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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Zusammenfassung des Urteils SB-03-44: Kantonsgericht Graubünden

X., ein deutscher Rechtsanwalt und Familienvater, wurde wegen der Missachtung von Verkehrsregeln mit einer Geldstrafe belegt. Er hatte ein Stoppschild überfahren, was zu einer Strafe von 500 CHF führte. X. bestritt die Anschuldigungen und legte Berufung ein. Nach einer umfangreichen gerichtlichen Untersuchung wurde die Strafe auf 300 CHF reduziert. Das Gericht bestätigte den Schuldspruch und entschied, dass X. den Grossteil der Gerichtskosten tragen muss.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB-03-44

Kanton:GR
Fallnummer:SB-03-44
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid SB-03-44 vom 03.12.2003 (GR)
Datum:03.12.2003
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verletzung von Verkehrsregeln
Schlagwörter : Beruf; Berufung; Beweis; Kantons; Kantonsgericht; Polizei; Kantonsgerichts; Verkehr; Busse; Urteil; Kantonsgerichtsausschuss; Berufungskläger; Zeuge; Aussage; Polizeibeamte; Graubünden; Zeugen; Polizeibeamten; Verfahren; I-Strasse; Einvernahme; Verfahren; Bundes; Verkehrsregel; ührt
Rechtsnorm:Art. 1 OBG ;Art. 125 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 142 StPO ;Art. 144 StPO ;Art. 146 StPO ;Art. 160 StPO ;Art. 175 StPO ;Art. 178 StPO ;Art. 27 SVG ;Art. 3 OBG ;Art. 307 StGB ;Art. 32 BV ;Art. 346 StGB ;Art. 4 BV ;Art. 48 StPO ;Art. 63 StGB ;
Referenz BGE:115 IV 268; 117 IV 112; 117 IV 113; 119 Ia 316; 119 Ia 318; 120 Ia 37; 121 I 308; 124 IV 87; 125 I 127; 125 I 135; 127 IV 101; 98 Ia 253;
Kommentar:
Jung, Agner, Steinmann, Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, Zürich, Art. 33, 1995

Entscheid des Kantongerichts SB-03-44

Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni
Dretgira chantunala dal Grischun
_____
Ref.:
Chur, 3. Dezember 2003
Schriftlich mitgeteilt am:
SB 03 44
(nicht mündlich eröffnet)

Urteil
Kantonsgerichtsausschuss
Vorsitz Vizepräsident
Schlenker
RichterInnen
Schäfer und Vital
Aktuarin ad hoc
Wacker
——————
In der strafrechtlichen Berufung
des X., Berufungskläger,

gegen

das Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Hinterrhein vom 22. Mai 2003, mitge-
teilt am 11. Juli 2003, in Sachen des Berufungsklägers,
betreffend Verletzung von Verkehrsregeln,
hat sich ergeben:


2
A.
X. wurde am 15. April 1953 in A. geboren. Er ist deutscher Staatsan-
gehöriger, verheiratet mit B. und Vater von vier Kindern. X. arbeitet als Rechtsan-
walt in der Anwaltskanzlei „X. & Kollegen“ in C. und erzielt gemäss eigenen Anga-
ben ein jährliches Einkommen von rund 60'000 Euro.
Im schweizerischen Zentralstrafregister und im SVG-Massnahmeregister
(ADMAS) des Strassenverkehrsamtes Graubünden ist X. nicht verzeichnet.
B.
Am 30. März 2002, um 17.50 Uhr, beobachteten zwei Beamte der
Kantonspolizei Graubünden, wie X. als Lenker des Personenwagens der Marke
VW Multivan, Kennzeichen E. am Ende der Ausfahrt H. in die I.-Strasse einbog
und dabei das Verkehrssignal „STOP“ sowie die Bodenmarkierung „Haltelinie“ und
„Stop“ missachtete. X. war in Begleitung seiner Ehefrau und fünf weiteren Perso-
nen unterwegs in den Skiurlaub.
Anlässlich der umgehend durchgeführten polizeilichen Einvernahme bestä-
tigte X., soeben ohne anzuhalten über die Stopstelle gefahren zu sein. Zuvor je-
doch habe er angehalten. Überdies habe die Geschwindigkeit beim Überfahren
höchstens 10 bis 15 km/h betragen, wobei er als Lenker seines VW Busses eine
bessere Übersicht gehabt habe.
C.
Mit Strafmandat vom 15. August 2002, mitgeteilt am 3. September
2002, erkannte der Kreispräsident Domleschg wie folgt:
„1. X. ist schuldig der Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von
Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG.
2. Dafür wird er bestraft mit einer Busse von Fr. 400.—
3. Der Verurteilte bezahlt die Kosten des Verfahrens, bestehend
aus
Busse Fr.
400.00
Gebühren Fr.
250.00
Kompetenzentscheid des Staatsanwaltschaft Fr.
50.00
Total Fr.
700.00
abzüglich geleistetes Depositum
Fr.
501.20
Restanz zu Lasten des Verurteilten
Fr.
198.80
zahlbar innert 30 Tagen auf das Konto CG 191.139.200 der
Graubündner Kantonalbank, 7001 Chur, (Swiftcode GKBCH
2270A, Bankleitzahl 07749), PC 70-216-5.

4. (Rechtsmittelbelehrung).


3
5. (Mitteilung an:).“
Gegen dieses Strafmandat erhob X. am 20. September 2002 Einsprache
beim Kreisamt Domleschg. Er habe die Stopstelle lediglich überrollt, weshalb ihm
nicht eine Busse, sondern lediglich ein Verwarnungsgeld in der Höhe von Fr. 60.—
aufzuerlegen sei.
D.
Gestützt auf Art. 175 StPO überwies das Kreisamt Domleschg die
Verfahrensakten in der Folge dem Bezirksgericht Hinterrhein zur Ergänzung der
Untersuchung. Anlässlich einer durch das Amtsgericht D. durchgeführten rechts-
hilfeweisen Einvernahme vom 5. Dezember 2002 führte X. aus, dass er das Stop-
signal nicht wahrgenommen und daher die Stopstelle nicht als solche erkannt ha-
be. Dennoch habe er den Vortritt achten wollen, weshalb er sich der Kreuzung nur
mit etwas mehr als Schrittgeschwindigkeit genähert habe. Auf der I.-Strasse habe
kein Verkehr geherrscht, worauf er ungefähr im Schrittempo in die Kreuzung ein-
gefahren und anschliessend nach links abgebogen sei. Im Übrigen erachte er die
ihm auferlegte Geldbusse als unverhältnismässig. Seine Ehefrau, welche als Zeu-
gin ebenfalls einvernommen wurde, führte ergänzend aus, dass das Fahrzeug mit
sieben Personen und viel Gepäck beladen gewesen sei, weshalb es beim Anfah-
ren ohnehin nicht zügig reagiere. Sie habe nicht darauf geachtet, ob ihr Mann
beim Stopsignal angehalten habe; er sei aber ungefähr mit Schrittgeschwindigkeit
in die I.-Strasse eingebogen.
E.
Am 28. März 2003 wurde X. mit Verfügung des Bezirksgerichtspräsi-
diums Hinterrhein wegen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 27 Abs.
1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG in den Anklagezustand versetzt.
Gleichzeitig wurde der Fall gestützt auf Art. 346 StGB und Art. 48 StPO dem Be-
zirksgerichtsausschuss Hinterrhein zur Beurteilung überwiesen. Dieser erkannte
mit Urteil vom 22. Mai 2003, mitgeteilt am 11. Juli 2003 wie folgt:
„1. X. wird der einfachen Verletzung von Verkehrsregeln gemäss
Art. 27 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 90 Ziff. 1 SVG schul-
dig gesprochen.

2. Dafür wird er mit einer Busse von Fr. 500.— bestraft.

3. Die Kosten des Verfahrens, bestehend aus:
-
Verfahrenskosten des Kreises Domleschg
Fr.
300.—
- Untersuchungskosten
Fr. 420.—
- Gerichtskosten
Fr. 1'300.—


4
total
somit
Fr.
2'020.—

gehen zu Lasten von X.. Dieser Betrag ist zusammen mit der
Busse von Fr. 500.--, abzüglich des bereits geleisteten Deposi-
tums von Fr. 501.20, total somit Fr. 2'018.80, innert 30 Tagen
seit Mitteilung des Entscheides an das Bezirksamt Hinterrhein
auf das Konto 70-4650-5 zu überweisen.

4. (Rechtsmittelbelehrung).
5. (Mitteilung
an:).“
Zur Begründung wurde insbesondere geltend gemacht, dass der Aussage
von X. jene Aussagen der beiden Polizisten F. und G. gegenüberstünden, wonach
die Stopstelle „in einem Zuge (kein Rollstop)“ überfahren worden sei. Es gebe kei-
nen Grund, an den Ausführungen der beiden Polizeibeamten zu zweifeln, zumal
es an jenem Tage gerade deren Aufgabe gewesen sei, das Stopsignal bei der
Ausfahrt H. zu überwachen. Unter diesen Umständen würden ihre Aussagen
glaubhafter erscheinen als jene von X.. Im Rahmen der Strafzumessung schliess-
lich sei zu berücksichtigen, dass es sich bei der fraglichen Kreuzung um eine ge-
fährliche und unfallträchtige Stelle handle. So seien denn auch von der Ausfahrt H.
(Südspur) der Autostrasse A 13 bis zur Querverbindung des Anschlusses H. ins-
gesamt fünf Stop-Signale angebracht worden. X. habe diese Signale allesamt
missachtet. Unter Berücksichtigung dieser Tatsache, sowie aufgrund der wirt-
schaftlichen Verhältnisse von X. werde eine Busse von Fr. 500.— als angemessen
erachtet.
F.
Mit strafrechtlicher Berufung vom 6. August 2003 beantragte X. beim
Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden die Aufhebung des vorinstanzlichen
Urteils. Dabei beanstandete er insbesondere die fehlende Einvernahme der bei-
den Polizeibeamten F. und G., wodurch sowohl sein Anspruch auf rechtliches Ge-
hör als auch der Unmittelbarkeitsgrundsatz verletzt worden sei. Im Übrigen habe
seine Ehefrau B. X. bestätigt, dass er beim Abbiegemanöver mit ungefährer
Schrittgeschwindigkeit gefahren sei. Die Höhe der auferlegten Busse schliesslich
verstosse gegen den auf europäischer Ebene geltenden Verhältnismässigkeits-
grundsatz.
Der Kantonsgerichtsausschuss vertagte die Verhandlung mit Beschluss
vom 17. September 2003, mitgeteilt am 3. Oktober 2003, gestützt auf Art. 145
Abs. 3 StPO zur Ergänzung des Beweisverfahrens. Die Würdigung der vorhande-
nen Beweismittel führe zum Schluss, dass der X. zur Last gelegte Sachverhalt
nicht rechtsgenüglich nachgewiesen sei. Diese Zweifel an der Sachlage könnten


5
jedoch möglicherweise durch eine Einvernahme der beiden Polizeibeamten F. und
G. ausgeräumt werden. Diese Einvernahmen seien ausnahmsweise durch das
Kantonsgerichtspräsidium durchzuführen, wobei dem Berufungskläger und der
Staatsanwaltschaft in der Folge Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wer-
de.
G.
Mit Verfügung des Kantonsgerichtspräsidiums vom 14. Oktober 2003
wurden G. und F. auf den 7. November 2003 zu einer Zeugeneinvernahme vorge-
laden. X. reichte dem Gericht am 6. November 2003 ein Zeugenfragethema ein,
sowohl in Bezug auf den Polizeibeamten F. wie auch ergänzend bezüglich seiner
Ehefrau B. X.. Der Polizeibeamte F. sei insbesondere zu jenem Fahrzeuglenker
einzuvernehmen, welcher zum Tatzeitpunkt vor X. ohne vollständig anzuhalten in
den Kreuzungsbereich eingefahren und anschliessend vom Kollegen des Zeugen
F. angehalten worden sei. F. sei zu befragen, ob diesem Autofahrer ebenfalls eine
Geldbusse auferlegt worden sei.
An der Zeugeneinvernahme vom 7. November 2003 war lediglich der Poli-
zeibeamte F. anwesend. Der Zeuge G. blieb der Einvernahme krankheitshalber
fern, teilte dem Gericht jedoch telefonisch mit, dass er nichts anderes sagen kön-
ne als sein Kollege F.. Wie im Rapport festgehalten, sei X. zügig in die I.-Strasse
eingefahren.
Mit Schreiben vom 12. November 2003 verzichtete die Staatsanwaltschaft
Graubünden auf die Einreichung einer Vernehmlassung zum Zeugeneinvernah-
meprotokoll vom 7. November 2003. X. machte demgegenüber mit Schreiben vom
21. November 2003 geltend, dass F. gemäss Einvernahmeprotokoll den erhobe-
nen Vorwurf nicht mehr bestätigt habe. Gegebenenfalls sei der Kollege von F. zu
jenem Fahrzeuglenker zu befragen, welcher vor X. in die I.-Strasse eingebogen
sei. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass B. X. anlässlich ihrer Einvernahme
vom 5. Dezember 2002 bekundet habe, dass der Berufungskläger „ungefähr mit
Schrittgeschwindigkeit“ in den Kreuzungsbereich eingefahren sei.
H.
Auf die weiteren Ausführungen im angefochtenen Entscheid sowie
auf die Begründung der Anträge wird, soweit erforderlich, in den nachstehenden
Erwägungen eingegangen.


6
Der Kantonsgerichtsausschuss zieht in Erwägung :
1.
Gegen Urteile der Bezirksgerichte und ihrer Ausschüsse können der
Verurteilte und der Staatsanwalt beim Kantonsgerichtsausschuss Berufung erhe-
ben (Art. 141 Abs. 1 StPO). Die Berufung ist innert zwanzig Tagen seit der schrift-
lichen Eröffnung des angefochtenen Entscheides einzureichen; sie ist zu begrün-
den und hat darzutun, welche Mängel des erstinstanzlichen Entscheides gerügt
werden und ob das ganze Urteil lediglich Teile davon angefochten werden
(Art. 142 Abs. 1 StPO). Diesen Anforderungen vermag die vorliegende Berufung
von X. zu genügen. Auf die fristund formgerecht eingereichte Berufung ist daher
einzutreten.
2. a). Wird im Berufungsverfahren eine Änderung des vorinstanzlichen Ur-
teils zu Ungunsten des Verurteilten beantragt, so sollte in der Regel eine mündli-
che Berufungsverhandlung durchgeführt werden. In den übrigen Fällen hat der
Kantonsgerichtspräsident die Möglichkeit, eine solche von sich aus auf An-
trag der Parteien anzuordnen (Art. 144 Abs. 1 StPO). Findet keine mündliche Ver-
handlung statt, so trifft der Kantonsgerichtsausschuss seinen Entscheid ohne Par-
teivortritt aufgrund der Akten (Art. 144 Abs. 3 StPO). Unabhängig von der kantona-
len Verfahrensordnung hat der Angeschuldigte auch gestützt auf Art. 6 Ziff. 1
EMRK Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich gehört wird.
Dieser Anspruch ist Teilgehalt der umfassenden Garantie auf ein faires Verfahren.
Das Gebot der Verfahrensöffentlichkeit gilt dabei nicht nur für das erstinstanzliche
Strafverfahren, sondern erstreckt sich auf die Gesamtheit des Strafverfahrens in-
klusive des gesamten Rechtsmittelweges; also auch auf das Berufungsverfahren
gemäss Art. 141 ff. StPO. Keinesfalls aber ist eine Rechtsmittelinstanz verpflichtet,
in jedem Falle eine mündliche Hauptverhandlung durchzuführen (vgl. BGE 119 Ia
318 f.). Von einer mündlichen Verhandlung kann insbesondere dann abgesehen
werden, wenn die erste Instanz tatsächlich mündlich verhandelt hat, wenn nur
Rechtsfragen aber Tatfragen, die sich leicht aufgrund der Akten beurteilen
lassen, zur Diskussion stehen, wenn eine reformatio in peius ausgeschlossen
die Sache von geringer Tragweite ist und sich keine Fragen zur Person
deren Charakter stellen (vgl. BGE 119 Ia 316 E. 2b; ZGRG 2/99 S. 46). Schliess-
lich darf einem nichtöffentlichen Verfahren keinerlei öffentliches Interesse entge-
genstehen.
Der Betroffene ist berechtigt, auf eine mündliche Berufungsverhandlung zu
verzichten. Voraussetzung für einen wirksamen Verzicht ist jedoch, dass er aus-


7
drücklich erklärt wird sich aus dem Stillschweigen des Betroffenen eindeutig
ergibt. Im vorliegenden Fall hat der Berufungskläger stillschweigend auf eine
mündliche Berufungsverhandlung verzichtet, indem er deren Durchführung zu kei-
nem Zeitpunkt beantragte. Es ist daher im folgenden zu prüfen, ob die Vorausset-
zungen für das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung erfüllt sind.
b).
Das angefochtene Urteil des Bezirksgerichtsausschusses Hinterrhein
wurde am 22. Mai 2003 im Anschluss an eine mündliche Hauptverhandlung erlas-
sen. Da im vorliegenden Berufungsverfahren lediglich Rechtsfragen zur Diskussi-
on stehen, eine reformatio in peius ausgeschlossen ist und sich keinerlei Fragen
zur Person und zum Charakter des Berufungsklägers stellen, welche sich nicht
auch aufgrund der Akten beantworten liessen, kann grundsätzlich auf die Durch-
führung einer mündlichen Verhandlung verzichtet werden (vgl. BGE 119 Ia 318 f.;
PKG 2001 Nr. 19). Ein öffentliches Interesse gegen die Durchführung einer nicht-
öffentlichen Verhandlung liegt ebenfalls nicht vor. Der Kantonsgerichtsausschuss
kommt demnach zum Schluss, dass die streitige Strafsache gestützt auf die vor-
liegenden Akten ohne mündliche Verhandlung sachgerecht entschieden werden
kann. Von einer mündlichen Berufungsverhandlung ist demzufolge abzusehen.
3. a). Wer Verkehrsregeln des Strassenverkehrsgesetzes der Vollzie-
hungsvorschriften des Bundes verletzt, wird gemäss Art. 90 Ziff. 1 SVG mit Haft
Busse bestraft. Eine für sämtliche Strassenbenützer geltende Verkehrsregel
ist beispielsweise jene von Art. 27 Abs. 1 Satz 1 SVG, wonach Signale und Mar-
kierungen sowie Weisungen der Polizei befolgt werden müssen.
In Art. 1 Abs. 1 OBG wird demgegenüber festgehalten, dass Übertretungen
der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes in einem vereinfachten Verfahren
mit Ordnungsbussen bestraft werden können. Die entsprechenden Übertretungen
sind mit den jeweiligen Bussenbeträgen im Anhang 1 zur Ordnungsbussen-
verordnung aufgeführt (vgl. Art. 3 OBG i.V.m. Art. 1 OBV). So wird beispielsweise
das mit „Rollstop“ bezeichnete, nicht vollständige Anhalten bei Stop-Signalen mit
einer Busse von Fr. 60.— geahndet (vgl. OBV, Anhang 1, Ziffer 308).
b).
Der Berufungskläger bestätigte im Rahmen des Strafverfahrens wie-
derholt, dass er sein Fahrzeug an der Stopstelle bei der Autobahnausfahrt H. nicht
angehalten habe. Er sei in der Folge jedoch lediglich ungefähr mit Schrittge-
schwindigkeit in die I.-Strasse eingebogen. Bei der ihm angelasteten Verkehrsre-
gelverletzung sei daher im Sinne der Ordnungsbussenverordnung von einem


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„Rollstop“ auszugehen. Die Vorinstanz macht demgegenüber unter Berufung auf
die zwei beobachtenden Polizeibeamten geltend, dass die Voraussetzungen eines
Rollstops nicht vorgelegen hätten. Der Berufungskläger habe die Stopstelle viel-
mehr zügig und ohne anzuhalten überfahren.
Nachstehend gilt es daher zu prüfen, ob das dem Berufungskläger angelas-
tete Überfahren der Stopstelle im Sinne der Ordnungsbussenverordnung als „nicht
vollständiges Anhalten“ beziehungsweise als „Rollstop“ bezeichnet werden kann,
ob X. eine gewöhnliche Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 27 Abs. 1
SVG begangen hat. Dabei gilt es zu beachten, dass dem Kantonsgerichtsaus-
schuss als Berufungsinstanz zwar eine umfassende, uneingeschränkte Kognition
zukommt (Art. 146 StPO), er jedoch das vorinstanzliche Urteil grundsätzlich nur im
Rahmen der in der Berufung gestellten Anträge überprüft (vgl. W. Padrutt, Kom-
mentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubünden, 2. Auflage, 1996, S.
375).
4. a). Bei der Würdigung der Beweismittel entscheidet das Gericht gemäss
Art. 144 Abs. 2 StPO in Verbindung mit Art. 125 Abs. 2 StPO nach freier Überzeu-
gung. Dieser Grundsatz der freien Beweiswürdigung ergibt sich bereits aus Art.
249 des Bundesgesetzes über die Bundesstrafrechtspflege (BStP). So hat das
Gericht von Bundesrechts wegen frei von gesetzlichen Beweisregeln und nur nach
seiner persönlichen Überzeugung aufgrund gewissenhafter Prüfung der vorliegen-
den Beweise darüber zu entscheiden, ob es eine Tatsache für bewiesen hält
nicht (vgl. BGE 115 IV 268 f.). Freie Beweiswürdigung gilt auch dort, wo Aussage
gegen Aussage steht. Ist für die Urteilsfindung wie im vorliegenden Fall die mate-
rielle Wahrheit wegleitend, so kann für diese Beurteilung einzig die freie Meinung
des Gerichts massgebend sein (vgl. Robert Hauser/ Erhard Schweri, Schweizeri-
sches Strafprozessrecht, 4. Auflage, Basel 1999, § 54 N 2, S. 215).
b).
Neben der Würdigung der Beweise stellt sich dem Richter die Frage,
wann er eine bestimmte Tatsache als erwiesen betrachten darf und wann nicht.
Lehre und Rechtsprechung führen hierzu aus, dass eine blosse Wahrscheinlich-
keit für eine Verurteilung nicht genüge, eine absolute Sicherheit aber auch nicht
erforderlich sei. Entsprechend rechtfertige eine theoretisch entfernte Möglichkeit
eines anderen Sachverhalts aber auch noch keinen Freispruch (vgl. Hauser
/Schweri, a.a.O., § 54 N 11, S. 217). An den Beweis der zur Last gelegten Tat sind
mit anderen Worten hohe Anforderungen zu stellen. Verlangt wird mehr als eine
blosse Wahrscheinlichkeit, nicht aber ein absoluter Beweis der Täterschaft. Auf-


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gabe des Gerichts ist es, ohne Bindung an Beweisregeln die an sich möglichen
Zweifel zu überwinden und sich mit Überzeugung für einen bestimmten Sachver-
halt zu entscheiden, wobei die Bildung der Überzeugung objektivierund nachvoll-
ziehbar sein muss. Die Schuld des Angeklagten muss sich dabei auf vorgelegte
Beweise und Indizien stützen, die vernünftige Zweifel in ausschliesslicher Weise
zu beseitigen vermögen (vgl. PKG 1987 Nr. 12; W. Padrutt, a.a.O., S. 307; Niklaus
Schmid, Strafprozessrecht, 3. Auflage, Zürich 1997, N 289). Bei Zeugen interes-
siert nicht in erster Linie deren persönliche Glaubwürdigkeit, sondern vielmehr die
sachliche Glaubhaftigkeit einer konkreten Aussage (vgl. Robert Hauser, Der Zeu-
genbeweis im Strafprozess mit Berücksichtigung des Zivilprozesses, Zürich 1974,
S. 311 ff.). Die Aussage muss dabei auf ihre Übereinstimmung mit den Lebenser-
fahrungen und dem Ergebnis der übrigen Beweiserhebungen geprüft werden. Kri-
terien des glaubwürdigen Aussageinhalts sind der Grad der Detaillierung und der
inhaltlichen Besonderheit sowie die Homogenität der Aussage (vgl. Friedrich
Arntzen / Else Michaelis-Arntzen, Psychologie der Zeugenaussage, System der
Glaubwürdigkeitsmerkmale, 3. Auflage, München 1993, S. 15 ff.).
Schliesslich darf sich der Strafrichter nach der aus Art. 32 Abs. 1 BV und
Art. 6 Ziff. 2 EMRK fliessenden Beweiswürdigungsregel "in dubio pro reo" nicht
von der Existenz eines für den Beschuldigten ungünstigen Sachverhalts überzeugt
erklären, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel an den tatsächlichen Vorausset-
zungen eines verurteilenden Erkenntnisses bestehen (vgl. BGE 124 IV 87 f.).
Bloss theoretische und abstrakte Zweifel sind nicht massgebend, da solche immer
möglich sind und eine absolute Gewissheit nicht verlangt werden kann. Es muss
sich vielmehr um erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel handeln; Zweifel,
welche sich nach der objektiven Sachlage aufdrängen (BGE 120 Ia 37). Es ist also
stets anhand sämtlicher sich aus den Akten ergebenden Umstände zu untersu-
chen, ob die Darstellung der Staatsanwaltschaft jene des Angeklagten den
Richter zu überzeugen vermag. Erst wenn eine solche Überzeugung weder in der
einen noch in der anderen Richtung zu gewinnen ist, muss gemäss dem Grund-
satz "in dubio pro reo" der für den Angeklagten günstigere Sachverhalt angenom-
men werden (PKG 1978 Nr. 31; W. Padrutt, a.a.O., S. 307 f.). Die dem Kantonsge-
richtsausschuss vorliegenden Beweismittel und Indizien sind daher einer einge-
henden Prüfung und Würdigung zu unterziehen, um abzuklären, ob der X. zur Last
gelegte Sachverhalt beweismässig erstellt ist.


10
5. a). Der vorinstanzliche Schuldspruch stützt sich auf die Beobachtungen
der beiden Beamten der Kantonspolizei Gaubünden, Wm mbA F. und Wm G., de-
ren Feststellungen im Polizeirapport vom 31. März 2002 festgehalten wurden.
Einem Polizeirapport kommt durchaus ein gewisser Beweiswert zu. So
kann der Inhalt eines Rapports bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden,
soweit er mit den Angaben des Angeklagten und den Akten übereinstimmt und
Ermittlungsergebnisse festhält, welche auf eigenen Feststellungen beruhen und
allenfalls verifizierbar sind. Gleiches gilt, wenn weitere Abklärungen getroffen wur-
den, dank denen das Gericht die Glaubhaftigkeit der Angaben überprüfen kann
(vgl. Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 4. März 2001, SF 02 1, S. 16 mit
Hinweisen auf BGE 98 Ia 253 und ZR 86 Nr. 87, E. 1). So sind beispielsweise ver-
zeigende Polizisten als Zeugen zu hören, wenn ihre Beobachtungen umstritten
sind (vgl. Willy Padrutt, a.a.O., S. 211, Ziff. 1.3.). Fehlen diese Voraussetzungen,
darf nicht allein auf die in einem Polizeirapport enthaltenen Angaben abgestellt
werden (vgl. Urteil des Kantonsgerichts Graubünden vom 4. März 2001, SF 02 1,
S. 16 mit Hinweisen).
Ein Polizeirapport muss demzufolge bei der Beweiswürdigung ausser Acht
gelassen werden, wenn die darin enthaltenen Angaben von denjenigen des Ange-
klagten abweichen und nicht durch weitere Beweismittel gestützt werden. Hinzu
kommt, dass dem Beschuldigten nach der Rechtsprechung grundsätzlich eine an-
gemessene und hinreichende Gelegenheit einzuräumen ist, eine belastende Aus-
sage in Zweifel zu ziehen und den entsprechenden Zeugen zu befragen (vgl. Urteil
des Bundesgerichts vom 26. Januar 2001 in Sachen X gegen URA Chur, Kreisge-
richt Ilanz, Staatsanwaltschaft Graubünden und Kantonsgerichtsausschuss Grau-
bünden, 1P.650/2000, publiziert in Pra 6/2001, Nr. 93, S. 547; BGE 125 I 127 E.
6a; 124 I 274 E. 5b). Dieser Anspruch gehört zu den Grundzügen des fair trial und
den Garantien eines rechtsstaatlichen Verfahrens nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und
Art. 4 aBV (vgl. BGE 125 I 135 E. 6).
b).
Der im Polizeirapport vom 31. März 2002 geschilderte Tathergang
wird wie nachstehend noch zu zeigen sein wird (vgl. Erwägung 6) vom zwi-
schenzeitlich einvernommenen Polizeibeamten F. bestätigt. Da mit anderen Wor-
ten die im Bericht enthaltenen Ausführungen von einem zwischenzeitlich erhobe-
nen, zusätzlichen Beweismittel gestützt werden, kann der Polizeirapport vom 31.
März 2002 bei der Beweiswürdigung ohne weiteres mitberücksichtigt werden.


11
c).
In diesem Zusammenhang ist anzufügen, dass X. in seiner Stellung-
nahme vom 21. November 2003 zur Zeugeneinvernahme vom 7. November 2003
die fehlende Einvernahme von G. seiner Ehefrau B. X. nicht beanstandet hat.
Insbesondere ersucht er nicht um Befragung des Polizeibeamten zu der vom Be-
rufungskläger gefahrenen Geschwindigkeit. Sein Antrag in Bezug auf G. lautet
vielmehr einzig dahingehend, dass dieser über den angeblich vor dem Berufungs-
kläger in die I.-Strasse eingebogenen Fahrzeuglenker zu befragen sei (vgl. act.
19). Das Verhalten dieses Lenkers, beziehungsweise die Beantwortung der Frage,
ob jenem Lenker eine Busse auferlegt wurde, ist indessen für die Beurteilung des
Fahrverhaltens von X. ohne jegliche Bedeutung. Für den Kantonsgerichtsaus-
schuss ist es mit anderen Worten nicht ersichtlich, inwiefern eine solche Befra-
gung des Polizeibeamten G. zusätzliche Erkenntnisse bringen könnte. Das Gericht
kann sich bereits anhand der vorhandenen Entscheidgrundlagen ohne weiteres
ein hinreichendes Bild über den Vorfall vom 30. März 2002 verschaffen. Diese Er-
kenntnisse gestatten durchaus eine zuverlässige Beurteilung des rechtlich rele-
vanten Sachverhalts. Im Sinne einer vorweggenommenen Beweiswürdigung ist
demnach festzuhalten, dass die Überzeugung des Gerichts durch die beantragte
Zeugenbefragung nicht geändert würde. Lehre und Rechtsprechung anerkennen,
dass die Strafverfolgungsbehörden nicht alle möglichen Beweise zusammenzutra-
gen haben. Vielmehr kann auf die Erhebung weiterer Beweise dann verzichtet
werden, wenn die für die Beurteilung der Sache erforderlichen Tatsachen bereits
aufgrund der vorhandenen Beweismittel feststehen und nicht zu erwarten ist, dass
neue Beweismittel das Ergebnis der freien Würdigung der vorhandenen Beweis-
mittel zu erschüttern vermögen (sogenannte antizipierte Beweiswürdigung, vgl.
unveröffentlichtes Urteil 1P.245/2000 des Bundesgerichts vom 21. Juni 2000 in
Sachen B.L., Seite 5 f.; BGE 121 I 308 f. = Pr 85 Nr. 143, Seite 488; BGE 115 Ia
100 f.; PKG 1993 Nr. 27; Niklaus Schmid, Strafprozessrecht, 3. Auflage, Zürich
1997, N 291 mit Hinweisen; Robert Hauser/Erhard Schweri, Schweizerisches
Strafprozessrecht, 4. Auflage, Basel 1999, § 54 N 1 und § 55 N 10 mit Hinweisen).
G. hat zudem wenn auch nicht als Zeuge glaubhaft ausgeführt, er könne nicht
mehr sagen als F.. Die Ehefrau des Berufungsklägers wurde bereits am 5. De-
zember 2002 als Zeugin befragt. Mit Bezug auf den vorausfahrenden Fahrzeug-
lenker gilt das oben gesagte. Zum Fahrverhalten des Berufungsklägers wurde sie
wie erwähnt bereits befragt. Der entsprechende Beweisantrag des Berufungs-
klägers auf Befragung von G. (Stellungnahme vom 21. November 2003) und
nochmalige Befragung seiner Ehefrau (Schreiben vom 6. November 2003) ist da-
her abzuweisen.


12
6.
Der Polizeibeamte F. gab anlässlich der Einvernahme vor dem Kan-
tonsgerichtspräsidium zu Protokoll, dass X. beim Stopsignal bei der Ausfahrt H. in
einem Zug durchgefahren sei. Seine Geschwindigkeit sei mit mehr als Schrittge-
schwindigkeit taxiert worden (vgl. act. 06, Nr. 4). Diese Aussagen decken sich mit
dem Inhalt des Polizeirapportes vom 31. März 2002. In diesem Bericht hielten die
beiden Polizisten F. und G. wörtlich fest, dass X. „mit seinem Fahrzeug in einem
Zuge (kein Rollstop) in die I.-Strasse“ eingefahren sei. Mit dieser unmittelbar nach
dem Vorfall gewählten Formulierung verneinten die Polizeibeamten explizit das
Vorliegen eines Rollstops. Der Kantonsgerichtsausschuss sieht vorliegend keine
Veranlassung, den Inhalt des Polizeirapportes beziehungsweise die Zeugenaus-
sage des befragten Polizeibeamten F. in Frage zu stellen, zumal letzterer aus-
drücklich auf die Straffolgen von Art. 307 StGB hingewiesen wurde. So wird in re-
gelmässiger Praxis erkannt, dass Verkehrspolizisten auf Grund ihrer Ausbildung
im Beobachten und Beurteilen von Verkehrssituationen besonders geschult und
erfahren sind. Zudem sind sie sich zweifellos der Tragweite einer leichtfertigen
und ungenauen Anschuldigung bewusst. Ihrer Sachverhaltsdarstellung kommt
daher grundsätzlich eine gewisse Glaubhaftigkeit und Beweiskraft zu. Hinzu
kommt, dass Verkehrspolizisten gemäss Aussagen von F. solche Regelverstösse
grundsätzlich zu Gunsten des Fahrzeuglenkers beurteilen. Sofern die Fahrweise
als Rollstop bezeichnet werden könne, werde auch eine Ordnungsbusse ausge-
sprochen (vgl. act. 13, S. 2 f.). Dies erscheint nach Ansicht des Kantonsgerichts-
ausschusses durchaus glaubhaft, zumal das Auferlegen von Ordnungsbussen -
welche ja auf der Stelle erhoben werden können (vgl. Art. 178 Abs. 4 StPO in Ver-
bindung mit Art. 24 Abs. 1 GAV zum SVG ) - den sicheren Eingang des Geldes
garantiert und mit erheblich weniger Verwaltungsaufwand verbunden ist als dies
bei einer nach einer gewöhnlichen Verkehrsregelverletzung zu erlassenden Buss-
verfügung der Fall ist. In Übereinstimmung mit dem Polizeirapport und den Aussa-
gen des Beamten F. ist daher davon auszugehen, dass X. die Stopstelle am Ende
der Ausfahrt H. zügig überfahren und damit eine gewöhnliche Verkehrsregelver-
letzung im Sinne von Art. 27 Abs. 1 SVG begangen hat. Die Berufung ist daher
diesbezüglich abzuweisen. Daran vermag auch die Aussage von B. X. nichts zu
ändern, welche nicht genau auf die Fahrweise ihres Ehemannes geachtet haben
will, das Tempo beim Einbiegen in die I.-Strasse aber mit „ungefähr Schrittge-
schwindigkeit“ bezeichnete (vgl. act. 05, Nr. 7.2.). Diese unbestimmte Aussage der
Zeugin B. X. vermag die Beobachtungen der Polizeibeamten im Kerngehalt nicht
zu widerlegen, wonach X. eben in einem Zug und nicht mit mehr als Schrittge-
schwindigkeit durchgefahren sei.


13
7. a). Zu überprüfen bleibt die vorinstanzliche Strafzumessung. Der Be-
zirksgerichtsausschuss Hinterrhein verurteilte den Berufungskläger zu einer Busse
von Fr. 500.--. Zur Begründung wurde angeführt, dass das Verschulden von X.
mittelschwer wiege. Sein Verhalten dürfe nicht bagatellisiert werden, zumal es bei
gebotener Vorsicht ein leichtes gewesen wäre, die Verkehrsregel einzuhalten.
Strafmindernd sei ihm sein guter bürgerlicher und automobilistischer Leumund
zugutezuhalten.
b).
Bei der Überprüfung der vorinstanzlichen Strafzumessung setzt der
Kantonsgerichtsausschuss sein Ermessen anstelle desjenigen der Vorinstanz und
wendet die Regeln über die Strafzumessung selbständig an. Gemäss Art. 63 StGB
hat der Richter die Strafe innerhalb des für den betreffenden Tatbestand gelten-
den Strafrahmens nach dem Verschulden des Täters zu bemessen. Der Begriff
des Verschuldens bezieht sich nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auf den
gesamten Unrechtsund Schuldgehalt der konkreten Straftat (vgl. BGE 117 IV 113
f.).
Grundlage für die Bemessung der Schuld bildet die Schwere der Tat. Bei
den Strafzumessungsgründen kann im weiteren zwischen der Tatund der Täter-
komponente unterschieden werden. Bei der Tatkomponente sind insbesondere
das Ausmass des verschuldeten Erfolgs, die Art und Weise seiner Herbeiführung,
die Willensrichtung, mit welcher der Täter gehandelt hat, und die Beweggründe zu
beachten (BGE 117 IV 112 ff.). Die Täterkomponente umfasst demgegenüber das
Vorleben, insbesondere auch allfällige Vorstrafen, die persönlichen Verhältnisse,
sowie das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, wie zum Beispiel Reue,
Einsicht und Strafempfindlichkeit (mit Hinweis auf Stratenwerth, Schweizerisches
Strafrecht AT II, Bern 1989, § 7 N 7 ff.; BGE 127 IV 101 ff.; vgl. zu den einzelnen
Strafzumessungsgründen Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, StGB I, Ba-
sel/Genf/München 2003, N 49 ff.; zu den Tatkomponenten N 51 ff. und zu den Tä-
terkomponenten N 72 ff.). Die den Täter belastenden entlastenden Umstände
sind jeweils als Straferhöhungsbzw. Strafminderungsgründe innerhalb des or-
dentlichen Strafrahmens zu berücksichtigen. Im weiteren sieht das Gesetz eine
Strafrahmenerweiterung vor, wenn einer mehrere der besonders aufgeführ-
ten Strafschärfungsoder Strafmilderungsgründe erfüllt sind (vgl. Art. 64 bis Art.
68 StGB).
c).
Grundlage für die Strafzumessung im vorliegenden Fall ist der in Art.
90 Ziff. 1 SVG vorgesehene Strafrahmen von Haft Busse. Zieht man seitens


14
der Tatkomponente die Beweggründe, das Ausmass des verschuldeten Erfolges
sowie die Art und Weise seiner Herbeiführung in Betracht und berücksichtigt man
in subjektiver Hinsicht das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters,
kommt vorliegend allein die Ausfällung einer Busse in Frage. Deren Betrag ist ge-
mäss Art. 48 Ziff. 2 StGB je nach den Verhältnissen des Verurteilten zu bestim-
men, so dass dieser durch die Einbusse die Strafe erleidet, die seinem Verschul-
den angemessen ist. Für die Verhältnisse des Täters sind namentlich von Bedeu-
tung sein Einkommen und sein Vermögen, sein Familienstand und seine Fami-
lienpflichten, sein Beruf und Erwerb sowie sein Alter und seine Gesundheit.
Das Verschulden des Berufungsklägers wiegt aufgrund der Tatumstände
nicht allzu schwer, zumal auf der I.-Strasse zum Tatzeitpunkt offensichtlich kein
Verkehr herrschte (vgl. act. 05, Nr. 7.2.; act. 13, S. 3). X. hat mit seinem Fahrver-
halten weder einen Unfall noch eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteil-
nehmer verursacht. Er muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, verschiede-
ne Stopsignale missachtet und dadurch eine abstrakte Gefahr geschaffen zu ha-
ben. Strafmindernd kann X. sein guter allgemeiner und automobilistischer Leu-
mund zugute gehalten werden. Weitere Strafminderungs-, sowie Strafschärfungs-
und Strafmilderungsgründe sind nicht vorhanden. X. ist Vater von vier Kindern und
von Beruf Rechtsanwalt; mit einem jährlichen Einkommen von rund 60'000 Euro.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände und der übrigen Strafzumessungsgründe
erscheint dem Kantonsgerichtsausschuss die vom Bezirksgerichtsausschuss Hin-
terrhein ausgesprochene Busse von Fr. 500.— unangemessen hoch, weshalb sie
auf den Betrag von Fr. 300.— zu reduzieren ist. In diesem Sinne ist die Berufung
von X. teilweise gutzuheissen.
8.
X. ist nach dem Gesagten einzig in Bezug auf die beanstandete Bus-
senhöhe teilweise durchgedrungen. Der vorinstanzliche Schuldspruch indessen
wird vom Kantonsgerichtsausschuss vollumfänglich bestätigt. Damit steht fest,
dass der Berufungskläger mit seinem Verhalten begründeten Anlass für die Straf-
untersuchung und das nachfolgende Gerichtsverfahren gegeben hat, so dass an
der vorinstanzlichen Kostenverteilung keine Korrektur angebracht ist (Art. 158
Abs. 1 StPO). Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 2'000.-gehen dem-
gegenüber aufgrund des teilweisen Obsiegens nur zu drei Vierteln zu Lasten von
X. und zu einem Viertel zu Lasten des Kantons Graubünden (Art. 160 StPO).



15
Demnach erkennt der Kantonsgerichtsausschuss :
1.
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen und die Ziffer 2 des angefochte-
nen Urteils wird aufgehoben.
2.
X. wird mit einer Busse von Fr. 300.— bestraft.
3.
Die Kosten des Berufungsverfahrens von Fr. 2000.— gehen zu drei Vierteln
zu Lasten von X. und zu einem Viertel zu Lasten des Kantons Graubünden.
4.
Gegen dieses Urteil kann, sofern Verletzung eidgenössischen Rechts gel-
tend gemacht werden will, Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof
des schweizerischen Bundesgerichts geführt werden. Diese ist dem Bun-
desgericht innert 30 Tagen seit Zustellung der vollständigen Ausfertigung
des Entscheides in der in Art. 273 des Bundesgesetzes über die Bundes-
strafrechtspflege (BStP) vorgeschriebenen Weise einzureichen. Für die Be-
schwerdelegitimation und die weiteren Voraussetzungen der Nichtigkeits-
beschwerde gelten die Art. 268 ff. BStP.
5. Mitteilung
an:
__
Für den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden
Der Vizepräsident:
Die Aktuarin ad hoc:


Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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