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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-2660/2024

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-2660/2024

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-2660/2024
Datum:25.07.2024
Leitsatz/Stichwort:Asyl und Wegweisung
Schlagwörter : Recht; Verfahren; Bundesverwaltungsgericht; Türkei; Wegweisung; Vorinstanz; Beschwerdeführers; Verfügung; Sinne; Behörde; Behörden; Polizei; Verfolgung; Akten; Gesuch; Teilnahme; Zwangsversteigerungen; Vorbringen; Flüchtlingseigenschaft; Verfahrens; Migration; Schweiz; Festnahme
Rechtsnorm: Art. 42 AIG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-2660/2024

U r t e i l v o m 2 5 . J u l i 2 0 2 4

Besetzung Richterin Gabriela Freihofer (Vorsitz), Richterin Esther Marti,

Richterin Camilla Mariéthoz Wyssen, Gerichtsschreiberin Natassia Gili.

Parteien A. , geboren am (…), Türkei,

vertreten durch MLaw Saban Murat Özten, Rechtsbüro, (…),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl und Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 28. März 2024 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer suchte am 22. Juni 2022 in der Schweiz um Asyl nach und wurde dem Bundesasylzentrum (BAZ) der Region B. zugewiesen. Am 22. Juni 2022 wurde er summarisch befragt. Nachdem ein Abgleich mit der Eurodac-Datenbank ergeben hatte, dass der Beschwerdeführer am 13. Oktober 2021 illegal in Kroatien eingereist war, ersuchte das SEM Kroatien um Aufnahme des Beschwerdeführers, was Kroatien mit Antwort vom 5. September 2022 ablehnte. Der Beschwerdeführer wurde vom SEM nach Aufnahme des nationalen Asylverfahrens am 17. Oktober 2022 zu seinen Asylgründen angehört und am 26. Oktober 2022 dem erweiterten Verfahren zugewiesen.

Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, türkischer Staatsangehöriger kurdischer Ethnie zu sein und aus C. , D. , zu stammen. Nach Abschluss des Gymnasiums habe er eine Ausbildung im (…)verkauf absolviert und unter anderem als (…), (…) und (…) gearbeitet. Zudem sei er an Hochzeiten und sonstigen Veranstaltungen der Halklarn Demokratik Partisi (HDP) als kurdischer (…) aufgetreten; auch seine Mutter und sein Bruder hätten für die HDP gearbeitet. Er selbst sei im Jahre 2015 Mitglied der Partei geworden. Von 2014 bis 2016 habe er in einem kurdischen (…) gearbeitet, welches im Jahre 2017 oder 2018 von den türkischen Behörden geschlossen worden sei. Seit 2016 hätten sich die polizeilichen Repressionen vermehrt und er sei jedes Jahr während Wahlvorbereitungen und dem Newroz-Fest vierbis fünfmal festgenommen sowie bis zu einem Tag lang festgehalten worden. Die einzige offizielle Festnahme habe im Jahr 2016 stattgefunden; zuletzt sei er im Jahre 2018 verhaftet worden. Sein Bruder, ebenfalls kurdischer (…), sei im Jahre 2016 verhaftet worden, wobei gegen ihn ein Verfahren eröffnet worden sei, er während 50 Tagen im Gefängnis gewesen, schliesslich aber freigesprochen worden sei. Im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit (des Beschwerdeführers) als (…) seien fünf Verfahren gegen ihn wegen der Teilnahme an unlauteren Zwangsversteigerungen eröffnet worden, wobei er jeweils freigesprochen worden sei. Er sei aber von anderen Zwangsversteigerungen ausgeschlossen worden und habe erfahren, dass ein Polizist des Terrorbüros die Verfahren gegen ihn eröffnet habe. Er vermute, dass man ihn finanziell habe schädigen wollen. Anschliessend habe er in einem (…) gearbeitet und von einem Arbeitskollegen erfahren, dass die Polizei bei seinem Arbeitgeber nach ihm gefragt habe. Ausserdem habe er mitbekommen, dass (…), für welche er Werbung

in den sozialen Medien gemacht habe, ihre Kooperation mit ihm beendet hätten, weil auch diese von der Polizei unter Druck gesetzt worden seien. Daraufhin habe er beschlossen, den Militärdienst zu absolvieren, wo er von einem Kommandanten aufgrund seiner Herkunft unter Druck gesetzt worden sei. Im September 2021 habe er mit seiner Mutter und seinem Bruder an einem Picknick der HDP teilgenommen und sei auf dem Weg dorthin erneut von der Polizei und dem Militär angehalten worden. Die Polizei habe ihn befragt, ihm gedroht und ihn aufgefordert, andere (…) zu machen. Er habe ausserdem Rassismus in seinem Quartier erlebt, wo seine kurdischen Freunde verhaftet worden seien, nicht jedoch seine türkischen Freunde. Ferner sei er von Personen, die sich «Kinder von Osmanen» nennen würden, belästigt und sein Auto sei zerkratzt worden. Als kurdischer (…) fürchte er sich vor dem Gefängnis. Er sei schliesslich ausgereist, weil er sich vor einer verstärkten Verfolgung durch die Polizei gefürchtet habe.

Er sei zunächst im September 2021 legal ausgereist. In Kroatien sei ihm sein Reisepass abgenommen und er sei nach Bosnien zurückgeführt worden, woraufhin er freiwillig in die Türkei zurückgekehrt sei und sich neun Monate in seinem Heimatstaat aufgehalten habe. Am 14. Juni 2022 habe er die Türkei auf illegalem Wege verlassen.

Zur Untermauerung seiner Vorbringen und seiner Identität reichte der Beschwerdeführer seine türkische Identitätskarte sowie seinen Führerschein (beide im Original), eine Kopie seines Reisepasses, ein Bestätigungsschreiben der HDP, die Verfahrensakten seines Bruders, Auszüge aus dem Zivilregister, ein Schreiben der Antiterroreinheit vom 15. März 2016, eine Arbeitsbestätigung der HDP, einen Artikel bezüglich der Schliessung des (…), eine Mitgliedschaftsbestätigung der HDP, Fotos von HDP-Aktivitäten, Medienberichte hinsichtlich Mitarbeitender des (…), Internetund Telefonrechnungen, Quittungen für den Nachweis des Aufenthalts in der Türkei, drei Urteile betreffend unlautere Zwangsversteigerungen (alle Dokumente als Kopien), Schulund (…)zeugnisse im Original sowie eine Berufskarte als (…) im Original zu den Akten.

B.

Mit Verfügung vom 28. März 2024 – eröffnet am 2. April 2024 – verneinte das SEM die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, lehnte sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Wegweisungsvollzug an.

C.

Mit Eingabe vom 27. April 2024 erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht – handelnd durch die rubrizierte Rechtsvertretung – Beschwerde gegen diese Verfügung und beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, seine Flüchtlingseigenschaft sei anzuerkennen und ihm sei Asyl zu gewähren. Eventualiter sei festzustellen, dass der Wegweisungsvollzug nicht zulässig beziehungsweise nicht zumutbar sei und die Vorinstanz sei anzuweisen, seine vorläufige Aufnahme zu verfügen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen und diese sei anzuweisen, die Anhörung des Beschwerdeführers zu vervollständigen. In formeller Hinsicht beantragte er, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde sei wiederherzustellen, die unentgeltliche Prozessführung sei zu gewähren und der rubrizierte Rechtsvertreter sei ihm als amtlicher Rechtsbeistand beizuordnen.

D.

Der Eingang der Beschwerde wurde am 1. Mai 2024 bestätigt.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

    2. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Der Beschwerde kommt von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu (Art. 42 AsylG). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht hat die Vorinstanz der Beschwerde die aufschiebende Wirkung weder explizit noch implizit entzogen. Auf den entsprechenden Eventualantrag auf deren Wiederherstellung ist daher mangels Rechtsschutzinteresses nicht einzutreten.

3.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

4.

Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

5.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

6.

    1. Das SEM führte zur Begründung seines Entscheids im Wesentlichen aus, die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Festnahmen durch die heimatlichen Behörden würden nicht eine derartige Intensität aufweisen, dass ein Verbleib in der Türkei verunmöglicht oder unzumutbar erschwert wäre.

      Dies zeige sich daran, dass der Beschwerdeführer bei den geltend gemachten Festnahmen jeweils nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sei und er sich nach der letzten Festnahme im Jahre 2018 während rund drei Jahren weiterhin in der Türkei aufgehalten habe. Auch der geschilderten Polizeikontrolle anlässlich des HDP-Picknicks einen Monat vor seiner Ausreise fehle es an der flüchtlingsrelevanten Intensität. Ausserdem weise die Tatsache, dass der Beschwerdeführer nach seiner ersten Ausreise im September 2021 freiwillig in seinen Heimatstaat zurückgekehrt sei und sich dort während neun Monaten aufgehalten habe, darauf hin, dass ihm dort keine ernsthafte Gefahr im Sinne des Asylgesetzes drohe.

      Auch aus den weiteren Vorbringen – die Verfahren wegen Teilnahme an unlauteren Zwangsversteigerungen, die durch einen Polizisten des Terrorbüros veranlasst worden sein sollten, die durch polizeilichen Druck beendete Kooperation mit (…), die fehlende finanzielle Unterstützung während der Covid-Pandemie wegen seiner Parteizugehörigkeit sowie der vorherrschende Rassismus in seinem Quartier – gehe nicht hervor, dass der auf den Beschwerdeführer ausgeübte Druck eine unerträgliche Form angenommen habe. Insbesondere hätten die fünf Verfahren gegen ihn wegen Teilnahme an unlauteren Zwangsversteigerungen mit einem Freispruch geendet. Hinsichtlich der geltend gemachten Schikanen während seines Militärdienstes sei festzuhalten, dass zwar nicht auszuschliessen sei, dass Kurden in der türkischen Armee vermehrt durch ihre türkischen Kameraden und Vorgesetzten behelligt würden. Bei den vom Beschwerdeführer geschilderten Anfeindungen handle es sich aber nicht um ernsthafte Nachteile im Sinne des Asylgesetzes. Schliesslich sei auch im Hinblick auf seine Tätigkeit als kurdischer (…) festzuhalten, dass sich aus den Akten keine konkreten Hinweise darauf ergeben, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei mit erheblicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zeit eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu befürchten habe. Ausser dem von ihm erwähnten Vorfall, als sich die Behörden bei seiner Mutter anlässlich einer Kontrolle nach ihm erkundigt hätten, würde nichts auf eine aktuelle Verfolgung seitens der heimatlichen Behörden schliessen lassen.

    2. Dem wurde in der Beschwerde entgegnet, der Beschwerdeführer habe glaubhaft geltend gemacht, dass er als (…) wegen seiner politischen Tätigkeiten in der kurdischen Partei HDP einer politisch motivierten Verfolgung durch die türkische Polizei ausgesetzt gewesen sei. Er sei nicht nur festgenommen und bedroht, sondern es seien auch seine geschäftlichen Tätigkeiten beeinträchtigt worden. Die vom Beschwerdeführer

vorgebrachten Probleme würden eine hinreichende Intensität aufweisen, zumal in der Türkei zahlreiche Künstler und (…) verhaftet und verurteilt worden seien. Der Beschwerdeführer habe ausserdem die erlittene staatliche Verfolgung sehr überzeugend und detailliert geschildert und es sei in seinem Fall vom Vorliegen einer begründeten Furcht auszugehen. Die politische Situation in der Türkei habe sich in den letzten Jahren in menschenrechtlicher Hinsicht zunehmend verschlechtert. Es seien Missstände in den türkischen Gefängnissen zu verzeichnen und es werde gezielt gegen Oppositionelle vorgegangen, wie verschiedenen Berichterstattungen zu entnehmen sei.

Der Beschwerde wurden Kopien des Eheregisters und des Familienausweises beigelegt, welchen zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer am 28. März 2024 die schweizerische Staatsangehörige E. (eine Kopie ihrer Identitätskarte wurde ebenfalls mit der Beschwerde eingereicht) geheiratet hat. In der Beschwerde wird geltend gemacht, dass der Beschwerdeführer seit Längerem mit seiner Ehefrau zusammenlebe und in Kürze ein Gesuch um Familiennachzug beim zuständigen kantonalen Migrationsamt gestellt werde.

7.

    1. Das Bundesverwaltungsgericht gelangt zum Schluss, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft nicht standzuhalten vermögen. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann vollumfänglich auf die zutreffenden und eingehenden Ausführungen des SEM (angefochtene Verfügung S. 4 ff. und E. 6.1 vorstehend) verwiesen werden.

    2. In der Beschwerdeeingabe wird nichts dargetan, was zu einer anderen Einschätzung führen könnte, zumal sich die pauschalen Ausführungen auf Beschwerdeebene auf eine Wiederholung des bereits bekannten Sachverhaltes beschränken. So ist der Beschwerdeführer in den gegen ihn geführten Verfahren wegen Teilnahme an unlauteren Zwangsversteigerungen eigenen Angaben zufolge freigesprochen worden. Die blosse, nicht weiter belegte Vermutung, die Verfahren seien zum Zwecke seiner finanziellen Schädigung durch einen Polizisten des Terrorbüros eingeleitet worden, sind kaum nachvollziehbar (vgl. SEM-Akten […]-25/14 [nachfolgend act. A25/14] F65). Sein Vorbringen, er sei mehrfach durch die heimatlichen Behörden festgenommen worden, erreicht in flüchtlingsrechtlich relevanter Hinsicht nicht die notwendige Intensität, insbesondere da er jeweils nach kurzer Zeit wieder freigelassen worden sei. An der erforderlichen

      flüchtlingsrechtlichen Relevanz fehlt es auch hinsichtlich der geltend gemachten Schikanen im Militärdienst, der beendeten Kooperation mit (…), der fehlenden finanziellen Unterstützung während der Covid-Pandemie oder dem vorherrschenden Rassismus in seinem Quartier. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass die Tatsache, dass Angehörige der kurdischen Bevölkerung in der Türkei Schikanen und Benachteiligungen verschiedenster Art ausgesetzt sein können, nicht per se zur Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft führt. Praxisgemäss wird denn auch die Annahme einer Kollektivverfolgung im Falle der Kurden in der Türkei verneint (vgl. hierzu Urteile des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer] E-3917/2021 vom 11. Januar 2022 E. 6.3, D-2759/2020 vom 29. September 2021 E. 7.2 und D- 36/2018 vom 12. Oktober 2020 E. 6.2). Weitere Ausführungen zu diesen – im Übrigen lediglich unsubstantiierten und unbelegten – Vorbringen des Beschwerdeführers können daher unterbleiben.

    3. Der Beschwerdeführer war in der Türkei sodann äusserst niederschwellig politisch tätig und aus den Akten ergibt sich für ihn kein besonders exponiertes politisches Profil. In den blossen Teilnahmen als (…) an Kundgebungen oder der Teilnahme an Newroz-Feierlichkeiten lässt sich keine Exponiertheit erkennen. Ebenso wenig wurde er jemals wegen seiner eigenen politischen Tätigkeiten strafrechtlich belangt; so ist gegen ihn kein Ermittlungsoder Strafverfahren im Zusammenhang mit politischen Aktivitäten hängig (act. A25/14 F68). Es ist mithin nicht davon auszugehen, dass er aufgrund seiner politischen Tätigkeiten in seinem Heimatstaat im Fokus der türkischen Behörden gestanden hätte. Dafür spricht, dass die letzte geltend gemachte Festnahme des Beschwerdeführers rund sechs Jahre zurückliegt (act. A25/14 F76), er sich danach während drei Jahren unbehelligt in seinem Heimatstaat aufgehalten hat und er nach seiner ersten Ausreise freiwillig in die Türkei zurückgekehrt ist. Auch seine Familie, die sich bei der HDP engagiere, lebt seinen Angaben zufolge weiterhin in der Türkei (act. A25/14 F14 f.).

    4. Zusammenfassend ist festzustellen, dass keine konkreten Hinweise dafür vorliegen, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt seiner Ausreise einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung oder einer entsprechenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt war oder im Falle seiner Rückkehr in die Türkei ernsthafte Nachteile im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AsylG zu gewärtigen hätte. Demnach hat die Vorinstanz zu Recht die Flüchtlingseigenschaft verneint und das Asylgesuch abgelehnt.

8.

    1. Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 44 AsylG). Von dieser Regel wird insbesondere dann abgewichen, wenn die asylsuchende Person im Besitz einer gültigen ausländerrechtlichen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung ist (vgl. Art. 32 Abs. 1 Bst. a der Asylverordnung 1 über Verfahrensfragen vom 11. August 1999 [AsylV 1; SR 142.311]). Die Wegweisung wird praxisgemäss auch dann nicht verfügt beziehungsweise hebt das Bundesverwaltungsgericht diese auf, wenn eine asylsuchende Person grundsätzlich über einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung verfügt und diesbezüglich ein Gesuch bei der zuständigen kantonalen Ausländerbehörde bereits pendent ist (vgl. dazu bspw. das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E-5215/2019 vom 11. Oktober 2019 E. 7.1 m.H.).

    2. Zum Zeitpunkt seiner Verfügung hat das SEM die Wegweisung zu Recht angeordnet, zumal der Beschwerdeführer weder über eine ausländerrechtliche Bewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen verfügte. Mittlerweile hat sich seine persönliche Situation insofern geändert, als er sich aufgrund der am 28. März 2024 erfolgten Heirat mit der Schweizer Staatsangehörigen E. aus auf einen solchen Bewilligungsanspruch berufen kann (Art. 42 Abs. 1 AIG). Zudem wurde gemäss Kenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts am 18. Mai 2024 beim Migrationsdienst des Kantons B. ein Gesuch um Familiennachzug beziehungsweise Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung eingereicht; das entsprechende Verfahren ist hängig. Die Prüfung dieses Bewilligungsanspruchs fällt in die alleinige Zuständigkeit des Migrationsdienstes des Kantons B. .

    3. Unter den gegebenen Umständen ist die vom SEM angeordnete Wegweisung praxisgemäss aufzuheben. Damit erübrigen sich – da diesbezüglich gegenstandslos geworden – weitere Ausführungen zur Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit eines Wegweisungsvollzugs.

9.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Beschwerde im Sinne der Erwägungen gutzuheissen und die vom SEM verfügte Wegweisung (Dispositivziffer 3) aufzuheben ist. Im Übrigen (Dispositivziffern 1 und 2) ist die Beschwerde abzuweisen, soweit sie nicht als gegenstandslos geworden abzuschreiben ist (Dispositivziffern 4 und 5). Das entsprechende (Sub-)

Eventualbegehren auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz ist angesichts der vorangegangenen Erwägungen abzuweisen.

10.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist von einem teilweisen Obsiegen des Beschwerdeführers auszugehen. Deshalb wären die Verfahrenskosten entsprechend zu ermässigen und diesem aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Der Beschwerdeführer beantragte indessen die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG. Dieses Gesuch ist gutzuheissen, da die Begehren – ex ante betrachtet – nicht als aussichtslos zu bezeichnen sind und aufgrund der Akten von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers auszugehen ist. Auf die Erhebung der Verfahrenskosten ist zu verzichten.

    2. Angesichts des teilweisen Obsiegens wäre dem Beschwerdeführer zu Lasten der Vorinstanz eine reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen. Da das teilweise Obsiegen allerdings aufgrund von ausserhalb des Asylverfahrens liegenden Gründe erfolgte und in keinem Zusammenhang mit den Beschwerdevorbringen steht, wird praxisgemäss keine Parteientschädigung entrichtet.

    3. Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung ist ebenfalls gutzuheissen (Art. 102m Abs. 1 Bst. c AsylG) und dem Beschwerdeführer ist antragsgemäss der rubrizierte Rechtsvertreter als amtlicher Rechtsbeistand beizuordnen.

Dem als amtlicher Rechtsbeistand eingesetzten Rechtsvertreter ist ein amtliches Honorar zulasten der Gerichtskasse zuzusprechen. Die Festsetzung erfolgt in Anwendung der Art. 8–11 sowie Art. 12 des Reglements vom

21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE). Das Bundesverwaltungsgericht geht bei amtlicher Vertretung in der Regel von einem Stundenansatz von Fr. 100.– bis Fr. 150.– für nicht-anwaltliche Vertreter respektive Vertreterinnen aus (vgl. Art. 12 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 VGKE).

Es wurde keine Kostennote zu den Akten gereicht. Der notwendige Vertretungsaufwand lässt sich indes aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen, weshalb auf die Einholung einer solchen verzichtet wird (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) ist dem amtlichen Rechtsbeistand durch

das Gericht ein Honorar in der Höhe von Fr. 900.– (inkl. Auslagen) zuzusprechen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird im Asylpunkt abgewiesen.

2.

Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen die Wegweisung betreffend gutgeheissen, und die vom SEM verfügte Wegweisung wird aufgehoben. Hinsichtlich des Wegweisungsvollzugs wird die Beschwerde als gegenstandslos geworden abgeschrieben.

3.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird gutgeheissen. Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung wird gutgeheissen. Dem Beschwerdeführer wird rubrizierter Rechtsvertreter als amtlicher Rechtsbeistand beigeordnet.

5.

Dem Rechtsvertreter ist durch das Bundesverwaltungsgericht ein amtliches Honorar in der Höhe von Fr. 900.– zulasten der Gerichtskasse auszurichten.

6.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Gabriela Freihofer Natassia Gili

Versand:

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