Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-6598/2015 |
Datum: | 29.10.2015 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) |
Schlagwörter : | Dublin; Dublin-III-VO; Mitgliedstaat; Italien; Asylgesuch; Schweiz; Verfahren; Recht; Beziehung; Bundes; Über; Antrag; Verfügung; Beschwerdeführers; Vorinstanz; Bundesverwaltungsgericht; Verfahrens; Sachverhalt; Schutz; Staat; Familie; Behörde; Zuständigkeit; Familien; Wegweisung |
Rechtsnorm: | Art. 12 EMRK ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Müller, Schindler, Auer, Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Art. 13 VwVG ; Art. 8 AsylG, 2008 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Abteilung V E-6598/2015
Besetzung Richterin Muriel Beck Kadima (Vorsitz), Richter Martin Zoller, Richterin Sylvie Cossy,
Gerichtsschreiberin Patricia Petermann Loewe.
Parteien A. , geboren am ( ), Eritrea,
vertreten durch lic. iur. Barbara Wille, Rechtsanwältin, HEKS Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende SG/AI/AR, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung nach Italien (Dublin-Verfahren); Verfügung des SEM vom
18. September 2015 / N ( ).
Gemäss eigenen Angaben verliess der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat im ( ) 2014 (A7 S. 6) und suchte am 27. Mai 2015 in der Schweiz um Asyl nach.
Anlässlich der Befragung zur Person vom 26. Juni 2015 im Empfangsund Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzlingen gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er, der seit 2006 in seiner Heimat als ( ) gedient habe, im ( ) 2014 ins Gefängnis gekommen sei. Nach seiner Entlassung sei er im ( ) 2014 in den Sudan gegangen: In Eritrea gebe es keine Verbesserung, er sei geflüchtet, um ein besseres Leben führen zu können (A7 S. 7). Des Weiteren führte er aus, seine Freundin B. (N [ ]) - mit welcher er in Eritrea von 2008 bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2010 eine Beziehung gehabt habe (A7 S. 3; A12) - lebe hier.
Im Rahmen dieser Befragung wurde dem Beschwerdeführer ferner das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Italien gewährt, welches gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig sei. Dabei machte dieser geltend, nicht nach Italien zurückkehren zu wollen, da er hier mit seiner Freundin zusammen leben wolle (A7 S. 8).
Am 3. Juli 2015 ersuchte das SEM die italienischen Behörden um Übernahme des Beschwerdeführers gemäss Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO (A14). Dieses Gesuch blieb innert der im Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet.
Mit Verfügung vom 18. September 2015 (eröffnet am 9. Oktober 2015) trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein und verfügte die Überstellung nach Italien, welches gemäss Dublin-III-VO für die Behandlung seines Asylgesuchs zuständig sei. Gleichzeitig verfügte das SEM den Vollzug der Wegweisung nach Italien und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.
Mit Beschwerde vom 15. Oktober 2015 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertreterin, die Verfügung vom 18. September 2015 sei aufzuheben und auf sein Asylgesuch sei einzutreten; sodann sei ihm Familienasyl nach Art. 51 Abs. 1 AsylG zu gewähren und er in die Flüchtlingseigenschaft seiner Freundin einzubeziehen. In prozessualer Hinsicht beantragte er die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege.
Am 16. Oktober 2015 wurde der Vollzug der Überstellung vom Bundesverwaltungsgericht per sofort einstweilen ausgesetzt. Die vorinstanzlichen Akten trafen am 19. Oktober 2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Verfügung vom 22. Oktober 2015 erteilte die Instruktionsrichterin der Beschwerde die aufschiebende Wirkung und stellte fest, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Ferner wurde ihm die unentgeltliche Prozessführung gewährt, indes wurde das Gesuch um unentgeltliche Rechtsverbeiständung (Art. 65 Abs. 2 VwVG) abgelehnt.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - und so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde vorliegend auf einen Schriftenwechsel verzichtet.
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.). Die Fragen der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Gewährung von Asyl - welche vorliegend gestützt auf Art. 51 Abs. 1 AsylG beantragt wurden - bilden demgegenüber nicht Gegenstand des angefochtenen Nichteintretensentscheides und damit auch nicht des vorliegenden Verfahrens. Auf die entsprechenden Beschwerdeanträge ist deshalb nicht einzutreten.
In der Beschwerdeschrift wurde gerügt, die Sache sei zur vollständigen Abklärung des Sachverhalts sowie zwecks erneuter Entscheidfindung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese Rüge ist vorab zu prüfen, da ein Verfahrensmangel allenfalls geeignet wäre, eine Kassation des vorinstanzlichen Entscheides zu bewirken (vgl. ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER/MARTIN BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 1156 m.w.H.).
Der Einwand wurde dahingehend begründet, der Beschwerdeführer und B. seien als Paar zu betrachten und bezüglich dieser Thematik
anzuhören. Die Feststellung des SEM, B. sei im Jahr 2012 aufgrund eines anderen, in der Schweiz wohnhaften Partners in dieses Land eingereist, rechtfertige die Unterlassung der Anhörungen nicht, zumal das frühere Verhältnis zum anderen Partner nichts über die Qualität der aktuellen Beziehung zum Beschwerdeführer aussage. Da aus dem Befragungsprotokoll von B. nichts zugunsten des Beschwerdeführers abgeleitet werden könne, wie dem Beschwerdeführer vorgehalten werde, sei beiden diesbezüglich das rechtliche Gehör zu gewähren.
Der Untersuchungsgrundsatz gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsbeziehungsweise Asylverfahrens (Art. 12 VwVG). Demnach hat die Behörde von Amtes wegen für die richtige und vollständige Abklärung des rechtserheblichen Sachverhaltes zu sorgen, die für das Verfahren notwendigen Unterlagen zu beschaffen, die rechtlich relevanten Umstände abzuklären und ordnungsgemäss darüber Beweis zu führen. Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird. Ferner ist dies der Fall, wenn die Vorinstanz nicht alle entscheidwesentlichen Gesichtspunkte des Sachverhalts prüfte, etwa weil sie die Rechtserheblichkeit einer Tatsache zu Unrecht verneinte. Unvollständig ist die Sachverhaltsfeststellung demgegenüber, wenn nicht alle für den Entscheid rechtsrelevanten Sachumstände berücksichtigt wurden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, a.a.O., Rz. 1043). Der Untersuchungsgrundsatz gilt indes nicht uneingeschränkt, zumal er sein Korrelat in der Mitwirkungspflicht des Asylsuchenden findet (Art. 13 VwVG und Art. 8 AsylG; vgl. CHRISTOPH AUER in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, 2008, Rz. 8 zu Art. 12). Die entscheidende Behörde darf sich trotz des Untersuchungsgrundsatzes in der Regel darauf beschränken, die Asylvorbringen zu würdigen und die von der asylsuchenden Person angebotenen Beweise abzunehmen, ohne weitere Abklärungen vornehmen zu müssen (vgl. dazu BVGE 2012/21 E. 5.1).
Da der Beschwerdeführer sich vor der Einreise in die Schweiz in einem Drittstaat (Italien) aufgehalten hat, ist zu prüfen, ob er wieder in dieses Land ausreisen kann, weil dieses grundsätzlich aufgrund der Dublin-III-VO für dessen Asylund Wegweisungsverfahren zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG), wobei allenfalls auch Art. 9 i.V.m. Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO (Familienangehörige, die Begünstigte internationalen Schutzes sind) zu berücksichtigen ist, welcher gegenüber Art. 13 Dublin-III-VO (Einreise und/oder Aufenthalt) Vorrang hätte. Auch wenn sich die Vorinstanz nicht explizit mit dieser Bestimmung auseinandergesetzt hat, ist sie doch der
Frage nachgegangen, ob die Beziehung des Beschwerdeführers mit
B.
zu einem sogenannten Selbsteintritt der Schweiz führen
müsste. Das SEM konnte sich dabei zurecht allein auf die Aussagen des Beschwerdeführers stützen; weitere Abklärungen (wie z.B. zusätzliche Anhörungen) waren nicht vonnöten. Folglich wurde nicht nur der Sachverhalt vom SEM richtig und vollständig abgeklärt, sondern ist auch keine Gehörsverletzung durch die Vorinstanz erkennbar, indem sie den Beschwerdeführer und dessen Freundin bezüglich deren Aussagen nicht zu einer Stellungnahme aufforderte.
Zusammenfassend sind keine Verfahrensfehler zu erkennen. Der Antrag, die Sache sei an die Vorinstanz zurückzuweisen, ist daher abzulehnen.
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein.
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO).
Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (take charge) - wie das vorliegende - sind die in Kapitel III (Art. 8-15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden. Es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO; vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2; CHRISTIAN FILZWIESER/ANDREA SPRUNG, Dublin
III-Verordnung, Das Europäische Asylzuständigkeitssystem, Stand 1.2.2014, K4 zu Art. 7). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens
(take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. BVGE 2012/4 E. 3.2.1 m.w.H.).
Kann kein Mitgliedstaat gemäss den aufgeführten Kriterien bestimmt werden, ist derjenige Staat zuständig, in welchem das erste Asylgesuch gestellt wurde (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO).
Den vorliegenden Akten ist zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Einreise in die Schweiz in Italien aufgehalten hatte. Anlässlich seiner Befragung zur Person vom 26. Juni 2015 führte er aus, er sei am ( ) 2015 in Italien angekommen. Dort sei er indes weder fotografiert noch registriert worden. Über Mailand sei er dann am 27. Mai 2015 in die Schweiz eingereist (A7 S. 6). Das SEM ersuchte die italienischen Behörden am 3. Juli 2015 um Aufnahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO. Die italienischen Behörden liessen das Übernahmeersuchen innert der in Art. 22 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet, womit sie die Zuständigkeit Italiens implizit anerkannten (Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO).
Das SEM ging gestützt darauf davon aus, dass Italien für die Durchführung des Asylgesuchs des Beschwerdeführers zuständig ist.
Demgegenüber machte der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertreterin in seiner Beschwerdeschrift vom 15. Oktober 2015 sinngemäss geltend, dass die Schweiz für die Prüfung seines Asylund Wegweisungsverfahrens zuständig sei, da seine Partnerin B. mit Verfügung vom
9. Dezember 2013 originär als Flüchtling von der Schweiz Asyl erhalten habe (Art. 9 Dublin-III-VO).
Hat der Antragsteller einen Familienangehörigen, der in der Schweiz aufenthaltsberechtigt ist, ist in der Tat dieses Land für das Asylund Wegweisungsverfahren zuständig, sofern die betreffenden Personen diesen Wunsch schriftlich kundtun (Art. 9 Dublin-III-VO). Gemäss Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO kann ein nicht verheirateter Partner ein Familienangehöriger sein, sofern beide zusammen eine dauerhafte Beziehung führen. Im Folgenden wird insbesondere zu prüfen sein, ob zwischen den betroffenen Personen eine dauerhafte Beziehung besteht. Weitere Ausführungen zum Aspekt des Bestehens der Familie bereits im Herkunftsland - welcher in der Definition der Familienangehörigen in Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO genannt, in der Umschreibung des Zuständigkeitskriteriums von Art. 9 DublinIII-VO demgegenüber explizit nicht vorausgesetzt wird - können vorliegend unterbleiben.
Der Beschwerdeführer führte an seiner Befragung aus, er und B. hätten seit dem Jahr 2008 bis 2010 eine Beziehung geführt, wobei sie nicht zusammen in einer Wohnung, indes in derselben Strasse in C. (nahe Asmara) gelebt hätten (A7 S. 3; A12). Am 14. November 2011 stellte B. gemäss dem Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) im Rahmen eines Familiennachzugs - ihr angeblicher Freund D. (N [ ], auch aus C. ) erhielt am 22. Juli 2010 in der Schweiz Asyl - einen Einreiseantrag und ein Asylgesuch. Nachdem die Einreise am 7. September 2012 bewilligt wurde (effektive Einreise am
5. Dezember 2012), hiess die Vorinstanz auch ihr Asylgesuch am 9. Dezember 2013 (Art. 3 AsylG) gut.
Nach Feststellung dieser Ausgangslage ist vorliegend nicht von einer dauerhaften Beziehung auszugehen. Möglicherweise lebten der Beschwerdeführer und B. in ihrer Heimat tatsächlich in derselben Strasse, indes beide noch bei ihren Familien (A12), und waren ein Liebespaar. Hingegen ist B. aufgrund einer anderen Beziehung, welche vor ihrer Ausreise aus Eritrea im Jahr 2010 von 2005 bis 2008 bestanden haben soll, in die Schweiz gekommen, wo sie aufenthaltsberechtigt wurde. Zwar steht eine frühere Partnerschaft in der Tat einer späteren oder erneuten Beziehung zum Beschwerdeführer nicht entgegen, indes ist sie ein Indiz dafür, dass zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Freundin keine dauerhafte Beziehung im Sinne des Gesetzes vorliegt, zumal sie von 2010
- gut zwei Jahre vor der Ausreise von B. aus Eritrea - bis zur Einreise des Beschwerdeführers in die Schweiz im Jahr 2015 nicht gelebt wurde. Auch dass der Beschwerdeführer auf seiner Reise nach Europa angeblich im Sudan vorübergehend vom Bruder von B. aufgenommen worden sei, kann ein Zeichen von Bekanntschaft sein, ist aber kein Merkmal einer dauerhaften Liebesbeziehung. Nach dem Gesagten kann B. nicht als Familienangehörige des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 2 Bst. g Dublin-III-VO gelten, weshalb die Schweiz nicht nach Art. 9 Dublin-III-VO für sein Asylund Wegweisungsverfahren zuständig ist. Die Zuständigkeit Italiens ist zu bestätigen.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für
Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).
Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Massgabe der Art. 21, Art. 22 und Art. 29 Dublin-III-VO aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. a Dublin-III-VO).
Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; Selbsteintrittsrecht).
An dieser Stelle sei erwähnt, dass die Schweiz entgegen den Behauptungen in der Beschwerde vom 15. Oktober 2015 gemäss dem Dublin-Assoziierungsabkommen vom 28. Oktober 2004 (DAA) durchaus verpflichtet ist, die Dublin-III-VO anzuwenden. Indes ist es - wie soeben erwähnt - gestützt auf Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO für jeden Mitgliedstaat möglich, das Selbsteintrittsrecht auszuüben. Eine extensive Anwendung dieser Bestimmung würde indes das Zuständigkeitssystem der Dublin-III-VO unterhöhlen und wäre kraft Verletzung des "effet utile-Prinzips" als rechtswidrig anzusehen (vgl. FILZWIESER/SPRUNG, a.a.O., K2 zu Art. 17).
Im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO ist zu prüfen, ob es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Italien würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.
Italien ist Signatarstaat der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK), des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben.
Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 DublinIII-VO nicht gerechtfertigt.
Der Beschwerdeführer fordert mit seinem Vorbringen ferner die Anwendung der Ermessensklausel von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO, respektive der - das Selbsteintrittsrecht im Landesrecht konkretisierenden - Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1, gemäss welcher das SEM das Asylgesuch "aus humanitären Gründen" auch dann behandeln kann, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO ein anderer Staat zuständig wäre.
Der Beschwerdeführer brachte in seiner Rechtsmittelschrift vor, es sei gestützt auf Art. 12 und Art. 8 EMRK i.V.m. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auf das Asylgesuch zwingend einzutreten.
Art. 8 EMRK ist unter dem Aspekt von Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO zu berücksichtigen, soweit eine tatsächlich gelebte Beziehung besteht, wobei diesbezüglich als wesentliche Faktoren das gemeinsame Wohnen respektive der gemeinsame Haushalt, die finanzielle Verflochtenheit, die Länge und Stabilität der Beziehung sowie das Interesse und die Bindung der Partner aneinander zu berücksichtigen sind (vgl. CHRISTOPH GRABENWARTER/KATHARINA PABEL, Europäische Menschenrechtskonvention, 2012,
S. 235 f.; MARK E. VILLIGER, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1999, S. 365; Urteil des EGMR [Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte] K. und T. gegen Finnland [Grosse Kammer] vom 12. Juli 2001, Nr. 25702/94, § 150). Aufgrund der oben aufgeführten Erwägungen (vgl. E. 5.5) kann nicht von einer tatsächlich gelebten, dauerhaften und stabilen Beziehung im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ausgegangen werden.
Des Weiteren ist auch bezüglich Art. 12 EMRK festzuhalten, dass eine womöglich beabsichtigte Heirat in der Schweiz kein Überstellungshindernis zu begründen vermag, zumal ein Ehevorbereitungsverfahren in der Schweiz grundsätzlich auch möglich ist, wenn die Brautleute nicht in der Schweiz wohnen (Art. 62 ff. der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 [ZStV]), weshalb auch diesbezüglich keine Verletzung von Art. 12 EMRK festzustellen ist (vgl. Urteil des BVGer E-5023/2015 vom 25. August 2015).
Der junge und gesunde Beschwerdeführer (A7 S. 8) hat darüber hinaus kein konkretes und ernsthaftes Risiko dargetan, die italienischen Behörden würden sich weigern, ihn aufzunehmen und seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Den Akten sind denn auch keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, Italien werde in seinem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem er Gefahr laufen würde, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Ausserdem hat der Beschwerdeführer nicht dargetan, die ihn bei einer Rückführung erwartenden Bedingungen in Italien seien derart schlecht, dass sie zu einer Verletzung von Art. 4 EU-Grundrechtecharta, Art. 3 EMRK oder Art. 3 FoK führen könnten.
Der Beschwerdeführer hat auch keine konkreten Hinweise für die Annahme dargetan, Italien würde ihm dauerhaft die ihm gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vorenthalten. Bei einer allfälligen vorübergehenden Einschränkung könnte er sich im Übrigen nötigenfalls an die italienischen Behörden wenden und die ihm zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie).
Sollte der Beschwerdeführer sinngemäss das Vorliegen von "humanitären Gründen" geltend machen, ist dazu Folgendes festzuhalten: Gemäss der Praxis des Bundesverwaltungsgerichts verfügt das SEM bei der Anwendung der Kann-Bestimmung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 über einen Ermessensspielraum (vgl. zum Ganzen das Grundsatzurteil E-641/2014 vom 13. März 2015, zur Publikation vorgesehen). Seit der Kognitionsbeschränkung durch die Asylgesetzrevision vom 1. Februar 2014 (Streichung der Angemessenheitskontrolle des Bundesverwaltungsgerichts gemäss aArt. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG) überprüft das Gericht den vorinstanzlichen Verzicht der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 nicht mehr auf Angemessenheit hin; das Gericht beschränkt seine Beurteilung nunmehr im Wesentlichen darauf, ob das SEM den Sachverhalt diesbezüglich korrekt und vollständig erhoben, allen wesentlichen Umständen Rechnung getragen und seinen Ermessensspielraum korrekt ausgeübt hat (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a und b AsylG).
Die angefochtene Verfügung ist unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden; insbesondere sind den Akten keine Hinweise auf einen Ermessensmissbrauch oder ein Überrespektive Unterschreiten des Ermessens zu entnehmen. Das Gericht enthält sich deshalb in diesem Zusammenhang weiterer Äusserungen.
Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessenklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO. Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Dublin-III-VO den Schutzsuchenden kein Recht einräumt, den ihren Antrag prüfenden Staat selber auszuwählen (vgl. auch BVGE 2010/45 E. 8.3).
Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Da der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung ist, wurde die Überstellung nach Italien in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).
Da das Fehlen von Überstellungshindernissen bereits Voraussetzung des Nichteintretensentscheides gemäss Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG ist, sind allfällige Vollzugshindernisse gemäss Art. 83 Abs. 3 und 4 AuG unter diesen Umständen nicht mehr zu prüfen (vgl. BVGE 2010/45 E. 10).
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist, und die Verfügung des SEM zu bestätigen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten grundsätzlich dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Nachdem aber mit Verfügung vom 22. Oktober 2015 die unentgeltliche Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gewährt wurde, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Muriel Beck Kadima Patricia Petermann Loewe
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