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Urteil Obergericht (BE)

Zusammenfassung des Urteils SK 2021 516: Obergericht

Im vorliegenden Fall geht es um die Verurteilung von A.________ wegen Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr. A.________ wurde schuldig gesprochen, weil er sich geweigert hatte, eine Gesichtsmaske im öffentlichen Verkehr zu tragen, obwohl er keine medizinischen Gründe nachweisen konnte. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte die erstinstanzliche Verurteilung, reduzierte jedoch die Geldstrafe auf CHF 150.00. A.________ muss die Verfahrenskosten tragen und zwei Drittel der oberinstanzlichen Verfahrenskosten von insgesamt CHF 1'500.00 übernehmen. Der Rest der Kosten geht zu Lasten des Kantons Bern. Das Urteil wurde am 28. März 2022 vom Oberrichter Horisberger und der Gerichtsschreiberin Hafner gefällt.

Urteilsdetails des Kantongerichts SK 2021 516

Kanton:BE
Fallnummer:SK 2021 516
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2021 516 vom 14.07.2022 (BE)
Datum:14.07.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr
Schlagwörter : Beschuldigte; Maske; Verordnung; Masken; Sicherheit; Covid-; Maskenpflicht; Verkehr; Beschuldigten; -Verordnung; Urteil; Vorinstanz; Verfahren; Sicherheitsdienst; Gesichtsmaske; Recht; Person; Bundesgericht; Sicherheitsorgan; Sicherheitsorgane; Berufung; Bahngesellschaft; Zeugnis; Verfahrens; Sachverhalt; Transport; Sinne
Rechtsnorm:Art. 185 BV ;Art. 2 StGB ;Art. 318 StGB ;Art. 333 StGB ;Art. 391 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 429 StPO ;
Referenz BGE:116 IV 258; 132 I 42; 141 IV 249; 143 IV 241; 147 I 393; 89 IV 113;
Kommentar:
Schott, Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Art. 97 BGG, 2018

Entscheid des Kantongerichts SK 2021 516

SK 2021 516 - Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr
Obergericht
des Kantons Bern

2. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne

2e Chambre pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 08
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Urteil
SK 21 516
Bern, 28. März 2022



Besetzung Oberrichter Horisberger (Präsident i.V.), Oberrichterin Friederich Hörr, Oberrichter Zuber
Gerichtsschreiberin Hafner



Verfahrensbeteiligte A.__
Beschuldigter/Berufungsführer
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern



Gegenstand Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr

Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Emmental-Oberaargau (Einzelgericht) vom 19. August 2021 (PEN 21 97)
Erwägungen:
I. Formelles
1. Erstinstanzliches Urteil
Das Regionalgericht Emmental-Oberaargau (nachfolgend: Vorinstanz) erklärte A.__ (nachfolgend: Beschuldigter) mit Urteil vom 19. August 2021 der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (BGST; SR 745.2) schuldig und verurteilte ihn zu einer Übertretungsbusse von CHF 250.00 (Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung drei Tage) sowie zur Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 1'450.00 (pag. 38 f.).
2. Berufung
An der Hauptverhandlung vom 19. August 2021 meldete der Beschuldigte unmittelbar nach Aushändigung des Urteilsdispositivs mündlich zu Protokoll Berufung an (pag. 37).
Die erstinstanzliche Urteilsbegründung datiert vom 25. Oktober 2021 (pag. 46 ff.). Sie wurde dem Beschuldigten am 27. Oktober 2021 zugestellt (pag. 63). Die Berufungserklärung des Beschuldigten, datiert auf den 17. Oktober 2021, ging form- und fristgerecht beim Obergericht des Kantons Bern ein (Postaufgabe 15. November 2021). Der Beschuldigte focht das Urteil vollumfänglich an (pag. 66 ff.).
Die Generalstaatsanwaltschaft hat weder Anschlussberufung erklärt noch ein Nichteintreten auf die Berufung beantragt. Stattdessen verzichtete sie mit Schreiben vom 18. November 2021 auf die Teilnahme am oberinstanzlichen Verfahren (pag. 73).
3. Schriftliches Verfahren
Mit Beschluss vom 24. November 2021 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet (Art. 406 Abs. 1 Bst. c der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]) und dem Beschuldigten eine Frist zur Einreichung einer schriftlichen Berufungsbegründung gesetzt (pag. 74 f.). Die Berufungsbegründung vom 1. Dezember 2021 ging fristgerecht beim Obergericht des Kantons Bern ein (pag. 77 ff.). Mit Verfügung vom 6. Dezember 2021 wurde die Zusammensetzung der Kammer bekannt gegeben und der schriftliche Entscheid in Aussicht gestellt (pag. 81 f.). Am 8. März 2022 wurde den Parteien eine Änderung in der Kammerbesetzung mitgeteilt (pag. 83).
4. Beweisergänzungen
In seiner Berufungserklärung stellte der Beschuldigte den Beweisantrag, es sei durch das Gericht ein Vertrauensarzt zu benennen, welcher «den rechtmässigen Besitz eines ärztlichen Attests beim Beschuldigten überprüft und dessen Erkenntnisse daraus dem Gericht zum Zwecke der Beweisaufnahme kommuniziert» (pag. 68). Mit Beschluss vom 24. November 2021 wurde der Beweisantrag unter Verweis auf Art. 398 Abs. 4 StPO abgewiesen (pag. 75).
5. Anträge des Beschuldigten
Der Beschuldigte beantragt sinngemäss, er sei vom Vorwurf der Widerhandlung gegen das BGST freizusprechen, die Kosten des Strafverfahrens seien dem Kanton Bern aufzuerlegen und ihm sei eine angemessene Entschädigung zuzusprechen (pag. 66 und pag. 77).
6. Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Der Beschuldigte hat das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich angefochten. Die Kammer hat somit den Schuldspruch, die Sanktion sowie die sich daraus ergebenden Kostenfolgen zu prüfen. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens bildete ausschliesslich eine Übertretung. Die Kammer verfügt daher über eine eingeschränkte Kognition und überprüft das erstinstanzliche Urteil nur auf Rechtsfehler und auf offensichtlich unrichtige bzw. auf Rechtsfehlern beruhende Feststellung des Sachverhalts. Neue Behauptungen und Beweise können nicht vorgebracht werden (Art. 398 Abs. 4 StPO). Da die Berufung ausschliesslich durch den Beschuldigten erhoben wurde, darf die Kammer das erstinstanzliche Urteil nicht zu seinem Nachteil abändern. Sie ist an das Verschlechterungsverbot gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO gebunden.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
1. Theoretische Grundlagen der Beweiswürdigung
Die Kammer prüft die vorinstanzliche Sachverhaltsermittlung infolge der eingeschränkten Kognition nur auf offensichtliche Unrichtigkeit (siehe Ziff. I.6 oben). Die Rüge der offensichtlich unrichtigen auf Rechtsverletzung beruhenden Feststellung des Sachverhalts entspricht Art. 97 des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110; vgl. Eugster, in: Basler Kommentar StPO, 2. Auflage, Basel 2014 [nachfolgend: BSK StPO-Bearbeiter], N 3a zu Art. 398). Offensichtlich unrichtig ist eine Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1). Willkür im Sinne von Art. 9 der Bundesverfassung (BV; SR 101) in der Beweiswürdigung liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung Würdigung ebenfalls vertretbar gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Eine Sachverhaltsermittlung ist insbesondere nicht schon dann offensichtlich unrichtig, wenn sich Zweifel anmelden, sondern erst dann, wenn sie eindeutig und augenfällig unzutreffend ist (BGE 132 I 42 E. 3.1). Erforderlich ist also ein qualifizierter Mangel, ein klares Abweichen der tatsächlichen Gegebenheiten von der Sachverhaltsfeststellung im angefochtenen Entscheid (Schott, in: Basler Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage, Basel 2018, N 9 zu Art. 97).
2. Angeklagter Sachverhalt
Dem Beschuldigten wird gemäss Strafbefehl vom 9. Februar 2021 vorgeworfen, den Anordnungen des Sicherheitsdienstes der B.__ (Bahngesellschaft) zuwidergehandelt zu haben. Konkret habe er sich am 5. Januar 2021 zwischen ca. 18:51 Uhr und 18:57 Uhr im Zug Nr. __ auf der Strecke C.__ – D.__ zwischen E.__ und F.__ trotz Anweisung durch die Beamten geweigert, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen (pag. 6).
3. Unbestrittener Sachverhalt
Es ist unbestritten, dass der Beschuldigte am 5. Januar 2021 zwischen ca. 18:51 Uhr und 18:57 Uhr als Passagier im Zug Nr. __ auf der Strecke C.__ – D.__ zwischen E.__ und F.__ keinen Mund-Nasen-Schutz trug (pag. 35 Z. 28).
4. Beweisergebnis der Vorinstanz
Die Vorinstanz erachtete als erstellt, dass sich der Beschuldigte auf der fraglichen Zugfahrt, trotz Aufforderung von zwei Sicherheitsdienstmitarbeitenden der B.__(Bahngesellschaft), weigerte, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Zudem ging sie davon aus, dass der Beschuldigte im Zug kein ärztliches sonstiges Attest vorwies und somit in jenem Zeitpunkt nicht nachwies, aus medizinischen sonstigen Gründen keine Maske tragen zu können. Die Behauptung des Beschuldigten, über ein entsprechendes Arztzeugnis verfügt zu haben, sei aufgrund seiner unglaubhaften Aussagen als Schutzbehauptung zu qualifizieren (pag. 48 f., S. 3 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung).
5. Vorbringen des Beschuldigten
Der Beschuldigte bringt oberinstanzlich vor, er «bestreite sämtliche Aussagen und Anschuldigungen», wonach er nicht in rechtsgenügender Weise glaubhaft gemacht habe, über ein medizinisches Attest zu verfügen und aus demselben Grund keine Maske tragen zu können resp. zu müssen (pag. 66). Der Beschuldigte stellt sich damit sinngemäss auf den Standpunkt, die Vorinstanz habe den Sachverhalt falsch festgestellt, wenn sie festhielt, der Beschuldigte verfüge nicht über eine ärztliche Maskendispensation.
6. Beweismittel
Als Beweismittel liegen der Ereignisbericht der B.__(Bahngesellschaft) sowie die Einvernahme des Beschuldigten vom 19. August 2021 vor (pag. 4 f. und pag. 34 ff.). Der Inhalt dieser Beweismittel wird soweit notwendig direkt in der Beweiswürdigung wiedergegeben.
7. Erwägungen der Kammer
Der Beschuldigte hat in seinen Ausführungen nicht dargelegt, inwiefern die erstinstanzliche Beweiswürdigung offensichtlich unrichtig respektive willkürlich sein sollte. Dies ist auch nicht ersichtlich:
Wie bereits ausgeführt, bestreitet der Beschuldigte nicht, während der fraglichen Zugfahrt keine Maske getragen zu haben. Weiter schilderte er zwar nicht explizit, er habe sich während der Zugfahrt geweigert, sein Arztzeugnis vorzuzeigen. Er führte jedoch aus, er habe sein Zeugnis anfänglich noch vorgezeigt, aber irgendeinmal habe er sich gesagt, dass er am Schluss jedem und jeder dieses Zeugnis vorzeigen müsse, das sei doch Privatsache. Für ihn sei es – bezogen auf den konkreten Fall – schon fast anmassend, wenn ein Kontrolleur im Zug sich berechtigt fühle, bei ihm dieses Zeugnis zu überprüfen (pag. 35 Z. 12 ff.). Er habe zu diesem Zeitpunkt aber ein Zeugnis gehabt (pag. 35 Z. 45). Mit Blick auf diese Aussagen hat die Vorinstanz zurecht als erstellt erachtet, dass der Beschuldigte den Mitarbeitenden des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft) kein ärztliches Zeugnis vorzeigte, das ihn von der Maskenpflicht befreit hätte. Weiter ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz gestützt auf den Ereignisbericht vom 5. Januar 2021 davon ausging, die Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft) hätten den Beschuldigten gefragt, warum er keine Maske trage, und ihn danach darauf hingewiesen, dass er bei Verweigerung entweder den Zug verlassen rechtliche Schritte in Kauf nehmen müsse (pag. 4). Der Beschuldigte bestätigte diese Darstellung zwar nicht direkt («Das kann ich heute nicht mehr sagen» [pag. 35 Z. 40]). Weder in dieser Aussage noch sonst in den Akten finden sich jedoch Hinweise, die am Wahrheitsgehalt des genannten Ereignisberichts zweifeln lassen. Es durfte demnach ohne Weiteres darauf abgestellt werden.
Konkret beanstandet der Beschuldigte folgende Feststellung der Vorinstanz (pag. 48 f., S. 3 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung):
Die Vorbringen des Beschuldigten zur angeblichen Existenz eines entsprechenden Arztzeugnisses sind mit Blick auf seine unglaubhaften Aussagen (ausstellende Person, Art der Gründe, Verbleib) als blosse Schutzbehauptungen zu qualifizieren (wobei dies in rechtlicher Hinsicht nicht weiter erheblich ist, s. nachstehend).
Wie die Vorinstanz zutreffend festhielt, ist für die rechtlichen Überlegungen lediglich von Bedeutung, ob der Beschuldigte nachgewiesen hat, dass er keine Masken tragen müsse – und nicht, ob ihm ein solcher Nachweis grundsätzlich möglich gewesen wäre (siehe Ziff. III.19 unten). Für die Subsumtion ist demnach wesentlich, dass der Beschuldigte sich geweigert hat, ein allfälliges Arztzeugnis vorzuzeigen. Ob der Beschuldigte über ein solches Zeugnis verfügt hätte, ist mit Blick auf die rechtliche Subsumtion nicht weiter relevant und kann deshalb offengelassen werden.
Das Beweisergebnis der Vorinstanz erweist sich somit nicht als willkürlich.
8. Massgeblicher Sachverhalt
Im Ergebnis ist erstellt, dass der Beschuldigte am 5. Januar 2021 während der Zugfahrt von E.__ nach F.__ trotz Aufforderung durch den Sicherheitsdienst der B.__(Bahngesellschaft) weder eine Gesichtsmaske trug noch einen Nachweis vorlegte, der ihn von der Maskenpflicht entbinden würde.
III. Rechtliche Würdigung
Die Vorinstanz hat den Sachverhalt – wie im Strafbefehl vom 9. Februar 2021 vorgesehen – als Widerhandlung gegen das BGST durch Missachtung der Anordnung des Sicherheitsdienstes gemäss Art. 9 BGST gewürdigt.
Zurecht hat sie darauf hingewiesen, dass sich der Schuldspruch des Beschuldigten somit nicht auf eine Strafnorm in der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26) im Epidemiengesetz (EpG; SR 818.101) stützt.
Die Covid-19-Verordnung besondere Lage ist vorliegend aber insofern relevant, als dass sich die Anordnung des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft) zum Tragen einer Gesichtsmaske auf den damaligen Art. 3a Covid-19-Verordnung besondere Lage bezog. Gestützt darauf haben Reisende in Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs wie Zügen, Strassenbahnen, Bussen, Schiffen, Luftfahrzeugen und Seilbahnen eine Gesichtsmaske zu tragen. Von dieser Maskenpflicht ausgenommen sind a.) Kinder vor ihrem 12. Geburtstag und b.) Personen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können.
1. Anwendbares Recht
Hat der Täter ein Verbrechen Vergehen vor Inkrafttreten des neuen Strafgesetzbuches begangen, erfolgt die Beurteilung aber erst nachher, so ist gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB das neue Gesetz anzuwenden, wenn dieses für ihn das mildere ist (sog. lex mitior). Art. 2 Abs. 2 StGB gilt auch für Übertretungen und im Nebenstrafrecht (Art. 104 und Art. 333 StGB). Keine Anwendung findet Art. 2 Abs. 2 StGB jedoch auf sogenannte Zeitgesetze. Zeitgesetze sind Erlasse, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden die nach Inhalt und Zweck nur für die Dauer von Ausnahmeverhältnissen gelten wollen (BGE 116 IV 258 E. 4.b mit weiteren Hinweisen; Popp/Berkemeier, in: Basler Kommentar Schweizerisches Strafgesetzbuch, 4. Auflage, Basel 2019 [nachfolgend: BSK StGB-Bearbeiter], N 26 ff. zu Art. 2; Roos/Fingerhuth, Straf- und strafprozessrechtliche Implikationen, in: Helbing Lichtenhahn Verlag [Hrsg.], Covid-19 – Ein Panorama der Rechtsfragen zur Corona-Krise, § 26 N 65 f.).
Art. 9 BGST hat sich seit der Tatbegehung nicht verändert. Die Bestimmung zur Maskenpflicht im öffentliche Verkehr erfuhr seit dem Tatzeitpunkt hingegen mehrere Änderungen. Im Tatzeitpunkt stützte sich diese auf Art. 3a Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020, Stand 22. Dezember 2020. Aktuell ist die Pflicht, in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske zu tragen sowie die Befreiung von der Maskenpflicht, in Art. 3 und Art. 6 Covid-19-Verordnung besondere Lage geregelt. Die Covid-19-Verordnung besondere Lage bezieht sich jedoch unbestrittenermassen auf die zeitlich begrenzte Ausnahmesituation der Covid-19-Pandemie und ist deshalb als Zeitgesetz im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zu qualifizieren (vgl. BGE 89 IV 113 E. I; Urteil des Bundesgerichts 6B_397/2010 vom 26. Oktober 2010 E. 3.3). Es wird demnach das im Tatzeitpunkt geltende Recht angewendet und die betreffende Bestimmung wird trotz der zwischenzeitlich erfolgten Totalrevisionen nachfolgend als «Art. 3a Covid-19-Verordnung besondere Lage» bezeichnet.
2. Vorbringen des Beschuldigten
Der Beschuldigte begründet seine Berufung in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst damit, er habe glaubhaft gemacht, über eine ärztliche Maskendispensation zu verfügen. Dies müsse genügen. Der Sicherheitsdienst der B.__(Bahngesellschaft) sei nicht befugt gewesen, einen Nachweis für die Befreiung von der Maskenpflicht zu verlangen. Einzig medizinische Fachpersonen seien geeignet, ein entsprechendes ärztliches Zeugnis zu kontrollieren. Es gebe auch keine Grundlage im Gesetz, wonach er verpflichtet sei, sein Arztzeugnis ständig auf sich zu tragen und dieses «beliebigen Mitarbeitern von Geschäften, der Bahn und Drittpersonen» vorzuzeigen. Alles andere verstosse in unverhältnismässiger Weise «gegen Daten und Persönlichkeitsrechte», gegen die ärztliche Schweigepflicht sowie gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Das Angebot im öffentlichen Verkehr dürfe nicht vom vorgängigen Vorweisen eines entsprechenden Zeugnisses abhängig gemacht werden.
Mit den darüberhinausgehenden Erwägungen der Vorinstanz zur Rechtmässigkeit der angewendeten Bestimmungen setzt sich der Beschuldigte nicht auseinander. Er beschränkt sich darauf, in der Berufungserklärung vom 17. Oktober 2021 «sämtliche Ausführungen, Mutmassungen, Annahmen, Herleitungen und Legitimationsversuche, welche in Bezug auf die Rechtssache durch das Gericht Emmental Oberaargau argumentativ in deren Begründungen festgehalten werden» vollumfänglich zu bestreiten (pag. 66). Insbesondere bringt er nicht mehr ausdrücklich vor, es fehle der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr an einer genügenden gesetzlichen Grundlage, und die Covid-19-Verordnung besondere Lage hätte auf sechs Monate befristet werden müssen (vgl. pag. 37). Auf die entsprechenden Überlegungen der Vorinstanz wird deshalb nur in der gebotenen Kürze eingegangen.
3. Anwendbare Strafbestimmung
Gestützt auf Art. 9 Abs. 1 BGST macht sich schuldig, wer Anordnungen einer erkennbar mit Sicherheitsaufgaben betrauten Person zuwiderhandelt. Sicherheitsorgane im Sinne der Bestimmung sind der Sicherheitsdienst und die Transportpolizei der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 BGST). Die Sicherheitsorgane gewährleisten den Schutz der Reisenden, der Angestellten, der transportierten Güter, der Infrastruktur und der Fahrzeuge sowie einen ordnungsgemässen Betrieb (Art. 2 Abs. 1 BGST).
Bei der Strafnorm von Art. 9 Abs. 1 BGST handelt es sich um eine Blankettstrafnorm. Welches Verhalten unter Strafe gestellt wird, ergibt sich aus der konkreten Anordnung der involvierten Sicherheitsorgane. Die Anordnungen haben sich dabei im Rahmen der Befugnisse gemäss Art. 4 BGST zu bewegen (Straub et al., Der öffentliche Personenverkehr – Haftung und Sicherheitsfragen, in: Furrer/Vasella, Schriftenreihe zum Logistik- und Transportrecht, Band/Nr. 9, 2017, S. 168). Gestützt auf Art. 4 Abs. 1 BGST können die Sicherheitsorgane unter anderem Personen befragen und Ausweiskontrollen vornehmen sowie Personen, die sich vorschriftswidrig verhalten, anhalten, kontrollieren und wegweisen (Bst. a und b).
Seit dem 6. Juli 2020 gilt im öffentlichen Verkehr grundsätzlich eine Maskenpflicht (Art. 3a Covid-19-Verordnung besondere Lage). Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine Transport- und Benützungsvorschrift im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Bst. a BGST, für deren Beachtung die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr zu sorgen haben. Anders als vom Beschuldigten dargestellt, sind Sicherheitsorgane im Sinne des BGST demnach befugt, die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr durch Anhaltung, Kontrolle und Wegweisung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. b BGST durchzusetzen. Davon ging auch der Bundesrat bei Einführung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr aus. In den Erläuterungen zur Covid-19-Verordnung besondere Lage wurde festgehalten, die Widerhandlung gegen die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sei strafbar und zwar entweder gestützt auf Art. 83 EpG – bei einer Kontrolle durch den Sicherheitsdienst die Transportpolizei gemäss BGST – gestützt auf Art. 9 BGST (Erläuterungen zur Covid-19-Verordnung besondere Lage, Stand 3. Juli 2020, S. 3).
Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr sind somit gestützt auf Art. 4 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 BGST i.V.m. Art. 3a Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage befugt, die Einhaltung der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr zu kontrollieren und durchzusetzen. Die Widerhandlung gegen eine entsprechende Anordnung von Angehörigen der Sicherheitsorgane wird gestützt auf Art. 9 Abs. 1 BGST bestraft.
4. Zulässigkeit der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr
4.1 Befugnis des Bundesrates zum Erlass der Maskenpflicht
Die Covid-19-Verordnung besondere Lage wurde gestützt auf Art. 6 Abs. 2 Bst. a und b EpG durch den Bundesrat erlassen. Nach diesem Artikel hat der Bundesrat in der besonderen Lage die Befugnis, anstelle der Kantone die im EpG definierten Massnahmen anzuordnen (vgl. Botschaft vom 3. Dezember 2010 zur Revision des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen [nachfolgend: Botschaft zum EpG], BBl 2011 365, S. 362 ff.). Eine besondere Lage liegt gemäss Art. 6 Abs. 1 EpG vor, wenn a.) die ordentlichen Vollzugsorgane nicht in der Lage sind, den Ausbruch und die Verbreitung übertragbarer Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, und eine erhöhte Ansteckungs- und Ausbreitungsgefahr, eine besondere Gefährdung der öffentlichen Gesundheit die Gefahr schwerwiegender Auswirkungen auf die Wirtschaft auf andere Lebensbereiche besteht; b.) die Weltgesundheitsorganisation (WHO) festgestellt hat, dass eine gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite besteht und durch diese in der Schweiz eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit droht (vgl. Botschaft zum EpG, BBl 2011 311, 364).
Die Vorinstanz hat ausführlich und zutreffend begründet, weshalb in der Schweiz ab Erlass der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr bis zum Tatzeitpunkt die Voraussetzungen der besonderen Lage erfüllt waren. Die Kammer schliesst sich diesen Überlegungen vorbehaltlos an (pag. 51 ff., S. 6 ff. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung). Es wird lediglich ergänzt, dass das Bundesgericht seit Erlass der Covid-19-Verordnung besondere Lage bereits zahlreiche kantonale Erlasse überprüft hat, die sich auf diese Verordnung stützten. In keinem Entscheid wurde dabei in Frage gestellt, dass die Covid-19-Pandemie ab dem Frühjahr 2020 in der Schweiz eine besondere Lage ausgelöst hat. Im Gegenteil: In mehreren Entscheiden hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Kantone aufgrund der angespannten epidemiologischen Situation befugt waren, Massnahmen zu erlassen, die über die Covid-19-Verordnung besondere Lage hinausgingen (Urteile des Bundesgerichts 2C_290/2021 vom 3. September 2021 E. 6.3.3, 2C_183/2021 vom 23. November 2021 E. 3.7, 2C_308/2021 vom 3. September 2021 E. 5.5.3, 2C_941/2020 vom 8. Juli 2021 E. 3.2.2; spezifisch zur Lage Ende 2020: Urteil des Bundesgerichts 1C_659/2020 vom 11. März 2021 E. 2.4).
4.2 Verletzung verfassungsmässiger Rechte
Die Vorinstanz hat sich im Rahmen einer Grundrechtsprüfung damit auseinandergesetzt, ob die vom Bundesrat in der Covid-19-Verordnung besondere Lage angeordnete Maskenpflicht grundrechtskonform sei und hat dies bejaht. Auf diese Ausführungen wird vorab verwiesen (pag. 54 f., S. 9 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung).
In Ergänzung zu den Erwägungen der Vorinstanz fällt ins Gewicht, dass sich das Bundesgericht in mehreren Entscheiden bereits ausführlich mit der Maskenpflicht in Einkaufsläden, in Schulen und in Kindertagesstätten auseinandergesetzt und dabei die Verfassungsmässigkeit der Maskenpflicht bestätigt hat (BGE 147 I 393 [Pra 110 2021 Nr. 107], Urteile des Bundesgerichts 2C_183/2021 vom 23. November 2021, 2C_228/2021 vom 23. November 2021 und 2C_115/2021 vom 21. Februar 2022). In den zitierten Entscheiden hat das Bundesgericht insbesondere festgehalten, es liege im öffentlichen Interesse, die Ausbreitung des Covid-19-Virus zu begrenzen und der Gebrauch von Gesichtsmasken trage nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft zur Beschränkung einer Ausbreitung des Virus bei. Die Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske in bestimmten Situationen sei deshalb eine geeignete Massnahme zur Eindämmung der Pandemie. Diese Ausführungen treffen auch auf die Situation im öffentlichen Verkehr zu, in der sich zahlreiche Personen während teilweise längerer Zeit in einem geschlossenen Raum aufhalten. Das Tragen einer Gesichtsmaske ist in dieser Situation geeignet, einer Ausbreitung des Covid-19-Virus zu begegnen, zumal dort ein rasches Unterbrechen der Ansteckungskette durch ein Contact Tracing erschwert wird, weil in der Regel nicht eruiert werden kann, wer sich bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln in einer Ansteckungssituation befunden hat. Auch in Bezug auf die Kriterien der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit können die Überlegungen des Bundesgerichts auf die Situation im öffentlichen Verkehr übertragen werden. Wie bei Schulen und Einkaufsläden handelt es sich beim öffentlichen Verkehr um ein Angebot der Grundversorgung, dessen Einschränkung durch Schliessungen Kapazitätsbeschränkungen so lange wie möglich verhindert werden soll. Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr erlaubt es, die Verkehrsbetriebe ohne weitere Einschränkungen offen zu halten und stellt somit ein vergleichsweise mildes Mittel zur Eindämmmung der Pandemie dar. In Bezug auf die Zumutbarkeit fällt besonders ins Gewicht, dass für Personen, denen das Tragen einer Gesichtsmaske aus medizinischen anderen Gründen nicht möglich ist, eine Ausnahme vorgesehen wurde. Der Umstand, dass solche Gründe auf Nachfrage nachzuweisen sind, mag für die Betroffenen mit einer gewissen Umständlichkeit verbunden sein. Dieses persönliche Interesse vermag aber das öffentliche Interesse an einer Begrenzung der Ausbreitung des Covid-19-Virus und damit an der Begrenzung der Zahl der Spitaleinweisungen, der Todesfälle sowie der wirtschaftlichen Gefahren, die mit den Folgen dieser Krankheit verbunden sind, nicht zu überwiegen (vgl. BGE 147 I 393 E. 5.3.5).
4.3 (Fehlende) zeitliche Befristung der Covid-19-Verordnung besonderen Lage
Gemäss Art. 185 Abs. 3 BV kann der Bundesrat unmittelbar gestützt auf diesen Artikel Verordnungen und Verfügungen erlassen, um eingetretenen unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung der inneren äusseren Sicherheit zu begegnen («Notverordnungen und -verfügungen»). Solche Verordnungen sind zu befristen und treten gemäss Art. 7d RVOG sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten ausser Kraft, wenn der Bundesrat der Bundesversammlung bis dahin keinen Entwurf einer gesetzlichen Grundlage für den Inhalt der Verordnung, einer Verordnung der Bundesversammlung gemäss Art. 173 Abs. 1 Bst. c BV unterbreitet.
Bei der Covid-19-Verordnung besondere Lage handelt es sich allerdings um eine bundesrätliche Verordnung gestützt auf Art. 6 Abs. 2 EpG und nicht um eine Notverordnung. Sie ist somit nicht von einer Pflicht zur zeitlichen Befristung gemäss Art. 7d RVOG Art. 185 Abs. 3 BV betroffen. Eine solche Pflicht ergibt sich auch nicht aus dem EpG: Gestützt auf Art. 31 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 3 EpG dürfen die dort vorgesehenen Massnahmen zwar lediglich solange dauern wie nötig und sind regelmässig zu überprüfen. Diese Vorschriften gelten nicht nur in der normalen, sondern auch in der besonderen Lage (vgl. Art. 6 Abs. 2 Bst. a und b EpG sowie Botschaft zum EpG, BBl 2011 365, S. 362 ff.). Sie können jedoch nicht mit einer Pflicht zur Befristung einer Verordnung gleichgesetzt werden. Die Anforderung von Art. 31 Abs. 4 und Art. 40 Abs. 3 EpG sind vielmehr bereits erfüllt, wenn eine Verordnung laufend an die geänderten Verhältnisse angepasst werden (Urteil des Bundesgerichts 2C_941/2020 vom 8. Juli 2021 E. 3.3.6). Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, wurde die Covid-19-Verordnung besondere Lage seit ihrem Inkrafttreten immer wieder geändert und den neusten Entwicklungen und Erkenntnissen angepasst (pag. 56, S. 11 der erstinstanzlichen Urteilsbegründung). Die Verordnung entspricht demnach den gesetzlichen Anforderungen und der Beschuldigte kann aus der fehlenden zeitlichen Befristung der Verordnung nichts zu seinen Gunsten ableiten.
4.4 Fazit
Die Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske im öffentlichen Verkehr gemäss Art. 3a Covid-19-Verordnung besondere Lage stützt sich auf eine genügende rechtliche Grundlage und entspricht den Anforderungen der Bundesverfassung.
5. Nachweis eines «besonderen Grundes»
Von der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sind gemäss Art. 3a Covid-19-Verordnung besondere Lage unter anderem Personen ausgenommen, die nachweisen können, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen können. Aus dieser Formulierung ergibt sich, dass ein reines Behaupten Glaubhaftmachen solcher besonderen Gründe entgegen der Darstellung des Beschuldigten nicht ausreicht.
Dies wird durch die Erläuterungen des Bundesrates bei Einführung der Maskenpflicht bestätigt (Erläuterungen zur Covid-19-Verordnung besondere Lage, Stand 3. Juli 2020, S. 3):
Zum andern sind Personen von der Maskenpflicht ausgenommen, die aus besonderen Gründen keine Gesichtsmaske tragen können (Bst. b). Dabei kann es sich namentlich um medizinische Gründe handeln, die gegebenenfalls plausibel auszuweisen sind (Gesichtsverletzungen, hohe Atemnot, Angstzustand beim Tragen einer Gesichtsmaske, Menschen mit bestimmten Behinderungen, für die das Tragen einer Maske nicht zumutbar in der Praxis – beispielsweise wegen motorischen Einschränkungen – nicht umsetzbar ist etc.). Zu Zwecken einer erforderlichen Kommunikation mit Menschen mit einer Hörbehinderung kann insbesondere das Personal die Maske selbstverständlich abnehmen.
Später präzisierte der Bundesrat sowohl die Verordnung als auch die Erläuterung hinsichtlich des Nachweises dieser besonderen Gründe. Zum einen wurde ab dem 18. Januar 2021 vorgeschrieben, dass für den Nachweis medizinischer Gründe ein Attest einer Fachperson erforderlich ist, die nach dem Medizinalberufegesetz dem Psychologieberufegesetz zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt ist (Art. 3a Abs. 1 Bst. b Covid-19-Verordnung besondere Lage, Stand 18. Januar 2021). Zum anderen enthalten die Erläuterungen vom 27. Januar 2021 zusätzlich Beispiele für nichtmedizinische Gründe, die von der Maskenpflicht befreien können (Erläuterungen zur Covid-19-Verordnung besondere Lage, Stand 27. Januar 2021, S. 3):
Als Beispiel für nicht medizinische Gründe kann der Fall eines selbstständig tätigen Handwerkers aufgeführt werden, wenn bei dessen Tätigkeit aus Sicherheitsgründen aufgrund der Art der Tätigkeit keine Maske getragen werden kann (in Analogie zu Art. 10 Abs. 1bis Bst. b betr. Arbeitnehmende). Unzureichend sind hingegen Selbstdeklarationen von betroffenen Personen ohne Angabe eines einschlägigen besonderen Grundes im Sinne der vorliegenden Bestimmung.
Diese Präzisierungen zum Nachweis von besonderen Gründen waren im Tatzeitpunkt noch nicht in Kraft resp. publiziert, verdeutlichen jedoch anschaulich, welche nichtmedizinischen Gründe von einer Maskenpflicht befreien können.
Aus diesen Erläuterungen geht ebenfalls hervor, dass Gründe, die eine Person vom Tragen einer Gesichtsmaske befreien, nachzuweisen sind, zumindest sofern sie nicht offensichtlich äusserlich wahrnehmbar sind. Dies ergibt sich schliesslich auch aus dem Sinn der Norm: Ohne Nachweis kann nicht überprüft werden, ob der geltend gemachte Grund für die Befreiung von der Maskenpflicht ein «besonderer Grund» im Sinne der Bestimmung ist. Dabei ist bei einem ärztlichen Zeugnis nicht zwingend, dass sich dieses zu den konkreten medizinischen Diagnosen äussert. Das Ausstellen eines falschen ärztlichen Zeugnisses ist gemäss Art. 318 StGB strafbewehrt. Ein ärztliches Zeugnis, welches bestätigt, dass die betroffene Person aus medizinischen Gründen keine Maske tragen kann, geniesst deshalb – ähnlich einem Arbeitsunfähigkeitszeugnis – besonderes Vertrauen. In diesem Sinne kann dem Beschuldigten nicht gefolgt werden, wenn er argumentiert, mit einer Einsichtnahme in ein solches Zeugnis werde in unverhältnismässiger Weise in seine Privatsphäre die ärztliche Schweigepflicht eingegriffen (vgl. hierzu auch Ziff. 18.2 oben).
Wer besondere Gründe für die Befreiung von der Maskenpflicht geltend machen will, hat diese Gründe somit nachzuweisen und nicht bloss zu behaupten.
6. Subsumtion
6.1 Tatbestandsmässigkeit
Der Beschuldigte weigerte sich am 5. Januar 2021 zwischen ca. 18:51 Uhr und 18:57 Uhr im Zug Nr. __ auf der Strecke C.__ – D.__ zwischen E.__ und F.__ trotz Anweisung zweier Angehörigen des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft), eine Gesichtsmaske zu tragen.
Der Sicherheitsdienst der B.__(Bahngesellschaft) ist ein Sicherheitsorgan im Sinne von Art. 1 und 2 BGST (vgl. Straub et al., a.a.O., S. 169). Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass sich die beiden Angehörigen des Sicherheitsdienstes am 5. Januar 2021 vorschriftsgemäss als solche zu erkennen gaben (Art. 9 der Verordnung über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr [VST; SR 745.21]). Es gibt jedenfalls weder in den Aussagen des Beschuldigten noch sonst in den Akten Hinweise auf das Gegenteil (siehe pag. 50, S. 5 der erstinstanzlichen Urteilsbegründung). Indem die diensthabenden Angehörigen des Sicherheitsdienstes den Beschuldigten aufforderten, eine Maske zu tragen, hielten sie ihn dazu an, die Maskenpflicht gemäss Art. 3a Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage zu befolgen und erteilten ihm damit eine Anweisung im Sinne von Art. 9 BGST. Der Beschuldigte hatte Kenntnis von dieser Aufforderung und wusste, dass diese sich auf die Maskenpflicht gemäss der Covid-19-Verordnung besondere Lage bezog. Es entsprach seinem direkten Willen, diese Maskenpflicht nicht zu befolgen. Indem sich der Beschuldigte weigerte, dieser Anweisung nachzukommen, erfüllte er den Tatbestand von Art. 9 BGST.
6.2 Rechtfertigung und Schuld
Der Beschuldigte macht geltend, aus besonderen medizinischen Gründen von der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr befreit zu sein. Zugleich ist erstellt, dass er sich sowohl während der fraglichen Zugfahrt, als auch an der erstinstanzlichen Verhandlung weigerte, einen Nachweis dafür zu erbringen.
Wie aus dem Ereignisbericht der B.__(Bahngesellschaft) und aus dem Protokoll der erstinstanzlichen Verhandlung anschaulich hervorgeht, sind beim Beschuldigten keine Gründe offensichtlich wahrnehmbar, die ihm das Tragen einer Gesichtsmaske verunmöglichen würden (pag. 4 und pag. 32 ff.). Es war demnach am Beschuldigten, die geltend gemachten Gründe in geeigneter Weise nachzuweisen – ein blosses Glaubhaftmachen reicht nicht. Entgegen der Darstellung des Beschuldigten waren die beiden Angehörigen des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft) gestützt auf Art. 4 Abs. 1 Bst. b BGST berechtigt, beim Beschuldigten den Nachweis für die angebliche Maskendispensation zu kontrollieren. Ebenfalls war es dem Beschuldigten nach dem Gesagten zuzumuten, zur Ermöglichung dieser Kontrolle ein Arztzeugnis mit sich zu führen, wenn er den öffentlichen Verkehr benutzen wollte. Dennoch hat der Beschuldigte weder auf der fraglichen Zugfahrt gegenüber dem Sicherheitsdienst der B.__(Bahngesellschaft) noch im erstinstanzlichen Verfahren einen Nachweis vorgelegt, der ihn für den 5. Januar 2021 von der Maskenpflicht entbunden hätte. Die reine Behauptung des Beschuldigten, er verfüge über ein Arztzeugnis, das ihn von der Maskenpflicht befreie, genügt nicht, um sein Verhalten zu rechtfertigen.
Andere rechtfertigende schuldausschliessende Umstände sind nicht ersichtlich.
6.3 Fazit
Mit seinem Verhalten hat der Beschuldigte somit den Anweisungen des Sicherheitsdienstes der B.__(Bahngesellschaft) zuwidergehandelt und dadurch den Tatbestand von Art. 9 BGST erfüllt.
IV. Strafzumessung
1. Vorbemerkung
Aufgrund des geltenden Verschlechterungsverbots ist es der Kammer nicht erlaubt, die Strafe zu Ungunsten des Beschuldigten abzuändern. Die Vorinstanz hat diesen zu einer Übertretungsbusse von CHF 250.00 verurteilt und die Ersatzfreiheitsstrafe auf drei Tage festgesetzt.
2. Übertretungsbusse
Eine Widerhandlung gemäss Art. 9 BGST wird mit Busse bis CHF 10'000.00 bestraft.
Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass mit der Strafbestimmung des BGST primär die Durchsetzungskraft der Sicherheitsorgane verbessert werden soll. Die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr dient zudem dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und dem Gesundheitswesen und somit wichtigen Polizeigütern. Die einmalige Weigerung, den Anweisungen des Sicherheitsdienstes während einer Zugfahrt von wenigen Minuten Folge zu leisten, stellt jedoch eine vergleichsweise geringe Verletzung dieser Rechtsgüter dar. Darauf weist auch der Umstand hin, dass die Widerhandlung gegen Art. 3a Abs. 1 Covid-19 Verordnung besondere Lage im Bussenkatalog der OBV aufgeführt wird. Das Verschulden des Beschuldigten ist deshalb als sehr leicht zu bezeichnen. Dem Tatverschulden ist eine Busse in der Grössenordnung von CHF 100.00 angemessen. Im Rahmen der Täterkomponente wirkt sich straferhöhend aus, dass der Beschuldigte keinerlei Einsicht Reue zeigte und sich im Gegenteil auch an der erstinstanzlichen Verhandlung weigerte, eine Gesichtsmaske zu tragen und dem Gerichtspräsidenten ein entsprechendes ärztliches Zeugnis vorzuzeigen. Sein diesbezügliches Aussageverhalten zeigt deutlich auf, dass er auch künftig nicht gewillt ist, sich an diesbezüglich geltende Regeln zu halten (vgl. pag. 35 f.). Dieser Umstand führt zu einer Erhöhung der Busse auf CHF 150.00. Die weiteren Täterkomponenten werden neutral gewertet.
Der Beschuldigte wird demnach mit einer Übertretungsbusse von CHF 150.00 bestraft. Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung wird auf 2 Tage festgesetzt.
V. Kosten und Entschädigung
1. Erstinstanzliches Verfahren
Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Der Schuldspruch der ersten Instanz wird im vorliegenden Verfahren vollumfänglich bestätigt. Demzufolge hat der Beschuldigte die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von insgesamt CHF 1'450.00 zu tragen. Eine Entschädigung ist nicht auszurichten (Art. 429 StPO).
2. Oberinstanzliches Verfahren
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob eine Partei im Rechtsmittelverfahren als obsiegend unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Berufungsgericht gestellten Anträge gutgeheissen wurden.
Der Beschuldigte beantragte oberinstanzlich einen Freispruch. Mit vorliegendem Urteil wird der Schuldspruch der Vorinstanz bestätigt, die Busse jedoch von CHF 250.00 auf CHF 150.00 reduziert. Damit obsiegt der Beschuldigte im Umfang von rund einem Drittel. Er hat deshalb lediglich zwei Drittel der oberinstanzlichen Verfahrenskosten zu tragen. Die restlichen Verfahrenskosten gehen zu Lasten des Kantons Bern.
Die Kosten für das oberinstanzliche Verfahren werden in Anwendung von Art. 24 Abs. 1 Bst. a des Verfahrenskostendekrets (VKD; BSG 161.12) auf CHF 1’500.00 bestimmt. Davon hat der Beschuldigte CHF 1'000.00 zu tragen. Eine Entschädigung ist nicht auszurichten (Art. 429 StPO).

VI. Dispositiv
Die 2. Strafkammer erkennt:
I.
A.__ wird schuldig erklärt:
der Widerhandlung gegen das Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr, begangen am 5. Januar 2021, 18:51 Uhr bis 18:57 Uhr auf der Zugstrecke E.__ – F.__
und in Anwendung der Artikel
2 Abs. 2, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Bst. b, 9 Abs. 1 BGST
3a Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage
6 Abs. 2 Bst. b, 40 EpG
47, 104, 106, 333 StGB
426, 428 StPO
verurteilt:
1. zu einer Übertretungsbusse von CHF 150.00.
Die Ersatzfreiheitsstrafe bei schuldhafter Nichtbezahlung wird auf 2 Tage festgesetzt.
2. zur Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 1'450.00.
3. zur Bezahlung von zwei Dritteln der oberinstanzlichen Verfahrenskosten von insgesamt CHF 1'500.00, ausmachend CHF 1'000.00. Die restlichen Verfahrenskosten von CHF 500.00 trägt der Kanton Bern.
II.
Zu eröffnen:
• dem Beschuldigten/Berufungsführer
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• dem Bundesamt für Gesundheit



Bern, 28. März 2022
Im Namen der 2. Strafkammer
Der Präsident i.V.:
Oberrichter Horisberger

Die Gerichtsschreiberin:
Hafner



Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/

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