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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-7259/2018

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-7259/2018

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-7259/2018
Datum:21.05.2019
Leitsatz/Stichwort:Familienzusammenführung (Asyl)
Schlagwörter : Partnerin; Familie; Familien; Schweiz; Syrien; Beschwerdeführers; Flüchtling; Sinne; Sohnes; Einreise; Beziehung; Recht; Verfügung; Kinder; Bundesverwaltungsgericht; Familiennachzug; Flucht; Flüchtlings; Gesuch; Visum; Ordre; Familiengemeinschaft; Familienasyl; Verfahren; Polygamie
Rechtsnorm: Art. 21 StGB ;Art. 27 IPRG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-7259/2018

U r t e i l  v o m  2 1.  M a i  2 0 1 9

Besetzung Richterin Christa Luterbacher (Vorsitz), Richterin Contessina Theis,

Richterin Muriel Beck Kadima, Gerichtsschreiberin Sandra Bodenmann.

Parteien A. , geboren am ( ),

ohne Staatsangehörigkeit (Palästinenser aus Syrien), ( ),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand

Familienzusammenführung (Asyl); zugunsten von:

  1. , geboren am ( ), syrische Staatsangehörige und deren Sohn:

  2. , geboren am ( ),

    ohne Staatsangehörigkeit (Palästinenser aus Syrien), Verfügung des SEM vom 22. November 2018 / N ( ).

    Sachverhalt:

    I.

    A.

  3. reiste mit ihren vier damals minderjährigen Kindern E. ,

F. , G.

und H.

sowie ihrem volljährigen Sohn

I. (mit separatem Asylverfahren: N [ ]) am 15. Mai 2014 in die Schweiz und ersuchte für sich und ihre Kinder um Asyl.

    1. Im Rahmen ihres Asylverfahrens brachte D. vor, sie sei Palästinenserin jordanischer Staatsangehörigkeit. Sie sei im ( ) Damaskus, Syrien, geboren. Dort habe sie ihren späteren Ehemann (den Beschwerdeführer) kennengelernt und am ( ) 1993 geheiratet. Mit ihm habe sie fünf gemeinsame Kinder (F. , G. , H. , E. und I. ). Sie sei mit den fünf Kindern und ihrem Ehemann aus Syrien in den Libanon gereist. Ihr Ehemann sei psychisch erkrankt und habe im April 2014, während ihres Aufenthalts im Libanon, das gemeinsame Haus verlassen und sei nicht mehr zurückgekommen. Sie wisse nicht, was mit ihrem Ehemann geschehen sei.

    2. Mit Verfügung des SEM vom 15. Januar 2015 wurde die originäre Flüchtlingseigenschaft des ältesten Sohnes I. (N [ ]) anerkannt und ihm wurde Asyl gewährt.

    3. Mit Verfügung vom 12. Mai 2015 wurde D. originär als Flüchtling anerkannt. Die drei damals minderjährigen (mit dem Beschwerdeführer gemeinsamen) Kinder F. , G. und H. wurden in die Flüchtlingseigenschaft ihrer Mutter einbezogen. Mit Verfügung gleichen Datums wurde die originäre Flüchtlingseigenschaft des mittlerweile volljäh-

rig gewordenen Sohnes von D.

und dem Beschwerdeführer

(E. ) verneint; er wurde indessen gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG ebenfalls in die Flüchtlingseigenschaft seiner Mutter D. einbezogen. Alle vier Personen erhielten Asyl in der Schweiz.

II.

B.

Am 26. Januar 2016 stellte der Beschwerdeführer ein Asylgesuch in der Schweiz. Zu seinen persönlichen und familiären Verhältnissen brachte er im Wesentlichen vor, er sei im Flüchtlingslager ( ) in Damaskus geboren.

Er habe im Jahr 1994 in diesem Lager D. , jordanische Staatsangehörige (im Nachfolgenden: erste Partnerin), geheiratet und habe mit ihr fünf gemeinsame Kinder (F. , G. , H. , E. und I. ).

Seit 2006 sei er zudem mit B. , geboren ( ), syrische Staatsangehörige [im Nachfolgenden: zweite Partnerin], verheiratet und habe mit ihr den gemeinsamen Sohn C. , geboren ( ) 2008.

Er habe mit beiden Familien in Syrien in zwei separaten Wohnungen gelebt und sich alternierend bei beiden Ehefrauen respektive beiden Familien aufgehalten. Er habe im Januar 2014 das Flüchtlingslager ( ) in Syrien mit seiner ersten Partnerin und ihren fünf gemeinsamen Kindern verlassen und sei mit ihnen in den Libanon gereist. Etwa drei Monate später, am 16. April 2014, sei er in Beirut von den Hisbullah festgenommen und wieder nach Syrien zurückgeführt worden. In Syrien sei er acht Monate lang, bis Dezember 2014, inhaftiert und dabei gefoltert worden.

Weil er sich zur Zeit der Ausreise seiner ersten Partnerin und der gemeinsamen Kinder (im Mai 2014) in Haft befunden habe, habe er nicht mit seiner (ersten) Familie in die Schweiz reisen können. Nach seiner Freilassung aus der Haft habe sein in der Schweiz lebender Schwager für ihn einen Termin bei der Schweizerischen Botschaft in Libanon organisiert. Dort habe er ein Einreisevisum für die Schweiz erhalten. In der Folge habe er am

15. Dezember 2015 Damaskus verlassen und sei am 28. Dezember 2015 mit einem Visum legal in die Schweiz eingereist. Er habe nicht mit seiner zweiten Partnerin und ihrem Sohn C. ausreisen können, weil nur er alleine einen Termin bei der Botschaft und in der Folge ein Visum für die Einreise in die Schweiz erhalten habe.

C.

Mit Verfügung des SEM vom 14. Februar 2018 wurde der Beschwerdeführer gestützt auf Art. 3 AsylG als Flüchtling anerkannt und erhielt Asyl.

III. D.

Am 26. Februar 2018 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um humanitäre Visa zugunsten seiner zweiten Partnerin und seines Sohnes

C. und verwies dazu auf deren aktuelle, prekäre Wohnsituation in der Umgebung des Flüchtlingscamps ( ) bei Damaskus.

E.

Das SEM traf betreffend eine Visumserteilung Vorabklärungen. Mit Schreiben vom 3. April 2018 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, für die Visumserteilung sei die schweizerische Vertretung im Ausland zuständig; es sei allerdings aufgrund der Vorabklärungen festzuhalten, dass ein Visumsgesuch nur geringe Erfolgsaussichten habe (vgl. eingehender unten E. 4.2.2).

IV.

F.

Mit Eingabe vom 29. Oktober 2018 stellte der Beschwerdeführer ein Gesuch um Familiennachzug und Erteilung einer Einreisebewilligung beziehungsweise um Gewährung eines humanitären Visums für seine zweite Partnerin und für den gemeinsamen Sohn C. .

    1. Dazu trug er im Wesentlichen vor, seine zweite Partnerin und sein Sohn C. würden sich nach wie vor in prekären Verhältnissen in Syrien aufhalten. Er sei von seiner in der Schweiz lebenden ersten Partnerin wegen Ehekonflikten in der Schweiz gerichtlich geschieden worden und sei daher aktuell nur mit seiner zweiten Partnerin verheiratet. Diese leide unter den katastrophalen Bedingungen des Kriegsalltages in Syrien, insbesondere an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Depression; sie könne nicht mehr für den gemeinsamen Sohn sorgen und sei dringend auf die Unterstützung des Beschwerdeführers angewiesen. Ein Familiennachzug der zweiten Partnerin und des gemeinsamen Sohnes könne zur Verbesserung der Lebensqualität der gesamten Familiengemeinschaft beitragen. Ein weiterer Verbleib seiner zweiten Partnerin und seines Sohnes in Syrien gefährde das Kindeswohl.

    2. Zur Stützung seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer folgende Beweismittel ein:

      • einen fremdsprachigen, syrischen Arztbericht betreffend die zweite Partnerin vom 6. Oktober 2018 (inklusive Übersetzung);

      • einen Bericht der Psychiatrischen Dienste ( ) vom 6. August 2018 betreffend den Beschwerdeführer;

      • ein fremdsprachiges Dokument mit Übersetzung (gemäss Übersetzung: Attest über die Notwendigkeit eines chirurgischen Eingriffs am ( ) betreffend den Sohn C. , datiert 4/7/2018);

      • ein Ehescheidungsurteil des Bezirksgericht ( ) vom ( ) Juli 2018 inklusive Rechtskraftbescheinigung per ( ) August 2018 betreffend Scheidung der Ehe des Beschwerdeführers von seiner ersten Partnerin;

      • einen Auszug aus einem syrischen Zivilstandsregister vom 4. Dezember 2016 (“Transcript of Civil Status Record of the Arab Palestinians Register“) inklusive Übersetzung;

      • ein Dokument „Family Record“ der UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) vom

        17. November 2015;

      • eine Heiratsurkunde („Marriage Deed“; mit Übersetzung) vom

        5. Dezember 2016, ausgestellt vom Community Court in ( ), in welchem der am 21. Februar 2006 legal erfolgte Eheschluss („legally married“) zwischen dem Beschwerdeführer („the husband“) und der zweiten Partnerin B. („the wife“) bestätigt wird;

      • einen Auszug aus dem syrischen Zivilstandsregister („General Commission of Palestinian Arab Refugees“) betreffend den Sohn C. , ausgestellt am 3. Dezember 2016, mit Übersetzung, in

        welchem bestätigt wird dass der C.

        der Sohn des Be-

        schwerdeführers und der zweiten Partnerin ist und „palästinensischer Nationalität“ ist;

      • Auszüge aus den Reisepässen der zweiten Partnerin B. und des Sohnes C. (Farbkopien).

G.

Mit Verfügung vom 22. November 2018 - dem Beschwerdeführer am

23. November 2018 eröffnet - lehnte das SEM das Familienzusammenführungsgesuch ab und verweigerte der zweiten Partnerin und dem Sohn C. die Einreise in die Schweiz.

Auf die Begründung wird in den Erwägungen eingegangen.

H.

Mit Eingabe vom 20. Dezember 2018 (Poststempel) reichte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die SEMVerfügung vom 22. November 2018 ein und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung, die Gutheissung des Familiennachzugsgesuchs zugunsten der zweiten Partnerin und des gemeinsamen Sohnes sowie die Bewilligung deren Einreise. Im Weiteren sei die Möglichkeit der Erteilung humanitärer Visa zu prüfen.

In prozessualer Hinsicht wurde die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG inklusive Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses beantragt.

Mit der Beschwerdeeingabe wurden in Ergänzung der bisher eingereichten Beweismittel weitere Unterlagen nachgereicht, auf die in den Erwägungen (E. 4.2.2.) eingegangen wird.

I.

Mit Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Januar 2019 wurde festgestellt, dass der Antrag (des Beschwerdeführers) um Erteilung von humanitären Visa zugunsten seiner zweiten Partnerin und des gemeinsamen Kindes nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens darstelle. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG wurde gutgeheissen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet.

Gleichzeitig hielt das Gericht fest, das SEM habe in der angefochtenen Verfügung vom 22. November 2018 eingehend Stellung zum Gesuch um Familiennachzug betreffend der zweiten Partnerin bezogen und auf die Rechtsprechung der schweizerischen Asylbehörden und des Bundesgerichts zu polygamen Beziehungen verwiesen. Dazu sei seitens des SEM weiter ausgeführt worden, der Beschwerdeführer sei mit seiner zweiten Partnerin eine Ehe eingegangen zu einem Zeitpunkt, als er bereits mit seiner ersten Partnerin verheiratet gewesen sei und mit ihr die eheliche Gemeinschaft aktiv gelebt habe. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer mittlerweile von seiner ersten Partnerin in der Schweiz gerichtlich geschieden worden sei, ändere nach Ansicht des SEM nichts. Das SEM habe weiter festgehalten, der Beschwerdeführer wohne nach wie vor an der gleichen Wohnadresse mit seiner ersten Partnerin, weshalb von einer Fortsetzung der eheähnlichen Beziehung mit dieser und nicht von einem diesbezüglichen Beziehungsabbruch auszugehen sei.

Das Gericht stellte fest, das SEM habe sich jedoch im Rahmen seiner Erwägungen zum Familiennachzugsgesuch nicht explizit mit der Situation des Sohnes C. auseinandergesetzt.

Die Verfahrensakten wurden dem SEM zur Vernehmlassung überwiesen mit der expliziten Aufforderung, zum Familiennachzugsgesuch hinsichtlich des Sohnes C. Stellung zu beziehen.

J.

In seiner Vernehmlassung vom 21. Januar 2019 hielt das SEM an seinen bisherigen Erwägungen fest. Auf die ergänzenden Ausführungen wird in den Erwägungen eingegangen.

K.

Am 6. Februar 2019 reichte der Beschwerdeführer eine Replikeingabe ein. Auf deren Inhalt und auf die nachgereichten Beweismittel wird in den Erwägungen (E. 4.4) eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).

    4. Wie mit Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts vom

      8. Januar 2019 bereits festgestellt wurde, bildet der in der Beschwerdeeingabe gestellte Antrag um Erteilung von humanitären Visa zugunsten der zweiten Partnerin des Beschwerdeführers und des gemeinsamen Kindes C. nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

      Die vorliegende Beschwerde beschränkt sich auf die Frage, ob das SEM zu Recht das Familiennachzugsgesuch des Beschwerdeführers vom

      29. Oktober 2018 im Sinne von Art. 51 Abs. 4 AsylG zugunsten von B. und C. abgelehnt und in der Folge deren Einreise verweigert hat oder nicht.

    5. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

    1. Gemäss Art. 51 Abs. 1 AsylG werden - unter dem Titel Familienasyl - Ehegatten von asylberechtigten Flüchtlingen und deren minderjährige Kinder ihrerseits als Flüchtlinge anerkannt und erhalten Asyl, sofern keine besonderen Umstände dagegensprechen. Anspruchsberechtigte nach Art. 51 Abs. 1 AsylG haben gemäss Art. 51 Abs. 4 AsylG einen Anspruch auf Erteilung einer Einreisebewilligung, sofern sie sich noch im Heimatstaat oder im Ausland aufhalten und durch die Flucht des in der Schweiz anerkannten Flüchtlings getrennt wurden (vgl. BVGE 2012/32 E. 5.1). Zudem setzt die Erteilung einer Einreisebewilligung eine vorbestandene Familiengemeinschaft sowie die fest beabsichtigte Familienvereinigung in der Schweiz voraus. Zweck der Bestimmung von Art. 51 Abs. 4 AsylG ist einzig die Wiedervereinigung von im Zeitpunkt der Flucht aus dem Heimatstaat vorbestandenen Familiengemeinschaften. Als „Zeitpunkt der Flucht“ gilt dabei die asylrechtlich relevante Ausreise aus dem Heimatland.

    2. Wer um die Erteilung einer Einreisebewilligung zwecks Familienasyl ersucht, hat a) die Zugehörigkeit des nachzuziehenden Angehörigen zur Familiengemeinschaft, b) die im Zeitpunkt der Flucht vorbestandene Familiengemeinschaft, c) die Familientrennung durch die Flucht sowie d) die fest beabsichtigte Familienvereinigung der Anspruchsberechtigten (in der Schweiz) nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen (vgl. Art. 7 AsylG).

4.

4.1 Die Vorinstanz stellt sich in der angefochtenen Verfügung auf den Standpunkt, die schweizerischen Asylbehörden würden in ihrer Praxis und Rechtsprechung übereinstimmend davon ausgehen, dass grundsätzlich nur auf Dauer angelegte, umfassende Lebensgemeinschaften zweier Personen mit Ausschliesslichkeitscharakter unter den Schutz der Familieneinheit im Sinne von Art. 51 Abs. 1 und 4 AsylG fallen würden. Der Grundsatz der Einheit der Familie könne von einer Person nur im Verhältnis zu genau einer anderen Person geltend gemacht werden. Bigame und polygame Beziehungen seien gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht erfasst. Im Ausland gültig eingegangene polygame Ehen würden wegen Verstosses gegen den schweizerischen Ordre public nicht anerkannt. Gemäss Art. 215 StGB sei Polygamie eine Straftat. Eine wegen Polygamie nicht anerkannte Ehe könne auch nicht als eheähnliche Beziehung Rechtswirkungen entfalten.

Der Beschwerdeführer sei die Ehe mit seiner zweiten Partnerin zu einem Zeitpunkt eingegangen, als er bereits mit seiner ersten Partnerin verheiratet gewesen sei und mit ihr die eheliche Gemeinschaft aktiv gelebt habe. Die Eheschliessung mit der zweiten Partnerin im Jahr 2006 werde folglich in der Schweiz wegen Ordre public-Widrigkeit nicht anerkannt. Hieran ändere auch nichts, dass der Beschwerdeführer sich mittlerweile von seiner ersten Ehefrau habe scheiden lassen. Der Zeitpunkt der Zweit-Eheschliessung sei für die Feststellung der Ordre public-Widrigkeit entscheidend. Die Vermählung mit der zweiten Partnerin habe in der Schweiz folglich keine Gültigkeit. Zudem stelle sich angesichts der nach wie vor gleichen Wohnadresse des Beschwerdeführers und seiner ersten Partnerin die Frage nach dem tatsächlichen Beziehungsabbruch nach der formellen Ehescheidung. Es sei von einer Fortführung der eheähnlichen Beziehung mit der ersten Partnerin auszugehen. Der Nachzug der zweiten Partnerin in die Schweiz verstosse gegen das hiesige Prinzip der Monogamie.

4.2

      1. Der Beschwerdeführer hält dem in seiner Beschwerde entgegen, dass vorliegend humanitäre Überlegungen, insbesondere die äusserst prekäre Gesundheitssituation und Lebensumstände sowie das Kindeswohl seines Sohnes C. für den Nachzug seiner zweiten Familie sprechen würden. Polygamie sei in Syrien nicht sehr verbreitet, aber erlaubt. Der Beschwerdeführer wolle seine jetzige Ehefrau (die zweite Partnerin) im Interesse des gemeinsamen Kindes in die Schweiz holen. In Einzelfällen könne der Familiennachzug zur Vermeidung einer „aussergewöhnlichen Härte“ zugelassen werden, unter anderem dann, wenn ein Kind ohne einen leiblichen Elternteil aufwachsen müsste. Vorliegend sei von einem solchen Härtefall auszugehen. Nach seiner Asylgewährung am 14. Februar 2018 habe er am 26. Februar 2018 ein humanitäres Visa-Gesuch für seine zweite Partnerin und das Kind gestellt, weil sich diese in Syrien in einer gefährlichen Zone in der Nähe des Flüchtlingslagers ( ) aufhalten würden. Dieses Gesuch sei abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer könne nicht nachvollziehen, woher das Argument des SEM stamme, dass seine zweite Partnerin keinen Willen gehabt habe, in die Schweiz einzureisen; seine zweite Partnerin habe sich vielmehr stets in der Schweiz mit ihm vereinigen wollen. Zudem sei sie am 1. Dezember 2016 tätlich angegriffen worden und habe diverse Frakturen und Verletzungen erlitten, weshalb sie mehrere Monate lang weder für sich noch für das Kind habe sorgen können. Der Onkel seiner zweiten Partnerin sei ein aggressiver, unberechenbarer Offizier, der dem Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise mit dem Tod gedroht habe. Dieser Onkel habe die zweite Partnerin bereits im Juli 2017 eine Woche lang und im Januar 2018 zwei Wochen lang in einem Keller festgehalten und massiv geschlagen. Der Sohn sei verängstigt worden und habe kaum geschlafen. Sie sei dann vom Onkel freigelassen worden unter der Bedingung, dass sie mit ihrem Sohn zum Beschwerdeführer in die Schweiz reise oder dieser zurück nach Syrien kehre. Der Onkel gehe davon aus, dass der Beschwerdeführer kein Interesse mehr an seiner Beziehung zur zweiten Partnerin habe und betrachte die familiäre Situation als grosse Schande und Ehrverletzung. Seine zweite Partnerin halte sich seit ihrer Freilassung in einem geheimen Kellerzimmer in Damaskus auf.

        Der Nachzug seiner zweiten Partnerin mit Sohn werde auch von den behandelnden Ärzten des Beschwerdeführers empfohlen. Seine psychischen Probleme hätten zu Konflikten mit seiner ersten Partnerin geführt, weshalb sie sich in der Schweiz friedlich hätten scheiden lassen. Er suche seit fünf

        Monaten eine Wohnung. Er habe als Familienvater für das Wohl aller Familienmitglieder seiner in der Schweiz und in Syrien lebenden Familie zu sorgen.

      2. In Ergänzung der bisher eingereichten Beweismittel wurden der Beschwerdeeingabe ein Schreiben des SEM an den Beschwerdeführer vom

3. April 2018 betreffend Antrag für humanitäre Visa betreffend die zweite Partnerin und den Sohn C. sowie ein Kurzbericht der Psychiatrischen Dienste ( ) vom ( ) 2018 beigelegt.

Aus dem Schreiben des SEM vom 3. April 2018 geht hervor, dass der Beschwerdeführer für seine zweite Partnerin und den gemeinsamen Sohn C. einen Antrag für humanitäre Visa gestellt hat. Das SEM teilte dem Beschwerdeführer mit, die Erfolgsaussichten für diese Gesuche seien aufgrund der - dem Beschwerdeführer bekannten - negativen Vorabklärungen mit dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) im August 2017 als äusserst gering zu bezeichnen. Aufgrund einer Einzelfallprüfung wäre das SEM bereit gewesen, ein humanitäres Gesuch für die zweite Partnerin und den gemeinsamen Sohn wohlwollend zu prüfen. Als sich herausgestellt habe, dass die zweite Partnerin gar nicht in die Schweiz habe einreisen wollen, habe davon ausgegangen werden müssen, dass die zuerst geltend gemachte Gefahr für Leib und Leben nicht (mehr) bestehe. Später habe das SRK dem SEM mitgeteilt, dass die zweite Partnerin doch in die Schweiz kommen möchte. Aufgrund der unglaubhaft dargestellten Entwicklung der Situation habe das SEM dem SRK definitiv mitgeteilt, dass die Chancen für ein humanitäres Visum ziemlich aussichtslos seien. Es stehe der zweiten Partnerin selbstverständlich frei, für sich und den gemeinsamen Sohn bei der nächstgelegenen Schweizer Vertretung ein begründetes Visums-Gesuch zu stellen.

    1. In seiner Vernehmlassung vom 21. Januar 2019 hielt das SEM an seinen bisherigen Erwägungen fest und führte ergänzend aus, hinsichtlich allfälliger Ansprüche des Sohnes C. auf Familiennachzug sei auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts BVGE 2012/5 E. 5.3 zu verweisen. Aus diesem Entscheid gehe hervor, dass das Vorliegen einer PolygamieEhe einen „besonderen Umstand“ im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 51 Abs. 1 AsylG darstelle. Für Kinder aus Polygamie-Ehen könnten keine Ansprüche aus Art. 51 Abs. 1 und 3 AsylG abgeleitet werden, weshalb auch zugunsten des Sohnes C. aus dieser Bestimmung nichts abgeleitet werden könne. Infolgedessen sei es gemäss BVGE 2012/5 E. 5.3 nicht

      notwendig, Ansprüche gemäss Art. 8 EMRK weiter zu prüfen. Die Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn C. wäre nur beziehungsweise erst in einem ausländerrechtlichen Verfahren zu prüfen. So stehe es dem Beschwerdeführer frei, ein Gesuch um Familiennachzug gemäss Art. 44 AuG (heute: Ausländerund Integrationsgesetzes [AIG, SR 142.20]) bei den kantonalen Behörden einzureichen.

      Der Beschwerdeführer habe seinen Sohn (mit dessen Mutter) zweimal in Syrien zurückgelassen, während er mit seiner ersten Ehefrau beziehungsweise alleine das Land verlassen habe. Es sei davon auszugehen, dass die Mutter und nicht der Beschwerdeführer die engste Bezugsperson für den rund ( )jährigen Sohn darstelle. Zur gesundheitlichen Situation der Mutter und deren Kapazität, für den Sohn zu sorgen, sei festzuhalten, dass weitere Verwandte in Syrien leben würden, welche sie bei dieser Aufgabe unterstützten könnten. Der Beschwerdeführer mache zudem eigene gesundheitliche Probleme geltend und befinde sich in der Schweiz in keiner einfachen Lage. Es sei daher nicht evident, dass dem Kindeswohl von C. besser Rechnung getragen würde, wenn er bei seinem Vater in der Schweiz leben würde.

    2. In seiner Replikeingabe führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, der vorliegende Fall könne nicht aus einem allgemeinen Blickwinkel betrachtet beurteilt werden. Der Sohn C. lebe mit seiner Mutter in einem Keller, besuche keine Schule und habe keinen Kontakt zu anderen Kindern. Die beiden hätten sich vor der Familie der zweiten Partnerin versteckt, weil die Kindsmutter von ihrer Familie verfolgt und unter Druck gesetzt worden sei, das Kind zu verlassen. Es sei in ihrer Kultur unüblich und werde als Schande betrachtet, wenn eine Frau mit einem Kind alleine lebe, solange der Ehemann respektive der Kindsvater noch lebe. Der Gesundheitszustand seiner zweiten Partnerin und ihre Suizidgedanken würden das Kindeswohl gefährden. Er - der Beschwerdeführer - habe sein Kind nicht freiwillig zurückgelassen; er sei nicht freiwillig geflüchtet. Das in Syrien verbliebene Kind habe (Halb-) Geschwister in der Schweiz. Der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers hänge mit der Situation seiner zweiten Partnerin und ihres Sohnes zusammen; dieser würde sich mit deren Einreise verbessern. Er habe eine neue Wohnung für seine in Syrien verbliebene Familie gefunden und wohne seit dem 1. Februar 2019 in ( ); die zukünftige Familienwohnung sei deshalb vorhanden.

      Zur Stützung seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer folgende Beweismittel nach:

      • ein Zeugnis eines syrischen Facharztes für psychiatrische und neurologische Erkrankungen betreffend seine zweite Partnerin vom

        27. Januar 2019 inklusive Übersetzung (in welchem eine starke Depression mit Suizidgedanken diagnostiziert und ein starkes Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mutter und Sohn sowie die Abgabe von Medikamenten attestiert wird);

      • einen Tagesplan Tageszentrum ( ) in Kopie;

      • einen Mietvertrag vom 26. Januar 2019 betreffend Wohnung an der ( )strasse in ( ) in Kopie;

      • Bestätigung der ( ), datiert vom 30. Januar 2019, wonach der Beschwerdeführer am 1. Februar 2019 von ( ) an die ( )strasse in ( ) umgezogen sei.

5.

In einem ersten Schritt ist der Frage nachzugehen, ob es sich bei den in Syrien verbliebenen Angehörigen - die zweite Partnerin und der gemeinsame Sohn C. - um Anspruchsberechtigte im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG handelt.

5.1

      1. Der Beschwerdeführer trug im eigenen Asylverfahren stets vor, dass er nach syrischem Recht mit zwei Partnerinnen verheiratet gewesen sei. Er wies im Rahmen seiner Befragung zur Person und seiner Anhörung zu den Asylgründen stets darauf hin, dass er mit beiden Frauen und den jeweiligen Kindern aus diesen Beziehungen in einem Flüchtlingslager in Syrien (respektive wenige Monate im Libanon) zusammen gelebt und sich dabei alternierend bei beiden Familien aufgehalten hat (vgl. B11, Ziffern 1.14, 3.01 und 7.01 sowie B23, insbesondere Antworten 6, 8, 18ff., 23, 29,

        64 ff. und 116-123).

      2. Der eingereichten Heiratsurkunde („Marriage Deed“), datiert vom

        5. Dezember 2016, ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer und seine zweite Partnerin am ( ) 2006 vor einem Gemeindegericht in Syrien legal verheiratet wurden. Aus dem eingereichten UNRWA-Auszug vom 17. November 2015 geht auch hervor, dass die zweite Partnerin als „wife“ und der Sohn C. als „son“ registriert wurden. Aus der Geburtsurkunde

        „Civil Status Record“, ausgestellt in Damaskus am 3. Dezember 2016, geht weiter hervor, dass der Beschwerdeführer und seine zweite Partnerin als

        Eltern ihres am ( ) 2008 geborenen Sohnes C. registriert wurden. Diese Feststellungen werden durch den ebenfalls zu den Akten gereichten Auszug des syrischen Ministeriums für Soziale Angelegenheiten („Transcript of Civil Status Record of the Arab Palestinians Register“) vom

        4. Dezember 2016 zusätzlich bestätigt.

      3. Nach dem Gesagten ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer nach syrischem Recht seit 2006 mit seiner zweiten Partnerin in Syrien verheiratet war.

      4. Die Vaterschaft des Beschwerdeführers respektive die Elternschaft des Beschwerdeführers und seiner zweiten Partnerin bezüglich des Sohnes C. wurde vom SEM nicht in Zweifel gezogen. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat angesichts der kongruenten Angaben des Beschwerdeführers, die durch die eingereichten Beweismittel untermauert werden, keine Veranlassung, daran zu zweifeln, dass es sich bei C. um den gemeinsamen Sohn des Beschwerdeführers und seiner zweiten Partnerin handelt.

5.2

      1. Die Polygamie, verstanden als Ehe zwischen einem Mann und mehreren Frauen, ist in Syrien nicht weitverbreitet, aber legal. Die Anzahl polygamer Ehen im Jahr 2005 variierte zwischen 9% in städtischen und 16% in ländlichen Gebieten. Seit Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 hat die Ausbreitung der Polygamie in gewissen Gebieten markant zugenommen, weil weit mehr Männer als Frauen in den kriegerischen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen sind (vgl. Landinfo [Norwegen]: Report Syria: Marriage legislation and traditions, 22. August 2018, Ziffer 3.1.8, S. 13 https://landinfo.no/wp-content/uploads/2018/10/Report-SyriaMarriage-legislation-and-traditions-22082018.pdf, abgerufen am 6.3.2019, mit weiterem Verweis auf VAN EIJK ESTHER: Family Law in Syria. Patriarchy, Pluralism and Personal Status Laws, 2016, S. 79, 221 und 249; sowie BVGE 2012/5 E. 4.5.2.4 mit weiterem Verweis).

      2. Wie das SEM zutreffend festhielt, stellt Polygamie in der Schweiz einen Straftatbestand (Art. 215 StGB) dar und verstösst gegen fundamentalte Grundsätze der schweizerischen Rechtsund Werteordnung. Eine im Ausland geschlossene Zweit-Ehe wird in der Schweiz wegen Verstosses gegen den schweizerischen Ordre public nicht anerkannt (vgl. Art. 27 Abs.

        1 IPRG) und kann gemäss geltender Rechtsprechung auch nicht als eheähnliche Beziehung Rechtswirkungen entfalten (BVGE 2012/5 E. 4.5 und 4.7). Die polygame Ehe stellt einen besonderen Umstand im Sinne von Art. 51 Abs. 1 und 3 AsylG dar, welcher einem Einbezug (nebst des zweiten Ehepartners) auch der aus dieser Ehe stammenden Kinder in den Flüchtlingsstatus des Elternteils und der Gewährung von Familienasyl entgegensteht (BVGE 2012/5 E. 5).

      3. Gemäss dem Grundsatzurteil BVGE 2012/5, das sich eingehend mit der entsprechenden Lehre und Praxis auseinandersetzt, kann eine polygame Ehe aufgrund des Vorbehalts des schweizerischen Ordre public im Rahmen des Familienasyls gemäss Art. 51 AsylG nicht anerkannt werden.

Weiter hielt das Bundesverwaltungsgericht aber insbesondere fest, dass der Vorbehalt des schweizerischen Ordre public nicht eine nach der Auflösung einer vorangehenden Beziehung monogam gewordene Ehe betrifft (vgl. E. 4.5.4, S. 53: „[ ], la réserve de l’ordre public ne concerne pas le mariage devenu monogame après dissolution d’un lien antérieur de bigamie ou de polygamie“, mit Verweis auf BUCHER ANDREAS, in: Loi sur le droit international privé - Convention de Lugano, Commentaire romand, Bucher [éd.], Basel 2011, zu Art. 45 IPRG, Rz. 23, Seite 445 f.; ebenso a.a.O., E.

4.5.7 S. 55 [„ doivent en refuser la reconnaissance tant que le ou les mariages précédents n’ont pas été dissous valablement “; vgl. auch Regeste 3 des Urteils BVGE 2012/5). Im Sachverhalt des Urteils BVGE 2012/5 war allerdings keine entsprechende Konstellation gegeben.

Auch in der Lehre wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass bei internationalen Privatrechts-Sachverhalten der Mangel einer bigamischen Ehe nach Auflösung der ersten Ehe als geheilt gilt (vgl. neben dem bereits zitierten Kommentar von BUCHER weiter: ANDREA BÜCHLER/AMIRA LATIF: Islamisches Eheschliessungsund Scheidungsrecht im Kontext des Internationalen Privatrechts der Schweiz, in: Jahrbuch für Migrationsrecht 2012/2013, S. 163 ff.; vgl. auch ANDREA BÜCHLER/STEFAN FINK, Eheschliessungen im Ausland, Die Grenzen ihrer Anerkennung in der Schweiz am Beispiel von Ehen islamischer Prägung, in: FamPra.ch 1/2008 vom 17.01.2008).

      1. Eine entsprechende Konstellation ist vorliegend gegeben.

        Die erste Ehe des Beschwerdeführers - mit seiner ersten Partnerin - wurde vom Bezirksgericht ( ) am ( ) Juli 2018 geschieden. Die Auflösung

        der Ehe wurde gemäss Bescheinigung des Bezirksgerichts am ( ) 2018 rechtkräftig.

        Der Beschwerdeführer ersucht darum, seine zweite Partnerin und den Sohn C. im Rahmen von Art. 51 Abs. 4 AsylG in die Schweiz nachziehen zu lassen Das Familiennachzugsgesuch reichte er am 29. Oktober 2018 beim SEM ein.

        Im Zeitpunkt des Familiennachzugsgesuchs - und im heutigen Urteilszeitpunkt - war der Beschwerdeführer somit nicht (mehr) mit seiner ersten Partnerin verheiratet. Der Beschwerdeführer wohnt heute auch nicht mehr gemeinsam, das heisst im gleichen Haushalt, mit seiner geschiedenen (ersten) Ehefrau und ihren gemeinsamen fünf Kindern in ( ). Seit 1. Februar 2019 lebt er vielmehr in einer eigenen Wohnung in ( ), was durch mehrere Beweismittel, insbesondere eine amtliche Bestätigung der Gemeinde ( ), belegt wird (vgl. hierzu: E. 4.4 oben).

      2. Bei der Verbindung des Beschwerdeführers mit seiner zweiten, in Syrien verbliebenen Partnerin handelt es sich - wie oben festgestellt - um eine nach syrischem Recht legale Ehe. Beim damaligen Eheschluss im Jahr 2006 war der Beschwerdeführer bereits verheiratet (und noch nicht geschieden), weshalb dieser Eheschluss als solcher in der Schweiz wegen Ordre public-Widrigkeit nicht anerkannt werden kann. Indessen ist nach der Scheidung des Beschwerdeführers von seiner ersten Frau die Verbindung mit seiner zweiten Partnerin monogam geworden.

Ob es sich bei dieser Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner zweiten Partnerin heute - nach der Scheidung der Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner ersten Partnerin - um eine formelle Ehegemeinschaft im Sinne des schweizerischen Zivilrechts handelt und ob sie heute als formelle Ehe anerkannt werden könnte, kann indessen offengelassen werden. Der Beschwerdeführer lebte während seines Aufenthaltes in Syrien seit 2006 regelmässig mit seiner zweiten Partnerin zusammen. Aus dieser zweiten Verbindung des Beschwerdeführers zu seiner in Syrien verbliebenen Partnerin ist ein gemeinsames Kind entsprungen. Das Gericht geht daher vorfrageweise davon aus, dass die Verbindung des Beschwerdeführers zu B. jedenfalls als eheähnlich zu qualifizieren ist.

Nach der Auflösung der ersten Ehe des Beschwerdeführers im Sommer 2018 steht im heutigen Urteilszeitpunkt einer Qualifizierung dieser zweiten

Beziehung als eheähnliche Verbindung keine Ordre public-Widrigkeit entgegen, nachdem - wie oben unter Verweis auf BVGE 2012/5 festgehalten (vgl. vorstehend E. 5.2.3) - der hier interessierende Vorbehalt des Ordre public für die nach Auflösung der vorherigen Eheverbindung monogam gewordene Ehe respektive eheähnliche Beziehung nicht gilt.

5.3 Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich bei B. und C. um grundsätzlich anspruchsberechtigte Familienangehörige im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG handelt.

6.

In einem nächsten Schritt ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführers mit diesen im Ausland lebenden Familienangehörigen (zweite Partnerin und Sohn) im Sinne von Art. 51 Abs. 4 AsylG vor seiner Flucht aus Syrien im Dezember 2015 eine Familiengemeinschaft gebildet hat und ob diese durch die Flucht getrennt wurde.

    1. Wie bereits festgestellt, trug der Beschwerdeführer im Rahmen seines Asylverfahrens stets vor, mit seiner ersten und zweiten Familie in Syrien zusammengelebt zu haben (vgl. oben E. 5.1). Er reiste zwar im Januar 2014 mit seiner ersten Familie in den Libanon. Dort wurde er im April 2014 festgenommen und seitens der libanesischen Behörden den syrischen Sicherheitskräften übergeben.

      In der Folge war der Beschwerdeführer acht Monate lang, von April 2014 bis Dezember 2014, in Syrien inhaftiert. Nach seiner Freilassung aus der Haft lebte er mit seiner zweiten Partnerin und ihrem Sohn C. - bis zu seiner aus Syrien Ende Dezember 2015 - zusammen, im Haus seiner Schwester (vgl. B23, Antworten 64 und 87 sowie Mailkorrespondenz des SRK im Rahmen der Abklärungen zum humanitären Visumsverfahren). Während dieses gemeinsamen Aufenthalts mit seiner zweiten Partnerin und dem Sohn hat sein in der Schweiz lebender Schwager - für den Beschwerdeführer allein - einen Termin bei der schweizerischen Botschaft im Libanon organsiert. In der Folge erhielt er alleine ein Einreisevisum für die Schweiz.

    2. Aufgrund des vom Beschwerdeführer schlüssig und glaubhaft dargelegten Sachverhalts, der sich mit den Ergebnissen der vom SRK vorgenommenen Abklärungen im Visumsverfahren inhaltlich deckt, ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer vor seiner Flucht aus Syrien mit seiner

      zweiten Partnerin und seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt hat. Es ist daher von einer vor der Flucht bestehenden und tatsächlich gelebten Familiengemeinschaft im Sinne von Art. 51 Abs. 4 AsylG auszugehen. In diesem Zusammenhang ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der Beschwerdeführer seit seiner Anwesenheit in der Schweiz ernsthaft bemüht war, sich um seine zweite, in Syrien zurückgebliebene Familie zu kümmern. Er hat diese auch nach seinem ersten Verlassen des Flüchtlingscamps Mitte 2012 finanziell unterstützt (vgl. B23, Antwort 29). Nach seiner Anerkennung als Flüchtling in der Schweiz wäre er zudem bereit gewesen, nach Syrien zurückzukehren, um sich um seine dort verbliebene Familienangehörigen zu kümmern (vgl. B23, Antworten 3, 116 und 119) und hat sich in diesem Zusammenhang entsprechend schriftlich an das SEM gewandt (vgl. die beiden schriftlichen „Gesuche um Rückkehr nach Syrien“ in den vorinstanzlichen Akten). Diese Umstände verdeutlichen, dass der Beschwerdeführer bestrebt ist, seine Familie gestützt auf die aus dem Familienasyl fliessenden Rechte möglichst rasch wieder zu vereinigen.

      Es ist ferner davon auszugehen, dass die bis zur Ausreise des Beschwerdeführers aus Syrien bestehende Familiengemeinschaft durch die Flucht des Beschwerdeführers im Dezember 2015 getrennt wurde.

    3. Es bestehen vorliegend auch keine gegen die Gewährung von Familienasyl sprechenden besonderen Umstände im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG. Im Zusammenhang mit der Anerkennung einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und seiner zweiten Partnerin liegen - wie in E. 5.2.5 festgehalten und entgegen dem vom SEM vertretenen Standpunkt - keine im Sinne einer Ordre public-Widrigkeit sprechende Umstände vor.

    4. Zusammenfassend ist festzustellen, dass B. als eheähnliche Lebenspartnerin des in der Schweiz originär als Flüchtling anerkannten Beschwerdeführers und der gemeinsame, minderjährige Sohn C. als anspruchsberechtigte Familienangehörige im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG anzuerkennen sind. Die in Syrien bis zur Flucht des Beschwerdeführers im Dezember 2015 bestehende und tatsächlich gelebte Familiengemeinschaft wurde durch die Flucht des Beschwerdeführers aus Syrien im Dezember 2015 getrennt. Die Voraussetzungen von Art. 51 Abs. 4 AsylG sind vorliegend erfüllt.

      Wie bereits festgehalten, liegen auch keine gegen die Gewährung von Familienasyl sprechenden besonderen Umstände im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG vor.

    5. Nach dem Gesagten ist festzustellen, dass das SEM zu Unrecht die Voraussetzungen von Art. 51 Abs. 4 AsylG verneint hat.

Die Beschwerde ist gutzuheissen und die SEM-Verfügung vom 22. Novem-

ber 2018 ist aufzuheben. Das SEM ist anzuweisen, B.

und

C. umgehend die Einreise in die Schweiz zwecks Gewährung von Familienasyl im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AsylG zu bewilligen. Dabei sind alle Vorkehrungen zu treffen, damit die Einreise unverzüglich durchgeführt werden kann. Zur aktuellen, prekären Lage in ( ) und Umgebung ist auf den Bericht des Danish Information Service (DIS): Syria: Security Situation in Damascus Province and Issues regarding Return to Syria, Februar 2019, zu verweisen ([ ]).

7.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).

    2. Dem im vorliegenden Beschwerdeverfahren nicht vertretenen Beschwerdeführer ist keine Parteientschädigung auszurichten, da nicht davon auszugehen ist, dass ihm verhältnismässig hohe Kosten entstanden sind, weshalb keine Parteientschädigung auszurichten ist

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Die SEM-Verfügung vom 22. November 2018 wird aufgehoben.

3.

Das SEM wird angewiesen, umgehend die Einreise von B. und C. zwecks Gewährung von Familienasyl zu bewilligen und alle Vorkehrungen zu treffen, damit die Einreise unverzüglich durchgeführt werden kann.

4.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

5.

Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.

6.

Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführenden, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Christa Luterbacher Sandra Bodenmann

Versand:

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