Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-5044/2011 |
Datum: | 29.03.2012 |
Leitsatz/Stichwort: | Direkte Bundessteuer |
Schlagwörter : | Kanton; Steuer; Tessin; Arbeit; Kantons; Steuerverwaltung; Wohnung; Person; Zimmer; Arbeitsort; Veranlagung; Urteil; Wohnsitz; Bundesgericht; Woche; Bundessteuer; Recht; Veranlagungsort; Beziehung; Zimmer-Wohnung; Mutter; Bundesverwaltungsgericht; Bundesgerichts; Verfügung; ½-Zimmer-Wohnung; Wochenende; Beziehungen; Aufenthalt; Lebens; Familie |
Rechtsnorm: | Art. 123 DBG ;Art. 124 DBG ;Art. 127 BV ;Art. 128 BV ;Art. 196 DBG ;Art. 21 DBG ;Art. 216 DBG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 97 BGG ; |
Referenz BGE: | 113 Ia 465; 119 V 347; 125 I 458; 125 I 54; 130 III 321; 131 I 145; 131 I 285; 132 I 29; 133 I 308; 137 I 145; 137 I 273 |
Kommentar: | Marti, Peter, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Art. 83; Art. 105 DBG SR, 2008 |
Abteilung I
A-5044/2011
Besetzung Richter Michael Beusch (Vorsitz),
Richter Daniel Riedo, Richter Markus Metz, Gerichtsschreiberin Susanne Raas.
Parteien A.
vertreten durch , Beschwerdeführerin,
gegen
Hauptabteilung Direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer, Stempelabgaben, Eigerstrasse 65, 3003 Bern,
Vorinstanz.
Gegenstand Direkte Bundessteuer (2005-2009); Veranlagungsort.
Seit April 1999 arbeitet A. (Geburtsjahr 1967) bei ( ) als Aussendienstinspektorin gemäss Arbeitsvertrag mit Arbeitsort in der Stadt Bern. Sie wohnte zunächst in L. [Ort im Kanton Bern] in einer möblierten 1 ½-Zimmer-Wohnung, dann ab dem 1. Mai 2000 in einer 3 ½- Zimmer-Wohnung. Seit Mai 2002 mietete sie in der Stadt Bern eine 3 ½- Zimmer-Wohnung und ab dem 17. März 2008 eine 1 ½-ZimmerWohnung. Am 1. Mai 2002 erfolgte bei der Einwohnergemeinde Bern eine Anmeldung mit Heimatausweis als Wochenaufenthalterin. Ihren Heimatschein hat die Beschwerdeführerin in der Gemeinde M. /Tessin hinterlegt.
Mit Verfügung vom 22. Februar 2006 stellte die Steuerverwaltung des Kantons Bern fest, dass sich der steuerliche Wohnsitz von A. (nachfolgend: Steuerpflichtige) im Jahr 2005 in der Gemeinde Bern befinde. Zur Begründung brachte sie insbesondere vor, bei alleinstehenden Personen, die nur während der Woche am Arbeitsort wohnten, richte sich der steuerrechtliche Wohnsitz nach den konkreten Umständen. Die Steuerpflichtige kehre nicht jedes Wochenende nach M. zurück, wofür sie keine beruflichen Gründe geltend mache. Zudem sei sie am
31. Dezember 2005 (dem Stichtag für die Steuerveranlagung) bereits 38 Jahre alt gewesen, so dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung davon auszugehen sei, dass die Beziehungen zum Arbeitsort Bern überwiegen würden.
Gegen diese Verfügung erhob die Steuerpflichtige am 24. März 2006 Einsprache bei der Steuerverwaltung des Kantons Bern. Sie machte zusammengefasst geltend, ihre sozialen Kontakte habe sie im Kanton Tessin. Auch sei sie oft berufsmässig im Kanton Tessin, wo sie dann - ebenso wie am Wochenende - bei ihrer Mutter wohne. Ihr Lebensmittelpunkt liege sowohl aus familiären als auch aus beruflichen Gründen im Tessin.
Nachdem die Steuerverwaltung des Kantons Bern mit Entscheid vom
23. Oktober 2007 die Einsprache abgewiesen hatte, erhob die Steuerpflichtige am 19. November 2007 Rekurs bei der Steuerrekurskommission des Kantons Bern. Sie beantragte die Anerkennung des steuerrechtlichen Wohnsitzes im Kanton Tessin, eventualiter eine Besteuerung zu je 50 % im Kanton Tessin und im Kanton Bern. Die Steuerverwaltung des
Kantons Bern beantragte am 18. Januar 2008 die Abweisung des Hauptantrages, jedoch die Gutheissung des Eventualantrages.
Am 17. September 2008 führte der Präsident der Steuerrekurskommission des Kantons Bern eine Einvernahme mit der Steuerpflichtigen durch.
Nachdem sich die Steuerverwaltungen der Kantone Bern und Tessin (Divisione delle contribuzioni) über eine hälftige Steuerausscheidung betreffend die Staatsund Gemeindesteuern einig geworden waren, stellte die Steuerverwaltung des Kantons Bern mit Schreiben vom 21. November 2008 gestützt auf die Akten der Steuerrekurskommission des Kantons Bern sowie mit Einverständnis der Steuerverwaltung des Kantons Tessin bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) das Begehren um Festlegung des Veranlagungsorts für die direkte Bundessteuer der Steuerpflichtigen für das Jahr 2005 und die Folgejahre.
Am 12. August 2010 stellte die Steuerpflichtige selber ein Gesuch um Bestimmung des Veranlagungsortes zusätzlich auch für die Jahre 2006 bis 2009. Darin unterstrich sie, dass sich ihr Steuerdomizil ab dem Jahr 2008 sicher im Kanton Tessin befinde, da sie seit dem 16. März 2008 in einer 1 ½-Zimmer-Wohnung in der Stadt Bern wohne und mittlerweile noch mehr Nächte im Kanton Tessin verbringe. Sie stützte sich insbesondere auf ein E-Mail der Steuerverwaltung des Kantons Bern, mit welchem ihr die Bedingungen für eine allfällige Änderung der aktuellen hälftigen Steuerausscheidung mitgeteilt worden waren.
Mit Stellungnahme vom 25. August 2010 beantragte die Steuerverwaltung des Kantons Tessin die Unterstellung der Steuerpflichtigen unter die Steuerhoheit des Kantons Tessin sowohl hinsichtlich der direkten Bundessteuer als auch hinsichtlich der Kantonsund Gemeindesteuer.
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern erklärte in ihrer Stellungnahme vom 1. September 2010, die hälftige Steuerausscheidung der Staatsund Gemeindesteuern sei für die Jahre 2005 bis 2007 unbestritten. Der Veranlagungskanton für die unteilbare direkte Bundessteuer sei jedoch der Kanton Bern. Für das Jahr 2008 sei der Veranlagungsort für die direkte Bundessteuer ebenfalls der Kanton Bern.
Die Kantone Tessin und Bern hielten mit Stellungnahmen vom 28. September 2010 (TI) bzw. vom 27. Oktober 2010 (BE) an ihrem jeweiligen Standpunkt fest. Die Steuerpflichtige schloss sich mit Stellungnahme vom
27. Oktober 2010 der Stellungnahme des Kantons Tessin vom 25. August 2010 an (zuvor Bst. E). Sie führte weitere Argumente gegen die Auffassung des Kantons Bern an.
Mit Verfügung vom 8. Juli 2011 erklärte die ESTV den Kanton Bern als für die Veranlagung der direkten Bundessteuer der Steuerpflichtigen für die Jahre 2005 bis 2009 als zuständig. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, von 2005 bis 2007 habe die Steuerpflichtige zum Kanton Bern eine engere Beziehung gehabt. Für die Jahre 2008 und 2009 sei dies weniger eindeutig, doch genügten die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht, um von Bern als Veranlagungskanton abzuweichen.
Gegen diese Verfügung erhebt die Steuerpflichtige (nachfolgend: Beschwerdeführerin) am 12. September 2011 Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und festzustellen, dass der Kanton Tessin für die sie betreffende Veranlagung der direkten Bundessteuer für die Steuerperioden 2005 bis 2009 zuständig sei - alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der ESTV. Zur Begründung bringt sie im Wesentlichen vor, sie übe ihre Berufstätigkeit zur Hauptsache im Kanton Tessin sowie im italienischsprachigen Teil des Kantons Graubünden aus, wo sie einen erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit verbringe. Damit habe sie zwei Arbeitsorte. Der Arbeitsort sei also kein taugliches Kriterium, um ihr Hauptsteuerdomizil zu bestimmen. Zudem fänden der wertschöpfende Teil der Arbeit im Kanton Tessin, im Kanton Bern jedoch der administrative Teil der Arbeit statt. Ihre Funktion verlange zudem genaue Kenntnisse des Kantons Tessin und ein dort existierendes Beziehungsnetz. Dass sie in Bern nicht integriert sei, zeige auch, dass ihr deutsch «zwar fliessend, aber nicht verhandlungssicher» sei. Daraus folge auch, dass die Antworten, die sie bei der Befragung durch den Präsidenten der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom 17. September 2008 gemacht habe, eine gewisse Unschärfe aufwiesen. Sie verbringe - soweit möglich - jedes Wochenende im Tessin und habe während der Revisionswochen dort einen regen Kontakt mit ihrem privaten und beruflichen Umfeld.
Mit Vernehmlassung vom 21. Oktober 2011 (Datum der Postaufgabe:
24. Oktober 2011) nimmt die ESTV zur Beschwerde Stellung. Sie beantragt, die Beschwerde unter Kostenfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin abzuweisen. Sie hält daran fest, die Aussagen der Beschwerdeführerin zu ihrer Wohnsituation seien widersprüchlich. Auch habe die Beschwerdeführerin gemäss Arbeitsvertrag nur einen Arbeitsort, nämlich Bern. Ziehe man die Wochenenden ab, so ergebe sich eine geringere Anzahl Arbeitstage im Kanton Tessin als im Kanton Bern. Auch sei - so die ESTV - die administrative Arbeit im Kanton Bern qualitativ nicht weniger wichtig als jene im Kanton Tessin. Die Antworten der Beschwerdeführerin bei der Befragung durch den Präsidenten der Steuerrekurskommission des Kantons Bern liessen nicht auf ein reges soziales Leben im Kanton Tessin schliessen.
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern beantragt - unter Verweis auf die angefochtene Verfügung und ihre Stellungnahmen vom 1. September 2010 und 27. Oktober 2010 - mit Stellungnahme vom 26. Oktober 2011 die Abweisung der Beschwerde unter Kostenfolge.
Ebenfalls mit Stellungnahme vom 26. Oktober 2011 beantragt die Steuerverwaltung des Kantons Tessin die Beschwerde gutzuheissen, keine Kosten aufzuerlegen und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen. Sie hebt insbesondere und zusätzlich zu den Argumenten der Beschwerdeführerin hervor, dass die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit zur Hauptsache im Kanton Tessin verrichte. Es sei nicht erheblich, dass sie seit mehr als fünf Jahren in Bern arbeite und keine Arbeit im Kanton Tessin gesucht habe, erlaube ihr doch ihre jetzige Tätigkeit, den grössten Teil ihrer Zeit südlich der Alpen zu verbringen. Auch pflege die Beschwerdeführerin einen intensiven Kontakt mit ihrer Familie im Kanton Tessin. Dies zeige sich beispielsweise daran, dass sie während einer Beziehung die zweite Wohnung im von der Mutter bewohnten Haus bezogen habe, also im Haus der Familie habe bleiben wollen. Insgesamt - so die Steuerverwaltung des Kantons Tessin - sei der Lebensmittelpunkt der Beschwerdeführerin im Kanton Tessin, weshalb sich auch der Veranlagungsort hier befinde.
Auf die weiteren Vorbringen in den Eingaben der Parteien wird - soweit entscheidwesentlich - in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Art. 108 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG, SR 642.11) regelt das Verfahren im Falle eines negativen oder positiven Kompetenzkonflikts der zuständigen Steuerbehörden innerhalb eines Kantons oder im interkantonalen Verhältnis. Gemäss seinem Abs. 1 wird, wenn der Veranlagungsort eines Steuerpflichtigen nicht sicher bestimmt werden kann oder wenn er bestritten ist, dieser entweder von der kantonalen Behörde für die direkte Bundessteuer festgelegt, wenn nämlich nur die Steuerbehörden dieses Kantons betroffen sind, oder von der ESTV, wenn mehrere Kantone betroffen sind. Die Beschwerde gegen Entscheide der ESTV unterliegt dabei den allgemeinen Bestimmungen der Bundesrechtspflege (neue Fassung des zweiten Satzes gemäss Ziff. 57 des Anhangs zum Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht [Verwaltungsgerichtsgesetz, VGG, SR 173.32]; siehe die Botschaft des Bundesrates zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom 28. Februar 2001 in: BBl 2001 4202 insb.
S. 4439 mit Hinweis auf S. 4249 f.).
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom
20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), sofern keine Ausnahme nach Art. 32 VGG gegeben ist. Eine solche liegt nicht vor. Die ESTV ist eine Behörde im Sinn von Art. 33 VGG, gegen deren Verfügungen die Beschwerde zulässig ist. Soweit das VGG nichts anderes bestimmt, richtet sich gemäss dessen Art. 37 das Verfahren nach dem VwVG.
Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern ist als Beschwerdegegnerin aufzunehmen. Ihre Position steht derjenigen der Beschwerdeführerin entgegen. Die Steuerverwaltung des Kantons Tessin hingegen bezieht die gleiche Position wie die Beschwerdeführerin. Ihrer Bezeichnung als (weitere) Beschwerdeführerin steht jedoch entgegen, dass sie selbst keine Beschwerde erhoben hat. Zudem könnten - im Fall einer Abweisung der Beschwerde - allfällig bereits getroffene Massnahmen der Steuerverwaltung des Kantons Tessin für die vorliegend relevanten Steuerperioden aufgehoben werden, sofern das Verfahren noch nicht abgeschlossen und die Veranlagung noch nicht rechtskräftig geworden ist (ANDREA PEDROLI,
in: Danielle Yersin/Yves Noël [Hrsg.], Commentaire Romand, Impôt fédéral direct - Commentaire de la loi sur l'impôt fédéral direct, Basel 2008 [nachfolgend: Commentaire Romand], Art. 108 N. 5; vgl. auch schon ERNST KÄNZIG/URS R. BEHNISCH, Die direkte Bundessteuer [Wehrsteuer], III. Teil, 2. Aufl. Basel 1992, Art. 79 N. 4). Eine Veranlagung durch die nicht zuständige Behörde wäre zudem anfechtbar oder gar nichtig (BGE 137 I 273 E. 3.3.1; PEDROLI, a.a.O., Art. 108 N. 8; FELIX RICHNER/WALTER FREI/STEFAN KAUFMANN/HANS ULRICH MEUTER, Hand-
kommentar zum DBG, 2. Aufl., Zürich 2009, Art. 108 N. 11). In einem solchen Fall würde sich die Beschwerde auch gegen die bereits von der Steuerverwaltung des Kantons Tessin vorgenommenen Handlungen richten. Auch wenn sich die Beschwerde damit formell nur gegen den Entscheid der ESTV richtet, hat ein Urteil im vorliegenden Verfahren Auswirkungen auf die Veranlagung in den Kantonen Bern und Tessin. Insofern richtet sich die Beschwerde materiell ebenso gegen die Steuerverwaltung des Kantons Tessin wie gegen jene des Kantons Bern (vgl. Urteile des Bundesgerichts 2C_518/2011 vom 1. Februar 2011 E. 1.2, 2C_397/2010
vom 6. Dezember 2010 E. 1.2).
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern beantragt die Abweisung der Beschwerde. Auf ihren Antrag ist einzutreten.
Auch auf den Antrag der Steuerverwaltung des Kantons Tessin, die Beschwerde gutzuheissen, ist einzutreten. Nicht einzutreten ist hingegen mangels entsprechender Legitimation auf ihren Antrag, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen.
Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Recht von Amtes wegen an. Es ist demzufolge verpflichtet, auf den festgestellten Sachverhalt die richtige Rechtsnorm und damit jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist (ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER,
Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, Basel 2008, Rz. 1.54, unter Verweis auf BGE 119 V 347 E. 1a). Dies hat zur Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz an die rechtliche Begründung der Begehren nicht gebunden ist (vgl. Art. 62 Abs. 4 VwVG) und eine Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (teilweise) gutheissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer von der Vorinstanz abweichenden Begründung bestätigen kann (vgl. BVGE 2007/41 E. 2 mit Hinweisen; PIERRE MOOR/ETIENNE POLTIER, Droit administratif, Bd. 2: Les actes administratifs et leur contrôle, 3. Aufl., Bern 2011, Ziff. 2.2.6.5 S. 300 f.).
Im Rechtsmittelverfahren kommt - wenn auch in sehr abgeschwächter Form (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., N. 1.55) - das Rügeprinzip mit Begründungserfordernis in dem Sinn zu tragen, dass der Beschwerdeführer die seine Rügen stützenden Tatsachen darzulegen und allfällige Beweismittel einzureichen hat (Art 52 Abs. 1 VwVG; CHRISTOPH AUER, in: Christoph Auer/Markus Müller/Benjamin Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Zürich/ St. Gallen 2008 [nachfolgend: Kommentar VwVG], Art. 12, N. 9 und 12). Hingegen ist es grundsätzlich nicht Sache der Rechtsmittelbehörden, den für den Entscheid erheblichen Sachverhalt von Grund auf zu ermitteln und über die tatsächlichen Vorbringen der Parteien hinaus den Sachverhalt vollkommen neu zu erforschen (BVGE 2007/27 E. 3.3; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-1942/2011 vom 18. November 2011 E. 1.3,
A-5550/2008 vom 21. Oktober 2009 E. 1.5; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER,
a.a.O., N. 1.52). Vielmehr geht es in diesem Verfahren darum, den von den Vorinstanzen ermittelten Sachverhalt zu überprüfen und allenfalls zu berichtigen oder zu ergänzen.
Die Beweiswürdigung endet mit dem richterlichen Entscheid darüber, ob eine rechtserhebliche Tatsache als erwiesen zu gelten hat oder nicht. Der Beweis ist geleistet, wenn das Gericht gestützt auf die freie Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt ist, dass sich der rechtserhebliche Sachumstand verwirklicht hat (vgl. BGE 130 III 321 E. 3.2; anstatt vieler: Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-135/2011 vom 27. September 2011 E. 1.4, A-855/2008 vom 20. April 2010 E. 2.6; MO-
SER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.141). Gelangt das Gericht nicht zu diesem Ergebnis, kommen die Beweislastregeln zur Anwendung; es ist zu Ungunsten desjenigen zu urteilen, der die Beweislast trägt. Die Steuerbehörde trägt die Beweislast für Tatsachen, welche die Steuerpflicht als solche begründen oder die Steuerforderung erhöhen, das heisst für die steuerbegründenden und -mehrenden Tatsachen. Demgegenüber ist die steuerpflichtige Person für die steueraufhebenden und -mindernden Tatsachen beweisbelastet, das heisst für solche Tatsachen, welche Steuerbefreiung oder Steuerbegünstigung bewirken (statt vieler: Urteil des Bundesgerichts 2A.642/2004 vom 14. Juli 2005, veröffentlicht in: Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 75 S. 495 ff. E. 5.4; Urteil des Bundesgerichts 2C_814/2010 vom 23. September 2011 E. 5.4; BVGE 2009/60 E. 2.1.3; anstatt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
A-1344/2011 und A-3285/2011 vom 26. September 2011 E. 4; MOSER/ BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.149 ff.).
Betreffend die Bestimmung des Veranlagungsorts hat das Bundesgericht festgehalten, dass die Steuerbehörden die den Steuerwohnsitz konstituierenden Sachverhaltselemente zwar von Amtes wegen abzuklären haben (Art. 123 Abs. 1 DBG). Der Steuerwohnsitz ist damit als steuerbegründende Tatsache grundsätzlich von den Steuerbehörden nachzuweisen. Der Steuerpflichtige ist aber zur Mitwirkung und namentlich zu umfassender Auskunftserteilung über die für die Besteuerung massgebenden Umstände verpflichtet (vgl. Art. 124 ff. DBG; Urteile des Bundesgerichts 2C_472/2010 vom 18. Januar 2011 E. 2.2, 2C_355/2010 vom 7. Dezember 2010 E. 4.2, 2C_484/2009 vom 30. September 2010 E. 3.3). Im Rahmen dieser Mitwirkungspflicht ist der Steuerpflichtige gehalten, das Bestehen von engen Beziehungen zum Kanton, in dem er seinen Wohnsitz zu haben behauptet, glaubhaft zu machen (Urteil des Bundesgerichts 2A.475/2003 vom 26. Juli 2004 in: Revue du droit fiscal et administrativ [RDAF] 2005 II 103 ff. E. 2.3; JEAN-BLAISE PASCHOUD, in: Com-
mentaire Romand, a.a.O., Art. 3 DBG N. 34). Mit anderen Worten bedeutet diese Beweislastregel - welche aus dem internationalen Abgaberecht übernommen wurde und gemäss bundesgerichtlicher Praxis auch im interkantonalen Verhältnis anwendbar ist -, dass die Steuerbehörden grundsätzlich das Bestehen eines Steuerdomizils beweisen müssen, während der Steuerpflichtige - vor allem, wenn die von der Steuerbehörde angenommene bisherige subjektive Steuerpflicht als sehr wahrscheinlich gilt - den Beweis erbringen muss, dass sein Domizil sich tatsächlich an einem anderen Ort befindet (Urteil des Bundesgerichts 2C_672/2010 vom 30. Juni 2011 E. 4.2 mit weiteren Hinweisen, 2C_827/2008 vom 16. Juni 2009 E. 4.1, 2C_576/2008 vom 14. April 2009 E. 3.2,
2C_667/2008 vom 4. März 2009 E. 3.1, 2C_770/2008 vom 4. März 2009
E. 3.1 mit weitere Hinweisen; zum Ganzen: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5584/2008 vom 11. Juni 2010 E. 1.2.3; vgl. MARTIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, in: Martin Zweifel/Michael Beusch/Peter MäusliAllenspach [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Interkantonales Steuerrecht, Basel 2011 [nachfolgend: Interkantonales Steuerrecht], § 6 N. 98). Jedoch muss die Steuerbehörde keinen absoluten Beweis erbringen. Vielmehr darf sie bei Vorliegen gewisser, nachfolgend erwähnter Umstände (E. 2.6) im Sinn einer natürlichen Vermutung annehmen, dass sich der Lebensmittelpunkt der steuerpflichtigen Person am Arbeitsort befinde (Urteile des Bundesgerichts 2C_397/2010 vom
6. Dezember 2010 E. 2.3, 2P.179/2005 vom 30. November 2005 E. 2.3 mit Hinweis auf BGE 125 I 54 E. 2b).
1.4. Das vorliegende Verfahren betrifft ausschliesslich die Bestimmung des Veranlagungsorts für die Erhebung der direkten Bundessteuer, nämlich die Frage, ob die Beschwerdeführerin für die Steuerjahre 2005 bis 2009 vom Kanton Bern oder vom Kanton Tessin zu veranlagen ist. Der Veranlagungsort gemäss Art. 216 Abs. 1 DBG ist nicht teilbar (RAINER ZIGERLIG/GUIDO JUD, in: Martin Zweifel/Peter Athanas [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer [DBG], Art. 83-222, 2. Aufl., Basel 2008, Vorbemerkungen zu Art. 105-108 N. 1). Mit anderen Worten ist bei der Veranlagung der direkten Bundessteuer eine analoge Lösung, wie sie die Steuerverwaltungen des Kantons Bern und des Kantons Tessin mit der hälftigen Steuerausscheidung betreffend die Staatsund Gemeindesteuern getroffen haben (Sachverhalt Bst. C), nicht möglich.
Die kantonalen Behörden erheben die direkte Bundessteuer von den natürlichen Personen, die am Ende der Steuerperiode oder der Steuerpflicht ihren steuerrechtlichen Wohnsitz oder, wenn ein solcher in der Schweiz fehlt, ihren steuerrechtlichen Aufenthalt im Kanton haben (Art. 216 Abs. 1 DBG). Der Stichtag ist also der 31. Dezember oder jener Tag, an dem die Unterwerfung unter die Steuerpflicht endet. Dies gilt für natürliche Personen, die auf Grund der persönlichen Zugehörigkeit gemäss Art. 3 Abs. 1 und 4 DBG der Steuerpflicht unterworfen sind (unbegrenzte Steuerpflicht; MARC BUGNON, in: Commentaire Romand, a.a.O., Art. 216 DBG N. 6). Der Begriff des steuerrechtlichen Wohnsitzes gemäss Art. 3 Abs. 2 DBG entspricht demjenigen, den die bundesgerichtliche Rechtsprechung im Bereich des interkantonalen Doppelbesteuerungsverbots entwickelt hat (Art. 127 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR 101]). Dieser entspricht ebenfalls jenem von Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG, SR 642.14; BGE 132 I 29 E. 4.1 a.E.; Urteil des Bundesgerichts 2P.171/2005 vom 25. Januar 2006 E. 2.2 a.E.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5584/2008 vom 11. Juni 2010 E. 2.3). Aufgrund der vertikalen Steuerharmonisierung basieren der Veranlagungsort und der Ort der subjektiven Steuerpflicht auf den nämlichen Kriterien und können an sich nicht auseinander fallen (MICHAEL BEUSCH/NADINE MAYHALL, in: Interkantonales Steuerrecht, a.a.O., § 40
N. 23 und 26 mit Hinweis auf MICHAEL BEUSCH/URBAN BROGER, in: Interkantonales Steuerrecht, a.a.O., § 43 N. 7). Daher können zur Bestimmung des Veranlagungsorts die vom Bundesgericht betreffend Art. 127 Abs. 3 BV entwickelten Kriterien berücksichtigt werden.
Eine gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstossende interkantonale Doppelbesteuerung liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung) oder wenn ein Kanton in Verletzung der geltenden Kollisionsnormen seine Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem anderen Kanton zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung; BGE 137 I 145 E. 2.2 mit Hinweisen; BGE 133 I 308 E. 2.1, BGE 131 I 285 E. 2.1; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5584/2008 vom 11. Juni 2010 E. 2.2 mit weiteren Hinweisen).
Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum Verbot der interkantonalen Doppelbesteuerung (Art. 127 Abs. 3 Satz 1 BV) werden das Einkommen und das bewegliche Vermögen einer Person in jenem Kanton besteuert, in dem sie ihren steuerrechtlichen Wohnsitz hat. Der Wohnsitzbegriff der kantonalen Steuerrechte stimmt im Grundsatz mit dem zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff überein, indem er bei mündigen Erwachsenen den tatsächlichen Aufenthalt mit der Absicht dauernden Verbleibens (Art. 23 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom
10. Dezember 1907 [ZGB, SR 210]) erfasst oder jenen Ort, an dem sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen findet (MARTIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 2, 7 und 10). Dem polizeilichen Domizil, an dem die Schriften hinterlegt sind oder an dem die politischen Rechte ausgeübt werden, kommt dagegen keine entscheidende Bedeutung zu. Es handelt sich dabei bloss um äussere Merkmale, die ein Indiz für den steuerrechtlichen Wohnsitz bilden können, wenn auch das übrige Verhalten der Person dafür spricht. Der Ort, an dem die steuerpflichtige Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen hat, bestimmt sich nach der Gesamtheit der objektiven Umstände und nicht nach den Erklärungen dieser Person. Somit ist es nicht möglich, den Steuerwohnsitz frei zu wählen (BGE 132 I 29 E. 4.1, BGE 131 I 145 E. 4.1, BGE 125 I 458 E. 2b; Urteil des Bun-
desgerichts 2C_518/2011 vom 1. Februar 2012 E. 2.1; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5584/2008 vom 11. Juni 2010 E. 2.3; ZWEIFEL/ HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 9; DANIEL DE VRIES REILINGH, Le domicile des
personnes physiques en droit fiscal intercantonal et international - état des lieux et comparaison, in: ASA 70 S. 275, insb. S. 277 f.).
Mit anderen Worten müssen für das Vorliegen eines steuerrechtlichen Wohnsitzes zwei Bedingungen kumulativ erfüllt sein, nämlich eine objektive - der tatsächliche Aufenthalt - einerseits und eine subjektive - die Absicht dauernden Verbleibens - andererseits (YVES NOËL, Le domicile fiscal des personnes physiques dans la jurisprudence actuelle, in: RDAF 2002 II S. 405, insb. S. 406; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 8).
Die erste Bedingung ist also jene des Aufenthalts, die physische Präsenz der Person an einem bestimmten Ort (vgl. PETER LOCHER, Kommentar zum DBG: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Bd. 1, Basel 2001, Art. 3 DBG N. 13). Auch wenn das Gesetz die Dauer des Aufenthalts nicht präzisiert, darf dieser nicht nur vorübergehender Natur sein (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 15). Als zweite, subjektive Bedingung muss die steuerpflichtige Person die Absicht haben, an einem Ort dauernd zu verbleiben. Dabei handelt es sich um einen inneren Vorgang, der sich durch äussere Sachumstände manifestiert, so dass er für Dritte erkennbar wird. Aus diesen Umständen muss sich ergeben, dass der betreffende Ort den Mittelpunkt der persönlichen und wirtschaftlichen Lebensbeziehung dieser Person bildet. Er bestimmt sich nach der Gesamtheit der objektiven Umstände. Die einfache Erklärung der Absicht des dauernden Verbleibens ist unbeachtlich, wenn sie nicht objektiv erkennbar ist (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-5584/2008 vom 11. Juni 2010 E. 2.4; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 17). Nicht erforderlich ist der Wille, den Aufenthaltsort nicht mehr oder doch nicht in absehbarerer Zeit zu verlassen. Es genügt, den Ort bis auf weiteres zum Mittelpunkt der Lebensverhältnisse zu machen und ihm dadurch eine gewisse Stabilität zu verleihen, selbst wenn mit der Möglichkeit des Wechsels aus bestimmten Gründen zu rechnen ist oder sogar feststeht, dass der Aufenthalt nach einiger Zeit wieder beendet wird (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6
N. 21 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Die Frage, wo eine Person ihr Haupsteuerdomizil hat, stellt sich nur, wenn sie mindestens über eine zweite Unterkunft verfügt, wo sie übernachtet (NOËL, a.a.O., insb. S. 408; MARTIN ARNOLD, Der steuerrechtliche Wohnsitz natürlicher Personen im interkantonalen Verhältnis nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung, in: ASA 68 S. 449, insb.
S. 455). Wenn sich eine Person alternierend an zwei oder mehr Orten aufhält, was vor allem dann der Fall ist, wenn Arbeitsort und der Ort, an welchem sie sich gewöhnlich aufhält, auseinanderfallen, ist der steuerrechtliche Wohnsitz an jenem Ort, zu dem die stärkeren Beziehungen bestehen (BGE 132 I 29 E. 4.2, BGE 131 I 145 E. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 2C_672/2010 vom 30. Juni 2011 E. 4.1 auch zum Folgenden), also
jenem Ort, an dem sich der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse, der ideelle und materielle Schwerpunkt des Lebens dieser Person befindet. Dieser bestimmt sich - wie erwähnt - nach der Gesamtheit der objektiven, äusseren Umstände. Auf die gefühlsmässige Bevorzugung eines Ortes kommt es nicht an. Der steuerrechtliche Wohnsitz ist insofern nicht frei wählbar (vgl. oben E. 2.3; BGE 132 I 29 E. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 2C_178/2011 vom 2. November 2011 E. 2.2; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O.,
§ 6 N. 23 f.).
Der Lebensmittelpunkt befindet sich gewöhnlich an demjenigen Ort, wo die steuerpflichtige Person während des grössten Teils des Jahres mit ihren Angehörigen wohnt, von wo aus sie zur Arbeit geht, wo sie ihre Freizeit verbringt und ihren Freundes- und Bekanntenkreis pflegt (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 25 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung). Fallen Arbeitsort und der Aufenthaltsort der Familie auseinander, wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass zum Ort, an dem die Familie wohnt, die stärkeren Beziehungen herrschen, sofern die steuerpflichtige Person regelmässig an diesen Ort zurückkehrt (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 26). Als regelmässige Rückkehr gilt im Allgemeinen eine Rückkehr an den Familienort an jedem freien Wochenende und an den Feiertagen (Wochenaufenthalter im engeren Sinn), wobei dies auch gilt, wenn die Person aus Gründen, die in den Arbeitsbedingungen liegen, nicht allwöchentlich an den Familienort zurückkehrt. Die Entfernung von Arbeitsund Familienort kann ebenfalls bei der Beurteilung der Regelmässigkeit mit einbezogen werden. Bei einer kurzen Entfernung zum Arbeitsort kann nämlich nicht mehr gesagt werden, eine Wohnungsmiete am Arbeitsort sei aufgrund der Arbeit notwendig (BGE 113 Ia 465 E. 4d; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 46 f.). Ausnahmswei-
se können jedoch die Bindungen zum Arbeitsort überwiegen, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeit oder andere persönliche und gesellschaftliche Beziehungen am Arbeitsort die steuerpflichtige Person so intensiv erfassen, dass die familiären und gesellschaftlichen Verbindungen am Familienort zweitrangig werden. Starke Beziehungen dieser Art zum Arbeitsort bestehen etwa, wenn die steuerpflichtige Person eine leitende Stellung in einem wirtschaftlich bedeutenden Unternehmen bekleidet oder eine ledige Person seit mehr als fünf Jahren ununterbrochen am gleichen Arbeitsort tätig ist, über 30 Jahre alt ist oder/und am Arbeitsort in einem Konkubinat lebt (so genannte «Basler Praxis»; BGE 125 I 54 E. 2; Urteile des Bundesgerichts 2C_518/2011 vom 1. Februar 2012 E. 2.1, 2P.159/2006 vom 14. November 2006 E. 3.3.1 mit zahlreichen Hinweisen;
ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 26 und 37). Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die Bindung zur elterlichen Familie lockerer ist als jene unter Ehegatten (Urteil des Bundesgerichts 2C_748/2008 vom 19. März 2009
E. 3.1). Zusätzlich lockern sich die familiären Bindungen bei zunehmender Dauer des Aufenthalts am Arbeitsort (ARNOLD, a.a.O., S. 458 f). Eine Besteuerung am Arbeitsort kann somit auch deshalb als sachgerecht bezeichnet werden, weil es Sinn und Zweck der direkten Steuern ist, die allgemeinen Leistungen abzugelten, welche das Gemeinwesen für seine Mitglieder erbringt (ARNOLD, a.a.O., S. 455 f.), auch wenn dies bei der direkten Bundessteuer weniger ins Gewicht fällt, als bei kantonalen Steuern.
Bei alleinstehenden Personen werden die Kriterien, aufgrund deren anstelle des Arbeitsorts der Aufenthaltsort der Familie als Hauptsteuerdomizil anerkannt werden kann, daher besonders streng gehandhabt. Bei ihnen ist stärker als bei verheirateten Personen zu gewichten, ob weitere als nur familiäre Beziehungen bestehen wie ein Freundesoder Bekanntenkreis, ausgeprägte gesellschaftliche Beziehungen oder der Umstand, dass die steuerpflichtige Person ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung besitzt (Urteil des Bundesgerichts 2C_518/2011 vom 1. Februar 2012 E. 2.1). Solche Beziehungen können jedoch nur dann zugunsten des Wochenendaufenthaltsortes gewichtet werden, wenn sie eine gewisse Intensität aufweisen. So können Arztbesuche am Wochenendort nur dann auf eine besondere Verbundenheit mit diesem Ort hinweisen, wenn deren «Frequenz [ ] eine gewisse Dimension aufweist» (Urteil des Bundesgerichts 2C_178/2011 vom 2. November 2011 E. 3.4). Kehrt die steuerpflichtige Person freiwillig nicht (mehr) regelmässig an den Familienort zurück, dürfen die Beziehungen zum Arbeitsort im Allgemeinen überwiegen. Freiwillig bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die steuerpflichtige Person nicht wegen zwingender Arbeitsbedingungen für längere Zeit dem Familienort fernbleibt. Für die Beurteilung der Regelmässigkeit ist auch der Distanz zwischen den Orten und den damit verbundenen Fahrkosten Rechnung zu tragen (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 35 f., 44 und 46 f. mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 279; NOËL, a.a.O., S. 409; ARNOLD, a.a.O., S. 460).
Besonderes Gewicht kommen der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Alter der steuerpflichtigen Person zu (vgl. oben E. 2.6.1). Damit wird dem faktischen Umstand Rechnung getragen, dass sich mit zunehmender Dauer des Aufenthalts am Arbeitsort die Bindungen zur Familie lockern, während sie sich zum Arbeitsort verdichten. Das Bundesgericht
hat der so genannten «Basler Praxis» (oben E. 2.6.1) eine gewisse Plausibilität zugesprochen. Allerdings darf sich die Behörde nicht auf eine schematische oder isolierte Betrachtung der beiden Merkmale (mehr als fünf Jahre am gleichen Arbeitsort und über 30 Jahre alt) beschränken, bedarf es doch in jedem Fall einer sorgfältigen Berücksichtigung und Gewichtung sämtlicher Berufs-, Familienund Lebensumstände (Urteil des Bundesgerichts vom 20. Januar 1994 in: ASA 63 S. 836 ff. E. 3c; ARNOLD, a.a.O., S. 465; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., § 6 N. 37 f. und 48 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung; DE VRIES REILINGH, a.a.O., S. 280 f.).
Nachfolgend ist darauf einzugehen, ob die ESTV zurecht den Kanton Bern als Veranlagungsort der Beschwerdeführerin für die Steuerperioden von 2005 bis 2009 bestimmt hat. Dazu gilt es vorab, den rechtswesentlichen Sachverhalt zu erstellen.
Dieser wird von den Verfahrensbeteiligten nahezu identisch dargestellt. Unklar ist, wie sich die Wohnsituation der Beschwerdeführerin in M. darstellt(e). Die ESTV führt dazu in der Verfügung vom 8. Juli 2011 aus, die Beschwerdeführerin habe widersprüchliche Angaben gemacht. So habe sie in ihrer Einsprache vom 24. März 2006 vorgebracht,
dass sie in M.
bei ihrer Mutter in einer 4 ½-Zimmer-Wohnung
über ein Zimmer verfüge. In ihrem Rekus vom 19. November 2007 an die Steuerrekurskommission des Kantons Bern aber habe sie erklärt, ihr stehe bei ihrer Mutter nicht nur ein selbst möbliertes Zimmer zur Verfügung. Sie lebe in dem Haus, in welchem sie aufgewachsen sei. Ab Mai 2006 habe sie eine 4 ½-Zimmer-Wohnung im Parterre dieses Hauses beziehen können. An der Einvernahme durch den Präsidenten der Steuerrekurskommission des Kantons Bern vom 17. September 2008 habe die Beschwerdeführerin auf die Frage nach ihrer aktuellen Wohnsituation im Tessin wiederum zu Protokoll gegeben, sei habe dort ein eigenes Zimmer in der 4½-Zimmer-Wohnung ihrer Mutter zur Verfügung. Daraus schliesst die ESTV, die Beschwerdeführerin habe widersprüchliche Angaben gemacht. In der Vernehmlassung vom 21. Oktober 2011 hält die ESTV daran fest.
Die jeweiligen Angaben der Beschwerdeführerin sind jedoch nicht widersprüchlich. So ist nämlich ihre Aussage, sie wohne in M. bei der Mutter in einer 4½-Zimmer-Wohnung und verfüge dort über ein eigenes Zimmer, nicht dahingehend zu verstehen, dass sie nur das genannte Zimmer zur Verfügung habe. Im Gegenteil macht sie gerade geltend, bei
der Mutter und damit in der ganzen 4½-Zimmer-Wohnung zu wohnen, wobei eines der Zimmer nur ihr zur Verfügung steht. Damit besteht zwischen diesen Aussagen der Beschwerdeführerin keine Diskrepanz.
Weiter erklärt die Beschwerdeführerin, sie habe ab Mai 2006 die möblierte 4½-Zimmer-Wohnung im Parterre des gleichen Gebäudes beziehen können. Als die Beschwerdeführerin ihre Einsprache vom 24. März 2006 einreichte, wohnte sie somit noch nicht in dieser Parterre-Wohnung. Demgegenüber erklärte sie in der Einvernahme vom 17. September 2008 wiederum, ein eigenes Zimmer in der 4½-Zimmer-Wohnung der Mutter zu haben. Hier ist zu beachten, dass sich die Einvernahme auf das Jahr 2005 bezog, sollte doch der steuerrechtliche Wohnsitz im Jahr 2005 festgesetzt werden. Im Jahr 2005 wohnte die Beschwerdeführerin - wie dies auch aus ihrer Einsprache vom 24. März 2006 hervorgeht - noch in der Wohnung ihrer Mutter, wo sie ein eigenes Zimmer zur Verfügung hatte.
Damit ergibt sich aus den Aussagen der Beschwerdeführerin kein Widerspruch. Vielmehr lassen sie sich zwanglos in Einklang bringen. Daher erübrigt es sich auch, auf den Vorwurf der Beschwerdeführerin einzugehen, die ESTV hätte im Rahmen des geltenden Untersuchungsgrundsatzes eine Abklärung des Sachverhalts von Amtes wegen vornehmen können.
Auszugehen ist damit von folgendem rechtserheblichen Sachverhalt: Die Beschwerdeführerin wurde im Jahr 1967 geboren. Sie ist ledig und
hat keine Kinder. Vom 1. April 1999 bis zum 30. April 2000 hatte sie eine
möblierte 1 ½-Zimmer-Wohnung in L.
(Kanton Bern) gemietet.
Am 1. Mai 2000 zog sie in eine 3 ½-Zimmer-Wohnung ebenfalls in L. , wo sie bis zum 30. April 2002 blieb. Am 1. Mai 2002 zog sie in eine 3 ½-Zimmer-Wohnung in der Stadt Bern um. In dieser Wohnung habe sie nun genug Platz für ihre Möbel gehabt und zudem näher am Arbeitsort gewohnt. Zudem verfügte sie in dieser Wohnung über einen eigenen Telefonanschluss. Mitte März 2008 zog sie in eine 1 ½-ZimmerWohnung in Bern um.
Während die Beschwerdeführerin in L. wohnte, hatte sie gleichzeitig eine 3 ½-Zimmer-Wohnung in M. gemietet, gemäss eigenen Aussagen, weil in der Wohnung in L. nicht genügend Platz für all ihre Möbel vorhanden war. Während ihrer Aufenthalte im Kanton Tessin wohnte sie bis April 2006 mit ihrer Mutter in deren 4 ½-ZimmerWohnung im elterlichen Haus - das offenbar nach dem Tod ihres Vaters
der Erbengemeinschaft bestehend aus [ ] gehört -, wo ihr ein eigenes Zimmer zur Verfügung stand. Ab Mai 2006 zog sie in die 4 ½-ZimmerWohnung im Parterre des gleichen Hauses. Im Verlauf des Jahres 2008 überliess sie die Parterrewohnung ihrem Bruder und wohnte wieder bei ihrer Mutter. Die Beschwerdeführerin gibt an, die meisten Wochenenden im Kanton Tessin zu verbringen. In Bern bleibe sie höchstens, wenn mit Stau zu rechnen sei, die Wetterprognose schlecht sei oder sie aufräumen bzw. waschen müsse.
Seit dem 1. April 1999 arbeitet die Beschwerdeführerin unverändert als nicht leitende Angestellte bei ( ). Im Arbeitsvertrag ist als Arbeitsort Bern angegeben. Die Beschwerdeführerin führt einen Teil ihrer Arbeit in Bern aus; für Buchprüfungen ist sie mehrheitlich im Kanton Tessin, seltener auch im italienischsprachigen Teil des Kantons Graubünden unterwegs. Wenn sie sich berufsbedingt im Kanton Tessin aufhält, verbringt sie die Freizeit bei ihrer Mutter, wo sie auch übernachtet. Insgesamt verbringt die Beschwerdeführerin gut 50 % des Jahres im Kanton Tessin, sei dies bei externen Buchprüfungen in diesem Kanton, sei dies an Wochenenden. Seit dem Jahr 2005 ist die Tendenz zudem steigend. Auch verbringt sie immer mehr Nächte ausserhalb des Kantons Bern, vor allem im Kanton Tessin. Dies geht aus von der Beschwerdeführerin erstellten Listen hervor. Die Arbeitseinsätze ausserhalb des Kantons Bern werden zudem durch Auszüge aus dem Arbeitszeiterfassungssystem untermauert. Als Hobby gibt die Beschwerdeführerin Bergsteigen an. Sie ist Mitglied in der ( ) und im ( ) Locarno. Gemäss Aussagen der Beschwerdeführerin sind die Ärzte, die sie aufsucht, sowie ihr Coiffeur im Kanton Tessin. Auch die Autogarage befindet sich im Kanton Tessin. Einen Freundeskreis habe sie in Bern nicht. Den besten Kontakt pflege sie noch mit Arbeitskollegen aus dem Tessin. Hingegen pflege sie im Kanton Tessin Kontakte vor allem beim Bergsteigen.
Uneinig sind sich die Parteien darüber, wie der Sachverhalt rechtlich zu würdigen ist. Wie gesehen (E. 1.4), geht es vorliegend nur um die Bestimmung des Veranlagungsorts und damit um die Frage, ob die Beschwerdeführerin zu Bern oder zu M. die stärkeren Beziehungen hat (oben E. 2.5 f.).
Vorweggenommen werden kann hier, dass ein E-Mail der Steuerverwaltung des Kantons Bern, auf welches sich die Beschwerdeführerin in ihrem Gesuch vom 12. August 2010 um Bestimmung des Veranlagungsortes stützte und in welchem ihr Bedingungen für ein Abweichen von der hälftigen Steuerausscheidung genannt werden (Sachverhalt Bst. D), eine unverbindliche Auskunft darstellt und insbesondere keine Zusicherung enthält. Dort wird nämlich nur gesagt, dass unter gewissen Umständen eine Neubeurteilung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände vorgenommen würde. Es wird auch festgehalten, dass auf die Details des Falls der Beschwerdeführerin nicht eingegangen werde. Daraus kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Mit der ESTV und dem Kanton Bern ist sodann zunächst festzuhalten, dass bei einer über dreissigjährigen ledigen Person, die seit mehr als fünf Jahren an der gleichen Stelle tätig ist, und bei der neben dem Arbeitsort der Wohnsitz der Eltern als möglicher Veranlagungsort geprüft werden muss, die natürliche Vermutung gilt, zum Arbeitsort bestünden die näheren Beziehungen als zum Ort, an dem die Eltern leben, bzw. hier die Mutter lebt (E. 2.6). Gemäss dieser natürlichen Vermutung ist somit in einem ersten Schritt von einem Veranlagungsort im Kanton Bern auszugehen.
Ebenfalls für einen Veranlagungsort im Kanton Bern - und damit diese Vermutung stützend - spricht, dass die Beschwerdeführerin hier während der vorliegend relevanten Zeit bis März 2008 eine 3 ½-Zimmer-Wohnung bewohnte (zuerst in L. und anschliessend in Bern), dazu ausführend, in der grösseren Wohnung habe sie Platz für all ihre Möbel. Dass sie mehrmals im Kanton Bern umgezogen ist, kann ebenfalls als Indiz gewertet werden, dass sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens hier aufhielt und deswegen eine ihr genehme Wohnung suchte. Jedoch ist festzuhalten, dass die Grösse der Wohnung nur ein Faktor in der Gesamtbetrachtung ist. Nachfolgend ist somit festzustellen, ob die zuvor gemachte natürliche Vermutung aufgrund der weiteren Umstände widerlegt wird. Hier ist festzuhalten, dass die ESTV sich zwar mit den Argumenten der Beschwerdeführerin auseinandersetzte, dann aber auf die genannte Vermutung abstellte, ohne auf die konkrete Situation der Beschwerdeführerin einzugehen.
Damit ist im Folgenden ausgehend von den Vorbringen der Beschwerdeführerin in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob diese natürliche Vermutung umgestossen werden kann.
Für einen steuerrechtlichen Wohnsitz im Tessin sprechen die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin im Kanton Bern über keinen Freundeskreis verfügt, sondern sich ihre sozialen Beziehungen ausserhalb der Arbeitszeit im Kanton Tessin abspielen. Neben ihren Freunden hat sie hier auch die Ärzte, den Coiffeur und den Automechaniker, wobei Besuche grösserer Intensität nicht geltend gemacht werden. Sofern die Beschwerdeführerin von «Kollegen» in Bern spricht, ist anzumerken, dass das italienische Wort «collega» ähnlich wie das französische «collègue» in der Regel Arbeitskollegen bezeichnet, also nicht - wie zumindest im schweizerischen Gebrauch des deutschen Wortes «Kollegen» - auch gute Bekannte oder gar Freunde. Dass sie angibt, selten mit «Leuten» essen gegangen zu sein, kann vorliegend weder zugunsten eines steuerlichen Wohnsitzes im Kanton Bern noch eines solchen im Kanton Tessin sprechen. Soziale Kontakte am anderen als dem Veranlagungsort können nämlich durchaus bestehen. Deren Intensität muss aber am Veranlagungsort stärker sein (vgl. oben E. 2.6.2). Immerhin erklärte die Beschwerdeführerin, am Wochenende keine persönlichen Kontakte in Bern gepflegt zu haben. Zu berücksichtigen ist auch, dass sie eine Zeitlang eine als ernsthaft bezeichnete Liebesbeziehung im Kanton Tessin einging.
Die Beschwerdeführerin kehrt zwar nicht jedes Wochenende in den Kanton Tessin zurück, doch ist eine Rückkehr jedes Wochenende insbesondere dann nicht nötig, wenn berufliche Gründe die Beschwerdeführerin von einer Rückkehr abhalten (oben E. 2.6.1). Zwar ist richtig, dass die Beschwerdeführerin gelegentlich ein Wochenende in Bern verbringt, um Hausarbeiten zu erledigen, und nicht, weil ihre Arbeit dies verlangen würde. Doch ist durchaus nachvollziehbar, dass die Beschwerdeführerin, die 100 % arbeitet und zudem auch beruflich oft nicht in Bern ist, insbesondere grössere Aufräumarbeiten oder das Waschen nicht während der Woche erledigen kann. Insofern sind diese Wochenendaufenthalte zumindest indirekt durch die Arbeit bedingt. Auch ist möglich, dass sie in Ausnahmefällen am Wochenende in Bern arbeitete. Betrachtet man die Entfernung zwischen den Kantonen Bern und Tessin, so kann es der Beschwerdeführerin auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie aufgrund von Stauoder Schlechtwetterprognosen sich dafür entscheidet, in Bern zu bleiben, solange dies nur in Ausnahmefällen vorkommt.
Die Beschwerdeführerin hielt sich allerdings in aller Regel an den Wochenenden im Kanton Tessin auf. Zu berücksichtigen ist zudem, dass zwar im Arbeitsvertrag der Beschwerdeführerin als Arbeitsort Bern angegeben ist, sie jedoch einen Teil ihrer Arbeit faktisch im Kanton Tessin und
im italienischsprachigen Teil des Kantons Graubünden ausübt. So wird auch von Personen aus dem Kanton Tessin bestätigt, dass die Beschwerdeführerin mit ihnen «regelmässig» beruflichen Kontakt habe. Während der Aufenthalte im Kanton Tessin lebt sie ferner bei ihrer Mutter. Im Gegensatz zur Auffassung der ESTV darf hier nicht ausschliesslich auf den im Arbeitsvertrag festgehaltenen Arbeitsort abgestellt werden, sondern es muss die tatsächliche Situation betrachtet werden. Dies ist nicht zuletzt unter dem Aspekt relevant, dass die direkten Steuern die Leistungen des Gemeinwesens abgelten sollen (oben E. 2.6.1). Eine solche Betrachtung führt nun aber dazu, dass die Beschwerdeführerin - neben den meisten Wochenenden - auch einen grossen Teil ihrer Arbeitszeit im Kanton Tessin verbringt. Dabei kann offenbleiben, welcher Teil der Arbeit qualitativ höher zu gewichten ist bzw. ob eine solche Gewichtung überhaupt möglich ist.
Da die Beschwerdeführerin - wie soeben gesehen - einen erheblichen Teil ihrer Arbeit im Kanton Tessin ausübt, kann ihr - wie dies die Steuerverwaltung des Kantons Tessin zu Recht ausführt - auch nicht vorgeworfen werden, sie habe keine Stelle in diesem Kanton gesucht. Ob ihre derzeitige Stelle tatsächlich - wie sie vorbringt - einzigartig in der Schweiz ist, kann offenbleiben, da ihr bereits ihre jetzigen Arbeit erlaubt, relativ viel Zeit im Kanton Tessin zu verbringen.
Selbst die Wohnsituation der Beschwerdeführerin erscheint in anderem Licht, wenn man sich vor Augen hält, dass die Beschwerdeführerin - obwohl sich offenbar zumindest bis Anfang 2008 ein Grossteil ihrer Möbel in Bern befand - auch in M. über alles verfügt, was sie zum Leben braucht. Zudem ist glaubhaft, dass sie dort ihre Sportausrüstung aufbewahrt, beginnt sie doch von dort aus ihre Wanderungen.
Was die Freizeitaktivitäten anbelangt, kann der Beschwerdeführerin nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn sie an Vereinsversammlungen derjenigen Vereine, bei denen sie Mitglied ist, nicht teilnahm. Zwar betraf die in der Einvernahme vom 17. September 2008 (vgl. Sachverhalt Bst. B.d) gemäss Protokoll gestellte Frage generell «Vereinsveranstaltungen», doch erklärte die Beschwerdeführerin auch, dass sie am Sonntag für gewöhnlich an Wanderungen teilgenommen habe. Gerade in einem Wanderverein ( ) erscheint die regelmässige Teilnahme an den sportlichen Veranstaltungen für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes als wichtiger als die Teilnahme an den Versammlungen. Dass die Beschwerdeführerin an Wanderungen teilnahm, ist unbestritten. Entsprechende Bestätigungsschreiben wurden auch der Beschwerde beigelegt. Das Bergsteigen mit tessiner oder italienischen Kollegen ist für sie gewichtiger als der Besuch eines Fitnessstudios in Bern, wo die Beschwerdeführerin für sich allein trainierte.
Dass sich die Beschwerdeführerin im Kanton Tessin bei ihrer Mutter aufhielt und sie nicht etwa eine eigene Wohnung hatte, deutet im konkreten Fall auf eine besondere Verbundenheit der Beschwerdeführerin mit ihrer Mutter hin, insbesondere da die Beschwerdeführerin geltend macht, sich um ihre Mutter zu kümmern. Dass sie während einer gewissen Zeit in Bern über einen eigenen Telefonanschluss verfügte, kann nicht als Indiz für einen Lebensmittelpunkt in Bern dienen: Ein eigener Anschluss kann nämlich auch dazu gedient haben, mit Personen im Kanton Tessin günstig in Kontakt zu treten. So erklärt die Beschwerdeführerin denn auch, dass sie vor allem von ihrer Mutter angerufen worden sei.
Wer Begünstigter der von der Beschwerdeführerin abgeschlossenen Lebensversicherung ist, erweist sich für die Bestimmung des steuerrechtlichen Wohnsitzes - zumindest vorliegend - hingegen nicht als relevant: Es ist üblich, Lebensversicherungen zugunsten nahestehender Personen abzuschliessen und zwar unabhängig von deren Wohnsitz oder Aufenthaltsort.
Unter Berücksichtigung der Gesamtsituation ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin für die gesamte Zeit von 2005 bis 2009 zum Kanton Tessin die engeren Beziehungen aufwies als zum Kanton Bern. In letzterem hielt sie sich nur wegen der Arbeit auf und jeweils nur solange wie nötig. Wenn möglich bzw. sinnvoll, verbrachte sie jedoch ihre Zeit im Kanton Tessin, was neben der freien Zeit auch für einen wesentlichen Teil der Arbeitszeit galt. Die Aufenthaltsdauer im Kanton Tessin, die schon im Jahr 2005 gegen 50 % der Tage - darunter die meisten Wochenenden - erreichte, erhöhte sich zudem ständig. Unter diesen Umständen gelingt es der Beschwerdeführerin, die natürliche Vermutung, sie habe ihren steuerrechtlichen Wohnsitz im Kanton Bern, umzustossen.
Anzumerken bleibt, dass dem von der Steuerverwaltung des Kantons Bern angeführten Urteil des Bundesgerichts 2C_748/2008 vom 19. März 2009 zwar eine ähnliche Konstellation wie die vorliegende zugrunde lag. Doch bestehen insbesondere drei wesentliche Unterschiede. Erstens war die Kognition des Bundesgerichts durch Art. 97 Abs. 1 BGG beschränkt, was im Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht nicht der Fall ist. Zweitens lebte der dortige Beschwerdeführer an seinem Arbeitsort mit seiner Lebenspartnerin zusammen. Auch wenn das Bundesgericht diesen letzten Punkt dort nur als Bestärkung seines Standpunktes und nicht als konstituierendes Merkmal anführte, kommt hier doch der Tatsache Gewicht zu, dass die - offenbar einzige - ernsthafte Beziehung der Beschwerdeführerin im Kanton Tessin bestand. Zudem verbringt die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall drittens auch einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit im Kanton Tessin und nicht «nur» ihre Freizeit.
Die Steuerverwaltung des Kantons Bern vermutete in ihrer Vernehmlassung vom 18. Januar 2008, die sie vor der Steuerrekurskommission des Kantons Bern einreichte, die Beschwerdeführerin wohne nur deshalb seit März 2008 in einer möblierten 1 ½-Zimmer-Wohnung, weil im Einspracheentscheid vom 23. Oktober 2007 erwogen worden war, eine 3 ½- Zimmer-Wohnung könne nicht mehr als «pied-à-terre» gelten. Mit anderen Worten nimmt die Steuerverwaltung des Kantons Bern an, die Beschwerdeführerin habe einzig aus steuerlichen Gründen eine kleinere Wohnung gemietet. Da aber die Grösse der Wohnung nur eines von mehreren Kriterien für die Bestimmung des Wohnsitzes ist (oben E. 4.2) und dieses Kriterium überdies an der Gesamtbetrachtung der Situation der Beschwerdeführerin nichts ändert, kann offenbleiben, aus welchen Gründen die Beschwerdeführerin umzog.
Auch muss nicht mehr darauf eingegangen werden, ob die geltend gemachten nicht «verhandlungssicheren» Deutschkenntnisse der Beschwerdeführerin und ihre genauen Kenntnisse des Kantons Tessin tatsächlich auf eine fehlende Integration im Kanton Bern und enge Beziehungen zum Kanton Tessin deuten. Immerhin kann eine Person auch an einem Ort integriert sein, wenn sie die Sprache «zwar fliessend, aber nicht verhandlungssicher» beherrscht, wie das die Beschwerdeführerin von sich selbst geltend machen lässt. Umgekehrt schliesst die Integration am einen Ort fundierte Kenntnisse eines anderen Ortes nicht aus.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, die Verfügung der ESTV vom
8. Juli 2011 aufzuheben und es ist festzustellen, dass der Kanton Tessin für die Veranlagung der direkten Bundessteuer betreffend die Beschwerdeführerin zuständig ist.
Die Verfahrenskosten sind in der Regel von der unterliegenden Partei zu tragen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Kosten werden nur Personen auferlegt, die Parteistellung im Beschwerdeverfahren haben. Nebst der beschwerdeführenden Partei kommt auch demjenigen Parteistellung zu, der sich mit eigenen Anträgen am Beschwerdeverfahren beteiligt hat (MICHAEL BEUSCH, in: Kommentar VwVG, Rz. 12 zu Art. 63).
Ausgangsgemäss haben die Beschwerdeführerin und die Steuerverwaltung des Kantons Tessin keine Verfahrenskosten zu tragen (Art. 63 Abs. 1 VwVG e contrario). Der geleistete Kostenvorschuss ist der Beschwerdeführerin nach Rechtskraft dieses Urteils zurückzuerstatten. Der ESTV können ebenfalls keine Kosten auferlegt werden (Art. 63 Abs. 2 VwVG).
Anderen als Bundesbehörden, die Beschwerde führen und unterliegen, werden jedoch Verfahrenskosten auferlegt, soweit sich der Streit um vermögensrechtliche Interessen von Körperschaften oder autonomen Anstalten dreht (Art. 63 Abs. 2 VwVG). Die Kantone bzw. kantonale Behörden sind damit vorliegend nicht von der Kostenpflicht befreit, da es für sie um vermögensrechtlich Interessen geht (sie erhalten einen Anteil an der von ihnen erhobenen direkten Bundessteuer [Art. 128 Abs. 4 BV und Art. 196 Abs. 1 DBG]; Art. 63 Abs. 2 VwVG). Damit sind die Kosten des vorliegenden Verfahrens der Steuerverwaltung des Kantons Bern aufzuerlegen.
Die Steuerverwaltung des Kantons Tessin verlangt keine Parteientschädigung. Eine solche ist ihr einerseits als Behörde, die als Partei auftritt (Art. 7 Abs. 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) - und die daher in der Regel keinen Anspruch auf Parteientschädigung hat -, sowie andererseits aufgrund des geringen Aufwandes auch nicht zuzusprechen (Art. 7 Abs. 4 VGKE i.V.m. Art. 8 Abs. 1 und Art. 13 VGKE). Der Beschwerdeführerin ist hingegen eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 64 Abs. 1 VwVG). Diese ist von der Steuerverwaltung des Kantons Bern und der ESTV je hälftig unter solidarischer Haftung zu entrichten.
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung der Eidgenössischen Steuerverwaltung vom 8. Juli 2011 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass für die Steuerjahre 2005 bis 2009 der Kanton Tessin für die Veranlagung der direkten Bundessteuer betreffend die Beschwerdeführerin zuständig ist.
Der Antrag der Steuerverwaltung des Kantons Bern wird abgewiesen.
Der Antrag der Steuerverwaltung des Kantons Tessin wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Verfahrenskosten von Fr. 1'000.-- werden der Steuerverwaltung des Kantons Bern auferlegt. Der Betrag ist innert 30 Tagen nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteil zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen. Die Zustellung des Einzahlungsscheins erfolgt mit separater Post.
Der von der Beschwerdeführerin geleistete Kostenvorschuss in Höhe von Fr. 1'000.-- wird ihr nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.
Die ESTV und die Steuerverwaltung des Kantons Bern werden verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung in Höhe von je Fr. 750.--, unter solidarischer Haftung für den Gesamtbetrag von Fr. 1'500.--, zu bezahlen.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)
die Beschwerdegegnerin 1 (Gerichtsurkunde)
die Beschwerdegegnerin 2 (Gerichtsurkunde)
die Vorinstanz (Ref-Nr. ; Gerichtsurkunde)
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
Michael Beusch Susanne Raas
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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