Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-4216/2024 |
Datum: | 03.09.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | Verfahren; Verfahren; Wegweisung; Beweis; Ermittlungsverfahren; Türkei; Beschwerdeführers; Vollzug; Dokumente; Beweismittel; Mitglied; Behörde; Schweiz; Behörden; Ausreise; Flüchtlingseigenschaft; Bundesverwaltungsgericht; Verfolgung; Verfügung; Rückkehr; Recht; Vorinstanz; Mitgliedschaft; Verfahrens |
Rechtsnorm: | Art. 25 BV ;Art. 32 VwVG ;Art. 44 BV ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: |
Abteilung IV D-4216/2024
Besetzung Einzelrichterin Jeannine Scherrer-Bänziger, mit Zustimmung von Richterin Esther Marti;
Gerichtsschreiberin Anna Dürmüller Leibundgut.
Parteien A. , geboren am (…), Türkei,
vertreten durch Fazil Ahmet Tamer, Verein Rechtsbüro, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 31. Mai 2024 / N (…).
Der Beschwerdeführer suchte am 17. November 2022 in der Schweiz um Asyl nach. Am 24. November 2022 fand die Personalienaufnahme (PA) statt.
Da der Beschwerdeführer ab dem 3. Juli 2023 unbekannten Aufenthalts war, erliess das SEM am 19. Juli 2023 einen Abschreibungsbeschluss, nahm das Verfahren auf Ersuchen des Beschwerdeführers hin am
21. August 2023 aber wieder auf. Zwischen dem 25. September 2023 und dem 28. November 2023 war der Beschwerdeführer erneut unbekannten Aufenthalts.
Am 22. März 2024 hörte das SEM den Beschwerdeführer zu seinen Asylgründen an, und am 25. März 2024 erfolgte die Zuweisung ins erweiterte Verfahren.
Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer geltend, er sei Kurde und stamme aus B. . Im Jahr (…) sei gegen ihn im Zusammenhang mit einer Auseinandersetzung mit einem Mitschüler ein Strafverfahren wegen Verbreitung von Terrorpropaganda eingeleitet worden, welches jedoch in der Folge eingestellt worden sei. Ungefähr ab dem Jahr (…) habe er begonnen, sich für die (…) zu engagieren und an Versammlungen teilzunehmen. Im Jahr (…) oder (…) sei er der Partei als Mitglied beigetreten und sodann in der Provinzleitung für die (…) zuständig gewesen. Er habe Mitglieder angeworben und Anlässe organisiert. Im Frühjahr (…) habe er an einer Trauerfeier der kurdischen Aktivistin C. teilgenommen, worauf er im Sommer (…) auf den Polizeiposten zitiert und dazu befragt worden sei. Er habe Angst gehabt, künftig erneut von den Behörden behelligt und allenfalls als Spitzel angeworben zu werden. Daher sei er Mitte (…) legal aus der Türkei ausgereist. Nach seiner Ausreise, im August (…), hätten die türkischen Behörden ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) gegen ihn eröffnet und einen Haftbefehl ausgestellt. Er werde gesucht und befürchte, bei einer Rückkehr in die Türkei inhaftiert oder gar getötet zu werden.
Der Beschwerdeführer reichte im Verlauf des vorinstanzlichen Verfahrens folgende Unterlagen zu den Akten (Kopien, soweit nicht anders vermerkt): seine Identitätskarte (Original), eine (…)-Mitgliedschaftsbestätigung, ein Vernehmungsprotokoll vom (…), ein Wehrdienst-Aufgebot vom
(…), zwei Referenzschreiben seines türkischen Anwalts, ein Vorführbeschluss und -befehl vom (…), Behördenkorrespondenz betreffend eine Interpol-Ausschreibung, ein E-Devlet-Auszug betreffend Ausund Einreisen, eine Wohnsitzbescheinigung, Fotos zu seinen politischen Aktivitäten in der Türkei, zwei Auszüge aus dem türkischen E-Justizsystem UYAP vom April 2024, ein Strafregisterauszug sowie Unterlagen betreffend drei gemeinrechtliche Strafverfahren aus den Jahren (…).
Mit Verfügung vom 31. Mai 2024 – eröffnet am 3. Juni 2024 – verneinte das SEM die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, lehnte das Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug an.
Der Beschwerdeführer focht diesen Entscheid mit Beschwerde vom 3. Juli 2024 beim Bundesverwaltungsgericht an. Er beantragte, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, und es sei die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen und ihm Asyl zu gewähren. Eventuell sei festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung in die Türkei unzulässig, unzumutbar und unmöglich sei. Subeventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (inkl. Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses) und unentgeltliche Verbeiständung.
Der Beschwerde lagen eine Vollmacht vom 20. Juni 2024, die angefochtene Verfügung, eine Fürsorgebescheinigung vom 26. Juni 2024, ein UYAP-Auszug, mehrere bereits aktenkundige Dokumente (alles in Kopie) sowie ein USB-Stick mit Videomaterial zur Dokumentöffnung in UYAP bei.
Mit Zwischenverfügung vom 22. Juli 2024 stellte die Instruktionsrichterin fest, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Sie wies die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und amtliche Verbeiständung infolge Aussichtslosigkeit der Beschwerdebegehren ab und forderte den Beschwerdeführer auf, bis zum 6. August 2024 einen Kostenvorschuss von Fr. 750.– zu leisten.
Der verlangte Kostenvorschuss wurde am 6. August 2024 einbezahlt.
Mit Eingabe vom 21. August 2024 kritisierte der Beschwerdeführer die von der Instruktionsrichterin in der Zwischenverfügung vom 22. Juli 2024 vorgenommene summarische Prüfung seiner Beschwerdebegehren und deren Qualifizierung als aussichtslos. In der Beilage reichte er ein Referenzschreiben von E. der (…)-Partei vom 15. Juli 2024 zu den Akten.
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – so auch hier – endgültig über Beschwerden gegen Verfügungen (Art. 5 VwVG) des SEM (Art. 105 AsylG [SR 142.31] i.V.m. Art. 31– 33 VGG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 105 und 108 Abs. 2 AsylG sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG) ist einzutreten.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt, handelt es sich um eine solche, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.
In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer sinngemäss, das SEM
habe die Untersuchungsund Prüfungspflicht (vgl. Art. 6 AsylG i.V.m. Art. 12 VwVG, Art. 32 Abs. 1 VwVG) verletzt, indem es die eingereichten Beweismittel betreffend das Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation ungenügend geprüft und ihn dazu nicht näher befragt habe. Diese Rügen sind unbegründet. Den Akten ist zu entnehmen, dass das SEM eine zusammenfassende Übersetzung der Beweismittel betreffend das fragliche Ermittlungsverfahren erstellt hat (vgl. A34). Der wesentliche Inhalt dieser Dokumente war ihm somit bekannt. Im Übrigen obliegt es grundsätzlich dem Beschwerdeführer, die eingereichten Beweismittel unaufgefordert und zumindest ihrem wesentlichen Inhalt nach zu übersetzen (vgl. Art. 8 Abs. 1 und 2 AsylG), und der – nota bene seit dem
23. November 2022 rechtlich vertretene – Beschwerdeführer hätte dazu ausreichend Gelegenheit gehabt. Sodann geht aus den vorinstanzlichen Erwägungen hervor, dass sich das SEM mit den eingereichten Beweismitteln befasst und sie bei der Entscheidfindung, soweit relevant, berücksichtigt hat. Zudem hat es den Beschwerdeführer in der Anhörung zum Ermittlungsverfahren und den diesbezüglichen Beweismitteln befragt (vgl. A28 F98 ff.). Nach dem Gesagten liegt weder eine ungenügende Sachverhaltsfeststellung noch eine Verletzung der Prüfungspflicht vor. Die Ausführungen in der nachträglichen Eingabe vom 21. August 2024 vermögen diese Einschätzung nicht zu widerlegen. Der subeventuelle Kassationsantrag (vgl. Ziff. 3 der Rechtsbegehren) ist daher abzuweisen.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Anschauungen wegen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
Wer sich darauf beruft, dass durch sein Verhalten nach der Ausreise aus dem Heimatoder Herkunftsstaat eine Gefährdungssituation erst geschaffen worden ist, macht subjektive Nachfluchtgründe geltend (vgl. Art. 54 AsylG). Solche Fluchtgründe können zwar die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG begründen, führen jedoch nach Art. 54 AsylG zum Ausschluss des Asyls. Stattdessen werden Personen, welche subjektive Nachfluchtgründe nachweisen oder glaubhaft machen können, als Flüchtlinge vorläufig aufgenommen (vgl. dazu BVGE 2009/28 E. 7.1 S. 352, m.w.H.).
Das SEM führte zur Begründung seines Entscheids aus, bei dem während der Schulzeit des Beschwerdeführers eingeleiteten Verfahren habe es sich offensichtlich um ein gemeinrechtliches Verfahren gehandelt, und die Anklage (wegen Körperverletzung) sei mit Entscheid vom (…) fallengelassen worden. Weder aus jenem noch aus den zwei weiteren, ebenfalls abgeschlossenen gemeinrechtlichen Verfahren, zu welchen sich der Beschwerdeführer erst auf Vorhalt hin geäussert habe, ergäben sich Hinweise auf das Bestehen einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung. Hinsichtlich des angeblich hängigen Ermittlungsverfahrens wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation sei festzustellen, dass die eingereichten Dokumente qualitativ mangelhaft seien und abgesehen von der Nennung des Delikts keinen materiellen Inhalt aufwiesen. Zudem verfügten sie über keinerlei Sicherheitsmerkmale und seien daher einfach zu fälschen. Sie könnten bekanntlich problemlos – teilweise gar via korrupte Justizangestellte und inklusive funktionierender UYAP-Zugangscodes – käuflich erworben werden. Der Beweiswert der eingereichten Unterlagen sei daher gering. Der zweite UYAP-Auszug sei zudem offensichtlich manipuliert worden. Ferner würden das angebliche Deliktsdatum sowie der Ort ([…]) und der offenbar bereits tags darauf ausgestellte Vorführbefehl Fragen aufwerfen. Dies führe zu weiteren Zweifeln an der Echtheit der eingereichten Beweismittel. Die Schreiben des türkischen Anwalts seien unter diesen Umständen als Gefälligkeitsschreiben zu erachten. Ob es sich bei den aktenkundigen Beweismitteln um Fälschungen handle oder nicht, könne jedoch dahingestellt bleiben, da bisher offenbar lediglich ein Ermittlungsverfahren, jedoch noch kein Gerichtsverfahren eröffnet worden sei. Derartige Ermittlungsverfahren würden oftmals in hoher Zahl eingeleitet, aber häufig auch wieder eingestellt. Im aktuellen Zeitpunkt sei daher offen, ob es je zu einem Gerichtsverfahren und einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verurteilung kommen werde. Ferner liege kein Haftbefehl, sondern lediglich ein Vorführbefehl vor, womit bezweckt werde, den Beschwerdeführer
einzuvernehmen und danach der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Im Übrigen sei fraglich, was die Behörden dem Beschwerdeführer überhaupt zur Last legen könnten, da er angesichts seiner niederschwelligen politischen Aktivitäten kein besonderes Risikoprofil aufweise. Seine Aussagen enthielten zudem teilweise Unstimmigkeiten, insbesondere habe er betreffend die angeblichen Anwerbungsversuche als Spitzel widersprüchliche Angaben gemacht, was zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit seiner Vorbringen führe. Insgesamt sei jedenfalls kein ernsthaftes und anhaltendes Verfolgungsinteresse der türkischen Behörden erkennbar. Ein Abgleich mit einer internen Datenbank habe ferner die Aussage des Beschwerdeführers, die türkischen Behörden hätten ein Auslieferungsbegehren an die Schweiz gestellt, nicht bestätigt. Auch in der Red-Notice-Datenbank von Interpol erscheine sein Name nicht. Demnach erfülle er die Flüchtlingseigenschaft nicht, und sein Asylgesuch sei abzulehnen.
In der Beschwerde wird entgegnet, der Beschwerdeführer habe zunächst unrichtige Angaben zu seinem Reiseweg gemacht, weil er von anderen Flüchtlingen falsch beraten worden sei. Sobald er von einem Rechtsvertreter unterstützt worden sei, habe er die Wahrheit gesagt. Die gemeinrechtlichen Verfahren habe er von sich aus nicht erwähnt, da er diese nicht für relevant gehalten habe. Er habe aber nichts zu verbergen. Die eingereichten Beweismittel belegten sodann durchaus die materielle Grundlage der Straftat. Daraus gehe hervor, dass dem Beschwerdeführer aufgrund von nachrichtendienstlichen Informationen vorgeworfen werde, die PKK zu unterstützen. Sein Vater habe offenbar erklärt, sein Sohn befinde sich in der Schweiz und stehe mit illegalen Organisationen in Kontakt. Gestützt auf diese Informationen sei der Vorführbefehl erlassen worden. Der Vorwurf des SEM, der Beschwerdeführer habe qualitativ mangelhafte Dokumente eingereicht, zeige die Unkenntnis der Vorinstanz in Bezug auf türkische Dokumente. Es seien nicht alle Dokumente online verfügbar. Aus dem Fehlen von gewissen Dokumenten könne daher nicht geschlossen werden, dass das Verfahren nicht authentisch sei. Hinsichtlich der Interpol-Fahndung sei darauf hinzuweisen, dass nicht jeder, der mit einer «red notice» gesucht werde, auf der Interpol-Webseite aufgeführt sei. Die mangelhafte Qualität der Dokumente betreffend das hängige Ermittlungsverfahren erkläre sich dadurch, dass es sich dabei mehrheitlich nicht um UYAP-udfDateien handle, sondern um pdfoder jpeg-Dateien, welche in UYAP schlechter lesbar seien. Das Ermittlungsverfahren sei aus dem beigelegten UYAP-Screenshot ersichtlich. Der Vorführbefehl befinde sich ebenfalls in UYAP und sei offensichtlich echt. Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation würden selten eingestellt. Wenn der
Verdächtige nicht gefasst werden könne, bleibe das Verfahren in der Schwebe. Die Tatsache, dass kein Haftbefehl bestehe, sondern nur ein Vorführbefehl, spreche nicht gegen den Ernst der Lage; denn die Ausstellung eines Haftbefehls sei in der Ermittlungsphase rechtlich gar nicht möglich. Da der Beschwerdeführer einer schweren Straftat verdächtigt werde, sei davon auszugehen, dass er später verhaftet würde. Er habe aufgrund seiner politischen Tätigkeit in der Öffentlichkeit gestanden. Zudem gebe es Geheimdienstberichte über seine Teilnahme an illegalen Aktivitäten. Es treffe daher nicht zu, dass er kein Risikoprofil aufweise. Zum Vorwurf der Manipulation des UYAP-Ausdrucks sei zu bemerken, dass der türkische Anwalt lediglich Informationen betreffend einen anderen Mandanten unkenntlich gemacht habe. Der aktuelle UYAP-Ausdruck sei nicht bearbeitet worden und belege das hängige Verfahren. Das genannte Deliktsdatum sei von den Behörden angenommen worden, weil es sich um eine fortlaufende Straftat handle. Der Beschwerdeführer sei bei einer Rückkehr in die Türkei gefährdet und müsse mit einer langen Haftstrafe rechnen. Daher sei ihm Asyl zu gewähren.
Aufgrund der Aktenlage ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Ausreisezeitpunkt keiner asylbeachtlichen Verfolgung ausgesetzt war und damals auch keine begründete Furcht vor entsprechender Verfolgung bestand. Das von ihm in der Anhörung erwähnte, im Jahr (…) eingeleitete Strafverfahren – welches im Übrigen entgegen seinem Vorbringen nicht den Tatbestand der Verbreitung von Terrorpropaganda betraf, sondern den Tatbestand der Körperverletzung – wurde offenbar im Jahr (…) eingestellt. Auch die geschilderte Befragung auf dem Polizeiposten im Frühjahr (…) im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an einer Trauerfeier hatte offensichtlich keine weiteren Folgen. Der Beschwerdeführer räumte sodann selber ein, er sei nie direkt von den Behörden bedroht oder als Spitzel angeworben worden (vgl. A28 F85). Durch seine angebliche Tätigkeit zugunsten der – nota bene nach wie vor legalen – (…) (Teilnahme an Versammlungen, Mitarbeit in einer […], Anwerben von Mitgliedern, Organisation von Anlässen) hat sich der Beschwerdeführer nicht in besonderem Masse exponiert, und er wurde deswegen in der Vergangenheit offensichtlich – und entgegen der Aussage im nachträglich eingereichten Referenzschreiben von E. . vom 15. Juli 2024 – auch nicht verfolgt oder gar verhaftet. Die Einschätzung, dass im Ausreisezeitpunkt weder eine asylrelevante Verfolgung noch eine begründete Verfolgungsfurcht bestand, wird bestätigt durch die offensichtlich problemlose und legale Ausreise des Beschwerdeführers im (…) (sowie auch bereits im Ende […], als er sich
vorübergehend in Serbien aufgehalten hat; vgl. A28 F34 ff.) sowie seine Aussage, er sei nicht aus einem bestimmten Grund ausgereist, sondern lediglich aufgrund eines generellen Angstgefühls (vgl. A28 F83 f.).
Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, gegen ihn sei im August (…) ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen PKK-Unterstützung und/oder Mitgliedschaft eingeleitet worden, und reicht dazu mehrere behördliche Dokumente ein. Dieses Vorbringen respektive die dazu eingereichten Unterlagen sind jedoch nicht geeignet, eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsfurcht zu begründen. Das fragliche Verfahren befindet sich nämlich offensichtlich erst im Ermittlungsstadium, das heisst bisher wurde weder ein Gerichtsverfahren eröffnet noch Anklage erhoben. Es besteht demnach auch kein Haftbefehl, sondern lediglich ein am (…) ausgestellter Vorführbefehl zwecks Einvernahme. Im heutigen Zeitpunkt ist gänzlich offen, ob es überhaupt je zu einer Anklage, zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens und einer rechtskräftigen, flüchtlingsrechtlich relevanten Verurteilung respektive Bestrafung des Beschwerdeführers kommen wird. Entgegen der Vorbringen in der Beschwerde gibt die Aktenlage vielmehr Anlass zur Vermutung, dass sich der behördliche Anfangsverdacht als unbegründet erweisen und das Verfahren einzustellen sein wird; der Beschwerdeführer hat nämlich nie geltend gemacht, er unterhalte Kontakte zur PKK oder unterstütze diese oder andere illegale Organisationen, sondern hat vielmehr selber keine Ahnung, weshalb gegen ihn plötzlich wegen Unterstützung der PKK ermittelt wird (vgl. A28 F98 f.). Soweit sich das Ermittlungsverfahren auf entsprechende Informationen stützt, ist daher davon auszugehen, dass sich diese in einem allfälligen weiteren Verlauf des Verfahrens als falsch herausstellen werden. Nach dem Gesagten ist die Befürchtung des Beschwerdeführers, bei einer Rückkehr in die Türkei im Zusammenhang mit dem erwähnten Ermittlungsverfahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Opfer von flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgungsmassnahmen zu werden, als unbegründet zu erachten, zumal es auch nicht hinreichend wahrscheinlich erscheint, dass er bei einer allfälligen Einvernahme zwecks Feststellung des Sachverhalts ernsthaften Nachteilen ausgesetzt würde. Ergänzend ist festzustellen, dass die Zweifel der Vorinstanz an der Authentizität der eingereichten Dokumente nicht unberechtigt erscheinen und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die ohne ersichtlichen Grund kurz nach der Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Asylverfahrens im August 2023 erfolgte Mandatierung des türkischen Anwalts stutzig macht.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers nicht geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen. An dieser Einschätzung vermögen weder die weiteren, bisher nicht ausdrücklich gewürdigten Beweismittel noch die Eingabe vom 21. August 2024 etwas zu ändern. Die Vorinstanz hat somit zu Recht die Flüchtlingseigenschaft verneint und das Asylgesuch abgelehnt.
Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 44 AsylG).
Der Beschwerdeführer verfügt insbesondere weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).
Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]).
In Bezug auf die Geltendmachung von Wegweisungshindernissen gilt gemäss ständiger Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Flüchtlingseigenschaft, das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).
Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).
So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]). Gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine flüchtlingsrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, findet der in Art. 5 AsylG verankerte Grundsatz der Nichtrückschiebung im vorliegenden Verfahren keine Anwendung. Eine Rückkehr in den Heimatstaat ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.
Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen des Beschwerdeführers noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass er für den Fall einer Ausschaffung in die Türkei dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit – im Sinne eines «real risk» (vgl. dazu das Urteil des EGMR Saadi gegen Italien vom
28. Februar 2008, Grosse Kammer 37201/06, §§ 124–127 m.w.H.) – einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Auch wenn sich die allgemeine Menschenrechtssituation in der Türkei in den letzten Jahren (namentlich seit dem Putschversuch im Jahr 2016) verschlechtert hat, lässt sie den Wegweisungsvollzug im heutigen Zeitpunkt ebenfalls nicht als unzulässig erscheinen.
Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtet den Wegweisungsvollzug in die Provinzen Hakkari und Sirnak aufgrund einer anhaltenden Situation allgemeiner Gewalt als unzumutbar (vgl. BVGE 2013/2 E.9.6; Referenzurteil des BVGer E-1948/2018 vom 12. Juni 2018 E. 7.3.1). In den übrigen Landesteilen der Türkei herrscht dagegen keine Situation allgemeiner Gewalt, aufgrund welcher eine Rückkehr generell unzumutbar wäre. An dieser Einschätzung vermag weder das Wiederaufflammen des türkisch-kurdischen Konflikts seit Juli 2015 noch die sicherheitspolitische Entwicklung nach dem Putschversuch im Juli 2016 etwas zu ändern (vgl. statt vieler die Urteile des BVGer D-1920/2023 vom 14. Juni 2023 E. 9.4.1 sowie E-2377/2023 vom 2. Juni 2023 E. 9.4.2, je m. H.). Der Vollzug der Wegwei-
sung des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz B. demnach als generell zumutbar zu erachten.
ist
Es sind auch keine individuellen Gründe ersichtlich, welche einem Vollzug der Wegweisung entgegenstehen könnten. Der (…) Jahre alte Beschwerdeführer ist eigenen Angaben zufolge gesund, verfügt über eine gymnasiale Schulbildung und hat vor der Ausreise im (…) seines Vaters gearbeitet. Seine finanzielle Situation bezeichnete er als gut. Mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte ist anzunehmen, dass er erneut im väterlichen Geschäft einsteigen könnte und bei Bedarf von seinen nach wie vor am Herkunftsort lebenden Eltern unterstützt würde. Insgesamt ist somit nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Türkei aus wirtschaftlichen, sozialen oder gesundheitlichen Gründen in eine existenzielle Notlage geraten würde.
Nach dem Gesagten erweist sich der Vollzug der Wegweisung als zumutbar.
Schliesslich obliegt es dem Beschwerdeführer, sich bei der zuständigen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (vgl. Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu auch BVGE 2008/34 E. 12 S. 513–515), weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen ist (Art. 83 Abs. 2 AIG).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet hat. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt damit ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1–4 AIG).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und auch sonst nicht zu beanstanden ist (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind dessen Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.– festzusetzen (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Dieser Betrag ist durch den am 6. August 2024 in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Der in gleicher Höhe geleistete Kostenvorschuss wird zur Begleichung der Verfahrenskosten verwendet.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Jeannine Scherrer-Bänziger Anna Dürmüller Leibundgut
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