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Bundesverwaltungsgericht Urteil F-6214/2020

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung VI
Dossiernummer:F-6214/2020
Datum:17.01.2022
Leitsatz/Stichwort:Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung
Schlagwörter : Beschwerde; Beschwerdeführer; Einbürgerung; Schweiz; Erleichtert; Erleichterte; Schweizer; Ehefrau; Nichtigerklärung; Vorinstanz; Kinder; Behörde; SEM-act; Beschwerdeführers; Erleichterten; Recht; Urteil; Eheliche; Tunesien; Verfügung; Sachverhalt; Zeitpunkt; Frist; Rechts; Vermutung; Beweis; Tunesische; Stabil; Person; Ehegatte
Rechtsnorm: Art. 12 BüG ; Art. 13 VwVG ; Art. 159 ZGB ; Art. 20 BüG ; Art. 20 VwVG ; Art. 21 BüG ; Art. 21 StGB ; Art. 36 BüG ; Art. 47 BüG ; Art. 48 BGG ; Art. 48 VwVG ; Art. 50 BüG ; Art. 52 VwVG ; Art. 62 VwVG ; Art. 63 VwVG ;
Referenz BGE:135 II 161; 140 II 65; ;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung VI F-6214/2020

U r t e i l v o m 1 7 . J a n u a r 2 0 2 2

Besetzung Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz), Richter Fulvio Haefeli,

Richter Yannick Antoniazza-Hafner, Gerichtsschreiberin Corina Fuhrer.

Parteien A. ,

(…),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung.

Sachverhalt:

A.

Der aus Tunesien stammende Beschwerdeführer (geb. […]) wurde am

10. März 2005 in der Schweiz als Flüchtling anerkannt und vorläufig aufgenommen. Am 27. Oktober 2006 heiratete er hier die Schweizer Bürgerin B. (geb. […]), woraufhin die vorläufige Aufnahme beendet wurde. In der Folge verzichtete der Beschwerdeführer auf seine Flüchtlingseigenschaft und verlangte seine tunesischen Papiere zurück.

B.

Gestützt auf diese Ehe ersuchte der Beschwerdeführer am 22. November 2011 beim damaligen Bundesamt für Migration BFM (heute: Staatssekretariat für Migration SEM) um erleichterte Einbürgerung. Im Rahmen des Einbürgerungsverfahrens unterzeichneten die Ehegatten am 16. Oktober 2012 eine gemeinsame Erklärung, wonach sie in einer tatsächlichen, ungetrennten, stabilen ehelichen Gemeinschaft an derselben Adresse zusammenlebten und weder Trennungsnoch Scheidungsabsichten bestünden. Gleichzeitig nahmen sie unterschriftlich zur Kenntnis, dass die erleichterte Einbürgerung nicht möglich ist, wenn vor oder während des Einbürgerungsverfahrens einer der Ehegatten die Trennung oder Scheidung beantragt hat oder keine tatsächliche eheliche Gemeinschaft mehr besteht, und dass die Verheimlichung solcher Umstände zur Nichtigerklärung der Einbürgerung führen kann (Akten der Vorinstanz [SEM-act.] 2/29).

C.

Am 21. November 2012, in Rechtskraft erwachsen am 8. Januar 2013, wurde der Beschwerdeführer erleichtert eingebürgert. Mit dem Schweizer Bürgerrecht erwarb er die Bürgerrechte der Kantone Zürich und Luzern und der Gemeinden X. /ZH und Z. /LU (SEM-act. 2/32 f.).

D.

Anlässlich einer internen Kontrolle erkundigte sich die Vorinstanz am 6. November 2018 beim zuständigen Gemeindeamt nach dem Wohnsitz der Ehegatten sowie allfälligen zivilstandsrechtlichen Änderungen. Das Gemeindeamt orientierte die Vorinstanz gleichentags darüber, dass seit der erleichterten Einbürgerung des Beschwerdeführers mehrere, sich im Ausland zugetragene Zivilstandsereignisse zur Prüfung eingegangen seien. Dabei handle es sich einerseits um die bigamische Eheschliessung des Beschwerdeführers mit einer tunesischen Staatsangehörigen am 7. Februar 2014 und andererseits um die Geburt zweier Kinder (geb. 2015 und 2016) in Tunesien, welche aus dieser Ehe hervorgegangen seien. Die Ehe

mit der Schweizer Ehefrau bestehe noch immer, weshalb der Beschwerdeführer zur Stellungnahme aufgefordert worden sei (SEM-act. 2/33 f.). Die in diesem Zusammenhang erfolgte Eingabe vom 25. April 2017 wurde der Vorinstanz zusammen mit weiteren Dokumenten (Geburtsscheine und Passkopien der Kinder sowie Auszüge aus dem tunesischen Zivilstandsregister mit Verweis auf die Eheschliessung) zur Kenntnis gebracht (SEM-act. 2/49 ff.).

E.

    1. Aufgrund dieser Umstände zeigte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer am 16. November 2018 die Eröffnung eines Verfahrens auf Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung an und gab ihm gleichzeitig Gelegenheit zur Stellungnahme (SEM-act. 3). Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer mit einer ersten Eingabe vom 10. Dezember 2018 nach (SEM-act. 4).

    2. Das zuständige Gemeindeamt orientierte die Vorinstanz am 22. Januar 2019 darüber, dass die Eintragung der Eheschliessung des Beschwerdeführers mit der tunesischen Staatsangehörigen ins Schweizer Zivilstandsregister am 12. Dezember 2018 abgewiesen worden sei. Der tunesischen Ehefrau sei die Verfügung durch die dortige Schweizerische Vertretung am 21. Januar 2019 persönlich eröffnet worden (SEM-act. 6).

    3. Am 4. Februar 2019 befragte die Stadtpolizei Y. im Auftrag der kantonalen Einbürgerungsbehörde beziehungsweise der Vorinstanz die Schweizer Ehefrau zu bestimmten Sachverhaltselementen (SEM-act. 5 und 7).

    4. Am 21. März 2019 lud die Vorinstanz den Beschwerdeführer zur abschliessenden Stellungnahme ein, wovon er am 14. April 2019 Gebrauch machte (SEM-act. 10 und 11).

F.

Mit Verfügung vom 13. November 2020 erklärte die Vorinstanz die erleichterte Einbürgerung des Beschwerdeführers für nichtig (SEM-act. 13).

G.

Mit Rechtsmitteleingabe vom 8. Dezember 2020 gelangte der Beschwerdeführer an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Aufhebung der vorgenannten Verfügung (Akten des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer-act.] 1).

H.

In Ihrer Vernehmlassung vom 9. März 2021 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer liess sich dazu nicht mehr vernehmen (BVGer-act. 10 und 12).

I.

Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägungen eingegangen

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Mit dem am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Bürgerrechtsgesetz vom

20. Juni 2014 (BüG, SR 141.0) wurde der gleichnamige Erlass vom

29. September 1952 (aBüG, AS 1952 1087) aufgehoben (vgl. Art. 49 BüG

i.V.m. Ziff. I seines Anhangs). Gemäss der Übergangsbestimmung von Art. 50 Abs. 1 BüG richten sich Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts nach dem Recht, das bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes in Kraft steht. Die Vorinstanz wurde nach der Rechtsänderung über den für die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung massgebenden Sachverhalt in Kenntnis gesetzt und das Verfahren zur Nichtigerklärung wurde ebenfalls nachher eingeleitet, weshalb die vorliegende Streitsache nach dem neuen Bürgerrechtsgesetz zu beurteilen ist (vgl. Urteile des BVGer F-1034/2019 vom 7. Dezember 2020 [Referenzurteil] E. 3 und

F-2870/2018 vom 15. April 2020 E. 3).

2.

    1. Verfügungen der Vorinstanz über die Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 47 Abs. 1 BüG i.V.m. Art. 31 ff. VGG).

    2. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

3.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung

von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und – sofern nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat – die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen (vgl. BVGE 2014/1 E. 2).

4.

    1. Gemäss Art. 21 Abs. 1 BüG kann eine ausländische Person nach der Eheschliessung mit einer Schweizerin oder einem Schweizer ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn sie seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Ehemann oder der Ehefrau lebt (Bst. a) und sich insgesamt fünf Jahre in der Schweiz aufgehalten hat, wovon ein Jahr unmittelbar vor Einreichung des Gesuchs (Bst. b). In allgemeiner, für alle Formen der erleichterten Einbürgerung geltenden Weise setzt Art. 20 Abs. 1 BüG mit Verweis auf Art. 12 Abs. 1 und 2 BüG voraus, dass die Integration erfolgreich verlief. Sämtliche Einbürgerungsvoraussetzungen müssen sowohl bei Einreichung des Gesuchs als auch anlässlich der Einbürgerungsverfügung erfüllt sein. Fehlt es daher im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheids an der ehelichen Gemeinschaft, darf die erleichterte Einbürgerung nicht ausgesprochen werden (Art. 10 Abs. 3 Bürgerrechtsverordnung vom 17. Juni 2016 [BüV, SR 141.01]; BGE 140 II 65 E. 2.1 m.H.).

    2. Sobald an einen Begriff wie die Ehe rechtliche Folgen – wie der Erwerb des Bürgerrechts – geknüpft sind, liegt die Definitionshoheit nicht mehr beim Einzelnen, sondern beim Gesetzgeber bzw. bei der Rechtsprechung (vgl. Urteil des BVGer F-3013/2018 vom 20. April 2020 E. 4.2). Der Begriff der ehelichen Gemeinschaft bedeutet nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung mehr als nur das formelle Bestehen einer Ehe. Verlangt wird vielmehr eine tatsächliche Lebensgemeinschaft, getragen vom beidseitigen Willen, die Ehe auch künftig aufrechtzuerhalten (Art. 10 Abs. 1 BüV). Zweifel am Willen der Ehegatten, die eheliche Gemeinschaft aufrechtzuerhalten, können sich dann ergeben, wenn kurze Zeit nach der erleichterten Einbürgerung die Trennung erfolgt oder die Scheidung eingeleitet wird (BGE 135 II 161 E. 2 m.H.), eine Ehegatte während der Ehe ein aussereheliches Kind zeugt (vgl. Urteil des BGer 1C_27/2011 vom 21. März 2011

E. 6.4.1) oder eine Zweitehe schliesst, der Prostitution nachgeht oder sich

in einer anderen Weise verhält, die in grobem Widerspruch steht zum traditionellen Bild der Ehe als einer ungeteilten, von Treue und Beistand getragenen Geschlechtergemeinschaft zwischen Mann und Frau (vgl. Urteil des BVGer F-3142/2018 vom 10. August 2020 E. 5.2 m.H.).

5.

    1. Nach Art. 36 Abs. 1 BüG kann die erleichterte Einbürgerung nichtig erklärt werden, wenn sie durch falsche Angaben oder Verheimlichung erheblicher Tatsachen erschlichen worden ist. Das blosse Fehlen der Einbürgerungsvoraussetzungen genügt nicht. Die Nichtigerklärung der Einbürgerung setzt voraus, dass diese "erschlichen", das heisst mit einem unlauteren und täuschenden Verhalten erwirkt worden ist. Andererseits ist keine Arglist im Sinne des Strafrechts erforderlich. Es genügt, dass die gesuchstellende Person bewusst falsche Angaben macht bzw. die zuständige Behörde bewusst in einem falschen Glauben lässt und so den Vorwurf auf sich zieht, es unterlassen zu haben, über eine erhebliche Tatsache zu informieren (BGE 140 II 65 E. 2.2 m.H.).

    2. Die Parteien sind verpflichtet, an der Feststellung des massgebenden Sachverhalts mitzuwirken. Insbesondere müssen sie eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse, von denen sie wissen müssen, dass sie einer Einbürgerung entgegenstehen, der zuständigen Behörde unverzüglich mitteilen (Art. 21 Bst. b BüV). Die Pflicht dazu ergibt sich bereits aus dem Grundsatz von Treu und Glauben und aus der verfahrensrechtlichen Mitwirkungspflicht gemäss Art. 13 Abs. 1 Bst. a VwVG. Die Behörde ihrerseits darf sich darauf verlassen, dass die vormals erteilten Auskünfte bei passivem Verhalten des Gesuchstellers nach wie vor zutreffen (BGE 140 II 65 E. 2.2 m.H.).

    3. Die Täuschungshandlung der gesuchstellenden Person muss sich auf einen erheblichen Sachverhalt beziehen. Erheblich im Sinne von Art. 36 Abs. 1 BüG ist ein Sachverhalt nicht nur, wenn seine Offenlegung dazu geführt hätte, dass die mit der Einbürgerung befasste Behörde das Vorliegen einer Einbürgerungsvoraussetzung verneint und die Einbürgerung verweigert hätte. Es genügt, wenn der Sachverhalt, wäre er der Behörde bekannt gewesen, begründete Zweifel am Vorliegen einer solchen Voraussetzung geweckt und die Einbürgerung ernsthaft in Frage gestellt hätte bzw. eine solche nicht ohne weitere Beweismassnahmen hätte verfügt werden können (vgl. BVGer Urteil F-2236/2020 vom 18. Februar 2021 E. 6.3 m.H.).

6.

    1. Das Verfahren zur Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung richtet sich nach dem VwVG (vgl. Art. 1 Abs. 1 und 2 Bst. a VwVG). Es gilt namentlich der Untersuchungsgrundsatz (Art. 12 VwVG). Die Behörde hat daher von Amtes wegen zu untersuchen, ob der betroffenen Person die Täuschung über eine Einbürgerungsvoraussetzung vorgeworfen werden kann, wozu insbesondere die Existenz eines beidseitig intakten und gelebten Ehewillens gehört. Da die Nichtigerklärung in die Rechte der betroffenen Person eingreift, liegt die Beweislast bei der Behörde. Allerdings geht es in der Regel um innere, dem Kern der Privatsphäre zugehörige Sachverhalte, die der Behörde nicht bekannt und einem Beweis naturgemäss kaum zugänglich sind. Sie können regelmässig nur indirekt durch Indizien erschlossen werden. Die Behörde kann sich daher veranlasst sehen, von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) zu schliessen. Dabei handelt es sich um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden. Wie bereits erwähnt ist die betroffene Person bei der Sachverhaltsabklärung mitwirkungspflichtig (Art. 21 BüV; BGE 140 II 65 E. 2.2; 135 II 161 E. 3 je m.H.).

    2. Die natürliche Vermutung gehört zur freien Beweiswürdigung (vgl. Art. 19 VwVG i.V.m. Art. 40 BZP [SR 273]). Sie stellt eine Beweisführungserleichterung dar, indem eine bereits vorhandene, aber nicht mit letzter Schlüssigkeit mögliche Beweisführung unterstützt wird. Eine Umkehr der Beweislast hat sie nicht zur Folge. Wenn daher bestimmte Tatsachen – bspw. die Chronologie der Ereignisse – die natürliche Vermutung begründen, dass die erleichterte Einbürgerung erschlichen wurde, kann die betroffene Person diese Vermutung durch Gegenbeweis entkräften (vgl. FRANZ HASENBÖHLER, Das Beweisrecht der ZPO, Band 1, Zürich 2015,

S. 193, Rz. 5.58). Es genügt zum Beweis, wenn sie einen Grund anführt, der es dem Gericht plausibel erscheinen lässt, dass sie die Behörde nicht getäuscht hat.

7.

    1. Die Möglichkeit der Nichtigerklärung geht durch Zeitablauf unter. Nach Art. 36 Abs. 2 BüG kann die Einbürgerung innert zwei Jahren, nachdem das SEM vom rechtserheblichen Sachverhalt Kenntnis erhalten hat, spätestens aber innert acht Jahren nach dem Erwerb des Schweizer Bürgerrechts, nichtig erklärt werden. Nach jeder Untersuchungshandlung, die der eingebürgerten Person mitgeteilt wird, beginnt eine neue zweijährige Verjährungsfrist zu laufen. Während eines Beschwerdeverfahrens stehen die Fristen still.

    2. Vorliegend sind die Fristen von Art. 36 Abs. 2 BüG – sowohl die zweijährige relative als auch die achtjährige absolute Verjährungsfrist – eingehalten. Dem Einwand des Beschwerdeführers, wonach die Frist von acht Jahren am 21. November 2020 abgelaufen und der Fall somit verjährt sei, kann aus nachstehenden Erwägungen nicht gefolgt werden.

      1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist für die Fristberechnung das Zustellungsdatum der Einbürgerungsrespektive Nichtigerklärungsverfügung massgebend. Demnach obliegt es der Behörde, die entsprechende Verfügung nicht nur innert der achtjährigen Frist zu erlassen und zu versenden, sondern der betroffenen Person auch zuzustellen. Soll eine Verfügung innert Frist wirksam werden, muss sie daher innert Frist der betroffenen Person eröffnet werden. Eröffnet ist eine Verfügung, wenn sie in den Empfangsbereich des Adressaten gelangt, sodass dieser davon Kenntnis nehmen kann (zum Ganzen Urteil des BGer 1C_336/2010 vom 28. September 2010 E. 3; vgl. auch Urteil des BVGer F-3334/2016 vom 20. Juni 2018 E. 5).

      2. Nach Art. 20 Abs. 1 VwVG beginnt eine mitteilungsbedürftige nach Tagen berechnete Frist an dem auf ihre Mitteilung folgenden Tag zu laufen. Der Tag der Mitteilung der Frist wird somit für die Berechnung des Fristenlaufs nicht berücksichtigt. Ist die Frist nach Monaten oder Jahren bestimmt, endet sie nach der Rechtsprechung an dem Tag, welcher jenem des Beginns des Fristenlaufs entspricht, bei dessen Fehlen am letzten des Monats (vgl. Urteil des BGer 1C_421/2008 vom 15. Dezember 2008 E. 2.2; EGLI PATRICIA, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, Art. 20 N. 8).

      3. Die Verfügung über die erleichterte Einbürgerung des Beschwerdeführers datiert vom 21. November 2012. In welchem Zeitpunkt sie dem Beschwerdeführer zugegangen ist, kann nicht eruiert werden. Zu seinen Gunsten ist deshalb davon auszugehen, dass sie ihm am Tag darauf, dem

22. November 2012, zuging. Die achtjährige Verwirkungsfrist nach Art. 36 Abs. 2 BüG begann demnach am nächstfolgenden Tag, dem 23. November 2012, zu laufen und endete demzufolge am 23. November 2020. Die Vorinstanz verfügte die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung am

  1. November 2020. Sie wurde gleichentags versandt und ist dem Beschwerdeführer gemäss Rückschein der Schweizerischen Post am 17. November 2020 zugegangen (SEM-act. 13 und 14). Der angefochtene Entscheid wurde somit innert der achtjährigen Frist eröffnet. Damit sind die

    formellen Voraussetzungen für die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung erfüllt.

    8.

    In materieller Hinsicht stellt sich der Sachverhalt gestützt auf die vorhandenen Akten wie folgt dar:

      1. Der Beschwerdeführer, der damals seit eineinhalb Jahren in der Schweiz als Flüchtling anerkannt und vorläufig aufgenommen war, heiratete am 27. Oktober 2006 die um ein Jahr ältere Schweizer Bürgerin B. . Am 22. November 2011 stellte er ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung. Am 16. Oktober 2012 unterzeichneten die Ehegatten die gemeinsame Erklärung zum Zustand ihrer Ehe und am 21. November 2012 erfolgte die erleichterte Einbürgerung des Beschwerdeführers. Diese Ehe besteht nach wie vor. Am 7. Februar 2014 schloss der Beschwerdeführer in Tunesien eine Zweitehe mit der 25 Jahre jüngeren tunesischen Staatsangehörigen C. (geb. […]). Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder, ein Sohn (geb. 2015) und eine Tochter (geb. 2016), hervor.

      2. Die Schweizer Ehefrau des Beschwerdeführers nahm bereits vor Eröffnung des vorinstanzlichen Verfahrens auf Aufforderung des Gemeindeamts des Kantons […], Abteilung Zivilstandswesen, hin Stellung zum Sachverhalt (zum Ganzen SEM-act. 2/49 ff.):

        Mit Schreiben vom 24. April 2017 teilte sie mit, sie habe ihren Ehemann im Sommer 2003 kennengelernt. Im Jahr 2005 hätten sie sich verlobt und ein Jahr später, am 27. Oktober 2006, in Y. geheiratet. Sie hätten sich sehnlichst ein Kind gewünscht, doch hätten sich alle Möglichkeiten, der Natur mittels moderner Reproduktionsmedizin nachzuhelfen, in Luft aufgelöst, da sie aufgrund ihres Alters nicht mehr fruchtbar gewesen sei. Auch für eine Adoption seien sie in diesem Zeitpunkt bereits zu alt gewesen; die Möglichkeit einer Leihmutterschaft im Ausland sei zwar erwogen, jedoch aus ethischen, praktischen und rechtlichen Gründen verworfen worden. So sei bei ihr – der Ehefrau – die Idee entstanden, eine junge Frau zu suchen, welche sich vorstellen könnte, mit dem Beschwerdeführer ein Kind zu zeugen und ihr dieses als Ziehmutter anzuvertrauen. Sie hätten diese Frau in C. , der Tochter der Nachbarsfamilie im Heimatdorf des Ehemannes, gefunden. Da sie die Angehörigen ihres Ehemannes in den Ferien oft besuchten, kenne und schätze die Nachbarsfamilie auch sie. C. und ihre Familie hätten allerdings nur unter der Bedingung eingewilligt, dass der Mann sie heirate und für sie sorge. In der traditionellen Kultur

        Tunesiens sei es unvorstellbar, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Seinen Verpflichtungen komme der Beschwerdeführer voll und ganz nach; so schicke er regelmässig Geld und die tunesische Ehefrau wohne mit dem gemeinsamen Sohn in einer Einliegerwohnung des Elternhauses des Beschwerdeführers.

        Weiter seien sie sich bewusst, dass dieses Familienmodell für schweizerische Verhältnisse exotisch sei. In traditionellen muslimischen Gesellschaften werde es hingegen weit verbreitet gelebt, um das Problem der Kinderlosigkeit – welches als das schlimmste erdenkliche Schicksal gelte – zu lösen. Zudem hätten sie verhindern wollen, dass C. durch ein unehelich geborenes Kind zu Schaden komme oder ihre Ehre verliere. Sie seien immer offen mit dieser Situation umgegangen und hätten die Behörden nicht hintergehen wollen. Sie hätten schlicht nicht gewusst, was vorzukehren sei, um dem Sohn zu Papieren zu verhelfen, damit dieser in die Schweiz kommen könne. Um dies zu klären, sei der Beschwerdeführer nach Tunesien gereist, wo er mit C. die Schweizer Botschaft besucht habe.

        Auch das zweite Kind sei geplant gewesen; dieses habe sich die Familie von C. nach der Geburt des ersten Kindes ausbedungen, da sie ansonsten ihre Zustimmung zurückziehen wollten, den Sohn in der Schweiz aufwachsen zu lassen. Dieser im Nachhinein gestellten Forderung Folge zu leisten, sei eine schwere Entscheidung gewesen, doch seien sie zum Schluss gekommen, dass ein Geschwister für den Sohn ein Geschenk sei und auch die Beziehung zur Familie der leiblichen Mutter festige. Die Tochter werde in der Obhut der Mutter in Tunesien belassen. Sie selbst hätten vor kurzem ein Eigenheim in der Schweiz erworben, um dem Sohn ein kindergerechtes Umfeld und eine stabile Familienund Lebenssituation zu ermöglichen.

      3. Der Beschwerdeführer gab am 10. Dezember 2018 eine erste Stellungnahme zuhanden des erstinstanzlichen Verfahrens ab, welche seine Schweizer Ehegattin mitunterzeichnete. Betreffend den Grund seiner zweiten Eheschliessung in Tunesien verwies er unter Beilage des soeben erwähnten Schreibens zuhanden der Gemeinde hauptsächlich auf die darin gemachten Ausführungen. Er und seine Schweizer Ehefrau besuchten ihre Kinder regelmässig in Tunesien, wobei es angesichts der ungeklärten Rechtslage eine belastende Zeit für sie sei. Zu einer allfälligen Nichtigerklärung seiner erleichterten Einbürgerung machte er geltend, dass es ihm

        zu keiner Zeit bewusst gewesen sei, dass sein Handeln als bigamisch eingeordnet werden und Auswirkungen auf seine Schweizer Staatsbürgerschaft haben könnte. Die Eheschliessung in Tunesien sei ausschliesslich

        auf Wunsch von C.

        und deren Familie erfolgt. Er führe in der

        Schweiz ein normales Leben, wo er arbeite, im Vereinsleben aktiv sei und hier seine Freunde habe. Nie sei es darum gegangen, etwas zu verheimlichen oder ein Doppelleben zu führen, sondern einzig eine Lösung für ihre Kinderlosigkeit zu finden. Er fürchte sich davor, im Falle eines Verlustes der Schweizer Staatsbürgerschaft und in Anbetracht seines Alters wieder in die Arbeitslosigkeit abzudriften, was – insbesondere vor dem Hintergrund des kürzlich erworbenen Eigenheims – eine existenzielle Bedrohung für ihn und seine Ehefrau bedeuten würde (SEM-act. 4/54 f.).

      4. Am 4. Februar 2019 äusserte sich die Schweizer Ehefrau anlässlich ihrer Befragung im erstinstanzlichen Verfahren zum Sachverhalt:

        Vor der protokollarischen Befragung durch die Stadtpolizei Y. erklärte sie, dass sie soeben aus ihren vierwöchigen Ferien in N. zurückgekehrt sei. Sie habe diese Ferien ohne ihren Mann verbracht, da sie befürchteten, ihm könnte bei der Rückkehr die Einreise in die Schweiz verweigert werden.

        Der Anstoss zur Heirat sei von beiden Seiten ausgegangen. Sie sei damals geschieden und alleinerziehend gewesen und habe mit ihrem katholischen Hintergrund keinen Liebhaber, sondern einen Ehemann gewollt. Die eheliche Gemeinschaft sei im Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens stabil gewesen und sei es auch heute noch. Auf die Frage, ob ihr bekannt sei, dass der Beschwerdeführer in Tunesien nochmals geheiratet habe, antwortete sie mit ja; sie habe diese Frau für ihren Mann ausgesucht. In Bezug auf die näheren Umstände decken sich ihre Antworten sodann mit den bereits früher gemachten Ausführungen (SEM-act. 7).

      5. In der abschliessenden Stellungnahme des Beschwerdeführers vom

  2. April 2019 bekräftigten die Ehegatten erneut, dass die Ehe in der Schweiz seit Oktober 2006 zunächst in einer gemeinsamen Mietwohnung und seit Oktober 2018 in einer Eigentumswohnung in Y. tatsächlich gelebt werde, was durch eine entsprechende Wohnsitzbestätigung der Einwohnerkontrolle vom 27. März 2019 belegt wurde (SEM-act. 11/107 f.). Ergänzend führten sie aus, dass ihre Lebensumstände bereits hinsichtlich der Erlangung einer Hypothek von der zuständigen Bank durchleuchtet worden seien; wäre diese nicht absolut überzeugt gewesen, dass die Ehe

stabil und intakt sei, hätte man ihnen die Hypothek nicht gewährt. Diesbezüglich wurde der Kaufvertrag der Eigentumswohnung auszugsweise beigelegt (SEM-act. 11/113 f.). In diesem Zusammenhang seien auch Vorkehrungen für den Todesfall getroffen worden, wobei aus der Nachlassregelung hervorgehe, dass insbesondere der voreheliche Sohn von B. zu Gunsten des Beschwerdeführers zu dessen Lebzeiten auf sein Erbe verzichte. Unter Beilage entsprechender (Konto-)Auszüge wurde sodann darauf verwiesen, dass die Bankkonten des Ehepaars auf einem einzigen Hauptkonto geführt würden und gegenseitige Postvollmachten bestünden (SEM-act. 11/109 ff. und 11/114 f).

Schliesslich äusserte sich B. in dieser Stellungnahme nochmals zu der im Rahmen ihrer Befragung erwähnten Ferienreise, welche sie ohne ihren Ehemann unternommen hatte. Die vier Wochen Ferien habe sie aufgrund eines Dienstaltersgeschenks beziehen können, welches bis im Jahr 2019 habe eingelöst werden müssen (entsprechende Bestätigung des Arbeitgebers beigelegt, SEM-act. 11/116). Eine so lange Abwesenheit zu organisieren sei aufgrund verschiedener Faktoren (Bau der Eigentumswohnung, Krankheit und Tod ihrer Mutter, chronischem Personalmangel im Betrieb) nicht einfach gewesen. In N. habe sie Verwandte besucht, um Zeit mit der Familie zu verbringen und Dokumente ihrer verstorbenen Mutter zu überbringen. Der Beschwerdeführer habe in dieser Zeit seinem Arbeitgeber zur Verfügung stehen sowie Nachbesserungen am Eigenheim überwachen müssen. Zudem sei die Reise teuer (SEM-act. 11).

    1. Mit E-Mail vom 22. Januar 2019 informierte das Gemeindeamt des Kantons […] die Vorinstanz über die Abweisung der durch den Beschwerdeführer ersuchten Eintragung der Zweitehe. Unter Verweis auf die Korrespondenz mit der Schweizer Botschaft in Tunesien wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei mit seiner tunesischen Ehefrau am Schalter der Botschaft erschienen und habe gefordert, dass ihm alleine der Entscheid ausgehändigt werde. Als seitens der Vertretung darauf bestanden worden sei, die Verfügung der Ehefrau ins Arabische zu übersetzen, habe dieser mit einem Wutausbruch reagiert, da er habe verhindern wollen, dass C. vom Weiterbestehen der ersten Ehe erfahre. Letztere habe bereits anlässlich eines früheren Besuchs am Botschaftsschalter verlauten lassen, dass sich der Beschwerdeführer von seiner Schweizer Ehefrau scheiden lassen werde und darauf gehofft, dass die tunesische Eheschliessung infolgedessen bald anerkannt und ihr sowie den Kindern ein Einreisevisum in die Schweiz ausgestellt würde. Die Abweisungsverfügung habe sie äusserst negativ aufgenommen (SEM-act. 6).

9.

    1. In der angefochtenen Verfügung geht die Vorinstanz von der Vermutung aus, dass die Ehe zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Schweizer Gattin im Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens nicht mehr in genügendem Masse stabil und zukunftsgerichtet im Sinne des BüG gewesen sei. Sie stützt diese Annahme insbesondere auf den Kinderwunsch des Ehepaars, welcher in den sechs Jahren seit der Heirat bis zur erleichterten Einbürgerung unerfüllt geblieben sei. Da die Ehe gemäss eigenen Angaben des Ehepaars in erster Linie zum Zweck der Familiengründung geschlossen worden sei, ihnen dies aber aufgrund des Alters der Schweizer Ehefrau vergönnt gewesen sei, bestehe ohne Zweifel die Vermutung, dass es sich im Einbürgerungszeitpunkt nicht mehr um eine intakte und zukunftsgerichtete Ehe gehandelt habe. Die Grundlage für diese Vermutung sei erstellt durch den Plan, den Kinderwunsch mittels Heirat mit einer 25 Jahre jüngeren Landsfrau des Beschwerdeführers zu erfüllen. Es handle sich dabei um ein länger dauerndes Projekt, insbesondere da sich die beiden Frauen bereits im Jahr 2009 kennengelernt hätten. Da es sich dabei um Bigamie handle, welche in der Schweiz und soweit ersichtlich auch in Tunesien verboten sei, wäre eine Anerkennung der Zweitehe mit dem schweizerischen Ordre public offensichtlich unvereinbar. Der Beschwerdeführer habe die Vermutung der nicht zukunftsgerichteten und stabilen Ehe nicht überzeugend widerlegen können. Schliesslich seien angesichts der bigamisch eingegangenen Ehe und der Geburt der beiden ausserehelichen Kinder keine Gründe ersichtlich, welche es ermessensweise rechtfertigen würden, auf die Rechtsfolge der Nichtigerklärung zu verzichten.

    2. Der Beschwerdeführer und seine Schweizer Ehefrau halten dem auf Rechtsmittelebene zunächst entgegen, dass gegenüber den Behörden nie falsche Angaben gemacht worden seien. Nach dem definitiven Bescheid über die altersbedingte Unfruchtbarkeit der Ehefrau sei nach einer Lösung zur Familiengründung gesucht worden. Seit der Heirat im Oktober 2006 führten sie eine tatsächliche Lebensgemeinschaft, in der täglich Tisch, Bett, Freizeit, Geld und Verantwortung geteilt würden. Dass sich die Vorinstanz auf ein veraltetes Bild der Ehe berufe und daraus ableite, sie führten keine richtige Ehe, entbehre jedem sachlichen und rechtlichen Urteilsvermögen. Entgegen den Ausführungen in der angefochtenen Verfügung habe der Beschwerdeführer nicht die Ehe mit C. , sondern einzig die beiden Kinder ins Zivilstandsregister eintragen lassen wollen. Die Ausführungen der Vorinstanz, wonach der Beschwerdeführer am Schalter der Schweizerischen Vertretung in Tunesien einen Wutanfall gehabt habe,

sei frei erfunden. Der Beschwerdeführer sei damals in der Schweiz gewesen; C. habe die Verfügung in Begleitung ihres Onkels entgegengenommen, welcher sich über die lang Wartezeit beschwert habe. C. wisse, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz verheiratet sei und man stehe in regelmässigem Kontakt.

10.

    1. Vorab ist festzustellen, dass sowohl die Heirat des Beschwerdeführers mit der tunesischen Staatsangehörigen C. im Februar 2014 als auch die Geburt der aus dieser Zweitehe stammenden Kinder in den Jahren 2015 und 2016 zeitlich nach Abschluss des Einbürgerungsverfahrens des Beschwerdeführers erfolgten, welcher am 8. Januar 2013 rechtskräftig erleichtert eingebürgert worden war. Es handelt sich dabei folglich nicht um erhebliche Tatsachen, welche der Beschwerdeführer den Behörden im Zeitpunkt des Einbürgerungsverfahrens hätte vorenthalten können. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, ob diese Ereignisse bei deren Kenntnis durch die Behörden einer erleichterten Einbürgerung des Beschwerdeführers entgegengestanden hätten bzw. ob letzterer es unterlassen habe, die Behörden darüber zu informieren und schon allein deswegen den Nichtigkeitsgrund des Erschleichens im Sinne von Art. 36 Abs. 1 BüG gesetzt habe, vorliegend nicht.

    2. Nachfolgend zu prüfen ist vielmehr, ob der Beschwerdeführer – so die Vorinstanz – die Behörden im Zeitpunkt seines Einbürgerungsverfahrens über den Bestand einer intakten und zukunftsgerichteten Ehe mit seiner Schweizer Ehefrau getäuscht hat.

11.

Das Eingehen einer Zweitehe des Beschwerdeführers sowie das Zeugen zweier Kinder mit derselben (Lands-)Frau spricht gegen einen intakten Willen zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft mit der schweizerischen Ehefrau (vgl. etwa Urteil des BVGer C-955/2008 vom 15. Juli 2011 E. 9.2 m.H.). Der Beschwerdeführer hat sich damit in Tunesien zumindest von aussen betrachtet eine Zweitfamilie aufgebaut. Vor diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, wenn die Vorinstanz angesichts dieser kurz nach der erleichterten Einbürgerung erfolgten Sachverhaltsentwicklungen von der tatsächlichen Vermutung ausgeht, dass der Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft im Zeitpunkt der Einbürgerung nicht intakt war und die Behörde über diesen Umstand getäuscht wurde. Folglich ist zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in der Lage ist, besagte Vermutung zu widerlegen. Dazu

braucht er nicht den Nachweis zu erbringen, dass die Ehe mit der Schweizer Bürgerin zum massgeblichen Zeitpunkt intakt war, denn eine tatsächliche Vermutung führt – wie bereits erwähnt – nicht zur Umkehr der Beweislast. Es genügt, wenn der Beschwerdeführer eine plausible Alternative zur dargestellten Vermutungsfolge zu präsentieren vermag. Er kann den Gegenbeweis erbringen, indem er glaubhaft darlegt, dass er zum Zeitpunkt, als er die Erklärung unterzeichnete, den wirklichen Willen hatte, weiterhin eine stabile eheliche Beziehung aufrecht zu erhalten (vgl. BGE 135 II 161 E. 3; 130 II 482 E. 3.2).

12.

    1. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, nach erfolgter Einbürgerung eine Zweitehe eingegangen zu sein mit dem ausdrücklichen Ziel, ein Kind zu zeugen. Dies sei jedoch mit Wissen und Einverständnis der schweizerischen Ehefrau erfolgt, wobei ihre Ehe weder vor, während noch nach seinem Einbürgerungsverfahren instabil gewesen sei und bis heute bestehe.

    2. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich im vorliegenden Fall die Ausgangslage der Eheschliessung und -führung im Vergleich zu anderen Einbürgerungsverfahren atypisch darstellt. So lernten sich die Eheleute kennen, als der Beschwerdeführer in der Schweiz als Flüchtling anerkannt und vorläufig aufgenommen worden war und auch der Altersunterschied zwischen den Ehegatten von einem Jahr ist unauffällig. Aufenthaltsrechtliche Überlegungen oder sonstige zweckfremde Motive dürften für den Eheschluss keine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Die Eheleute sind weiter seit dem 1. November 2006 bis heute am gemeinsamen Wohnort angemeldet, wo sie gemäss eigenen Angaben vor wenigen Jahren eine Eigentumswohnung erworben haben. Diese solle auch als Familienwohnung für den nachzuziehenden Sohn des Beschwerdeführers dienen. Die diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren ergeben an sich ein schlüssiges Gesamtbild, wenn auch der ins Recht gelegte Auszug aus dem beurkundeten Kaufvertrag lediglich B. als Alleineigentümerin aufführt (SEM-act. 11/112). In Zusammenhang mit dem Immobilienerwerb haben die Eheleute mit dem vorehelichen Sohn der Ehefrau am 27. März 2019 zudem einen Erbvertrag mit Erbverzicht und letztwilligen Verfügungen errichtet (vgl. Beschwerdebeilagen; BVGer-act. 1). Demnach dürfte bei den Ehegatten im entscheidenden Zeitpunkt durchaus der Wille zu einer gemeinsamen Zukunft vorhanden gewesen sein und wohl auch bis heute bestehen.

    3. Allerdings kann dem Beschwerdeführer nicht gefolgt werden, wenn er geltend macht, es handle sich dabei um einen intakten Ehewillen im gesetzlich geforderten Sinne. Zwar steht die Wahl der Lebensform und der damit verbundenen Gestaltung von Beziehungen einem Ehepaar frei. Werden jedoch aus der Ausgestaltung der ehelichen Beziehung Ansprüche abgeleitet – beispielsweise im Zusammenhang mit den Möglichkeiten der erleichterten Einbürgerung – müssen gewisse Voraussetzungen erfüllt sein (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_517/2010 vom 7. März 2011 E. 3.3). Es bedarf keiner näheren Erläuterung, dass die Eingehung einer Zweitehe in Tunesien eine Verletzung der rechtsstaatlichen Ordnung der Schweiz darstellt. Die Monogamie gehört zu den Grundprinzipien der Schweizer Rechtsordnung, wie dies insbesondere in dem in Art. 215 StGB statuierten Verbot der Mehrfachehe zum Ausdruck kommt (Urteil des BGer 2C_237/2019 vom 18. September 2019 E. 4.3; vgl. auch Urteil des BVGer C-3262/2009 vom 14. Juni 2011 E. 8.2.1). Die erleichterte Einbürgerung gemäss Art. 21 Abs. 1 BüG knüpft sodann, wie bereits erwähnt, an den Bestand nicht irgendeiner, sondern einer ehelichen Beziehung im Sinne von Art. 159 Abs. 2 und 3 ZGB an.

    4. Angesichts der engen zeitlichen Abfolge von erleichterter Einbürgerung (November 2012), bigamischer Eheschliessung des Beschwerdeführers mit einer tunesischen Frau (Februar 2014) sowie der unmittelbar daran anschliessenden Zeugung der beiden Kinder (geb. 2015 und 2016) muss davon ausgegangen werden, dass dieses Vorgehen für den Beschwerdeführer im Einbürgerungszeitpunkt (mindestens) bereits eine Option darstellte. Dies umso mehr, als die Ehegatten erklärten, der Kinderwunsch habe seit Beginn ihrer Beziehung bestanden und es sei vor dem kulturellen Hintergrund des Beschwerdeführers unvorstellbar, kinderlos zu bleiben. Der Beschwerdeführer musste sich bereits im Zeitpunkt der Eheschliessung mit seiner Schweizer Partnerin, welche damals […] Jahre alt gewesen war und einen Sohn aus erster Ehe hatte, im Klaren darüber sein, dass die Aussicht auf gemeinsame Kinder erheblich eingeschränkt sein könnte. In Anbetracht der Schilderungen des Ehepaars, wonach die Hoffnung auf gemeinsame Kinder über die Jahre hinweg stetig abgenommen habe, kann zwar nicht exakt festgestellt werden, wann der Entschluss zur Zeugung ausserehelicher Kinder beziehungsweise zur Eingehung einer Zweitehe feststand. Ein diesbezüglich ausschlaggebendes Ereignis nach dem Einbürgerungszeitpunkt wird allerdings weder vom Beschwerdeführer vorgebracht, noch ist ein solches aus den Akten ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bereits im massgebenden Zeitpunkt nicht vorhatte, sich mit der bestehenden, kinderlosen Ehe mit seiner

      Schweizer Partnerin zu begnügen. Wenn die Bindung zwischen ihm und seiner Ehefrau so stark war beziehungsweise ist, wie die Eheleute behaupten, hätte sie Vorrang vor dem Wunsch des Beschwerdeführers haben müssen, für Nachwuchs zu sorgen. Indem er jedoch ungeachtet seiner Absichten, in Tunesien eine Zweitfamilie zu gründen, die Erklärung zum intakten Zustand der Ehe unterzeichnete, erweckte er gegenüber den Behörden den Anschein, auch künftig eine grundsätzlich als monogam zu verstehende Ehebeziehung leben zu wollen. Damit hat er in Bezug auf die erleichterte Einbürgerung wesentliche Tatsachen verschwiegen.

    5. Der Umstand, dass die schweizerische Ehefrau von dieser Beziehung und den Kindern wusste und die Ehe bis heute nicht aufgelöst wurde, vermag daran nichts zu ändern (vgl. Urteil des Bundesgerichts 1C_201/2008 vom 1. Juli 2008 E. 3; Urteil C-955/2008 E. 10.4). Die vom Beschwerdeführer geführte Parallelehe in Tunesien ist mit einer stabilen Ehegemeinschaft, wie es Art. 21 Abs. 1 BüG und Art. 10 BüV für die erleichterte Einbürgerung voraussetzen, nicht vereinbar. Für die Beurteilung der vorliegenden Streitsache ist einzig von Bedeutung, ob die Ehegatten zum Zeitpunkt der erleichterten Einbürgerung den intakten beidseitigen Willen hatten, ihre Beziehung als eine Ehe – wie oben beschrieben – weiterzuführen. Der Vorsatz zur Aufnahme einer Parallelbeziehung – ungeachtet dessen wie dieses Verhältnis beschrieben wird – während der Dauer der Ehe ist damit im Grundsatz nicht vereinbar (vgl. BGer Urteil 1C_309/2011 vom 5. September 2011 E. 4.1; Urteil C-3262/2009 E. 8.2.1 m.w.H.). Welche Versprechungen in diesem Zusammenhang gegenüber der tunesischen Ehefrau gemacht wurden bzw. ob die Schilderung der familiären Situation durch die Botschaftsmitarbeitenden in Tunis zutrifft (vgl. E. 8.6), kann an dieser Stelle offengelassen werden.

13.

Zusammenfassend ergibt sich, dass der Beschwerdeführer die von der Vorinstanz gezogenen Schlussfolgerungen nicht zu entkräften vermochte. Bei der mit der schweizerischen Ehefrau im massgebenden Zeitraum geführten Gemeinschaft – auch wenn der äussere Schein etwas anderes vorgibt – handelte es sich unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen nicht um eine intakte und stabile Ehe im Sinne der schweizerischen Rechtsordnung. Indem er in der gemeinsamen Erklärung den Bestand einer solchen Ehe versicherte, hat er die mit der Einbürgerung befasste Behörde über eine wesentliche Tatsache getäuscht und die erleichterte Einbürgerung erschlichen. Damit sind auch die materiellen Voraussetzungen für eine Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung erfüllt.

14.

Art. 36 Abs. 1 BüG legt den Entscheid über die Nichtigerklärung in das pflichtgemässe Ermessen der Behörde. Die Rechtsprechung geht jedoch davon aus, dass im Falle einer erschlichenen erleichterten Einbürgerung die Nichtigerklärung eine Regelfolge darstellt, von der nur unter ausserordentlichen Umständen abzuweichen ist (vgl. dazu Urteil 1C_466/2018

E. 5.5 m.H.). Dass der Beschwerdeführer hierzulande ansonsten gut integriert zu sein scheint, rechtfertigt einen Verzicht auf die Nichtigerklärung nicht. Der Verlust des Schweizer Bürgerrechts bedeutet zudem nicht zwangsläufig den Verlust des Aufenthaltsrechts; über einen solchen wäre

– falls überhaupt – in einem eigenständigen Verfahren zu befinden (vgl. BGE 140 II 65 E. 4.2.2).

15.

Gemäss Art. 36 Abs. 4 BüG erstreckt sich die Nichtigkeit auf alle Kinder, deren Schweizer Bürgerrecht auf der nichtig erklärten Einbürgerung beruht Ausgenommen sind Kinder, die im Zeitpunkt des Entscheides über die Nichtigerklärung das 16. Altersjahr vollendet haben sowie die Wohnsitzerfordernisse nach Art. 9 und die Eignungsvoraussetzungen nach Art. 11 erfüllen (Bst. a) oder durch die Nichtigerklärung staatenlos würden (Bst. b). Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, die es rechtfertigen würden, die nach der erleichterten Einbürgerung geborenen Kinder von der Wirkung der Nichtigerklärung auszunehmen. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Folglich erstreckt sich die Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung auf den am […] 2015 geborenen Sohn und die am […] 2016 geborene Tochter des Beschwerdeführers.

16.

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung im Lichte von Art. 49 VwVG rechtmässig ist. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

17.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 1 ff. des Reglements vom

21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten von Fr. 1'200.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

3.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, die Vorinstanz und das Gemeindeamt des Kantons […].

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Regula Schenker Senn Corina Fuhrer

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

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