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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-930/2022

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-930/2022
Datum:04.03.2022
Leitsatz/Stichwort:Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren)
Schlagwörter : Beschwerde; Malta; Beschwerdeführer; Mitgliedstaat; Dublin-III-VO; Asylgesuch; Überstellung; Maltesische; Verfügung; Zuständig; Behandlung; Maltesischen; Vorinstanz; Asyls; Recht; Person; Verfahren; Medizinische; Behörden; Asylverfahren; Bundesverwaltungsgericht; Beschwerdeführers; Schutz; Sachverhalt; Antrag; Staat; Urteil; Asylsystem; Zuständigkeit; Akten
Rechtsnorm: Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-930/2022

U r t e i l v o m 4 . M ä r z 2 0 2 2

Besetzung Einzelrichter David R. Wenger,

mit Zustimmung von Richter Gregor Chatton; Gerichtsschreiber Matthias Neumann.

Parteien A. , geboren am (…), Sudan,

vertreten durch Tamara Fink, HEKS Rechtsschutz (…),

9450 Altstätten SG, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);

Verfügung des SEM vom 17. Februar 2022 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer – ein sudanesischer Staatsangehöriger – verliess sein Heimatland gemäss eigenen Angaben im Mai oder Juni 2015 und hielt sich zwischen Mitte 2019 bis zum 15. Januar 2022 in Malta auf. Am 23. Januar 2022 gelangte er über Italien illegal in die Schweiz, wo er gleichentags um Asyl nachsuchte.

B.

Ein Abgleich mit der europäischen Fingerabdruck-Datenbank (Zentraleinheit Eurodac) ergab, dass der Beschwerdeführer am 2. Oktober 2019 in Malta ein Asylgesuch gestellt hatte.

C.

Am 27. Januar 2022 fand die Personalienaufnahme (PA) statt. Am 8. Februar 2022 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer im Rahmen des Dublin-Gesprächs vom 8. Februar 2022 das rechtliche Gehör zu einem allfälligen Nichteintretensentscheid und der Möglichkeit einer Überstellung nach Malta, welches gemäss Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO), grundsätzlich für die Behandlung des Asylgesuchs zuständig sei. Dabei bestritt der Beschwerdeführer die grundsätzliche Zuständigkeit Maltas nicht. Er machte geltend, in Malta aufgrund der Teilnahme an einer Demonstration im (Flüchtlings-)Camp verhaftet worden zu sein und deswegen grundlos für ein Jahr und fünf Monate im Zentralgefängnis, in einem kleinen Raum mit vierzehn anderen Inhaftierten, inhaftiert gewesen zu sein. Er sei ausserdem krank und habe in Malta keine medizinische Versorgung erhalten. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis sei er in einem Camp untergebracht worden und habe finanzielle Unterstützung in Höhe von 130 Euro im Monat erhalten. Die maltesischen Behörden sollen ihm mitgeteilt haben, dass er aufgrund seiner Teilnahme an der Demonstration und als Sudanese keinen Asylentscheid erhalte. Die örtlichen Behörden hätten ihm zudem ein Dokument ausgestellt, welches ihm die Bewegungsfreiheit im Land ermöglichte. In gesundheitlicher Hinsicht sei er seit zehn Jahren angeschlagen und leide namentlich an Nierensteinen, Schlafproblemen und Rückenschmerzen. In Malta habe man diese Beschwerden untersucht, jedoch keine Behandlung durchgeführt.

D.

Am 8. Februar 2022 ersuchte das SEM die maltesischen Behörden um Übernahme des Beschwerdeführers. Die maltesischen Behörden hiessen dieses Gesuch gleichentags gut.

E.

Mit Verfügung vom 17. Februar 2022 – eröffnet am 18. Februar 2022 – trat das SEM auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, verfügte die Wegweisung nach Malta, beauftragte den zuständigen Kanton mit dem Vollzug, händigte ihm die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu.

F.

Mit Eingabe vom 25. Februar 2022 erhob der Beschwerdeführer gegen diese Verfügung Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Er beantragt, die Verfügung sei vollständig aufzuheben und das SEM anzuweisen, auf das Asylgesuch einzutreten und in der Schweiz ein materielles Asylverfahren durchzuführen. Eventualiter sei die Verfügung vollständig aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Weiter beantragt er, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu erteilen und es seien die Vollzugsbehörden unverzüglich anzuweisen, von einer Überstellung des Beschwerdeführers nach Malta abzusehen, bis das Bundesverwaltungsgericht über die Erteilung der aufschiebenden Wirkung entschieden hat. Ferner ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung einschliesslich Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR. 142.31]). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

2.

    1. Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

    2. Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1–3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; BVGE 2012/4 E. 2.2, je m.w.H.).

    3. Die Beschwerde erweist sich, wie nachstehend gezeigt, als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters oder einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG), zu behandeln.

3.

    1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt, indem sie den entscheidungsrelevanten Sachverhalt nicht umfassend abgeklärt habe. Namentlich würden das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Malta entgegen der Vorinstanz massive Mängel aufweisen. Mit Verweis auf verschiedene Berichte sei das maltesische Asylsystem in vielerlei Hinsicht mangelhaft. Namentlich würden Schutzsuchende ohne gesetzliche Grundlage und unter prekären Bedingungen inhaftiert und festgehalten, kein angemessenes Asylverfahren beziehungsweise gar keinen Zugang zum Asylverfahren erhalten, und im Fall einer Ausreise aus Malta ohne Erlaubnis der Einwanderungsbehörden würde der Asylantrag als zurückgenommen gelten und die betroffenen Personen hätten bei einer Rücküberstellung nach Malta zu befürchten, erneut grundlos verhaftet oder in ihr Heimatland rücküberführt zu werden. Indem die Vorinstanz sich nur mit einer textbausteinförmigen, oberflächlichen und pauschalen Passage zu dieser komplexen Situation von Geflüchteten in Malta äussere, verkenne sie die faktische Lage und setze sich nicht mit den erwähnten Problemen auseinander.

    2. Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts kann nach Art. 106 Abs. 1 AsylG gerügt werden. Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind; unvollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid wesentlichen Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl. 2013, Rz. 1043).

    3. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung nachvollziehbar dargelegt, weshalb sie eine Überstellung nach Malta als zuständigen Dublin-Mitgliedstaat als zulässig erachtet und ist in ihren diesbezüglichen Ausführungen auch auf allfällige Mängel im maltesischen Asylsystem, etwa die Aufnahmebedingungen, der Zugang zum Asylverfahren und die medizinische Versorgung sowie die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen durch Malta eingegangen. Die Verfügung enthält auch – im angemessenen Rahmen der Begründung eines Nichteintretensentscheids – eine Darstellung des Sachverhalts, die ausreicht, um nachzuvollziehen, weshalb die Vorinstanz die Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht genügend substantiiert beziehungsweise nicht genügend auf seinen Einzelfall individualisiert erachtete, als dass sie auf das Gesuch hätte eintreten müssen. Alleine der Umstand, dass der Beschwerdeführer eine andere Auffassung, namentlich zur Situation von Asylsuchenden im maltesischen Asylsystem, vertritt, begründet noch keine Verletzung von verfahrensrechtlichen Vorschriften. Die Ausführungen des Beschwerdeführers tangieren denn auch im Wesentlichen materielle, und nicht formelle Aspekte. Im Übrigen zeigt die Beschwerdeeingabe, dass eine sachgerechte Anfechtung der vorinstanzlichen Verfügung ohne weiteres möglich war. Die Rüge der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes ist demgemäss unbegründet und der Antrag auf Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung ist abzuweisen.

4.

    1. Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die

      Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Mitgliedstaat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).

    2. Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Art. 8–15 Dublin-III-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird (vgl. auch Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO). Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO). Im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens (Art. 23–25 Dublin-III-VO) findet grundsätzlich keine (neue) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III Dublin-III-VO mehr statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1).

    3. Nachdem die maltesischen Behörden dem Übernahmeersuchen gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO am 8. Februar 2022 ausdrücklich zugestimmt haben, steht die Zuständigkeit Maltas grundsätzlich fest. Sie wird vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten.

5.

    1. Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2012/C 326/02, nachfolgend: EU-Grundrechtecharta) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO).

      Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO; sog. Selbsteintrittsrecht). Dieses wird im Landesrecht durch Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311) konkretisiert und das SEM kann das Asylgesuch gemäss dieser Bestimmung "aus humanitären Gründen" auch dann

      behandeln, wenn dafür gemäss Dublin-III-VO ein anderer Staat zuständig wäre.

    2. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, dass die Zustände in der Unterbringung auf Malta äusserst schlecht gewesen seien und das Asylsystem in Malta gravierende Mängel aufweise. Dem jüngsten AIDA-Bericht aus dem Jahr 2020 sei zu entnehmen, dass es gängige Praxis der maltesischen Behörden sei, Schutzsuchende zu inhaftieren. Der Beschwerdeführer sei selbst ungefähr siebzehn Monate im Gefängnis inhaftiert worden, weil er mit anderen Personen die schlechten Bedingungen in den Unterkünften kritisiert habe. Die Haft werde häufig nicht als solche deklariert, weshalb er auch keine entsprechenden Beweise habe abgeben können. Derselbe Bericht erwähne ausserdem, dass sich Asylsuchende nach einer Dublin-Überstellung nach Malta mit einem stillschweigenden Rückzug ihres Asylgesuchs konfrontiert sähen, was die betroffene Person anfällig für eine Rückführung durch die Einwanderungsbehörden mache. Weiter zeige der Bericht der CPT (European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment) vom März 2021 systemische Mängel im maltesischen Asylsystem auf. Die Bedingungen für Flüchtlinge vor Ort (Unterbringung, Lebensbedingungen, Behandlung von vulnerablen Personen) seien derart problematisch, dass dies einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gleichkomme, was eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstelle. Der Beschwerdeführer habe in Malta eine Beschränkung der Freiheit sowie eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung erlebt, was sich auch mit den erwähnten Berichten decke. Im Falle einer Überstellung könne eine erneute Inhaftierung und Wegweisung aus Malta nicht mit erforderlicher Sicherheit ausgeschlossen werden. Die Vorinstanz hätte aus diesen Gründen das Selbsteintrittsrecht gemäss Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO ausüben sollen.

6.

    1. Nachfolgend ist im Lichte von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zu prüfen, ob wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Malta würden systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden und ob nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO das Selbsteintrittsrecht auszuüben ist.

    2. Malta ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom

      26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben. In seiner bisherigen Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht systemische Schwachstellen im maltesischen Asylsystem, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung nach Art. 4 der EU-Grundrechtecharte mit sich bringen, regelmässig verneint (vgl. Urteile des BVGer F-508/2022 vom 7. Februar 2022 E. 7.1.2 und D-3114/2021 vom 21. Juli 2021 E. 5.3 m.H. auf BVGE 2012/27

      E. 7.4 und weitere Urteile des BVGer).

    3. Die Vermutung, Malta beachte die den betroffenen Personen im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem zustehenden Grundrechte in angemessener Weise, kann jedoch widerlegt werden. Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die betroffene Person wegen Zugehörigkeit zu einer Kategorie mit spezifischer Verletzlichkeit im Falle einer Überstellung nach Malta Gefahr laufen würde, wegen der dortigen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen eine Verletzung ihrer Grundrechte zu erleiden (vgl. BVGE 2012/27 E. 7.4).

    4. Wie das SEM in der angefochtenen Verfügung zutreffend festgehalten hat, steht es dem Beschwerdeführer nach erfolgter Überstellung nach Malta offen, den Zugang zum Asylverfahren und die Leistungen gemäss den EU-Richtlinien einzufordern. Der Beschwerdeführer hat – schon angesichts der konkreten Übernahmezusicherung Maltas – kein konkretes und ernsthaftes Risiko dargetan, die maltesischen Behörden würden sich weigern, ihn wiederaufzunehmen und seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Den Akten sind denn auch keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, Malta werde in seinem Fall den Grundsatz des Non-Refoulement missachten und ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder

seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem er Gefahr laufen würde, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Gleiches gilt auch für die befürchtete Inhaftierung bei der Überstellung nach Malta. Die entsprechenden Befürchtungen in der Beschwerdeschrift (unter Verweis auf die zwei erwähnten Berichte) sind allgemeiner Natur, ohne Bezug zu seiner Person. Ferner vermochte er mit seinen Ausführungen zu den Mängeln im maltesischen Asylverfahren keine Anhaltspunkte aufzuzeigen, die darauf hinweisen würden, Malta enthalte dem Beschwerdeführer dauerhaft die ihm gemäss Aufnahmerichtlinie zustehenden minimalen Lebensbedingungen vor. Was sodann die geltend gemachte Inhaftierung während rund siebzehn Monaten betrifft, stellt dies (lediglich) eine Parteibehauptung dar und ist nicht weiter belegt, weder der Haftaufenthalt an sich noch die Hintergründe beziehungsweise der konkrete Haftgrund. Diesbezüglich hat die Vorinstanz jedoch zutreffend und mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgestellt, dass der Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln und die Einhaltung von rechtsstaatlichen, verfahrensrechtlichen Prinzipien in Malta gewährleistet ist (vgl. u.a. Urteile des BVGer D-3114/2021 E. 5.5, F-6198/2020 vom 18. Dezember 2020 E. 6.1). Es ist demnach davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich bei Bedarf nötigenfalls an die maltesischen Behörden wenden und die ihm zustehenden Aufnahmebedingungen auf dem Rechtsweg einfordern (vgl. Art. 26 Aufnahmerichtlinie) und im Rahmen allfälliger behördlicher Verfahren jeglicher Art auch der Zugang zu rechtlicher Unterstützung gewährleistet ist.

6.5

      1. Was den medizinischen Sachverhalt anbelangt, so kann eine zwangsweise Rückweisung von Personen mit gesundheitlichen Problemen nur ganz ausnahmsweise einen Verstoss gegen Art. 3 EMRK darstellen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die betroffene Person sich in einem fortgeschrittenen oder terminalen Krankheitsstadium und bereits in Todesnähe befindet, nach einer Überstellung mit dem sicheren Tod rechnen müsste und dabei keinerlei soziale Unterstützung erwarten könnte (vgl. BVGE 2011/9 E. 7 mit Hinweisen auf die damalige Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte [EGMR]). Eine weitere vom EGMR definierte Konstellation betrifft Schwerkranke, die durch die Abschiebung – mangels angemessener medizinischer Behandlung im Zielstaat – mit einem realen Risiko konfrontiert würden, einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu werden, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde (vgl. Urteil des EGMR

        Paposhvili gegen Belgien 13. Dezember 2016, Grosse Kammer 41738/10,

        §§ 180–193 m.w.H.).

      2. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, den Antragstellern die erforderliche medizinische Versorgung, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten und schweren psychischen Störungen umfasst, zugänglich zu machen (Art. 19 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie); den Antragstellern mit besonderen Bedürfnissen ist die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe (einschliesslich nötigenfalls einer geeigneten psychologischen Betreuung) zu gewähren (Art. 19 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie). Das Bundesverwaltungsgericht geht im Einklang mit dem SEM davon aus, dass Malta über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfügt (vgl. u.a. Urteile des BVGer E-2328/2021 vom 26. März 2021 E. 5.2 und F-463/2021 vom 9. Februar 2021 E. 6.9 je mit weiteren Hinweisen). Es liegen keine Hinweise vor, wonach Malta dem Beschwerdeführer eine adäquate medizinische Behandlung verweigern würde (vgl. hierzu etwa Urteile F-6198/2020 E.6.2.3, E-3973/2020 E. 7.4.2, E- 3503/2018 vom 21. Juni 2018 S. 8 oder D-935/2018 vom 23. Februar 2018

        S. 7).

      3. Der Beschwerdeführer leidet eigenen Angaben zufolge an Nierensteinen, Rückenschmerzen und Schlafproblemen. Er wurde in der Schweiz zweimal ärztlich untersucht. Gemäss den zwei in den Akten liegenden Arztberichten (medbase B. vom […] und […]) wurden beim Beschwerdeführer eine Magenschleimhautentzündung und einen Lumbago («Hexenschuss») diagnostiziert, jedoch keine Nierensteine. Der zuständige Arzt ordnete gleichzeitig eine Untersuchung des Bauchraums an. Medikamente

        • abgesehen von der Abgabe von schmerzlinderndem Paracetamol – wurden ihm nicht verschrieben. Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, sein Gesundheitszustand würde einer Überstellung nach Malta entgegenstehen beziehungsweise er wäre nicht reisefähig. Dies ist gestützt auf die Akten denn auch nicht ersichtlich. Demzufolge vermag sein Gesundheitszustand die Annahme einer Unzulässigkeit der Überstellung im Sinne der erwähnten (restriktiven) Rechtsprechung nicht zu rechtfertigen. Mit der Vorinstanz ist somit festzustellen, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um eine besonders vulnerable Person handelt.

      4. Schliesslich bleibt anzumerken, dass die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochtenen Verfügung beauftragt sind, den medizinischen Umständen bei der Bestimmung der konkreten Modalitäten der Überstellung des Beschwerdeführers Rechnung zu tragen haben und die

maltesischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über die spezifischen medizinischen Umstände informieren werden (vgl. Art. 31 f. DublinIII-VO).

7.

Der Vorinstanz kommt bei der Anwendung von Art. 29a Abs. 3 AsylV 1 Ermessen zu (vgl. BVGE 2015/9 E. 7 f.) und den Akten sind keine Hinweise auf eine gesetzeswidrige Ermessensausübung (vgl. Art. 106 Abs. 1 Bst. a AsylG) durch das SEM zu entnehmen. Das Bundesverwaltungsgericht enthält sich unter diesen Umständen weiterer Ausführungen zur Frage eines Selbsteintritts. Nach dem Gesagten besteht kein Grund für eine Anwendung der Ermessensklauseln von Art. 17 Dublin-III-VO. Somit bleibt Malta der für die Behandlung des Asylgesuches des Beschwerdeführers zuständige Mitgliedstaat gemäss Dublin-III-VO.

8.

Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Da er nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung ist, wurde die Überstellung nach Malta in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).

9.

Die Beschwerde ist abzuweisen.

10.

Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist abzuweisen, da die Begehren – wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt

  • als aussichtlos zu bezeichnen sind. Die Verfahrenskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.– festzusetzen (Art. 1 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird abgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:

David R. Wenger Matthias Neumann

Versand:

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