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Urteil Obergericht (BE)

Zusammenfassung des Urteils SK 2020 201: Obergericht

Der Beschuldigte wurde vom Regionalgericht Bern-Mittelland wegen fahrlässiger Tötung verurteilt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 60.00 verurteilt, insgesamt CHF 3'600.00. Die erstinstanzlichen Verfahrenskosten betrugen CHF 10'635.50. Der Beschuldigte legte Berufung ein, die vor dem Obergericht des Kantons Bern verhandelt wurde. Es bestanden unterschiedliche Aussagen über den genauen Ablauf des Unfalls, insbesondere darüber, ob der Beschuldigte vor dem Befahren des Trottoirs einen Blick aus dem linken Seitenfenster gemacht hatte. Sowohl Zeugen als auch der Beschuldigte selbst machten konträre Angaben zu diesem Punkt. Letztendlich konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob der Beschuldigte ausreichende Kontrollen durchgeführt hatte, bevor es zur Kollision mit dem Fahrradfahrer kam. Das Gericht musste sich auf die vorliegenden Beweismittel stützen, um eine Entscheidung zu treffen.

Urteilsdetails des Kantongerichts SK 2020 201

Kanton:BE
Fallnummer:SK 2020 201
Instanz:Obergericht
Abteilung:-
Obergericht Entscheid SK 2020 201 vom 15.10.2020 (BE)
Datum:15.10.2020
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Fahrlässige Tötung
Schlagwörter : Beschuldigte; Trottoir; Beschuldigten; Aussagen; Lastwagen; Abbiegemanöver; Fahrzeug; Urteil; Mädchen; Verkehr; Unfall; Fahrrad; Blick; Vorinstanz; Trottoirs; Sicht; Seitenfenster; Aufmerksamkeit; Einfahrt; Strasse; Richtung; Geschwindigkeit; Befahren; Kontrollblick; Kollision
Rechtsnorm:Art. 117 StGB ;Art. 12 StGB ;Art. 13 VRV ;Art. 26 SVG ;Art. 29 SVG ;Art. 3 VRV ;Art. 31 SVG ;Art. 34 StGB ;Art. 391 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 42 StGB ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 43 SVG ;Art. 71a VTS ;
Referenz BGE:100 IV 279; 118 IV 277; 122 IV 225; 125 IV 83; 127 IV 34; 130 IV 7; 131 IV 145; 133 IV 158; 134 IV 82; 134 IV 97; 135 IV 56; 138 IV 120; 93 IV 115;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SK 2020 201

SK 2020 201 - Fahrlässige Tötung
Obergericht
des Kantons Bern

1. Strafkammer
Cour suprême
du canton de Berne

1re Chambre pénale

Hochschulstrasse 17
Postfach
3001 Bern
Telefon +41 31 635 48 08
Fax +41 31 634 50 54
obergericht-straf.bern@justice.be.ch
www.justice.be.ch/obergericht
Urteil
SK 20 201
Bern, 15. Oktober 2020



Besetzung Oberrichter Vicari (Präsident), Oberrichterin Friederich Hörr,
Oberrichter Studiger
Gerichtsschreiberin Ragonesi



Verfahrensbeteiligte A.__
verteidigt durch Fürsprecher B.__
Beschuldigter/Berufungsführer
gegen
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern




Gegenstand Fahrlässige Tötung

Berufung gegen das Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland (Einzelgericht) vom 5. Februar 2020 (PEN 2019 530)
Erwägungen:
I. Formelles
Erstinstanzliches Urteil
Mit Urteil des Regionalgerichts Bern-Mittelland (Kollegialgericht; nachfolgend: Vorinstanz) vom 5. Februar 2020 (pag. 197.1 ff.) wurde A.__ (nachfolgend: Beschuldigter) der fahrlässigen Tötung, begangen am 21. November 2018 in D.__, E.__ (Strasse), schuldig erklärt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu CHF 60.00, ausmachend total CHF 3'600.00 (unter Gewährung des bedingten Vollzugs und Ansetzung einer Probezeit von zwei Jahren), verurteilt. Gleichzeitig wurden ihm die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von insgesamt CHF 10'635.50 zur Bezahlung auferlegt.
Berufung
Gegen das besagte Urteil meldete Fürsprecher B.__ namens und im Auftrag des Beschuldigten formund fristgerecht Berufung an (pag. 199). Die schriftliche Urteilsbegründung wurde am 28. April 2020 erstellt (pag. 203 ff.) und dem Beschuldigten mit Verfügung vom 29. April 2020 zugestellt (pag. 233). Mit Eingabe vom 20. Mai 2020 erklärte der Beschuldigte sodann formund fristgerecht die Berufung (pag. 237 f.) und teilte mit, dass das Urteil der Vorinstanz vom 5. Februar 2020 vollumfänglich angefochten werde. Mit Verfügung vom 25. Mai 2020 wurde der Generalstaatsanwaltschaft Gelegenheit geboten, innert Frist Anschlussberufung zu erklären begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen (pag. 240 f.). Die Generalstaatsanwaltschaft teilte mit Schreiben vom 5. Juni 2020 mit, dass sie auf die Teilnahme am oberinstanzlichen Verfahren verzichte (pag. 243 f.).
Die Berufungsverhandlung vor der 1. Strafkammer fand am 15. Oktober 2020 statt (pag. 261 ff.).
Oberinstanzliche Beweisergänzungen
Im Hinblick auf die oberinstanzliche Hauptverhandlung vom 15. Oktober 2020 wurde über den Beschuldigten von Amtes wegen ein aktueller Strafregisterauszug, datierend vom 1. Oktober 2020, eingeholt (pag. 259).
Ferner wurden der Beschuldigte und der Zeuge C.__ in der oberinstanzlichen Hauptverhandlung ergänzend befragt (pag. 263 ff.).
Anträge der Verteidigung
Die Verteidigung stellte im Rahmen der oberinstanzlichen Hauptverhandlung vom 15. Oktober 2020 folgende Anträge (pag. 278; Hervorhebungen im Original):
I.
A.__, von F.__, G.__ (Strasse), H.__, sei
frei zu sprechen
vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung, angeblich begangen am 21.11.2018 in D.__, zN von I.__,
unter Ausrichtung einer Entschädigung für die angemessene Verteidigung sowie unter Auferlegung der Verfahrenskosten vor erster und zweiter Instanz an den Staat.
II.
Es seien die notwendigen Verfügungen zu treffen.
Verfahrensgegenstand und Kognition der Kammer
Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Der Beschuldigte hat das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich angefochten. Es ist damit gesamthaft durch die Kammer zu überprüfen.
Die Kammer verfügt dabei über volle Kognition (Art. 398 Abs. 2 StPO). Aufgrund der alleinigen Berufung des Beschuldigten ist sie allerdings an das Verschlechterungsverbot (Verbot der sog. «reformatio in peius») gemäss Art. 391 Abs. 2 StPO gebunden, d.h. sie darf das Urteil nicht zu Ungunsten der beschuldigten Person abändern.
II. Sachverhalt und Beweiswürdigung
1. Vorwurf gemäss Anklageschrift
Dem Beschuldigten wird gemäss Anklageschrift vom 18. Juni 2019 (pag. 167 ff.) folgender Sachverhalt vorgeworfen:
fahrlässige Tötung (Art. 117 StGB)
begangen am 21.11.2018 in D.__, E.__(Strasse), z.N. von I.__, geb. .__, durch folgendes Vorgehen:
A.__ befuhr mit einem schweren Lastwagen-Anhängerzug (Lastwagen J.__ mit den Kontrollschildern .__ und Sachentransportanhänger K.__ mit den Kontrollschildern .__) der L.__ (Firma) von M.__ herkommend die N.__ Richtung D.__ mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h. In der Absicht, links auf das Gelände der Firma O.__ einzubiegen, tätigte er auf dessen Höhe den linken Richtungsblinker, verlangsamte seine Fahrt auf ca. 15 km/h und liess vorerst die auf der Gegenfahrbahn sich nähernden Fahrzeuge, die nach links in Richtung Bahnhof D.__ abbiegen wollten, passieren. Darauf holte er nach rechts aus, um mit seinem Anhängerzug die dortige Mittelinsel mit genügend Abstand umfahren zu können. Nach beidseitig getätigten Kontrollblicken setzte er seine Fahrt mit ca. 13 km/h in Richtung Firmengelände fort. Als er die Gegenfahrbahn überquerte und mit der Lenkachse das angrenzende Trottoir befuhr, erfasste er I.__, welche mit ihrem Fahrrad P.__ von ihrem Domizil am Q.__ (Weg) herkommend auf dem Trottoir Richtung D.__ fuhr. Durch die Kollision kam I.__ zu Fall, geriet unter die zweite Lenkachse des Lastwagens und wurde einige Meter mitgeschleift. A.__ bremste bis zum Stillstand ab, stieg aus der Führerkabine aus, hielt Nachschau und setzte anschliessend seinen Lastwagen etwas zurück, um die Radfahrerin befreien zu können. Aufgrund der erlittenen Verletzungen verstarb I.__ noch auf der Unfallstelle.
In pflichtwidriger Unvorsichtigkeit beachtete der Beschuldigte die ihm obliegende Sorgfaltspflicht der vorschriftsgemässen Ausrüstung seines Anhängerzuges nicht, indem er den an der fahrerseitigen Seitenscheibe angebrachten Vorhang zu weit nach vorne gezogen hatte. Dadurch verletzte er die Bestimmungen, dass er bei einer Augenhöhe von 0,75m über der Sitzfläche, ausserhalb eines Halbkreises von 12,0m Radius die Fahrbahn frei überblicken können muss sowie dass an, vor hinter den Scheiben, die für die Sicht des Führers nötig sind, keine Gegenstände angebracht werden dürfen, welche die Sicht des Führers beeinträchtigen können (Art. 71a Abs. 1 und 4 VTS). Dies schränkte sein Sichtfeld insbesondere in die Richtung, von welcher I.__ herkam, ein. Ausserdem brachte der ortskundige Beschuldigte beim Überqueren des Trottoirs nicht die gebotene Aufmerksamkeit auf. Dies alles führte dazu, dass er während seines Abbiegemanövers die auf dem Trottoir fahrende Fahrradfahrerin nicht resp. nicht rechtzeitig wahrnahm.
2. Beweisergebnis der Vorinstanz
Die Vorinstanz gelangte im Rahmen ihrer Beweiswürdigung zu folgendem Schluss (S. 16 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 218 f.):
A.__ befuhr am 21.11.2018 mit dem Lastwagen .__ inkl. Anhänger von M.__ herkommend die N.__ Richtung D.__ mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h. Die Strasse hat an der entscheidenden Stelle ein Gefälle von 5 %. Er fuhr dabei am Q.__ vorbei, aus welchem das spätere Unfallopfer, †I.__, ebenfalls auf die N.__ einbog, wo sie in der Folge, zeitlich etwas versetzt, in gleicher Richtung wie der Lastwagen auf dem linken Trottoir mit dem Fahrrad relativ zügig (genaue Geschwindigkeit steht nicht fest) Richtung Kreisel fuhr. A.__ seinerseits verlangsamte in der Anfahrt auf die O.__-Einfahrt seine Geschwindigkeit. Auf der Höhe des Firmengeländes der O.__ AG betätigte A.__ den linken Richtungsblinker, verlangsamte seine Fahrt auf ca. 15-13 km/h und liess vorerst die sich auf der Gegenfahrbahn nähernden Fahrzeuge, die nach links in Richtung Bahnhof D.__ abbiegen wollten, passieren, weil er die dortige Verkehrsfläche für sein Abbiegemanöver brauchte. Anschliessend begann er, nach rechts auszuholen, damit er die Mittelinsel ohne diese zu touchieren umfahren bzw. in die O.__-Einfahrt einfahren konnte. A.__ tätigte mehrere Kontrollblicke, zuerst in den rechten Seitenspiegel, dann durch das rechte Seitenfenster, Innenspiegel, Blick auf den Gegenverkehr sowie in den linken Seitenspiegel und auch durch das linke Seitenfenster. Es ist durchaus glaubhaft, dass er mehrere Kontrollblicke machte. Schliesslich, als die Gegenfahrbahn frei war, begann er ohne anzuhalten das eigentliche Abbiegemanöver. Dabei konzentrierte er sich darauf, die Mittelinsel nicht zu touchieren und die Einfahrt korrekt zu befahren. Mit Sicherheit hat er, wie er geltend machte, weitere Kontrollblicke getätigt. Nie aber hat er in seinen Aussagen einen „letzten“ Seitenblick vor dem Befahren des Trottoirs erwähnt. Erst als er sich bereits im Bereich des Einfahrtstores befand, folgte wieder ein Blick in den linken Seitenspiegel, wo er dann das bereits am Boden liegende Mädchen und dessen Fahrrad feststellte.
Beim Überqueren des Trottoirs kollidierte A.__ mit †I.__, welche, nach der Kollision im Bereich der ersten Lenkachse, stürzte und von der zweiten Lenkachse überfahren und ein kurzes Stück mitgeschleift wurde. †I.__ verstarb auf Grund der beim Unfall erlittenen schweren Kopfverletzungen noch vor Ort. A.__ begann das konkrete Abbiegemanöver bei einer Geschwindigkeit von ca. 13 km/h; im Kollisionszeitpunkt betrug die Geschwindigkeit seines Lastwagens noch ca. 8 km/h. †I.__ dürfte angesichts der Aussagen des Zeugen C.__ mit recht zügiger Geschwindigkeit mit dem Fahrrad auf dem Trottoir unterwegs gewesen sein.
Das Beweisverfahren hat bestätigt, dass am Lastwagen von A.__ auf der linken Seite, der Fahrerseite, ein Vorhang montiert war. Dieser war nach hinten geschoben und von hinten gesehen, bei 20cm fixiert (pag. 69). Das Gericht geht gestützt auf seine Ortskenntnisse (Linkskurve am fraglichen Ort) sowie mit Blick auf die Fotos von pag. 65 davon aus, dass A.__ in der entscheidenden Phase, d.h. beim Beginn des eigentlichen Abbiegemanövers (nach seinen Worten), mithin vor dem Befahren der Gegenfahrbahn, das Trottoir links von ihm genügend weit nach hinten mit seinem Weitwinkelspiegel überblicken konnte, sogar noch in beinahe aufrechter Position. Nachdem nun aber zusätzlich der bei der Ausfahrt T.__(Strasse) wartende Zeuge C.__ das sich von oben nähernde Mädchen auf dem Velo unter dem Lastwagen hindurch unmittelbar vor der Kollision sehen konnte, muss das auch für A.__ bei einem (weiteren) Blick durch das linke Seitenfenster vor dem eigentlichen Befahren des Trottoirs möglich gewesen sein. D.h. für das Gericht, dass †I.__ für A.__ in der entscheidenden Phase mit einem Kontrollblick durch das linke Seitenfenster sichtbar gewesen wäre. Einen solchen Blick hat er in keiner seinen Aussagen erwähnt. Ein solcher Seitenblick blieb offensichtlich aus.
Da sich gemäss UTD nicht abschliessend klären lässt, ob der effektiv vorhandene Seitenvorhang die Sicht und Wahrnehmung von A.__ allenfalls verändert haben könnte, wird diese Frage hier
offen gelassen. Dass der Vorhang den Rundumblick leicht einschränken kann, ist offensichtlich; dass dies hier entscheidend war, lässt sich mit dem vorliegenden Beweisergebnis aber nicht nachweisen.
3. Oberinstanzliche Vorbringen der Verteidigung
Vorab ist anzumerken, dass die Verteidigung im Rahmen der oberinstanzlichen Hauptverhandlung überwiegend rechtliche Ausführungen machte. Dennoch sind ihre Vorbringen, der besseren Übersicht halber, bereits an dieser Stelle aufzuführen und später (vgl. Ziff. 12 hiernach) darauf zu verweisen.
Fürsprecher B.__ führte im Rahmen der oberinstanzlichen Hauptverhandlung im Wesentlichen aus, dass der Sachverhalt bis auf ein paar juristische Würdigungen unbestritten sei. Heikel sei der Punkt, ob der Beschuldigte bei dem Abbiegemanöver die gebotene Aufmerksamkeit aufgewendet habe nicht. Sorgfaltswidrig sei eine Handlung dann, wenn die beschuldigte Person aufgrund der Umstände, ihrer Kenntnisse sowie Fähigkeiten die Gefährdung hätte erkennen können und müssen. Hinzu komme, dass die Grenze des erlaubten Risikos überschritten sein müsse. Der Taterfolg müsse sodann auch vermeidbar gewesen sein, wobei ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit genüge, dass der Erfolg ausgeblieben wäre. Ein erster Punkt sei der Vorhang in der Fahrerkabine. Es müsse in dubio davon ausgegangen werden, dass die Sichtverhältnisse des Beschuldigten nicht eingeschränkt gewesen seien. Entscheidend sei heute die allfällige Sorgfaltspflichtverletzung beim Abbiegen. Es stelle sich die Frage, ob der Beschuldigte die Fahrradfahrerin hätte sehen können und müssen. In der vorliegenden Animation sei ersichtlich, dass die Fahrradfahrerin von hinten her angefahren gekommen und jeweils im toten Winkel gewesen sei, so dass der Beschuldigte sie nicht habe sehen können. Bei 3.946 Sekunden sehe man den Anfang vom Abbiegemanöver. Dabei seien das Trottoir, die zu befahrende Spur, die linke Spur der O.__-Einfahrt und auch der Fussgängerstreifen frei gewesen. Im Weitwinkelspiegel hätte man vermutlich das Fahrrad erkennen können. Dieser Spiegel diene aber vor allem der Erkennung von Gegenständen, welche sich nah am Fahrzeug befinden würden. In die Ferne verzerre das Bild extrem. Wichtig sei, auf was der Beschuldigte habe achten müssen. Er habe zunächst zwei Fahrzeuge auf der Gegenfahrbahn passieren lassen, weil sein Fahrzeug diesen Platz für das Abbiegen benötigt habe. Dann habe er nach links und rechts geschaut, ob niemand um das Fahrzeug herum sei. Unfälle mit Lastwagen würden sich bekanntlich häufig deshalb ereignen, weil Fahrzeuge Fussgänger zu nah an den Lastwagen seien. Darauf sei folglich besondere Aufmerksamkeit zu richten. Dann hätten die normalen Kontrollblicke gefolgt. Der Beschuldigte habe auch auf den Zeugen C.__ achten müssen, zumal sich dieser verkehrsregelwidrig hätte verhalten können. Sodann habe er ein besonderes Augenmerk auf die Einfahrt der O.__, auf den Gegenverkehr, auf das Trottoir und die Umfahrung der Insel richten müssen. Der Beschuldigte habe die Kreuzung vorsichtig mit ca. 13 km/h befahren. Im Kollisionszeitpunkt seien dies noch etwa 8 km/h gewesen. Die Fahrradfahrerin habe sich, wie der Zeuge C.__ ausgesagt habe, hingegen rasch bewegt. Sie sei für ihre Grösse und ihr Alter wirklich sehr schnell unterwegs gewesen. Es sei eine Rechtsfrage, ob der Beschuldigte noch darauf hätte achten müssen, ob von oben her bzw. von links auf dem Trottoir ein sich rasch näherndes Fahrrad komme. Es sei physikalisch völlig unbestritten, dass solches auch für den Beschuldigten möglich gewesen wäre. Es sei logisch, dass auch er, wenn er im entscheidenden Moment aus dem Fenster gesehen hätte, das Mädchen hätte sehen können. Die Frage sei aber, ob von ihm erwartet werden dürfe, dass er dorthin hätte sehen müssen. Das Bundesgericht habe zwei ähnliche Fälle beurteilt (BGE 122 IV 225, BGE 127 IV 34). Es habe festgehalten, dass einem Fahrzeugführer für bestimmte Vorgänge eine geringere Aufmerksamkeit abverlangt werden könne. So müsse gerade der Fahrer eines schweren Sattelschleppers seine Aufmerksamkeit auf den Querverkehr richten und könne das verkehrswidrige Verhalten eines Dritten nur beschränkt wahrnehmen. Wesentlich sei, dass der Fahrer seine Aufmerksamkeit darauf richte, ob sich in seinem Fahrbereich ein Hindernis befinde. Das Bundesgericht habe sodann noch auf den Vertrauensgrundsatz verwiesen und festgehalten, dass der damalige Beschwerdeführer die Kreuzung langsam befahren habe. Es sei nicht zulässig, daraus zu schliessen, dass der Fehler eines anderen frühzeitiger hätte erkannt werden können. Dies bringe auch die vorliegende Problematik auf den Punkt. Natürlich hätte der Beschuldigte die Fahrradfahrerin sehen können. Er sei aber in einem grossen Lastwagen unterwegs gewesen. Aufgrund des Gewichts und der Länge habe er auf den Querverkehr schauen müssen und sei langsam gefahren. Nach Auffassung der Verteidigung sei er nicht verpflichtet gewesen, noch zu prüfen, ob sich auf dem Trottoir ein Fahrrad nähere. Schliesslich seien Fussgänger im Schritttempo unterwegs und auch ein anderes fahrbares Gerät von Kindern wäre nicht so schnell unterwegs gewesen. Es sei damit sehr wohl wesentlich, dass das Fahrrad zügig und verbotenerweise auf dem Trottoir gefahren sei, zumal alles andere für den Beschuldigten erkennbar gewesen wäre. Der letzte Blick aus dem linken Seitenfenster habe nicht gefehlt, er sei einfach nicht dorthin, wo die Vorinstanz ihn hätte haben wollen (pag. 274 ff.).
4. Unbestrittener / Bestrittener Sachverhalt
Wie bereits die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, wird der äussere Sachverhalt vom Beschuldigten im Wesentlichen nicht bestritten. Hierfür kann auf die korrekten Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (S. 5 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 207 f.). Es ist schliesslich auch nicht (mehr) bestritten, dass der Beschuldigte, hätte er im entscheidenden Moment aus dem linken Seitenfenster geschaut, das Mädchen hätte sehen können.
Bestritten und daher (auch) im oberinstanzlichen Verfahren zu überprüfen ist, ob der Vorhang im Lastwagen die Sicht des Beschuldigten nach links eingeschränkt und damit eine Auswirkung auf das Unfallgeschehen hatte sowie, ob der Beschuldigte beim Abbiegemanöver, namentlich beim Überqueren des Trottoirs, die nötige Aufmerksamkeit aufgewendet hat.
5. Beweismittel
5.1 Objektive Beweismittel
Die Vorinstanz hat die objektiven Beweismittel korrekt ins Verfahren eingebracht und gab diese richtig zusammengefasst wieder. Darauf kann vorweg verwiesen werden (S. 6 ff. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 208 ff.). Die vorliegenden objektiven Beweismittel werden dennoch kurz aufgeführt und, soweit notwendig, bereits an dieser Stelle gewürdigt.
Der Kammer liegen zur Beurteilung des angeklagten Sachverhalts folgende objektive Beweismittel vor:
Anzeigerapport vom 17. Januar 2019 (pag. 2 ff.):
Dem Beschuldigten wird durch die Polizei eine fahrlässige Tötung, evtl. das Führen eines nicht vorschriftsgemäss ausgerüsteten Anhängerzuges durch Sichtfeldeinschränkung durch die Seitenscheibe (Vorhang links nach vorne gezogen) und ungenügende Aufmerksamkeit auf den übrigen Verkehr (Fahrrad auf Trottoir) beim Linksabbiegen als Lenker eines schweren Anhängerzuges, begangen am 21. November 2018 um ca. 13.45 Uhr in D.__, E.__(Strasse), vorgeworfen. Die Unfallstelle befindet sich gemäss Unfallaufnahmeprotokoll auf dem Trottoir (pag. 5). Das Verkehrsaufkommen war normal, die Witterung bedeckt, der Strassenzustand trocken. Dem Unfallaufnahmeprotokoll kann zum kritischen Moment u.a. folgendes entnommen werden (pag. 6): B (der Beschuldigte) habe nach den beidseitig getätigten Kontrollblicken in den Seitenspiegeln die Fahrt mit ca. 13 km/h in Richtung Firmengelände fortgesetzt. Dabei habe B die Gegenfahrbahn passiert und sei mit der ersten Lenkachse auf das Trottoir gefahren. Die auf dem Trottoir herannahende Radfahrerin sei in der Folge frontal im Bereich der Lenkachsen gegen die linke Fahrzeugseite von B geprallt. Durch diesen Zusammenprall sei die Radfahrerin zu Boden gestürzt und unter das Rad der zweiten Lenkachse geraten. G (die Radfahrerin) sei vom Anhängerzug noch wenige Meter mitgeschleift worden. B habe durch einen erneuten Blick in den linken Seitenspiegel bemerkt, dass sich G im Bereich des Anhängerzugs befunden habe und habe umgehend eine Vollbremsung bis zum Stillstand eingeleitet. Die Fahrradfahrerin befand sich laut Unfallaufnahmeprotokoll auf einer Freizeit/Einkaufsfahrt (pag. 11). Die Schilderungen im Anzeigerapport geben den äusseren Ablauf des Unfalls wieder und sind grundsätzlich unbestritten.
Berichtsrapport vom 5. Dezember 2019 (pag. 28 ff.):
Im Berichtsrapport wird der technische Zustand des Lastwagens und des Anhängers beurteilt. Es wird festgehalten, dass beim Lastwagen fahrerseitig der Seitenvorhang nach vorne gezogen und fixiert worden ist. Dadurch sei der Sichtwinkel für den Chauffeur eingeschränkt. Gemäss Art. 71a Abs. 1 und 4 VTS müsse der Fahrzeuglenker bei einer Augenhöhe von 0.75m über der Sitzfläche ausserhalb eines Halbkreises (180 Grad) von 12.00 m Radius die Fahrbahn frei überblicken können. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen. Abgesehen von der Sichtfeldeinschränkung durch die Seitenvorhänge habe sich der Anhängerzug in vorschriftsgemässem und betriebssicheren Zustand befunden. Wie weit der ca. 20 cm nach vorne gezogene Seitenvorhang die Sicht des Fahrers beeinflusst und somit direkten Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt habe, könne nicht beurteilt werden.
Der Auswertung des Fahrtenschreibers ist sodann zu entnehmen, dass die Geschwindigkeit des Lastwagens bei Beginn des Abbiegemanövers 13 km/h, diejenige im Kollisionszeitpunkt 8 km/h betragen haben dürfte (pag. 32). Die Geschwindigkeit des Lastwagens und die Position des Vorhangs werden vom Beschuldigten nicht bestritten. Bestritten ist demgegenüber, dass der Beschuldigte aufgrund des Vorhangs in seiner Sicht eingeschränkt gewesen ist (vgl. S. 17 hiernach).
Dokumentation des Unfalltechnischen Dienstes (UTD) vom 21. November 2018 (pag. 36 ff.):
Der UTD hat den Unfall mit dem betroffenen Lastwagen in nachvollziehbarer Weise nachgestellt und zahlreiche Fotos erstellt. In der Dokumentation wird festgehalten, dass eine technische Ursache andere äussere Einflüsse, welche zum Unfallereignis geführt haben könnten, nach dem Ermessen der Experten ausgeschlossen werden könnten. Aufgrund des Unfallablaufs stelle sich die Frage, weshalb †I.__ nicht verzögert gebremst habe, um die Kollision zu verhindern, zumal der Anhängerzug aus ihrer Fahrtrichtung immer sichtbar gewesen sei. Inwiefern der ca. 20 cm vorgezogene Vorhang in der Fahrerkabine einen Einfluss auf das Unfallgeschehen gehabt habe, könne nicht abschliessend beurteilt werden.
Die polizeilichen Vermessungen und Nachstellungen sowie die umfangreiche Fotodokumentation ergeben ein klares Bild der Örtlichkeiten und des erfolgten Abbiegemanövers. So ist etwa auf dem Orthofoto/Kartenausschnitt auf pag. 37 klar eingezeichnet, wo der Beschuldigte (a) sein Abbiegemanöver startete, wo es genau zur Kollision gekommen ist und wo das Mädchen auf die N.__ gelangte (vgl. auch pag. 38 und 45, auf welchen das nur 125 m vom Unfallort entfernte Domizil des Mädchens [k] abgebildet ist). Deutlich erkennbar ist etwa auf pag. 39, dass die N.__ im Bereich der Einfahrt bzw. kurz vorher eine Kurve nach links macht. Am Ende dieser Kurve befindet sich die vom Beschuldigten umfahrene Mittelinsel (pag. 40 ff.). Die Fotos auf pag. 46 und 47 zeigen, was das Mädchen in seiner Anfahrt auf dem Trottoir sehen konnte; der Lastwagen wäre kaum zu übersehen. Pag. 42, 49 und 50 zeigen sodann die Endposition des Lastwagens, wobei die Kollision (c) bereits auf dem Trottoir-Abschnitt stattgefunden hat (pag. 41 f.). Im Rahmen der Erklärungen zu Beginn der Dokumentation wird u.a. ausgeführt, dass das Mädchen mit dem ersten Rad der linksseitigen ersten Lenkachse des Lastwagens kollidiert, unter das zweite Rad geraten und infolgedessen einige Meter mitgeschleift worden sei. Auf pag. 43 und 44 ist eine blutige Schleifspur zu erkennen. Sodann sind am linken Vorderrad der ersten Lenkachse Kontaktspuren vom Vorderrad des Fahrrades von †I.__ zu erkennen (pag. 53). Auf dem Hinterrad der vorderen Lenkachse fanden sich demgegenüber biologische Spuren (Blut und Gewebe; pag. 52). Auf den Fotos pag. 55 ff. sind verschiedene Aufnahmen des besagten Fahrrades und der Bekleidung des Mädchens zu sehen. Die Fotos auf pag. 65 zeigen die Sichtverhältnisse des Beschuldigten bei der Anfahrt bzw. Umfahrung der besagten Mittelinsel, pag. 64 zeigt den Blick in den Seitenspiegel bei Endposition des Lastwagens. Das Foto auf pag. 67 wiederum zeigt, welcher Bereich für den Beschuldigten mit einem Blick aus dem linken Seitenfenster trotz Kurve sichtbar gewesen wäre, als er mit einem Teil der Fahrerkabine bereits über dem Rand des Trottoirs war. Hier ist erkennbar, dass mit einem Blick aus dem linken Seitenfenster fast die ganze Strecke bis zur Kurve sichtbar ist. Schliesslich zeigen die Fotos auf pag. 69 und 70 den zur Diskussion stehenden Vorhang beim linken Seitenfenster sowie die Sichtverhältnisse des Chauffeurs je nach angenommener Sitzposition (nachgestellt).
Berichtsrapport vom 28. November 2018 (pag. 71 f.):
Dem Berichtsrapport vom 28. November 2018 ist zusammengefasst zu entnehmen, dass sich das Fahrzeug des Mädchens zum Unfallzeitpunkt in einem betriebssicheren, aber nicht vorschriftsgemässen Zustand (fehlende Rückstrahler an den Pedalen) befand.
Der Situationsplan auf pag. 73 zeigt den Unfallort aus der Vogelperspektive, wobei wiederum die Fahrtrichtung der Beteiligten und verschiedene Endpunkte eingezeichnet sind.
Animation (pag. 74 f.):
Auf der sich in den Akten befindlichen CD befinden sich zwei Videoanimationen, welche einerseits den Lastwagen des Beschuldigten und andererseits verschiedene Varianten des Mädchens auf dem Fahrrad zeigen (mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten: 30 km/h, 25 km/h und 20 km/h). Den besagten Animationen ist keine Erklärung beigelegt und die Vorinstanz hat sich zu diesem Beweismittel nicht geäussert. Es ergibt sich daraus nicht klar, ob der Beschuldigte bei seiner Anfahrt auf der N.__ das zeitversetzt fahrende Mädchen hätte sehen können. Allerdings kommt es vor allem auf die Situation am Ende besagter Animationen respektive auf das eigentliche Abbiegemanöver und die entscheidende Endphase (Befahren des Trottoirs) an. Auch betreffend diese Endphase lassen sich keine konkreten Schlüsse ziehen. Sodann kann auch nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass das Mädchen auf dem Fahrrad von Beginn weg mit gleichbleibender Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist, zumal es zunächst noch auf den fraglichen Streckenabschnitt der N.__ einbiegen musste.
Ärztliche Berichte betreffend †I.__:
Den Akten sind weiter diverse ärztliche Berichte betreffend †I.__ zu entnehmen. So ist dem Bericht zur Legalinspektion vom 22. November 2018 (pag. 78 ff.) etwa zu entnehmen, dass sich auf dem Reifen neben dem Kopf des Mädchens Blut und Gewebeantragungen befunden hätten und hinter dem Reifen eine etwa 3 Meter lange Schleifspur aus Blut und Antragungen sichtbar gewesen sei. †I.__ wurde vom Institut für Rechtsmedizin sodann eingehend untersucht (vgl. Rechtsmedizinisches Gutachten zum Todesfall vom 3. April 2019; pag. 91 ff.; Rechtsmedizinisches Obduktionsprotokoll vom 8. Februar 2019; pag. 96 ff.). Aus medizinischer Sicht ist klar, dass die schweren Kopfverletzungen (Überrollen des Kopfes) die Todesursache darstellen. Beim Entstehen der Verletzungen hat †I.__ noch gelebt. Es ist von einem Unfalltod auszugehen. Die entsprechenden Berichte sind detailliert und klar verfasst. Es kann ohne Weiteres darauf abgestellt werden.
Protokoll Blutentnahme und ärztliche Untersuchung des Beschuldigten (pag. 111 ff.):
Beim Beschuldigten wurden im Unfallzeitpunkt keine Auffälligkeiten festgestellt. Er wurde auf sämtliche bewusstseinsverändernde Stoffe (inkl. Alkohol) negativ getestet (pag. 119). Auch gab es keine Hinweise auf fehlenden Schlaf. Es besteht kein Anlass, an diesen Feststellungen zu zweifeln.
5.2 Subjektive Beweismittel
Der Kammer liegen als subjektive Beweismittel die Aussagen von R.__ (als Auskunftsperson, pag. 120) und C.__ (als Auskunftsperson, pag. 121; als Zeuge, pag. 265 ff.) sowie die Aussagen des Beschuldigten bei der Polizei (pag. 122 ff.), der Staatsanwaltschaft (pag. 127 ff.), der Vorinstanz (pag. 186 ff.) und anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung (pag. 263 f.; pag. 270 ff.) vor.
Die Vorinstanz hat die bis anhin gemachten Aussagen eingehend und korrekt zusammengefasst, weshalb an dieser Stelle darauf verwiesen werden kann (S. 9 ff. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 211 ff.). Soweit notwendig, wird im Rahmen der nachfolgenden Beweiswürdigung näher darauf eingegangen. Dies gilt auch für die Aussagen des Beschuldigten und des Zeugen C.__ anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung (pag. 263 ff.).
6. Beweiswürdigung der Kammer
6.1 Theoretische Ausführungen
Für die theoretischen Grundlagen der Beweiswürdigung und der Aussagenanalyse kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (S. 4 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 206 f.).
6.2 Verwertbarkeit der Aussagen
Die Aussagen der Auskunftspersonen im Vorverfahren erfolgten nicht parteiöffentlich, womit sich vorweg die Frage der Verwertbarkeit stellt.
Art. 147 Abs. 1 Satz 1 StPO normiert den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit der Beweiserhebungen im Untersuchungsund Hauptverfahren und bestimmt, dass die Parteien das Recht haben, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Damit soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wurde, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Ohne Konfrontation ist für die Verwertbarkeit von Aussagen erforderlich, dass der Beschuldigte zu den belastenden Aussagen hinreichend Stellung nehmen konnte, die Aussagen sorgfältig geprüft wurden und ein Schuldspruch sich nicht allein darauf abstützt bzw. diesen bei der Beurteilung des Falls nicht alleinige ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Ein streitiges Zeugnis von ausschlaggebender Bedeutung kann ohne Konfrontation mit dem Belastungszeugen verwertbar sein, wenn ausreichend kompensierende Faktoren gegeben sind, die den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren und die Überprüfung der Verlässlichkeit des Beweismittels gewährleisten (Urteil des Bundesgerichts 6B_699/2018 vom 7. Februar 2019 E. 1.3).
R.__ schilderte den grundsätzlich unbestrittenen Ablauf des Unfalls bzw. die von ihm beobachteten Szenen. Seinen Aussagen kommt damit keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weshalb ohne Weiteres darauf abzustellen ist. C.__ wurde im oberinstanzlichen Verfahren als Zeuge vorgeladen und anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung ergänzend befragt. Dabei erhielt auch die Verteidigung Gelegenheit zur Stellung von Ergänzungsfragen, womit dem Konfrontationsund Fragerecht des Beschuldigten Genüge getan ist. Die im Vorverfahren gemachten Aussagen sind demnach verwertbar.
6.3 Konkrete Beweiswürdigung
Wie in Ziff. 11.2 hiervor bereits angetönt, sind die von R.__ geschilderten Beobachtungen grundsätzlich unbestritten. Es handelt sich bei ihm um einen Mitarbeiter der O.__ AG, welcher am 21. November 2018 Dienst an der Loge hatte. R.__ schilderte gegenüber der Polizei seine am besagten Tag gemachten Beobachtungen ohne erkennbare Widersprüche und Übertreibungen in nachvollziehbarer Weise. Er versuchte nicht, den Beschuldigten übermässig zu belasten zu entlasten. Es besteht daher kein Anlass, die (ohnehin unbestrittenen) Aussagen in Zweifel zu ziehen. R.__ ist bei der Anfahrt des Beschuldigten nichts Spezielles aufgefallen. So schilderte er seine Beobachtungen, wonach die Anfahrt des Beschuldigten wie gewohnt erfolgt sei. Der Beschuldigte habe verlangsamt, sei aber immer gefahren bzw. gerollt. Dies würden die
Chauffeure so machen, damit sie in der leicht ansteigenden Toreinfahrt nicht halten müssten. R.__ bestätigte, dass der Beschuldigte den Blinker gesetzt habe. Er selber habe sich kurz abgewandt, um das Tor zu öffnen. Der Beschuldigte sei dann mit langsamer Geschwindigkeit in die Einfahrt abgebogen, da habe er plötzlich gesehen, wie ca. auf Höhe der Doppelachse des Lastwagens ein Fahrrad abgeprallt sei. R.__ gab weiter zu Protokoll, dass er bis anhin keine anderen Verkehrsteilnehmer gesehen und das Fahrrad erst beim Abprallen wahrgenommen habe. Die Ausführungen von R.__ lassen darauf schliessen, dass das Fahrrad für ihn überraschend aufgetaucht ist bzw. er das eigentliche Zufahren des Mädchens nicht beobachten konnte. Zur Geschwindigkeit allfällig weiteren Besonderheiten der Zufahrt des Mädchens konnte R.__ demnach keine Angaben machen. Auch hinsichtlich des entscheidenden Abschnitts des Abbiegemanövers (Befahren des Trottoirs) konnte R.__ keine Beobachtungen schildern. Bei der massgebenden Frage, ob sich der Beschuldigte in der entscheidenden Phase (Befahren des Trottoirs) nach links orientiert hat, helfen seine Aussagen demnach nicht weiter.
Zur eigentlichen Zufahrt des Mädchens konnte C.__ konkretere Angaben machen. Er befand sich auf der gegenüberliegenden Strassenseite, etwas versetzt beim «kein Vortritt», vor der Auffahrt auf die N.__ (Z1; pag. 37). Auch er bestätigte, dass der Beschuldigte seinen linken Blinker gesetzt und seine Geschwindigkeit stark verlangsamt habe. Wesentlich sind seine Hinweise, wonach er (C.__) das herannahende Mädchen bereits vor der Kollision gesehen habe, dieses «recht zügig» gefahren sei und er noch befürchtet habe, dass es nicht reiche und zu einer Kollision komme (pag. 121). Diese Aussagen wiederholte C.__ auch anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung. So gab er etwa zu Protokoll, dass er den Lastwagen habe kommen und gleichzeitig das Kind auf dem Zweirad in Richtung Unterführung habe herunterfahren sehen. Dabei sei ihm aufgefallen, dass dieses «Schuss» habe (pag. 267, Z. 7 ff.). Es sei ihm der Gedanke gekommen, dass die beiden aufeinandertreffen würden, wenn es so weitergehe (pag. 267, Z. 17 f.). Seine diesbezüglichen Aussagen lassen darauf schliessen, dass der Beschuldigte als C.__ das Mädchen erblickte seine Geschwindigkeit bereits verlangsamt und auch den linken Richtungsblinker bereits gesetzt hatte. Ansonsten hätte C.__ kaum ahnen können, dass der Beschuldigte links abbiegen will und es mit dem herannahenden Mädchen
allenfalls zu einer Kollision komme (pag. 121; pag. 269, Z. 7 ff.). C.__ konnte allerdings nicht mit Sicherheit sagen, wo genau der Lastwagen war, als er (C.__) das Mädchen erstmals sehen konnte. Auf Vorhalt der Fotografien Nr. 29 (pag. 65, Foto unten), Nr. 30 (pag. 66 Foto, unten) und Nr. 31 (pag. 67, Foto unten) anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung wählte er zwar die Fotografie Nr. 31 (pag 67, Foto unten), war sich dessen aber nicht ganz sicher («Das ist das, was ich am ehesten in Erinnerung habe, aber einfach schwach. Wenn ich etwas sagen müsste, würde ich Foto Nr. 31 sagen»; pag. 267, Z. 25 ff.). Die besagte Fotografie zeigt den Lastwagen des Beschuldigten, wie er sich mit der Fahrerkabine bereits über dem Rand des Trottoirs befindet bzw. kurz bevor er das Trottoir mit der ersten Lenkachse (fahrerseitig) befährt und anschliessend mit dem Mädchen kollidierte. Es ist allerdings nicht möglich, dass sich der Lastwagen bereits an dieser Stelle befunden hat. Es ist viel mehr davon auszugehen, dass der Beschuldigte das eigentliche Abbiegemanöver noch nicht begonnen hatte bzw. dieses zumindest noch nicht so weit fortgeschritten war, da der Lastwagen mit Anhänger dem beim «kein Vortritt» wartenden C.__ ansonsten die Sicht auf das herannahende Mädchen versperrt hätte und er dieses damit nicht vor dem Unfall hätte sehen können. C.__ gab vor Ort sodann zu Protokoll, dass er den eigentlichen Unfall unter dem Lastwagen hindurch habe beobachten können (pag. 121). Solches scheint mit Blick auf die Karosserie bzw. die Zusammensetzung des Lastwagens nur schwer nachvollziehbar. C.__ erklärte auf entsprechende Nachfrage anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung dann auch, dass ihm dies heute so nicht mehr bewusst sei. Es sei ihm eher so vertraut, dass er erwartet habe, das Kind tauche auf der anderen Lastwagenseite wieder auf (pag. 268, Z. 22 ff.). Die Kollision habe er nicht sehen können (pag. 268, Z. 27 f.). C.__ machte zur eigentlichen Kollision damit unterschiedliche Angaben. Hierbei handelt es sich nach Ansicht der Kammer aber um einen vernachlässigbaren Widerspruch, welcher ebenso gut auf ein Missverständnis vor Ort zurückzuführen sein könnte. Letztere Aussagen lassen sich denn auch viel eher mit den zahlreichen Fotografien in der Dokumentation des UTD in Einklang bringen. Von ausschlaggebender Bedeutung sind aber ohnehin die (gleichbleibenden) Aussagen von C.__, wonach er das herannahende Mädchen auf dem Fahrrad bereits vor der Kollision habe sehen können.
Im Weiteren machte C.__ auch betreffend die Geschwindigkeit des Mädchens konstante Aussagen. So sprach er übereinstimmend von «zügiger» Geschwindigkeit bzw. «Schuss» respektive davon, dass das Mädchen nicht langsam gefahren sei (pag. 121; pag. 267, Z. 9 f.; pag. 268, Z. 13 ff.). Er habe es so empfunden, dass das Mädchen verglichen mit seiner Grösse dem Alter relativ «zügig» unterwegs gewesen sei (pag. 268, Z. 15 ff.). Sichere Rückschlüsse auf die effektiv gefahrene Geschwindigkeit lassen sich aus seinen Aussagen noch keine ziehen. Es ist gerichtsnotorisch, dass die Geschwindigkeit eines fahrenden bzw. herannahenden Fahrzeugs für die Insassen stehender Fahrzeuge nur schwer abschätzbar ist. Dass sich C.__ an Vergleichsgrössen, wie etwa an der Abfahrt vom Bantiger, orientierte (pag. 268, Z. 13 ff.), ist daher nachvollziehbar.
Die Aussagen von C.__ wiesen nach dem Gesagten einige kleine Widersprüche und Unstimmigkeiten auf, welche für das vorliegende Verfahren aber nicht von wesentlicher Bedeutung sind und auch keine berechtigten Zweifel an seinen übrigen Aussagen aufkommen lassen. C.__ schilderte gegenüber der Polizei seine am besagten Tag gemachten Beobachtungen und ergänzte diese in detailreicher Weise anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung. Es handelt sich bei ihm um eine neutrale Person, welche am besagten Tag ebenfalls vor Ort war und einen Teil der Geschehnisse von ihrem Fahrzeug aus selbst beobachten konnte. C.__ schilderte diese Geschehensabläufe im Wesentlichen in nachvollziehbarer Weise und versuchte nicht, den Beschuldigten übermässig zu belasten zu entlasten. Er hinterfragte auch seine eigenen Aussagen kritisch, was ebenfalls für deren Glaubhaftigkeit spricht (pag. 266, Z. 2 ff.; pag. 268, Z. 22 ff.). C.__ gab ferner an, dass er vor Ort nervös und ihm übel gewesen sei bzw. er den «zweiten Teil» (nach dem Anruf an die Polizei) wie in Trance erlebt habe (pag. 266, Z. 2 ff.; pag. 268, Z. 37 ff.). Dies scheint in Anbetracht der Umstände vor Ort nachvollziehbar. Dass C.__ aufgrund dessen nicht einvernahmefähig gewesen wäre, lässt sich den Akten nicht entnehmen (vgl. auch pag. 268, Z. 43 f.). Es besteht daher kein Anlass, seine gleichbleibenden Aussagen in Zweifel zu ziehen
Gleiches gilt im Wesentlichen auch für die Aussagen des Beschuldigten. Die Aussagen des Beschuldigten gegenüber der Polizei sind in sich stimmig und grundsätzlich logisch. So schilderte er etwa, dass er vor der Einfahrt der O.__ AG sehr stark rechts habe ausholen müssen, um die dortige Verkehrsinsel zu umfahren. Er habe nach rechts und links geschaut, ob niemand um das Fahrzeug herum gewesen sei und ob auch der Verkehr nicht behindert werde. Er habe sich dann nochmals vergewissert, dass die benötigte Fahrspur frei sei. Während des Einbiegens habe er nochmals die normalen Kontrollblicke (Aussenspiegel rechts wie auch links, sowie Weitwinkelspiegel) gemacht (pag. 123, Z. 31 ff.). Einen Blick aus dem linken Seitenfenster, bevor er das vor ihm liegende Trottoir befuhr, erwähnte der Beschuldigte indes nicht. Auf Aufforderung der befragenden Polizistin schilderte er sodann erneut den Ablauf des Abbiegemanövers, wobei er auch hier keinen letzten Kontrollblick aus dem linken Fenster erwähnte. Er gab an, dass er beim Weiterrollen nochmals nach links auf den Inselrand geschaut habe, damit er dort mit seinem Anhänger nichts touchiere. Nach dem Blick auf die Insel (links) habe er nochmals rechts geschaut und dann das Abbiegemanöver ausgeführt. Als er dann in den linken Innenspiegel geschaut habe, sei er mit der Lastwagenkabine bereits bei der Einfahrt zum Tor gewesen und die zweite Lenkachse sei ungefähr zwischen dem Trottoir und dem Vorplatz gewesen. Da habe er das Mädchen gesehen (pag. 124, Z. 75 ff.). Auffallend an diesen Aussagen ist, dass der Beschuldigte anlässlich seiner ersten Einvernahme in keiner Phase einen konkreten Blick aus dem linken Seitenfenster erwähnte und dass die von ihm geschilderten Kontrollblicke vor bzw. während des Einbiegens und nicht vor dem Befahren des Trottoirs (erneut) erfolgten. Der Beschuldigte war sehr bedacht, den entgegenkommenden Verkehr zunächst passieren zu lassen, damit er die Verkehrsinsel gefahrlos umfahren konnte. Seine ersten Aussagen lassen vermuten, dass seine überwiegende Aufmerksamkeit auf ebendiese Verkehrshindernisse gerichtet war. So gab er auch selber an, dass der nächste Blick in den linken Seitenspiegel - nach Beginn des Abbiegemanövers erst nach Befahren des Trottoirs erfolgte (nämlich als er mit der Lastwagenkabine bereits bei der Einfahrt zum Tor gewesen sei). In der Folge erwähnte er zwar noch einen «Rundumblick», auch diesen will er aber vor dem Abbiegen gemacht haben (pag. 124, Z. 91). Schliesslich ist zu erwähnen, dass der Beschuldigte sodann von sich aus erwähnte, dass er in der Kabine Vorhänge habe, seine Sicht aufgrund seines Körperbaus, seiner Blicktechnik und des Vorbeugens aber nicht eingeschränkt gewesen sei (pag. 124, Z. 91 ff.).
Wie bereits die Vorinstanz erwähnte, schilderte der Beschuldigte den Ablauf der Geschehnisse anlässlich seiner Einvernahme bei der Staatsanwaltschaft zwar mit etwas anderen Worten, inhaltlich aber grundsätzlich übereinstimmend zu seinen Erstaussagen. Seine Aussagen sind in sich stimmig. Der Beschuldigte erwähnte aber nunmehr erstmals einen Blick aus dem linken Seitenfenster, um das Trottoir zu kontrollieren (pag. 132, Z. 174 f.). Er führte hierzu konkret aus: «Danach kam der Aussenspiegel auf der Fahrerseite. Dabei wird kontrolliert, ob etwas links vom Fahrzeug kommt ist. Dabei habe ich insbesondere kontrolliert, dass ich die kleine Insel korrekt umfahre und nicht touchiere. Danach kommt der Blick zwischen dem linken Aussenspiegel und der A-Säule. Diese Kontrolle machte ich, weil sich etwas hinter dem Spiegel hätte verstecken können. Danach kommt der Blick aus dem Seitenfenster der Fahrerseite, dabei wird das Trottoir kontrolliert. Danach käme das Abbiegemanöver» (pag. 132, Z. 170 ff.). Bezüglich dieses erstmals erwähnten fahrerseitigen Blicks aus dem Seitenfenster ist jedoch zu erwähnen, dass der Beschuldigte selber angab, dass darauf das Abbiegemanöver folge. Er sprach damit von den getätigten Kontrollblicken vor dem Abbiegemanöver. Auffällig ist sodann auch, dass der Beschuldigte wiederum betonte, seine Aufmerksamkeit sei insbesondere auf die korrekte Umfahrung der Mittelinsel gerichtet gewesen. In der Folge erwähnte er nunmehr auch explizit, dass er bei diesem Abbiegemanöver die Kontrollblicke mindestens zwei Mal gemacht habe (pag. 132, Z. 179 ff.). Auf Frage nach allfälligen Feststellungen antwortete er, dass die Gegenfahrbahn bis auf die erwähnten Fahrzeuge frei gewesen sei, seine Spur auch. Auch auf dem Fahrradweg, welcher auf der Seite der Gegenfahrbahn sei und auf dem Trottoir sei nichts gewesen. Er habe daraufhin das Abbiegemanöver gemacht (pag. 132, Z. 184 ff.). Auch diese Ausführungen lassen darauf schliessen, dass die entsprechenden Kontrollblicke im Rahmen des konkreten Linksabbiegens bzw. kurz zuvor erfolgten. Der Beschuldigte ergänzte daraufhin zwar, dass er auch während des Abbiegens die Kontrollblicke gemacht habe, wobei er aber auch nach vorne habe schauen müssen, damit er auf der linken Seite der Einfahrt bleibe (pag. 132, Z. 192 ff.). An welcher Stelle genau die zweiten Kontrollblicke während des Manövers erfolgt sein sollen (ob etwa kurz vor dem Befahren des Trottoirs), lässt er jedoch offen. Sodann wird durch seine Aussagen erneut verdeutlicht, dass seine Konzentration nach vorne (und auf das korrekte Umfahren der Insel) gerichtet war. Ein letzter, entscheidender Blick aus dem linken Seitenfenster kurz vor dem Befahren des Trottoirs wird jedenfalls vom Beschuldigten auch hier nicht explizit erwähnt. Hingegen betonte er, dass er genügend Sicht habe, wenn er die auf Bild Nr. 34 (pag. 70) nachgestellte Position einnehme. Welchen Einfluss das Vorbeugen auf die Sicht effektiv hat, bleibt allerdings unklar. So gab der Beschuldigte zunächst an, dass man sich nach vorne beugen müsse, wenn man in den Aussenspiegel schauen wolle, ansonsten sehe man nichts (pag. 133, Z. 227). Auf Nachfrage von Rechtsanwalt S.__ präzisiert er allerdings, dass man mit dem Vorbeugen einfach näher am Spiegel sei, die Sache aber genau gleich sehe, egal ob man hinten sitze nach vorne gebeugt sei (pag. 133, Z. 236 ff.).
Anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung beschrieb der Beschuldigte den Vorfall bzw. sein Abbiegemanöver u.a. wie folgt: «Ich habe nach rechts ausgeschwenkt damit ich links hineinfahren kann. Habe geschaut das rechts nichts vorbeikommt. Habe auf die Gegenfahrbahn geschaut, das Trottoir war auch frei. Habe die Innenspiegelkontrolle gemacht und geschaut das ich bei der Insel nichts touchiere. Ich habe das Abbiegemanöver fortgesetzt und geschaut das ich rechts nichts erwische und links auch geschaut danach habe ich die Einfahrt angeschaut. Danach habe ich den Rundumblick gemacht. Zuerst habe ich in den rechten Spiegel danach in den linken Spiegel geschaut und dann war das Mädchen da. Ich war auf dem Trottoirrand und habe in den linken Rückspiegel geschaut und dann war das Mädchen da» (pag. 188, Z. 5 ff.). Auch im Rahmen der erstinstanzlichen Hauptverhandlung sprach der Beschuldigte zwar von zweifach erfolgten Kontrollblicken. Dabei fällt aber auf, dass die ersten Kontrollblicke vor dem Manöver bzw. während des Einbiegens erfolgten. Die zweiten Kontrollblicke bzw. der vom Beschuldigten geschilderte «Rundumblick» erfolgte, so präzisierte er dies sogleich selber, durch einen Blick in den rechten und den linken Spiegel. Wiederum war von keinem Blick aus dem linken Seitenfenster kurz vor dem Befahren des Trottoirs die Rede. Der Beschuldigte konnte denn auch auf konkrete Nachfrage hin nicht mehr sagen, ob er vor dem Befahren des Trottoirs noch einmal einen Blick aus dem Fenster nach links gemacht ob er sich darauf konzentriert habe, die Insel nicht zu touchieren (pag. 188, Z. 22 ff.). Er wusste sodann auch nicht mehr, in welche Fahrtrichtung er vor dem Befahren des Trottoirs geschaut bzw. ob er auf den Pfosten der Einfahrt geschaut habe. Schliesslich erklärte der Beschuldigte auf die Frage, ob er aus heutiger Sicht etwas anders machen würde, möglicherweise noch einmal genau schauen; möglicherweise habe er sich zu stark auf das korrekte Umfahren der Insel konzentriert darauf, dass er in der Einfahrt richtig stehe (pag. 188, Z. 36 ff.).
Anlässlich der oberinstanzlichen Hauptverhandlung schilderte der Beschuldigte die damaligen Geschehnisse grundsätzlich übereinstimmend mit seinen bisherigen Aussagen. So gab er etwa zu Protokoll, wie er die beiden entgegenkommenden Fahrzeuge mittels Handzeichen noch durchgelassen habe, daraufhin links geblinkt, die Rundumkontrolle mit den Spiegeln gemacht und dann das Abbiegemanöver unter stetiger Kontrolle in die Spiegel und der Fahrbahn fortgesetzt habe (pag. 270, Z. 8 ff.). Er erklärte, dass seine Kontrollblicke auf den Trottoir-Bereich vor der O.__ AG, die Gegenfahrbahn, den Velostreifen, die eigene Fahrbahn, den «Einbieger» von rechts und die Spiegel gerichtet gewesen seien. Letzteres sei aufgrund des toten Winkels fast das Wichtigste (pag. 270, Z. 37 ff.). Der Beschuldigte wiederholte, dass seine Konzentration nach vorne und auf die korrekte Umfahrung der Mittelinsel gerichtet gewesen sei. Er führte hierzu aus, dass man während dem Abbiegemanöver schon den Rundumblick habe, die Einfahrt zur O.__ AG aber relativ schwierig und eng sei. Er habe sich konzentrieren müssen, dass er nichts touchiere und die Mittelinsel korrekt umfahre (pag. 270, Z. 37 ff.). Mit «Rundumblick» meine er alles aus seiner Sicht, also 180 Grad (pag. 271, Z. 1 ff.). Während des Abbiegemanövers habe er sich besonders auf das Trottoir und den Gegenverkehr sowie die rechte Seite geachtet (pag. 271, Z. 20 ff.). Von einem letzten Blick aus dem linken Seitenfenster kurz vor dem Befahren des Trottoirs war damit (wiederum) nicht die Rede. Ob er einen solchen Seitenblick tätigte, konnte der Beschuldigte nicht mehr sagen (pag. 271, Z. 16 f.). Der Beschuldigte führte weiter zwar aus, dass er das Trottoir kontrolliert und sich niemand darauf befunden habe. Auf konkrete Nachfrage hin erklärte er allerdings, dass sich im «Sichtbereich Richtung Unterführung» nichts auf dem Trottoir befunden habe (pag. 272, Z. 1 ff.) und er gerade zum Fenster hinaus auf das Trottoir geschaut habe, zurück nur im Spiegel. Wenn er den Kopf drehe, sehe er alles andere nicht mehr (pag. 272, Z. 34 ff.). Damit gab der Beschuldigte betreffend das Trottoir selber an, dass seine Aufmerksamkeit lediglich auf den vor ihm liegenden Abschnitt gerichtet war und er den hinter ihm liegenden bzw. parallel verlaufenden linksseitigen Abschnitt, auf welchem das Mädchen angefahren kam, nicht mittels Seitenblick kontrollierte.
Hinsichtlich den Aussagen des Beschuldigten ist festzuhalten, dass den Akten keinerlei Hinweise auf bewusste Falschaussagen seinerseits auf Aussagen, welche bewusst zu seinem Vorteil gefärbt worden wären, zu entnehmen sind. Im Gegenteil: Der Beschuldigte schilderte den Ablauf des Unfalls im Wesentlichen konstant, klar und detailreich. Er versuchte nicht, das Vorgefallene zu beschönigen
oder die Schuld direkt von sich zu weisen bzw. auf das Mädchen abzuwälzen. Er schilderte den Ablauf der Geschehnisse so, wie er sie dazumal erlebt hat. Seine Aussagen zum Vorfall wurden im Laufe des Verfahrens teilweise zwar etwas detaillierter (vgl. insbesondere die Aussagen im Rahmen der staatsanwaltlichen Einvernahme), dies ist aber insofern nachvollziehbar, als die erste Einvernahme bei der Polizei bereits am nächsten Morgen nach dem tragischen Vorfall stattfand und der Schock wohl noch etwas tiefer sass. Es ist sodann auch naheliegend, dass er den Ablauf des Vorfalls weiter analysiert und mit seinem Verteidiger besprochen hat. Nach Ansicht der Kammer besteht kein Anlass, an den glaubhaften Aussagen des Beschuldigten zu zweifeln. Glaubhaft sind damit aber auch die ihn belastenden Aussagen.
Dass die herannahende †I.__ für den Beschuldigten in der entscheidenden Phase mit einem Kontrollblick durch das linke Seitenfenster sichtbar gewesen wäre, ist heute nicht mehr bestritten (pag. 275). Hiervon geht auch die Kammer aus. So ist aufgrund der Ortskenntnisse des Beschuldigten (fuhr er besagte Strecke zur O.__ AG mehrfach, sogar mehrmals an diesem Tag; pag. 125, Z. 117 f.; pag. 130, Z. 110 f.; pag. 272, Z. 28 f.) und der vor Ort erstellten Fotografien Nr. 29 bis 31 (pag. 65 ff.) davon auszugehen, dass der Beschuldigte (insbesondere) in der entscheidenden Phase des Abbiegemanövers das Trottoir links von ihm genügend weit nach hinten überblicken konnte und so das herannahende Mädchen hätte erkennen können. Hinzu kommt, dass auch der beim «kein Vortritt» wartende C.__ das herannahende Mädchen auf dem Fahrrad sehen konnte und entsprechend eine Kollision befürchtete. Wenn C.__ das Mädchen bereits vor der Kollision sehen konnte, so hätte dies auch für den Beschuldigten möglich sein müssen. Dies selbst unter der Annahme, dass das Mädchen zügig gefahren ist und der fragliche Streckenabschnitt ein Gefälle von 5% aufweist.
Abschliessend ist festzuhalten, dass am Lastwagen des Beschuldigten auf der Fahrerseite am Fenster (unbestrittenermassen) ein Vorhang montiert war. Dieser war nach hinten geschoben und von hinten gesehen bei 20 cm fixiert (pag. 69 f.). Gemäss Dokumentation des UTD lässt sich nicht abschliessend klären, ob der
effektiv vorhandene Seitenvorhang die Sicht und Wahrnehmung des Beschuldigten allenfalls verändert haben könnte (pag. 36; pag. 30). Wie die Vorinstanz richtigerweise festhielt, ist offensichtlich, dass ein entsprechend arretierter Vorhang den Rundumblick grundsätzlich leicht einschränken kann. Ob dies auch im Rahmen der nunmehr zu beurteilenden Geschehnisse der Fall gewesen ist, lässt sich mit den vorliegenden Beweismitteln aber nicht rechtsgenüglich nachweisen.
6.4 Beweisergebnis
Die Kammer erachtet nach dem Gesagten folgenden Sachverhalt als erstellt:
Der Beschuldigte befuhr am 21. November 2018 mit dem Lastwagen .__ mit Anhänger von M.__ herkommend die N.__ Richtung D.__ mit einer Geschwindigkeit von rund 50 km/h. Er fuhr dabei am Q.__ vorbei, aus welchem das spätere Unfallopfer, †I.__, ebenfalls auf die N.__ einbog und mit dem Fahrrad in zügiger Geschwindigkeit auf dem Trottoir in die gleiche Richtung wie der Beschuldigte fuhr. Der Beschuldigte war auf dem Weg zur O.__ AG. Auf der Höhe des Firmengeländes der O.__ AG betätigte der Beschuldigte den linken Richtungsblinker, verlangsamte seine Fahrt auf ca. 15-13 km/h und liess vorerst die sich auf der Gegenfahrbahn nähernden Fahrzeuge, die nach links in Richtung Bahnhof D.__ abbiegen wollten, passieren, weil er die dortige Verkehrsfläche für sein Abbiegemanöver benötigte. Damit war der vor ihm liegende Strassenabschnitt der N.__ frei. In der Folge begann er, nach rechts auszuholen, damit er die dortige Verkehrsinsel ohne zu touchieren umfahren und die Einfahrt der O.__ AG befahren konnte. Der Beschuldigte tätigte bei diesem Abbiegemanöver mehrere Kontrollblicke, so etwa in den rechten Seitenspiegel, dann durch das rechte Seitenfenster, den Innenspiegel, Blick auf den Gegenverkehr sowie in den linken Seitenspiegel und wohl auch durch das linke Seitenfenster. Im Rahmen des Abbiegemanövers war der Beschuldigte insbesondere auf die korrekte Umfahrung der Verkehrsinsel und die korrekte linksseitige Einfahrt zu der O.__ AG konzentriert. Einen letzten Seitenblick vor dem Befahren des Trottoirs unterliess er jedoch. Erst als er sich bereits im Bereich des Einfahrtstores befand, folgte ein Blick in den linken Seitenspiegel, wo er dann das bereits am Boden liegende Mädchen und dessen Fahrrad feststellte.
†I.__, welche mit zügiger Geschwindigkeit auf dem Trottoir entlang der N.__ fuhr, kollidierte auf dem Trottoir mit der ersten Lenkachse (fahrerseitig) des mit noch ca. 8 km/h fahrenden Lastwagens des Beschuldigten, stürzte und wurde von der zweiten Lenkachse (fahrerseitig) überfahren und ein kurzes Stück mitgeschleift. Sie verstarb aufgrund der beim Unfall erlittenen schweren Kopfverletzungen noch vor Ort. †I.__ wäre für den Beschuldigten in der entscheidenden Phase mit einem Kontrollblick durch das linke Seitenfenster sichtbar gewesen. Ob der effektiv vorhandene und bei ca. 20 cm arretierte Seitenvorhang die Sicht und Wahrnehmung des Beschuldigten allenfalls beeinflusst haben könnte, ist nicht erstellt.
III. Rechtliche Würdigung
1. Vorbemerkungen
Für die oberinstanzlichen (rechtlichen) Vorbringen der Verteidigung kann auf Ziff. 8 hiervor verwiesen werden. Diese werden, soweit erforderlich, im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen aufgegriffen.
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zu Art. 117 StGB kann vorab auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (S. 18 ff. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 220 ff.). Die wichtigsten Punkte sind hier dennoch kurz aufzuführen bzw. zu wiederholen (vgl. Ziff. 13 hiernach).
2. Allgemeine Ausführungen zu Art. 117 StGB
Gemäss Art. 117 StGB macht sich strafbar, wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht. Fahrlässig begeht ein Verbrechen ein Vergehen, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt darauf nicht Rücksicht nimmt. Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 StGB).
Ein Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung setzt somit voraus, dass der Täter den Erfolg durch Verletzung einer Sorgfaltspflicht verursacht hat. Sorgfaltswidrig ist ein Verhalten dann, wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat aufgrund der Umstände sowie seiner Kenntnisse und Fähigkeiten die damit bewirkte Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte erkennen können und müssen und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (Urteil des Bundesgerichts 6B_164/2016 vom 14. März 2017 E. 2.1; BGE 135 IV 56 E. 2.1). Im Strassenverkehr sind dies die Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes (SVG; SR 741.01) und der dazu ergangenen Ausführungserlasse (Urteil des Bundesgerichts 6B_493/2011 vom 12. Dezember 2011 E. 6.1). Die Vorsicht, zu der ein Täter verpflichtet ist, wird letztlich durch die konkreten Umstände und seine persönlichen Verhältnisse bestimmt, weil naturgemäss nicht alle tatsächlichen Gegebenheiten in Vorschriften gefasst werden können (zum Ganzen BGE 133 IV 158 E. 5.1; Urteil des Bundesgerichts 6S.8/2007 vom 24. April 2007 E. 6.1.1).
Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den konkreten Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist daher zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen beziehungsweise erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Danach muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers beziehungsweise eines Dritten Materialoder Konstruktionsfehler, als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolgs erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren - namentlich das Verhalten des Angeschuldigten in den Hintergrund drängen (Urteil des Bundesgerichts 6B_287/2014 vom 30. März 2015 E. 2.2; BGE 135 IV 56 E. 2.1; BGE 131 IV 145 E. 5.2 je mit Hinweisen). Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt allerdings seine Voraussehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre. Für die Zurechnung des Erfolgs genügt, wenn das Verhalten des Täters mindestens mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit die Ursache des Erfolgs bildete (Urteil des Bundesgerichts 6B_2018 vom 24. Oktober 2018 E. 3.7; BGE 135 IV 56 E.2.1; BGE 130 IV 7 E. 3.2).
Im vorliegend zu beurteilenden Fall sind insbesondere die sich aus dem SVG ergebenden Sorgfaltspflichten zu beachten. Nicht relevant sind hierbei entgegen der Auffassung der Vorinstanz - die Bestimmungen zur Betriebssicherheit eines Fahrzeugs (etwa Art. 29 SVG und Art. 71a Abs. 1 und 4 der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge [VTS; SR 741.41]), zumal vorliegend (so auch erstinstanzlich) nicht als erstellt gilt, dass der Vorhang am fahrerseitigen Fenster des Lastwagens tatsächlich einen Einfluss auf das Unfallgeschehen hatte. Eine separate bzw. unabhängig von der fahrlässigen Tötung bestehende Verletzung der Bestimmungen zur Betriebssicherheit ist sodann nicht angeklagt. Im Übrigen kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (S. 19 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 221 f.):
Jeder Führer muss sein Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann (Art. 31 Abs. 1 SVG). Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV). Einfach ausgedrückt: kommt es zu einer (ungewollten) Kollision, mangelt es i.d.R. an der konkret nötigen Aufmerksamkeit. Wer nach links abbiegt, ist verpflichtet einzuspuren, d.h. sich gegen die Fahrbahnmitte zu halten. Das Manöver ist zügig auszuführen, damit die Fahrbahn für den Längsverkehr möglichst rasch wieder frei wird. (BSK SVG-MAEDER, Art. 36, N 18). Ist ein Einspuren aufgrund der Grösse des Fahrzeugs nicht möglich, muss beim rechts ausholen besondere Vorsicht angewendet werden (Art. 13 Abs. 5 VRV). Das Erfordernis des zügigen Manövers ist zu relativieren, da dennoch auf andere Verkehrsteilnehmer Acht gegeben werden muss, z.B. wenn beim Abbiegen ein Trottoir befahren werden muss. Das Trottoir ist nach Art. 43 Abs. 2 SVG den Fussgängern vorbehalten und darf nur ausnahmsweise von Fahrzeugen und Fahrradfahrern befahren werden. Fahrzeuge dürfen beispielsweise ein Trottoir befahren, wenn der Fahrzeuglenker beabsichtigt, auf eine Nebenstrasse zu gelangen. Wer sich auf einem Weg bewegt, der grundsätzlich für andere Verkehrsteilnehmer bestimmt ist, muss besonders vorsichtig sein.
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Zu erwähnen bleibt schliesslich der Vertrauensgrundsatz nach Art. 26 Abs. 1 SVG. Dieser bedeutet, dass ein Fahrzeuglenker darauf vertrauen darf, dass sich jedermann im Verkehr so verhält, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert, noch gefährdet. Diese Grundregel gilt gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten nicht, ebenso nicht, wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird (Misstrauensgrundsatz; Art. 26 Abs. 2 SVG). Auf den Vertrauensgrundsatz kann sich allerdings nur stützen, wer sich selbst verkehrsregelkonform verhält. Wer selber gegen Verkehrsregeln verstösst und dadurch eine unklare gefährliche Verkehrslage schafft, kann nicht erwarten, dass andere diese Gefahr durch erhöhte Vorsicht ausgleichen (BGE 118 IV 277 E.4a).
3. Subsumtion
3.1 Tatbestandsmässiger Erfolg
Mit dem Eintritt des Todes ist die fahrlässige Tötung vollendet (sog. Erfolgsdelikt; Schwarzenegger/Gurt, Basler Kommentar StGB/JStG, 4. Aufl. 2019, Art. 117 StGB N 2). †I.__ verstarb gemäss Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin aufgrund des Unfalls noch vor Ort (pag. 23; pag. 94).
3.2 Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg
Das Beweisverfahren hat ergeben, dass der Beschuldigte beim Abbiegemanöver mit seinem Lastwagen die mit dem Fahrrad auf dem Trottoir fahrende †I.__ übersah, zu Fall brachte und überrollte, wodurch sie schwerste Kopfverletzungen erlitt, welche unmittelbar zu ihrem Tod führten. Hätte der Beschuldigte †I.__ auf dem Trottoir gesehen und das Abbiegemanöver nicht durchgeführt bzw. vor dem Befahren des Trottoirs gewartet, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Damit ist die Handlung des Beschuldigten ohne Weiteres kausal für den Unfall und damit für den Tod von †I.__.
3.3 Missachtung einer Sorgfaltspflicht
Elementar sind im vorliegenden Fall die sich aus Art. 31 Abs. 1 SVG ergebenden Sorgfaltspflichten. So muss ein Fahrzeugführer ständig so wachsam sein, dass er all die konkreten Umstände aufnehmen und so verarbeiten kann, dass er rechtzeitig und situationsadäquat zu reagieren vermag. Das Fahrverhalten wird (nebst den Verkehrsregeln) insbesondere durch das konkrete Fahrgeschehen im Umfeld diktiert, in dem sich der Verkehrsteilnehmer gerade befindet (Roth, Basler Kommentar SVG, Art. 31 N 44). Weiter muss etwa beim rechts Ausholen besondere Vorsicht angewendet werden und Trottoirs dürfen nur unter Berücksichtigung besonderer Vorsicht befahren werden, da dieser Weg grundsätzlich Fussgängern und Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten vorbehalten ist.
Vor dem Einleiten des Abbiegemanövers hat ein Verkehrsteilnehmer die Pflicht, auf den nachfolgenden Verkehr Rücksicht zu nehmen. Aber auch während des Abbiegemanövers gilt es die Aufmerksamkeit dem zusätzlich geschaffenen Risiko zu widmen, welches sich durch das Befahren des Trottoirs ergibt. Hierbei ist der
Massstab für die Sorgfalt, welche Lastwagenlenker aufzubringen haben, angesichts des von ihren Fahrzeugen ausgehenden Gefährdungspotentials hoch anzusetzen (BGE 127 IV 34 E. 3c/bb m.w.H.). Der Beschuldigte befuhr die N.__ bis hin zur Einfahrt der O.__ AG. Aufgrund seiner regelmässigen Transportfahrten war ihm bekannt, dass es sich um eine eher schwierige Einfahrt handelt und er aufgrund der Länge seines Lastwagens relativ weit ausholen musste, um die dortige Mittelinsel unfallfrei zu umfahren. Die Kammer verkennt nicht, dass ein Abbiegemanöver an besagter Stelle eine erhöhte Aufmerksamkeit erfordert. Trotzdem ist die entsprechende Stelle, wie bereits die Vorinstanz festgehalten hat, nicht mit Grosskreuzungen zu vergleichen, wie sie in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung oft zur Diskussion stehen. Insofern ist die vorliegend zu beurteilende Verkehrssituation entgegen der Auffassung der Verteidigung - nicht mit denjenigen in den Urteilen BGE 122 IV 225 und BGE 127 IV 34 zu vergleichen. Das Bundesgericht hielt in den entsprechenden Urteilen u.a. fest, dass dem Fahrzeugführer für andere Stellen eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden könne, wenn er seine Aufmerksamkeit im Wesentlichen auf eine bestimmte Stelle zu richten habe (BGE 122 IV 225 E. 2.b f.; BGE 127 IV 34 E. 3c/bb).
Vorliegend musste der Beschuldigte an einer leicht abfallenden Strasse abbremsen, damit er nach einer Kurve ein Abbiegemanöver gegen links durchführen konnte. Der Beschuldigte musste weiter eine Mittelinsel unfallfrei umfahren und vorweg den Gegenverkehr prüfen, weil er einen Teil dieser Verkehrsfläche für das besagte Abbiegemanöver beanspruchte. Wichtig war auch, dass er aufgrund des Ausholens keine Verkehrsteilnehmer auf seiner Spur dem Fussgängerstreifen gefährdete. Zu prüfen waren ferner der Fahrradstreifen Richtung Unterführung, das Trottoir sowie die rechtsseitige Einfahrt der T.__ (Strasse). Nach Beginn des eigentlichen Abbiegemanövers musste der Beschuldigte noch ein Trottoir überqueren und in die richtige Einfahrt der O.__ AG einbiegen. Gestützt auf die glaubhaften Aussagen des Beschuldigten geht die Kammer davon aus, dass aus seiner Sicht die vor ihm liegende Fahrbahnfläche, nach entsprechender Kommunikation mit zwei entgegenkommenden Fahrzeuglenkern, vor dem Beginn des eigentlichen Abbiegemanövers frei war. Dementsprechend wurde ab diesem Zeitpunkt von ihm keine spezielle Aufmerksamkeit nach rechts und nach vorne mehr verlangt.
Zur Diskussion steht damit noch das Befahren eines Trottoirs (inkl. korrekte Umfahrung der Mittelinsel) und keine vielbefahrene Querstrasse, wie dies etwa im Urteil BGE 122 IV 225 der Fall war. Sodann herrschte am 21. November 2018 kein überdurchschnittlich hohes Verkehrsaufkommen (vgl. Aussagen des Beschuldigten und des Zeugen C.__ sowie Unfallaufnahmeprotokoll, pag. 5). Das Wetter war laut Unfallaufnahmeprotokoll zwar bedeckt, den Akten lassen sich aber keine Hinweise auf schlechte Sichtverhältnisse entnehmen. Es mag ferner zutreffen, dass sich die auf dem Trottoir fahrende †I.__ verkehrsregelwidrig verhalten hat. Von einer «krassen» Verkehrsregelverletzung, wie sie im Fall BGE 122 IV 225 etwa hinsichtlich des Mofa-Fahrers vorlag, kann aber bei weitem nicht gesprochen werden. Es hätten sich etwa auch ein Jogger, eine Skateboard-Fahrerin ein elektrischer Rollstuhl auf dem Trottoir nähern können. Es darf mit Blick auf die damalige Verkehrssituation also ohne Weiteres erwartet werden, dass der Beschuldigte seine Aufmerksamkeit (auch) auf das besagte Trottoir (und zwar in Richtung Unterführung und zurück in Richtung M.__) richten konnte respektive hätte richten können. Das Befahren des Trottoirs stellt nämlich eine neue potentielle Gefährdung im Rahmen des dynamischen Abbiegemanövers dar. Den Beschuldigten traf die Pflicht, der geschaffenen Gefährdung mit entsprechender Vorsicht und höchster Aufmerksamkeit zu begegnen. Bei einer sorgfältigen Kontrolle bzw. einem letzten Blick aus dem linken Seitenfenster hätte der Beschuldigte dann auch †I.__ auf dem Fahrrad gesehen und hätte sein Fahrzeug zur Not bis zum Stillstand abbremsen können bzw. müssen. Dieses Mass an Sorgfalt und Aufmerksamkeit muss (und darf) dem Beschuldigten ohne Weiteres zugemutet werden.
Soweit der Beschuldigte geltend macht, es habe während der Anfahrt auf der N.__ mehrfach sichttote Winkel gegeben (pag. 191; pag. 274), ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Problematik der sichttoten Winkel in der entscheidenden Phase (Befahren des Trottoirs) nicht relevant war. Darüber hinaus ist nunmehr auch nicht mehr bestritten, dass das herannahende Mädchen mit einem Blick aus dem linken Seitenfenster im entscheidenden Moment auch für den Beschuldigten sichtbar gewesen wäre. Sodann muss der Fahrzeuglenker, nach mehrfach bestätigter Ansicht des Bundesgerichts, ohnehin dafür besorgt sein, dass das sich aus jenem Faktor ergebende Risiko ausgeschaltet wird (beispielhaft etwa BGE 127 IV 34 E. 3b m.w.H.). Der Chauffeur muss sich jedenfalls den aus dem Problem des sichttoten Winkels resultierenden Gefahren bewusst sein und die ihm möglichen Massnahmen treffen, um das Risiko zu beseitigen, wenn nach den Umständen die nahe Möglichkeit besteht, dass sich Verkehrsteilnehmer (oder allenfalls auch Fussgänger) im verdeckten Sichtbereich befinden könnten. Dazu gehört, dass er dieser Gefahr im Sinne einer vorausschauenden Vorsicht besondere Aufmerksamkeit schenkt und das Verkehrsgeschehen im Hinblick auf sein beabsichtigtes Fahrmanöver beobachtet. Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann dem Lastwagenlenker gemäss Bundesgericht nur dann nicht zur Last gelegt werden, wenn sich mit Sicherheit ausschliessen lässt, dass er auch bei Aufwendung aller gehörigen und zumutbaren Vorsicht einen im sichttoten Bereich seines Fahrzeugs verborgenen anderen Verkehrsteilnehmer hätte erkennen können und er mit einem solchen aufgrund der konkreten Verhältnisse auch nicht hätte rechnen müssen (BGE 127 IV 34 E. 3b). Solches ist vorliegend wie die vorangegangenen Ausführungen zeigen - nicht der Fall.
Insoweit der Beschuldigte schliesslich vorbringt, er habe nicht damit rechnen müssen, dass eine Fahrradfahrerin auf dem Trottoir fahrend entgegenkomme, und sich damit auf den Vertrauensgrundsatz nach Art. 26 Abs. 1 SVG beruft wonach sich jeder Verkehrsteilnehmer im Sinne einer allgemeinen Sorgfaltspflicht so verhalten muss, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet -, ist folgendes festzuhalten: Grundsätzlich darf ein Fahrzeugführer darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer und auch Fussgänger der Pflicht nach Art. 26 Abs. 1 SVG nachkommen, es sei denn, es bestünden Anzeichen auf ein Fehlverhalten. Um ein mögliches Fehlverhalten überhaupt erkennen zu können, ist der Fahrzeugführer allerdings zur Aufmerksamkeit verpflichtet. Er muss grundsätzlich beide Fahrbahnen und Trottoirseiten beobachten. So muss ein Fahrzeugfahrer gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung etwa Sicht auf die gesamte Strasse und das Trottoir in der Nähe des Fussgängerstreifens haben, damit er jederzeit bei auftauchenden Fussgängern anhalten kann (Urteil des Bundesgerichts 6B_262/2016 vom 6. Januar 2017 E. 3.2.2; Urteil 6B_493/2011 vom 12. Dezember 2011 E. 4.2.1). Es mag zwar sein, dass †I.__ mit ihrem Fahrrad das Trottoir grundsätzlich nicht hätte befahren dürfen. Der Beschuldigte hätte sie bei pflichtgemässer Sorgfalt jedoch sehen und ihr Fehlverhalten erkennen können. Unter anderem bei Kindern ist ferner eine besondere Vorsicht geboten (Art. 26 Abs. 2 SVG). Sodann wäre es um diese Zeit (kurz vor 14:00 Uhr) problemlos auch möglich gewesen, dass ein Fussgänger, eine Joggerin, ein Skateboarder ein Kind auf einem anderen fahrbaren Gerät auf besagtem Trottoir unterwegs gewesen wäre. Darüber hinaus kann sich ohnehin nur auf den Vertrauensgrundsatz berufen, wer sich selbst verkehrsregelkonform verhalten hat. Wer, wie der Beschuldigte, einen Fehler beging und damit eine Gefahr respektive gefährliche Verkehrslage geschaffen hat, darf sich nicht darauf verlassen, dass andere diese Gefahr durch erhöhte Vorsicht ausgleichen werden (Urteil des Bundesgerichts 6B_917/2016 vom 9. Dezember 2016 E. 2.5.1; Urteil 6B_1185/2014 vom 24. Februar 2015 E. 2.2; BGE 125 IV 83 E. 2b).
3.4 Voraussehbarkeit und Vermeidbarkeit
Vorliegend stellt sich ferner die Frage, ob die Handlung des Beschuldigten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und den Erfahrungen des Lebens geeignet war, einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen mindestens zu begünstigen. Die Adäquanz ist nur zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände als Mitursache hinzutreten, mit denen schlechthin nicht gerechnet werden musste und die derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbarste Ursache des Erfolges erscheinen und so alle anderen mitverursachenden Faktoren, namentlich das Verhalten des Angeschuldigten in den Hintergrund drängen (Urteil des Bundesgerichts 6B_782/218 vom 19. Juni 2020 E. 2.3.2). Das Bundesgericht lässt dabei einen hohen Abstraktionsgrad genügen. Die Voraussehbarkeit wird auch bei sehr aussergewöhnlichen Kausalverläufen bejaht, so beispielsweise bei Fussgängern (BGE 100 IV 279 E. 3d) einem Stuhl (BGE 93 IV 115) auf der Autobahn etwa einem Metallregal auf der Überholspur (Urteil des Bundesgerichts 6B_673/2011 vom 20. Dezember 2011). Es hat namentlich auch ausgeführt, dass die Gefahr des Zusammentreffens mit unbeleuchteten Hindernissen auch auf Autobahnen nicht so selten sei, als dass ihre Möglichkeit unberücksichtigt bleiben dürfte. So sei auch auf Autobahnen mit Tieren zu rechnen, die sich auf die Fahrbahn verirren von vorausfahrenden Fahrzeugen angefahren würden und die Fahrbahn nicht mehr verlassen könnten. Ebenso trete verhältnismässig häufig der Fall ein, dass Ladegut von fahrenden Fahrzeugen herabfalle, dass es stillstehende Fahrzeuge habe, die infolge einer Betriebsstörung eines Unfalles die Fahrbahn versperrten, ohne dass sie sofort beiseitegeschafft durch Sicherungsmassnahmen für den übrigen Verkehr rechtzeitig und auf genügende Entfernung kenntlich gemacht werden könnten. Auch komme es hin und wieder vor, dass ein Verunfallter, z.B. ein gestürzter Motorradfahrer, bewusstlos in verletztem Zustand während kürzerer längerer Zeit auf der Fahrbahn liegen bleibe (BGE 93 IV 115 E. 2). Dass zuweilen nicht nur Fussgänger (welche i.d.R. langsamer unterwegs sind), sondern etwa auch Personen auf fahrzeugähnlichen Geräten (insbesondere Kinder), Jogger, Skateboarder elektrische Rollstühle um kurz vor 14:00 Uhr auf Trottoirs unterwegs sind, ist deshalb nicht derart aussergewöhnlich, als dass nicht damit gerechnet werden müsste.
Damit der Eintritt des Erfolgs auf das pflichtwidrige Verhalten des Täters zurückzuführen ist, genügt allerdings seine Voraussehbarkeit nicht. Weitere Voraussetzung ist vielmehr, dass der Erfolg auch vermeidbar war. Dabei wird ein hypothetischer Kausalverlauf untersucht und geprüft, ob der Erfolg bei pflichtgemässem Verhalten des Täters ausgeblieben wäre (Urteil des Bundesgerichts 6B_217/2020 vom
31. August 2020 E 4.2; BGE 135 IV 56 E. 2.1 m.w.H.). Dem Beschuldigten wäre es möglich gewesen, den Eintritt des Todes von †I.__ zu vermeiden, hätte er sich pflichtgemäss verhalten. Hätte er nämlich dem zu überquerenden Trottoir die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, indem er vor dem Befahren einen letzten Seitenblick aus dem linken Fenster geworfen hätte, so hätte er das herannahende Mädchen sehen und zur Not den Lastwagen anhalten müssen bzw. können, um ihr den Vortritt zu gewähren. Diesfalls wäre es nicht zur Kollision gekommen. Der tatbestandsmässige Erfolg - der Tod von †I.__ wäre demzufolge vermeidbar gewesen.
3.5 Risikozusammenhang
Zwischen dem fehlenden letzten Blick aus dem linken Seitenfenster, dem Entscheid, das Trottoir zu befahren und dem eingetretenen Geschehensablauf besteht ein Risikozusammenhang. Sorgfaltsgemässes Handeln was vorliegend einen letzten Blick aus dem linken Seitenfenster vor dem Befahren des Trottoirs bedeutet hätte wäre nicht nutzlos gewesen. Vielmehr hätten damit die Kollision und der Unfalltod von †I.__ verhindert werden können.
Im Weiteren soll dem Täter der Erfolg nicht zugerechnet werden, wenn sich darin nicht jene Gefahr verwirklicht, welche die verletzte Sorgfaltsnorm zu vermeiden versucht. Art. 31 Abs. 1 SVG ist relativ offen formuliert. So muss der Führer eines Fahrzeugs dieses ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Erwartet wird demnach, dass ein Fahrzeugführer die konkrete Verkehrssituation aufnimmt, verarbeitet und entsprechend rechtzeitig sowie in einer der Situation angepassten Weise reagieren kann. So etwa auf mögliche Gefahrenquellen, sich regelwidrig verhaltende Verkehrsteilnehmer unvorsichtige Fussgänger (Roth, a.a.O., Art. 31 N 48 m.w.H.). Die sich aus Art. 31 Abs. 1 SVG ergebende Pflicht schützt demnach die übrigen Verkehrsteilnehmer, so auch Fussgänger und Fahrradfahrer. Indem der Beschuldigte seine ihm obliegenden Pflichten vernachlässigt hat, hat er genau die Gefahr geschaffen, die dann in den Tod von †I.__ umgeschlagen ist.
3.6 Fazit
Nach dem Gesagten steht fest, dass der Beschuldigte durch ein unvorsichtiges Abbiegemanöver nach links seine Vorsichtspflichten missachtet und sich dadurch der fahrlässigen Tötung nach Art. 117 StGB strafbar gemacht hat.
IV. Strafzumessung
1. Allgemeine Ausführungen und Strafrahmen
Für die allgemeinen Ausführungen zur Strafzumessung kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (S. 23 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 225 f.).
Der Strafrahmen von Art. 117 StGB reicht von drei Tagessätzen Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe.
2. Tatkomponenten
†I.__ starb an den Verletzungen, die ihr durch den Unfall zugefügt wurden. Ihr Tod war unnötig und ist insbesondere für ihre Nächsten äusserst tragisch. Die Missachtung des allerhöchsten geschützten Rechtsguts und die schlimmen Folgen einer Tötung sind allerdings tatbestandsimmanent. Zu bewerten ist mithin das Ausmass der Sorgfaltspflichtverletzung. Die Kammer erachtet wie schon die Vorinstanz - die Sorgfaltspflichtverletzung als gering. Es handelte sich um einen bloss kurzen Moment der Unaufmerksamkeit. Im Rahmen des Abbiegemanövers hat der Beschuldigte das vor ihm liegende Trottoir befahren, ohne mit einem letzten Blick aus dem linken Seitenfenster zu prüfen, ob sich jemand darauf befindet eben angefahren kommt. Das Verschulden des Beschuldigten ist gestützt auf das Ausmass der Sorgfaltspflichtverletzung als leicht zu bezeichnen. Die Art der Tatbegehung wirkt sich weder verschuldenserhöhend noch -vermindernd aus. Es liegt ein schlichter Fahrfehler vor, eine kurze Unaufmerksamkeit, welche tragische Folgen hatte. Der Umstand, dass er fahrlässig handelte, ist beim Fahrlässigkeitsdelikt ebenfalls neutral zu werten. Das Verschulden des Beschuldigten ist gestützt auf die Tatkomponenten als leicht zu bezeichnen. Die von der Vorinstanz als angemessen erachteten 60 Strafeinheiten sind mithin zu bestätigen.
3. Täterkomponenten
Wie bereits die Vorinstanz festgestellt hat, ist der Beschuldigte im Schweizerischen Strafregister nicht verzeichnet. Dies wirkt sich allerdings neutral aus. Sein Verhalten im Strassenverkehr war überwiegend tadellos, obwohl er aufgrund seines Berufs verhältnismässig viel unterwegs ist (ausgenommen hiervon ist der Vorfall betreffend die ungenügend gesicherte Ladung). Auch die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten sind als neutral zu werten. Er ist weiterhin als Chauffeur tätig, verheiratet und Vater von drei Kindern. Seine familiäre Situation hat sich gemäss seinen eigenen Aussagen seit dem Unfall im Jahr 2018 nicht verändert. Der Beschuldigte befindet sich daher in geordneten privaten Verhältnissen. Die Vorinstanz wies sodann auf die Kooperation des Beschuldigten und auf seine offensichtliche Reue hin. Diesen Ausführungen kann sich die Kammer vorbehaltlos anschliessen. Aussergewöhnliche Umstände, welche schliesslich auf eine erhöhte Strafempfindlichkeit des Beschuldigten schliessen lassen würden, sind nicht ersichtlich (vgl. Urteile 6B_1079/2016 vom 21. März 2017 E. 1.4.5; 6B_249/2016 vom 19. Januar 2017 E. 1.4.4.; 6B_243/2016 vom 8. September 2016 E. 3.4.2; 6B_748/2015 vom 29. Oktober 2015 E. 1.3). Insgesamt sind die Täterkomponenten in Übereinstimmung mit der Vorinstanz als neutral zu werten.
4. Fazit
Nach Auffassung der Kammer erscheint eine Strafe von insgesamt 60 Strafeinheiten in Berücksichtigung der vorstehend erwähnten Strafzumessungsfaktoren als angemessen.
5. Strafart / Tagessatzhöhe
Bei der Wahl der Sanktionsart ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als wichtiges Kriterium die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen. Nach dem Prinzip der Verhältnismässigkeit soll bei alternativ zur Verfügung stehenden Sanktionen im Regelfall diejenige gewählt werden, die weniger stark in die persönliche Freiheit des Betroffenen eingreift bzw. die ihn am wenigsten hart trifft (BGE 138 IV 120 E. 5.2; BGE 134 IV 97 E. 4.2.2, BGE 134 IV 82 E. 4.1; zum Ganzen vgl. Urteil des Bundesgerichts 6B_1246/2015 vom 9. März 2016 E. 1.2.2). Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft. Darüber hinaus geben auch seine persönlichen Verhältnisse keinen Anlass, auf eine Freiheitsstrafe zu erkennen. Es ist demnach eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen auszufällen.
Gemäss Art. 34 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach dem Einkommen und Vermögen, dem Lebensaufwand, allfälligen Familienund Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.
Die Vorinstanz stellte für die Berechnung der Tagessatzhöhe auf die anlässlich der Hauptverhandlung gemachten Aussagen des Beschuldigten zu seinen damaligen finanziellen Verhältnissen ab. Sie rechnete mit einem Erwerbseinkommen von gerundet CHF 5‘400.00 (inkl. Anteil 13. Monatslohn) sowie mit einem kleinen Nebeneinkommen seiner Ehefrau von ca. CHF 200.00. Mitberücksichtigt wurden familieninterne Unterstützungsleistungen für die Ehefrau und die drei Kinder sowie der praxisgemässe Abzug für allgemeine Lebenshaltungskosten. Es resultierte ein abgerundeter Tagessatz von CHF 60.00.
Die Kammer kann sich den Berechnungen der Vorinstanz grundsätzlich anschliessen und geht von einem monatlichen Einkommen des Beschuldigten in Höhe von CHF 5'416.00 aus (inkl. 13 Monatslohn; pag. 263, Z. 42 f.; pag. 264, Z. 22 ff.). Die Ehefrau des Beschuldigten verdient zufolge Corona-Pandemie im Moment nicht mit (pag. 264, Z. 1 f.). Unter Berücksichtigung dieses Umstands und der familiären Unterstützungspflichten des Beschuldigten sowie eines Pauschalabzugs für allgemeine Lebenshaltungskosten ergibt sich eine Tagessatzhöhe von CHF 60.00.
6. Vollzug der Strafe
Das Gericht schiebt den Vollzug einer Geldstrafe in der Regel auf, wenn eine unbedingte Strafe nicht notwendig erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten (Art. 42 Abs. 1 StGB).
Wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, sind vorliegend keine Umstände ersichtlich, die einer günstigen Prognose entgegenstehen würden, weshalb dem Beschuldigten für die Geldstrafe der bedingte Strafvollzug mit der minimalen Probezeit von zwei Jahren zu gewähren ist.
Die Vorinstanz hat auf das Ausfällen einer Verbindungsbusse verzichtet (S. 26 f. der erstinstanzlichen Urteilsbegründung; pag. 228 f.). Dieses Vorgehen ist angesichts der Auswirkungen des Unfalls auch auf den Beschuldigten zutreffend. Ein zusätzlicher «Denkzettel» ist im vorliegenden Fall nicht angebracht. Oberinstanzlich wäre ohnehin das Verbot der reformatio in peius zu beachten.
V. Kosten und Entschädigung
1. Verfahrenskosten / Entschädigung
Fällt die Rechtsmittelinstanz einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO). Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten, soweit sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO).
Davon ausgehend sind die erstinstanzlichen Verfahrenskosten von CHF 10'635.50 (Gebühren von CHF 4'410.00 und Auslagen von CHF 6'225.50; pag. 170, pag. 198.2) dem Beschuldigten zur Bezahlung aufzuerlegen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte unterliegt im oberinstanzlichen Verfahren mit seinen Anträgen. Die oberinstanzlichen Verfahrenskosten, insgesamt bestimmt auf einen Pauschalbetrag von CHF 3'000.00, gehen deshalb zu seinen Lasten.
Beim vorliegenden Verfahrensausgang hat der Berufungsführer keinen Anspruch auf eine Entschädigung seiner Verteidigungskosten (Art. 429 Abs. 1 Bst. a StPO e contrario).
VI. Verfügungen
1. Für die Verfügungen (Eröffnungsformel) wird auf das Dispositiv verwiesen.
VII. Dispositiv
Die 1. Strafkammer erkennt:
I.
A.__ wird schuldig erklärt:
der fahrlässigen Tötung, begangen am 21. November 2018 in D.__,
E.__(Strasse)
und in Anwendung der
Art. 12 Abs. 3, 34, 42 Abs. 1, 44 Abs. 1, 47, 117 StGB; Art. 31 Abs. 1 SVG; Art. 426 Abs. 1, 428 Abs. 1 und 3 StPO

verurteilt:
1. Zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu CHF 60.00, ausmachend total
CHF 3'600.00.
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.
2. Zur Bezahlung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten, sich zusammensetzend aus Gebühren und Auslagen, insgesamt bestimmt auf CHF 10'635.50.
3. Zur Bezahlung der oberinstanzlichen Verfahrenskosten, insgesamt bestimmt auf eine Pauschalgebühr von CHF 3'000.00.
II.
1. Mündlich eröffnet und begründet:
• dem Beschuldigten, v.d. Fürsprecher B.__
2. Zu eröffnen:
• dem Beschuldigten, v.d. Fürsprecher B.__
• der Generalstaatsanwaltschaft
Mitzuteilen:
• der Vorinstanz
• der Koordinationsstelle Strafregister (nur Dispositiv, nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
• dem Strassenverkehrsund Schifffahrtsamt des Kantons Bern (Urteil mit Begründung; nach unbenutztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Entscheid der Rechtsmittelbehörde)
Bern, 15. Oktober 2020
(Ausfertigung: 24. November 2020)
Im Namen der 1. Strafkammer
Der Präsident:
Oberrichter Vicari

Die Gerichtsschreiberin:
Ragonesi



Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung der schriftlichen Begründung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.
Quelle: https://www.zsg-entscheide.apps.be.ch/tribunapublikation/

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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