E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil F-4921/2019

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts F-4921/2019

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung VI
Dossiernummer:F-4921/2019
Datum:18.02.2020
Leitsatz/Stichwort:Fristwiederherstellungsgesuch nach Nichteintretensentscheid
Schlagwörter : Recht; Rechtsmittel; Frist; Bundes; Urteil; Stunden; Bundesverwaltungsgericht; Einsprache; Beschwer; Rechtsmittelbelehrung; Interesse; Beschwerde; Verfahren; Einreise; Flughafen; Person; Schweiz; Fristwiederherstellung; Rechtsschutzinteresse; Einspracheentscheid; Urteile; Fristwiederherstellungsgesuch; Entscheid; Verfahrens; Verfügung; Nichteintretensentscheid; Wegweisung; Transitbereich
Rechtsnorm: Art. 19 BV ;Art. 24 VwVG ;Art. 29 BV ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:131 II 217; 132 I 249; 138 I 49; 139 II 279; 140 II 214; 141 II 307; 144 II 184
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung VI F-4921/2019

U r t e i l  v o m  1 8.  F e b r u a r  2 0 2 0

Besetzung Richterin Susanne Genner (Vorsitz), Richter Yannick Antoniazza-Hafner, Richterin Regula Schenker Senn, Gerichtsschreiberin Barbara Kradolfer.

Parteien A. ,

vertreten durch MLaw Laurin Katz, Rechtsanwalt, schelbertlaw Anwaltsbüro und Notariat, Gesuchstellerin,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Fristwiederherstellungsgesuch nach Nichteintretensentscheid.

Sachverhalt:

A.

Am 10. September 2019 um 12.41 Uhr wurde der Gesuchstellerin (russische Staatsangehörige, geb. 1987) die Einreise in die Schweiz am Flughafen Zürich verweigert und die Wegweisung aus dem Schengen-Raum ausgesprochen. Gleichentags kehrte die Gesuchstellerin mit dem Flug [ ] nach Moskau zurück.

B.

Gegen den Entscheid vom 10. September 2019 erhob die Gesuchstellerin, vertreten durch Rechtsanwalt B. , am 12. September 2019 Einsprache beim SEM, welches das Rechtsmittel am 16. September 2019 abwies.

C.

Gegen den Einspracheentscheid des SEM erhob die Gesuchstellerin, vertreten durch Rechtsanwalt Laurin Katz, am 19. September 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses trat mit Urteil F-4818/2019 vom

20. September 2019 auf die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein.

D.

Am 24. September 2019 reichte die Gesuchstellerin, nach wie vor vertreten durch Rechtsanwalt Laurin Katz, beim Bundesverwaltungsgericht ein Gesuch um Wiederherstellung der Beschwerdefrist ein.

E.

Mit Zwischenverfügung vom 2. Oktober 2019 forderte das Bundesverwaltungsgericht die Gesuchstellerin auf, bis zum 15. Oktober 2019 einen Kostenvorschuss von Fr. 300.- zu leisten. Dieser Betrag wurde am 11. Oktober 2019 zu Gunsten der Gerichtskasse überwiesen.

Es wurde kein Schriftenwechsel durchgeführt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Eine (gesetzliche oder behördliche) Frist wird wiederhergestellt, wenn der Gesuchsteller oder sein Vertreter unverschuldeterweise abgehalten worden ist, binnen Frist zu handeln, sofern er unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt (Art. 24 Abs. 1 VwVG).

    1. Für die Behandlung eines Fristwiederherstellungsgesuchs ist jene Behörde zuständig, welche bei Gewährung der Wiedereinsetzung über die nachgeholte Rechtshandlung zu befinden hat (STEFAN VOGEL, VwVGKommentar, 2. Aufl. 2018, N. 19 zu Art. 24). Das Bundesverwaltungsgericht, welches als Rechtsmittelbehörde infolge Nichteinhaltung der Beschwerdefrist gemäss Art. 65 Abs. 2bis AIG (SR 142.20) einen Nichteintretensentscheid gefällt hat, ist folglich zuständig für die Behandlung des Fristwiederherstellungsgesuchs.

    2. Das Urteil vom 20. September 2019 ist dem Vertreter der Gesuchstellerin am 23. September 2019 zugegangen. Das Fristwiederherstellungsgesuch ist am 24. September 2019 der Schweizerischen Post übergeben worden. Die Frist zur Einreichung des Gesuchs gemäss Art. 24 Abs. 1 VwVG ist damit gewahrt.

    3. Die Vorschriften betreffend Inhalt und Form der Rechtsschrift gemäss Art. 52 Abs. 1 VwVG (sinngemäss anwendbar im Verfahren betreffend Fristwiederherstellung) sind ebenfalls eingehalten.

    4. Die formelle Beschwer im Sinn von Art. 48 Abs. 1 Bst. a VwVG ist (mutatis mutandis) gegeben. Im Rahmen der materiellen Beschwer gemäss Art. 48 Abs. 1 Bst. b und c VwVG bleibt insbesondere zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ein aktuelles und praktisches Interesse an der Wiederherstellung der Frist für die Einreichung der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht hat. Ist dieses Interesse zu verneinen, ist auch das Interesse an der Behandlung des Fristwiederherstellungsgesuchs zu verneinen mit der Folge, dass darauf nicht einzutreten wäre.

2.

Im Beschwerdeverfahren gegen den Einspracheentscheid vom 16. September 2019 hatte das Bundesverwaltungsgericht keine Veranlassung, das

Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses zu prüfen, da die Beschwerde verspätet eingereicht worden war. Auf das Rechtsschutzinteresse ist im Folgenden näher einzugehen.

    1. Ein schutzwürdiges Interesse im Sinn von Art. 48 Abs. 1 Bst. c VwVG liegt vor, wenn die tatsächliche oder rechtliche Situation der beschwerdeführenden Person durch den Ausgang des Verfahrens unmittelbar beeinflusst werden kann (BGE 140 II 214 E. 2.1). Die Beschwerde dient nicht dazu, abstrakt die objektive Rechtmässigkeit des staatlichen Handelns zu überprüfen, sondern der beschwerdeführenden Person einen praktischen Vorteil zu verschaffen (BGE 141 II 307 E. 6.2 und 141 II 14 E. 4.4; Urteile des BVGer A-3156/2018 vom 5. Februar 2019 E. 2.1.3 und A-149/2016 vom 2. September 2016 E. 5.1; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 944). Das schutzwürdige Interesse besteht damit im Umstand, einen materiellen oder ideellen Nachteil zu vermeiden, den der angefochtene Entscheid mit sich bringen würde (BGE 139 II 279 E. 2.2; 131 II 587 E. 2.1; Urteil des BGer 2C_888/2015 vom 23. Mai 2016 E. 2.1). Dieser drohende Nachteil muss im Zeitpunkt des Entscheids noch bestehen und unmittelbar mit dem gutheissenden Entscheid abgewendet werden können. Der praktische Nutzen muss mithin bereits mit dem Obsiegen eintreten (Urteile des BVGer A-5075/2018 vom 22. März 2019 E. 2.2; A-3156/2018 vom 5. Februar 2019

      E. 2.1.3 und A-149/2016 vom 2. September 2018 E. 5.1; ISABELLE HÄNER,

      in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar VwVG, 2. Aufl. 2019, N. 22 zu Art. 48). Kein ausreichendes Rechtsschutzinteresse besteht auch dann, wenn die Interessen in einem anderen Verfahren gewahrt werden können (Urteil des BGer 2A.288/2006 vom 28. Juni 2006 E. 1.4; Urteile des BVGer A-3156/2018 vom 5. Februar 2019 E. 2.1.3 und A-149/2016 vom 2. Sep-

      tember 2018 E. 5.1; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, a.a.O., Rz. 945).

    2. Art. 65 AIG trägt den Randtitel «Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen» und hat folgenden Wortlaut:

      1. Wird die Einreise bei der Grenzkontrolle am Flughafen verweigert, so hat die Ausländerin oder der Ausländer die Schweiz unverzüglich zu verlassen.

      2. Die für die Grenzkontrolle zuständige Behörde erlässt im Namen des SEM innerhalb von 48 Stunden eine begründete Verfügung auf dem Formular nach Anhang V Teil B des Schengener Grenzkodex. Gegen diese Verfügung kann beim SEM innerhalb von 48 Stunden nach der Eröffnung schriftlich Einsprache erhoben werden. Die Einsprache hat keine aufschiebende Wirkung. Das SEM entscheidet innerhalb von 48 Stunden über die Einsprache.

        2bis Gegen den Einspracheentscheid des SEM kann innerhalb von 48 Stunden nach der Eröffnung Beschwerde erhoben werden. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Die Beschwerdeinstanz entscheidet innerhalb von 72 Stunden über die Beschwerde.

      3. Weggewiesenen Personen wird zur Vorbereitung ihrer Weiterreise für längstens 15 Tage der Aufenthalt in den internationalen Transitzonen der Flughäfen gestattet, sofern nicht die Ausschaffung (Art. 69) oder die Ausschaffungsoder Durchsetzungshaft (Art. 76-78) angeordnet wird. Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 83) und die Einreichung eines Asylgesuchs (Art. 22 AsylG).

    3. Gestützt auf Art. 65 Abs. 3 AIG wird den Personen, welche die Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen anfechten wollen, die Möglichkeit eingeräumt, den Rechtsmittelentscheid im Transitbereich des Flughafens abzuwarten. Auch der Gesuchstellerin wurde eine Aufenthaltsfrist von 15 Tagen gewährt. Sie hat jedoch nach der Verweigerung der Einreise am 10. September 2019 am Flughafen Zürich den Transitbereich am gleichen Abend verlassen und ist nach Moskau zurückgekehrt. Es stellt sich daher die Frage, ob mit Blick auf die in E. 2.1 zitierte Rechtsprechung und Lehre im Zeitpunkt der Erhebung der Beschwerde am 19. September 2019 (und aus der Sicht des SEM: der Erhebung der Einsprache am

      12. September 2019) noch ein aktuelles und praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde gegen die Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen gegeben war.

    4. Das Bundesverwaltungsgericht hatte bisher nur wenige Beschwerden betreffend Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen zu behandeln. In den Fällen, welche den Urteilen C-3853/2011 vom 8. Juli 2011 und C-1417/2008 vom 6. März 2008 zugrunde lagen, befand sich die beschwerdeführende Person von der Erhebung der Beschwerde bis zur Eröffnung des Urteils im Transitbereich des Flughafens, weshalb das aktuelle und praktische Interesse an einem positiven Entscheid implizit bejaht wurde. Auch im Fall C-3090/2016 vom 19. Mai 2016 befand sich die beschwerdeführende Person im Transitbereich; das Urteil enthält jedoch keine Erwägung zum Rechtsschutzinteresse, da es sich um einen Nichteintretensentscheid wegen Verspätung handelt. Zwei weitere Beschwerden wurden infolge Gegenstandslosigkeit von der Geschäftskontrolle abgeschrieben, weshalb sie ebenfalls keine Erwägungen zum Rechtsschutzinteresse enthalten (Urteile F-577/2019 und F-578/2019 vom 27. Februar 2019, nicht publiziert). Im bisher einzigen Fall, in dem die beschwerdeführende Person nach Erhebung der Beschwerde abgereist ist, hat das Bundesverwaltungsgericht einen Abschreibungsentscheid gefällt mit der Begründung, das Rechtsschutzinteresse sei infolge der Abreise dahingefallen (Urteil F-2412/2019 vom 22. Mai 2019, nicht publiziert).

      1. Nur das letztgenannte Urteil F-2412/2019 ist mit dem vorliegenden Fall vergleichbar, wobei dort die beschwerdeführende Person erst nach Einreichung eines Rechtsmittels, hier jedoch bereits vor Einreichung eines Rechtsmittels die Schweiz verlassen hat. Wird das Fehlen des Rechtsschutzinteresses mit der Abreise begründet, führt dieser Unterschied (nur) dazu, dass im einen Fall ein Abschreibungsentscheid ergeht (schutzwürdiges Interesse ist nachträglich dahingefallen), während im anderen Fall - wie hier - ein Nichteintretensentscheid in Betracht kommt (schutzwürdiges Interesse fehlt bereits bei Beschwerdeerhebung). Aufgrund der geringen Zahl an Urteilen, die grösstenteils nicht publiziert sind, kann nicht von einer Praxis gesprochen werden.

      2. Zu beachten ist zudem Folgendes: Die zitierten Urteile ergingen vor der Änderung vom 14. Dezember 2018 (Verfahrensregelungen und Informationssysteme, AS 2019 1413; BBl 2018 1685) betreffend das Verfahren der Anfechtung der Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen, welche am 1. Juni 2019 in Kraft getreten ist. Mit der neuen Fassung von Art. 65 Abs. 2 AIG und dem neu eingefügten Art. 65 Abs. 2bis AIG wurde dem Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, welches bisher als erste und einzige Rechtsmittelinstanz entschieden hatte, ein Einspracheverfahren vorgeschaltet. Diese neue Verfahrensordnung führt dazu, dass die beschwerdeführende Person, die den Entscheid im Transitbereich abwarten will, bei Ausschöpfung aller Rechtsmittelund Behandlungsfristen 11 Tage dort verbringen muss (begründete Verfügung ist innerhalb von 48 Stunden zu erlassen, Einsprachefrist beträgt 48 Stunden, Einspracheentscheid ist innert 48 Stunden zu erlassen, Beschwerdefrist beträgt 48 Stunden, Beschwerdeentscheid ist innert 72 Stunden zu erlassen). Nach der bis zum 31. Mai 2019 geltenden Rechtslage betrug diese Dauer 6 Tage. Es erscheint fraglich, ob angesichts der neuen Ausgangslage ein aktuelles und praktisches Interesse - dem Urteil F-2412/2019 vom 22. Mai 2019 folgend - nur zu bejahen sein wird, wenn die beschwerdeführende Person den Entscheid des Gerichts im Transitbereich abwartet. Wie nachfolgend zu zeigen sein wird, ist das Rechtsschutzinteresse im vorliegenden Fall aus einem anderen Grund zu bejahen. Die Frage, ob die beschwerdeführende Person durch das Verlassen des Transitbereichs bzw. die Rückreise ihr Rechtsschutzinteresse grundsätzlich aufgibt, kann daher offen bleiben.

    5. Die Gesuchstellerin verfügte im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung über ein von Frankreich ausgestelltes Schengen-Visum, gültig vom

      28. Juni 2019 bis 27. Juni 2020 für 90 Tage mit der Möglichkeit zu mehrfacher Einreise. Gleichzeitig war in der Schweiz ein Rekursverfahren vor der Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich betreffend Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung hängig, wobei dem Rekurs aufschiebende Wirkung zukommt. Die Gesuchstellerin war somit berechtigt, den Entscheid der kantonalen Behörde in der Schweiz abzuwarten. Eine Gutheissung der Beschwerde betreffend Verweigerung der Einreise am Flughafen würde der Gesuchstellerin den Grenzübertritt ermöglichen, ohne dass sie bei den kantonalen Behörden ein Rückreisevisum beantragen müsste. Dieses Interesse besteht unabhängig vom Aufenthaltsort: Auch wenn sich die Gesuchstellerin in der Schweiz befinden würde, hätte sie ein aktuelles und praktisches Interesse daran, die Schweiz verlassen zu können, ohne ein Rückreisevisum zu beantragen. Dieses Interesse ist - auch mit Blick auf die Tatsache, dass die Gesuchstellerin längere Zeit in der Schweiz gelebt hat - schutzwürdig im Sinn von Art. 48 Abs. 1 Bst. c VwVG.

    6. Bei diesem Ergebnis kann schliesslich die Frage offenbleiben, ob in der vorliegenden Konstellation generell ein Rechtsschutzinteresse aus Art. 14 Abs. 3 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Kodifizierter Text) (Schengener Grenzkodex, ABl. L 77/1 vom 23.3.2016) fliesst: Die Bestimmung gewährt dem Drittstaatsangehörigen im Fall der Gutheissung der Beschwerde «[ ] einen Anspruch auf Berichtigung des ungültig gemachten Einreisestempels und anderer Streichungen oder Vermerke durch den Mitgliedstaat, der ihm die Einreise verweigert hat».

    7. Nach dem Gesagten ist die Legitimation zur Einreichung des Fristwiederherstellungsgesuchs zu bejahen. Auf das Fristwiederherstellungsgesuch ist einzutreten.

3.

Die Gesuchstellerin beantragt die Wiederherstellung der Beschwerdefrist im Verfahren F-4818/2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht mit dem Ziel, dass dieses auf ihre Beschwerde vom 19. September 2019 einzutreten hätte.

    1. Die Gesuchstellerin trägt vor, die Rechtsmittelbelehrung des Einspracheentscheids vom 16. September 2019 habe neben der Angabe, wonach die Rechtsmittelfrist 48 Stunden nach der Eröffnung betrage, den Zusatz enthalten, wonach «die Rechtsmittelfrist von 48 Stunden gewahrt [ist], wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist dem Bundesverwaltungsgericht, einer schweizerischen Poststelle oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wurde». Diese Formulierung könne nur so verstanden werden, dass die Frist unmittelbar mit Eröffnung der Verfügung zu laufen beginne und auch dann noch gewahrt sei, wenn die Beschwerde am selben Tag des Ablaufzeitpunktes dieser 48-Stunden-Frist bei einer Poststelle abgegeben werde (Hervorhebung durch die Gesuchstellerin). Die ursprüngliche Verfügung vom 10. September 2019 habe (in Bezug auf die Beschwerdefrist) exakt die gleiche Rechtsmittelbelehrung enthalten. Da eine identische Rechtsmittelbelehrung in zwei unterschiedlichen Verfügungen angebracht worden sei, habe sie - die Gesuchstellerin - darauf vertraut, dass diese richtig seien. Sie habe den negativen Einspracheentscheid am 17. September 2019 um 08.10 Uhr entgegengenommen. Die 48-Stunden-Frist wäre somit am

      1. September 2019 abgelaufen. In Übereinstimmung mit den beiden Rechtsmittelbelehrungen habe sie die Beschwerde am selbigen Tag des Ablaufs der 48-Stunden-Frist, also am 19. September 2019, einer schweizerischen Poststelle übergeben. Sie - die Gesuchstellerin - habe keinerlei Anlass gehabt, an der Richtigkeit der Rechtsmittelbelehrung zu zweifeln, zumal der offenbar falsche Satz zusätzlich angebracht worden sei, quasi als Erläuterung und Hilfe für diejenigen Adressaten, welche sich nicht täglich mit dieser Art von Frist konfrontiert sähen. Sie habe sich in einem unverschuldeten Irrtum über die Rechtsmittelfrist befunden. Dieser sei lediglich durch den erwähnten Zusatz in der Rechtsmittelbelehrung, welcher ausschliesslich betreffend die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angebracht worden sei, herbeigeführt worden. Dies werde dadurch belegt, dass sie - die Gesuchstellerin - die Einsprache beim SEM innerhalb von 48 Stunden eingereicht habe. Der Irrtum sei auch nicht einfach zu erkennen; ja selbst im heutigen Zeitpunkt - auch nach Sichtung der entsprechenden Lehre und Rechtsprechung - sei ihrem Rechtsvertreter noch nicht gänzlich klar, ob denn nun die Rechtsmittelbelehrung effektiv fehlerhaft gewesen sei.

    2. Selbst wenn - so die Gesuchstellerin weiter - davon auszugehen wäre, dass sie nicht auf die Rechtsmittelbelehrung vertrauen durfte, wäre der Nichteintretensentscheid des Bundesverwaltungsgerichts als überspitzt formalistisch zu betrachten und als Verstoss gegen Art. 29 Abs. 1 BV zu

werten. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Nichteintretensentscheid vom 20. September 2019 zu Unrecht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts C-3090/2016 vom 19. Mai 2016 verwiesen. In jenem Fall habe nämlich der Beschwerdeführer die später angefochtene Verfügung an einem Donnerstag um 12.30 Uhr erhalten. Die strenge Fristberechnung (exakt 48 Stunden) erscheine dort gerechtfertigt, da andernfalls eine erhebliche Verfahrensverzögerung eingetreten wäre. Im vorliegenden Fall hätte jedoch die Einhaltung der «Stundenfrist» durch Postaufgabe vor

8.10 Uhr am 19. September 2019 keinen Einfluss auf den Verfahrensgang gehabt, da die Beschwerde auch dann erst am 20. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingetroffen wäre. Eine nach Stunden einzuhaltende Frist sei nur sinnvoll, wenn die Übermittlung per Fax oder andere

«unmittelbare Technologien» erfolgen würde. Bei einer brieflichen Zustellung mache eine solche stündliche Abgrenzung keinen Sinn bzw. müsse eine gleichentags erfolgte Abgabe bei der Post als rechtzeitig gelten.

4.

    1. Praxisgemäss ist die Wiederherstellung der Frist gestützt auf Art. 24 Abs. 1 VwVG nur bei klarer Schuldlosigkeit der betroffenen Prozesspartei und ihrer Vertretung zu gewähren, d.h. wenn die Partei oder ihr Vertreter auch bei gewissenhaftem Vorgehen nicht rechtzeitig hätten handeln können. Bereits ein leichtes Verschulden steht einer Wiederherstellung entgegen (vgl. STEFAN VOGEL, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2. Aufl. 2018, N. 9 zu Art. 24). In Frage kommt objektive Unmöglichkeit zeitgerechten Handelns wie beispielsweise bei Naturkatastrophen, Militärdienst oder schwerwiegender Erkrankung, oder subjektive Unmöglichkeit, wenn zwar die Vornahme einer Handlung, objektiv betrachtet, möglich gewesen wäre, die be-

      troffene Person aber durch besondere Umstände, die sie nicht zu vertreten hat, am Handeln gehindert worden ist. In Betracht kommen hier insbesondere unverschuldete Irrtumsfälle (Urteile des BGer 2C_1096/2013 vom 19. Juli 2014 E. 4.1; 2C_699/2012 vom 22. Oktober 2012 E. 3.2, mit Hinweisen; 1C_360/2010 vom 26. Oktober 2010 E. 3.2.1; vgl. auch PATRICIA EGLI, Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N. 13 f. zu Art. 24). Es ist jedoch ein strenger Massstab anzuwenden. Insbesondere stellt ein auf Unachtsamkeit zurückzuführendes Versehen kein unverschuldetes Hindernis dar (Urteile des BGer 2C_177/2019 vom 22. Juli 2019 E. 4.2.1; 9C_862/2018 vom 10. Januar 2019 E. 1.2; 9C_821/2016 vom 2. Februar

      2017 E. 2.2).

    2. Hier kommt einzig eine subjektive Unmöglichkeit im Sinn der zitierten Rechtsprechung in Betracht. Zu prüfen ist daher, ob die (anwaltlich vertretene) Gesuchstellerin auf den Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung des Einspracheentscheids vertrauen durfte, wonach «die Rechtsmittelfrist von 48 Stunden gewahrt [ist], wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist dem Bundesverwaltungsgericht, einer schweizerischen Poststelle oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wurde».

    3. Der Grundsatz von Treu und Glauben gemäss Art. 9 BV umfasst die Garantie, dass den Parteien aus einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf. Dieses Prinzip wird in Art. 38 VwVG konkretisiert. Den erwähnten Schutz kann eine Prozesspartei jedoch nur dann beanspruchen, wenn sie sich nach Treu und Glauben auf die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung verlassen durfte. Wer die Unrichtigkeit erkannte oder bei gebührender Aufmerksamkeit hätte erkennen können, kann sich nicht auf Art. 9 BV berufen, wobei allerdings nur eine grobe prozessuale Unsorgfalt der betroffenen Partei oder ihres Anwalts eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung aufzuwiegen vermag. Der Vertrauensschutz versagt zudem nur dann, wenn der Mangel in der Rechtsmittelbelehrung für den Rechtsuchenden bzw. seinen Rechtsvertreter allein schon durch Konsultierung der massgebenden Verfahrensbestimmung ersichtlich gewesen wäre (BGE 138 I 49 E. 8.3.2; 135 III 374 E. 1.2.2.1; 134 I 199 E. 1.3.1; 12 9

      II 125 E. 3.3; 124 I 255 E. 1a/aa; 117 Ia 421 E. 2a; je mit weiteren Hinweisen). Wann der Prozesspartei, die sich auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung verlassen hat, eine als grob zu wertende Unsorgfalt vorzuwerfen ist, beurteilt sich nach den konkreten Umständen und nach ihren Rechtskenntnissen. Ist sie rechtsunkundig und auch nicht rechtskundig vertreten, darf sie nicht der anwaltlich vertretenen Partei gleichgestellt werden, es sei denn, sie verfüge namentlich aus früheren Verfahren über einschlägige Erfahrungen. Eine Überprüfung der in der Rechtsmittelbelehrung enthaltenen Angaben kann von einer Prozesspartei im Übrigen nur dann verlangt werden, wenn diese über die Kenntnisse verfügt, die es ihr überhaupt ermöglichen, die massgebende Gesetzesbestimmung ausfindig zu machen und gegebenenfalls auszulegen (BGE 138 I 49 E. 8.3.2; 135 III 374 E. 1.2.2.2;

      134 I 99 E. 1.3.1; 129 II 125 E. 3.3; 124 I 255 E. 1a/aa; 117 Ia 421 E. 2a).

      Von juristischen Laien kann dies in der Regel nicht verlangt werden (Urteil des EGMR Gajtani gegen Schweiz vom 9. September 2014, 43730/07,

      §§ 72 ff.).

    4. Die Gesuchstellerin liess sich bereits im Einspracheverfahren vor dem SEM anwaltlich vertreten, ebenso im Verfahren F-4818/2019 vor dem Bundesverwaltungsgericht, welches mit dem Nichteintretensentscheid vom

      1. September 2019 abgeschlossen wurde. Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen sind täglich mit gesetzlichen und behördlichen Fristen konfrontiert. Es gehört zu ihrer Kernaufgabe, diese Fristen im Interesse ihrer Klienten und Klientinnen zu überprüfen und einzuhalten. Deswegen war der Rechtsvertreter der Gesuchstellerin gehalten, die Rechtsmittelbelehrung des anzufechtenden Einspracheentscheids genau zu lesen, zumal es sich bei der Einreiseverweigerung und Wegweisung am Flughafen um ein «Eilverfahren» handelt. Bei einer aufmerksamen Lektüre der Rechtsmittelbelehrung hätte dem Rechtsvertreter der Gesuchstellerin der Widerspruch zwischen der Angabe «innert 48 Stunden» einerseits und der Angabe «am letzten Tag der Frist» andererseits auffallen müssen. Nach Entdeckung des Widerspruchs hätte der Rechtsvertreter Art. 65 Abs. 2bis AIG nachschlagen müssen. Dort heisst es unmissverständlich: «Eine Beschwerde ist innerhalb von 48 Stunden nach Eröffnung der Verfügung einzureichen» (vgl.

      E. 2.2 hiervor). Es findet sich kein Hinweis darauf, dass die Frist nach Tagen berechnet wird. Somit ist klar, dass die Angabe in der Rechtsmittelbelehrung des Einspracheentscheids (der hier einzig massgeblich ist), welche auf einen «letzten Tag der Frist» Bezug nimmt, falsch ist. Der Fehler ist leicht erkennbar und die Vermutung liegt nahe, dass der unzutreffende Hinweis irrtümlicherweise - in Anlehnung an andere Verwaltungsverfahren auf dem Gebiet des Ausländerrechts, deren Rechtsmittelfristen wie üblich nach Tagen berechnet werden - auf das Flughafenverfahren übertragen worden ist. Vom Rechtsvertreter der Gesuchstellerin als praktizierendem Rechtsanwalt darf und muss verlangt werden, dass er derartige Zusammenhänge erkennt.

    5. Nach dem Gesagten kann die Gesuchstellerin aus dem Recht auf Schutz von Treu und Glauben nach Art. 9 BV kein Recht auf Wiederherstellung der Beschwerdefrist ableiten. Damit besteht kein Raum für eine Fristwiederherstellung nach Art. 24 Abs. 1 VwVG.

5.

    1. Überspitzter Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung (vgl. BGE 144 II 184 E. 3.1) ist gegeben, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen

      stellt und damit dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt (BGE 132 I 249 E. 5).

    2. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers verstösst weder die Regelung gemäss Art. 65 Abs. 2 AIG noch deren Anwendung nach dem Wortlaut gegen das Verbot des überspitzten Formalismus. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die rechtsanwendenden Behörden von einer klar formulierten Vorschrift, deren Wortlaut auch dem Sinn und Zweck der Regelung entspricht, nicht abweichen dürfen (Anwendungsgebot; Art. 190 BV; BGE 131 II 217 E. 2.3). Wenn eine Norm zwar als streng erscheinen mag, aber vom Bundesgesetzgeber so gewollt ist und innerhalb des diesem eröffneten Regelungsermessens liegt, bleibt für Verhältnismässigkeitsüberlegungen oder eine Interessenabwägung im Einzelfall kein Raum. Insbesondere wäre es verfehlt, die Vorschrift nur dann anwenden zu wollen, wenn der mit der Säumnis verbundene Rechtsverlust für den Betroffenen nicht als wesentlich erscheint, wie die Gesuchstellerin sinngemäss vorschlägt. Eine derartige Betrachtungsweise würde mit den Geboten der Rechtsgleichheit und der Rechtssicherheit in Konflikt geraten (Urteil des BGer 2C_703/2009 vom 21. September 2010 E. 4.4).

6.

Das Gesuch erweist sich als unbegründet und ist daher abzuweisen. Dieses Urteil ist endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG [SR 173.110]).

Der unterliegenden Gesuchstellerin sind die Kosten des Verfahrens in der Höhe von Fr. 300.- aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 1 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Dieser Betrag ist mit dem geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Das Fristwiederherstellungsgesuch wird abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten von Fr. 300.- werden der Gesuchstellerin auferlegt. Dieser Betrag ist mit dem geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

3.

Dieses Urteil geht an:

  • die Gesuchstellerin (Einschreiben)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. [ ])

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Susanne Genner Barbara Kradolfer

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.