E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil C-5312/2021

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts C-5312/2021

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung III
Dossiernummer:C-5312/2021
Datum:24.02.2022
Leitsatz/Stichwort:Alters- und Hinterlassenenversicherung (Übriges)
Schlagwörter : Einsprache; Beweis; Recht; Schweiz; Einspracheentscheid; Bundesverwaltungsgericht; SAK-act; Vorinstanz; Einsprachefrist; Verfügung; Schweizerische; Akten; IV-act; Rechtsmittel; Parteien; Verfahren; Beschwerde; Beweislast; Kommentar; Richter; Rückerstattung; Frist; ATSG-Kommentar; AHV-Altersrente; Rentenbezüger; Tochter; Vater
Rechtsnorm: Art. 38 ATSG ;Art. 48 BGG ;Art. 52 VwVG ;Art. 60 ATSG ;Art. 64 VwVG ;Art. 85b AHVG ;
Referenz BGE:131 V 164; 138 V 218
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung III C-5312/2021

U r t e i l v o m 2 4 . F e b r u a r 2 0 2 2

Besetzung Richter Beat Weber (Vorsitz),

Richter Vito Valenti, Richter Christoph Rohrer, Gerichtsschreiber Daniel Golta.

Parteien A. , (Schweiz) Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Ausgleichskasse SAK,

Vorinstanz.

Gegenstand AHV, Rückerstattung Rentenleistung; Einspracheentscheid der SAK vom 23. November 2021.

Das Bundesverwaltungsgericht stellt fest und erwägt,

dass B. , serbischer Staatsangehöriger, geboren im (…) 1949, in der Schweiz lebte, als ihm die SVA C. ab (…) 2014 eine AHV-Altersrente in der Höhe von monatlich Fr. 1'707.- zusprach (vgl. Akten der SAK [SAK-act.] 2 S. 1; SAK-act. 3 S. 1; SAK-act. 5),

dass B. im April 2015 die Schweiz verlassen hat, nach Mazedonien gezogen ist und die SVA C. seine Rentenakten zuständigkeitshalber an die Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) überwiesen hat (vgl. SAK-act. 9, 10, 12-14),

dass B. (nachfolgend Rentenbezüger) am (…) 2020 gestorben ist (vgl. SAK-act. 40 S. 4; SAK-act. 41 S. 4),

dass die SAK die AHV-Altersrente weiter bis Januar 2021 ausbezahlt hat (vgl. SAK-act. 42 f.),

dass A. am 25. Januar 2021 die SAK betreffend das Versterben des bis dahin in der Republik Nordmazedonien wohnhaften Rentenbezügers informiert und dokumentiert hat (vgl. IV-act.37, IV-act. 40 S. 4),

dass A. der SAK am 9. August 2021 mitgeteilt hat, dass sie die Tochter von B. sei (vgl. IV-act. 47),

dass A. der SAK am 13. August 2021 mitgeteilt hat, dass sie und ihr Bruder D. ([…], Mazedonien) Erben des verstorbenen Rentenbezügers, B. (nachfolgend Vater, Erblasser) seien und keine weiteren Familienmitglieder als Erben vorhanden seien (vgl. IV-act. 53),

dass die SAK mit Verfügung vom 17. August 2021 A. (nachfolgend Tochter, Erbin, Beschwerdeführerin) dazu verpflichtet hat, die nach dem Tod ihres Vaters für die Monate Oktober 2020 bis Januar 2021 ausgerichteten AHV-Altersrenten in der Höhe von insgesamt Fr. 7'340.- zurückzuerstatten (IV-act. 54),

dass diese Verfügung am 31. August 2021 der Beschwerdeführerin zugestellt worden ist (vgl. IV-act. 57),

dass die in der Schweiz wohnhafte Beschwerdeführerin mit auf den

24. September 2021 datiertem Schreiben Einsprache gegen die Verfügung vom 17. August 2021 erhoben hat (SAK-act. 59 = 61),

dass diese Einsprache einen Eingangsstempel der SAK vom 20. Oktober 2021 trägt,

dass die SAK am 23. November 2021 auf die Einsprache nicht eingetreten ist (vgl. SAK-act. 62; nachfolgend Einspracheentscheid),

dass die SAK dies damit begründet hat, dass die Einsprache ihr am 20. Oktober 2021 zugestellt worden und nicht innerhalb der gesetzlichen Einsprachefrist von 30 Tagen eingegangen sei, und die Verfügung vom 17. August 2021 daher bereits in Rechtskraft erwachsen sei,

dass die Beschwerdeführerin am 3. Dezember 2021 gegen diesen Einspracheentscheid Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, sinngemäss die Aufhebung des Einspracheentscheids verlangt und ausgeführt hat, dass sie die Schuld ihres Vaters nicht anerkenne und beantrage, nicht zur Rückerstattung der Fr. 7'340.- verpflichtet zu werden,

dass die SAK mit Vernehmlassung vom 20. Januar 2022 die Abweisung der Beschwerde beantragt hat, weil die Einsprachefrist nicht gewahrt worden sei,

dass das Bundesverwaltungsgericht den Schriftenwechsel am 26. Januar 2022 abgeschlossen hat,

dass das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht sich nach den Vorschriften des VwVG richtet, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG), auf Verfahren in Sozialversicherungssachen das VwVG jedoch keine Anwendung findet, soweit der ATSG (SR 830.1) anwendbar ist, was in dem in Art. 1 Abs. 1 AHVG (SR 831.10) umschriebenen Rahmen der Fall ist,

dass gemäss Art. 31 VGG das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG beurteilt, sofern – wie vorliegend – keine Ausnahme nach Art. 32 VGG vorliegt,

dass Verfügungen der Vorinstanz gemäss Art. 85bis Abs. 1 AHVG vor Bundesverwaltungsgericht anfechtbar sind,

dass das Bundesverwaltungsgericht infolge Wohnsitzes des Verstorbenen in der Republik Nordmazedonien für die Behandlung der Beschwerde seiner Beschwerde führenden Tochter und Erbin zuständig ist (vgl. Urteile des BVGer C-7080/2016 vom 24. Oktober 2017, C-1934/2015 vom 31. August 2017 E. 1.1, C-3378/2007 vom 28. Oktober 2008),

dass die Beschwerdeführerin als Adressatin durch den vorliegend angefochtenen Einspracheentscheid vom 23. November 2021 berührt ist und ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat, so dass sie im Sinne von Art. 59 ATSG beschwerdelegitimiert ist,

dass die Beschwerde im Übrigen fristund formgerecht eingereicht worden ist (Art. 60 Abs. 1 ATSG und Art. 52 Abs. 1 VwVG), so dass darauf grundsätzlich einzutreten ist (zur Einschränkung s. unten),

dass der Einspracheentscheid vom 23. November 2021 Anfechtungsobjekt und damit Begrenzung des Streitgegenstandes des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet (vgl. BGE 131 V 164 E. 2.1),

dass die Vorinstanz in ihrem Einspracheentscheid auf die Einsprache der Beschwerdeführerin nicht eingetreten ist, so dass im vorliegenden Beschwerdeverfahren Streitgegenstand nur die Frage bildet, ob die Vorinstanz zu Recht auf die Einsprache nicht eingetreten ist,

dass hingegen die materielle Beurteilung der Rückerstattungspflicht der Beschwerdeführerin nicht zum Streitgegenstand zählt,

dass daher auf die Beschwerde insoweit nicht einzutreten ist, als die Beschwerdeführerin eine Rückerstattungspflicht bestreitet,

dass die Verfügung vom 17. August 2021 am 31. August 2021 der Beschwerdeführerin zugestellt worden ist,

dass die Einsprachefrist daher am 1. September 2021 zu laufen begonnen und – wie die SAK in ihrer Vernehmlassung vom 20. Januar 2022 (BVGeract. 3) zutreffend ausführt – am 30. September 2021 geendet hat (vgl. Art. 52 ATSG i.V.m. Art. 38 und 39 ATSG),

dass die Einsprache daher spätestens am 30. September 2021 bei der SAK eingereicht oder zu deren Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung (oder einem unzuständigen Versicherungsträger) übergeben worden sein muss, damit die Einsprachefrist gewahrt wurde (vgl. Art. 38 ATSG),

dass die Beweislast (das heisst die Folgen einer allfälligen Beweislosigkeit) für die Einhaltung der Frist diejenige Partei trägt, die daraus Folgen ableiten will (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020 [nachfolgend: ATSG-Kommentar], Art. 39, Rz. 10),

dass im Verwaltungsverfahren zwar die Beweislast für den Beginn der Beschwerdefrist bei der eröffnenden Behörde liegt, dass der versicherten Person aber der Nachweis dafür obliegt, dass sie die Frist eingehalten hat (vgl. ATSG-Kommentar, a.a.O.; vgl. analog auch PATRICIA EGLI, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, Rz. 13 zu Art. 21 und URS PETER CAVELTI, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar VwVG, 2. Aufl. 2019, Rz. 11, 13 zu Art. 21),

dass das Bundesgericht verschiedentlich festgehalten hat, dass eine Umkehr der Beweislast ausnahmsweise dann eintritt, wenn eine Partei einen Beweis aus Gründen nicht erbringen kann, welche nicht von ihr, sondern von der Behörde zu verantworten sind und die Rechtsprechung einen derartigen Fall von Beweislastumkehr etwa bei der Beweislosigkeit der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels erblickt, welche darauf zurückzuführen ist, dass die Verwaltung oder Behörde den Briefumschlag, in welchem das an sie gerichtete Rechtsmittel (uneingeschrieben) verschickt wurde, in Verletzung ihrer Aktenführungspflicht nicht zu den Akten genommen und damit die Beweiserbringung für die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels verunmöglicht hat (vgl. BGE 138 V 218 E. 8.1 mit Hinweisen; Urteil des BGer 8C_693/2010 vom 25. März 2011 E.12 mit Hinweisen; vgl. auch MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, S. 83 Rz. 2.132a; PATRICIA EGLI, a.a.O., Rz. 13 zu Art. 21),

dass bei Rechtsmitteln für den Beweis der Rechtzeitigkeit (vorliegend die Wahrung der Einsprachefrist) grundsätzlich der im Sozialversicherungsrecht übliche Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit heranzuziehen ist (vgl. ATSG-Kommentar Art. 39, Rz. 13),

dass aus den Akten der SAK nicht hervorgeht, auf welchem Weg die Einsprache bei ihr eingegangen ist, namentlich ob die Einsprache persönlich abgegeben oder zu Handen der SAK der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung (oder einem unzuständigen Versicherungsträger) übergeben worden ist (vgl. Art. 39 ATSG),

dass sich in den SAK-Akten keine Kopie des Couverts befindet, mit welchem die Einsprache gegebenenfalls über die Schweizerische Post der SAK zugestellt worden ist,

dass daher vorliegend – entgegen der von der SAK vertretenen Ansicht – der Eingangsstempel vom 30. Oktober 2021 nicht als Nachweis dafür genügt, dass die auf den 24. September 2021 datierte Einsprache (SAK-act. 59 = 61) nicht bis spätestens 30. September 2021 im Sinne von Art. 39 ATSG unter Einhaltung der Einsprachefrist eingereicht bzw. übergeben worden ist,

dass es der Beschwerdeführerin damit nicht möglich ist, nachzuweisen, dass sie die Einsprachefrist eingehalten hat,

dass diese Unmöglichkeit darauf zurückzuführen ist, dass die SAK ihrer Aktenführungspflicht gemäss Art. 46 ATSG nicht nachgekommen ist, weshalb es zur Umkehr der Beweislast kommt und die Beweislosigkeit betreffend die (allenfalls) fristwahrende Handlung zulasten der SAK ausfällt,

dass deshalb davon auszugehen ist, dass die Einsprachefrist gewahrt worden ist und die SAK daher auf die Einsprache der Beschwerdeführerin hätte eintreten müssen,

dass die Beschwerde daher gutzuheissen, der Einspracheentscheid vom

23. November 2021 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zum Erlass eines materiellen Einspracheentscheids zurückzuweisen ist,

dass das Verfahren für die Parteien kostenlos ist (vgl. Art. 85bis Abs. 2 AHVG in der seit 1. Januar 2021 geltenden Fassung) und daher keine Verfahrenskosten zu erheben sind,

dass der obsiegenden, nicht vertretenen Beschwerdeführerin keine unverhältnismässig hohen Kosten entstanden sind, weshalb ihr keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 7 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]),

dass der unterliegenden Vorinstanz ebenfalls keine Parteientschädigung zuzusprechen ist (vgl. Art. 64 Abs. 1 VwVG e contrario).

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird – soweit darauf einzutreten ist – gutgeheissen, der Einspracheentscheid vom 23. November 2021 aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zum Erlass eines materiellen Einspracheentscheids zurückgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.

Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, die Vorinstanz und das BSV.

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Beat Weber Daniel Golta

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.