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Urteil Obergericht (BE)

Kopfdaten
Kanton:BE
Fallnummer:SK 2022 326
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2022 326 vom 06.09.2022 (BE)
Datum:06.09.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Beschwerde gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Vollzug; Recht; Vollzugs; Akten; Urteil; Entscheid; Vorinstanz; Urteil; Amtliche; Antritt; Kanton; Aufschub; Kantons; Verfügung; Vollzug; Vollzugsaufschub; Verfahren; Obergericht; Finanzielle; Freiheitsstrafe; Beschwerdeführers; Verhandlungen; Aufschieben; Reichen; Aufschiebende; Vorliegende; Finanziellen; Kammer
Rechtsnorm: Art. 372 StGB ; Art. 42 BGG ;
Referenz BGE:108 Ia 69;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid
SK 2022 326 - Beschwerde gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern
Obergericht
des Kantons Bern

1. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne

1re Chambre pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 08
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Beschluss
SK 22 326
Bern, 15. August 2022



Besetzung Oberrichter Zbinden (Präsident i.V.),
Oberrichterin Schwendener, Oberrichter Vicari
Gerichtsschreiberin Ragonesi



Verfahrensbeteiligte A.________
vertreten durch Rechtsanwalt B.________
Verurteilter/Beschwerdeführer

gegen

Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern

und

Sicherheitsdirektion des Kantons Bern, Kramgasse 20, 3011 Bern



Gegenstand Beschwerde gegen den Entscheid der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern vom 7. April 2022 (2021.SIDGS.851)
Erwägungen:
I. Prozessgeschichte
1. A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) wurde mit Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 14. November 2019 des gewerbsmässigen Betrugs schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt (amtliche Akten BVD, pag. 21 ff.). Eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht mit Urteil vom 8. April 2021 ab (Urteil des Bundesgerichts [BGer] 6B_595/2020).
2. Mit Aufgebots- und Vollzugsverfügung vom 5. Mai 2021 wurde der Beschwerdeführer von den Bewährungs- und Vollzugsdiensten des Amts für Justizvollzug des Kantons Bern (nachfolgend BVD) per 28. Juni 2021 zum Haftantritt aufgeboten (amtliche Akten BVD, pag. 132 und Rückseite). In Gutheissung des Gesuchs des Beschwerdeführers vom 10. Juni 2021 wurde der Strafantritt auf den 3. Januar 2022 verschoben (amtliche Akten BVD, pag. 167 ff.). Am 12. November 2021 stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt B.________, ein weiteres Gesuch um Verschiebung des Haftantritts (amtliche Akten BVD, pag. 170 ff.). Am
29. November 2021 wiesen die BVD das eingereichte Gesuch des Beschwerdeführers formlos ab (amtliche Akten BVD, pag. 183 und Rückseite). Mit Eingabe vom
6. Dezember 2021 ersuchte der Beschwerdeführer um Zustellung einer beschwerdefähigen Verfügung und Gewährung der aufschiebenden Wirkung (amtliche Akten BVD, pag. 184 ff.). Mit beschwerdefähiger Verfügung vom 14. Dezember 2021 wiesen die BVD das Gesuch des Beschwerdeführers um Vollzugsaufschub erneut ab (amtliche Akten BVD, pag. 187 f.).
3. Dagegen erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt B.________, am 20. Dezember 2021 Beschwerde bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID; nachfolgend Vorinstanz), wobei er die Aufhebung der Verfügung vom 14. Dezember 2021 und Absetzung des Termins für den Vollzugsantritt am 3. Januar 2022 beantragte. Zudem sei festzustellen, dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukomme. Dies unter Kosten- und Entschädigungsfolge (amtliche Akten SID, pag. 8 ff.). Mit Verfügung vom 24. Dezember 2021 hielt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme, weshalb der verfügte Strafantritt dahinfalle (amtliche Akten SID, pag. 14 f.).
4. Mit Entscheid vom 7. April 2022 wies die Vorinstanz die Beschwerde ab (amtliche Akten SID, pag. 23 ff.).
5. Dagegen erhob der Beschwerdeführer, weiterhin vertreten durch Rechtsanwalt B.________, mit Eingabe vom 11. Mai 2022 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Bern und stellte folgende Anträge (pag. 1 ff.; zur Begründung: Ziff. 20. hiernach):
1. Der Entscheid vom 7. April 2022 sei aufzuheben;
2. Der Vollzug der Strafe sei bis am 31. August 2022 aufzuschieben;
3. Es sei festzustellen, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zukommt,
unter Kosten- und Entschädigungsfolge.
6. Gestützt auf diese Eingabe eröffnete die 1. Strafkammer am 12. Mai 2022 das vorliegende Beschwerdeverfahren und forderte die Vorinstanz auf, innert Frist eine Stellungnahme zum Antrag auf aufschiebende Wirkung sowie die zur Beurteilung dieses Antrags relevanten Akten (Kopien) einzureichen (pag. 35 ff.).
7. Mit Eingabe vom 17. Mai 2022 hielt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerde von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zukomme und die SID einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung nicht entzogen habe (pag. 45).
8. Mit Verfügung vom 18. Mai 2022 wurde festgehalten, dass die Rechtsbegehren Ziff. 2. und 3. in der Beschwerde vom 11. Mai 2022 (Aufschub des Strafvollzugs/aufschiebende Wirkung) als gegenstandslos betrachtet werden. Gleichzeitig wurde der Vorinstanz Gelegenheit geboten, innert Frist eine inhaltliche Stellungnahme zur Beschwerdesache einzureichen (pag. 49 ff.).
9. Die Vorinstanz beantragte mit Vernehmlassung vom 3. Juni 2021 die Abweisung der Beschwerde (pag. 63 f.).
10. Innert der ihr mit Verfügung vom 8. Juni 2022 gebotenen Gelegenheit stellte die Generalstaatsanwaltschaft mit Eingabe vom 29. Juni 2022 den Antrag auf kostenfällige Abweisung der Beschwerde und verzichtete – unter Verweis auf die Ausführungen der Vorinstanz – auf weitere Ausführungen (pag. 73).
11. Der Beschwerdeführer nahm die ihm mit Verfügung vom 30. Juni 2022 gebotene Gelegenheit zur Einreichung einer Replik innert angesetzter Frist nicht wahr (pag. 75 ff.).
12. Mit Verfügung vom 29. Juli 2022 wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer innert Frist keine Replik eingereicht hat. Gleichzeitig wurde der Schriftenwechsel als abgeschlossen erachtet und den Parteien der schriftliche Entscheid der Kammer in Aussicht gestellt (pag. 81 ff.).
II. Formelles
1. Gemäss Art. 52 Abs. 1 des Gesetzes über den Justizvollzug (JVG; BSG 341.1) i.V.m. Art. 29 Abs. 1 Bst. c des Organisationsreglements des Obergerichts (OrR OG; BSG 162.11) beurteilen die Strafkammern des Obergerichts Beschwerden gegen Verfügungen und Beschwerdeentscheide der SID im Bereich des Justizvollzugs. Die 1. Strafkammer ist somit zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Das Verfahren richtet sich gemäss Art. 53 JVG nach dem Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege (VRPG; BSG 155.21), soweit das JVG keine besonderen Bestimmungen enthält. Namentlich finden die Art. 79 und Art. 80 bis 84a VRPG sinngemäss Anwendung (Art. 86 Abs. 2 VRPG).
2. Die Beschwerde wurde fristgerecht eingereicht (vgl. Art. 52 Abs. 1 JVG; Art. 81 VRPG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen, ist vom angefochtenen Entscheid direkt betroffen und als unterlegene Partei zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 79 VRPG). Auf die Beschwerde ist nach dem Gesagten einzutreten (zu den Rechtsbegehren Ziff. 2. und 3.: vgl. Verfügung vom 18. Mai 2022, pag. 49 ff.).
3. Die Strafkammer des Obergerichts ist bei der Überprüfung des angefochtenen Entscheids in ihrer Kognition nicht beschränkt (Urteil des BGer 6B_983/2020 vom
3. November 2020 E. 1.3.2 und 1.4.; vgl. auch Art. 80 VRPG).
III. Prozessuale Anträge
1. Der Beschwerdeführer stellte vor Obergericht den Antrag auf Parteibefragung sowie auf Beizug der Verfahrensakten zum Revisionsgesuch vom 13. April 2022 (pag. 11).
2. Verwaltungs- und Verwaltungsjustizverfahren werden im Allgemeinen schriftlich durchgeführt (Art. 31 VRPG; Daum, in: Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern, 2. Aufl. 2020, N 1 ff. zu Art. 31 m.w.H.). Dies gilt auch für die obergerichtliche Überprüfung von Entscheiden der SID im Bereich des Justizvollzugs, zumal das JVG keine eigenen Bestimmungen hierzu enthält, sondern über Art. 53 JVG auf das VRPG verweist. In Ausnahmefällen, so etwa bei persönlichkeitsbezogenen Verhältnissen, kann indes eine mündliche Anhörung geboten sein (Daum, a.a.O., N 5 zu Art. 31). Ein Anspruch auf eine mündliche Anhörung bzw. Parteibefragung besteht indes nicht (vgl. beispielhaft Urteile des BGer 6B_699/2019 vom 16. Januar 2020 E. 1.4, 6B_147/2017 vom 18. Mai 2017 E. 7.4, 6B_796/2009 vom 25. Januar 2010 E. 3.5).
3. Wie die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung vom 3. Juni 2022 zu Recht ausgeführt hat, ist der vorliegend relevante Sachverhalt durch die Akten und insbesondere durch die Eingaben des Beschwerdeführers rechtsgenügend dokumentiert. So wird in der Beschwerde vom 11. Mai 2022 erläutert, aus welchen Gründen um Vollzugsaufschub ersucht wird (Abschluss der Verhandlungen, vertragskonforme Abwicklung des Verkaufs, Bereinigung der durch die Straftat verursachten finanziellen Folgen, Abwendung des persönlichen Konkurses) bzw. aus welchen Gründen der Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Entscheid der Vorinstanz nicht einverstanden ist. Der Beschwerdeführer hat seinen Standpunkt mithin ausreichend geltend machen bzw. darlegen können. Die Gelegenheit zur Einreichung einer Replik, mithin zur Ergänzung der bisherigen oberinstanzlichen Ausführungen, hat er sodann nicht wahrgenommen. Die vorliegenden Akten bilden nach dem Gesagten eine hinreichende Entscheidgrundlage, wodurch der Beweisantrag des Beschwerdeführers auf Parteibefragung als obsolet erachtet wird.
4. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren geht es um die Frage, ob allenfalls wichtige Gründe im Sinne von Art. 17 Abs. 1 und 2 JVG vorliegen, welche einen Aufschub des Vollzugs der mit Urteil vom 14. November 2019 ausgesprochenen Freiheitsstrafe rechtfertigen. Beim hängigen Revisionsverfahren bzw. dem Institut der Revision an sich handelt es sich demgegenüber um ein ausserordentliches Rechtsmittel, welches – wie die Vorinstanz zu Recht vorbringt – keinen Einfluss auf die Rechtskraft oder die Vollstreckbarkeit des hier angefochtenen Entscheids hat. Eine materielle Überprüfung der (rechtskräftigen) Verurteilung, welche Grundlage für den anstehenden Strafvollzug bildet, erfolgt im vorliegenden Verfahren nicht. Insofern kann auch auf den Beizug der Akten aus dem Revisionsverfahren verzichtet werden, da dies nichts an der massgebenden Entscheidgrundlage zu ändern vermag. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass bei einer Gutheissung des Revisionsgesuchs über eine allfällige Haftentschädigung zu befinden sein wird, sofern der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt den Strafvollzug bereits angetreten hat bzw. eine solche Entschädigung angezeigt ist.
IV. Materielles
1. Der Beschwerdeführer macht wie vor der Vorinstanz zusammengefasst geltend, dass die Geschädigten des Strafverfahrens ihre Forderungen auf dem Zivilweg geltend gemacht hätten und dieses Verfahren erst Ende Oktober 2021 mit einer Vereinbarung habe abgeschlossen werden können. Dabei habe er sich verpflichtet, CHF 3,4 Mio. an die Geschädigten zu bezahlen. Es sei ein Gesamtvergleich abgeschlossen worden, in welchem auch die Bezahlung der Gerichtskosten und Ersatzforderung des Staates geregelt worden sei. Die Vereinbarung habe noch nicht vollzogen werden können, weil die Verhandlungen zum notwendigen Verkauf von Liegenschaften in einer entscheidenden Phase seien. Um die finanziellen Mittel gemäss Strafurteil und Vereinbarung zu beschaffen, müsse der Beschwerdeführer das C.________ in D.________ verkaufen. Es gehe um einen Verkaufspreis von
CHF 16 Mio. Diese Aufgabe könne nicht delegiert werden, da der Beschwerdeführer für die Verbindlichkeiten aus dem Vergleich und den bestehenden Urteilen hafte. Wenn der Beschwerdeführer die Strafe vor Abschluss des Geschäfts antreten müsse, könnten die eingefädelten Desinvestitionen nicht zu Ende geführt werden und die bisherigen Bemühungen wären umsonst gewesen. Nur der Beschwerdeführer verfüge über die erforderlichen Beziehungen und das notwendige Wissen, weshalb die Firma und das Verwaltungsratsmandat nicht auf seinen Sohn übertragen werden könnten. Ausserdem habe der Beschwerdeführer am 13. April 2022 ein Revisionsgesuch eingereicht, welches den gesamten Sachverhalt in einem neuen Licht erscheinen lasse. Werde dieses im Sinne der Anträge gutgeheissen, würde der Beschwerdeführer eine längere Zeit zu Unrecht hinter Gitter verbringen. Die vertragskonforme Abwicklung liege sowohl im Interesse des Staates, welcher sämtliche Verfahrenskosten gedeckt erhalte, als auch im Interesse der Opfer der Straftat (pag. 1 ff.).
2. In ihrer Vernehmlassung vom 3. Juni 2022 verweist die Vorinstanz zunächst auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid vom 7. April 2022 und entgegnet im Wesentlichen, der Beschwerdeführer bringe erneut vor, dass er mehr Zeit benötige, um die Liegenschaft zum bestmöglichen Preis verkaufen zu können. Auf den Umstand, dass ihm bereits genügend Zeit hierfür eingeräumt worden sei, gehe er mit keinem Wort ein. Es sei denn auch nicht ersichtlich, weshalb er sich für die Endphase dieser Verhandlungen nicht vertreten lassen könne. Dass ausschliesslich er für die Verbindlichkeiten aus dem Vergleich und den Urteilen hafte, stehe einer Vertretung nicht entgegen. Entsprechende Verhandlungen könnten auch aus dem Vollzug zu Ende geführt werden. Dass die Investoren bei einem Strafantritt von seiner finanziellen Not erfahren würden, sei für die Beurteilung der vorliegenden Streitsache nicht weiter relevant. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sei ferner nicht Gegenstand des obergerichtlichen Beschwerdeverfahrens (pag. 63 f.).
Die Generalstaatsanwaltschaft verweist zur Begründung ihres Antrags auf Abweisung der Beschwerde auf die Ausführungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid und in deren Vernehmlassungen vom 16. Mai 2022 und 3. Juni 2022 (pag. 73).
3. Gemäss Art. 372 Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB; SR 311.0) vollziehen die Kantone die von ihren Strafgerichten ausgefällten Urteile. Der Vollzug von Strafen und somit auch der hier fragliche Strafantritt bzw. Vollzugsaufschub richten sich nach kantonalem Recht (Art. 372 Abs. 1 StGB, Art. 439 Abs. 1 und Abs. 2 der Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Freiheitsstrafen und freiheitsentziehende strafrechtliche Massnahmen sind gemäss Art. 23 Abs. 1 der Verordnung über den Justizvollzug (Justizvollzugsverordnung, JVV; BSG 341.11) in der Regel spätestens innert sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft anzutreten. Die Vollzugsbehörde kann den Vollzug einer Freiheitsstrafe aus wichtigen Gründen aufschieben oder unterbrechen. Als wichtige Gründe gelten namentlich ausserordentliche persönliche, familiäre oder berufliche Verhältnisse sowie die vollständige Hafterstehungsunfähigkeit (Art. 17 Abs. 2 JVG). Beim Entscheid sind die voraussichtliche Vollzugsdauer, die Entweichungs- und Wiederholungsgefahr sowie allfällige Beurteilungen von Sachverständigen zu berücksichtigen (Art. 17 Abs. 3 JVG). Die Gewährung eines Aufschubs ist gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts restriktiv zu handhaben. Dies aufgrund des öffentlichen Interesses am Vollzug rechtskräftig verhängter Strafen, welches den Ermessensspielraum der Vollzugsbehörde insofern erheblich einschränkt (vgl. beispielhaft etwa BGE 108 Ia 69 E. 2c; Urteil des BGer 6B_1018/2018 vom 10. Januar 2019 E. 3., 6B_40/2020 vom 17. August 2020 E. 3.2.1).
Der Strafvollzug bedeutet für die betroffene Person immer ein Übel, das von den einen besser, von den anderen weniger gut ertragen wird. Nach der Rechtsprechung kommt die Verschiebung des Vollzugs einer rechtskräftigen Strafe nur in Ausnahmefällen in Betracht. So genügt etwa die blosse Möglichkeit, dass Leben oder Gesundheit der verurteilten Person gefährdet sein könnte, nicht per se für einen Strafaufschub. Verlangt wird eine beträchtliche Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung (vgl. etwa Urteile des BGer 6B_40/2020 vom 17. August 2020 E. 3.2.1, 6B_467/2018 vom 30. Mai 2018 E. 5., 6B_593/2014 vom 6. Oktober 2014 E. 4. und 6B_580/2017 vom 21. August 2017 E. 2.2.1). Noch grössere Zurückhaltung bei der Verschiebung des Strafantrittstermins ist bei nicht medizinisch indizierten Gründen geboten, denn Nachteile persönlicher und wirtschaftlicher Art sind regelmässige Folgen des Freiheitsentzugs, die jede verurteilte Person in mehr oder weniger belastender Weise treffen (vgl. etwa Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern SK 15 61 vom 22. Juni 2016 Ziff. III.2 f.). Die gewöhnliche Wahrung finanzieller Interessen oder das Treffen von administrativen Vorkehrungen persönlicher, familiärer oder beruflicher Art können daher grundsätzlich nicht für einen Vollzugsaufschub ausreichen. Weder geschäftliche Termine, Abzahlungsverpflichtungen, noch die Gefahr der Kündigung während der Probezeit bei einer neu angetretenen Stelle oder der Aufbau einer eigenen Firma reichen für einen Vollzugsaufschub aus. Ein solcher setzt immer das Vorliegen besonders einschneidender, ausserordentlicher Gründe voraus, welche in der Regel in der Person des Betroffenen selber liegen (Kramer/Koller, Aufschub von Strafen und Massnahmen, in: Das Schweizerische Vollzugslexikon, 2. Aufl. 2022. S. 80 ff., insb. S. 84 m.w.H.).
Das geplante oder bereits erfolgte Einreichen von Rechtsbehelfen oder Rechtsmitteln ohne suspensive Wirkung kann, für sich allein gesehen, nicht als ausreichend qualifizierter Grund für einen Strafaufschub gelten (vgl. hierzu auch Kramer/Koller, a.a.O. S. 84).
4. Der Beschwerdeführer wurde wegen gewerbsmässigen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Diese Verurteilung und die ihr zugrundeliegenden (Tat-)Umstände (Deliktsbetrag von ca. CHF 6,4 Mio. [teilweise versucht], Vorgehensweise und Beweggründe etc.) begründen bereits als solche ein erhebliches öffentliches Interesse an einem (baldigen) Strafantritt (vgl. auch die oberinstanzliche Urteilsbegründung, amtliche Akten BVD, 21 ff., insb. pag. 110 und Rückseite). Dies umso mehr, als trotz Grundsatz des Strafantritts nach sechs Monaten (vgl. Art. 23 Abs. 1 JVV) seit Rechtskraft des Urteils vom 14. November 2019 bereits mehr als dreieinhalb Jahre vergangen sind. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe vermögen – wie nachfolgend zu sehen sein wird – das bestehende erhebliche öffentliche Interesse am Vollzug nicht zu überwiegen bzw. einen (erneuten) Vollzugsaufschub nicht zu rechtfertigen.
Wiederholend ist zunächst festzuhalten, dass Nachteile persönlicher und/oder wirtschaftlicher Art regelmässig hinzunehmen sind und – mit Blick auf die generell restriktive bundesgerichtliche Rechtsprechung – nur im Ausnahmefall «wichtige Gründe» für einen Strafaufschub darstellen (vgl. Ziff. 22. hiervor). Der Beschwerdeführer wurde erstinstanzlich bereits im März 2017 und oberinstanzlich im November 2019 zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt. Er musste mithin seit über fünf Jahren damit rechnen, eine längere Freiheitsstrafe antreten und erhebliche finanzielle Forderungen (Verfahrenskosten, Ersatzforderung, Parteientschädigungen) begleichen zu müssen. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zu Recht festhält, wäre es dem Beschwerdeführer in dieser Zeit durchaus möglich und zumutbar gewesen, seine finanziellen bzw. geschäftlichen Angelegenheiten zu regeln und etwa seinen Sohn oder eine Drittperson in die Geschäfte einzuführen, die nötigen Geschäftskontakte zu vermitteln sowie die strategische und operative Führung der Firma zu übergeben. Spätestens seit der Abweisung seiner Beschwerde vor Bundesgericht, mithin seit dem 8. April 2021, musste der Beschwerdeführer sodann mit dem Vollzug der fünfjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Am 5. Mai 2021 wurde er von den BVD dann auch zum Strafantritt per 28. Juni 2021 aufgeboten (amtliche Akten BVD, pag. 132 f.). Der Beschwerdeführer ersuchte um Vollzugsaufschub und begründete sein Gesuch (bereits dazumal) mit den hohen finanziellen Verpflichtungen, die sich aus seiner rechtskräftigen Verurteilung ergeben würden. Um diese Schulden zu begleichen, müsse er diverse Vermögenswerte veräussern, wofür es Zeit brauche. Da bereits Kontakte zu den Interessenten bestünden, müssten die Verhandlungen vor dem Strafantritt von ihm persönlich zu Ende geführt werden (amtliche Akten BVD, pag. 141 ff.). Aufgrund der vom Beschwerdeführer geltend gemachten finanziellen und geschäftlichen Verpflichtungen wurde ihm mit Verfügung vom 19. Juli 2021 antragsgemäss ein Vollzugsaufschub von über sechs Monaten gewährt (dazumal neu angesetzter Termin für den Strafantritt: 3. Januar 2022 [amtliche Akten BVD, pag. 167 Rückseite]). Seither sind wiederum mehr als 12 Monate vergangen, wobei die vom Beschwerdeführer angetönten Geschäfte, welche gemäss eigenen Angaben seine zwingende persönliche Anwesenheit erfordern, offenbar nach wie vor offen sind. Entsprechende Belege oder konkrete Termine etc. werden keine vorgelegt bzw. genannt. Der Beschwerdeführer bezeichnet auch keinen Zeithorizont für den Abschluss der Verhandlungen. Der beantragte Aufschub bis zum 31. August 2022 – welcher faktisch aufgrund des vorliegenden Verfahrens inkl. Berücksichtigung der Rechtsmittelfrist ohnehin erreicht wird – bezog sich offensichtlich auf das hängige Revisionsverfahren (S. 6 der Beschwerde vom 11. Mai 2022, pag. 11). In der Beschwerde an das Obergericht wird insbesondere der Verkauf des C.________ in D.________ thematisiert, dessen Erlös zur Deckung der Verbindlichkeiten aus dem Vergleich vom 28. Oktober 2021 und den Urteilen verwendet werden solle. Der Beschwerdeführer hat allerdings bereits bei Abschluss des besagten Vergleichs gewusst, dass er in Kürze (dazumal war der Strafantritt per 3. Januar 2022 vorgesehen) eine längere Freiheitsstrafe antreten muss und er anstehende Verhandlungen im Zusammenhang mit der Regelung seiner geschäftlichen Angelegenheiten nicht auf unbestimmte Zeit persönlich wird weiterführen können.
Auf den Umstand, dass ihm bereits Zeit für die Regelung seiner geschäftlichen Angelegenheiten eingeräumt wurde und seither auch wieder einige Monate verstrichen sind, geht der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde kaum ein. Vielmehr wird in allgemeiner Weise vorgebracht, dass «die Zeit trotz intensiver Arbeit» nicht ausgereicht habe, nur der Beschwerdeführer über das nötige («hochkomplexe») Wissen verfüge und nur er glaubwürdig auftreten könne. Nähere Ausführungen hierzu unterbleiben jedoch. Die Kammer verkennt nicht, dass der Verkauf eines E.________ über CHF 16 Mio. bzw. die damit notwendigerweise einhergehenden Verhandlungen durchaus komplex sein können, hierfür gewisse Erfahrung nötig und entsprechende Kontakte sicherlich von Vorteil sind. Mit Blick auf die seither vergangene Zeit wäre die Regelung einer kompetenten Nachfolge oder Vertretung aber durchaus möglich und sicherlich auch zumutbar gewesen. Der Beschwerdeführer hätte seinen Sohn oder eine Drittperson in das bevorstehende «hochkomplexe Geschäft» einführen und dem Nachfolger bzw. der Nachfolgerin während der nunmehr vergangenen Zeit auch noch aktiv zur Seite stehen können. Wenn er solches trotz der gegebenen Umstände bisher unterlassen hat, hat sich der Beschwerdeführer dies selbst zuzuschreiben.
Für die Kammer ist nicht ersichtlich, weshalb sich der Beschwerdeführer – welcher eigenen Angaben zufolge bereits Bemühungen unternommen, Investitionen eingefädelt und «intensive Arbeit» geleistet hat – in dieser Sache nicht vertreten lassen kann. Dass ausschliesslich er für die Verbindlichkeiten aus dem Vergleich und den Urteilen haftet (vgl. Ziff. 2.2 der Beschwerde vom 11. Mai 2022, pag. 9), steht einer Vertretung nicht entgegen bzw. schliesst eine solche offensichtlich nicht aus. Das Institut des Vollzugsaufschubs soll – wie die Vorinstanz zu Recht ausführte – sodann auch nicht dazu dienen, eine rechtskräftige Verurteilung zu verheimlichen. Dass im Falle eines Strafvollzugs allfällige Investoren von der finanziellen Not des Beschwerdeführers erfahren und diese Tatsache möglicherweise ausnutzen, ist für die Beurteilung der vorliegenden Streitsache nicht relevant. Der guten Ordnung halber ist aber festzuhalten, dass die physische Abwesenheit des Beschwerdeführers in einer letzten Verhandlungsphase bzw. eine Vertretung durch seinen Sohn und/oder eine Drittperson mit Blick auf sein Alter ohnehin nicht ungewöhnlich wäre.
Insgesamt kann sich die Kammer den Ausführungen und Schlussfolgerungen der Vorinstanz ohne Weiteres anschliessen. Das Institut des Vollzugsaufschubs kommt nur in Ausnahmefällen zum Zug und dient selbstredend nicht dazu, den Konsequenzen des strafbaren Handelns möglichst lange zu entgehen. Der Beschwerdeführer hätte ausreichend Zeit zur Verfügung gehabt, seine finanziellen Angelegenheiten zu regeln bzw. seine Nachfolge auf eine entsprechende Geschäftstätigkeit und die bevorstehenden Verhandlungen vorzubereiten sowie die notwendigen Kontakte zu vermitteln. Unter den gegebenen Umständen kann der anstehende Verkauf einer Liegenschaft – selbst wenn dieser der Begleichung der zugegebenermassen hohen Schulden des Beschwerdeführers dient – nicht (mehr) als wichtiger Grund für einen Vollzugsaufschub angesehen werden. Die Beschwerde ist entsprechend abzuweisen.
V.
1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens vor dem Obergericht, bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF 1‘500.00, vom unterliegenden Beschwerdeführer zu tragen (Art. 108 Abs. 1 VRPG sowie Art. 103 Abs. 2 i.V.m. Art. 28 Abs. 2 und Art. 51 Bst. a des Verfahrenskostendekrets [VKD; BSG 161.12]). Ein Parteikostenersatz ist nicht geschuldet (Art. 108 Abs. 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 3 VRPG).
Die 1. Strafkammer beschliesst:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Kosten des oberinstanzlichen Beschwerdeverfahrens, bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF 1'500.00, werden dem Beschwerdeführer zur Bezahlung auferlegt.
3. Zu eröffnen:
• dem Verurteilten/Beschwerdeführer, v.d. Rechtsanwalt B.________
• der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• dem Amt für Justizvollzug des Kantons Bern, Bewährungs- und Vollzugsdienste



Bern, 15. August 2022
Im Namen der 1. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Zbinden

Die Gerichtsschreiberin:
Ragonesi



Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/
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