Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-3436/2024 |
Datum: | 22.07.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | Einreiseverbot |
Schlagwörter : | Einreise; Einreiseverbot; Schweiz; Gehör; Bundes; Recht; Instanz; Vorinstanz; Verfügung; Entscheid; Person; Interesse; Aufenthalt; Sicherheit; Bundesverwaltungsgericht; Schengen; Verfahren; Sachverhalt; Urteil; Verletzung; Interessen; Anspruch; Overstay; Verordnung; Ausschreibung; Gehörs; Eheschliessung |
Rechtsnorm: | Art. 115 AIG ;Art. 29 BV ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 VwVG ;Art. 50 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 67 AIG ;Art. 83 BGG ;Art. 96 AIG ; |
Referenz BGE: | 137 I 195; 139 II 121; 143 III 65; 144 I 11; 147 IV 340; 147 V 278 |
Kommentar: |
Abteilung VI F-3436/2024
Besetzung Richterin Aileen Truttmann (Vorsitz), Richter Yannick Antoniazza-Hafner, Richterin Claudia Cotting-Schalch, Gerichtsschreiberin Lejla Rüedi.
Parteien A. ,
vertreten durch B. ,
(…)
Beschwerdeführerin,
gegen
Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Einreiseverbot; Verfügung des SEM vom 21. März 2024.
Die Beschwerdeführerin (geb. 1996, eritreische Staatsangehörige) reiste am (…) 2023 in die Schweiz ein. Anlässlich der grenzpolizeilichen Ausreisekontrolle am 10. März 2024 wurde festgestellt, dass die maximale Dauer ihres Aufenthalts im Schengen-Raum abgelaufen sei. Im Rahmen der Einvernahme vom 10. März 2024 wurde ihr das rechtliche Gehör zur Anzeige wegen Einreise ohne Visum gewährt. Dabei anerkannte sie den Tatbestand und nahm zur Kenntnis, dass ein Einreiseverbot gegen sie verhängt werden könne.
Mit Strafbefehl des Statthalteramtes C. vom 3. Mai 2024 wurde die Beschwerdeführerin des rechtswidrigen Aufenthaltes von 48 Tagen für schuldig erklärt und zu einer Busse Fr. 350. verurteilt (Art. 115 Abs. 3 AIG).
Mit Verfügung vom 21. März 2024 – eröffnet am 2. Mai 2024 über die Schweizer Vertretung in D. – verhängte die Vorinstanz ein zweijähriges Einreiseverbot gegen die Beschwerdeführerin (gültig ab sofort bis
20. März 2026). Gleichzeitig ordnete sie die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem (SIS II) an. Einer allfälligen Beschwerde entzog sie die aufschiebende Wirkung.
Gegen diese Verfügung reichte die Beschwerdeführerin am 30. Mai 2024 eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein und beantragte, es sei die Verfügung des SEM vom 21. März 2024 aufzuheben sowie von einem Einreiseverbot aus dem Gebiet der Schweiz und dem SchengenRaum ausdrücklich abzusehen; eventualiter sei bei Festhalten am Einreiseverbot dieses zu kürzen. Ferner sei ihr aufgrund Mittellosigkeit die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sei zu verzichten.
Mit Zwischenverfügung vom 12. Juni 2024 verwies die zuständige Instruktionsrichterin das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung zur Entscheidung auf das Urteil in der Hauptsache und verzichtete vorläufig auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.
In Ihrer Vernehmlassung vom 18. Juni 2024 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde.
Verfügungen des SEM betreffend Einreiseverbote sind mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (Art. 31 ff. VGG i.V.m. Art. 5 VwVG).
Das Rechtsmittelverfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).
Die Beschwerdeführerin ist zur Erhebung der Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist daher einzutreten (Art. 50 Abs. 1 VwVG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der vorliegenden Angelegenheit endgültig (vgl. Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann vorliegend die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie die Unangemessenheit gerügt werden (vgl. Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG nicht an die Begründung der Begehren gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgeblich ist grundsätzlich die Sachlage im Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2020 VII/4 E. 2.2).
Die Beschwerdeführerin rügt in formeller Hinsicht, dass die angefochtene Verfügung hinsichtlich ihrer privaten Interessen auf einem unvollständig festgestellten rechtserheblichen Sachverhalt beruhe. Darüber hinaus rügt sie, die Vorinstanz habe ihr das rechtliche Gehör nicht korrekt gewährt,
da ihr dieses in englischer Sprache gewährt wurde, sie aber nicht der englischen Sprache mächtig sei.
Demgegenüber bringt die Vorinstanz vor, es sei davon auszugehen, dass die Verfahrenssprache Englisch von der Beschwerdeführerin verstanden werde, zumal sie in E. , lebe. Folglich sei es ihr möglich gewesen sich im Rahmen des rechtlichen Gehörs umfassend zu äussern. Es liege keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor.
Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts kann nach Art. 49 VwVG gerügt werden. Unrichtig ist die Sachverhaltserstellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind; unvollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid wesentlichen Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. BVGE 2014/2 E. 5.1; KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 1043).
Das SEM hat den rechtserheblichen Sachverhalt hinreichend abgeklärt. Es hat sich unter Bezugnahme auf die Ausreisekontrolle vom
10. März 2023 und die damit im Zusammenhang stehenden Unterlagen (Anzeige der Flughafenpolizei, Befragung der Beschwerdeführerin, Gewährung des rechtlichen Gehörs) mit den Umständen der rechtswidrigen Einreise in die Schweiz und der individuellen Situation der Beschwerdeführerin, soweit sie sich im Rahmen der Befragung beziehungsweise des rechtlichen Gehörs dazu äusserte, auseinandergesetzt. Weitere Abklärungen, so insbesondere zu einer allfälligen Eheschliessung, hielt das SEM hingegen zu Recht nicht für erforderlich, da die Beschwerdeführerin diese im Rahmen des rechtlichen Gehörs auch nicht erwähnte. Soweit die Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift auf die Vorbereitungen zur Eheschliessung hinweist, vermag sie daraus im Blick auf den gerügten formellen Mangel nichts zu ihren Gunsten abzuleiten. Gemäss den Akten wurden keine Belege für die Vorbereitung der Eheschliessung eingereicht. Es ist daher nicht dem SEM anzulasten, wenn die besagte geplante Eheschliessung in die angefochtene Verfügung keinen Eingang gefunden hat. Insgesamt ist nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht im vorliegenden Verfahren konkrete weitere Abklärungen hätten vorgenommen werden müssen. Eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes ist zu verneinen.
Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieses dient einerseits der Sachaufklärung, anderseits stellt es ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheids dar, welcher in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (BGE 144 I 11 E. 5.3; 140 I 99
E. 3.4). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt unter anderem die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 143 III 65 E. 5.2).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur. Seine Verletzung führt ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs kann ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Rechtsmittelinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt als auch die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus – im Sinne einer Heilung des Mangels – selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör von einer Rückweisung der Sache an die Vorinstanz abzusehen, wenn die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 137 I 195 E. 2.3.2; 136 V 117
E. 4.2.2.2; 133 I 201 E. 2.2)
In Bezug auf das rechtliche Gehör bleibt aufgrund der Akten unklar, ob die Beschwerdeführerin die Englische Verfahrenssprache nur unzureichend beherrscht und nicht in der Lage war, sich mit voller Sachkenntnis zum möglichen Erlass eines Einreiseverbotes zu äussern. Da die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift, durch ihren Rechtsvertreter ihre privaten Interessen jedoch darlegen konnte und das
Bundesverwaltungsgericht über volle Kognition verfügt, wäre eine allfällige Gehörverletzung als geheilt zu sehen.
Im Übrigen liegt keine Verletzung der Begründungspflicht vor, da es der Beschwerdeführerin möglich war, sich ein Bild über die Tragweite des vorinstanzlichen Entscheides zu machen und diesen sachgerecht anzufechten.
Die Vorinstanz begründet das Einreiseverbot damit, die Beschwerdeführerin habe sich weit über den bewilligungsfreien Aufenthalt hinaus im Schengen-Raum aufgehalten. Damit liege ein Verstoss gegen die Einreisevoraussetzungen des Schengen-Rechts vor, womit eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung einhergehe; die Verfügung einer Fernhaltemassnahme nach Art. 67 Abs. 1 Bst. c AIG – welche als verhältnismässig und gerechtfertigt zu erachten sei – sei daher angezeigt.
Die Beschwerdeführerin entgegnet in ihrer Rechtsmitteleingabe, das Einreiseverbot sei zu Unrecht ergangen und erweise sich als unverhältnismässig. Das Einreiseverbot bedeute für die Beschwerdeführerin eine schwere Belastung ihres Privatlebens, da ihr Verlobter in der Schweiz lebe und sie in Zukunft heiraten möchten.
Nach Art. 67 Abs. 1 Bst. c AIG verfügt das SEM unter Vorbehalt von Abs. 5 derselben Bestimmung ein Einreiseverbot gegenüber weggewiesenen ausländischen Personen, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden. Das Einreiseverbot wird für eine Dauer von höchstens fünf Jahren verfügt. Es kann für eine längere Dauer verfügt werden, wenn die betroffene Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt (Art. 67 Abs. 3 AIG).
Ein Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung liegt insbesondere vor bei einer Missachtung von gesetzlichen Vorschriften oder behördlichen Verfügungen (Art. 77a Abs. 1 Bst. a der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE, SR 142.201]). Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung liegt vor, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Aufenthalt der betroffenen Person in der Schweiz mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
zu einer Nichtbeachtung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führt (Art. 77a Abs. 2 VZAE).
Das in Art. 67 AIG geregelte Einreiseverbot stellt keine Sanktion dar, sondern eine Massnahme zur Abwendung einer künftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. Botschaft zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer vom 8. März 2002 [nachfolgend: Botschaft], BBl 2002 3709, 3813). Die Verhängung eines Einreiseverbots knüpft an das Risiko einer künftigen Gefährdung an. Gestützt auf sämtliche Umstände des Einzelfalles ist eine entsprechende Prognose zu stellen. Dabei ist naturgemäss primär das vergangene Verhalten der betroffenen Person zu berücksichtigen Es genügt dabei, wenn der ausländischen Person eine Sorgfaltspflichtverletzung zugerechnet werden kann. Unkenntnis oder Fehlinterpretation der Einreiseund Aufenthaltsvorschriften stellen in der Regel jedoch keinen hinreichenden Grund für ein Absehen von einer Fernhaltemassnahme dar (vgl. anstelle vieler Urteil des BVGer F-1934/2022 vom 6. März 2023 E. 4.3 m.H.).
Aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen kann ausnahmsweise von der Verhängung eines Einreiseverbots abgesehen oder ein Einreiseverbot aufgehoben oder suspendiert werden. Dabei sind namentlich die Gründe, die zum Einreiseverbot geführt haben, sowie der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und die Wahrung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz gegenüber den privaten Interessen der betroffenen Person an einer Aufhebung abzuwägen (Art. 67 Abs. 5 AIG).
Die Beschwerdeführerin bestreitet ihren illegalen Aufenthalt im Schengenraum nicht (sog. Overstay). Dieser wurde zudem vom Statthalteramtes C. mit Strafbefehl vom 3. Mai 2024 geahndet. Aus dem über den maximal zulässigen Zeitraum hinausgehenden Aufenthalt ergibt sich auch die Rechtswidrigkeit des 48-tägigen Aufenthalts. Darüber hinaus stellte die Strafinstanz fest, dass die Beschwerdeführerin sich über die bewilligungsfreie maximal zulässige Dauer in der Schweiz aufgehalten hat. Soweit aus den vorliegenden Akten erkennbar, blieb dieser Strafbefehl unangefochten. Die Beschwerdeführerin hat ausländerrechtliche Bestimmungen verletzt und damit gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung verstossen. Der Fernhaltegrund von Art. 67 Abs. 1 Bst. c AIG ist vorliegend erfüllt und unstrittig.
Zu prüfen bleibt aber die Verhältnismässigkeit der Massnahme (Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 96 Abs. 1 AIG). Eine Prognose, für welchen Zeitraum die Sicherungsmassnahme notwendig sein wird, ist naturgemäss nicht möglich. Abstufungen betreffend die Dauer ergeben sich aus der wertenden Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Fernhaltung und den privaten Interessen, welche die betroffene Person an der zeitlichen Beschränkung der Massnahme hat (BVGE 2016/33 E. 9.2; 2014/20 E. 8.1). Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die Stellung der verletzten oder gefährdeten Rechtsgüter, die Besonderheiten des ordnungswidrigen Verhaltens und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen ausländischen Person (Art. 96 Abs. 1 AIG; Urteil des BVGer F-1419/2020 vom 11. August 2020, E. 3.4; vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 555 ff.).
Der Verstoss der Beschwerdeführerin gegen ausländerrechtliche Bestimmungen wiegt mit einem Overstay von 48 Tagen objektiv nicht leicht. Der Einhaltung zentraler ausländerrechtlicher Normen kommt eine hohe Bedeutung zu, geht es doch darum, eine funktionierende Rechtsordnung gewährleisten zu können. Entsprechend ist die ausländerrechtliche Ordnung durch eine konsequente Massnahmenpraxis zu schützen (BVGE 2014/20
E. 8.2; Urteil des BVGer F-1641/2019 vom 14. September 2022 E. 4.1.1). Vorliegend besteht daher bereits aus generalpräventiven Gründen ein öffentliches Interesse an einer zeitlich befristeten Fernhaltung der Beschwerdeführerin. Das Einreiseverbot erscheint jedoch auch aus spezialpräventiven Gründen angezeigt, um sie bei künftigen Aufenthalten in der Schweiz von der erneuten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abzuhalten. Darüber hinaus kommt bei Drittstaatsangehörigen der konkreten Rückfallgefahr im Vergleich mit Staatsangehörigen einer Vertragspartei des Freizügigkeitsabkommens (FZA, SR 0.142.112.681) eine geringere Tragweite zu (BGE 139 II 121 E. 5.3; 136 II 5 E. 4.2; BVGE 2017 VII/2
E. 4.4).
Den öffentlichen Fernhalteinteressen sind die privaten Interessen gegenüberzustellen. Die in Kanada wohnhafte Beschwerdeführerin bringt diesbezüglich vor, das Einreiseverbot würde sie von ihrem kirchlich in Äthiopien angeheirateten und in der Schweiz wohnhaften Ehemann trennen, mit welchem sie Vorbereitungen für die zivile Eheschliessung in der Schweiz treffen möchte. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es im vorliegenden Verfahren nicht um ein Aufenthaltsrecht geht, sondern um eine Fernhaltemassnahme. Eine allfällige Beeinträchtigung des Familienund Privatlebens ist daher nur soweit rechtserheblich, als sie unmittelbar auf
das Einreiseverbot zurückzuführen ist. Wohl ist das persönliche Interesse der Beschwerdeführerin, ungehindert in die Schweiz einreisen zu dürfen, nicht von der Hand zu weisen. Allerdings kann das Einreiseverbot auf begründetes Gesuch hin (z.B. Heirat) für eine kurze Zeitspanne suspendiert werden (vgl. BVGE 2011/48 E. 2.6 f.). Einem nach der Heirat eingereichten Familiennachzugsgesuch würde das Einreiseverbot ebenfalls nicht im Wege stehen. Sollten die Schweizer Behörden einem solchen Gesuch stattgeben, hätte die Vorinstanz für die Aufhebung der Fernhaltemassnahme zu sorgen. Zudem steht es der Beschwerdeführerin offen, den Kontakt zu ihrem Verlobten mittels moderner Kommunikationsmittel zu pflegen. Weitere Verbindungen zur Schweiz sind nicht ersichtlich.
Sodann kann vorliegend nicht unbeachtet bleiben, dass die Beschwerdeführerin ansonsten keine weiteren (oder wiederholten) Verstösse gegen ausländerrechtliche Vorschriften begangen hat.
Eine wertende Gewichtung der sich gegenüberstehenden Interessen und die Berücksichtigung der Rechtsprechung in ähnlichen Fällen, in denen ebenfalls ein zweijähriges Einreiseverbot verhängt wurde (siehe Urteile des BVGer F- 572/2021 vom 21. September 2021, E. 5 [Overstay von 328 Tagen], F- 906/2021 vom 3. November 2022, E. 4.3 [Overstay von 257
Tagen], F- 3733/2021 vom 30. September 2022, E. 7.2 [Overstay von 194 Tagen], F-1921/2021 vom 28. Februar 2022E. 5.2 [Overstay von 172 Tagen]), führt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass das Einreiseverbot dem Grundsatz nach zu bestätigen ist, jedoch hinsichtlich der Dauer des Overstays in Bezug auf die Dauer des Einreiseverbots als unverhältnismässig lang erscheint, weshalb es auf ein Jahr zu reduzieren ist. Damit wird den auf dem Spiel stehenden öffentlichen und den aktuellen privaten Interessen sowie den Anforderungen an eine rechtsgleiche Verwaltungspraxis Rechnung getragen.
Wird gegen eine drittstaatsangehörige Person ein Einreiseverbot verhängt, so kann sie im SIS II zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben werden, wenn sie wegen einer Straftat verurteilt wurde, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (vgl. Art. 21 und 24 Ziff. 2 Bst. a der Verordnung [EU] Nr. 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November 2018 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems [SIS] im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der
Verordnung [EG] Nr. 1987/2006, ABl. L 312/14 vom 07.12.2018 [SIS-VO-
Grenze], löste am 6. März 2023 ab: Verordnung [EG] Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation [SIS-II], Abl. L 381/4 vom 28.12.2006 [SISII-VO]; Art. 20 der Verordnung vom 8. März 2013 über den nationalen Teil des Schengener Informationssystems [N-SIS] und das SIRENE-Büro [N- SIS-Verordnung; SR 362.0]; zum Zeitpunkt der Anwendbarkeit der SIS-VOGrenze siehe BGE 147 V 278 E 2.1 m.w.H.). Den Anforderungen des Art. 24 Ziff. 2 Bst. a SIS-VO-Grenze ist Genüge getan, wenn die Obergrenze des gesetzlichen Strafrahmens bei mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe liegt (BGE 147 IV 340 E. 4.6 m.H.; Urteil des BVGer F-3265/2024 vom 3. Juni 2024 E. 6.3). Die Beschwerdeführerin wurde wegen fahrlässiger rechtswidriger Einreise verurteilt, welche lediglich mit Busse bestraft wird (vgl. Art. 115 Abs. 3 AIG). Somit sind die Voraussetzungen für eine Ausschreibung im SIS II nicht erfüllt. Der angefochtene Entscheid ist in diesem Punkt aufzuheben und die Vorinstanz ist anzuweisen, die Ausschreibung der Beschwerdeführerin im SIS II unverzüglich zu löschen (Art. 40 Abs. 1 Bst. a SIS-VO-Grenze).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht verletzt (Art. 49 a VwVG), weshalb die Beschwerde teilweise gutzuheissen, die Dauer des Einreiseverbotes auf den 20. März 2025 zu befristen und die Ausschreibung des gegen die Beschwerdeführerin verhängten Einreiseverbots aufzuheben ist.
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten teilweise der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG; Art. 1- 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Da die Beschwerde aufgrund des Verfahrensausgangs nicht als aussichtslos bezeichnet werden kann und sich die prozessuale Bedürftigkeit aus den Akten hinreichend ergibt, ist der Antrag auf Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gutzuheissen.
Die teilweise obsiegende Beschwerdeführerin hat grundsätzlich Anspruch auf Ersatz der ihr erwachsenen notwendigen Kosten (Art. 64 Abs. 1 und 2 VwVG; Art. 7 ff.VGKE). Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass ihr – die nicht anwaltlich oder auf andere Weise beruflich vertreten ist – aus
dem vorliegenden Verfahren Kosten im Sinne der massgeblichen Bestimmungen entstanden sind. Deshalb ist ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.
Das Einreiseverbot wird auf den 20. März 2025 befristet und die Vorinstanz wird angewiesen, die Löschung der Ausschreibung im SIS II umgehend zu veranlassen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Es werden keine Parteientschädigungen zugesprochen.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin und die Vorinstanz.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Aileen Truttmann Lejla Rüedi
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