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Urteil Kantonsgericht Graubünden (GR)

Kopfdaten
Kanton:GR
Fallnummer:BK-02-11
Instanz:Kantonsgericht Graubünden
Abteilung:-
Kantonsgericht Graubünden Entscheid BK-02-11 vom 29.01.2003 (GR)
Datum:29.01.2003
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Rechtshilfe
Schlagwörter : Chung; Beschwerde; Schaft; Recht; Chungsrichter; Führer; Suchungsrichter; Untersuchungsrichter; Siegelung; Schwerdeführer; Entsiegelung; Nahmt; Staatsanwalt; Beschwerdeführer; Kanton; Rechtshilfe; Akten; Beschlagnahmt; Waltschaft; Anwaltschaft; Revisions; Sicht; Terlagen; Schwerdekammer; Zeuge; Bünden; Rungsrecht; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Nahmten
Rechtsnorm: Art. 160 StPO ; Art. 321 StGB ; Art. 730 OR ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
Kantonsgericht von Graubünden
Tribunale cantonale dei Grigioni


Dretgira chantunala dal Grischun

Ref.:
Chur, 29. Januar 2003
Schriftlich mitgeteilt am:
BK 02 11

Entscheid
Beschwerdekammer
Vizepräsident Bochsler, Kantonsrichter Heinz-Bommer und Rehli , Aktuar ad hoc Walder.
——————

In der strafrechtlichen Beschwerde
des J. S., Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Peter Burckhardt, Löwenstrasse 19,
8023 Zürich,
gegen
die Entsiegelungsverfügung der Staatsanwaltschaft Graubünden vom 3. September 2002, in Sa-
chen gegen H. L. und G. N.,
betreffend Rechtshilfe,
hat sich ergeben:



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A. Die Staatanwaltschaft M. führt ein Ermittlungsverfahren gegen die beiden in A. wohnhaf-
ten österreichischen Staatsangehörigen H. L. N., geboren am 11. Februar 1922, und G. N., gebo-
ren am 20. Mai 1920. H. L. N. wird beschuldigt, als Generalbevollmächtigter, beziehungsweise bis
31. März 1996 als Geschäftsführer, und G. N. seit 1. April 1996 als Geschäftsführerin der X. Ver-
waltungs GmbH, kurz X., (bis 31. März 2000 O.) sowie deren Tochtergesellschaft, der Deutschen
S. V. GmbH, kurz D., beide mit Sitz in K., Gewerbe- und Körperschaftssteuern dieser Gesellschaf-
ten der Jahre 1995 bis 1999 in der Höhe von etwa sechs Millionen Deutsche Mark hinterzogen zu
haben. Es war anlässlich einer Aussenprüfung festgestellt worden, dass die Fakturierung von
Lieferungen von ausländischen Konzerngesellschaften an X. bzw. D. sowie die Lieferungen von X.
an ausländische Konzerngesellschaften stets über die Y. Corporation AG mit Sitz in B. erfolgten,
wobei ein auf den Umsatz bezogener Aufschlag in der Höhe von 10 % erhoben wurde. Die Liefe-
rung der Produkte erfolgte dagegen stets unmittelbar an die jeweilige Konzerngesellschaft. Diese
Konstruktion soll zur Folge gehabt haben, dass erhebliche Teile der von der X. und der D. erwirt-
schafteten Gewinne ins Ausland verlagert und so der deutschen Besteuerung entzogen wurden.
Seitens der Beschuldigten wurde geltend gemacht, die Y. stehe im Eigentum einer M. Group SA in
M. und gehöre folglich nicht zur N.-Gruppe. Nach Auskunft des Bundesamtes für Finanzen handelt
es sich bei der M. Group SA um eine reine Sitzgesellschaft, welche in U. keine geschäftliche Tä-
tigkeit ausüben dürfe und deren Anteile von ausländischen Investoren gehalten würden. Seitens
der Beschuldigten wurde sodann auf einen Vertriebsvertrag zwischen Y. und X. bzw. D. verwiesen,
nach welchem die weltweiten Vertriebsrechte für alle Produkte der N.-Gruppe mit Wirkung ab 1.
April 1995 von der Firma W. im liechtensteinischen S. auf die Y. übertragen worden sein sollen.
Ein entsprechender Vertrag zwischen der W. und der Y. über den Übergang der Vertriebsrechte
konnte jedoch nicht vorgewiesen werden. In einem früheren Steuerstrafverfahren gegen H. L. N.
war die W. in gleicher Weise wie heute die Y. in die Leistungsbeziehungen der N.-Gruppe einge-
bunden. Es wurde auch damals geltend gemacht, die Beschuldigten, beziehungsweise die Gesell-
schaften der N.-Gruppe seien nicht an der zwischengeschalteten W. beteiligt. In einem Verfahren
vor dem Finanzgericht B.-W. wurde hingegen rechtsgültig entschieden, dass dem nicht so war,
sondern dass die W. zur N.-Gruppe gehörte. Vor diesem Hintergrund werden die Eheleute N. ver-
dächtigt, unmittelbar oder mittelbar an der Y., bei welcher es sich um eine Basisgesellschaft ohne
eigene wirtschaftliche Tätigkeit handeln soll, beteiligt zu sein.
B. Am 12. April 2002 gelangte die Staatsanwaltschaft M. mit dem Gesuch an die Staats-
anwaltschaft Graubünden, es seien R. A., C., und E.W., beides Verwaltungsräte der Y., sowie J.
S., Revisionsstelle der Y., und H. F., M., frühere Revisionsstelle, als Zeugen zu vernehmen. Es
wurde sodann darum ersucht, zwei deutsche Ermittlungsbeamte an den Zeugeneinvernahmen
teilnehmen zu lassen. Ausgehend von der oben dargestellten Sachlage stellte sich die Gesuchstel-
lerin auf den Standpunkt, es seien die Voraussetzungen eines Abgabebetrugs im Sinne von Art. 14
des schweizerischen Verwaltungsstrafrechts erfüllt. Hierfür spreche, dass die Beschuldigten für die
X. und D. inhaltlich falsche Jahresabschlüsse vorgelegt hätten, um die Finanzbehörden über die
Art der Geschäftstätigkeit zu täuschen. Für die Annahme eines Abgabebetrugs spreche ferner,
dass die Beschuldigten die Erstellung inhaltlich unzutreffender - weil den tatsächlichen Lieferabläu-
fen nicht entsprechenden- Ausgangsrechnungen der Y. veranlasst hätten. Durch die von den Be-
schuldigten bewirkte Verbuchung der fingierten Rechnungen der Y. in den Buchhaltungen der X.



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und der seien deren Gewinne in den Jahresabschlüssen zu niedrig ausgewiesen und die Finanz-
behörden auf diese Weise arglistig über die Besteuerungsgrundlagen getäuscht worden.
Das Untersuchungsrichteramt Chur legte das Rechtshilfegesuch zur Vorprüfung dem Bun-
desamt für Justiz vor, welches in seiner Stellungnahme vom 2. Mai 2002 die Ansicht vertrat, das
Gesuch entspreche den Formerfordernissen des Europäischen Übereinkommens über die
Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und des mit Deutschland abgeschlossenen Zusatz-
vertrags, und es bestehe kein Grund, die Rechtshilfeleistung als offensichtlich unzulässig zu erklä-
ren. Es wurde sodann der Kanton Graubünden als Leitkanton für die Erledigung aller Rechtshilfe-
handlungen, auch für allfällige weitere Nachtragsersuche, bezeichnet. Am 28. Mai 2002 erliess der
Untersuchungsrichter eine Eintretens- und Zwischenverfügung, durch welche die Befragung der
aufgerufenen Zeugen angeordnet und die Teilnahme von Staatsanwalt R. von der Staatsanwalt-
schaft M. an den Einvernahmen bewilligt wurde. Am 9. Juli 2002 ging beim Untersuchungsrichter-
amt Chur auch eine Stellungnahme der Eidgenössischen Steuerverwaltung ein.
Die drei Zeugen wurden am 22. Juli 2002 in C. einvernommen, wobei die Befragungen der
Zeugen S. und F. nicht sehr ergiebig waren, weil der erstere von dem ihm vom Untersuchungsrich-
ter angebotenen Zeugnisverweigerungsrecht als Revisor der Y. Gebrauch machte und H. F. erklär-
te, er habe nie als Revisor geamtet, sondern nur die Annahmeerklärung unterzeichnet. Alle drei
Zeugen erklärten sich mit der vereinfachten Ausführung der Rechtshilfe und damit mit der soforti-
gen Aushändigung der Einvernahmeprotokolle an den Vertreter der Staatsanwaltschaft M. nicht
einverstanden. Dieser verpflichtete sich darauf, die anlässlich der Zeugeneinvernahmen gewonne-
nen Erkenntnisse bis zum Abschluss des Rechtshilfeverfahrens nicht zu verwerten.
Am 12. August 2002 reichte die Staatsanwaltschaft M. ein weiteres Rechtshilfegesuch ein,
mit welchem sie gestützt auf einen richterlichen Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts M.
vom 7. Dezember 2001 darum ersuchte, die Geschäftsräume der Y. an der H. in C. zu durchsu-
chen und die im beigelegten Beschluss des Amtsgerichts M. näher bezeichneten Geschäftsunter-
lagen der Y. zu beschlagnahmen. Aufgrund eines Hausdurchsuchungsbefehls des Untersuchungs-
richteramtes Chur vom 15. August 2002 führte die Kantonspolizei Graubünden am 16. August
2002 in Anwesenheit von J. S., Mitglied des Verwaltungsrates der A., Z. & Partner AG in den Ge-
schäftsräumen dieser Gesellschaft, welche gleichzeitig als Domizil der Y. Corporation AG (Y.) die-
nen, eine Hausdurchsuchung durch. Die sichergestellten Akten wurden auf das Untersuchungs-
richteramt Chur verbracht. Ebenfalls am 16. August 2002 führte die Kantonspolizei St. Gallen am
früheren Domizil der Y. in B. eine Hausdurchsuchung durch.
In einem Schreiben vom 16. August 2002 an das Untersuchungsrichteramt Chur stellte
Fürsprecher Peter Burckhardt, der Rechtsvertreter der oben erwähnten Zeugen A., F. und S. fest,
es bestehe nach wie vor keine Klarheit darüber, welche Akten beschlagnahmt worden seien. Dem
Vernehmen nach sollen sich darunter aber Akten befinden, welche nach der Strafprozessordnung
Geheimnisschutz genössen, nämlich Revisionsakten der Y., welche bei den Revisoren S. und/oder
F. beschlagnahmt worden seien sowie möglicherweise Unterlagen aus Treuhandverhältnissen der
A., Z. & Partner AG mit Dritten. Für beide Kategorien von Dokumenten hätten, soweit ersichtlich,



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auch keine Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse vorgelegen. Es wurde daher
beantragt, es seien alle nicht der Y. gehörenden Unterlagen, einschliesslich der Revisions- und
Treuhandunterlagen, den Berechtigten unverzüglich und unbelastet herauszugeben und vorsorgli-
cherweise zur Wahrung des Geheimnisschutzes sämtliche beschlagnahmten Akten umgehend
und unbesehen zu versiegeln. Der Untersuchungsrichter teilte Rechtanwalt Burckhardt am 20.
August 2002 mit, er lasse mit Ausnahme der Akten der Gesellschaften „A. C. L.“, beziehungsweise
„A. C. AG“, welche R. A. zurückerstattet würden, sämtliche beschlagnahmten Akten versiegeln. Am
29. August 2002 nahm J. S. Einsicht in die versiegelten Unterlagen.
C. Am 3. September 2002 erliess der Untersuchungsrichter eine Verfügung, durch welche
er die Entsiegelung der beschlagnahmten Akten anordnete. Er stellte fest, im Hinblick auf den Ab-
schluss des Rechtshilfeverfahrens sei es notwendig, die beschlagnahmten Unterlagen zu entsie-
geln. Dadurch werde gewährleistet, dass das Untersuchungsrichteramt Chur in der zu erlassenden
Schlussverfügung gemäss Art. 80d IRSG darüber entscheiden könne, ob dem Rechtshilfeersu-
chen der Staatsanwaltschaft M. entsprochen werden könne. Ohne Entsiegelung könne nicht dar-
über befunden werden, ob und in welchem Umfange die ersuchte Rechtshilfe gewährt werden
dürfe.
D. Gegen diese Verfügung beschwerte sich J. S. am 16. September 2002 bei der Be-
schwerdekammer des Kantonsgerichts von Graubünden. Neben Ausführungen zur prozessualen
Frage der Zulässigkeit der Beschwerde machte sein Rechtsvertreter in materieller Hinsicht gel-
tend, die Durchsicht und das Ausscheiden von geheimzuhaltenden Unterlagen könne nicht der
vollziehenden Untersuchungsbehörde überlassen werden, die immer auch Strafverfolgungsinstanz
sei und der gegenüber folglich die Geheimhaltungspflichten auch gälten; über die Entsiegelung
habe vielmehr eine richterliche Behörde zu befinden. Die Revisionsstelle einer Aktiengesellschaft
unterliege der in Art. 730 Abs. 2 OR verankerten Schweigepflicht, deren Verletzung strafrechtlich
geahndet werde. Diese Schweigepflicht gelte Dritten gegenüber absolut, also nicht nur bezüglich
Geschäftsgeheimnissen im engeren Sinne. Der Beschwerdeführer sei bereits als Zeuge einver-
nommen worden und habe dabei von dem ihm zugestandenen Zeugnisverweigerungsrecht Ge-
brauch gemacht. Angesichts dieser Sachlage dürften bei ihm aber auch keine Akten beschlag-
nahmt werden, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht inhaltlich erstrecken würde. Bei den
beschlagnahmten Akten handle es sich aber ausschliesslich um solche, welche dem Beschwerde-
führer in seiner Stellung als Revisionsstelle der Y. zur Kenntnis gelangt seien, Akten anderen Ur-
sprungs lägen keine vor. Da S. von seinen Verschwiegenheitspflichten nie entbunden worden sei,
müsse das Siegel bestätigt werden. Damit sei zumindest bezüglich dieser Akten auch bereits über
das Schicksal des Rechtshilfegesuchs entschieden. Es seien sodann auch unrechtmässig Unter-
lagen des Beschwerdeführers beschlagnahmt worden. Die Durchsuchung seines Büros und sei-
nes Archivs seien vom Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss nicht abgedeckt ge-
wesen und Revisionsunterlagen, die sich in den Händen des als Revisionsstelle der Y. von deren
Geschäftsführung und Verwaltung unabhängigen Beschwerdeführers befunden hätten, hätten
somit nicht beschlagnahmt werden dürfen. Zudem habe die Staatsanwaltschaft M. in ihrem
Rechtshilfegesuch vom 12. August 2002 gar nicht um die Beschlagnahme von Revisionsunterla-
gen nachgesucht.



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In ihrer Vernehmlassung vom 1. Oktober 2002 beantragte die Staatsanwaltschaft Grau-
bünden die kostenfällige Abweisung der Beschwerde. Sie wies darauf hin, dass im Kanton Grau-
bünden keine gesetzliche Regelung über die strafprozessuale Siegelung, beziehungsweise Ent-
siegelung bestehe, dass nach der Praxis aber der Untersuchungsrichter die entsprechenden Ent-
scheide fälle, dessen Verfügung richterlich überprüfbar sei. Der Untersuchungsrichter habe sodann
dem Beschwerdeführer zu Unrecht ein Zeugnisverweigerungsrecht zugestanden. Nach der neuen
Praxis des Bundesgerichts bestehe ein solches für die in Art. 321 Ziff. 3 StGB genannten Personen
nur dann, wenn die kantonale Strafprozessordnung dies ausdrücklich vorsehe, was im Kanton
Graubünden nicht der Fall sei. Angesichts dieser heute herrschenden Auffassung könne dem Be-
schwerdeführer für die noch anstehenden Verfahrensschritte kein Zeugnisverweigerungsrecht
zugestanden werden. Der Einwand, die Durchsuchung seines Büros und seines Archivs sei vom
Hausdurchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Untersuchungsrichters nicht abgedeckt
gewesen, überzeuge nicht. Die Y. habe gar keine eigenen Geschäftsräume, ihre Geschäfte wür-
den seit der Sitzverlegung von B. nach C. vielmehr in den Geschäftsräumen der A., Z. & Partner
AG an der H. gewissermassen von Mitarbeitern dieser Gesellschaft geführt. Die Hausdurchsu-
chung habe ausschliesslich in deren Geschäftsräumen stattgefunden und nicht in Geschäftsräu-
men der Y. und denjenigen der Revisionsstelle, beziehungsweise des Revisors derselben. Weder
das Büro des Beschwerdeführers noch das Archiv seien als Räumlichkeiten der Revisionsstelle
der Y. gekennzeichnet gewesen. Es sei daher nicht einzusehen, weshalb die Hausdurchsuchung
durch den entsprechenden Erlass nicht hätte gedeckt sein sollen. Es komme hinzu, dass der Be-
schwerdeführer gleichzeitig Revisor der Y. sowie Mitarbeiter und einer der drei Verwaltungsräte
der A., Z. & Partner AG sei. Dieses Doppelmandat habe es mit sich gebracht, dass die örtliche
Abgrenzung zwischen deren Geschäftsräumlichkeiten und jenen der Revisionsstelle der Y. unklar
sei.
Die Parteien beharrten in einem zweiten Schriftenwechsel auf ihren Standpunkten.
Die Beschwerdekammer zieht in Erwägung:
1. Auf Ersuchen des Rechtsvertreters der drei auf Grund eines Rechtshilfeverfahrens der
Staatsanwaltschaft M. in einem Strafverfahren wegen Verdachts auf Steuerhinterziehung gegen H.
L. und G. N. befragten Zeugen A., S. und F. ordnete der Untersuchungsrichter am 20. August
2002 an, es seien sämtliche in den Geschäftsräumen der Y. Corporation AG (Y.) an der H. in C.,
beziehungsweise in den von dieser benutzten Räumlichkeiten der A., Z. & Partner AG beschlag-
nahmten Akten zu versiegeln. Am 29. August 2002 nahm der Beschwerdeführer Einsicht in die
versiegelten Unterlagen und am 3. September 2002 erliess der Untersuchungsrichter die heute
angefochtene Verfügung, wonach die beschlagnahmten und versiegelten Unterlagen nach unbe-
nutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist entsiegelt würden. Es wurde darauf hingewiesen, dass die
bündnerische Strafprozessordnung das Institut der Siegelung, beziehungsweise der Entsiegelung
nicht ausdrücklich erwähne, doch lasse sie die Praxis zu, wenn sich der Betroffene einer Durch-
sicht der beschlagnahmten Unterlagen widersetze und Geheimhaltungsinteressen geltend mache.
Dabei schliesse das Bundesrecht nicht aus, dass ein Untersuchungsrichter über diese Fragen
entscheide. J. S. lässt in seiner Beschwerdeschrift geltend machen, die Geheimhaltungspflicht
gelte auch gegenüber der Strafverfolgungsinstanz; über die Entsiegelung habe somit eine richterli-



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che Behörde zu befinden. Die Staatsanwaltschaft hält dem in ihrer Beschwerdeantwort entgegen,
es entspreche der kantonalen Praxis, dass der Untersuchungsrichter eine Siegelung anordne und
in der Folge auch über die Entsiegelung erstinstanzlich entscheide. Das Bundesgericht habe im
Entscheid 121 II 247 dieses Vorgehen geschützt und festgehalten, dass ihm Bundesrecht nicht
entgegenstehe. Der Beschwerdeführer führt in seiner Replik dazu aus, die Staatsanwaltschaft
verkenne, dass er sich nicht in grundsätzlicher Weise gegen die Zuständigkeit des Untersuchungs-
richters zum Erlass einer Entsiegelungsverfügung wehre, doch sei diese Kompetenzordnung nur
unter der doppelten Voraussetzung rechtens, dass der Untersuchungsrichter die versiegelten Un-
terlagen zur Entscheidfindung nicht sichten dürfe, und dass der Rechtsmittelweg an eine gerichtli-
che Instanz offen stehe. Kenntnis vom Inhalt der beschlagnahmten Unterlagen sei aber für die
Entscheidfindung über den Bestand eines Editionsverweigerungsrechts oft unumgänglich. Dem
Untersuchungsrichter stehe also auch im Kanton Graubünden keine wirkliche Entscheidkompetenz
in Entsiegelungsfragen zu, weil er die Frage, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung
des Siegels gegeben seien, mangels Einsicht in die Akten gar nicht beantworten könne. Die ange-
fochtene Entsiegelungsverfügung stelle daher nichts anderes als eine Überweisung der Streitsa-
che zum Entscheid an das Gericht dar, welches de facto erstinstanzlich entscheide. Die Staatsan-
waltschaft bezeichnet in ihrer Duplik beide vom Beschwerdeführer erwähnten Voraussetzungen
zum Erlass einer Entsiegelungsverfügung als erfüllt. Der Untersuchungsrichter habe die versiegel-
ten Akten nicht gesichtet und dem Beschwerdeführer sei die Beschwerdemöglichkeit an die Be-
schwerdekammer des Kantonsgerichts eingeräumt worden.
2. Wie die Staatsanwaltschaft bereits in der angefochtenen Verfügung feststellte, regelt die
Strafprozessordnung des Kantons Graubünden die Siegelung und die Entsiegelung nicht aus-
drücklich. Es ist jedoch eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Institut auch im bündnerischen
Strafverfahren seinen Platz hat; es wird denn auch bereits im Kommentar zur StPO (mit Dienstan-
weisungen) vom 2. Januar 1981 des damaligen Staatsanwaltes Dr. Willy Padrutt ausdrücklich er-
wähnt (S. 150 f.). Völlig unproblematisch mit Bezug auf die Zuständigkeit ist die Siegelung. Sie
wird im Laufe eines Strafverfahrens auf Verlangen des von einer Beschlagnahme Betroffenen als
gewöhnliche Untersuchungshandlung vom Untersuchungsrichter angeordnet, wenn Geheimhal-
tungsinteressen sie gebieten. Irgendwelcher Geheimnisschutz, der nach einer anderen Zuständig-
keit rufen würde, ist nicht ersichtlich. Die entsprechende Frage kann sich erst bei der Entsiegelung
stellen; bei dieser kann es für den Betroffenen von Interesse sein, dass gewisse in den beschlag-
nahmten Dokumenten enthaltene Fakten nicht Unbefugten zur Kenntnis gelangen. Dieses Interes-
se bildet jedoch gestützt auf die kantonale Strafprozessordnung keinen Grund, dass der Untersu-
chungsrichter nicht auch für die Entsiegelung zuständig sein sollte. Als richterliche Behörden fielen
hierfür einzig die Beschwerdekammer und der Kantonsgerichtsausschuss in Betracht. Die Be-
schwerdekammer ist jedoch ausschliesslich und der Kantonsgerichtsausschuss mit wenigen Aus-
nahmen lediglich Rechtsmittelinstanz, wobei die erstere zudem in aller Regel rein kassatorische
Funktionen ausübt. Die Begründung der Zuständigkeit einer dieser beiden Gerichtsinstanzen für
eine Entsiegelungsverfügung widerspräche demnach klar der geltenden Strafprozessordnung über
deren Zuständigkeit. Die Möglichkeit zur richterlichen Überprüfung ist dennoch gewährleistet. Er-
lässt der Untersuchungsrichter eine vom Staatsanwalt genehmigte Entsiegelungsverfügung, steht
dem Betroffenen dagegen die Beschwerde an die Beschwerdekammer offen. Damit wird dem
Rechtsschutzbedürfnis hinreichend Rechnung getragen. Von einer Zuweisung der Kompetenz zum



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Erlass von Entsiegelungsverfügungen an die Beschwerdekammer oder den Kantonsgerichtsaus-
schuss ist daher abzusehen.
3. Im zu beurteilenden Fall wurde dem Beschwerdeführer anlässlich seiner Befragung als
Zeuge wegen seiner Stellung als Revisor der U. M. & F. C. AG durch den Untersuchungsrichter
das Recht auf Zeugnisverweigerung zugestanden. Da sich nach Art. 9 IRSG der Schutz des Ge-
heimbereichs bei der Ausführung von Rechtshilfeersuchen nach den Bestimmungen über das
Zeugnisverweigerungsrecht richtet, müsste die Frage der Entsiegelung grundsätzlich nach den
nämlichen Kriterien entschieden werden. Nun wendet der Staatsanwalt allerdings ein, der Unter-
suchungsrichter habe dem Beschwerdeführer zu Unrecht das Zeugnisverweigerungsrecht ge-
währt. Die Auffassung von Padrutt (Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Graubün-
den, 2. Auflage, Chur 1996, S. 225), auf die sich der Untersuchungsrichter gestützt habe, wonach
allen in Art. 321 StGB aufgeführten Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe, entspreche
nicht mehr der aktuellsten Rechtsprechung des Bundesgerichts. Dieses habe in einem Entscheid
vom 31. Januar 1996 in Auslegung von Art. 321 StGB festgehalten, dass sich die in dieser Be-
stimmung genannten Personen nur dann auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen könnten,
wenn die kantonale Strafprozessordnung dies ausdrücklich vorsehe (Pr 85 [1996] S. 751 ff., S. 757
E. 3e). Dies sei aber im Kanton Graubünden gerade nicht der Fall. In der Tat erwähnt Art. 90 Abs.
3 StPO lediglich Geistliche, Ärzte, Anwälte sowie Notare und ihre Hilfspersonen als Berufsleute,
welche Mitteilungen von Tatsachen, die ihnen in ihrer Amts- oder Berufsstellung anvertraut worden
sind, verweigern können. Das kantonale Recht, das nach dem jüngsten Entscheid des Bundesge-
richtes für die Beantwortung der Frage, ob einer bestimmten Berufsgruppe ein Zeugnisverweige-
rungsrecht zusteht, massgebend ist, räumt dieses Recht - wie übrigens auch Art. 77 BStrP - also
gerade den hier zur Diskussion stehenden Revisoren nicht ein. Es trifft zwar zu, dass es Autoren
gibt - so der schon zitierte Padrutt sowie Trechsel (Kurzkommentar zum StGB, 2. Auflage, Zürich
1997, Rz. 35 zu Art. 321 StGB) -, welche sich auch zu Gunsten des Zeugnisverweigerungsrechts
dieser Personen aussprechen. Sie befinden sich mit ihrer Auffassung aber in der Minderheit und
stehen insbesondere im Widerspruch zu der für die Beschwerdekammer massgeblichen Recht-
sprechung des Bundesgerichts. Es kann daher an der vom Untersuchungsrichter anlässlich der
Zeugenbefragung vertretenen Auffassung nicht festgehalten werden, sondern es ist vielmehr fest-
zuhalten, dass Revisoren im bündnerischen Strafprozess kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Mit dieser Feststellung ist aber das Schicksal der Beschwerde besiegelt. War J. S. grundsätzlich
bereits zur Zeugenaussage verpflichtet, kann er sich auch nicht der Entsiegelung der bei ihm be-
schlagnahmten Unterlagen entgegensetzen.
4. Der Beschwerdeführer rügt, anlässlich der Hausdurchsuchung vom 16. August 2002
seien entgegen dem Beschluss des Untersuchungsrichters vom 15. August 2002, nach welchem
die Hausdurchsuchung auf die Geschäftsräume der Y. Corporation AG (Y.) beschränkt gewesen
sei, auch seine Räumlichkeiten durchsucht und in seinem Büro drei Bundesordner und in seinem
Archiv die Revisionsakten 1995 bis 31. Dezember 1998 beschlagnahmt worden. Die Durchsu-
chung seines Büros und seines Archivs sei aber durch den Hausdurchsuchungs- und Beschlag-
nahmebeschluss nicht abgedeckt gewesen und es hätten folglich sich in seinen Händen befindli-
che Unterlagen nicht beschlagnahmt werden dürfen. Wie es sich damit verhält, braucht im vorlie-
genden Verfahren nicht untersucht zu werden. Gegenstand der Beschwerde ist allein die Entsiege-
lungsverfügung vom 3. September 2002. Der Beschwerdeführer hat von der ihm im Hausdurchsu-



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chungsbefehl eingeräumten Möglichkeit, bei der Staatsanwaltschaft Beschwerde zu führen, keinen
Gebrauch gemacht. Die Hausdurchsuchung und die Beschlagnahme selbst stehen folglich im heu-
tigen Beschwerdeverfahren nicht zur Diskussion, so dass sich die Beschwerdekammer damit nicht
zu befassen hat. Es ist aber doch darauf hinzuweisen, dass auf Ersuchen des Rechtsvertreters
des Beschwerdeführers die beschlagnahmten Akten versiegelt und verschiedene Gesellschaftsak-
ten, welche mit dem laufenden Rechtshilfeverfahren in keinem Zusammenhang stehen, erstattet
wurden. Im Übrigen teilt die Beschwerdekammer die vom Staatsanwalt in seiner Vernehmlassung
vom 1. Oktober 2002 vertretene Auffassung, dass angesichts der Tatsache, dass die Y. über gar
keine eigenen Geschäftsräumen verfügt, sondern deren Geschäfte in den Räumlichkeiten der A.,
Z. & Partner AG geführt werden und dass der Beschwerdeführer ein Doppelmandat als Verwal-
tungsrat und Mitarbeiter dieser Treuhandunternehmung und als aktienrechtlicher Revisor der Y.
ausübt, die örtliche Abgrenzung der Revisionsstelle der Y. zu deren mit jenen der A., Z. & Partner
AG identischen Geschäftsräumlichkeiten fliessend und unklar ist, so dass der Begriff der Ge-
schäftsräumlichkeiten der Y. entsprechend weit auszulegen war. Müsste auf die sich auf die Haus-
durchsuchung beziehenden Rügen des Beschwerdeführers eingegangen werden, würden sich
diese damit als unbegründet erweisen.
5. Die Beschwerde ist somit als unbegründet abzuweisen. Bei diesem Ausgang gehen die
Kosten des Beschwerdeverfahrens zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 160 Abs. 1 StPO).



9



Demnach erkennt die Beschwerdekammer:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens von Fr. 1'000.-- gehen zu Lasten des Beschwerde-
führers.
3. Mitteilung
an:
__________




Für die Beschwerdekammer des Kantonsgerichts von Graubünden
Der Vizepräsident

Der Aktuar ad hoc


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