ZK 2008 427 - Klares Recht ist nicht verletzt, wenn trotz Unpfändbarkeit einer AHV-Rente die Ausgleichskasse angewiesen wird, die AHV-Rente direkt dem Unterhaltsberechtigten auszubezahlen
APH-08 427, publiziert November 2008
Entscheid der 2. Zivilkammer des Obergerichts des Kantons Bern,
unter Mitwirkung von Oberrichterin Apolloni Meier (Referentin), Oberrichterin Wüthrich-Meyer, Oberrichter Bührer sowie Kammerschreiber Warth
vom 7.Oktober 2008
hat in der Streitsache zwischen
K. P.
vertreten durch FS X
Gesuchsgegner/Nichtigkeitskläger
(nachfolgend: Gesuchsgegner)
und
K. U.
vertreten durch FS Y
Gesuchstellerin/Nichtigkeitsbeklagte
(nachfolgend: Gesuchstellerin)
Regeste:
Klares Recht ist nicht verletzt, wenn trotz Unpfändbarkeit (vgl. Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG) einer AHV-Rente die Ausgleichskasse angewiesen wird (Schuldneranweisung i.S.v. Art. 132 ZGB, Art. 177 ZGB, Art. 291 ZGB), die AHV-Rente direkt an den unterhaltsberechtigten Ehegatten zu bezahlen.
Redaktionelle Vorbemerkungen:
Der Gerichtspräsident hiess das Gesuch um Schuldneranweisung gemäss Art. 177 ZGB der Gesuchstellerin insofern gut, als er die Kantonale AHV-Ausgleichskasse verpflichtete, von der monatlichen Rentenzahlung einen Betrag von rund Fr. 660.00 in Abzug zu bringen und direkt der Gesuchstellerin auf das Konto zu überweisen. Gegen diesen Entscheid erhob der Gesuchsgegner mit Eingabe vom 20. August 2008 Nichtigkeitsklage.
Auszug aus den Erwägungen:
I. Prozessgeschichte
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II. Formelles
1. Das Anweisungsverfahren ist summarischer Natur (vgl. Art. 2 Abs. 2 EG ZGB i.V.m. Art. 322 ZPO). Gemäss Art. 314 ZPO können gegen Verfügungen und Entscheide im summarischen Verfahren keine Rechtsmittel ergriffen werden mit Ausnahme der Appellation in den im Gesetz ausdrücklich bezeichneten Fällen (Art. 336 ZPO) und der Nichtigkeitsklage gemäss Art. 360 ZPO. Erstinstanzliche Anweisungsentscheide sind auch nicht ausnahmsweise appellabel (vgl. Art. 336 ZPO). Somit steht ausschliesslich die Nichtigkeitsklage aus den in Art. 360 ZPO aufgezählten Gründen zur Verfügung (vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Auflage, N 1a ad Art. 360).
2. Gemäss Art. 361 ZPO ist die Nichtigkeitsklage inert 30 Tagen von der rechtlichen Eröffnung des Urteils an zu erheben.
Der Fristenlauf beginnt soweit nicht direkte Aushändigung des Dispositivs an der Urteilsverhandlung möglich ist ab der Entgegennahme des Entscheids, also mit der Zustellung des schriftlichen Urteilsdispositivs (vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, Die Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, 5. Auflage, N 1a ad Art. 360), wobei der Tag der Zustellung für die Berechnung des Fristenlaufs nicht mitzählt (vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O, N 4 ad Art. 98). In casu wurde dem Gesuchsgegner das Urteilsdispositiv am 21.07.2008 per Gerichtsurkunde zugestellt (vgl. pag. 47).
Die Frist gilt als eingehalten, wenn ein Schriftsatz eine andere schriftliche Eingabe an das Gericht am letzten Tage der Frist einer schweizerischen Poststelle einer schweizerischen diplomatischen konsularischen Vertretung im Ausland zur Beförderung übergeben ist (Art. 99 ZPO). Diese Vorschrift gilt insbesondere auch im Bereiche der Rechtsmittelfristen (vgl. Art. 98 ZPO i.V.m Art. 77 Ziff. 1 OR; vgl. Leuch/Marbach/Kellerhals/Sterchi, a.a.O, N 1 ad Art. 99, N 2d ad Art. 120). Vorliegend wurde die Nichtigkeitsklage am 20.08.2008 der Post übergeben (vgl. pag. 55). Die dreissigtägige Rechtsmittelfrist ist gewahrt.
(...)
III. Materielles
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5. Gemäss Art. 92 Ziff. 9a SchKG sind Renten nach Art. 20 AHVG unpfändbar. Bei der Schuldneranweisung handelt es sich laut Bundesgericht indes um eine privilegierte Zwangsvollstreckungsmassnahme sui generis (vgl. BGE 110 II 9), gemäss herrschender Lehre um ein besonderes familienrechtliches Institut des Zivilgesetzbuches zur erleichterten Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen (vgl. Hausheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, N 19 ad Art. 177, Schwander, in: Honsell/Vogt/Geiser, Zivilgesetzbuch I (Basler Kommentar), N 3 ad Art. 177). Die entsprechenden Normen (Art. 132 Abs. 1 ZGB, Art. 177 ZGB, Art. 291 ZGB) sehen keinen Ausschluss der Anweisung bestimmter Vermögenswerte vor, noch wird auf Art. 92 SchKG verwiesen. Auch Art. 20 AHVG sieht explizit die Möglichkeit vor, dass Renten direkt an Dritte fliessen können, wobei die zivilrichterlichen Anordnungen vorbehalten sind (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, N 22 ad Art. 20). In BGE 110 II 9 E. 4 äussert sich das Bundesgericht nur zur Berechnung des Existenzminimums bei einer Schuldneranweisung und unter welchen Bedingungen selbst in das Existenzminimum eingegriffen werden kann (vgl. auch Hauheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, N 9d ad Art. 177), nicht aber, ob unpfändbare Vermögenswerte anweisungsfähig seien. Vorliegend wurde notabene nicht einmal in das Existenzminimum des Gesuchsgegners eingegriffen (vgl. pag. 44, 43). Zumindest die Lehre vertritt im Zusammenhang mit der Schuldneranweisung nach Art. 177 ZGB die Meinung, Art. 92f. SchKG stehe der Schuldneranweisung nicht entgegen (vgl. Hauheer/Reusser/Geiser, Berner Kommentar, N 12e ad Art. 177). Die Anweisung könne auch fällige Ansprüche aus einer Sozialversicherung, insbesondere der AHV/IV betreffen (vgl. Vetterli, in: Schwenzer, FamKommentar, N 2 ad Art. 177). Ohne klares Recht zu verletzen durfte die Vorinstanz somit mit Verweis auf das Solothurnische Obergericht schliessen, das Pfändungsverbot von Art. 92 Ziff. 9a SchKG greife bei einer Schuldneranweisung nicht (vgl. pag. 39; http://www.old.so.ch/extappl/sog/daten/sog2003/zkrek02387.htm).
(...)
Hinweis:
Der Entscheid ist in Rechtskraft erwachsen.