem darf einem nicht-öffentlichen
Verfahren kein wichtiges öffentliches Interesse entgegen stehen.
bb) Das angefochtene Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Maloja vom
10. Juni 2004 wurde im Anschluss an eine mündliche Hauptverhandlung erlassen,


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an welcher der Berufungskläger teilnahm und in deren Verlauf er sich frei und ein-
gehend zu allen relevanten Fragen äussern konnte. Im anstehenden Rechtsmittel-
verfahren stellt sich primär die Frage, ob der Kantonspolizist zumindest im glei-
chen Zug von einer Nötigung gesprochen und die Weisung erteilt hat, den Wagen
zurückzusetzen, nicht. Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Tatfra-
gen können aufgrund der Akten beantwortet werden. Für die Beantwortung der
Rechtsfrage, ob sich der Berufungskläger erfolgreich auf einen übergesetzlichen
Rechtfertigungsgrund berufen kann, ist die Befragung des Berufungsklägers au-
genscheinlich nicht notwendig, sind Rechtsfragen doch gerade vom Gericht selbst
zu beantworten. Die Frage der reformatio in peius (Art. 146 Abs. 1 StPO) stellt
sich vorliegend nicht, da lediglich der Berufungskläger gegen das vorinstanzliche
Urteil Berufung erhoben hat und der Kantonsgerichtsausschuss wiewohl er nach
Art. 146 Abs. 1 StPO das erstinstanzliche Urteil grundsätzlich frei überprüfen kann
mithin die Strafe Massnahme nicht verschärfen darf. Kommt hinzu, dass es
sich vorliegend um eine Sache von geringer Tragweite handelt, wie sich allein
schon der vorinstanzlich ausgesprochenen Strafe entnehmen lässt. Zudem sind
die Akten vollständig und es stellen sich keine Fragen zum Charakter des Beru-
fungsklägers, die aus den Akten nicht beantwortet werden könnten. Auch steht im
vorliegenden Fall einem nicht-öffentlichen Verfahren kein wichtiges öffentliches
Interesse entgegen. Der Kantonsgerichtsausschuss kommt daher zum Schluss,
dass die streitige Strafsache gestützt auf die vorliegenden Akten sachlich gerecht
entschieden werden kann. Ein persönliches Vortreten des Berufungsklägers vor
Gericht ist folglich nicht notwendig. Der Antrag auf Durchführung einer mündlichen
Berufungsverhandlung wird daher abgewiesen.
c) Der Berufungskläger stellt in der Berufung im weiteren den Antrag, es sei
der Zeuge B. einzuvernehmen.
aa) Den Verfahrensbeteiligten steht es als Ausfluss des rechtlichen Gehörs
frei, Beweisanträge zu stellen. Dabei besteht aber kein uneingeschränktes Recht
auf Beweisabnahme. Vielmehr kann auf die Erhebung weiterer Beweise dann ver-
zichtet werden, wenn die für die Beurteilung der Sache erforderlichen Tatsachen
bereits aufgrund der vorhandenen Beweismittel feststehen und nicht zu erwarten
ist, dass neue Beweismittel das Ergebnis der freien Würdigung der vorhandenen
Beweismittel zu erschüttern vermögen. Vorweggenommene antizipierte Be-
weiswürdigung ist also in einem beschränkten Umfange zulässig; insbesondere
kann der Richter das Beweisverfahren schliessen, wenn er aufgrund bereits abge-
nommener Beweise seine Überzeugung gebildet hat und er ohne Willkür in vor-


9
weggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass diese seine Überzeu-
gung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (vgl. unveröffentlich-
tes Urteil 1P.245/2000 des Bundesgerichts vom 21. Juni 2000 i.S. B.L., S. 5 f;
BGE 124 I 211; BGE 121 I 308 f. = Pra 85 Nr. 143, S. 488; BGE 115 a 100 f.; BGE
106 Ia 162 mit weiteren Hinweisen; PKG 1993 Nr. 27; Hauser, Kurzlehrbuch des
Schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, § 52 S. 151; Schmid, Strafpro-
zessrecht, 3. Auflage, Zürich 1997, N 291 mit Hinweisen; Hauser/Schweri,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. Auflage, Basel 1999, § 54 N 1, § 55 N 10
mit Hinweisen).
bb) Das Gericht erachtet den rechtlich relevanten Sachverhalt wie in den
nachfolgenden Erwägungen gezeigt wird als durch die bereits erhobenen Be-
weismittel hinreichend abgeklärt. Insbesondere geht das Gericht in antizipierter
Beweiswürdigung davon aus, dass Kantonspolizist C. von einer Nötigung sprach
und unmittelbar danach, gewissermassen in einem Atemzug, die Weisung erteilte,
den Wagen zurückzusetzen. Dadurch erübrigt sich das Beweisergänzungsbegeh-
ren. Weitere, für die Beurteilung der vorliegenden Streitsache relevante Auf-
schlüsse sind nach Auffassung des Kantonsgerichtsausschusses von der Einver-
nahme des Zeugen B. nicht zu erwarten, vor allem auch weil sich der Vorfall be-
reits vor zwei Jahren ereignet hat. Der Kantonsgerichtsausschuss gelangt daher
zum Ergebnis, dass auf die nochmalige Einvernahme des Zeugen B. verzichtet
werden kann.
2.
Signale und Markierungen sowie die Weisungen der Polizei sind zu
befolgen (Art. 27 Abs. 1 SVG). Als Weisung im Sinne dieser Bestimmung gilt die
von einem Polizeiorgan im konkreten Einzelfall an eine bestimmte Person gerich-
tete Anordnung. Inhaltlich kann sich eine Weisung mit allen zur Gewährung der
Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie der Beachtung der Verkehrsregeln
durch die Strassenbenützer dienenden Anordnungen befassen beziehungsweise
alle Anordnungen enthalten, für welche sich die Polizei auf ihren Generalauftrag,
für Ordnung und Sicherheit im Strassenverkehr zu sorgen, berufen kann (BGE
102 IV 253 E 3a). - Polizist C. hat am 29. Juli 2002 den Berufungskläger mehrfach
aufgefordert, sein Fahrzeug zurückzusetzen, damit der Engadin-Bus seine Fahrt
fortsetzen könne. Der Berufungskläger ist dieser wiederholten Aufforderung erst
nachgekommen, nachdem eine Tatbestandsaufnahme durch die Polizei erfolgt
war. Soweit ist der Sachverhalt vom Berufungskläger anerkannt (vgl. Schreiben
des Verteidigers an das Kreisamt Oberengadin vom 29. September 2003, act. 5
der Akten des Kreisamtes, S. 2). Die gegenüber dem Berufungskläger erlassene


10
Weisung wurde von einem Polizisten erteilt, der sich dafür zweifellos auf den Ge-
neralauftrag der Polizei, für Ordnung und Sicherheit im Strassenverkehr zu sor-
gen, berufen konnte. Die erteilte Weisung war augenscheinlich ein taugliches,
schnelles und einfaches Mittel, um den Verkehrsstau aufzulösen, der sich gebildet
hatte, und die Durchfahrt wieder frei zu machen. Der Berufungskläger hat unbe-
strittenermassen die ersten Aufforderungen des Polizeibeamten nicht befolgt.
Dadurch hat er zweifellos den objektiven Tatbestand von Art. 27 Abs. 1 SVG er-
füllt. Der Berufungskläger macht nun aber geltend, der Polizeibeamte C. habe so-
fort von Nötigung gesprochen. Er, der Berufungskläger, habe diesen Vorwurf sehr
ernst genommen. Um in einem allfälligen Strafverfahren den Beweis führen zu
können, dass der Engadin-Bus hätte passieren können, und damit dem Vorwurf
der Nötigung den Boden zu entziehen, habe er auf der Tatbestandsaufnahme be-
standen. Er habe sich in einem Beweisnotstand befunden. Dieser übergesetzliche
Rechtfertigungsgrund aber stehe einer Verurteilung entgegen. Es ist nun im fol-
genden aufgrund der vorliegenden Beweise zu prüfen, ob der Polizeibeamte C.
gleich zu Beginn von einer Nötigung gesprochen hat. Falls sich genügend An-
haltspunkte dafür finden, ist die Frage zu beantworten, ob der Berufungskläger
sich in einem Beweisnotstand befand, der sein Verhalten zu rechtfertigen ver-
mochte.
3.
a) Es ist Aufgabe des Gerichtes, die materielle Wahrheit bezüglich
der Sachverhalte zu ermitteln, die Gegenstand des Verfahrens bilden. Dabei hat
das Gericht die vorhandenen Beweise zu würdigen. Bei der Würdigung der Be-
weismittel entscheidet das Gericht nach Art. 144 Abs. 2 StPO in Verbindung mit
Art. 125 Abs. 2 StPO auch im Berufungsverfahren nach freier Überzeugung (vgl.
Schmid, Strafprozessrecht, 3. Auflage, Zürich 1997, N 286). Die Beweislast für die
dem Angeklagten zur Last gelegte Tat liegt dabei grundsätzlich beim Staat (Pad-
rutt, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden [StPO], 2.
Auflage, Chur 1996, S. 306). An den Beweis der zur Last gelegten Tat sind hohe
Anforderungen zu stellen. Verlangt wird mehr als eine blosse Wahrscheinlichkeit,
nicht aber ein absoluter Beweis der Täterschaft. Nach der aus Art. 32 Abs. 1 BV
und Art. 6 Ziff. 2 EMRK fliessenden Beweiswürdigungsregel „in dubio pro reo“ darf
sich der Sachrichter jedoch nicht von der Existenz eines für den Angeklagten un-
günstigen Sachverhaltes überzeugt erklären, wenn bei objektiver Betrachtung
Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat, mit anderen
Worten Zweifel an den tatsächlichen Voraussetzungen für ein verurteilendes Er-
kenntnis bestehen (BGE 124 IV 87 f.). Bloss theoretische Zweifel sind indessen
nicht massgebend, weil solche immer möglich sind und absolute Gewissheit nicht


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verlangt werden kann. Es muss sich vielmehr um erhebliche und nicht zu unter-
drückende Zweifel handeln, das heisst um solche, die sich nach der objektiven
Sachlage aufdrängen (BGE 120 Ia 37). Aufgabe des Richters ist es, ohne Bindung
an Beweisregeln die an sich möglichen Zweifel zu überwinden und sich mit Über-
zeugung für einen bestimmten Sachverhalt zu entscheiden, wobei die Bildung der
Überzeugung objektivierund nachvollziehbar sein muss. Die Schuld des Ange-
klagten muss sich dabei auf vorgelegte Beweise und Indizien stützen, die vernünf-
tige Zweifel in ausschliesslicher Weise zu beseitigen vermögen (vgl. PKG 1987 Nr.
12; Padrutt, a.a.O., S. 307; Schmid, a.a.O., N 289). Die allgemeine Rechtsregel "in
dubio pro reo" kommt im Übrigen nicht schon dann zur Anwendung, wenn Aussa-
ge gegen Aussage steht. Es ist vielmehr anhand sämtlicher sich aus den Akten
ergebender Umstände zu untersuchen, ob die Darstellung der Anklage jene
des Angeklagten den Richter zu überzeugen vermag. Erst wenn eine solche
Überzeugung weder in der einen noch in der anderen Richtung zu gewinnen ist,
muss gemäss dem Grundsatz „in dubio pro reo“ der für den Angeklagten günstige-
re Sachverhalt angenommen werden (PKG 1978 Nr. 31; Padrutt, a.a.O., S. 307).
b) Zu den verschiedenen Beweismitteln ist auszuführen, dass der Grund-
satz der freien Beweiswürdigung eine Rangordnung verbietet. Insbesondere sind
die Aussagen von Zeugen, Auskunftspersonen und sogar Angeschuldigten vollgül-
tige Beweismittel mit derselben Beweiseignung. Bei der Würdigung der Beweise
ist weniger die Form, als vielmehr der Gesamteindruck, das heisst die Art und
Weise der Bekundung sowie die Überzeugungskraft entscheidend. Massgebend
ist mit anderen Worten allein die Beweiskraft der konkreten Beweismittel im Ein-
zelfall (ZR 91/92 1992/1993 Nr. 35; Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafpro-
zessrecht, 4. Auflage, Basel 1999, S. 269; Vogel, Die Auskunftsperson im Zürcher
Strafprozessrecht, Diss., Zürich 1999, S. 2). Bei der Würdigung von Zeugenaus-
sagen im Rahmen des Gerichtsverfahrens interessiert nicht in erster Linie die per-
sönliche Glaubwürdigkeit eines Zeugen, sondern vielmehr die sachliche Glaubhaf-
tigkeit seiner konkreten Aussage (vgl. Hauser, Der Zeugenbeweis im Strafprozess
mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, Zürich 1974, S. 311 ff.). Als Kennzeichen
wahrheitsgetreuer Aussagen sind dabei die innere Geschlossenheit und Folgerich-
tigkeit in der Darstellung des Geschehens sowie die konkrete und anschauliche
Wiedergabe des Erlebten zu werten. Die Schilderung des Vorfalles in so charakte-
ristischer Weise, wie sie nur von demjenigen zu erwarten ist, der den Vorfall selbst
erlebt hat, ist ein weiteres Indiz für die Richtigkeit der Deposition. Für die Korrekt-
heit einer Aussage spricht unter anderem die Konstanz in der Aussage bei ver-
schiedenen Befragungen. Bei wahrheitswidrigen Bekundungen fehlen diese


12
Kennzeichen regelmässig. Indizien für bewusst unbewusst falsche Aussagen
sind Unstimmigkeiten grobe Widersprüche in den eigenen Aussagen, Zu-
rücknahme, erhebliche Abschwächungen Übersteigerungen im Verlaufe
mehrerer Einvernahmen, unklare, verschwommene ausweichende Antworten
und gleichförmige, eingeübt wirkende Aussagen. Die Richtigkeit einer Deposition
muss alsdann auf ihre Übereinstimmung mit den Lebenserfahrungen und dem
Ergebnis der übrigen Beweiserhebungen geprüft werden. Auch im System der
Glaubwürdigkeitskriterien von Arntzen (Arntzen/Michaelis-Arntzen, Psychologie
der Zeugenaussage, System der Glaubwürdigkeitsmerkmale, 3. Auflage, München
1993) steht an erster Stelle die Aussage selbst. Kriterien des glaubhaften Aussa-
geinhalts sind der Grad der Detaillierung und der inhaltlichen Besonderheit sowie
die Homogenität der Aussage. Die Glaubhaftigkeit aus dem Verlauf der Aussage-
entwicklung ergibt sich aus der relativen Konstanz einer Aussage in zeitlich ausei-
nanderliegenden Befragungen sowie die Ergänzbarkeit der Deposition bei nach-
folgenden Befragungen. Nacherlebende Gefühlsbeteiligung und ungesteuerte
Aussageweise sprechen für einen hohen Wahrheitsgehalt. Der Grad der Objektivi-
tät ist schliesslich massgebend für den Grad der Glaubwürdigkeit, der sich aus
dem Motivationsumfeld ergibt (vgl. Arntzen/Michaelis-Arntzen, a.a.O., S. 15 ff.).
4.
a) Im Rapport vom 2. August 2002 (act. 2 der Staatsanwaltschaft
Graubünden) hat Kpl mbA C. festgehalten, er habe A. mehrfach aufgefordert, den
Wagen zurückzusetzen, ohne dass dieser den Aufforderungen nachgekommen
sei. Einen Vorwurf der Nötigung erwähnt er im Text nicht, wohl aber ist auf S. 1
der Tatbestand der Nötigung gemäss Art. 181 StGB aufgeführt. Die Eröffnungs-
verfügung vom 20. August 2002 (Act. 1 der Staatsanwaltschaft Graubünden) führt
diesen Tatbestand ebenfalls auf. In der untersuchungsrichterlichen Einvernahme
vom 26. November 2002 erklärte Kpl mbA C. auf die explizite Frage, ob dem Len-
ker des Sportwagens Weisungen erteilt worden seien, dass er dem Berufungsklä-
ger die Weisung erteilt habe, mit seinem Wagen rückwärts zu fahren, damit sich
der Verkehrsstau auflösen könne (act. 11 der Staatsanwaltschaft Graubünden, S.
2). Bezüglich eines möglichen Nötigungsvorwurfs wurde Kantonspolizist C. nicht
befragt, - der Berufungskläger hatte sich auch noch nicht in diese Richtung geäus-
sert -, und Kpl mbA C. hat auch von sich aus keine Angaben dazu gemacht. Die
Zeugen G. und H. wurden zur vorliegend wichtigen Frage, ob und wann der Poli-
zeibeamte C. den Vorwurf der Nötigung erhoben habe, nicht befragt (act. 6 und 7
der Staatsanwaltschaft Graubünden). Kpl mbA E., welche zusammen mit Kpl mbA
C. ausgerückt war, erklärte anlässlich der untersuchungsrichterlichen Einvernah-
me vom 5. November 2002 auf die ausdrückliche Frage, ob A. sich der Weisung


13
von Polizist C. widersetzt habe, ihr Kollege habe A. mehrfach höflich aufgefordert,
den Wagen etwas zurückzufahren, damit der Verkehr wieder rollen könne. A. habe
sich aber mit Nachdruck geweigert, dieser Anweisung Folge zu leisten. Bezüglich
einem möglichen Nötigungsvorwurf sagte sie nichts, sie wurde dazu aber auch
nicht speziell befragt (act. 9 der Staatsanwaltschaft Graubünden). Wm F., welcher
von Kpl mbA C. aufgeboten worden war, um bei der Tatbestandsaufnahme zu hel-
fen, wurde in der untersuchungsrichterlichen Einvernahme vom 11. November
2002 ebenso wenig zur Frage des Nötigungsvorwurfs befragt (act. 10 der Staats-
anwaltschaft Graubünden). Da er gemäss eigener Aussage erst auf dem Platz
erschien, nachdem der Polizeibeamte C. bereits die Weisung erteilt hatte, den
Wagen zurückzusetzen (vgl. untersuchungsrichterliche Einvernahme vom 11. No-
vember 2002, act. 10 der Staatsanwaltschaft Graubünden, S. 2 Mitte), hätte er
aber zur vorliegend entscheidrelevanten Frage, ob Kpl mbA C. gleich von Beginn
weg von einer möglichen Nötigung sprach, auch keine Aussage machen können.
Diese Zeugenaussagen geben somit keine Hinweise darauf, ob und wann der Po-
lizeibeamte vor Ort den Vorwurf der Nötigung erhoben hat. Dies zum einen des-
halb, weil die Zeugen nicht danach gefragt worden sind und von sich aus dazu
keine Aussagen gemacht haben, und zum andern darum, weil einzelne Zeugen
ohnehin keine Aussagen dazu hätten machen können, da sie gar nicht anwesend
waren, als die Polizei eintraf. Diese Zeugenaussagen sprechen folglich weder für
noch gegen den Standpunkt des Berufungsklägers, er sei mit dem Vorwurf der
Nötigung konfrontiert gewesen.
b) Der Berufungskläger selbst hat in der polizeilichen Einvernahme vom 29.
Juli 2002 (act. 4 der Staatsanwaltschaft Graubünden) den Nötigungsvorwurf eben-
falls nicht erwähnt. Er wurde dazu jedoch auch nicht speziell befragt. Zum ersten
Mal wurde auf den Nötigungsvorwurf von seiner Seite in der Stellungnahme des
Rechtsvertreters des Berufungsklägers vom 29. September 2003 an das Kreisamt
Oberengadin (act. 5 des Kreisamtes Oberengadin) hingewiesen. Rechtsanwalt lic.
iur. Visinoni hielt fest, der Berufungskläger habe richtigerweise auf einer polizeili-
chen Tatbestandsaufnahme beharrt, um einen Beweisnotstand zu vermeiden; da
ohne die Tatbestandsaufnahme das Nachstellen der Situation nicht möglich ge-
wesen und der Berufungskläger Gefahr gelaufen wäre, dass er seine Unschuld
betreffend dem Vorwurf der Nötigung nicht hätte beweisen können. In der Befra-
gung vor dem Bezirksgerichtspräsidium Maloja am 11. März 2004 (act. 14 des
Bezirksgerichts Maloja) gab der Berufungskläger zu Protokoll, der Polizist C. sei
auf ihn zugekommen. Dieser habe ihm gesagt, er solle zurückfahren. Das sei
sonst eine Nötigung. Darauf habe er geantwortet, wenn das eine Nötigung sein


14
solle, würde er verlangen, dass die Abstände festgestellt würden. Andernfalls hät-
te er keine Möglichkeit gehabt, sich gegen den Vorwurf der Nötigung zu wehren.
Nachher habe die Polizei Fotos gemacht und alles ausgemessen. Danach habe er
sein Auto auf Aufforderung hin zurückgesetzt. Auf die Frage, ob er von der Polizei
angewiesen worden sei, sein Fahrzeug zurückzusetzen, antwortete er ja, aber
zuerst habe man ihm gesagt, das sei eine Nötigung, er solle das Auto zurückset-
zen. Auch vor Schranken der Vorinstanz hat der Berufungskläger gemäss Proto-
koll der Hauptverhandlung (act. 30 des Bezirksgerichtes Maloja) erklärt, dass ihm
die Weisung erteilt worden sei, zurückzufahren, das sei Nötigung. In der Befra-
gung durch das Bezirksgerichtspräsidium Maloja sowie anlässlich der Hauptver-
handlung vor der Vorinstanz hat der Berufungskläger konstant und übereinstim-
mend ausgesagt, der Polizeibeamte C. habe gleich zu Beginn von einer Nötigung
gesprochen. Die Aussagen sind insofern klar und in sich stimmig. Ob der Polizei-
beamte zuerst die Weisung erteilte, den Wagen zurückzusetzen, zuerst von
einer Nötigung sprach, lässt sich den Schilderungen des Berufungsklägers nicht
mit Sicherheit entnehmen. Seine Aussagen legen jedoch zumindest den Schluss
nahe, dass der Polizist gewissermassen im gleichen Atemzug das eine wie das
andere äusserte. Die Aussagen des Berufungsklägers zum Nötigungsvorwurf
durch den Polizeibeamten sind im Kerngehalt klar und bestimmt. Sie erscheinen
grundsätzlich als glaubhaft. Einzig der Umstand, dass der Berufungskläger in der
ersten Einvernahme den Nötigungsvorwurf überhaupt nicht erwähnte, obwohl die-
ser gemäss seiner späteren Aussage der Grund dafür war, dass er auf der Auf-
nahme der Situation durch die Polizei beharrte, lässt eine leichte Unsicherheit zu-
rück. Allerdings ist der Tatbestand der Nötigung im Rapport aufgeführt, woraus zu
schliessen ist, dass dieser Tatbestand ein Thema war.
c) Der Zeuge B. hat anlässlich der Befragung durch die Vorinstanz erklärt
(vgl. Protokoll der Befragung vom 10. Juni 2004, act. 29 des Bezirksgerichtes
Maloja), der Polizist C. sei sofort zu seinem Vater gekommen und habe zu seinem
Vater gesagt, was er da mache sei Nötigung, er solle sein Fahrzeug entfernen. Im
Verlaufe des Gesprächs habe der Polizist nochmals gesagt, dies sei Nötigung.
Sein Vater habe gesagt, dass er das Fahrzeug umgehend verstellen werde, aber
er wolle, dass die Situation festgehalten werde. Erst dann habe sich Polizist C.
bereit erklärt, die Situation aufzunehmen. Die Aussagen des Zeugen sind klar,
eindeutig, bestimmt und nachvollziehbar. Er hat sie unter der Strafdrohung von
Art. 307 StGB gemacht. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass er
bewusst falsch ausgesagt hätte. Allein aus dem Umstand, dass es sich beim Zeu-
gen um den Sohn des Berufungsklägers handelt, kann nicht geschlossen werden,


15
dass er zu Gunsten seines Vaters ausgesagt hat. Seine Aussagen stimmen im
weiteren bezüglich der Abfolge der Ereignisse mit den Aussagen der übrigen Zeu-
gen und des Berufungsklägers überein. Insgesamt betrachtet und unter Würdi-
gung sämtlicher Umstände kommt der Kantonsgerichtsausschuss zum Schluss,
dass die Aussagen des Zeugen B. glaubhaft sind.
d) Aus dem Gesagten erhellt, dass vorliegend vor allem aufgrund der
Zeugenaussage von B. - davon auszugehen ist, dass der Polizeibeamte C. ge-
genüber dem Berufungskläger von Beginn weg den Vorwurf der Nötigung erhoben
hat. (Im Rapport vom 2. August 2002 hat er den Tatbestand denn auch erwähnt).
Aus der Zeugenaussage von B. ist zudem ersichtlich, dass Kpl mbA C. den Vor-
wurf der Nötigung erhoben hat und dann die Weisung erteilte, den Wagen zurück-
zusetzen. B. hat ausgesagt: „Der Herr C. kam sofort zu meinem Vater. Er sagte zu
meinem Vater: ‚Was Sie hier machen ist Nötigung. Entfernen Sie Ihr Fahrzeug’“
(Einvernahme vom 10. Juni 2004, act. 29 des Bezirksgerichtes Maloja). Diese
Aussage ist klar und eindeutig. Sie erscheint entgegen der Auffassung der Vo-
rinstanz auch nicht als lebensfremd. Es ist keineswegs abwegig, dass der Polizei-
beamte den Berufungskläger zunächst darauf hingewiesen hat, dass sein Verhal-
ten einen Straftatbestand erfüllen könnte, und dann sofort anschliessend die Wei-
sung erteilt hat, dieses inkriminierte Verhalten aufzugeben und den Wagen zu-
rückzusetzen, damit der Stau sich auflösen und der Verkehr wieder zirkulieren
konnte. Der vorgängige Hinweis auf ein möglicherweise strafbares Verhalten
konnte unter Umständen sogar der anschliessenden Weisung Nachdruck verlei-
hen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Adressat der Weisung diese
befolgen würde. Es ist somit davon auszugehen, dass der Polizeibeamte C. dem
Berufungskläger gegenüber den Vorwurf der Nötigung erhob und anschliessend
die Weisung erteilte, den Wagen zurückzusetzen.
5.
Da nun feststeht, dass Kpl mbA C. gegenüber dem Berufungskläger
den Vorwurf der Nötigung erhoben hat, stellt sich die Frage, ob der Berufungsklä-
ger zur Wahrung seiner Interessen berechtigt war, der Weisung der Polizei erst
Folge zu leisten, nachdem seine Forderung nach Aufnahme der Situation erfüllt
worden war.
a) Der Berufungskläger macht in seiner Berufung geltend, er habe auf der
Aufnahme und Vermessung der Situation bestanden, um sich in einem allfälligen
Strafverfahren gegen den Vorwurf der Nötigung zur Wehr setzen zu können. So
hat er sich auch anlässlich der Einvernahme vor dem Bezirksgerichtspräsidium


16
Maloja am 11. März 2004 (act. 14 des Bezirksgerichtes Maloja, S. 2) geäussert.
Wie bereits einlässlich dargelegt, sah sich der Berufungskläger tatsächlich dem
Vorwurf der Nötigung ausgesetzt. Es erscheint nachvollziehbar, dass er diesen
Vorwurf, der ja von einem Polizeibeamten kam, zum einen sehr ernst genommen
hat und zum andern nicht einfach hinnehmen, sondern sich dagegen zur Wehr
setzen wollte. Seine Aussagen erhalten dadurch eine gewisse Glaubhaftigkeit. In
die Überlegungen ist jedoch auch miteinzubeziehen, dass der Berufungskläger in
seiner ersten Einvernahme vom 29. Juli 2002 (act. 4 der Staatsanwaltschaft Grau-
bünden), die nicht einmal eine Stunde nach dem Ereignis erfolgte, mit keinem
Wort auf das Verhalten des Polizeibeamten hingewiesen hat. Vielmehr hat er auf
die Frage, was er dazu meine, dass er sich geweigert habe, auf Weisung des Po-
lizisten hin zurückzufahren, erklärt, er habe gewollt, dass die Polizei zuerst die
Fahrzeuge beziehungsweise die Situation ausmesse. Die Polizei habe aber sofort
Partei ergriffen. Auf die Feststellung des einvernehmenden Polizisten hin, die Poli-
zei habe nicht Partei ergriffen, sondern versucht, den Verkehrsstau zu lösen, was
nur möglich gewesen sei, wenn der Berufungskläger retour gefahren sei, antwor-
tete der Berufungskläger, er habe nur zeigen wollen, wie stur der Buslenker gewe-
sen sei. Er erklärte abschliessend auch, dass er mit diesem Fall nur habe festhal-
ten wollen, dass in solchen Engpässen nur durch gegenseitiges Entgegenkommen
der Verkehrsfluss aufrecht erhalten werden könne. Wenn jemand stur sei, gehe
gar nichts mehr. Der Buschauffeur sei stur gewesen. Die Aussagen des Beru-
fungsklägers anlässlich seiner ersten Einvernahme am 29. Juli 2002 geben somit
keine Hinweise darauf, dass es dem Berufungskläger mit dem Beharren auf der
Aufnahme der Situation darum ging, dem Vorwurf der Nötigung zu begegnen.
(Immerhin aber stand auch eine Verletzung von Art. 37 Abs. 2 SVG im Raum).
Dies überrascht, war nach späteren Aussagen des Berufungsklägers doch gerade
der Beweis der fehlenden Nötigung Motivation für seine Weigerung, der Weisung
des Polizeibeamten sofort Folge zu leisten. Es handelte sich dabei folglich um ei-
nen auch für den Berufungskläger zentralen Punkt, der den Berufungskläger
allenfalls entlasten konnte und dessen Erwähnung eigentlich zu erwarten gewesen
wäre. Ebenso erstaunt, dass weder der Berufungskläger noch sein Rechtsvertre-
ter anlässlich der untersuchungsrichterlichen Einvernahme von Kpl mbA C. vom
26. November 2002 (act. 11 der Staatsanwaltschaft Graubünden), an welcher bei-
de teilnahmen und an der beide Ergänzungsfragen stellen konnten, den Nöti-
gungsvorwurf zur Sprache gebracht haben, obwohl es bei der Einvernahme auch
um die Weigerung des Berufungsklägers ging, die Weisung des Polizeibeamten
sofort zu befolgen. Erst über ein Jahr nach dem Vorfall erwähnte der Rechtsvertre-
ter in seiner Stellungnahme vom 29. September 2003 an das Kreisamt Oberenga-


17
din (act. 5 des Kreisamtes Oberengadin) den Nötigungsvorwurf und die Notwen-
digkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Da es sich bei dem Nötigungsvorwurf
und dem damit zusammenhängenden Wunsch des Berufungsklägers, seine dies-
bezügliche Unschuld zu beweisen, um entlastende Momente handeln konnte, ist
nicht nachvollziehbar, dass sie erst mehr als ein Jahr nach dem Vorfall geltend
gemacht wurden. Immerhin stand aber am Tage des Vorfalls auch eine Verletzung
von Art. 37 Abs. 2 SVG im Raum. Gemäss dem Grundsatz „in dubio pro reo“ ist
daher vorliegend vom für den Berufungskläger günstigeren Sachverhalt auszuge-
hen, nämlich davon, dass er der Weisung des Polizeibeamten keine Folge geleis-
tet und auf der Aufnahme der Situation durch die Polizei bestanden hat, um in ei-
nem allfälligen späteren Strafverfahren seine Unschuld beweisen zu können.
b) Der Berufungskläger macht geltend, er habe sich in einem Beweisnot-
stand befunden: wenn die Situation nicht festgehalten und vermessen worden wä-
re, hätte er in einem allfälligen späteren Prozess wegen Nötigung nicht beweisen
können, dass der Engadin-Bus an ihm hätte vorbei fahren können. Damit aber
wäre es ihm verwehrt gewesen, seine Unschuld zu belegen. Er berufe sich auf
einen übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund. Der Berufungskläger macht damit
das Vorliegen zweier verschiedener Rechtfertigungsgründe geltend, nämlich zum
einen einen Notstand (Art. 34 StGB) und zum andern die Wahrung berechtigter
Interessen (übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund). Rechtfertigungsgründe sind
Rechtssätze, die ein an und für sich normwidriges Verhalten ausnahmsweise und
unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Sie lassen folglich die Rechtswid-
rigkeit des tatbestandsmässigen Verhaltens entfallen. Liegt ein Rechtfertigungs-
grund vor, erweist sich das inkriminierte Verhalten als erlaubt, weshalb keine
Sanktion erfolgen darf. Ergibt sich nun vorliegend, dass einer der zwei vom Beru-
fungskläger geltend gemachten Rechtfertigungsgründe gegeben ist, so entfällt
ohne weiteres die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Berufungsklägers und es
erübrigt sich die Prüfung des anderen Rechtfertigungsgrundes. - Der übergesetzli-
che Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen kann nach der
Rechtsprechung nur angerufen werden, wenn die Tat ein notwendiges und ange-
messenes Mittel ist, um ein berechtigtes Ziel zu erreichen, die Tat also insoweit
den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die
Interessen, die der Täter zu wahren sucht (BGE 127 IV 122 E 5c, 166 E 2b). Wie
bereits einlässlich dargelegt, ist vorliegend davon auszugehen, dass der Beru-
fungskläger mit seinem Beharren auf der Aufnahme der Situation erreichen wollte,
dass er in einem allfälligen späteren Strafprozess seine Unschuld beweisen konn-
te. Dies ist offensichtlich und ohne Zweifel ein legitimes und berechtigtes Ziel. Es


18
stellt sich aber die Frage, ob dem Berufungskläger andere Mittel zur Verfügung
gestanden hätten, um dieses Ziel zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist zu-
nächst von Bedeutung, dass die Situation augenscheinlich aufgenommen werden
musste, bevor die Fahrzeuge bewegt wurden, war vorliegend doch offenkundig die
genaue Lage der Fahrzeuge von entscheidender Bedeutung. Wie sich dem Fo-
toblatt mit Handskizze (act. 3 der Staatsanwaltschaft Graubünden) entnehmen
lässt, hätte nämlich bei den beengten Strassenverhältnissen unter Umständen
schon eine geringfügig andere Lage des Wagens des Berufungsklägers die Wei-
terfahrt des Engadin-Busses tatsächlich verunmöglicht. (Dass der Engadin-Bus
tatsächlich hätte vorbeifahren können, ergibt sich nicht nur aus der Aussage von
Kpl mbA E., act. 9 der Staatsanwaltschaft Graubünden, sondern insbesondere
auch aus dem Augenscheinund Rekonstruktionsprotokoll, act. 13 der Staatsan-
waltschaft Graubünden). Der Berufungskläger musste daher auf der Aufnahme
der Situation beharren, bevor die Fahrzeuge verstellt wurden, wollte er sein legiti-
mes Ziel erreichen. Das aber hiess, dass er der Weisung der Polizei, die Kpl mbA
C. erteilt hatte, keine Folge leisten konnte, wenn er den Beweis nicht gefährden
wollte. Es gab für ihn daher kein anderes Mittel, als auf der sofortigen Aufnahme
der Situation zu beharren und sich zu weigern, der polizeilichen Weisung sogleich
nachzukommen. Selbst wenn der Berufungskläger die Situation selbst hätte fest-
halten wollen, indem er Fotos gemacht und/oder die Lage der Fahrzeuge ausge-
messen beziehungsweise markiert hätte, hätte dies einige Zeit in Anspruch ge-
nommen, in der er der Weisung der Polizei nicht hätte nachkommen können. Zu-
dem hätte die Aufnahme der Situation durch den Berufungskläger unter Umstän-
den nicht dasselbe Gewicht erlangt wie jene der Polizei. Denn es hätte sich dabei
immer um Parteivorbringen beziehungsweise Parteibehauptungen gehandelt. Die
Weigerung des Berufungsklägers, gemäss der Weisung des Polizeibeamten sein
Fahrzeug sofort zurückzusetzen, und die Forderung, dass die Polizei vorerst die
Situation aufnehmen sollte, waren somit der einzig mögliche Weg, um in der vor-
liegend zu beurteilenden Situation den Beweis, dass der Berufungskläger keine
Nötigung und keine Verkehrsregelverletzung begangen hatte, so zu sichern, dass
der Berufungskläger sich später auch erfolgreich darauf berufen konnte. Mit sei-
nem Verhalten suchte der Berufungskläger im weiteren sein Interesse daran zu
wahren, dass er nicht zu Unrecht verurteilt wurde. Die Vermeidung eines Fehlur-
teils ist offensichtlich ein sehr gewichtiges Interesse. Dagegen steht das Interesse
der Polizei, dass ihre Anweisung, den Wagen zurückzusetzen, sofort befolgt wird,
damit der Verkehrsstau sich auflöst und der Verkehr wieder zirkulieren kann. Der
Kantonsgerichtsausschuss gewichtet beim vorliegenden Sachverhalt das Interes-
se des Berufungsklägers an der Verhinderung einer ungerechtfertigten Verurtei-


19
lung als grösser als das Interesse der Polizei an der sofortigen Befolgung ihrer
Weisung. Dies insbesondere auch aufgrund der Tatsache, dass durch die Auf-
nahme der Lage der Fahrzeuge keine Gefahrensituation entstand und die Ver-
kehrsbehinderung nur eine nicht allzu lange Zeit bestehen bleiben musste. (Ledig-
lich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es bis zu einem gewissen Punkt
auch in der Entscheidung der Polizeibeamten lag, wie lange die Verkehrsbehinde-
rung aufrechterhalten werden musste. Der Berufungskläger hat nämlich vor
Schranken der Vorinstanz erklärt, er habe vorgeschlagen, dass man mit Strichen
am Boden die genaue Lage der Fahrzeuge markieren und erst nach Auflösung
des Verkehrsstaus alles ausmessen solle [vgl. Protokoll der Hauptverhandlung vor
der Vorinstanz vom 10. Juni 2004, act. 30 des Bezirksgerichtes Maloja, S. 1 un-
ten]. Die Polizeibeamten haben sich aber offenbar dafür entschieden, Fotos zu
machen und sogleich alles auszumessen.) Damit aber kann sich der Berufungs-
kläger erfolgreich auf den übergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung
berechtigter Interessen berufen. Es fehlt somit vorliegend an der Rechtswidrigkeit
des an und für sich tatbestandsmässigen Verhaltens des Berufungsklägers. Unter
diesen Umständen aber erübrigt es sich, auch die Frage des Notstandes zu prü-
fen. Eine Verurteilung des Berufungsklägers wegen Widerhandlung gegen Art. 27
Abs. 1 SVG fällt bei dieser Sachlage ausser Betracht. Festzustellen gilt, dass der
Berufungskläger nach der Tatbestandsaufnahme das Fahrzeug zurückversetzte.
Die Vorinstanz hat den Berufungskläger folglich zu Unrecht der Widerhandlung
gegen Art. 27 Abs. 1 SVG schuldig erkannt. Die Berufung ist in diesem Punkt gut-
zuheissen, das vorinstanzliche Urteil ist aufzuheben und der Berufungskläger ist
freizusprechen.
6.
a) Motorfahrzeuge dürfen nur mit Fahrzeugausweis in Verkehr ge-
bracht werden und wer ein Motorfahrzeug führt, benötigt einen Führerausweis;
diese Ausweise sind stets mitzuführen und den Kontrollorganen auf Verlangen
vorzuweisen (Art. 10 Abs. 1, 2 und 4 SVG). Der Fahrzeugführer, der die erforderli-
chen Ausweise Bewilligungen nicht mit sich führt, wird mit Busse betraft (Art.
99 Ziff. 3 SVG). Der Berufungskläger war am 29. Juli 2002 nicht in der Lage, auf
Verlangen den Polizeibeamten den Fahrzeugund den Führerausweis vorzuwei-
sen, da er beide Ausweise nicht bei sich hatte. Er erklärte, die Dokumente seien in
St. Moritz bei seiner Frau (polizeiliche Einvernahme vom 29. Juli 2002, act. 4 der
Staatsanwaltschaft Graubünden, S. 2 Mitte). Er hat diesen Sachverhalt stets aner-
kannt und bestreitet ihn auch im Berufungsverfahren nicht. Das Gesetz verlangt
das Mitführen der notwendigen Ausweise (Art. 10 Abs. 4 SVG). Der Berufungsklä-
ger hätte sich daher vor der Fahrt mit seinem Wagen vergewissern müssen, dass


20
er die notwendigen Ausweise bei sich hatte. Indem er dies nicht tat, handelte er
fahrlässig. Nachdem im Verkehrsstrafrecht bereits die fahrlässige Begehung einer
Straftat zu deren Strafbarkeit genügt (Art. 100 Ziff. 1 SVG), ist das Verhalten des
Berufungsklägers somit als Verstoss gegen Art. 99 Ziff. 3 SVG zu werten.
b) Das Verschulden des Berufungsklägers erweist sich als leicht. Er hat
zwar weder den Führernoch den Fahrzeugausweis mit sich geführt, dies jedoch
gemäss Aktenlage offenbar aus Fahrlässigkeit. Er hat den Sachverhalt sofort und
vorbehaltlos anerkannt. Die Polizei war zudem in der Lage, nachträglich den Füh-
rerausweis des Berufungsklägers zu überprüfen (vgl. Rapport vom 2 August 2002,
act. 2 der Staatsanwaltschaft Graubünden, S. 4 unten). Wäre vorliegend einzig
das Nichtmitführen der erforderlichen Ausweise zu beurteilen gewesen, wäre das
Ordnungsbussenverfahren zur Anwendung gelangt. Es sind aus dem Strafverfah-
ren keine irgendwie erschwerenden Umstände ersichtlich und der Berufungskläger
hat die Übertretung stets anerkannt. Unter diesen Umständen aber rechtfertigt es
sich nicht, ihn schlechter zu stellen, als wenn das Nichtmitführen der Ausweise an
Ort und Stelle geahndet worden wäre. Es erscheint daher angebracht, die Tarife
der Ordnungsbussenverordnung als Orientierungshilfe beizuziehen. Gemäss An-
hang 1 zur Ordnungsbussenverordnung, Ziff. 100.1, ist für das Nichtmitführen des
Führerausweises und gemäss Ziff. 100.3 für das Nichtmitführen des Fahrzeug-
ausweises im Ordnungsbussenverfahren je eine Busse in Höhe von Fr. 20.-zu
bezahlen. Der Kantonsgerichtsausschuss kommt daher unter Würdigung sämtli-
cher Umstände zum Schluss, dass dem Verschulden des Berufungsklägers eine
Busse in Höhe von Fr. 40.-angemessen erscheint.
7. Bezüglich
der
Verjährungsfristen bei der Strafverfolgung von Übertre-
tungen ist auf den 1. Oktober 2002 eine Gesetzesänderung in Kraft getreten. Die
vorliegend zu beurteilende Tat wurde vor dem Inkraftreten des neuen Rechts be-
gangen, nämlich am 29. Juli 2002. Das neue Recht kann daher nur Anwendung
finden, wenn es im Vergleich zum alten Recht das mildere ist (Art. 337 StGB).
Gemäss Art. 109 aStGB verjährte eine Übertretung in einem Jahre, die Strafe ei-
ner Übertretung innert zwei Jahren. Im neuen Recht verjährt die Übertretung erst
innert drei Jahren (Art. 109 StGB). Damit ist das neue Recht nicht das mildere,
weshalb das alte Recht Anwendung finden muss. Die vom Berufungskläger am
29. Juli 2002 begangene Übertretung, dass er nämlich weder den Führernoch
den Fahrzeugausweis mit sich trug, verjährte daher innert zwei Jahren, somit am
29. Juli 2004. Der Kantonsgerichtsausschuss hat mithin gerade noch innerhalb der
Verjährungsfrist sein Urteil fällen können. Es stellt sich die Frage, warum das


21
Strafverfahren so viel Zeit in Anspruch genommen hat, obwohl es weder sonder-
lich umfangreich noch schwierig gewesen ist und sich auch keine komplizierten
Rechtsfragen gestellt haben. Betrachtet man vorliegend den Verfahrensgang, so
fällt auf, dass im Zeitraum vom 26. September 2002 (untersuchungsrichterliche
Einvernahme von Polizist C.) bis zum 24. Juli 2003 (Augenschein) keine Untersu-
chungshandlungen vorgenommen worden sind. Warum in diesen knapp zehn Mo-
naten die Untersuchung nicht vorangetrieben worden ist, kann den Akten nicht
entnommen werden. Es erscheint dem Kantonsgerichtsausschuss gerade auch
mit Blick auf das Beschleunigungsgebot generell nicht tunlich, wenn ein Strafver-
fahren ohne ersichtlichen beziehungsweise nachvollziehbaren Grund über lange
Zeit ruht. Dies besonders dann, wenn die Untersuchung (auch) Übertretungsstraf-
tatbestände umfasst, da diese innert kurzer Frist verjähren. Vorliegend nun hat die
lange Verfahrensdauer dazu geführt, dass die Straftat kurz vor der Verjährung
stand, als das vorinstanzliche Urteil an den Kantonsgerichtsausschuss weiter ge-
zogen wurde. Es blieb gerade noch Zeit, der Vorinstanz und der Staatsanwalt-
schaft Graubünden die Möglichkeit zur Stellungnahme zu eröffnen und nach Erhalt
der jeweiligen Antwortschreiben ein Urteil zu fällen. Der Kantonsgerichtsaus-
schuss kommt unter diesen Umständen nicht umhin, auf die Wichtigkeit einer be-
förderlichen Behandlung von Strafuntersuchungen und Strafverfahren hinzuwei-
sen. Nur so ist gewährleistet, dass Übertretungsstraftatbestände von allen gericht-
lichen Instanzen beurteilt werden können, ohne dass sie während laufendem Ver-
fahren verjähren.
8.
Bei diesem Ausgang des Berufungsverfahrens sind die Kosten des
gesamten Verfahrens neu zu verlegen. Vorliegend wird der Berufungskläger einzig
dafür verurteilt, dass er weder den Führernoch den Fahrzeugausweis mit sich
geführt hat. Bezüglich des Vorwurfs der Nötigung ist das Verfahren bereits durch
den Untersuchungsrichter eingestellt worden, mit Bezug auf den Vorwurf, der Be-
rufungskläger habe einer Weisung der Polizei keine Folge geleistet, wird er freige-
sprochen. Offensichtlich handelt es sich beim vorliegend zur Verurteilung gelan-
genden Tatbestand um einen völlig untergeordneten Anklagepunkt, der keine
Aufwendungen in der Untersuchung und kaum Aufwendungen in den Gerichtsver-
fahren verursacht hat, insbesondere auch, weil der Berufungskläger diesen Tatbe-
stand nie bestritten hat. Unter diesen Umständen aber rechtfertigt es sich, die
Kosten der Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft Graubünden dem Kanton
Graubünden aufzuerlegen, der den Berufungskläger für das Untersuchungsverfah-
ren zudem angemessen zu entschädigen hat. Die Kosten des Kreisamtes
Oberengadin gehen zu Lasten des Kreises Oberengadin, der den Berufungskläger


22
für das Verfahren vor dem Kreisamt Oberengadin entschädigen muss. Die Kosten
des Bezirksgerichtsausschusses Maloja hat der Bezirk Maloja zu tragen, welcher
den Berufungskläger für das Verfahren vor dem Bezirksgerichtsausschuss ent-
schädigen muss. Die Kosten des Berufungsverfahrens wiederum gehen zu Lasten
des Kantons Graubünden, welcher den Berufungskläger für das Berufungsverfah-
ren angemessen zu entschädigen hat.


23
Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Berufung wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil wird aufgeho-
ben.
2.
A. wird von der Anklage der Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG freigesprochen.
3.
a) A. ist schuldig der Verletzung von Art. 99 Ziff. 3 SVG.

b) Dafür wird er mit einer Busse von Fr. 40.-bestraft.
4.
a) Die Kosten der Staatsanwaltschaft Graubünden von Fr. 873.40 gehen zu
Lasten des Kantons Graubünden, welcher A. mit Fr. 1'000.-zu entschädi-
gen hat.

b) Die Kosten des Kreisamtes Oberengadin von Fr. 250.-gehen zu Lasten
des Kreises Oberengadin, welcher A. mit Fr. 500.-zu entschädigen hat.

c) Die Kosten des Bezirksgerichtsausschusses Maloja von Fr. 1’000.-ge-
hen zu Lasten des Bezirkes Maloja, welcher A. mit Fr. 2'240.-zu entschä-
digen hat.
5.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 1'500.-gehen zu Lasten des
Kantons Graubünden, welcher A. mit Fr. 700.-zu entschädigen hat.
6.
Gegen dieses Urteil kann, sofern Verletzung eidgenössischen Rechts gel-
tend gemacht werden will, Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
des schweizerischen Bundesgerichts geführt werden. Diese ist dem Bun-
desgericht innert 30 Tagen seit Zustellung der vollständigen Ausfertigung
des Entscheides in der in Art. 273 des Bundesgesetzes über die Bundes-
strafrechtspflege (BStP) vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Be-
schwerdelegitimation und die weiteren Voraussetzungen der Nichtigkeits-
beschwerde gelten die Art. 268 ff. BStP.
7. Mitteilung
an:
__
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Vizepräsident
Die Aktuarin ad hoc


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