Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-1336/2020 |
Datum: | 12.10.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | Mehrwertsteuer |
Schlagwörter : | MWSTG; Recht; Steuer; Urteil; Vorinstanz; Verfahren; Mehrwertsteuer; Ermessen; BVGer; Ermessens; Urteile; Schätzung; Verzugs; Rechtsvorgängerin; Verjährung; Bundesverwaltungsgericht; Verzugszins; Ermessenseinschätzung; Steuerperiode; Person; Umsatz; Verfahrens; Beweis; Verhältnis; Frist; Entscheid; Steuerperioden |
Rechtsnorm: | Art. 10 MWSTG ;Art. 108 MWSTG ;Art. 112 MWSTG ;Art. 113 MWSTG ;Art. 14 MWSTG ;Art. 16 MWSTG ;Art. 18 MWSTG ;Art. 24 MWSTG ;Art. 42 MWSTG ;Art. 48 BGG ;Art. 49 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 68 MWSTG ;Art. 70 MWSTG ;Art. 78 MWSTG ;Art. 79 MWSTG ;Art. 86 MWSTG ; |
Referenz BGE: | 119 V 347; 130 II 482; 133 II 366; 135 V 65; 137 II 17; 139 V 297; 140 II 202; 140 II 248; 140 II 353; 141 III 28; 142 II 218; 146 II 73; 146 III 362 |
Kommentar: | -, Kommentar MWSTG , Art. 1 Abs. 3; Art. 1 MWSTG, 2019 |
Abteilung I
A-1336/2020
Besetzung Richter Keita Mutombo (Vorsitz),
Richter Jürg Steiger, Richterin Marianne Ryter, Gerichtsschreiber Kevin Müller.
vertreten durch Marcel Wieser, Beschwerdeführerin,
gegen
Gegenstand Mehrwertsteuer, Steuerperioden 2007 - 2012 (Ermessenseinschätzung).
Die B. GmbH in Liquidation (ehemals C. GmbH; nachfolgend auch: Rechtsvorgängerin) war vom 1. April 2007 bis zum 31. Dezember 2016 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingetragen und bezweckte u.a. den gewerblichen Transport von Gütern und Personen, einschliesslich Limousinenservice.
Mit Schreiben vom 6. März 2014 teilte die ESTV der Rechtsvorgängerin mit, dass gegebenenfalls eine ermessensweise Berechnung der massgeblichen Umsätze vorgenommen werden müsse, wenn Letztere die Vorlage der Unterlagen verweigere.
Die ESTV kam bei ihrer Kontrolle zum Schluss, dass die Rechtsvorgängerin unter anderem gemäss diversen Lohnabrechnungen ihre Geschäftstätigkeit bereits im Januar 2007 aufgenommen habe und nicht erst im April 2007. Weiter seien die Geschäftsbücher sowohl formell als auch materiell nicht ordnungsgemäss geführt bzw. die Grundsätze ordnungsgemässer Rechnungslegung nach Art. 958 des Obligationenrechts (SR 220, nachfolgend: OR) nicht erfüllt worden. Insbesondere sei kein Kassabuch geführt worden, Fahrtenschreiber seien nur teilweise vorhanden und Bareinnahmen sowie Löhne des Geschäftsführers seien nicht periodengerecht verbucht worden. Zudem sei der Treibstoffaufwand im Verhältnis zu den verbuchten Umsätzen – mit Ausnahme des Jahres 2012 – überdurchschnittlich hoch gewesen.
Am 23. Mai 2014 erliess die ESTV zwei Einschätzungsmitteilungen und setzte Mehrwertsteuernachforderungen in der Höhe von Fr. 43'139.--
für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2009 nebst Verzugszins seit dem 31. Dezember 2008 (Einschätzungsmitteilung Nr. […]) sowie Fr. 16'642.-- für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 nebst Verzugszins seit dem 31. Dezember 2011 (Einschätzungsmitteilung Nr. […]) fest. Überdies wurde das Eintragungsdatum in das Mehrwertsteuerregister vom 1. April 2007 auf den 1. Januar 2007 korrigiert. Die Nachbelastung resultierte zur Hauptsache aus «nicht verbuchten, nicht deklarierten Entgelten», welche die ESTV anhand des (zu hohen) Treibstoffaufwands berechnete.
Am 11. Dezember 2015 schlossen die Rechtsvorgängerin und die A. GmbH in Gründung (nachfolgend: Rechtsnachfolgerin), welche am 9. Februar 2016 ins Handelsregister eingetragen wurde, einen Vertrag über den «Verkauf ‹Fahrzeuge› und Übertragung der Taxibewilligung/Betriebsbewilligung», in welchem sie insbesondere vereinbarten,
dass die Rechtsvorgängerin den Taxibetrieb, namentlich mehrere Fahrzeuge inklusive Taxi-Betriebsbewilligungen sowie alle Arbeitsverträge der Rechtsnachfolgerin übertrage,
dass die Rechtsvorgängerin neu ausschliesslich einen Limousinenservice im Grossraum […] anbiete, dazu die Firma in […] GmbH [recte: B. GmbH] anpasse und deren Sitz nach […] verlege,
dass die Rechtsnachfolgerin der Rechtsvorgängerin hierfür einen Kaufpreis von Fr. 20'000.-- bezahle.
Mit separaten Verfügungen vom 5. April 2016 betreffend die Steuerperioden 2007 bis 2009 bzw. 2010 bis 2012 bestätigte die ESTV die Mehrwertsteuernachforderungen gegenüber der Rechtsvorgängerin gemäss den Einschätzungsmitteilungen vom 23. Mai 2014.
Mit Eingabe vom 2. Mai 2016 erhob die Rechtsvorgängerin Einsprache gegen die beiden Verfügungen vom 5. April 2016. Mit separaten Einspracheentscheiden vom 11. September 2017 betreffend die Steuerperioden 2007 bis 2009 bzw. 2010 bis 2012, adressiert an die Rechtsnachfolgerin, wies die ESTV die Einsprachen ab. Letztere stellte fest, die Rechtsnachfolgerin sei in die Rechte und Pflichten der Rechtsvorgängerin eingetreten, und setzte die Mehrwertsteuernachforderungen in der Höhe von Fr. 43'139.-- für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis zum 31. Dezember 2009 nebst Verzugszins seit dem 31. Dezember 2008 sowie Fr. 16'642.-- für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 nebst Verzugszins
seit dem 31. Dezember 2011 fest.
«eine Nachfrist zur Beibringung der materiellrechtlichen Begründung der Beschwerde» und «vollständige Akteneinsicht in die Revisionsakten» beantragen, alles unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der Vorinstanz.
Die Vorinstanz liess sich mit Eingaben vom 5. März 2018 vernehmen und beantragte die Abweisung der Beschwerden unter Kostenfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin.
Mit Urteil A-5649/2017, A-5657/2017 vom 6. September 2018 hiess das Bundesverwaltungsgericht die vereinigten Beschwerden gut und hob die Einspracheentscheide vom 11. September 2017 auf mit der Begründung, es sei keine Steuernachfolge gemäss Art. 16 Abs. 2 MWSTG bzw. infolge Steuerumgehung auszumachen.
Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde der ESTV mit Urteil 2C_923/2018 vom 21. Februar 2020 (BGE 146 II 73) unter Anerkennung einer Steuernachfolge gemäss Art. 16 Abs. 2 MWSTG gut und wies die Sache zur materiellen Prüfung an das Bundesverwaltungsgericht zurück.
Mit Verfügung vom 10. März 2020 teilte das Bundesverwaltungsgericht den Parteien mit, dass das Verfahren neu unter der Verfahrensnummer A-1336/2020 weitergeführt werde.
Das Bundesgericht wies die von der Beschwerdeführerin dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 2C_1002/2020 vom 28. Dezember 2020 ab.
«1. Das Verfahren sei wegen einer krassen Verletzung der Untersuchungsmaxime durch die ESTV definitiv einzustellen;
Eventualiter
Für die Steuerperioden 2007 – 2009 sowie für die Steuerperiode 2010 ist das Verfahren zufolge Eintritt der Verjährung definitiv einzustellen;
Subeventualiter
Die Einspracheentscheide der ESTV vom 29. September 2017 [recte:
11. September 2017] seien aufzuheben und von einer Nachsteuerforderung der Jahre 2007 bis 2009 sowie 2010 bis 2013 [recte: 2012] sei abzusehen, gegebenenfalls sei diese nach Massgabe des Gerichts zu korrigieren;
Mangels Nachgewiesenheit eines Verzugsschadens sei von der Erhebung eines Verzugszinses abzusehen;
Es sei der Beschwerdeführerin eine uneingeschränkte Akteneinsicht zu gewähren;
Unter Kostenund Entschädigungsfolgen zu Lasten der ESTV.»
Nachdem die Beschwerdeführerin am 25. Februar 2021 Einsicht in die Akten nehmen konnte, reichte sie innert erstreckter Frist am 6. April 2021 eine Stellungnahme ein.
Auf die einzelnen Vorbringen in den Eingaben der Parteien wird – soweit entscheidrelevant – in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Verfahren ist aufgrund der Rückweisung durch das Bundesgericht ohne Weiteres gegeben (vgl. Urteil des BVGer A-2258/2020 vom 19. Februar 2021 E. 1.1).
Nach Ablauf der Beschwerdefrist dürfen Anträge grundsätzlich nicht mehr erweitert, sondern nur noch gekürzt oder präzisiert werden. Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Beschwerdeverbesserung innert einer kurzen Nachfrist (Art. 52 Abs. 2 VwVG) oder eine Beschwerdeergänzung (Art. 53 VwVG) möglich (STEFAN VOGEL, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2. Aufl. 2019 [nachfolgend: Kommentar VwVG], Art. 50 N 6).
Mit Eingabe vom 26. Januar 2021 stellt die Beschwerdeführerin im Sinne einer «Ergänzung der Rechtsbegehren» sechs Anträge (oben Sachverhalt Bst. I). Eine Voraussetzung für eine derartige Ergänzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Mit Zwischenverfügung vom 5. November 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch der Beschwerdeführerin um «Nachfrist zur Beibringung der materiellrechtlichen Begründung der Beschwerde» gar ausdrücklich ab (vgl. oben Sachverhalt Bst. H.b).
Was die ebenfalls in den Beschwerden vom 2. Oktober 2017 beantragte Sistierung des «materiellen Verfahrens» betrifft, so sind diese Anträge im Zuge der bundesverwaltungsgerichtlichen und bundesgerichtlichen Entscheide gegenstandslos geworden und folglich abzuschreiben.
Am 1. Januar 2010 ist das neue MWSTG in Kraft getreten. Das MWSTG löste das vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2009 in Kraft gewesene Mehrwertsteuergesetz vom 2. September 1999 (aMWSTG, AS 2000 1300) ab. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die darauf gestützt erlassenen Vorschriften bleiben grundsätzlich weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar (Art. 112 Abs. 1 MWSTG).
Die materielle Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts richtet sich demnach, soweit die Steuerperioden 2007 bis 2009 betroffen sind, nach dem aMWSTG. Für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2010 bzw. die Steuerperioden 2010 bis 2012 ist das MWSTG anwendbar.
Kein Verfahrensrecht in diesem engen Sinn stellen insbesondere die Bestimmungen zur Verjährung dar, handelt es sich dabei doch um ein materiellrechtliches Institut (BGE 137 II 17 E. 1.1, 126 II 1 E. 2a; Urteil des BVGer
A-5410/2016 vom 8. November 2017 E. 1.3.2).
Im Beschwerdeverfahren gelten die Untersuchungsmaxime, wonach der Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen ist (vgl. zum Ganzen: UL- RICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 988 ff.), und der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen (Art. 62 Abs. 4 VwVG).
Das Bundesverwaltungsgericht ist verpflichtet, auf den unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten festgestellten Sachverhalt die richtigen Rechtsnormen und damit jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist (vgl. BGE 119 V 347 E. 1a). Die Mitwirkungspflicht der Verfahrensbeteiligten ist allgemeiner Natur und erstreckt sich auf alle Arten der Sachverhaltserhebung. Sie gilt insbesondere für jene Umstände, die eine Partei besser kennt als die Behörden und welche ohne Mitwirkung der Parteien gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand erhoben werden können (BVGE 2008/24 E. 7.2; CHRISTOPH AUER/ANJA MARTINA BINDER, Kommen-
tar VwVG, Art. 13 N 3 f.).
Als Beschwerdeinstanz ist das Bundesverwaltungsgericht nicht an die rechtliche Begründung der Begehren gebunden und kann eine Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (allenfalls auch nur teilweise) gutheissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer von derjenigen der Vorinstanz abweichenden Begründung bestätigen (sog. Motivsubstitution; vgl. BGE 140 II 353 E. 3.1; BVGE 2007/41 E. 2; Urteile des BVGer A-2496/2020 vom 18. November 2020
E. 1.5.1, A-956/2019 vom 3. Mai 2019 E. 1.3 [nicht publiziert in BVGE 2019 I/7]; ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren
vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz. 1.54).
Gestützt auf das Rügeprinzip, welches im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in abgeschwächter Form zur Anwendung gelangt, ist dieses Gericht nicht gehalten, nach allen möglichen Rechtsfehlern zu suchen; für entsprechende Fehler müssen sich mindestens Anhaltspunkte aus den Vorbringen der Verfahrensbeteiligten oder den Akten ergeben (vgl. anstelle vieler: Urteile des BVGer A-2740/2018 vom 15. April 2019 E. 2.1, A-1617/2016 vom 6. Februar 2017 E. 1.6; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 1.55).
Art. 29 Abs. 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101; nachfolgend: BV) garantiert jeder
Verfahrenspartei den Anspruch auf rechtliches Gehör. Dazu gehört insbesondere, dass die Behörde die Vorbringen der Verfahrensbeteiligten tatsächlich hört, prüft und in ihrer Entscheidfindung berücksichtigt.
Damit hängt die Pflicht der Behörde zusammen, ihre Verfügung zu begründen, da sich meist nur anhand der Verfügungsbegründung feststellen lässt, ob die Behörde ihrer Prüfungsund Berücksichtigungspflicht nachgekommen ist (vgl. statt vieler: BGE 135 V 65 E. 2.4; Urteil des BVGer A-5624/2018 vom 19. Juli 2019 E. 6.2). Die Begründung eines Entscheids muss so abgefasst sein, dass ihn die Betroffenen gegebenenfalls sachgerecht anfechten können. Dies ist nur möglich, wenn sie sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können (BVGE 2013/46 E. 6.2.5; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.106). Die Behörde ist aber nicht verpflichtet, sich zu allen Rechtsvorbringen der Parteien zu äussern. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Es genügt, wenn ersichtlich ist, von welchen Überlegungen sich die Behörde leiten liess (BGE 141 III 28 E. 3.2.4, 140 II 262 E. 6.2; BVGE 2013/46 E. 6.2.5; Urteil des BVGer A-3485/2018 vom 31. Ja-
nuar 2019 E. 3.2 [bestätigt durch Urteil des BGer 2C_238/2019 vom
14. März 2019]). Erforderlich ist aber stets eine Auseinandersetzung mit dem konkret zu beurteilenden Sachverhalt. Allgemein gehaltene Erwägungen ohne Bezugnahme auf den Einzelfall genügen ebenso wenig wie floskelhafte Feststellungen betreffend die Rechtslage im Allgemeinen oder die Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung oder einer Rechtsauffassung (vgl. BVGE 2013/46 E. 6.2.5; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 3.106; LORENZ KNEUBÜHLER/RAMONA PEDRETTI, Kommentar VwVG, Art. 35 N 9).
18. April 2019 E. 4.4.1, A-714/2018 vom 23. Januar 2019 E. 3.2; PATRICK
SUTTER, Kommentar VwVG, Art. 29 N 19).
Der Mehrwertsteuer unterliegen die im Inland von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen; sie sind steuerbar, soweit das MWSTG bzw. aMWSTG keine Ausnahme vorsieht (Inlandsteuer, Art. 18 Abs. 1 MWSTG bzw. Art. 5 aMWSTG). Als Leistung gilt die Einräumung eines verbrauchsfähigen wirtschaftlichen Wertes an eine Drittperson in Erwartung eines Entgelts (Art. 3 Bst. c MWSTG). Sie besteht in einer Lieferung oder einer Dienstleistung (vgl. Art. 3 Bst. d und e MWSTG bzw. Art. 6 f. aMWSTG).
Mehrwertsteuerpflichtig ist, wer unabhängig von Rechtsform, Zweck und Gewinnabsicht ein Unternehmen betreibt und nicht von der Steuerpflicht befreit ist. Ein Unternehmen betreibt, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbständig ausübt und unter eigenem Namen nach aussen auftritt (Art. 10 Abs. 1 Bst. a und b MWSTG bzw. Art. 21 Abs. 1 aMWSTG; vgl. oben E. 1.3). Befreit ist ein Steuerpflichtiger unter anderem, wenn er im Inland innerhalb eines Jahres weniger als Fr. 100'000.-- (MWSTG) bzw. Fr. 75'000.-- (aMWSTG) Umsatz aus steuerbaren Leistungen erzielt, sofern er nicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht verzichtet (Art. 10 Abs. 2 Bst. a MWSTG bzw. Art. 27 aMWSTG). Die Befreiung von der Steuerpflicht endet, sobald das Total der im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsätze die Grenze von Fr. 100'000.-- erreicht hat oder absehbar ist, dass diese Grenze innerhalb von 12 Monaten nach der Aufnahme oder Ausweitung der unternehmerischen Tätigkeit überschritten wird (Art. 14 Abs. 3 MWSTG bzw. Art. 28 Abs. 1 und 2 aMWSTG).
Urteil des BVGer A-5345/2018 vom 3. Oktober 2019 E. 2.3.1). Allerdings kann die ESTV bei steuerpflichtigen Personen Kontrollen durchführen (Art. 78 MWSTG bzw. Art. 62 aMWSTG). Solche Kontrollen sind (neurechtlich) innert 360 Tagen seit der Ankündigung mit einer Einschätzungsmitteilung abzuschliessen, wobei darin der Umfang der Steuerforderung für den kontrollierten Zeitraum festgehalten wird (Art. 78 Abs. 5 MWSTG; vgl. Urteil des BGer 2C_326/2015 vom 24. November 2016 E. 3.2).
E. 2.4.2, A-2496/2020 vom 18. November 2020 E. 2.3.2, je mit Hinweisen; BEATRICE BLUM, in: Geiger/Schluckebier [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2. Aufl. 2019 [nachfolgend: Kommentar MWSTG 2019], Art. 70 N 4 f.).
Nach der Rechtsprechung ist die steuerpflichtige Person selbst bei geringem Barverkehr zur Führung zumindest eines einfachen ordentlichen Kassabuchs verpflichtet. Soll ein Kassabuch für die Richtigkeit des erfassten Bargeldverkehrs Beweis erbringen, ist zu verlangen, dass darin die Bareinnahmen und -ausgaben fortlaufend, lückenlos und zeitnah aufgezeichnet werden und durch Kassenstürze regelmässig – in bargeldintensiven Betrieben täglich – kontrolliert werden. Nur auf diese Weise ist gewährleistet, dass die erfassten Bareinnahmen vollständig sind, das heisst den effektiven Bareinnahmen entsprechen. Die zentrale Bedeutung eines korrekt geführten Kassabuchs ist allen Steuerarten gleichermassen eigen (Urteile des BGer 2C_950/2015 vom 11. März 2016 E. 4.3, 2C_206/2012 vom 6. September 2012 E. 2.2, 2C_835/2011 vom 4. Juni 2012 E. 2.2.2; Urteil des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.4.3 mit Hinweisen; JÜRG STEIGER, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2015 [nachfolgend: Kommentar MWSTG 2015], Art. 79 N 12).
Wer einen bargeldintensiven Betrieb unterhält und weder tägliche Kassenstürze vornimmt noch überhaupt ein tagfertiges Kassabuch führt, nimmt billigend in Kauf, dass eine Unterbesteuerung eintritt und akzeptiert eine Ermessenseinschätzung (Urteile des BGer 2C_885/2019 vom 5. März 2020 E. 5.2, 2C_530/2019 vom 23. Januar 2020 E. 4.3.1; Urteil des BVGer
A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.4.3).
Art. 60 aMWSTG bzw. Art. 79 Abs. 1 MWSTG unterscheiden zwei voneinander unabhängige Konstellationen, in welchen die ESTV die Steuerforderung nach pflichtgemässem Ermessen schätzt (sog. Ermessenseinschätzung).
Zum anderen kann selbst eine formell einwandfreie Buchführung die Durchführung einer Schätzung erfordern, wenn die ausgewiesenen Ergebnisse mit dem wirklichen Sachverhalt offensichtlich nicht übereinstimmen (Verstoss gegen die materiellen Buchführungsregeln). Dies ist nach der Rechtsprechung dann der Fall, wenn die in den Büchern enthaltenen Geschäftsergebnisse von den von der Steuerverwaltung erhobenen branchenspezifischen Erfahrungszahlen wesentlich abweichen und die kontrollierte Person nicht in der Lage ist, allfällige besondere Umstände, aufgrund welcher diese Abweichungen erklärt werden können, nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen (vgl. Urteil des BGer 2C_265/2018 vom 19. August 2019 E. 4.3; Urteile des BVGer A-4544/2019, A-4545/2019 vom 5. Mai 2020 E. 2.5.2, A-7088/2016 vom 11. Dezember 2017 E. 2.4.2, je mit Hinweisen).
pflichtgemässem Ermessen vorzunehmen. Die ESTV hat dabei alle Umstände zu beachten, von denen sie Kenntnis hat. Wohl hat die Steuerbehörde eine vorsichtige Schätzung anzustellen, doch ist sie nicht verpflichtet, im Zweifelsfall die für die steuerpflichtige Person günstigste Annahme zu treffen. Im Gegenteil, es soll vermieden werden, dass Steuerpflichtige, die ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen, am Ende bessergestellt werden als solche, die es tun. Die Verletzung von Verfahrenspflichten darf sich nicht lohnen. Fälle, in denen die Steuerpflichtigen ihre Mitwirkungspflichten nicht wahrnehmen bzw. keine, unvollständige oder ungenügende Aufzeichnungen über ihre Umsätze (bzw. hinsichtlich der Feststellung oder Überprüfung der Steuerpflicht) führen, dürfen keine Steuerausfälle zur Folge haben (vgl. Urteile des BGer 2C_885/2019 vom 5. März 2020 E. 6.1, 2C_1077/2012, 2C_1078/2012 vom 24. Mai 2014 E. 2.3; Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai 2021 E. 2.5.2, A-5551/2019 vom 14. Ja-
nuar 2021 E. 2.5.2, A-2496/2020 vom 18. November 2020 E. 2.3.4).
TVA et taxation par estimation, in: Archiv für schweizerisches Abgaberecht [ASA] 69, S. 530 ff.). Nach der Rechtsprechung ist auch zulässig, dass die ESTV eine Prüfung der Verhältnisse während eines Teils der Kontrollperiode vornimmt und in der Folge das Ergebnis auf den gesamten kontrollierten Zeitraum umlegt bzw. hochrechnet (sog. Umlageverfahren), vorausgesetzt die massgebenden Verhältnisse im eingehend kontrollierten Zeitabschnitt seien ähnlich wie in der gesamten Kontrollperiode (vgl. statt vieler: Urteil des BVGer A-4544/2019, A-4545/2019 vom 5. Mai 2020 E. 2.6.3 mit Hinweisen).
Erfahrungszahlen sind Ergebnisse, die aus zuverlässigen Buchhaltungen gewonnen und nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten statistisch verarbeitet werden. Sie sind keine Rechtssätze und auch keine Beweismittel (solange sie nicht z.B. durch ein Sachverständigengutachten erwiesen sind), die den ordnungsgemäss geführten Geschäftsbüchern gleichgestellt wären (MARTIN ZWEIFEL/SILVIA HUNZIKER, Beweis und Beweislast im Steuerverfahren bei der Prüfung von Leistung und Gegenleistung unter dem Gesichtswinkel des Drittvergleichs [«dealing at arm's length»], in: ASA 77,
S. 665 und 679 f., mit weiteren Hinweisen; Urteile des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.4, A-1133/2018 vom 26. September 2018
E. 2.7.1).
Erfahrungszahlen drücken Gesetzmässigkeiten in den Verdienstverhältnissen einzelner Branchen aus. Diese Funktion kommt ihnen aber nur dann zu, wenn sie auf einer sicheren Grundlage beruhen (ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., S. 679 f.). Sollen Erfahrungswerte Aufschluss über durchschnittliche Umsatzziffern geben, müssen sie breit abgestützt sein und sollten nebst der Betriebsstruktur und den regionalen Gegebenheiten auch die Betriebsgrösse berücksichtigen (MOLLARD, a.a.O., S. 553). Mit anderen Worten müssen sie aufgrund umfassender, repräsentativer, homogener und aktueller Stichproben gewonnen werden. Das verlangt, dass sie aufgrund einer genügenden Anzahl von Fällen ermittelt werden. Der Stichprobenumfang lässt sich nicht in einer absoluten Zahl bestimmen, welche für alle Branchen gültig wäre. Die Wahl der Stichproben darf nicht einseitig nur günstige oder ungünstige Verhältnisse betreffen. Sie muss alle Verhältnisse in angemessener Anzahl umfassen, um repräsentative Ergebnisse ermitteln zu können (BVGE 2009/60 E. 2.8.2; Urteile des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.4, A-3821/2017 vom 24. April
2019 E. 2.4.3 [bestätigt durch Urteil des BGer 2C_530/2019 vom 23. Januar 2020]; ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., S. 679 f.).
Aus der Begründungspflicht folgt, dass die Steuerbehörde der steuerpflichtigen Person die Grundlagen der Erfahrungszahlen kundzugeben hat
(ZWEIFEL/HUNZIKER, a.a.O., S. 682). Insbesondere hat die Behörde der steuerpflichtigen Person die Art und Weise, wie die Ermessensveranlagung zustande gekommen ist (umfassend auch die Zahlen und Erfahrungswerte), bekannt zu geben. Sodann hat sie zu erläutern, dass die zum Vergleich herangezogenen Betriebe nicht nur der gleichen Branche entstammen wie das eingeschätzte (gegebenenfalls) steuerpflichtige Unternehmen, sondern auch in anderer Hinsicht vergleichbar sind, wie zum Beispiel betreffend Standort, Betriebsgrösse, Kundenkreis usw. Nur so ist es der steuerpflichtigen Person möglich, die Veranlagung sachgerecht anzufechten (BVGE 2009/60 E. 2.8.4; Urteile des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.4, A-5892/2018 vom 4. Juli 2019 E. 2.7.3, je mit
weiteren Hinweisen).
Da es sich bei Erfahrungszahlen prinzipiell um Durchschnittswerte handelt, dürfen sie im Einzelfall nicht lediglich in schematischer Weise angewendet werden. In Ausübung des pflichtgemässen Ermessens muss bei der Anwendung von Erfahrungszahlen deshalb deren Streubreite (zwischen Maximalund Minimalwert) beachtet werden, wenn eine den individuellen Verhältnissen gerecht werdende Schätzung erfolgen soll. Inwiefern die Verwaltung ihr Ermessen ausgeübt hat, ist in der Entscheidbegründung darzulegen (BVGE 2009/60 E. 2.8.4; Urteile des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.4, A-3821/2017 vom 24. April 2019 E. 2.4.3 [bestä-
tigt durch Urteil des BGer 2C_530/2019 vom 23. Januar 2020], je mit Hinweisen).
Das Bundesverwaltungsgericht überprüft das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vornahme einer Ermessenstaxation uneingeschränkt. Bei der Überprüfung von zulässigerweise erfolgten Ermessensveranlagungen auferlegt sich das Bundesverwaltungsgericht als ausserhalb der Verwaltungsorganisation und Behördenhierarchie stehendes, von der richterlichen Unabhängigkeit bestimmtes Gericht trotz des möglichen Rügegrundes der Unangemessenheit (vgl. oben E. 1.4) eine gewisse Zurückhaltung und reduziert dergestalt seine Prüfungsdichte. Grundsätzlich setzt das Bundesverwaltungsgericht nur dann sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz, wenn dieser bei der Schätzung erhebliche Ermessensfehler unterlaufen sind. Diese Praxis wurde vom Bundesgericht wiederholt bestätigt (vgl. Urteile des BGer 2C_950/2015 vom 11. März 2016 E. 4.5, 2C_970/2012 vom 1. April 2013 E. 4.3, 2C_426/2007 vom
22. November 2007 E. 4.3; Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai
2021 E. 2.5.4, A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.5, A-5892/2018
vom 4. Juli 2019 E. 2.8.1).
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Ermessenseinschätzung ist nach der allgemeinen Beweislastregel die ESTV beweisbelastet (oben E. 1.7). Sind die Voraussetzungen erfüllt («erste Stufe») und erscheint die vorinstanzliche Schätzung nicht bereits im Rahmen der durch das Bundesverwaltungsgericht mit der gebotenen Zurückhaltung (oben
E. 3.5.5) vorzunehmenden Prüfung als pflichtwidrig («zweite Stufe»), obliegt es – in Umkehr der allgemeinen Beweislast – der steuerpflichtigen Person, den Nachweis für die Unrichtigkeit der Schätzung zu erbringen («dritte Stufe»; vgl. Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai 2021 E. 2.5.5, A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.6).
Weil das Ergebnis der Ermessensveranlagung selbst auf einer Schätzung beruht, kann sich die steuerpflichtige Person gegen eine zulässigerweise durchgeführte Ermessenseinschätzung nicht mit allgemeiner Kritik zur Wehr setzen. Namentlich kann sie sich nicht darauf beschränken, die Kalkulationsgrundlagen der Ermessenseinschätzung pauschal zu kritisieren. Vielmehr hat sie anhand von Belegen nachzuweisen, dass die von der ESTV vorgenommene Schätzung offensichtlich unrichtig ist (Urteile des BGer 2C_950/2015 vom 11. März 2016 E. 4.6, 2C_1077/2012,
2C_1078/2012 vom 24. Mai 2014 E. 2.5; Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai 2021 E. 2.5.5, A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.6). Ge-
lingt es der steuerpflichtigen Person nicht, zu beweisen, dass das Ergebnis der Ermessenseinschätzung klarerweise nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt, hat sie die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen und es bleibt bei der bisherigen Schätzung. Dies ist das Resultat einer Situation, die sie letztlich selber zu vertreten hat. Die steuerpflichtige Person muss somit die Ungewissheit tragen, die eine Schätzung zwangsläufig mit sich bringt (Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai 2021 E. 2.5.5, A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.6).
31. Dezember 2011 auf 4.5 %. Ab dem 1. Januar 2012 beträgt er noch 4 % (Art. 108 Bst. a MWSTG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 Bst. a-c der Verordnung des EFD vom 11. Dezember 2009 über die Verzugsund die Vergütungszinssätze [SR 641.207.1]). Vom 20. März 2020 bis zum 31. Dezember 2020 ist
bei verspäteter Zahlung der Mehrwertsteuer allerdings kein Verzugszins geschuldet (Art. 2 der Verordnung vom 20. März 2020 über den befristeten Verzicht auf Verzugszinsen bei verspäteter Zahlung von Steuern, Lenkungsabgaben und Zollabgaben sowie Verzicht auf die Darlehensrückerstattung durch die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit [AS 2020 861; in Kraft vom 21. März 2020 bis 31. Dezember 2020]). Sind mehrere Abrechnungsperioden betroffen, wird der Verzugszins praxisgemäss ab dem mittleren Verfall erhoben (Urteile des BVGer A-2589/2020 vom 3. Mai 2021 E. 2.6, A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 2.5.6).
Die Ankündigung der ersten Kontrolle erfolgte am 14. Juni 2012 während die Ermessenseinschätzung vom 23. Mai 2014 datiert. Die Frist von 360 Tagen gemäss Art. 78 Abs. 5 MWSTG, innert welcher eine Kontrolle mittels Einschätzungsmitteilung abzuschliessen ist, wurde vorliegend unbestrittenermassen deutlich überschritten. Die Beschwerdeführerin kann daraus in der vorliegenden Sache jedoch nichts zu ihren Gunsten ableiten, da es sich bei der genannten Frist – wie der Beschwerdeführerin auch selbst bekannt ist – um eine blosse Ordnungsfrist handelt (vgl. Botschaft des Bundesrates vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer [nachfolgend: Botschaft MWSTG], BBl 2008 6885, 7003). Jedenfalls kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die nachgeforderte Steuer nicht geschuldet wäre (vgl. Urteile des BVGer A-6223/2019 vom 24. Juli 2020 E. 3.2.3, A-5059/2014 vom 26. Februar 2015 E. 5.6 [bestätigt durch Urteil des BGer 2C_321/2015 vom 22. Dezember 2015]).
Bezüglich dieser Vorbringen der Beschwerdeführerin hat bereits das Bundesgericht festgehalten, dass die «angebliche Ahnungslosigkeit über die geschäftlichen Vorgänge» bei der Rechtsvorgängerin konstruiert und höchst unglaubwürdig wirke. Von einer Verkürzung des Rechtswegs, wie die Beschwerdeführerin beanstande, könne keine Rede sein. Die Beschwerdeführerin sei im Zuge der Steuernachfolge anstelle der Rechtsvorgängerin in das Verfahren eingetreten und habe sich etwaige prozessuale Unterlassungen der Rechtsvorgängerin anrechnen zu lassen (zum Ganzen: Urteil des BGer 2C_1002/2020 vom 28. Dezember 2020 E. 2.4 f.).
Im Hinblick auf die erfolgte Ermessenseinschätzung stellt sich zuerst die Frage, ob diese zurecht erfolgt ist (E. 6.1 ff.). Wird dies bejaht, ist sodann zu klären, ob die Vorinstanz bei der Ermessenseinschätzung pflichtgemäss vorgegangen ist (E. 7). Gegebenenfalls wäre im Anschluss zu prüfen, ob der Beschwerdeführerin der Nachweis für die Unrichtigkeit der Schätzung im geforderten Ausmass gelingt (E. 8).
Hinzu komme, dass der Treibstoffaufwand in Relation zu den verbuchten Umsätzen (mit Ausnahme des Jahres 2012) überdurchschnittlich hoch sei und stark von den vorhandenen Erfahrungswerten abweiche. Die Vorinstanz geht davon aus, dass der hohe Treibstoffaufwand (im Verhältnis
zum Umsatz) das Resultat von nicht verbuchten Umsätzen ist, und leitet daraus ab, dass auch aus diesem Grund die Voraussetzung für eine Schätzung der Steuerforderung nach pflichtgemässem Ermessen gegeben ist.
Die Beschwerdeführerin bestreitet eine fehlerhafte Buchhaltung und hält dafür, dass ihr Rechnungswesen – beurteilt nach dem alten Rechnungslegungsrecht – klar und übersichtlich sei. Das Rechnungswesen habe «alle notwendigen und relevanten Informationen über den Geschäftsbetrieb klar nachgewiesen». Allein der Umstand, dass der Lohn des Geschäftsführers nur einmal jährlich gebucht worden sei, stelle für sich allein betrachtet die Massgeblichkeit von Bilanz und Erfolgsrechnung nicht in Frage. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sei auch während der gesamten Periode 2007 bis 2012 ein Kassabuch geführt worden und sämtliche Grundaufschriebe seien vollständig vorhanden gewesen. Die Vorinstanz erkläre nicht, «welche Fehlmenge hier angeblich bestehen soll[e], noch weis[e] sie nach, dass etwaige Fehler die Massgeblichkeit der Geschäftsbücher als Ganzes in Frage zu stellen» vermögen.
Die Beschwerdeführerin muss sich insbesondere entgegenhalten lassen, dass sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin sich trotz Nachfrage der ESTV mehrmals weigerte, die Unterlagen für die Jahre 2007 bis 2010 für eine (neuerliche) Prüfung vorzulegen. Die ESTV hat die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 6. März 2014 gar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie allenfalls eine Ermessenseinschätzung vornehmen müsse, wenn diese die Unterlagen nicht zur Einsicht vorlege (oben Sachverhalt Bst. B.a). Die Beschwerdeführerin bzw. deren Rechtsvorgängerin war gemäss Art. 68 Abs. 1 MWSTG bzw. Art. 57 Abs. 1 aMWSTG zur Auskunft verpflichtet. Aus der Tatsache, dass die (neurechtliche) Frist von 360 Tagen zum Abschluss der Kontrolle gemäss Art. 78 Abs. 5 MWSTG bereits deutlich überschritten war, kann sie wie erwähnt nichts zu Ihren Gunsten
ableiten, zumal es sich bei dieser Frist um eine Ordnungsvorschrift handelt (oben E. 4).
Zusammengefasst ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin bzw. deren Rechtsvorgängerin kein tagfertiges Kassabuch geführt hat. Des Weiteren steht aktenkundig fest, dass sie sich geweigert hat, ein allfälliges Kassabuch und weitere Unterlagen für die Steuerperioden 2007 bis 2010 vorzulegen. Dieses Verhalten der Rechtsvorgängerin hat sich die Beschwerdeführerin ohne Weiteres anrechnen zu lassen. Bereits angesichts dieser Umstände war die Vorinstanz berechtigt und verpflichtet, eine Ermessenseinschätzung vorzunehmen (vgl. Urteile des BVGer A-5551/2019 vom 14. Januar 2021 E. 3.2.1, A-7215/2014 vom 2. September 2015 E. 3.4 [bestätigt durch Urteil des BGer 2C_950/2015 vom 11. März 2016], A-825/2013 vom 16. Oktober 2013 E. 3.1.3, A-665/2013 vom 10. Oktober
2013 E. 3.1.2, A-6544/2012 vom 12. September 2013 E. 4.2.1).
In diesem Zusammenhang verfängt auch die Argumentation der Beschwerdeführerin nicht, sie habe ihre Geschäftsbücher gemäss dem alten Rechnungslegungsrecht korrekt geführt. Die Anforderung betreffend Führung eines tagfertigen Kassabuchs hat ihre Grundlage im Mehrwertsteuerrecht und gilt rechtsprechungsgemäss sowohl für den Anwendungsbereich des aMWSTG als auch des MWSTG (vgl. Urteile des BVGer A-5551/2019 vom
2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | ||
Entgelte Taxibetrieb und Shuttle (in Fr.) | 287'349 | 412'499 | 384'103 | 373'699 | 345'779 | 469'948 | |
Treibstoffaufwand (in Fr.) | 57'641 | 76'572 | 64'273 | 65'947 | 65'725 | 61'584 | |
Treibstoffe in % vom Umsatz | 20.1 | 18.6 | 16.7 | 17.6 | 19.0 | 13.1 |
Für die Schätzung wählte die Vorinstanz den tiefsten resultierenden Wert von 13.1 % (Jahr 2012) mit der Begründung, dieser liege als einziger in der Streubreite der vorhandenen Erfahrungswerte zwischen 4.9 % und 14.6 %. Mit dem Treibstoffaufwand aus den Jahren 2007 bis 2011 und dem Wert von 13.1 % berechnete die Vorinstanz die jeweiligen Entgelte. Laut Vorinstanz war eine Schätzung mittels den geschäftlich gefahrenen Kilometern und einem durchschnittlichen Umsatz pro Kilometer aufgrund fehlender Unterlagen nicht möglich.
Vorweg hat sich die Vorinstanz bei der vorliegenden Schätzung auf Erfahrungszahlen abgestützt, was rechtsprechungsgemäss nicht zu beanstanden ist (vgl. oben E. 3.5.4). Die Erfahrungszahlen stammen von Taxibetrieben aus vergleichbaren Regionen wie Bern, Basel-Stadt, Graubünden, Genf oder Zürich. Gerade in Städten ist von einer ähnlichen Konkurrenzsituation auszugehen wie in […].
Dass die Vorinstanz jenen Wert heranzog, welcher als einziger in der Streubreite von 4.9 % bis 14.6 % lag, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz bediente sich damit den vorhandenen Erfahrungswerten aus zuverlässigen Buchhaltungen und berücksichtigte gleichzeitig die individuellen Verhältnisse der Beschwerdeführerin, indem sie deren Daten aus dem Jahr 2012 als Grundlage für die Schätzung heranzog.
Wie aus dem Aktenverzeichnis zur Akteneinsicht im vorinstanzlichen Verfahren und der Bestätigung der Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen vom 12. August 2016 hervorgeht, lagen die herangezogenen Erfahrungswerte der Beschwerdeführerin spätestens am 9. August 2016 vor. Im Übrigen legte die Vorinstanz das Vorgehen zur Schätzung im angefochtenen Entscheid schlüssig dar.
Zusammengefasst hat die Vorinstanz ihr Vorgehen zur ermessenweisen Schätzung des Umsatzes der Beschwerdeführerin angemessen erläutert und begründet. Insbesondere lagen der Beschwerdeführerin die Erfahrungswerte vor. Insgesamt erscheint die Ermessenseinschätzung der Vorinstanz als pflichtgemäss und ist nicht zu beanstanden.
Die bisherigen Ausführungen ergeben, dass die Vorinstanz zur Vornahme einer Ermessenseinschätzung berechtigt war (E. 6) und dabei pflichtgemäss vorgegangen ist (E. 7). Unter diesen Umständen ist nun zu untersuchen, ob es der Beschwerdeführerin gelingt, nachzuweisen, dass die Schätzung der Vorinstanz offensichtlich unrichtig ist (vgl. oben E. 3.5.6).
Die Beschwerdeführerin hält im Wesentlichen dafür, die Vorinstanz sei eine Erläuterung schuldig geblieben, weshalb der Treibstoffverbrauch aus dem Jahr 2012 als «alleingültiger Prozentsatz» angewendet werden soll. Es sei unerklärlich, weshalb die Vorinstanz weder den «Medianwert von 17.56 %» noch den höchsten Erfahrungswert (14.6 %) eingesetzt
habe. Da sie (die Beschwerdeführerin) vornehmlich Fahrzeuge mit hohem Treibstoffverbrauch einsetze, unterscheide sie sich von anderen Taxibetrieben, welche ihre Fahrzeuge mit Gasoder Elektroenergie betrieben. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin wäre deshalb ein sorgfältigeres Abwägen und keine grobe Pauschalschätzung angezeigt gewesen. Die Aufrechnungsmethode der ESTV führe zu «komplett und offenkundig unrealistischen Umsatzrenditen» von 15.1 % bis 29.1 %.
Entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin legte die Vorinstanz verständlich dar, weshalb sie auf das Umsatz-Treibstoffverbrauch-Verhältnis aus dem Jahr 2012 abstellte. Einerseits war eine Ermessenseinschätzung anhand der gefahrenen Kilometer aufgrund fehleroder mangelhafter Daten nicht möglich. Anderseits liegt das Umsatz-Treibstoffverbrauch-Verhältnis aus dem Jahr 2012 als einziges der gestützt auf die Daten der Beschwerdeführerin errechneten Werte innerhalb der Streubreite der Erfahrungswerte.
Mit der Anwendung dieses Verhältnisses nahm die Vorinstanz gleichzeitig Rücksicht auf die individuellen Gegebenheiten der Beschwerdeführerin. Dass die Schätzung zumindest nicht zu Ungunsten der Beschwerdeführerin ausgefallen ist, zeigt ein Blick auf das durchschnittliche Umsatz-Treibstoffverbrauch-Verhältnis gemäss den Erfahrungswerten von 8.6 % bzw. den Median von 8.1 % (d.h. die eine Hälfte der Erfahrungswerte ist grösser und die andere kleiner als 8.1 %). So liegt der vorliegend verwendete Wert von 13.1 % über 50 % und somit deutlich über dem Durschnitt bzw. Median der Erfahrungswerte.
Dass die Vorinstanz nicht auf den Median der Daten der Beschwerdeführerin abgestellt hat, wie dies selbige anregt, ist nicht zu beanstanden. Gerade bei mehreren Werten, welche deutlich über den Erfahrungswerten liegen, wäre diese Methode nicht zweckmässig. Ein Steuerpflichtiger, welcher konsequent zu tiefe Umsätze angäbe, würde von einem deutlich zu hohen Umsatz-Treibstoffverbrauch-Verhältnis und einem entsprechenden Medianwert profitieren. Dies steht dem Aspekt der Gleichbehandlung im Mehrwertsteuerrecht entgegen (vgl. Art. 1 Abs. 3 MWSTG; FELIX GEIGER, Kommentar MWSTG 2019, Art. 1 N 29 ff.). Ausserdem soll im Rahmen einer Ermessenseinschätzung eine Besserstellung der fehlbaren Steuerpflichtigen gegenüber den getreuen vermieden werden (vgl. oben E. 3.5.2).
Der Beschwerdeführerin gelingt es überdies auch mit dem pauschalen Verweis auf einen überdurchschnittlichen Treibstoffverbrauch, viele Leerfahrten oder den Fahrstil der Fahrer nicht, zu erklären und nachzuweisen, weshalb der Treibstoffverbrauch in den vorliegend strittigen Jahren (insbesondere im Vergleich zum Jahr 2012) teilweise markante Schwankungen aufweist. Beispielsweise beträgt die Differenz zwischen den Jahren 2007 und 2009 3.4 % bzw. zwischen den Jahren 2007 und 2012 gar 7 % (oben
E. 7.1).
Bezüglich der «komplett und offenkundig unrealistischen Umsatzrenditen» bleibt anzufügen, dass der Bruttogewinn (Umsatz abzüglich Materialund Lohnkosten) bei den Erfahrungswerten durchschnittlich doch 40.9 % des Umsatzes ausmacht (Streubreite: 27.0 % – 68.8 %). Die von der Beschwerdeführerin errechneten und als unrealistisch bezeichneten Umsatzrenditen vermögen die Ermessenseinschätzung für sich allein somit nicht in Zweifel zu ziehen.
Insgesamt ist es folglich nicht zu beanstanden, dass sich die Vorinstanz bei ihrer Schätzung auf die Werte aus dem Jahr 2012 gestützt hat.
Zusätzlich begründet die Beschwerdeführerin fehlende Umsätze damit, dass gewisse Taxifahrer im Jahr 2011 Einnahmen nicht abgeliefert hätten. Einnahmen gemäss Fahrtenabrechnungen in der Höhe von insgesamt Fr. 10'827.35 seien nicht verbucht worden, «weil die fraglichen Gelder nie in die Verfügungsgewalt» der Beschwerdeführerin bzw. der Rechtsvorgängerin gelangt seien. Solche veruntreuten Gelder seien letztlich nichts anderes als Verluste, welche zu einer zwingenden Korrektur der Mehrwertsteuer führen müssten.
Die Beschwerdeführerin verkennt, dass sie sich das Verhalten ihrer Taxifahrer im Sinne von Hilfspersonen anrechnen lassen muss (vgl. Urteil des BGer 4A_397/2019 vom 1. Juli 2020 E. 6.2 [nicht publiziert in BGE 146 III 362]; ROLF WATTER, in: Widmer Lüchinger/Oser [Hrsg.], Basler Kom-
mentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl. 2020, Art. 32 N 23). Gemäss bestimmten Fahrtenabrechnungen wurden die betreffenden Leistungen erbracht und das Entgelt auch tatsächlich empfangen durch die Arbeitnehmenden der Beschwerdeführerin (vgl. oben E. 3.3). Wenn das Entgelt in der Folge nicht ordnungsgemäss abgeliefert wurde, so hat dies keinen Einfluss auf dessen Höhe. Insbesondere ist eine gesellschaftsinterne Veruntreuung von Einnahmen nicht gleichzusetzen mit Debitorenverlusten. In letzterem Fall wird nur ein Teil des Entgeltes empfangen bzw. begleicht der Debitor seine Forderung nicht. Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Fahrgäste (Debitoren) ihren Verpflichtungen nachgekommen sind und die Arbeitnehmenden der Beschwerdeführerin das Entgelt auch tatsächlich in voller Höhe empfangen haben.
Mithin kann der Argumentation der Beschwerdeführerin in diesem Punkt ebenfalls nicht gefolgt werden.
4.0 % bis 5.0 % unter keinem Gesichtspunkt als verhältnismässig zu beurteilen.
Art. 108 Bst. a MWSTG bzw. Art. 90 Abs. 3 Bst. b aMWSTG überträgt die Kompetenz zur Festlegung von Verzugsund Vergütungszinssätzen dem Eidgenössischen Finanzdepartement (nachfolgend: EFD). Laut Botschaft zu Art. 108 Bst. a MWSTG schreibt die Bestimmung dem EFD vor, die Zinsen regelmässig an die Marktverhältnisse anzupassen (Botschaft MWSTG, BBl 2008 6885, 7024). Betreffend das Zinsniveau wird in der Botschaft ausgeführt: «Heute liegen diese Zinssätze generell bei 5 Prozent, was bei einer Tiefzinsphase zu hoch ist, womit die Zinssätze den Charakter eines Strafzinses erhalten.» (Botschaft MWSTG, BBl 2008 6885, 7024; vgl. auch GEIGER, Kommentar MWSTG 2019, Art. 108 N 6, nach dessen Auffassung sich das EFD den Vorwurf gefallen lassen müsse, den Willen des Gesetzgebers zu missachten, indem es den Verzugsund Vergütungszinssatz seit dem 1. Januar 2012 unverändert bei 4.0 % belassen habe).
Verzugszinsen bezwecken neben dem pauschalen Ausgleich von Zinsgewinn und –verlust auch die Abgeltung des administrativen Aufwands für die verspätete bzw. nachträgliche Erhebung der Abgaben und der Verzugszinsen selbst (vgl. BGE 139 V 297 E. 3.3.2.2; Urteile des BVGer C-4681/2019 vom 12. Mai 2021 E. 5.3.1, A-349/2019 vom 22. August 2019
E. 2.2.5). Wie das Bundesgericht festhält, weist der Verzugszins keinen pönalen Charakter auf (BGE 139 V 297 E. 3.3.2.2), weshalb auch dieses administrative Zinselement keine Strafe darstellt.
Mithin stellt der Marktzins nur eine Komponente des Verzugszinses dar, was bei der Festlegung bzw. Prüfung des Verzugszinses zu berücksichtigen ist.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass bei der Mehrwertsteuer das Selbstveranlagungsprinzip Anwendung findet und die Steuer 60 Tage nach Ablauf der Steuerperiode ohne Weiteres fällig wird (oben E. 3.4.1 und 3.6). Ein regelmässig tieferer Ausgleichsoder Vergütungszins, wie ihn der Bund und gewisse Kantone bis zur definitiven Veranlagung bzw. Schlussrechnung der Einkommensund Vermögenssteuern vorsehen (Art. 163 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer [DBG, SR 642.11] i.V.m. der Verordnung des EFD vom 10. Dezember 1992 über Fälligkeit und Verzinsung der direkten Bundessteuer [SR 642.124]; siehe z.B. Beschluss des Regierungsrates [des Kantons Zürich] vom 11. Juli 2007 über die Festsetzung und Berechnung der Zinsen für die Staatsund Gemeindesteuern, LS 631.611; Regierungsbeschluss [des Kantons St. Gallen] vom 6. Dezember 2016 über die Ausgleichs-, Verzugsund Rückerstattungszinsen für Steuerbeträge, sGS 811.14), findet deshalb im Mehrwertsteuerrecht keine Anwendung.
Ein Blick auf die von den Kantonen erhobenen Verzugszinsen bei den kantonalen und kommunalen Einkommensund Vermögenssteuern zeigt, dass der durchschnittliche Wert in den Jahren 2011 bis 2021 nahe bei 4 % liegt (mit Ausnahme des Jahres 2020, in welchem grösstenteils [auch bei der Mehrwertsteuer; vgl. oben E. 3.6] auf Verzugszinsen verzichtet wurde). In diesem Rahmen erscheinen die Verzugszinsen im Mehrwertsteuerrecht nicht als unzulässig überhöht, sondern durchaus als «marktgerecht».
Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin spätestens seit dem
13. Mai 2016 – und dem entsprechenden schriftlichen Hinweis der
Vorinstanz – die Möglichkeit gehabt hätte, die bestrittene Forderung vorbehältlich der gerichtlichen Überprüfung zu bezahlen, um einen Verzugszins zu verhindern. Die Beschwerdeführerin wurde auch darauf hingewiesen, dass die bezahlte Steuer im Falle ihres Obsiegens samt Vergütungszins (in derselben Höhe wie der Verzugszins) zurückerstattet würde.
Insgesamt erweist sich der anwendbare Verzugszins unter Berücksichtigung der administrativen Komponente entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin und auch gewisser Lehrmeinungen nicht als unverhältnismässig. Insbesondere hält er einem Vergleich mit den von den Kantonen angewendeten Verzugszinsen stand.
Im öffentlichen Recht und damit auch im Steuerrecht führt der Eintritt der Verjährung zum Untergang der Forderung. Dies im Gegensatz zum Zivilrecht, in welchem der Eintritt der Verjährung lediglich die Durchsetzbarkeit einer Forderung betrifft (BVGE 2009/12 E. 6.3.2.1 ff.). Die Verjährung einer Mehrwertsteuerforderung ist von Amtes wegen zu prüfen, wenn das Gemeinwesen Gläubiger der Forderung ist (BGE 133 II 366 E. 3.3; Urteil des BGer 2C_844/2017 vom 17. August 2018 E. 2.3.3; BVGE 2009/12 E. 6.3.1).
Die Verjährung ist ein Institut des materiellen Rechts, weshalb sich die Verjährung der Steuerforderung unter Vorbehalt abweichender Übergangsbestimmungen grundsätzlich nach demjenigen Recht beurteilt, das im Zeitpunkt ihrer Entstehung Geltung hatte (oben E. 1.3.3; Urteil des BVGer A-5410/2016 vom 8. November 2017 E. 2.2).
Gemäss dem aMWSTG verjährt die Mehrwertsteuerforderung fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden ist (relative Verjährung; Art. 49 Abs. 1 aMWSTG). Der Lauf der Verjährungsfrist wird durch jede Einforderungshandlung und jede Berichtigung durch die zuständige Behörde gegenüber allen Zahlungspflichtigen unterbrochen (Art. 49 Abs. 2 und 3 aMWSTG). Die Steuerforderung verjährt gemäss Art. 49 Abs. 4 aMWSTG in jedem Fall 15 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem sie entstanden ist (absolute Verjährung).
oder Korrektur der Steuerforderung gerichtete empfangsbedürftige schriftliche Erklärung, eine Verfügung, einen Einspracheentscheid, ein Urteil, eine Ankündigung einer Kontrolle oder den Beginn einer unangekündigten Kontrolle unterbrochen (Art. 42 Abs. 2 MWSTG). Mit dem Unterbruch beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen und beträgt neu zwei Jahre (Art. 42 Abs. 3 MWSTG). Das Recht, die Steuerforderung festzusetzen, verjährt in jedem Fall zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, in der die Steuerforderung entstanden ist (absolute Verjährung; Art. 42 Abs. 6 MWSTG).
Die Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2007 bis 2009 wären frühestens fünf Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, in der sie entstanden sind, und somit am 1. Januar 2013 relativ verjährt. Mit dem Schreiben vom
24. Juni 2012 zur Ankündigung der Kontrolle wurde die Verjährungsfrist unterbrochen. Erneut unterbrochen wurde die Verjährungsfrist unter anderem durch die Einschätzungsmitteilung der ESTV vom 23. Mai 2014, die Verfügung der ESTV vom 5. April 2016, den vorinstanzlichen Einspracheentscheid vom 11. September 2017, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2018 (A-5649/2017, A-5657/2017) sowie das Urteil des Bundesgerichts vom 21. Februar 2020 (2C_923/2018). Die relative Verjährungsfrist ist somit nicht verstrichen.
Die absolute Verjährung der Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2007 bis 2009 tritt frühestens am 1. Januar 2023 ein.
Mithin sind die Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2007 bis 2009 weder relativ noch absolut verjährt.
Die Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2010 bis 2012 wären ebenfalls frühestens fünf Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, in der sie entstanden sind, und somit am 1. Januar 2016 relativ verjährt. Mit dem Schreiben vom 24. Juni 2012 zur Ankündigung der Kontrolle wurde die Verjährungsfrist ein erstes Mal unterbrochen, wonach jeweils die zweijährige Verjährungsfrist zu laufen begann (vgl. oben E. 10.2.2). Letztere wurde unter anderem durch die Einschätzungsmitteilung der ESTV vom 23. Mai
2014, die Verfügung der ESTV vom 5. April 2016, den vorinstanzlichen Einspracheentscheid vom 11. September 2017, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. September 2018 (A-5649/2017, A-5657/2017) sowie das Urteil des Bundesgerichts vom 21. Februar 2020 (2C_923/2018) wiederholt unterbrochen. Die relative Verjährungsfrist ist somit nicht verstrichen.
Die absolute Verjährung der Mehrwertsteuerforderung aus dem Jahr 2010 trat am 1. Januar 2021 ein. Die entsprechende Forderung für das Jahr 2010 ist somit verjährt.
Die absolute Verjährung der Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2011 und 2012 tritt für das Jahr 2011 frühestens am 1. Januar 2022 und für
das Jahr 2012 frühestens am 1. Januar 2023 ein.
Mithin sind die Mehrwertsteuerforderungen aus den Jahren 2011 und 2012 weder relativ noch absolut verjährt. Die Forderung für das Jahr 2010 ist demgegenüber absolut verjährt.
Was die Beschwerdeführerin diesbezüglich vorbringt, verfängt nicht. Sie hält dafür, bezüglich der Festsetzungsverjährung könne nicht einfach auf Art. 112 Abs. 2 MWSTG abgestellt werden. Diese Bestimmung sei
«ausschliesslich für alte, noch hängige Verfahren bestimmt». Die Vorschrift umfasse als «verfahrenstypische Übergangsbestimmung Fälle, die teilweise unter alte[s] und teilweise unter neues Recht [fielen], jedoch dasselbe Rechtssubjekt [beträfen], die Parteien eine solche Rechtsfolge vereinbart [hätten] oder das Gesetz eine solche Folge» bestimme. In Bezug auf die Beschwerdeführerin habe es bis zum Entscheid des Bundesgerichts jedoch gar kein Verfahren gegeben, «erst recht nicht ein ‹hängiges› Verfahren». Hinzu komme, «dass die Beschwerdeführerin nicht Partei der Steuerperioden 2007 bis 2012» gewesen sei und sie zudem «Null Interesse [gehabt habe], Partei eines MWSt-Verfahrens einer anderen juristischen Person […] zu werden». Daraus schliesst die Beschwerdeführerin, dass es «mit dem Entscheid der ESTV vom 11. September 2017 um ein neu geschaffenes Verfahren [gehe], wofür selbstverständlich die neuen Verjährungsregeln zur Anwendung» gelängen.
Die Beschwerdeführerin verkennt indessen, dass für die Bestimmung des temporal anwendbaren Rechts nicht entscheidend ist, zu wel-
Ohnehin verfängt das Argument der Beschwerdeführerin nicht, mit den angefochtenen Einspracheentscheiden der Vorinstanz vom 11. September 2017 sei ein neues Verfahren geschaffen worden. Wie wiederholt dargelegt wurde, ist die Beschwerdeführerin im Zuge der Steuernachfolge anstelle der Rechtsvorgängerin mit allen Rechten und Pflichten in das Verfahren eingetreten (schon oben E. 5). Von einem neuem Verfahren kann deshalb keine Rede sein.
Insgesamt ist die Beschwerde in Bezug auf die Steuerperiode 2010 gutzuheissen, im Übrigen, das heisst bezüglich der Steuerperioden 2007 bis 2009 sowie 2011 und 2012, aber abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Die Verfahrenskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt; unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Insgesamt sind die Verfahrenskosten auf Fr. 5'500.-- festzusetzen (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) und der zu rund 94 % unterliegenden Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 5'150.-- aufzuerlegen. Letzterer Betrag ist dem geleisteten Kostenvorschuss von insgesamt Fr. 5'500.-- zu entnehmen. Der Restbetrag von Fr. 350.-- ist der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückzuerstatten.
Vorinstanzen sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 2 VwVG).
Die zu rund 6 % obsiegende Beschwerdeführerin hat im entsprechenden Umfang Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 Abs. 1 VGKE). Sie macht Kosten von insgesamt Fr. 9'360.-- (zzgl. MWST) geltend.
Nicht zu entschädigen ist von Vornherein die Mehrwertsteuer, da die Beschwerdeführerin als mehrwertsteuerpflichtige Person diese als Vorsteuer wieder geltend machen kann. Im Übrigen liegt die Höhe dieser Entschädigung etwa im Rahmen des jeweils praxisgemäss Festzusetzenden.
Bei einem Obsiegen der Beschwerdeführerin im Umfang von rund 6 % ist die Vorinstanz somit zu verpflichten, der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung in der Höhe von Fr. 550.-- zu bezahlen.
Für das Dispositiv wird auf die nächste Seite verwiesen.
Der Antrag auf Sistierung des Verfahrens wird als gegenstandslos geworden abgeschrieben.
Die Beschwerde wird in Bezug auf die Steuerperiode 2010 gutgeheissen, im Übrigen aber im Sinne der Erwägungen abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Verfahrenskosten werden der Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 5'150.-- auferlegt. Dieser Betrag wird dem von der Beschwerdeführerin einbezahlten Kostenvorschuss von Fr. 5'500.-- entnommen. Der Restbetrag von Fr. 350.-- wird ihr nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.
Die Vorinstanz wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung von Fr. 550.-- zu bezahlen.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)
die Vorinstanz (Ref-Nr. […]; Gerichtsurkunde)
Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Keita Mutombo Kevin Müller
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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