E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil F-4567/2019

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts F-4567/2019

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung VI
Dossiernummer:F-4567/2019
Datum:10.09.2020
Leitsatz/Stichwort:Einreiseverbot
Schlagwörter : Einreise; Einreiseverbot; Vorinstanz; Recht; Schweiz; Verfügung; Recht; Bundesverwaltungsgericht; Beschwerde; Entscheid; Massnahme; Sicherheit; Begründung; Aufenthalt; Delikt; Delikte; Urteil; Beschwerdeführers; Verfahren; Interesse; Aufenthalts; Freizügigkeit; Gefährdung; Ausländer; Deutschland; Freiheit; Parteien; Aufenthaltsbewilligung; Freiheitsstrafe
Rechtsnorm: Art. 112 AIG ;Art. 48 BGG ;Art. 48 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 64d AIG ;Art. 67 AIG ;Art. 96 AIG ;
Referenz BGE:136 I 229; 136 II 5; 137 II 233; 139 II 121
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung VI

F-4567/2019, F-2947/2020

U r t e i l v o m 1 0 . S e p t e m b e r 2 0 2 0

Besetzung Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz), Richter Fulvio Haefeli,

Richterin Susanne Genner, Gerichtsschreiberin Annina Mondgenast.

Parteien A. ,

vertreten durch Rechtsanwältin MLaw Lea Hungerbühler, Leximpact,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Einreiseverbot.

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer (deutscher Staatsangehöriger) reiste am 1. September 2011 in die Schweiz ein und erhielt gleichentags eine Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA. Wegen diverser Delikte verurteilte ihn das Bezirksgericht Dielsdorf mit Urteil DG140007-D vom 20. Juni 2014 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten. Den Vollzug der Freiheitsstrafe schob es zu Gunsten einer ebenfalls angeordneten ambulanten Massnahme auf. Am

5. November 2014 widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich die Aufenthaltsbewilligung B EU/EFTA und ordnete die sofortige Wegweisung des Beschwerdeführers aus der Schweiz an. Einen dagegen erhobenen Rekurs hiess die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Rekursabteilung, mit Entscheid 2014.0675 vom 3. Juni 2015 teilweise gut und hielt fest, der Beschwerdeführer müsse die Schweiz mit Beendigung der ambulanten Massnahme verlassen; im Übrigen wies sie den Rekurs ab. Das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich (JUV) hob mit Verfügung vom 23. März 2017 die ambulante Massnahme auf und befand, die aufgeschobene Freiheitsstrafe sei nicht mehr zu vollziehen. In der Folge stellte der Beschwerdeführer wiederholt neue Gesuche um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA. Diese Gesuche wurden wegen der hohen Wahrscheinlichkeit einer Rückfallgefahr jeweils abgewiesen beziehungswiese wurde zuletzt am 3. Juli 2019 nicht mehr darauf eingetreten. Mit Strafbefehl des Statthalteramts des Bezirks Hinwil vom 22. Mai 2019 wurde der Beschwerdeführer zufolge Missachtung der Anmeldepflicht vor Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als kontrollpflichtiger Ausländer mit einer Busse von Fr. 250.– bestraft.

B.

Mit Verfügung vom 4. Juli 2019 (eröffnet am 9. August 2019) verhängte die Vorinstanz ein vierjähriges Einreiseverbot für die Schweiz und Liechtenstein (gültig ab 21. Juli 2019 bis 20. Juli 2023) und entzog einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

C.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom

9. September 2019 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (Verfahrensnummer Bundesverwaltungsgericht: F-4567/2019) und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, eventualiter die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz. Subeventualiter sei das

Einreiseverbot auf ein Jahr zu beschränken. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.

Mit der Beschwerde legte er folgende Beweismittel ins Recht: ein Führungszeugnis des Bundesamts für Justiz Deutschland vom 9. August 2019, einen Auszug aus dem Schweizer Strafregister vom 10. September 2018, das Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf DG140007-D vom 20. Juni 2014, die Verfügung des JUV vom 23. März 2017, seine Blutwerte vom 13. März 2019 inklusive Erklärung und eine Kautionsbestätigung seiner Verlobten.

D.

Mit Zwischenverfügung vom 18. September 2019 lud das Bundesverwaltungsgericht die Vorinstanz zur Vernehmlassung ein. Diese liess sich am

27. September 2019 vernehmen.

E.

Das Bundesverwaltungsgericht wies mit Zwischenverfügung vom 17. Oktober 2019 das Gesuch des Beschwerdeführers um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde ab, gab ihm Gelegenheit zur Einreichung einer Replik und erhob einen Kostenvorschuss. Dieser ging fristgerecht beim Gericht ein.

F.

Mit Replik vom 13. November 2019 hielt der Beschwerdeführer an seinen Anträgen fest.

G.

Am 18. Mai 2020 wurde der Beschwerdeführer erneut in der Schweiz angetroffen, weshalb er gleichentags von der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland mit Strafbefehl wegen rechtswidriger Einreise und rechtswidrigen Aufenthalts mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.– bestraft wurde. Das Migrationsamt des Kantons Zürich ordnete am 19. Mai 2020 die Wegweisung aus der Schweiz sowie den unverzüglichen Wegweisungsvollzug an.

H.

Mit Verfügung vom 20. Mai 2020 verfügte die Vorinstanz ein weiteres, einjähriges Einreiseverbot für die Schweiz und Liechtenstein (gültig ab 21. Juli 2023 bis 20. Juli 2024).

I.

Gegen diese Verfügung erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom

4. Juni 2020 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (Verfahrensnummer Bundesverwaltungsgericht: F-2947/2020) und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Vereinigung mit dem Verfahren F-4567/2019 und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

J.

Mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2020 vereinigte das Bundesverwaltungsgericht die Verfahren F-4567/2019 und F-2947/2020 und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses für das Verfahren F-2947/2020.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Verfügungen des SEM, die ein Einreiseverbot im Sinne von Art. 67 AIG (SR 142.20) zum Gegenstand haben, unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 112 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 31 ff. VGG).

    2. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert. Auf die fristund formgerecht eingereichten Beschwerden ist einzutreten (Art. 48 ff. VwVG).

2.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden und kann eine Be-

schwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt des Entscheids (BVGE 2014/1 E. 2).

3.

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Deutschlands und damit einer Vertragspartei des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA, SR 0.142.112.681). Gemäss Art. 2 Abs. 2 AIG ist daher das ordentliche Ausländerrecht – bestehend aus dem AIG und seinen Ausführungsverordnungen – nur soweit anwendbar, als das FZA keine abweichenden Bestimmungen enthält oder die Bestimmungen des ordentlichen Ausländerrechts günstiger sind.

4.

    1. Der Beschwerdeführer rügt in beiden Beschwerden, die Vorinstanz habe zufolge der unzureichenden Begründung das rechtliche Gehör verletzt. Sie habe weder die präzise Gesetzesbestimmung genannt, auf welche sie ihren Entscheid gestützt habe, noch sei sie genügend auf die veränderte Sachlage aufgrund des erfolgreichen Alkoholentzugs eingegangen. Seine Stellungnahme anlässlich des rechtlichen Gehörs habe sie ungenügend berücksichtigt. Diese formellen Rügen sind vorab zu beurteilen, da sie allenfalls geeignet wären, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügungen zu bewirken.

    2. Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Grundsatz dient einerseits der Aufklärung des Sachverhalts, andererseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Partei dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die verfügende Behörde die Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt, was sich entsprechend in der Entscheidbegründung niederschlagen muss. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 136 I 229 E. 5.2; 136 V 351 E. 4.2).

    3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers lassen sich allein aus dem Umfang der Begründung keine direkten Schlüsse auf ihr rechtliches Genügen ziehen. Massgebend ist, ob für den Beschwerdeführer die Tragweite des Entscheides ersichtlich ist und es ihm möglich ist, gegen den Entscheid in voller Kenntnis der Sache Beschwerde einzulegen. Dies kann auch eine knappe Begründung leisten. Die Vorinstanz legt in ihrer Verfügung vom 4. Juli 2019 verständlich dar, weshalb der Beschwerdeführer aus ausländerrechtlicher Sicht als Risikofaktor für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betrachtet werden muss. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Einreiseverbot zu den quantitativ häufigsten Anordnungen der schweizerischen Verwaltungspraxis zählt und das SEM als erstinstanzliche Behörde speditiv zu entscheiden hat. An die Begründungsdichte dürfen deshalb keine überspannten Anforderungen gestellt werden (vgl. Urteil des BVGer F-4156/2016 vom 8. Dezember 2017 E. 3.4 m.H.). Anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs vom 9. August 2019 zum Einreiseverbot machte der Beschwerdeführer keine Aussagen, weshalb die Vorinstanz sich dazu auch nicht äussern konnte. Es war dem Beschwerdeführer möglich, sachgerecht und vollständig gegen die erste vorinstanzliche Verfügung zu argumentieren. Die formellen Rügen erweisen sich insgesamt als unbegründet, weshalb keine Veranlassung besteht, die Verfügung vom

      4. Juli 2019 aus formellen Gründen aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das entsprechende Rechtsbegehren ist abzuweisen.

    4. Die Begründung des Einreiseverbots vom 20. Mai 2020 beschränkt sich hingegen darauf, die gesetzlichen Bestimmungen des AIG zu nennen, auf welche sich die Einreisesperre gegen den Beschwerdeführer stützt (Art. 67 Abs. 1 Bst. a i.V.m. Art. 64d Abs. 2 Bst. b AIG; Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG). Die Vorinstanz erwähnte nicht, dass auf den Beschwerdeführer die Bestimmungen des FZA anwendbar sind. Damit hat sie einen entscheidwesentlichen Aspekt ausser Acht gelassen. Aus der Begründung geht sodann nicht hervor, ob und inwieweit eine Interessensabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltemassnahme und den geltend gemachten privaten Interessen des Beschwerdeführers vorgenommen wurde. Dieser Entscheid ist mangelhaft begründet und verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör. Die Verfügung vom

20. Mai 2020 ist deshalb aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nicht geprüft werden muss bei diesem Ergebnis, ob in materieller Hinsicht die Voraussetzungen für ein Einreiseverbot vorliegen.

5.

    1. Nach Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG kann ein Einreiseverbot verfügt werden gegenüber Ausländern, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden. Das Einreiseverbot wird für eine Dauer von höchstens fünf Jahren verfügt. Es kann für eine längere Dauer verfügt werden, wenn die betroffene Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (Art. 67 Abs. 3 AIG). Da sich der Beschwerdeführer als deutscher Staatsangehöriger grundsätzlich auf ein Einreiserecht gemäss Art. 1 Abs. 1 Anhang I FZA berufen kann, ist auf ihn auch Art. 5 Anhang I FZA anwendbar, wonach die auf Grund dieses Abkommens eingeräumten Rechte nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden dürfen. Nach der an die Praxis des EuGH angeglichenen Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. Art. 16 Abs. 2 FZA) setzen Entfernungsoder Fernhaltemassnahmen eine hinreichend schwere und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den betreffenden Ausländer voraus. Eine strafrechtliche Verurteilung darf dabei nur insofern zum Anlass für eine derartige Massnahme genommen werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Art. 5 Anhang I FZA steht somit Massnahmen entgegen, die (allein) aus generalpräventiven Gründen verfügt werden. Wesentlich ist das Rückfallrisiko. Je schwerer die möglichen Rechtsgüterverletzungen sind, desto niedriger sind allerdings die Anforderungen an die in Kauf zu nehmende Rückfallgefahr (BGE 136 II 5 E. 4.2; 130 II 176 E. 4.3.1). Diese Grundsätze gelten auch für die Verhängung eines Einreiseverbots nach Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG (BGE 139 II 121 E. 5).

    2. Bei ursprünglicher Bejahung einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist von deren Wegfall in aller Regel erst nach einer längerfristigen Bewährung der straffällig gewordenen Person auszugehen. Dabei ist für die Berechnung der Dauer des klaglosen Verhaltens nicht auf den Begehungsoder Urteilszeitpunkt abzustellen. Entscheidrelevant erscheint vielmehr, wie lange sich die betroffene Person nach ihrer Entlassung aus der Haft in Freiheit bewährt hat (vgl. BVGE 2014/20 E. 5.4; vgl. Urteil des BVGer F-7607/2015 vom 25. Juli 2016

      E. 6.7). Dabei ist zu beachten, dass Strafrecht und Ausländerrecht unterschiedliche Ziele verfolgen. Während der Strafvollzug auch der Resozialisierung dient, steht für die Migrationsbehörden das Interesse der öffentli-

      chen Sicherheit und Ordnung im Vordergrund. Daraus ergibt sich im Ausländerrecht ein im Vergleich mit den Strafund Strafvollzugsbehörden strengerer Beurteilungsmassstab (vgl. BGE 137 II 233 E. 5.2.2).

    3. Der Bestand und die Dauer des Einreiseverbots sind unter dem Blickwinkel der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 Abs. 1 AIG) zu überprüfen. Eine Prognose, für welchen Zeitraum die Sicherungsmassnahme notwendig sein wird, ist naturgemäss nicht möglich. Abstufungen betreffend die Dauer ergeben sich aus der wertenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung und den privaten Interessen, welche die betroffene Person an der zeitlichen Beschränkung der Massnahme hat (BVGE 2016/33 E. 9.2; 2014/20

E. 8.1). Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die Stellung der verletzten oder gefährdeten Rechtsgüter, die Besonderheiten des ordnungswidrigen Verhaltens und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen ausländischen Person (Art. 96 AIG; ferner statt vieler HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, Rz. 555 ff.).

6.

    1. Zur Begründung des Einreiseverbots führte die Vorinstanz in ihrer Verfügung vom 4. Juli 2019 aus, das Führungszeugnis des Beschwerdeführers weise seit dem Jahr 2001 acht Verurteilungen im Inund Ausland aus. Wiederholt sei er zu teilweise langfristigen Freiheitsstrafen verurteilt und die Fahrerlaubnis sei ihm mehrmals entzogen worden. Aufgrund dieser zum Teil schweren Straftaten könne ihm keine positive Zukunftsprognose gestellt werden und eine Rückfallgefahr müsse als wahrscheinlich betrachtet werden. Ebenfalls habe er sich mehrmals dahingehend geäussert, den behördlichen Anordnungen nicht Folge zu leisten und die Schweiz nicht verlassen zu wollen. Damit gehe eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einher. Durch sein Verhalten habe sich der Beschwerdeführer als unbelehrbar erwiesen. Er könne sich für die Dauer des Einreiseverbots mit Bezug auf die Einreise und den Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr auf das Freizügigkeitsabkommen berufen. Aus denselben Gründen wurde gleichzeitig einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen.

    2. Der Beschwerdeführer macht mit Beschwerde vom 9. September 2019 geltend, seine Situation habe sich seit der Verurteilung im Jahr 2014 geändert. Er habe einen Alkoholentzug gemacht und seit sechs Jahren keine Delikte mehr begangen. Dies zeige, dass seine deliktischen Handlungen in einem Zusammenhang mit seiner Alkoholkrankheit gestanden hätten.

      Seit mehreren Jahren lebe er nun in einer harmonischen Beziehung mit einer Schweizer Staatsbürgerin und komme selbst für seinen Lebensunterhalt auf. Im Sommer 2015 habe er zufolge der positiven Prognose und der minimalen Rückfallgefahr seinen Führerausweis zurückerhalten. Die Vorinstanz habe den Sachverhalt nicht richtig festgestellt, wenn sie von einer gegenwärtigen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgehe. Die von der Vorinstanz aufgeführten Delikte in Deutschland würden 10 bis 20 Jahre zurückliegen und seien einzig im Strassenverkehr anzusiedeln. Die rechtliche Würdigung der Vorinstanz sei fehlerbehaftet und stelle eine Verletzung des Freizügigkeitsabkommens dar. Schliesslich überwiege sein privates Interesse das öffentliche und das Einreiseverbot verletze überdies sein Recht auf Familienleben gemäss Art. 8 EMRK.

    3. In ihrer Vernehmlassung erläutert die Vorinstanz, die deliktsfreie Zeit des Beschwerdeführers von sechs Jahren sei den langjährigen, wiederholten ausländerrechtlichen Bewilligungsverfahren geschuldet, welche mit Rekursentscheid vom 7. März 2019 ein vorläufiges Ende gefunden hätten. Er habe sich seit dem Widerruf seiner Aufenthaltsbewilligung vom 3. Juni 2015 lediglich etwas mehr als sechs Monate im Ausland aufgehalten und die Bewährungszeit im Ausland müsse deshalb als kurz betrachtet werden. Ein Eingriff in die Freizügigkeitsrechte sei aufgrund der wiederholten, teils schweren Straffälligkeit verhältnismässig.

    4. Replizierend erklärt der Beschwerdeführer, sein deliktsfreier Lebenswandel sei nicht mit dem ausländerrechtlichen Bewilligungsverfahren, sondern mit seiner erfolgreichen Alkohol-Suchttherapie zu erklären. Es sei von einer günstigen Prognose auszugehen, was einer Einschränkung der Freizügigkeitsrechte entgegenstehe. Im Geltungsbereich des FZA sei eine Einschränkung der Freizügigkeitsrechte nur bei hinreichend schwerer Rechtsgutverletzung in Kombination mit gegenwärtiger Gefährdung zulässig. Eine solche liege nicht vor.

7.

    1. Aufgrund der Akten ist erwiesen, dass sich der Beschwerdeführer strafbar gemacht und gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG verstossen hat. Mit Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf DG140007-D vom 20. Juni 2014 wurde er wegen Sachbeschädigung, mehrfacher Drohung, Beschimpfung, Fahrens im fahrunfähigen Zustand, mehrfachen Fahrens ohne Berechtigung sowie Missbrauchs von Ausweisen und Schildern mit einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten bestraft.

      Unter Aufschub des Vollzugs der Freiheitsstrafe wurde zusätzlich eine ambulante Behandlung angeordnet. Bereits zuvor wurde er in Deutschland mehrere Male, insbesondere wegen Strassenverkehrsdelikten, verurteilt (vgl. Führungszeugnis des Bundesamtes für Justiz Deutschland vom 9. August 2019). Die begangenen Delikte stellen keine Bagatellen oder Missachtung einer Formalie dar. Aufgrund dieser Strafbestimmungen können auch Schweizerinnen und Schweizer bestraft werden, weshalb eine in diesem Zusammenhang gegen einen EU-Bürger verhängte Massnahme keine Diskriminierung gemäss Art. 2 FZA darstellt. Gestützt auf diese Delikte kann damit grundsätzlich ein Einreiseverbot ausgesprochen werden, sofern die weiteren Voraussetzungen dazu erfüllt sind.

      Bei der vom Beschwerdeführer begangenen Verletzung der Anmeldepflichten (vgl. Strafbefehl vom 22. Mai 2019) handelt es sich hingegen um eine nationale ausländerrechtliche Bestimmung, die für sich alleine keine Massnahmen zu rechtfertigen vermag, welche die Freizügigkeitsrechte beschränken. Das Gleiche gilt für die rechtswidrige Einreise und den rechtswidrigen Aufenthalt (vgl. Strafbefehl vom 18. Mai 2020). Diese Missachtungen des Gesetzes stellen keine hinreichend schwere und gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Beschwerdeführer dar; sie erreichen qualitativ und quantitativ keine Intensität, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts freizügigkeitsbeschränkende Massnahmen nach sich ziehen könnten (vgl. dazu etwa Urteile des BVGer C-7549/2008 vom 23. August 2010 E. 7.4 und F-1148/2017, F_1151/2017, F-1153/2017 vom 7. Juli 2017).

    2. Zu prüfen bleibt, ob beim Beschwerdeführer ein Rückfallrisiko besteht. Das JUV verfügte am 23. März 2017 die Aufhebung der ambulanten Massnahme und hielt fest, der Beschwerdeführer habe diese tadellos absolviert. Er habe sich intensiv mit seiner Suchtund Persönlichkeitsproblematik auseinandergesetzt und habe sich offen, kooperativ sowie veränderungsmotiviert gezeigt. Die Alkoholabstinenz halte er seit Januar 2014 nachgewiesenermassen ein. Es sei von einer verringerten Rückfallgefahr für einschlägige Delikte und einer verbesserten Legalprognose auszugehen. Wie er geltend macht, übte er die erwähnten Delikte unter Einfluss von Alkohol aus. Seine Abstinenz ohne begleitende Massnahme ist jedoch noch nicht als langandauernd einzustufen. Beim Fahren in angetrunkenem Zustand handelt es sich sodann um ein Delikt mit einem grossen Gefährdungspotenzial, und der Beschwerdeführer wurde bereits in Deutschland wiederholt wegen solcher Taten bestraft. Mehrmals drohte er weiter seiner damals 11-jährigen Nachbarin, indem er ihr gegenüber schweigend mit der

      Hand eine Enthauptungsbewegung andeutete (vgl. Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf DG140007-D vom 20. Juni 2014). Es handelt sich entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers bei den vorliegenden Delikten nicht um solche von geringer Tragweite. An das vorliegende Rückfallrisiko müssen damit keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Zu berücksichtigen ist weiter, dass er wegen Missachtung der Anmeldepflichten mit einer Busse und mit Strafbefehl vom 18. Mai 2020 zufolge der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 30.– bestraft wurde. Diese Delikte, auch wenn teilweise noch nicht rechtskräftig, deuten darauf hin, dass er nicht gewillt ist, sich an die geltenden Gesetze zu halten. Zufolge der kontinuierlichen Delinquenz ist von einem Rückfallrisiko auszugehen und damit von einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Das Einreiseverbot wurde deshalb zu Recht angeordnet.

    3. Weiter ist zu prüfen, ob das Einreiseverbot verhältnismässig ist. Der Beschwerdeführer lebt seit rund zehn Jahren in der Schweiz und ist gemäss eigenen Aussagen wirtschaftlich und sozial integriert. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass ihm die Aufenthaltsbewilligung entzogen wurde und er damit keiner rechtmässigen Arbeit in der Schweiz nachgehen kann. Anlässlich der polizeilichen Befragung vom 7. Mai 2019 machte er sodann geltend, die Schweiz nie richtig verlassen zu haben; er habe sich einfach vom Wohnort abgemeldet. Trotz nicht verlängerter Aufenthaltsbewilligung ging er einer Erwerbstätigkeit nach und wurde wegen Nichtanmeldung mit einer Busse bestraft. Auch wurde er erneut, trotz Einreiseverbot, in der Schweiz angetroffen. Sein Verhalten deutet darauf hin, dass er nicht gewillt ist, die ausländerrechtlichen Konsequenzen seiner Straffälligkeit zu tragen. Gemäss eigenen Aussagen lebt er seit dem 1. Mai 2018 mit seiner Verlob-

ten B.

in einer Lebensgemeinschaft (vgl. Schreiben des Be-

schwerdeführers an die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Rekursabteilung, vom 4. Oktober 2018). Von einer langandauernden eheähnlichen Gemeinschaft ist nach dieser Zeitdauer jedoch noch nicht auszugehen. Seiner Verlobten B. ist es sodann möglich, den Beschwerdeführer in Deutschland zu besuchen und über moderne Kommunikationsmittel Kontakt zu ihm zu halten. Eine Verletzung von Art. 8 EMRK liegt damit nicht vor. In einer Gesamtwürdigung überwiegen die öffentlichen Interessen an einem Einreiseverbot gegenüber den privaten Interessen des Beschwerdeführers. Aufgrund der Schwere der vorliegenden Straftaten sprach die Vorinstanz ein vierjähriges Einreiseverbot aus und bewegte sich damit im Rahmen von Art. 67 Abs. 3 erster Satz AIG. Die Dauer des Ein-

reiseverbots beträgt in dieser Konstellation höchstens fünf Jahre. Wie bereits erwähnt, ist beim Beschwerdeführer von einem Rückfallrisiko auszugehen (vgl. E. 7.2). Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer seit seiner Verurteilung durch das Bezirksgericht vom 20. Juni 2014 seit sechs Jahren keine ähnlichen Straftaten begangen hat, scheint sein Rückfallrisiko diesbezüglich jedoch eher gering. Auch gemessen an der Höchstdauer von fünf Jahren erweist sich das ursprünglich auf vier Jahre bemessene Einreiseverbot unter den vorliegenden Umständen als unverhältnismässig und ist auf drei Jahre zu reduzieren.

8.

    1. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass das auf vier Jahre befristete Einreiseverbot Bundesrecht verletzt (Art. 49 VwVG). Die Beschwerde vom

      9. September 2019 ist demnach teilweise gutzuheissen und das Einreiseverbot bis zum 20. Juli 2021 zu befristen.

    2. Die Beschwerde vom 4. Juni 2020 ist gutzuheissen. Die Verfügung vom

20. Mai 2020 ist aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ein allfälliges erneutes Einreiseverbot wäre im Anschluss an den 20. Juli 2021 anzuordnen.

9.

    1. Dem Verfahrensausgang entsprechend sind dem teilweise obsiegenden Beschwerdeführer reduzierte Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). In Anwendung von Art. 1, 2 und 3 Bst. b des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) sind diese auf Fr. 800.– festzusetzen. Die Kosten des Verfahrens sind von dem geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'500.– in Abzug zu bringen. Der Restbetrag von Fr. 700.– ist dem Beschwerdeführer zurückzuerstatten.

    2. Dem Beschwerdeführer ist zulasten der Vorinstanz eine gekürzte Parteientschädigung in gerichtlich festzusetzender Höhe zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 7 ff. VGKE). Mangels Kostennote ist die Höhe der Parteientschädigung auf Grund der Akten festzulegen. Mit Blick auf den aktenkundigen Aufwand und die Komplexität der beiden Fälle sowie in Anwendung der gesetzlichen Bemessungskriterien von Art. 8 ff. VGKE erscheint eine Parteientschädigung von Fr. 900.– als angemessen. Darin ist der Mehrwertsteuerzuschlag im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Bst. c VGKE eingeschlossen.

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde vom 9. September 2019 wird teilweise gutgeheissen und das Einreiseverbot bis zum 20. Juli 2021 befristet.

2.

Die Beschwerde vom 4. Juni 2020 wird gutgeheissen. Die Verfügung vom

20. Mai 2020 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 800.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt und von dem geleisteten Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 1'500.– in Abzug gebracht. Der Restbetrag von Fr. 700.– wird dem Beschwerdeführer nach Eintritt der Rechtskraft zurückerstattet.

4.

Die Vorinstanz wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von Fr. 900.– auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an:

den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde;

Beilage:

Formular

«Zahladresse»)

die Vorinstanz (mit den Akten Ref-Nr. […])

das Migrationsamt des Kantons Zürich

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Regula Schenker Senn Annina Mondgenast

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.