Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-4837/2024 |
Datum: | 09.08.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung (Wiedererwägung) |
Schlagwörter : | ändig; Eingabe; Bundesverwaltungsgericht; Recht; Revision; Behörde; Verfügung; Zuständigkeit; Verfahren; Nichteintreten; Beweismittel; Vorinstanz; Beschwerdeführers; Revisionsgesuch; Wegweisung; Wiedererwägungsgesuch; Nichteintretensentscheid; Verfahrens; Richter; Urteil; Bundesverwaltungsgerichts; Wiedererwägungsgesuch»; Ermittlungsverfahren; Gesuch; Türkei; Asylgesuch; Flüchtlingseigenschaft; Vollzug |
Rechtsnorm: | Art. 123 BGG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 132 V 74 |
Kommentar: | Müller, Schindler, Auer, Kommentar zum Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Art. 5 Abs. 3 BV, 1900 |
Abteilung IV D-4837/2024
Besetzung Richter Thomas Segessenmann,
mit Zustimmung von Richter Markus König; Gerichtsschreiberin Mareile Lettau.
Parteien A. , geboren am (…), Türkei,
Beschwerdeführer, gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung
(Nichteintreten auf Wiedererwägungsgesuch); Verfügung des SEM vom 24. Juli 2024 / N (…).
I.
Der Beschwerdeführer ersuchte am 10. Oktober 2022 in der Schweiz um Asyl.
Mit Verfügung vom 25. Oktober 2023 lehnte das SEM das Asylgesuch ab und stellte fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug der Wegweisung an.
Das Bundesverwaltungsgericht wies eine am 24. November 2023 gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde mit Urteil D-6524/2023 vom
12. Juni 2024 ab.
II.
Mit Eingabe seines damaligen Rechtsvertreters vom 19. Juli 2024 (Eingang SEM: 22. Juli 2024) gelangte der Beschwerdeführer mit einer als «Wiedererwägungsgesuch» bezeichneten Eingabe ans SEM und reichte zahlreiche Beweismittel ein. Hierbei beantragte er die Aufhebung der ursprünglichen Verfügung vom 25. Oktober 2023 und die Feststellung, dass seit Erlass der ursprünglichen Verfügung eine wiedererwägungsrechtlich massgebliche Änderung der Sachlage eingetreten sei sowie die Feststellung, dass die Flüchtlingseigenschaft vorliege und Asyl zu gewähren sei. Eventualiter sei festzustellen, dass die Wegweisung unzumutbar und demnach die vorläufige Aufnahme anzuordnen sei. Zudem seien vorsorgliche Massnahmen anzuordnen und es sei auf die Erhebung eines Verfahrenskostenvorschusses zu verzichten.
Mit Verfügung vom 24. Juli 2024 trat das SEM auf die Eingabe vom 19. Juli 2024 nicht ein und verzichtete auf die Erhebung von Gebühren.
Der Beschwerdeführer erhob mit Eingabe vom 31. Juli 2024 beim Bundesverwaltungsgericht «Einspruch» gegen die Ablehnung seines Asylantrags.
Am 5. August 2024 setzte das Bundesverwaltungsgericht den Vollzug der Wegweisung per sofort einstweilen aus.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Wiedererwägungsentscheide können grundsätzlich wie die ursprüngliche Verfügung auf dem ordentlichen Rechtsmittelweg angefochten werden. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – so auch vorliegend – endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 105 und Art. 108 Abs. 3 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt wird, handelt es sich vorliegend um eine solche, weshalb auch auf eine Schriftenwechsel zu verzichten und der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide nach Art. 9 Abs. 2 VwVG ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätz-
lich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht einen Nichteintretensentscheid gefällt hat (vgl. BGE 132 V 74 E. 1.1). Die Fragen der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und der Gewährung von Asyl bilden demgegenüber nicht Gegenstand des angefochtenen Nichteintretensentscheides und damit auch nicht des vorliegenden Verfahrens. Auf die entsprechenden Anträge auf Überprüfung und Gutheissung des Asylgesuches ist deshalb nicht einzutreten (vgl. Beschwerde, S. 11).
Zur Begründung ihres Nichteintretensentscheids führte die Vorinstanz aus, zwar bezeichne der Beschwerdeführer seine Eingabe als « Wiedererwägungsgesuch», die Qualifikation richte sich jedoch nach dem Inhalt und nicht nach der Bezeichnung. Sein Vorbringen, wonach neu ein Ermittlungsverfahren in B. eröffnet worden sei, was seine neuen Beweismittel aus dem Herbst 2023 belegen sollten, sei im Rahmen eines allfälligen Revisionsgesuches zu behandeln.
Die Eingabe sei von der Rechtsvertretung ausdrücklich an das SEM gerichtet und als «Wiedererwägungsgesuch» betitelt worden, wodurch unmissverständlich die Zuständigkeit des SEM behauptet werde. Mangels funktionaler Zuständigkeit trete das SEM deshalb nicht auf die Eingabe des Beschwerdeführers ein.
Dagegen sei das Schreiben von C. grundsätzlich einer Revision nicht zugänglich. Es sei gegebenenfalls in einem gehörig begründeten Gesuch nach Abschluss des Revisionsverfahrens beim SEM erneut einzureichen. Vorfrageweise könne es in einem wiedererwägungsrechtlichen Sinne als nicht erheblich bezeichnet werden.
Mit der innerhalb der fünftägigen Beschwerdefrist eingereichten Eingabe vom 31. Juli 2024 erhob der Beschwerdeführer «Einspruch» gegen die Ablehnung seines Asylantrags, welche sich gegen die «Entscheidungen vom 12. Juni 2024 und 24. Juli 2024» richte.
Zur Begründung führt er insbesondere an, er habe mit dem Bildmaterial und den Berichten des eingereichten USB-Sticks sein aktives politisches Engagement in der Türkei und die dort erlittene Polizeigewalt belegen können. Es bestehe für ihn angesichts der laufenden Ermittlungen bei einer Rückkehr die Gefahr der willkürlichen Festnahme und Misshandlung. Zudem machte er generelle Ausführungen zur menschenrechtlichen Situation in der Türkei unter Auflistung beispielhafter Gerichtsurteile zu den Straf-
tatbeständen der «Präsidentenbeleidigung» und der «Propaganda für eine Terrororganisation».
Die funktionelle Zuständigkeit betrifft die Frage, welche (örtlich und sachlich zuständige) Instanz für die Behandlung eines Rechtsmittels zuständig ist (vgl. zur funktionellen Zuständigkeit FLÜCKIGER, in: Waldmann/Krauskopf [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 3. Aufl. 2023, N. 14 ff. zu Art. 7 VwVG).
Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob das SEM die Eingabe vom
19. Juli 2024 korrekterweise als allfälliges Revisionsgesuch qualifiziert hat und ob das SEM auf das Gesuch des Beschwerdeführers infolge fehlender Zuständigkeit zu Recht gestützt auf Art. 9 Abs. 2 VwVG nicht eingetreten ist.
Gemäss der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind nachträglich erfahrene erhebliche Tatsachen oder aufgefundene entscheidende Beweismittel, die vor einem materiellen Beschwerdeurteil des Bundesverwaltungsgerichts entstandenen sind, im Rahmen eines Revisionsgesuchs zu prüfen, während nach dem Beschwerdeurteil entstandene Beweismittel, die sich auf vorbestandene Tatsachen beziehen, gestützt auf den Wortlaut von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG einer Revision nicht zugänglich, sondern im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens zu prüfen sind (vgl. BVGE 2013/22 E. 13.1).
Bei den beim SEM mit der Eingabe vom 19. Juli 2024 eingereichten Beweismitteln handelt es sich um einen USB-Stick sowie um Dokumente zum Ermittlungsverfahren der (…)staatsanwaltschaft B. . Dabei handelt es sich im Einzelnen um ein Vernehmungsprotokoll der Staatsanwaltschaft B. vom 18. September 2023, einen Bericht über die Vernehmung vom 20. September 2023, einen Vorführbefehl vom 20. September 2023, eine Anweisung vom 21. September 2023, einen Ermittlungsbericht vom
19. September 2023 sowie einen bereits mit der Beschwerde im Verfahren D- 6542/2023 eingereichten Entscheid der (…). Strafkammer B. vom 3. Oktober 2022 und das ebenfalls schon zuvor eingereichte Anwaltsschreiben vom 20. November 2023. Auch wurde ein Schreiben des Vereins C. vom 26. Juni 2024 eingereicht.
Das Vorliegen eines dritten Ermittlungsverfahrens der (…)staatsanwalt-
schaft B.
wegen Mitgliedschaft bei einer bewaffneten
Terrororganisation wurde bereits mit der Beschwerde vom 24. November 2023 vorgebracht, weshalb es sich nicht um eine gänzlich neue Tatsache handelt. Allerdings sind die diesbezüglichen eingereichten (soweit nicht bereits in den Akten befindlichen) Beweismittel aus dem September 2023 zu dem Ermittlungsverfahren, datierend vor dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-6524/2023 vom 12. Juni 2023, als vorbestandene aufgefundene Beweismittel zu qualifizieren, die grundsätzlich im Rahmen eines Revisionsverfahrens zu prüfen wären. Das SEM ist deshalb zu Recht zum Schluss gelangt, dass die diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen eines allfälligen Revisionsgesuchs zu prüfen wären.
Die Behörde, die sich als unzuständig erachtet, überweist die Sache ohne Verzug der zuständigen Behörde (Art. 8 Abs. 1 VwVG). Wenn eine Partei indessen die Zuständigkeit der Behörde, die sich als unzuständig erachtet, behauptet, tritt die Behörde durch Verfügung auf die Sache nicht ein (Art. 9 Abs. 2 VwVG). Dies ist dann der Fall, wenn die Partei erkennen lässt, dass sie die angerufene Behörde nicht nur für zuständig hält, sondern ihr an einer Beurteilung gerade durch diese Amtsstelle gelegen ist. Die Behauptung der Zuständigkeit ist nicht an eine bestimmte Form gebunden und kann sich auch aus den Umständen ergeben. Dabei stellt eine Eingabe an eine Behörde für sich alleine genommen noch keine Behauptung der Zuständigkeit dieser Behörde dar, eine solche ist aber gegeben, wenn aus den Ausführungen und Vorbringen der Partei deutlich wird, dass sie die angerufene Behörde für zuständig hält und auf diesen Umstand Wert legt (vgl. FLÜCKIGER, in: Praxiskommentar VwVG, Waldmann/Krauskopf [Hrsg.], 3. Aufl. 2023, N. 10 und 11 zu Art. 9 m.w.H.; DAUM/BIERI, in: Kom-
mentar VwVG, Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], 2. Aufl. 2019, Art. 9 N. 6).
Die Anwendung von Art. 9 Abs. 2 VwVG und somit das Bestehen einer Behauptung der Zuständigkeit ist vorliegend gerechtfertigt, da die Eingabe des Beschwerdeführers von seiner Rechtsvertretung ausdrücklich an das SEM gerichtet und als «Wiedererwägungsgesuch» betitelt war und es sich beim damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers um einen patentierten Rechtsanwalt handelt. Aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV) ergibt sich, dass, wer an eine Behörde gelangt, obwohl er deren Unzuständigkeit kennt, nicht mit einer Überweisung seiner Eingabe rechnen darf (vgl. dazu AUER/BINDER, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2. Auflage 2019, N 16). Dem langjährig im Asylrecht tätigen Rechtsvertreter musste die für die Behandlung eines Revisionsgesuchs zuständige Behörde bekannt sein. Es kann deshalb angenommen werden,
dass er das Gesuch vom 19. Juli 2023 bewusst beim SEM eingereicht hat und eine Neubeurteilung des Gesuches durch das SEM angestrebt hat. Die Vorinstanz war demnach nicht gehalten, die Eingabe zur Prüfung als Revisionsgesuch ans Bundesverwaltungsgericht weiterzuleiten, vielmehr durfte sie einen entsprechenden Nichteintretensentscheid treffen.
Das Schreiben des Vereins C. vom 26. Juni 2024 datiert nach dem Beschwerdeurteil und ist somit einer Revision nicht zugänglich, wie vom SEM bereits festgestellt. Das diesbezügliche Nichteintreten war mangels gehöriger Begründung der wiedererwägungsrechtlichen Erheblichkeit gerechtfertigt (vgl. EMARK 2003 Nr. 7 E. 4a; BVGE 2014/39 E. 5 ff.).
Nach dem Gesagten ist es nicht zu beanstanden, wenn das SEM auf die Eingabe des Beschwerdeführers vom 19. Juli 2024 nicht eingetreten ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Der am 5. August 2024 angeordnete Vollzugsstopp fällt mit dem Abschluss des Verfahrens dahin.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 2’000.– festzusetzen (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). festzusetzen (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
Die Verfahrenskosten von Fr. 2’000.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:
Thomas Segessenmann Mareile Lettau
Versand:
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