Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-2696/2010 |
Datum: | 17.02.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung |
Schlagwörter : | Verfahren; Recht; Bundesverwaltungsgericht; Recht; Vorinstanz; Verfahren; Akten; Urteil; Türkei; Einreise; Sinne; Gericht; Verfügung; Schweiz; Kassationshof; Urteile; Verfolgung; Sachverhalt; Asylgesuch; Kopie; Person; Schutz; ührt |
Rechtsnorm: | Art. 15 TStG ;Art. 19 TStG ;Art. 25 TStG ;Art. 27 TSTG;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D2696/2010
Besetzung Richter Robert Galliker (Vorsitz),
Richter Kurt Gysi, Richter Pietro AngeliBusi Gerichtsschreiber Matthias Jaggi.
Parteien A. , geboren ( ), Türkei,
vertreten durch lic. iur. Serif Altunakar, Rechtsberatung, ( ), Beschwerdeführerin,
gegen
Gegenstand Asylgesuch aus dem Ausland und Einreisebewilligung Verfügung des BFM vom 18. Februar 2010 / N ( ).
Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige kurdischer Ethnie mit Wohnsitz in B. , suchte am 1. Oktober 2009 bei der schweizerischen Botschaft in C. um Asyl in der Schweiz nach. Dazu wurde sie am 26. Oktober 2009 auf der Botschaft angehört.
Zur Begründung ihres Asylgesuchs brachte sie dabei im Wesentlichen vor, sie sei Studentin und stamme aus einer politisch aktiven Familie. So sei ihr Vater noch heute ein Führungsmitglied der Partei für eine demokratische Gesellschaft (DTP). Sie selber sei seit ihrer Kindheit Mitglied der Jugendorganisation der DTP gewesen. Auch anderweitig habe sie sich politisch engagiert. So habe sie ständig an Pressekundgebungen und Meetings teilgenommen. Im Zusammenhang mit ihren politischen Aktivitäten seien in der Türkei zwei Strafverfahren gegen sie eröffnet worden. Im ersten Verfahren habe man ihr vorgeworfen, Propaganda zugunsten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gemacht zu haben, weswegen sie erstinstanzlich zu einer Haftstrafe von zehn Monaten verurteilt worden sei. Dieses Verfahren sei zur Zeit beim Kassationshof hängig. Im zweiten Strafverfahren sei sie vor wenigen Monaten erstinstanzlich ebenfalls wegen Propaganda zugunsten der PKK zu einer Haftstrafe von einem Jahr verurteilt worden. Auch dieses Verfahren sei momentan beim Kassationshof hängig. Im Zusammenhang mit diesen beiden Strafverfahren sei sie zweimal zwischen zwei und drei Stunden von der Polizei in Gewahrsam genommen und befragt worden. Sie befürchte, dass der Kassationshof in Kürze die beiden erstinstanzlichen Urteile bestätige und sie die Haftstrafen verbüssen müsse. Für die weiteren Vorbringen der Beschwerdeführerin wird auf das Protokoll der Anhörung verwiesen.
Zur Untermauerung ihrer Vorbringen reichte die Beschwerdeführerin folgende Beweismittel zu den Akten: Kopien von zwei Nüfus Cüzdani, auszugsweise Kopien eines Passes, eine Anklageschrift der Oberstaatsanwaltschaft in D. vom 10. Oktober 2008 (in Kopie),
eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft in C.
vom 27. April
2009 (in Kopie) sowie zwei Urteile des 3. Gerichts für schwere Straftaten
in D. Kopie).
vom 9. Juli 2009 beziehungsweise 20. August 2009 (in
Mit einem Kurzbericht vom 26. Oktober 2009 übermittelte die Botschaft in C. die ihr zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Akten dem BFM.
Mit Verfügung vom 18. Februar 2010 - der Beschwerdeführerin gemäss Rückschein der türkischen Post am 20. März 2010 zugestellt - lehnte das BFM das Asylgesuch der Beschwerdeführerin ab und verweigerte ihr die Einreise in die Schweiz.
Mit Beschwerde vom 19. April 2010 (Poststempel) an das Bundesverwaltungsgericht liess die Beschwerdeführerin durch ihren Rechtsvertreter beantragen, die Verfügung des BFM vom 18. Februar 2010 sei aufzuheben, es sei festzustellen, dass sie die Flüchtlingseigenschaft erfülle und es sei ihr Asyl zu gewähren. Als vorsorgliche Massnahme sei die Vorinstanz anzuweisen, ihr über die
schweizerische Botschaft in C.
so rasch wie möglich die
Einreisebewilligung für die Schweiz zu erteilen. Zudem sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten.
Mit der Rechtsmittelschrift wurde ein Schreiben des in der Türkei domizilierten Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin vom 1. April 2010 (inklusive deutscher Übersetzung) zu den Akten gereicht.
Mit Verfügung vom 22. April 2010 verzichtete der zuständige Instruktionsrichter des Bundesverwaltungsgerichts auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und wies den Antrag auf Anordnung einer vorsorglichen Massnahme ab. Gleichzeitig lud er die Vorinstanz zur Einreichung einer Stellungnahme sowie zur Vervollständigung der Akten bis zum 7. Mai 2010 ein.
Das BFM beantragte in seiner Vernehmlassung vom 6. Mai 2010 dem Bundesverwaltungsgericht die Abweisung der Beschwerde.
Mit Replik vom 26. Mai 2010 nahm die Beschwerdeführerin - handelnd durch ihren Rechtsvertreter - zur Vernehmlassung der Vorinstanz Stellung.
Mit Eingabe vom 31. Januar 2012 reichte die Beschwerdeführerin - handelnd durch ihren Rechtsvertreter - ein von ihr verfasstes Schreiben (inklusive deutscher Übersetzung) sowie ein Schreiben der Oberstaatsanwaltschaft am Kassationsgericht vom 17. Juni 2011 (in Kopie, inklusive deutscher Übersetzung) zu den Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht beurteilt gestützt auf Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) Beschwerden gegen Verfügungen im Sinne von Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), welche von einer Vorinstanz im Sinne von Art. 33 VGG erlassen wurden, sofern keine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG vorliegt. Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Entscheide des BFM, welche in Anwendung des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) ergangen sind, und entscheidet in diesem Bereich endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG,
SR 173.110]).
Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG ist im vorliegenden Verfahren nicht gegeben, so dass das Bundesverwaltungsgericht in der Sache endgültig entscheidet.
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerde ist frist und formgerecht eingereicht. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG).
Auf die Beschwerde ist somit - unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen - einzutreten.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht können die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Eine gesuchstellende Person, die sich noch in ihrem Heimatstaat befindet, kann zwar verfolgt im Sinne von Art. 3 AsylG und demzufolge schutzbedürftig sein. Um aber die Flüchtlingseigenschaft erfüllen zu können, muss sie gemäss den Bestimmungen der Flüchtlingskonvention das Heimatland verlassen haben. Die Beschwerdeführerin befindet sich in ihrem Heimatstaat und erfüllt somit die Voraussetzung des Verlassens des Heimatlandes nicht. Das BFM hat mithin zu Recht über die Frage der Flüchtlingseigenschaft nicht entschieden, da sich diese zurzeit gar nicht stellt. Auf das Rechtsmittelbegehren, es sei festzustellen, dass die Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft erfülle, ist somit mangels Anfechtungsobjekts nicht einzutreten.
Das Bundesamt kann ein im Ausland gestelltes Asylgesuch ablehnen, wenn die asylsuchende Person keine Verfolgung glaubhaft machen kann oder ihr die Aufnahme in einem Drittstaat zugemutet werden kann (Art. 3, Art. 7 und Art. 52 Abs. 2 AsylG). Gemäss Art. 20 Abs. 2 AsylG bewilligt das Bundesamt Asylsuchenden die Einreise zwecks Abklärung des Sachverhalts, wenn ihnen nicht zugemutet werden kann, im Wohnsitz oder Aufenthaltsstaat zu bleiben oder in ein anderes Land auszureisen.
Die Voraussetzungen zur Erteilung einer Einreisebewilligung werden grundsätzlich restriktiv gehandhabt, wobei den Behörden ein weiter Ermessensspielraum zukommt, indem neben der erforderlichen Gefährdung im Sinne von Art. 3 AsylG namentlich die Beziehungsnähe zur Schweiz, die Möglichkeit der Schutzgewährung durch einen anderen Staat, die Beziehungsnähe zu anderen Staaten, die praktische Möglichkeit und objektive Zumutbarkeit zur anderweitigen Schutzsuche sowie die voraussichtlichen Eingliederungs und Assimilationsmöglichkeiten in Betracht zu ziehen sind. Ausschlaggebend für die Erteilung der Einreisebewilligung ist dabei die Schutzbedürftigkeit
der betroffenen Person, mithin die Prüfung der Fragen, ob eine Gefährdung im Sinne von Art. 3 AsylG glaubhaft gemacht wird und ob der Verbleib am Aufenthaltsort für die Dauer der Sachverhaltsabklärung zugemutet werden kann (vgl. die weiterhin gültige Praxis gemäss Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1997 Nr. 15, insbesondere S. 131 ff.,
2005 Nr. 19 E. 4 S. 174 ff.).
Die Vorinstanz führte zur Begründung ihres ablehnenden Entscheids im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei in beiden Strafverfahren nur wenige Stunden in Gewahrsam gewesen und habe die erstinstanzliche Verurteilung in Freiheit abwarten können. Dies weise auf einen für sie eher günstigen Ausgang dieser Strafverfahren hin. Weiter habe sie gegen die erstinstanzlichen Urteile Beschwerde einlegen können. Zudem sei es ihr offenbar möglich, auch den Ausgang der Beschwerdeverfahren auf freiem Fuss abzuwarten. Gemäss den Erfahrungen des BFM mit vergleichbaren Strafverfahren sei aufgrund der der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Delikte und des dafür angewandten Strafmasses davon auszugehen, dass sie auch bei einer allfälligen Bestätigung der erstinstanzlichen Urteile durch den Kassationshof nicht mit einem sofortigen Haftantritt rechnen müsse. Zudem handle es sich bei den von ihr erwähnten Strafverfahren um Verfahren mit mehreren Angeklagten, was auf eine eher längere Dauer des Beschwerdeverfahrens hinweise. Es sei ihr daher zuzumuten, den Ausgang der gegen sie eingeleiteten Strafverfahren in der Türkei abzuwarten. Sollte es tatsächlich zu einer rechtskräftigen Verurteilung kommen, habe sie die Möglichkeit, sich jederzeit an die schweizerische Vertretung in Ankara zu wenden und erneut ein Einreisegesuch zu stellen. Aufgrund obiger Darlegungen sei daher nicht davon auszugehen, dass sie akut schutzbedürftig sei. Im Übrigen wäre es ihr zuzumuten, allenfalls in Kroatien, wo sie visumsfrei einreisen könne, um Asyl nachzusuchen.
Die Beschwerdeführerin wiederholt in ihrer Beschwerde zunächst ihre Asylgründe und führt anschliessend unter anderem aus, der Kassationshof könne jederzeit das Urteil fällen. In den darauf folgenden Tagen oder Wochen würde gegen sie ein Haftbefehl erlassen. Während dieser kurzen Zeit würde es ihr kaum gelingen, sich erneut an die
schweizerische Vertretung in C.
mit der Bitte um Asyl zu
wenden. Selbst in diesem Fall würde wertvolle Zeit vergehen, bis die
schweizerischen Asylbehörden entschieden hätten. Sie könnte jederzeit und überall festgenommen werden. Aus diesem Grund wiederspreche der Vorschlag der Vorinstanz, wonach sie das Urteil des Kassationshofes in der Türkei abwarten solle, dem Sinn und Zweck des Asylgesetzes. Im Falle einer Festnahme müsse sie eine Strafe von zwanzig Monaten verbüssen. Es sei zu betonen, dass sie während der Haftverbüssung einer ständigen unmenschlichen Behandlung ausgesetzt sein würde. Es sei der Vorinstanz sicherlich bekannt, dass die türkischen Behörden mit denjenigen, die im Zusammenhang mit der PKK verurteilt worden seien, nicht zimperlich umgingen. Dies zeige, dass sie, entgegen der Behauptung der Vorinstanz, tatsächlich im Sinne von Art. 3 AsylG schutzbedürftig sei. Für die weitere Begründung wird auf die Beschwerdeschrift verwiesen.
Nachfolgend ist zu prüfen, ob das das BFM zur Recht das Asylgesuch der Beschwerdeführerin abgelehnt und ihr die Einreise in die Schweiz verweigert hat.
Den Akten zufolge wird die Beschwerdeführerin in der Türkei strafrechtlich verfolgt. Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts stellt eine strafrechtliche Verfolgung respektive die Verurteilung wegen eines gemeinrechtlichen Delikts grundsätzlich keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung dar dies ist nur ausnahmsweise der Fall, und zwar wenn einer Person eine gemeinrechtliche Tat untergeschoben wird, um sie aus einem asylrelevanten Motiv zu verfolgen, oder wenn die Situation eines Täters, der ein gemeinrechtliches Delikt tatsächlich begangen hat, aus einem asylrelevanten Motiv erheblich erschwert wird. In diesen Fällen spricht man von einem sogenannten Politmalus. Ein solcher liegt in der Regel insbesondere dann vor, wenn im konkreten Fall eine unverhältnismässig hohe Strafe ausgefällt wird, das Strafverfahren rechtsstaatlichen Ansprüchen klarerweise nicht zu genügen vermag (beispielsweise weil dem Angeklagten elementare Verfahrensrechte vorenthalten werden) oder der asylsuchenden Person in der Form der Strafe oder im Rahmen der Strafverbüssung eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte, namentlich Folter, droht (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts
E4286/2008 vom 17. Oktober 2008 E. 4.4 und D3027/2011 vom 11.
August 2011 E. 6.2).
Die Beschwerdeführerin wurde im vorliegenden Fall bisher in zwei Strafverfahren gestützt auf § 7/2 des türkischen Antiterrorgesetzes Nr. 3713 (ATG) verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe an einem Protestmarsch beziehungsweise an einer Versammlung teilgenommen und dabei Slogans zugunsten der PKK und deren Führer Öcalan skandiert. Deswegen wurde sie erstinstanzlich in zwei Urteilen zu je 10 Monaten Haft wegen Propagandatätigkeit für die PKK (§ 7/2 ATG) verurteilt. Diese Strafe von insgesamt 20 Monaten erscheint zwar angesichts der der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Handlungen auf den ersten Blick als relativ hoch aus nachfolgenden Gründen kann daraus aber im vorliegenden Fall nicht auf einen Politmalus geschlossen werden. Zunächst ist zu bedenken, dass die im ATG kodifizierten Strafnormen dem - grundsätzlich legitimen - staatlichen Rechtsgüterschutz im Bereich der Terrorismusbekämpfung dienen. Diese rechtliche Regelung ist zwar nicht unproblematisch, da damit elementare Grundrechte (namentlich die Presse und Meinungsäusserungsfreiheit) teilweise massiv eingeschränkt werden. Gleichzeitig muss jedoch mit Blick auf die jahrzehntelangen massiven Gewaltakte der PKK anerkannt werden, dass ein öffentliches Interesse an der Sanktionierung von Propagandatätigkeiten zugunsten der PKK und ihrer Ziele, welche häufig mit einem zumindest latenten Aufruf zu gewalttätigen Handlungen gegen Institutionen des türkischen Staates einhergehen, besteht. Unter diesem Blickwinkel erscheinen Verurteilungen gestützt auf das AntiterrorGesetz nicht per se als illegitim und es besteht kein Grund zur Annahme, dass die Einleitung der obgenannten Strafverfahren gegen die Beschwerdeführerin automatisch auf einem asylrechtlich relevanten Motiv beruht. Ausschlaggebend ist letztlich, wie die türkischen Gerichte diese Strafnormen konkret auslegen und anwenden. Der Strafrahmen von § 7/2 ATG beträgt 15 Jahre. Eine Mindeststrafe von einem Jahr ist im türkischen Strafrecht nicht unüblich zahlreiche Bestimmungen - auch ausserhalb des ATGs - sehen diese Mindeststrafe vor (s. beispielsweise Art. 114 des türkischen Strafgesetzbuches [TStGB] [Verhinderung der Ausübung politischer Rechte], Art. 157 TStGB [Betrug], Art. 274 TSTGB [falsches Zeugnis vor Gericht]). Andere Strafbestimmungen sehen noch höhere Mindeststrafen vor, obwohl es sich dabei ebenfalls nicht um Gewaltdelikte, d.h. Straftaten gegen Leib und Leben, handelt, so beispielsweise Art. 197 TStGB (Geldfälscherei: 212 Jahre) und Art. 252 TStGB (Bestechung: 412 Jahre). Das Gericht hat sich im Falle der Beschwerdeführerin darauf beschränkt, sie jeweils zur Mindeststrafe von einem Jahr Haft zu verurteilen. Mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen erscheint diese Strafe nicht als offensichtlich
unverhältnismässig. Das Gericht gewährte der Beschwerdeführerin zudem jeweils eine Strafminderung von zwei Monaten, was nicht Rückschlüsse auf eine unverhältnismässig hohe, politisch motivierte Bestrafung zulässt. Nach dem Gesagten können die gegen die Beschwerdeführerin ergangenen Urteile nicht als unverhältnismässig bezeichnet werden, und aus der Höhe der Haftstrafe allein kann nicht auf eine asylrelevante Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführerin geschlossen werden.
In den Akten finden sich im Weiteren keine konkreten Indizien dafür, dass die gegen die Beschwerdeführerin geführten Strafverfahren rechtsstaatlichen Grundsätzen widersprechen würden oder nicht gesetzeskonform geführt wurden. Die Beschwerdeführerin wurde respektive wird in den fraglichen Strafverfahren durch einen türkischen Rechtsvertreter vertreten (vgl. Akten BFM A 2/7, S. 2), und es wurde ihr zu den Anschuldigungen mehrfach das rechtliche Gehör gewährt. Es gibt keine Hinweise auf rechtswidrig (beispielsweise unter Folter) erlangte Aussagen. Die beiden Strafurteile vom 9. Juli 2009 und 20. August 2009 sind offensichtlich gestützt auf eine vorgängige Sachverhaltsermittlung und nach Durchführung eines Beweisverfahrens (namentlich unter Würdigung der Aussagen der Angeklagten, von Fotos, Transkriptionsprotokollen und Expertenberichten) ergangen. Dies zeigt, dass sich das Gericht differenziert mit dem Sachverhalt und den anwendbaren Rechtsnormen auseinandergesetzt hat und ist ein weiteres Indiz für die Rechtsstaatlichkeit und Willkürfreiheit der fraglichen Strafverfahren, ebenso wie die bereits erwähnte Tatsache, dass jeweils nur die Mindeststrafe ausgesprochen und der Beschwerdeführerin Strafminderung zugestanden wurde. Nach dem Gesagten lässt somit auch die Ausgestaltung der in Frage stehenden Strafverfahren nicht darauf schliessen, dass die strafrechtliche Verfolgung der Handlungen der Beschwerdeführerin (auch) dem sachfremden Zweck diente, sie für ihre politische Überzeugung zu bestrafen.
Sollte die Beschwerdeführerin definitiv verurteilt werden, so drohen ihr gemäss den beiden bisherigen Verurteilungen insgesamt 20 Monate Haft. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass einschlägigen Berichten zufolge die Lage der Menschenrechte in der Türkei trotz rechtlicher Verbesserungen in der Praxis weiterhin problematisch ist. Namentlich tatsächliche oder mutmassliche Mitglieder von als staatsgefährdend eingestuften Organisationen wie der PKK sind besonders gefährdet, von den Sicherheitskräften verfolgt und in deren
Gewahrsam misshandelt oder gefoltert zu werden. Folter ist weiterhin stark verbreitet (vgl. dazu das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D 3417/2009 vom 24. Juni 2010 E. 4.5.2 f.). Im Falle der Beschwerdeführerin ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sie künftig Folter oder anderweitige unmenschliche Behandlung zu gewärtigen hätte. Ihren Angaben zufolge wurde sie zwar während den in Gewahrsam verbrachten Stunden beleidigt physische Misshandlungen sind indessen ausgeblieben. Angesichts dessen ist nicht zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin, müsste sie die ihr auferlegte Strafe absitzen, unter menschenrechtswidrigen Bedingungen inhaftiert würde.
Bisher sind die beiden Verurteilungen der Beschwerdeführerin jedoch noch gar nicht rechtskräftig die entsprechenden Berufungsverfahren sind zurzeit noch beim Kassationshof hängig. Im heutigen Zeitpunkt steht somit noch nicht definitiv fest, ob und in welchem Umfang die Beschwerdeführerin letztinstanzlich verurteilt werden wird. Weiter ist festzustellen, dass sich die Beschwerdeführerin zurzeit trotz zweier hängiger Kassationsverfahren auf freiem Fuss befindet. Mit Blick auf die Akten ist davon auszugehen, dass sie nicht gesucht wird und gegen sie kein Ausreiseverbot verfügt wurde. Sie hält sich nach wie vor in der Türkei auf und kann sich dort grundsätzlich ungehindert bewegen. Die Beschwerdeführerin machte zwar anlässlich der Anhörung vom 26. Oktober 2009 (sinngemäss) geltend, sie sei nach ihrer Entlassung aus dem Gewahrsam von Zivilpolizisten zur Spitzeltätigkeit gedrängt worden, wobei ihr gedroht worden sei, man würde sie sonst nicht weiterstudieren lassen. Den Akten zufolge wurden dabei aber keine Drohungen gegen Leib und Leben der Beschwerdeführerin ausgesprochen, und auch die Drohung, sie dürfe nicht mehr weiterstudieren, ist offensichtlich nicht wahr gemacht worden. Soweit die Beschwerdeführerin zudem auf Beschwerdestufe geltend macht, sie werde unter Druck gesetzt und ständig mit Worten belästigt, ist festzustellen, dass diese Vorbringen wenig detailliert und unsubstanziiert ausgefallen sind, weshalb sie nicht geglaubt werden können. Abgesehen davon wären diese behaupteten Eingriffe zu wenig intensiv, um asylrelevant zu sein. Das Vorliegen einer aktuellen und konkreten Verfolgungsfurcht ist bei dieser Sachlage zu verneinen.
Es bleibt anzufügen, dass die Beschwerdeführerin nach Ausschöpfung des innertürkischen Rechtswegs gegebenenfalls die Möglichkeit hätte, in Anwendung des Individualbeschwerderechts von Art.
34 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die Türkei zu klagen, falls die Strafverfahren nicht nach den Grundsätzen der EMRK zu Ende geführt würden oder sie in Zukunft konkreten Anlass hätte zu befürchten, dass ihr im Strafvollzug Menschenrechtsverletzungen drohen könnten.
Gestützt auf die vorstehenden Erwägungen ist zusammenfassend festzustellen, dass die Beschwerdeführerin im heutigen Zeitpunkt nicht als schutzbedürftig zu erachten ist, da nicht davon auszugehen ist, sie sei im Heimatland im Zusammenhang mit den gegen sie laufenden Strafverfahren einer unmittelbaren, asylrelevanten Gefährdung ausgesetzt. Es ist ihr nach dem Gesagten nicht gelungen, eine aktuelle und konkrete Gefährdung im Sinne von Art. 3 AsylG beziehungsweise konkrete Hinweise auf eine in absehbarer Zukunft eintretende asylrelevante Verfolgung und eine damit einhergehende, begründete Verfolgungsfurcht darzulegen. Gestützt auf die heutige Aktenlage ist ausserdem davon auszugehen, dass ihr der weitere Verbleib im Heimatland zuzumuten ist. An dieser Einschätzung vermögen auch ihre Vorbringen in der Rechtsmittelschrift sowie den übrigen Eingaben nichts zu ändern, weshalb es sich erübrigt, weiter darauf einzugehen. Somit hat die Vorinstanz der Beschwerdeführerin zu Recht die Einreise in die Schweiz verweigert und das Asylgesuch abgelehnt.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt und angemessen ist (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist demnach abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären dessen Kosten grundsätzlich der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und 5 VwVG). Aus verwaltungsökonomischen Gründen ist indessen in Anwendung von Art. 6 Bst. b des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) auf die Erhebung von Verfahrenskosten zu verzichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das BFM und die zuständige schweizerische Vertretung.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Robert Galliker Matthias Jaggi
Versand:
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