BK 2023 175 - Nichtanhandnahme
Obergericht
des Kantons Bern
Beschwerdekammer in Strafsachen
Cour suprême
du canton de Berne
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Beschluss
BK 23 175
Bern, 15. Mai 2023
Besetzung Oberrichter Bähler (Präsident), Oberrichter Schmid,
Oberrichter Gerber
Gerichtsschreiberin Neuenschwander
Verfahrensbeteiligte A.__
Beschuldigte
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern
B.__
Straf- und Zivilkläger/Beschwerdeführer
Gegenstand Nichtanhandnahme
Strafverfahren wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm
Beschwerde gegen die Verfügung der Kantonalen Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben vom 21. April 2023 (BA 23 978)
Erwägungen:
1. Mit Verfügung vom 21. April 2023 nahm die kantonale Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) das von B.__ initiierte Strafverfahren gegen A.__ wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm nicht an die Hand. Hiergegen erhob B.__ (nachfolgend: Beschwerdeführer) am 1. Mai 2023 Beschwerde bei der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern (nachfolgend: Beschwerdekammer).
Mit Blick auf das Nachfolgende wurde auf das Einholen einer Stellungnahme bzw. auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet (Art. 390 Abs. 2 der Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO; SR 311.0]). Es ergeht ein direkter Beschluss.
2. Gegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft kann bei der Beschwerdekammer in Strafsachen innert zehn Tagen schriftlich und begründet Beschwerde geführt werden (Art. 393 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 396 Abs. 1 StPO, Art. 35 des Gesetzes über die Organisation der Gerichtsbehörden und der Staatsanwaltschaft [GSOG; BSG 161.1] i.V.m. Art. 29 Abs. 2 des Organisationsreglements des Obergerichts [OrR OG; BSG 162.11]). Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Verfügung unmittelbar in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen und somit zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 382 Abs. 1 StPO). Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
3. Zum Sachverhalt geht aus den der Kammer vorliegenden Akten hervor, dass der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug am 5. April 2023 Anzeige gegen D.__ resp. E.__ und damit gegen A.__ wegen Verletzung der Antirassismus-Strafnorm einreichte. Darin warf er ihr vor, er könne auf der Website mit dem Online Formular keinen Strafregisterauszug bestellen, da hierfür zwingend der Vater angegeben werden müsse und er dies nicht könne, da kein anerkanntes Verhältnis zu einem Vater vorliege. Die Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben, welche das Verfahren am 19. April 2023 übernahm, erliess am 21. April 2023 eine Nichtanhandnahmeverfügung. Zur Begründung führte sie Folgendes aus:
Vorliegend sind die Vorbringen von B.__ zum Vornherein ungeeignet, ein strafbares Handeln von A.__ zu begründen. Vorab sind Personen ohne anerkanntes Vaterschaftsverhältnis zu einem Vater keine geschützte Gruppe i.S.v. Art. 261bis StGB. Ferner ist die Angabe eines Vaters keine gesetzliche Voraussetzung für den Erhalt eines Privatauszuges aus dem Strafregister (Art. 54 Abs. 3 StReG) und das Online-Bestellverfahren nicht die einzige Möglichkeit, einen solchen zu erhalten (Art. 52 Abs. 1 StReV). Schliesslich ist A.__ die gestalterische Darstellung der fraglichen Website in der Absicht, Personen ohne anerkanntes Verwandtschaftsverhältnis zu einem Vater zu diskriminieren, objektiv und subjektiv nicht nachweisbar. Das Verfahren ist daher nicht an die Hand zu nehmen (Art. 310 Abs. 1 Bst. a StPO).
4.
4.1 Gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO verfügt die Staatsanwaltschaft u.a. die Nichtanhandnahme der Untersuchung, sobald aufgrund der Strafanzeige des Polizeirapports feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (Bst. a). Ein Strafverfahren kann mithin in sachverhaltsmässig und rechtlich klaren Fällen gemäss Art. 310 Abs. 1 StPO durch Nichtanhandnahme erledigt werden. Dies ist der Fall bei offensichtlicher Straflosigkeit, wenn der Sachverhalt mit Sicherheit nicht unter einen Straftatbestand fällt bei eindeutig fehlenden Prozessvoraussetzungen. Ein Straftatbestand gilt nur dann als eindeutig nicht erfüllt, wenn kein zureichender Verdacht auf eine strafbare Handlung besteht der zu Beginn der Strafverfolgung gegebene Anfangsverdacht sich vollständig entkräftet hat. Ergibt sich indes aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige aus den eigenen Feststellungen der Staatsanwaltschaft ein hinreichender Tatverdacht, so eröffnet sie eine Untersuchung (Art. 309 Abs. 1 Bst. a StPO). Die zur Eröffnung einer Strafuntersuchung erforderlichen tatsächlichen Hinweise auf eine strafbare Handlung müssen allerdings erheblich und konkreter Natur sein. Blosse Gerüchte Vermutungen genügen nicht. Der Anfangsverdacht muss auf einer plausiblen Tatsachengrundlage beruhen, aus welcher sich die konkrete Möglichkeit der Begehung einer Straftat ergibt (Urteile des Bundesgerichts 6B_572/2021 vom 10. Februar 2022 E. 3.1; 6B_700/2020 vom 17. August 2021 E. 3.3; 6B_472/2020 vom 13. Juli 2021 E. 2.2.1; 6B_585/2019 vom 25. Oktober 2019, E. 3.1 mit Verweis auf BGE 141 IV 87 E. 1.3.1).
4.2 Der Rassendiskriminierung nach Art. 261bis StGB macht sich strafbar, wer öffentlich gegen eine Person eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion sexuellen Orientierung zu Hass Diskriminierung aufruft; wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung Verleumdung dieser Personen Personengruppengerichtet sind; wer mit dem gleichen Ziel Propagandaaktionen organisiert, fördert daran teilnimmt; wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten in anderer Weise eine Person eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt diskriminiert aus einem dieser Gründe Völkermord andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost zu rechtfertigen sucht wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion sexuellen Orientierung verweigert.
Angriffsobjekt von Art. 261bis StGB sind entweder einzelne Personen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe unmittelbar die Gruppe selbst. Von Art. 261bis StGB werden rassische, ethnische religiöse Gruppen bzw. Gruppen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erfasst. Diese Gruppen verstehen sich selbst (Selbstwahrnehmung) als anders als die anderen und werden auf Grundlage bestimmter konstanter Merkmale – ihrer Physiognomie, ihrer Kultur, ihrer Glaubensoder sexuellen Orientierung – von den übrigen Gruppen (Fremdwahrnehmung) als anders empfunden und verstanden. Strafbar ist eine Diskriminierung aufgrund einer zugeschriebenen Rasse, Ethnie, Religion sexuellen Orientierung, d.h. es ist unmassgeblich, ob die diskriminierte Person tatsächlich dieser Gruppe angehört (Mettler, in: Basler Kommentar zum Schweizerischen Strafgesetzbuch, 4. Auflage 2019, N. 13 f. zu Art. 261bis StGB). Die Aufzählung von Art. 261bis StGB ist abschliessend. De lege lata werden bspw. politische, geographische und nationale Gruppen nicht geschützt (es sei denn, es handle sich dabei um ein Synonym für bestimmte Rassen, Ethnien, Religionen sexuelle Orientierungen); ebenso wenig Gruppen, die sich aufgrund des Gesundheitszustands, des Alters etc. unterscheiden (Mettler, a.a.O., N. 21 zu Art. 261bis StGB).
Die Beschwerdekammer gelangt zum Schluss, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren zu Recht nicht an die Hand genommen hat. Wie in der angefochtenen Verfügung zutreffend ausgeführt, sind Personen ohne anerkanntes Verwandtschaftsverhältnis zu einem Vater keine geschützte Gruppe gemäss Art. 261bis StGB. Von dieser Gesetzesbestimmung geschützt werden wie erwähnt nur Personen eine Gruppe von Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Religion sexuellen Orientierung. Damit kann der Sachverhalt, wie er zur Anzeige gebracht worden ist, Art. 261bis StGB offensichtlich nicht erfüllen und es besteht kein hinreichender Anfangsverdacht, der die Aufnahme eines Strafuntersuchung rechtfertigen würde. Daran vermögen auch die Ausführungen des Beschwerdeführers nichts zu ändern. Ob ein Verwandtschaftsverhältnis zu einem Vater (sog. Zahlvaterschaft) vorliegt und inwieweit dieses in das Personenstandsregister eingetragen werden kann, ist nicht in einem Strafbzw. Beschwerdeverfahren zu klären.
5. Die Beschwerde erweist sich vor diesem Hintergrund als offensichtlich unbegründet und ist abzuweisen.
6. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens, bestimmt auf CHF 1'000.00, zu bezahlen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Entsprechend hat er keinen Anspruch auf eine Entschädigung.
Die Beschwerdekammer in Strafsachen beschliesst:
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, bestimmt auf CHF 1'000.00, werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3. Entschädigung ist keine zu sprechen.
4. Zu eröffnen:
• dem Straf- und Zivilkläger/Beschwerdeführer (per Einschreiben)
• der Beschuldigten (per Einschreiben)
• der Generalstaatsanwaltschaft (per Kurier)
Mitzuteilen:
• der Kantonalen Staatsanwaltschaft für Besondere Aufgaben, Staatsanwalt C.__
(mit den Akten – per Kurier)
Bern, 15. Mai 2023
Im Namen der Beschwerdekammer
in Strafsachen
Der Präsident:
Oberrichter Bähler
Die Gerichtsschreiberin:
Neuenschwander
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden durch die Beschwerdekammer in Strafsachen in Rechnung gestellt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen seit Zustellung beim Bundesgericht, Av. du Tribunal fédéral 29, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 39 ff., 78 ff. und 90 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG; SR 173.110) geführt werden. Die Beschwerde muss den Anforderungen von Art. 42 BGG entsprechen.