Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-4566/2024 |
Datum: | 22.07.2024 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren - Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG) |
Schlagwörter : | ändig; Dublin-III-VO; Mitgliedstaat; Deutschland; Asylgesuch; Verfahren; Behörde; Behörden; Schweiz; Beschwerdeführers; Zuständigkeit; Überstellung; Bundesverwaltungsgericht; Recht; Staat; Antrag; Verfügung; Kriterien; Wegweisung; Antrags; Schutz; Deutschlands; Vollzug; Drittstaat; ölker |
Rechtsnorm: | Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: |
Abteilung V E-4566/2024
Besetzung Einzelrichterin Regina Derrer,
mit Zustimmung von Gabriela Freihofer; Gerichtsschreiberin Janine Sert.
Parteien A. , geboren am (...) 2001, Algerien,
(...),
Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren - Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG);
Verfügung des SEM vom 10. Juli 2024 / N (...).
Der Beschwerdeführer stellte am 24. Juni 2024 in der Schweiz ein Asylgesuch, wobei er bei der Ersterfassung im Bundesasylzentrum (BAZ) angab, sein Name sei B. und er sei am (...) 2008 geboren. Ein Abgleich seiner Fingerabdrücke mit der europäischen Fingerabdruck-Datenbank (Eurodac) am 26. Juni 2024 ergab, dass er am (...) November 2023 in Spanien aufgegriffen worden war und am (...) März 2024 in Deutschland um Asyl nachgesucht hatte.
Das SEM ersuchte die deutschen Behörden am 26. Juni 2024 mittels Informationsersuchens nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO) um Auskunft zur Person des Beschwerdeführers.
Die deutschen Behörden teilten dem SEM am 1. Juli 2024 mit, der Beschwerdeführer habe dort am (...) März 2024 unter den Personalien C. , geboren am (...) 2001, ein Asylgesuch gestellt und sei danach verschwunden.
Am 3. Juli 2024 führte das SEM mit dem Beschwerdeführer eine Erstbefragung UMA durch und gewährte ihm das rechtliche Gehör zur mutmasslichen Zuständigkeit Deutschlands für die Durchführung seines Asylverfahrens, zu einer allfälligen Wegweisung dorthin sowie zum medizinischen Sachverhalt. Dabei gab dieser bezüglich seines Gesundheitszustands zu Protokoll, dass er gesund sei; bezüglich der Zuständigkeit Deutschlands trug er vor, wenn er in der Schweiz nicht erwünscht sei, werde er das Land selbständig verlassen. Zu seiner Identität befragt, führte er ferner aus, er sei am (...) 2001 geboren, habe bei der Ersterfassung im BAZ jedoch einen anderen Namen und ein anderes Geburtsdatum angegeben, weil er hier ein Asylgesuch stellen, zur Schule gehen und die Sprache lernen wolle.
Ebenfalls am 3. Juli 2024 ersuchte das SEM die deutschen Behörden um Rückübernahme des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO).
Die deutschen Behörden stimmten dem Rückübernahmeersuchen am
9. Juli 2024 gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO zu.
Mit Verfügung vom 10. Juli 2024 (eröffnet am 12. Juli 2024) trat das SEM auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, ordnete seine Überstellung nach Deutschland an und forderte ihn auf, die Schweiz am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig beauftragte das SEM den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Überstellung, händigte ihm die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, dass einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid keine aufschiebende Wirkung zukomme.
Mit Formularbeschwerde vom 18. Juli 2024 (Datum der Postaufgabe) gelangte der Beschwerdeführer ans Bundesverwaltungsgericht und beantragte, die Verfügung vom 10. Juli 2024 sei aufzuheben und das SEM sei anzuweisen, sein Asylgesuch in der Schweiz zu prüfen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Erteilung der aufschiebenden Wirkung, um unentgeltliche Rechtspflege wegen Mittellosigkeit und um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Zur Begründung führte er aus, er wolle nicht nach Deutschland zurückkehren, sondern in der Schweiz bleiben.
Mit superprovisorischer Massnahme vom 19. Juli 2024 setzte die Instruktionsrichterin den Vollzug der Überstellung des Beschwerdeführers einstweilen aus.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig
und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).
Die vorliegende Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet, weshalb sie im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung, zu behandeln ist (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). In diesem Fall verfügt das SEM in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 44 AsylG).
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 8–15 Dublin-III-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO). Das Verfahren zur Bestimmung des
zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO). Im Rahmen des – hier interessierenden – Wiederaufnahmeverfahrens ([engl.: take back] Art. 23–25 Dublin-III-VO) findet grundsätzlich keine (neue) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III Dublin-III-VO mehr statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2019 VI/7 E. 4–6, 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1).
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta; ABl. C 364/1 vom 18. Dezember 2000) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin-III-VO).
Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO). Dieses sogenannte Selbsteintrittsrecht wird im Landesrecht durch Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) konkretisiert. Gemäss dieser Bestimmung kann das SEM das Asylgesuch «aus humanitären Gründen» auch dann behandeln, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO ein anderer Staat zuständig wäre. Liegen individuelle völkerrechtliche Überstellungshindernisse vor, ist der Selbsteintritt zwingend (vgl. BVGE 2015/9 E. 8.2.1).
Der Abgleich der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers ergab, dass dieser am (...) März 2024 in Deutschland um Asyl nachgesucht hatte. Das SEM ersuchte deshalb die deutschen Behörden am 3. Juli 2024 um seine Wiederaufnahme. Die deutschen Behörden stimmten dem Ersuchen am
9. Juli 2024 gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO zu. Die grundsätzliche Zuständigkeit Deutschlands ist somit gegeben und wird auf Beschwerdeebene auch nicht bestritten.
Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das deutsche Asylsystem keine systemischen Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin-III-VO aufweist (vgl. etwa Urteile des BVGer F-411/2024 vom 29. Januar 2024 E. 4.2; E-1107/2023 vom 6. März 2023; D-1062/2023 vom 28. Februar 2023 E. 3, je m.w.H.). Es wird demnach vermutet, dass dieses Land seine völkerund gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen einhält. Diese Vermutung kann allerdings in einem konkreten Fall widerlegt werden, was nachfolgend unter dem Blickwinkel vom Art. 17 Abs. 1 erster Satz Dublin-III-VO geprüft wird.
Weder anlässlich seiner Erstbefragung UMA noch in seiner Rechtsmitteleingabe brachte der Beschwerdeführer etwas vor, was geeignet wäre, die genannte Vermutung umzustossen. Es gelingt ihm somit nicht aufzuzeigen, dass die deutschen Behörden sich weigern würden, ihn aufzunehmen sowie seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung des Völkerrechts zu prüfen. Auch den Akten sind keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, Deutschland missachte in seinem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement und werde ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist. Bezüglich der gegen eine Rückkehr in sein Heimatland Algerien geltend gemachten Gründe steht es ihm offen, diese nach der Rückübernahme Deutschlands gegenüber den deutschen Behörden vorzubringen, wobei er in Deutschland die Möglichkeit hat, gegen einen allfälligen negativen Verfahrensausgang seines Asylgesuchs Beschwerde einzureichen. Nach dem Ausgeführten kann der Beschwerdeführer kein konkretes und ernsthaftes Risiko dartun, wonach seine Überstellung nach Deutschland die Verletzung völkerrechtlicher Bestimmungen zur Folge hätte. Darüber hinaus bestehen keine Hinweise auf eine nicht gesetzeskonforme Ausübung des Ermessens hinsichtlich Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 (humanitäre Gründe).
Es liegt folglich kein Grund für einen Selbsteintritt der Schweiz gemäss Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 in Verbindung mit Art. 17 Dublin-III-VO vor. Deutschland bleibt zuständiger Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO und ist verpflichtet, den Beschwerdeführer wiederaufzunehmen.
Die Vorinstanz ist angesichts der vorstehenden Erwägungen zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG nicht auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers eingetreten. Die Überstellung nach Deutschland wurde in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet. Die Beschwerde ist abzuweisen.
Mit vorliegendem Urteil ist das Beschwerdeverfahren abgeschlossen. Der am 19. Juli 2024 angeordnete provisorische Vollzugsstopp fällt dahin.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.– (Art. 13 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Regina Derrer Janine Sert
Versand:
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