E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil F-2516/2021

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts F-2516/2021

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung VI
Dossiernummer:F-2516/2021
Datum:02.02.2022
Leitsatz/Stichwort:Einreiseverbot
Schlagwörter : Einreiseverbot; Sicherheit; Urteil; Vorinstanz; Schweiz; Sinne; Gefahr; Verfügung; Begründung; Bundesverwaltungsgericht; Einreiseverbots; Akten; Kantons; Freiheitsstrafe; Beschwerdeführers; Gehör; Gefährdung; Rechtsgüter; Verhalten; Interesse; Migration; Bundesgericht; Entscheid; Vollzug; Behörde; Zeitpunkt
Rechtsnorm: Art. 112 AIG ;Art. 35 VwVG ;Art. 48 VwVG ;Art. 50 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 AIG ;Art. 67 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:137 II 233; 137 II 266; 139 II 121; 143 III 65
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung VI F-2516/2021

U r t e i l v o m 2 . F e b r u a r 2 0 2 2

Besetzung Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz), Richterin Susanne Genner,

Richter Fulvio Haefeli, Gerichtsschreiberin Corina Fuhrer.

Parteien A. ,

Beschwerdeführer, vertreten durch B. ,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Einreiseverbot.

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer, ein 1994 geborener Staatsangehöriger Thailands, gelangte am 27. September 2005 im Rahmen des Familiennachzugs mit seiner Schwester zu seiner Mutter in die Schweiz. Hier erhielt er eine Aufenthaltsbewilligung, welche letztmals bis zum 19. Dezember 2016 verlängert wurde (Akten der Migrationsbehörde des Kantons B. [kant.- act.] 1, 10, 55).

B.

Mit Urteil vom 26. Oktober 2016 des Bezirksgerichts C. wurde der Beschwerdeführer wegen gewerbsund bandenmässigen Diebstahls, mehrfacher Sachbeschädigung, mehrfachen Hausfriedensbruchs und verschiedener SVG-Delikte zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren und einer Busse von Fr. 1'000.– verurteilt (kant.-act. 58).

C.

    1. Daraufhin lehnte das Migrationsamt des Kantons D. mit Verfügung vom 26. Januar 2017 das Gesuch des Beschwerdeführers um Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung ab und wies ihn aus der Schweiz weg. Er legte dagegen Rekurs ein (kant.-act. 69, 79 f.).

    2. Während des Rekursverfahrens verurteilte ihn das Obergericht des Kantons D. mit Urteil vom 13. Juni 2018 wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten als Zusatzstrafe zum Urteil des Bezirksgerichts C. vom 26. Oktober 2016 (kant.-act. 101). Der Schuldspruch wurde durch das Bundesgericht bestätigt (Urteil 6B_937/2018 vom 11. Februar 2019 [kant.-act. 108]).

    3. Mit Entscheid vom 23. August 2019 wies die Sicherheitsdirektion des Kantons D. den Rekurs ab (kant.-act. 134). Die dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts D. VB.2019.00637 vom 24. September 2020 [kant.-act. 147]; Urteil des BGer 2C_911/2020 vom 15. März 2021 [kant.-act. 164]).

C.d

Vom 3. September 2019 bis zu seiner bedingten Entlassung am 5. August 2020 befand sich der Beschwerdeführer im Strafvollzug (kant.-act. 142). Nachdem die Wegweisung des Beschwerdeführers aus der Schweiz mit Urteil des Bundesgerichts vom 15. März 2021 in Rechtskraft erwachsen

war, setzte ihm die kantonale Migrationsbehörde mit Schreiben vom

12. April 2021 Frist zur Ausreise aus der Schweiz bis zum 31. Mai 2021 (kant.-act. 165).

D.

Die Vorinstanz gewährte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom

14. April 202 rechtliches Gehör zu einem allfälligen Einreiseverbot (Akten der Vorinstanz [SEM-act.] 3). Er nahm am 12. Mai 2021 dazu Stellung (SEM-act. 4).

E.

Mit Verfügung vom 20. Mai 2021 (eröffnet am 27. Mai 2021) verhängte die Vorinstanz über den Beschwerdeführer ein zehnjähriges Einreiseverbot, gültig ab dem 1. Juni 2021 bis zum 31. Mai 2031, und ordnete die Ausschreibung der Massnahme im Schengener Informationssystem (SIS II) an. Gleichzeitig entzog sie einer allfälligen Beschwerde vorsorglich die aufschiebende Wirkung (SEM-act. 5 und 6).

F.

Mit Beschwerde vom 27. Mai 2021 gelangte der Beschwerdeführer dagegen an das Bundesverwaltungsgericht. Er beantragte die Aufhebung des Einreiseverbots und die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz. Diese sei anzuweisen, eine «ordentliche Beurteilung gemäss Art. 67 [AIG] zum Wegweisungszeitpunkt (31.5.2021) durchzuführen» (Akten des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer-act.] 1).

G.

Die Vorinstanz schloss in ihrer Vernehmlassung von 29. Juni 2021 auf Abweisung der Beschwerde (BVGer-act. 5). Diese wurde dem Beschwerdeführer am 6. Juli 2021 zur Kenntnis gebracht (BVGer-act. 6).

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Verfügungen des SEM, die ein Einreiseverbot im Sinne von Art. 67 AIG (SR 142.20) zum Gegenstand haben, unterliegen der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (Art. 112 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 31 ff. VGG).

    2. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Erhebung der Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 50 und Art. 52 VwVG).

    4. In der vorliegenden Angelegenheit entscheidet das Bundesverwaltungsgericht endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 1 BGG).

2.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes und – soweit nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat – die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.).

3.

In formeller Hinsicht rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör zufolge unzureichender Begründung verletzt. So habe sie in der angefochtenen Verfügung einerseits die von ihm in der Stellungnahme vom 12. Mai 2021 aufgeworfenen Fragen ausser Acht gelassen. Weiter habe sie nicht näher dargelegt, weshalb von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG ausgehe. Diesbezüglich beruhe die Begründung ausschliesslich auf den von ihm in der Vergangenheit verübten Taten, ohne dass die Vorinstanz eine Beurteilung der Gefährdung im Verfügungszeitpunkt vorgenommen habe.

    1. Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Grundsatz dient einerseits der Aufklärung des Sachverhalts, andererseits stellt er ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht der Partei dar. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt, dass die verfügende Behörde die Vorbringen des Betroffenen tatsächlich hört, sorgfältig und ernsthaft prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt, was sich entsprechend in der Begründung niederschlagen muss (Art. 32 Abs. 1 und Art. 35 Abs. 1 VwVG). Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit

      allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 137 II 266 E. 3.2; 136 I 229 E. 5.2; 136 V 351 E. 4.2). Ansonsten genügt es, wenn aus der Gesamtheit der Begründung implizit hervorgeht, weshalb das Vorgebrachte als unrichtig oder unwesentlich übergangen wird (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2; BVGE 2012/24 E. 3.2).

    2. Aus der angefochtenen Begründung wird klar, weshalb die Vorinstanz über den Beschwerdeführer ein langjähriges Einreiseverbot verhängte. Unter Verweis auf die wiederholte und schwere Straffälligkeit, die betroffenen Rechtsgüter und das hohe Mass an Uneinsichtigkeit wird, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art. 67 Abs. 2 Bst. a i.V.m. Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG, ein bestehendes, erhebliches öffentliches Fernhalteinteresse aufgezeigt. Damit ist den Anforderungen an die Begründung genüge getan, wenn auch die Annahme, der Beschwerdeführer müsse auch gegenwärtig als Risikofaktor für die öffentliche Sicherheit und Ordnung betrachtet werden, nur implizit daraus hervorgeht. Ob die Beurteilung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung an sich zu beanstanden ist, bildet derweil Gegenstand der nachfolgenden materiell-rechtlichen Prüfung. Auch die Ausführungen in der Stellungnahme vom 12. Mai 2021 zum rechtlichen Gehör fanden in der angefochtenen Verfügung angemessen Berücksichtigung. Die Vorinstanz hat, wie bereits erwähnt, nicht auf jedes einzelne Vorbringen in der Begründung ausdrücklich einzugehen (siehe E. 3.1). Damit ist die Vorinstanz ihrer Begründungspflicht in hinreichender Weise nachgekommen, weshalb keine Gehörsverletzung vorliegt.

4.

    1. Das SEM kann ein Einreiseverbot gegenüber Ausländerinnen und Ausländern verfügen, die gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen haben oder diese gefährden (Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG). Das Einreiseverbot wird für eine Dauer von höchstens fünf Jahren verhängt (Art. 67 Abs. 3 erster Satz AIG). Die Anordnung eines Einreiseverbots von mehr als fünf Jahren Dauer ist zulässig, wenn von der ausländischen Person eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG). Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Grundsatzurteil vom 26. August 2014

      (BVGE 2014/20) entschieden, dass Einreiseverbote, die auf der Grundlage von Art. 67 Abs. 1 oder 2 AIG ergehen, zwingend auf eine bestimmte Dauer zu befristen sind. Die Verbotsdauer kann dabei bis maximal 15 Jahre, im Wiederholungsfall 20 Jahre betragen. Aus humanitären oder anderen wichtigen Gründen kann die zuständige Behörde von der Verhängung eines Einreiseverbots absehen oder ein Einreiseverbot vollständig oder vorübergehend aufheben (Art. 67 Abs. 5 AIG).

    2. Das Einreiseverbot dient der Abwendung künftiger Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (BBl 2002 3709, 3813). Soweit Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG mit dem Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar an vergangenes Verhalten des Betroffenen anknüpft, steht die Gefahrenabwehr durch Generalprävention im Sinne der Einwirkung auf das Verhalten anderer Rechtsgenossen im Vordergrund (zur Generalprävention im Ausländerrecht vgl. etwa Urteil des BGer 2C_282/2012 vom 31. Juli 2012 E. 2.5 m.H.). Die Spezialprävention im Sinne der Einwirkung auf das Verhalten des Betroffenen selbst kommt zum Tragen, soweit Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG als alternativen Fernhaltegrund die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch den Betroffenen selbst nennt. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, ist gestützt auf die gesamten Umstände des Einzelfalles im Sinne einer Prognose zu beurteilen, die sich in erster Linie auf das vergangene Verhalten des Betroffenen abstützen muss.

    3. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG bildet den Oberbegriff für die Gesamtheit der polizeilichen Schutzgüter. Sie umfasst unter anderem die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung und der Rechtsgüter Einzelner (vgl. BBl 2002 3709, 3813). Ein Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung liegt unter anderem vor, wenn gesetzliche Vorschriften oder behördliche Verfügungen missachtet werden (Art. 77a Abs. 1 Bst. a VZAE). Die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung setzt konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, dass der Aufenthalt des Betroffenen in der Schweiz mit erheblicher Wahrscheinlichkeit zu einem Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung führen wird (Art. 77a Abs. 2 VZAE; inhaltlich identisch mit Art. 80 Abs. 2 VZAE in der bis 31. Dezember 2018 geltenden Fassung).

    4. Eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG setzt mehr voraus als eine einfache Gefährdung nach Art. 67 Abs. 2 Bst. a zweiter Halbsatz AIG.

Verlangt wird eine qualifizierte Gefahr, über deren Vorliegen gestützt auf alle Umstände des Einzelfalles zu befinden ist. Eine solche Gefahr darf nicht leichthin angenommen werden. Nach der Rechtsprechung kann sie sich etwa aus der Hochwertigkeit der deliktisch bedrohten Rechtsgüter ergeben (z.B. Leib und Leben, körperliche und sexuelle Integrität, Gesundheit), aber auch aus der Zugehörigkeit des drohenden Delikts zur besonders schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension (z.B. Terrorismus, Menschenund Drogenhandel, organisierte Kriminalität), aus der wiederholten Delinquenz und ihrer zunehmenden Schwere oder aus dem Fehlen einer günstigen Prognose (vgl. BGE 139 II 121 E. 6.3; Urteil des BGer 2C_270/2015 vom 6. August 2015 E. 4.2; BVGE 2013/4 E. 7.2.4; Ur-

teil des BVGer F-5350/2016 vom 6. März 2017 E. 6.2 m.H.).

5.

    1. Am 13. Juni 2018 verurteilte das Obergericht des Kantons D. den Beschwerdeführer wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten. Dies als Zusatzstrafe zur bereits mit Urteil vom 26. Oktober 2016 des Bezirksgerichts C. bedingt verhängten Freiheitsstrafe von 22 Monaten. Er hat damit zweifellos wiederholt und erheblich gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 2 Bst. a AIG verstossen. Die gesetzliche Grundlage zur Verhängung eines Einreiseverbots war damit klarerweise gegeben, was vom Beschwerdeführer – er rügt lediglich die Dauer der verfügten Fernhaltemassnahme von zehn Jahren – auch nicht bestritten wird.

    2. Es bleibt zu prüfen, ob die Dauer des Einreiseverbots mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns vereinbar ist. Mit Blick auf die Überschreitung der regulären Obergrenze von fünf Jahren (Art. 67 Abs. 3 erster Satz AIG) ist insbesondere zu prüfen, ob die Vorinstanz davon ausgehen durfte, dass vom Beschwerdeführer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG ausgehe.

    3. Der Beschwerdeführer rügt im Wesentlichen, die Vorinstanz habe es unterlassen, eine Risikobeurteilung im Verfügungszeitpunkt vorzunehmen. Zur Begründung der von ihm ausgehenden schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung habe die Vorinstanz einzig auf die von ihm in der Vergangenheit verübten Delikte verwiesen. Dies ohne zu berücksichtigen, dass er im Zeitpunkt der Tatbegehungen erst zwischen 19 und 21 Jahre alt gewesen, seit seinem letzten Delikt im Dezember 2015 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten sei und seine Haftstrafe,

      welche im offenen Vollzug durchgeführt worden sei, verbüsst habe. Indem das zuständige Migrationsamt sodann mit Schreiben vom 12. April 2021 auf eine sofortige Vollstreckung der Wegweisung gemäss Art. 64d Abs. 2 AIG verzichtet habe, sei durch die kantonale Behörde festgestellt worden, dass von ihm keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Die davon abweichende Beurteilung der Vorinstanz sei willkürlich im Sinne von Art. 9 BV.

    4. Der Beschwerdeführer war im Zeitraum zwischen Januar 2013 und August 2013 als Mittäter an einer Serie von Hausfriedensbrüchen beteiligt gewesen. Die Bande drang nachts in fremde Liegenschaften ein, wobei sie durch das Aufbrechen von Türen und Fenstern teilweise massive Sachschäden hinterliess, und in der Regel Diebesgut wie Bargeld, elektronische Geräte, Sportartikel, Lebensmittel etc. entwendete. Deswegen sowie aufgrund zweier Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz (SVG;

      SR 741.01) bestrafte ihn das Bezirksgericht C.

      mit Urteil vom

      26. Oktober 2016 mit 22 Monaten Freiheitsstrafe, wobei es den Vollzug bei einer Probezeit von zwei Jahren aufschob. Noch während laufender Strafuntersuchung, am 13. Dezember 2015, delinquierte der Beschwerdeführer erneut. Im Rahmen einer Auseinandersetzung zweier Gruppen vor einem Nachtclub versetzte er einem bereits am Boden liegenden Opfer einen Fusstritt gegen das Gesicht. Deswegen wurde er mit Urteil vom 13. Juni 2018 des Obergerichts des Kantons D. wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten als Zusatzstrafe zum bereits verhängten Urteil vom 26. Oktober 2016 verurteilt. Das Obergericht D. hielt dazu fest, er habe im Rahmen der Schlägerei ungeplant gehandelt, wobei der Fusstritt spontan erfolgt sei. Da er jedoch mit dem Fuss gegen das Gesicht des bereits zu Boden gegangenen Opfers trat, zeuge sein Vorgehen von einer grossen Rücksichtslosigkeit (kant.-act. 101/280). Das Bundesgericht bestätigte die ausgesprochene Strafe mit Urteil 6B_937/2018 vom 11. Februar 2019 (kant.- act. 108).

    5. Bis hierhin kann festgestellt werden, dass vom Beschwerdeführer zumindest zum Zeitpunkt seiner letzten strafrechtlichen Verurteilung eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG ausging, welche die Anordnung eines über fünf Jahre dauernden Einreiseverbots erlaubte. Die versuchte schwere Körperverletzung richtet sich als Gewaltdelikt gegen Leib und Leben und betrifft damit einen Bereich, der wegen der Hochwertigkeit des betroffenen

      Rechtsguts besonders sensibel ist. Sie gehört – wie auch Diebstahl in Verbindung mit Hausfriedensbruch – zu denjenigen Anlasstaten, die vom Verfassungsgeber als besonders verwerflich betrachtet werden und zum Verlust eines jeden Aufenthaltsrechts sowie zu einem obligatorischen Einreiseverbot von 5 bis 15 Jahren Dauer führen soll (Art. 121 Abs. 3 Bst. a und Abs. 5 BV; Art. 66a Abs. 1 Bst. b und d StGB). Dieser Wertung ist in den Schranken des übrigen Verfassungsund Völkerrechts Rechnung zu tragen (vgl. Urteil des BGer 2C_861/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 2.2.2 m.H.). Das bedeutet unter anderem, dass die Anforderungen an die Wiederholungsgefahr herabgesetzt sind.

    6. Weiter zu prüfen ist, ob auch im Verfügungszeitpunkt noch von einer im Sinne von Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgegangen werden durfte. Bei Erlass des Einreiseverbots am 20. Mai 2020 lag die letzte Tatbegehung des Beschwerdeführers am 13. Dezember 2015 knapp viereinhalb Jahre zurück. Bereits das Bundesgericht stellte klar, dass in diesem Zusammenhang – der Beschwerdeführer war im Zeitpunkt der Tat beinahe 22 Jahre alt – nicht mehr von jugendlicher Delinquenz gesprochen werden könne (Urteil 2C_911/2020 vom 15. März 2021 E. 3.2). Auch dem Umstand, dass er seither nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann entgegen seiner Auffassung keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werden. Bereits seit Januar 2017 stand der Beschwerdeführer unter dem Druck des ausländerrechtlichen Widerrufsverfahrens. Vom 3. September 2019 bis am 5. August 2020 befand er sich zudem im Strafvollzug, aus welchem er unter Ansetzung einer einjährigen Probezeit bis zum 4. August 2021 – d.h. über den Zeitpunkt seiner Ausreise aus der Schweiz Ende Mai 2021 hinaus – bedingt entlassen wurde. Sein Verhalten im Strafvollzug gab gemäss den vorinstanzlichen Akten insgesamt zu wenigen Klagen Anlass (kant.-act. 142). Doch selbst wenn er sich während der Zeit der Unfreiheit tadellos verhalten hätte, könnte er daraus nichts Besonderes zu seinen Gunsten ableiten. Denn aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzung des Strafund Ausländerrechts kommt im ausländerrechtlichen Administrativverfahren weder dem Wohlverhalten während des eng überwachten und betreuten Strafvollzugsalltags noch der Gewährung einer bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug eine ausschlaggebende Bedeutung zu (vgl. dazu eingehend BGE 137 II 233 E. 5.2.2 m.H.). Es kann diesbezüglich grundsätzlich auf die Erwägungen des Bundesgerichts verwiesen werden, welches mit Urteil vom 15. März 2021, mithin nur zwei Monate vor Erlass der vorliegend angefochtenen Verfügung, zum Schluss kam, es sei insgesamt von einer weiterhin bestehenden Gefährlichkeit auszugehen (BGer

      Urteil 2C_911/2020 E. 3.3.2). Aus dem Umstand, dass seine Wegweisung aus der Schweiz nicht sofort vollstreckt wurde (vgl. Art. 64d Abs. 2 AIG), kann schliesslich vor dem Hintergrund obiger Ausführungen sowie in genereller Weise nicht auf eine fehlende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geschlossen werden.

    7. Es ist demnach nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz in der angefochtenen Verfügung beim Beschwerdeführer von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 67 Abs. 3 zweiter Satz AIG ausging. Sie war folglich an die Regelmaximaldauer von fünf Jahren nicht gebunden.

6.

    1. Es bleibt schliesslich zu prüfen, ob das angefochtene Einreiseverbot als solches und in seiner Dauer in pflichtgemässer Ermessensausübung angeordnet wurde und vor dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit standhält. Erforderlich ist eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen den berührten öffentlichen und privaten Interessen. Ausgangspunkt der Überlegungen bilden die Stellung der verletzten oder gefährdeten Rechtsgüter, die Besonderheiten des ordnungswidrigen Verhaltens und die persönlichen Verhältnisse der betroffenen ausländischen Person (Art. 96 AIG; ferner statt vieler HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2020, Rz. 555 ff.).

    2. Vom Beschwerdeführer geht, wie weiter oben ausgeführt wurde, nach wie vor eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung in einem besonders sensitiven Bereich aus. Dementsprechend erheblich ist das öffentliche Interesse an seiner längerfristigen Fernhaltung.

    3. Private Interessen, welche dem öffentlichen Fernhalteinteresse entgegenstünden, macht der Beschwerdeführer in seiner Rechtsmitteleingabe vor der Beschwerdeinstanz nicht explizit geltend. Die Vorinstanz erachtet aufgrund der wiederholten und schweren Straffälligkeit, der betroffenen Rechtsgüter sowie der Unbelehrbarkeit des Beschwerdeführers ein Einreiseverbot von zehn Jahren Dauer selbst in Beachtung der erkennbaren persönlichen Interessen als verhältnismässig.

    4. Zugunsten des Beschwerdeführers ist zu berücksichtigen, dass sich der Mittelpunkt seines bisherigen Lebens in der Schweiz befindet; er ist im Alter von elf Jahren hierher gelangt, wo er seine prägenden Jugendjahre verbracht und bis zu seiner erzwungenen Ausreise im Mai 2021 über 15

      Jahre lang gelebt hat. Seine Mutter, sein Stiefvater und seine Schwester leben in der Schweiz, ebenso seine langjährige Partnerin. Insgesamt erschliessen sich aus den Akten jedoch keine Hinweise, wonach ein im Sinne von Art. 8 EMRK schützenswertes Familienleben vorliegen würde, welches die grundsätzliche Verhältnismässigkeit der Massnahme in Frage stellen würde (vgl. insb. betreffend die Beziehung zur Partnerin Urteil des BGer 2C_832/2018 vom 29. August 2019 E. 2.2). Die Kontakte zu den in der Schweiz lebenden Familienangehörigen können ohne Weiteres im Ausland gepflegt werden. Zudem besteht die Möglichkeit, aus wichtigen Gründen eine vorübergehende Suspension des Einreiseverbots zu beantragen (vgl.

      E. 4.1). Im Hinblick auf seine wirtschaftliche Integration in der Schweiz ist festzustellen, dass er sich zumindest teilweise – seit seiner Festanstellung als (…) ab 1. März 2018, wo er ab April 2019 auch als (…) tätig war – beruflich integrieren konnte (kant.-act. 130 f.). Andererseits erschliesst sich aus den Akten, dass er davor streckenweise arbeitslos beziehungsweise temporär angestellt war, nachdem er wegen Disziplinarproblemen aus der begonnen Lehre entlassen werden musste. Trotz seiner langjährigen Anwesenheit in der Schweiz bekundete er sodann nach dem Gesagten grosse Mühe mit der Respektierung der Rechtsordnung.

    5. Auch wenn der Beschwerdeführer zweifellos eine enge Bindung zur Schweiz hat, vermögen seine privaten Interessen angesichts der schweren Delinquenz gegen zum Teil hochwertige Rechtsgüter das gewichtige öffentliche Interesse an einer lang andauernden Fernhaltemassnahme nicht entscheidend aufzuwiegen. In Betrachtung aller relevanter Faktoren und in Berücksichtigung vergleichbarer Fälle gelangt das Gericht daher zum Schluss, dass das von der Vorinstanz verhängte zehnjährige Einreiseverbot eine verhältnismässige und angemessene Massnahme darstellt (vgl. etwa Urteile des BVGer F-301/2018 vom 3. April 2020 m.w.H.; F-3863/2017 vom 18. Juli 2018).

7.

Die Ausschreibung des Beschwerdeführers im SIS II ist angesichts des Dargelegten nicht zu beanstanden und wird auch nicht gerügt. Eine solche Ausschreibung erfolgt insbesondere angesichts von abgeurteilten oder zu befürchtenden Straftaten gewisser Schwere (vgl. Art. 24 Ziff. 2 Bst. a oder Bst. b Verordnung [EG] Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation [SIS-II-Verordnung, ABl. L 381/4 vom 28.12.2006]), eine Voraussetzung, die im vorliegenden Fall ohne weiteres erfüllt ist.

8.

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die angefochtene Verfügung im Lichte von Art. 49 VwVG nicht zu beanstanden ist. Die Beschwerde ist demzufolge abzuweisen.

9.

Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten in der Höhe von Fr. 1'200.– dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG

i.V.m. Art. 1 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Sie sind durch den in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten von Fr. 1'200.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie sind durch den in gleicher Höhe geleisteten Kostenvorschuss gedeckt.

3.

Dieses Urteil geht an:

  • den Beschwerdeführer (Einschreiben)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. […])

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Regula Schenker Senn Corina Fuhrer

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.