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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-6868/2018

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-6868/2018

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-6868/2018
Datum:18.01.2022
Leitsatz/Stichwort:Vollzug der Wegweisung
Schlagwörter : Guinea; Schweiz; Wegweisung; Onkel; Verfügung; Beschwerdeführers; Vollzug; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Vorinstanz; Recht; Wegweisungsvollzug; Beweis; Geburt; Dokumente; Wegweisungsvollzugs; Eltern; Eingabe; Behandlung; Onkels
Rechtsnorm: Art. 112 AIG ;Art. 306 ZGB ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-6868/2018

U r t e i l v o m 1 8 . J a n u a r 2 0 2 2

Besetzung Richterin Esther Marti (Vorsitz), Richterin Jeannine Scherrer-Bänziger, Richterin Gabriela Freihofer; Gerichtsschreiberin Regina Seraina Goll.

Parteien A. , geboren am (…), Guinea,

vertreten durch Melanie Aebli, Rechtsanwältin, Advokatur 4A GmbH,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Vollzug der Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 1. November 2018 / N (…).

Sachverhalt:

I.

A.

Der damals minderjährige Beschwerdeführer gelangte am (…) November 2016 in die Schweiz, wo er tags darauf um Asyl nachsuchte. Das SEM befragte ihn am 1. Dezember 2016 summarisch zu seiner Person (BzP; Protokoll in den SEM-Akten A9/12) und hörte ihn am 19. Mai 2017 zu seinen Asylgründen an (Anhörung; Protokoll in den SEM-Akten A31/22).

B.

Am 21. Februar 2017 ordnete die zuständige Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (KESB) für den Beschwerdeführer eine Vertretungsbeistandschaft gemäss Art. 306 Abs. 2 ZGB an, nachdem dessen Altersangabe durch eine entsprechende Abklärung vom 15. November 2016 bestätigt worden war.

C.

Zu seinen Asylund Ausreisegründen brachte der Beschwerdeführer vor, er sei guineischer Staatsangehöriger der Ethnie Peul/Fulbe und in B. , Präfektur B. , Region Nzérékoré geboren. Seine Eltern seien im Jahr 2000 während eines Rebellenangriffs ums Leben gekommen, weshalb er bei seinem Onkel väterlicherseits, C. , in

  1. , Präfektur D.

    aufgewachsen sei. Dort habe er (…)

    Jahre lang die Schule besucht; nach der Schule habe er jeweils seinem Onkel in dessen Laden geholfen, er habe Dinge wie (…) verkauft. Die Ehefrau seines Onkels namens E. habe nicht gemocht, dass sein Onkel sich um ihn kümmere; in dessen Abwesenheit habe sie ihn regelmässig geschlagen, ihm auch Verbrennungen zugefügt. 2012 habe sie ihm auf seine Frage, weshalb sie ihn schlecht behandle, gesagt, dass sie und sein Onkel nicht seine leiblichen Eltern seien. Sein Onkel habe ihm auf Nachfrage nicht sagen wollen, wer seine Eltern seien, ihm aber erzählt, diese seien umgebracht worden. Er habe ihm auch erzählt, dass er noch einen Onkel mütterlicherseits habe sowie einen Bruder und eine grosse Schwester, die bei diesem Onkel lebten; er habe aber gesagt, aufgrund von Problemen keinen Kontakt zu haben.

    Im Jahr 2013, als sein Onkel wieder einmal unterwegs gewesen sei, habe seine Tante eines Abends einen Stein nach ihm geworfen, der ihn am Auge

    getroffen habe, weshalb dieses angeschwollen sei. Als der Onkel zurückgekehrt sei, habe es deswegen zwischen ihm und der Tante Streit gegeben. Sein Onkel sei sehr wütend geworden, dann zusammengebrochen und ins Spital gebracht worden. Dort habe er ihn besucht, er sei halbseitig gelähmt gewesen und habe nicht gut sprechen können; trotzdem habe er ihn erneut nach seinen Geschwistern und deren Aufenthaltsort gefragt, der Onkel habe ihm aber nichts dazu sagen können. Später sei der Onkel im Spital gestorben. Seine Tante habe ihm die Schuld daran gegeben und ihn weggeschickt. Zunächst sei er jeweils für die Nacht zurückgekehrt und habe auf der Terrasse geschlafen. Nach weniger als einem Monat nach dem Tod des Onkels sei er dann nach F. gereist; er habe gewusst, dass sein Onkel manchmal dorthin gereist sei, und gehofft, dass er dort Verwandte finden könnte. Dort habe er dann G. kennengelernt, mit dem er im (…) 2013 nach Algerien ausgereist sei. In H. habe er sich rund zwei Jahre lang aufgehalten, bevor er Anfang 2016 nach Libyen weitergereist sei. Nach mehreren Monaten in Haft sei er über Italien in die Schweiz gelangt.

    D.

    1. Mit Schreiben vom 14. September 2017 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, es arbeite mit der guineischen Nichtregierungsorganisation (…) zusammen. Diese habe sich bereit erklärt, den Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Guinea zu betreuen.

    2. Mit Eingabe vom 28. September 2017 nahm der Beschwerdeführer dazu Stellung. Er machte geltend, er sei seit längerer Zeit in schlechter psychischer Verfassung und deshalb auch in Behandlung. Dazu reichte er drei Arztberichte der (…) vom 6. Dezember 2017, 12. März 2018 und

23. April 2018, ein durch die Psychiatrische Klinik (…) ausgefülltes Formular "rapport medical" vom 6. Februar 2018 sowie zwei Berichte des Spitalzentrums I. vom 18. Januar 2018 und 8. März 2018 ins Recht.

E.

Mit Verfügung vom 7. Mai 2018 stellte die Vorinstanz fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab, wies ihn aus der Schweiz weg und beauftragte den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Wegweisung.

F.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 8. Juni 2018 Be-

schwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Im Rahmen des Schriftenwechsels nahm das SEM das erstinstanzliche Verfahren mit Verfügung vom 6. Juli 2018 wieder auf, weshalb das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren mit Entscheid E-3369/2018 vom 11. Juli 2018 als gegenstandslos geworden von der Geschäftskontrolle abschrieb.

G.

Nachdem der Beschwerdeführer am (…) volljährig geworden war, hob die zuständige KESB die am 26. Februar 2016 errichtete Beistandschaft mit Verfügung vom 19. September 2018 auf.

II.

H.

Mit Verfügung vom 1. November 2018 – tags darauf eröffnet – stellte die Vorinstanz erneut fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte sein Asylgesuch ab, wies ihn aus der Schweiz weg und beauftragte den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Wegweisung. Zur Begründung der Verneinung der Flüchtlingseigenschaft und der Ablehnung des Asylgesuchs führte das SEM aus, die Vorbringen des Beschwerdeführers seien weder glaubhaft noch asylrelevant.

I.

Am 3. Dezember 2018 erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Er beantragt, die angefochtene Verfügung sei in den Dispositivziffern 3, 4 und 5 (Wegweisung und Wegweisungsvollzug) aufzuheben und er sei in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um Beiordnung der rubrizierten Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin.

Als Beweismittel legte er ein von ihm persönlich verfasstes Schreiben vom

29. November 2018 – indem er seine Erinnerungen an die Ereignisse rund um den Tod seines Onkels schildert –, eine Arbeitsbewilligung des Kantons Bern vom 30. Juli 2018 sowie eine Bestätigung des (…) vom 8. August 2018 bei.

J.

Mit Instruktionsverfügung vom 10. Dezember 2018 bestätigte das Bundes-

verwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde und stellte fest, der Beschwerdeführer könne den Ausgang des Verfahrens einstweilen in der Schweiz abwarten.

K.

Mit Zwischenverfügung vom 27. Dezember 2018 hiess die Instruktionsrichterin das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung unter Vorbehalt einer Veränderung der finanziellen Lage des Beschwerdeführers gut und ordnete ihm die rubrizierte Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin bei. Des Weiteren grenzte sie den Verfahrensgegenstand auf die Dispositivziffern 4 und 5 der angefochtenen Verfügung (Anordnung des Vollzugs der Wegweisung) ein.

L.

Mit Schreiben vom 17. September 2020 reichte der Beschwerdeführer den Ausdruck seiner Zulassungsbestätigung für die Prüfungen der (…) Klasse in D. vom 9. September 2013 nach, die er mit Hilfe der Familie eines Freundes habe erhältlich machen können. Diese belege seine Angaben. Gleichzeitig wurde eine Kostennote eingereicht.

M.

    1. Am 24. September 2020 lud die Instruktionsrichterin die Vorinstanz ein, sich zur Beschwerde vernehmen zu lassen. Dieser Aufforderung kam die Vorinstanz mit Vernehmlassung vom 7. Oktober 2020 nach.

    2. Die dem Beschwerdeführer vom Bundesverwaltungsgericht mit Zwischenverfügung vom 12. Oktober 2020 gewährte Gelegenheit zur Replik nahm dieser am 17. November 2020 wahr. Zusammen mit der Replik legte er eine aktuelle Honorarnote ein.

N.

    1. Mit Instruktionsverfügung vom 10. März 2021 forderte die Instruktionsrichterin den Beschwerdeführer dazu auf, sich detailliert und mit entsprechenden Beweismitteln belegt zu seiner persönlichen Situation in der Schweiz, namentlich zu seiner Ausbildung und seinem persönlichen Umfeld zu äussern.

    2. Dieser Aufforderung kam der Beschwerdeführer mit Eingabe vom

25. März 2021 fristgerecht nach, wobei er dieser erneut ein persönliches Schreiben vom 16. März 2021, eine Ausbildungsbestätigung des (…) vom

15. März 2021, ein Foto von ihm bei einem Fussballspiel im Jahr 2020 sowie eine angepasste Kostennote vom 25. März 2021 beilegte.

O.

    1. Mit Überweisungsschreiben vom 20. Juli 2021 liess das zuständige Zivilstandsamt den Asylbehörden mehrere Dokumente betreffend den Beschwerdeführer zukommen, darunter eine Identitätskarte, ausgestellt am

      6. September 2020, eine Geburtsurkunde, ausgestellt am 29. Dezember

      2020, eine Ledigkeitsbestätigung, ausgestellt am 28. Dezember 2020, alle in J. sowie einen Auszug aus dem Strafregister, ausgestellt am

      1. Dezember 2020 in K. .

    2. Mit Zwischenverfügung vom 28. Juli 2021 forderte die Instruktionsrichterin den Beschwerdeführer dazu auf, zur Frage Stellung zu nehmen, wie er in den Besitz dieses Identitätspapieres, das unter anderem einen Fingerabdruck trägt, und der übrigen Dokumente gelangt sei. Gleichzeitig bot sie ihm die Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, dass sich Unstimmigkeiten aus diesen Papieren einerseits und seinen Angaben im Rahmen des Asylverfahrens andererseits ergäben, sowie mitzuteilen, um wen es sich bei den auf dem "Jugement supplétitif tenant lieu d'acte de Naissance", aufgeführten Zeugen "L. und M. " handle. Schliesslich forderte sie ihn auf, mitzuteilen, über welchen Aufenthaltsstatus seine Freundin N. in der Schweiz verfüge – da sich daraus unter Umständen ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ergeben könnte – und, ob er gegebenenfalls bei der zuständigen kantonalen Migrationsbehörde bereits ein Verfahren um Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung eingeleitet habe und in welchem Stadium sich dieses Verfahren befinde.

    3. Mit Eingabe vom 9. September 2021 nahm der Beschwerdeführer Stellung zu den in der Zwischenverfügung aufgeworfenen Fragen. Zusammen mit der Eingabe reichte er eine aktuelle Honorarnote ein.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM ist eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 33 d VGG) und eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls

      in der Regel – so auch vorliegend – endgültig (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das VGG und das AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG, Art. 6 AsylG, Art. 112 Abs. 1 Ausländergesetzt [vormals AuG, mit Teilrevision vom 1. Januar 2019 in Ausländerund Integrationsgesetzt [AIG] umbenannt). Hinsichtlich des AsylG kommt das alte Recht zur Anwendung (Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom

      1. September 2015).

    3. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der Beschwerde berechtigt (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht (Art. 108 Abs. 1 AsylG [in der Fassung vom 1. Oktober 2016] und Art. 52 Abs. 1 VwVG) eingereichte Beschwerde ist einzutreten.

2.

Wie bereits mit Zwischenverfügung vom 27. Dezember 2018 festgestellt, beschränkt sich der Verfahrensgegenstand auf die Überprüfung der Ziffern 4 und 5 der angefochtenen Verfügung (Anordnung des Wegweisungsvollzugs). Streitig und zu prüfen ist, ob das SEM zu Recht festgestellt hat, dem Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers stünden keine Hindernisse nach Art. 83 Abs. 1 AIG entgegen oder aber, ob er, wie in der Beschwerde geltend gemacht, aufgrund solcher Hindernisse vorläufig in der Schweiz aufzunehmen ist. Demgegenüber sind die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft, die Ablehnung des Asylgesuches und die Anordnung der Wegweisung mangels Anfechtung nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Die Ziffern 1 bis 3 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung sind in Rechtskraft erwachsen.

3.

Gemäss Art. 112 Abs. 1 AIG in Verbindung mit Art. 49 VwVG umfasst die Kognition und die zulässigen Rügen die Verletzung des Bundesrechts, die unrichtige und unvollständige Feststellung des Sachverhalts sowie die Unangemessenheit.

Der vorliegend anzuwendende Artikel (Art. 83 Abs. 1–4 AIG) ist unverändert vom AuG ins AIG übernommen worden.

4.

    1. Die Vorinstanz begründet ihre Verfügung hinsichtlich der Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs damit, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, weshalb das entsprechende RefoulementVerbot nicht zur Anwendung gelange. Aus den Akten würden sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Heimatstaat mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine durch Art. 3 EMRK verbotene Strafe oder Behandlung drohe.

      Zur Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs führt sie aus, dass vereinzelte gewaltsame Zusammenstösse zwar nicht ausgeschlossen werden könnten, aber in Guinea keine Situation von Krieg, Bürgerkrieg oder allgemeiner Gewalt im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG herrsche. Allfällige individuelle Wegweisungsvollzugshindernisse seien nicht gegeben. Der Beschwerdeführer sei inzwischen volljährig, weshalb es sich erübrige, auf Aspekte der Rückkehr als unbegleiteter Minderjähriger einzugehen. Sodann seien zwar Wegweisungsvollzugshindernisse grundsätzlich von Amtes wegen zu prüfen, Asylsuchende seien aber im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht verpflichtet, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Er habe keinerlei Identitätspapiere oder Beweismittel zu den Akten gereicht. Seine Asylvorbringen seien auch nicht glaubhaft gemacht. Dazu verwies es auf seine Erwägungen unter dem Asylpunkt (ebd. II Ziff. 1), wonach seine Schilderungen unsubstantiiert ausgefallen seien und kaum Realkennzeichen enthalten würden. Sowohl zur Fahrt ins Spital, zur Ankunft und dem Empfang dort, der ersten Versorgung, dem Übernachten und auch zur Beerdigung seines Onkels habe er nur oberflächliche, stereotype und detailarme Angaben machen können. Es könne ihm daher nicht geglaubt werden, dass sein Onkel unter diesen Umständen und zu diesem Zeitpunkt verstorben sei. Somit sei auch seinem Vorbringen, nach dem Tod seines Onkels mit dessen Ehefrau Probleme gehabt zu haben, von vornherein die Grundlage entzogen. Ergänzend sei festzuhalten, dass der geltend gemachte Tod des Onkels überhaupt unglaubhaft sei. Ebenso wenig habe er überzeugend darzulegen vermocht, dass er über keine Verwandten in Guinea verfüge. Er habe nicht erklären können, weshalb sein Onkel ihm nichts über die Eltern habe erzählen wollen. Auch dass dieser ihm die Namen der Geschwister nicht mitgeteilt habe, sei nicht nachvollziehbar. Es könne nicht Sache der Asylbehörden sein, nach allfälligen Wegweisungsvollzugshindernissen zu forschen, wenn ein Gesuchsteller keine rechtsgenüglichen Identitätspapiere abgebe sowie seine Mitwirkungspflicht verletze und dadurch eine vernünftige Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs verhindere. Schliesslich sei anzumerken, dass er (…) Jahre lang die

      Schule besucht habe und mittlerweile volljährig sei. Es bestehe für ihn demzufolge die Möglichkeit, nach seiner Rückkehr in Guinea eine wirtschaftliche Lebensgrundlage aufzubauen. Er habe zwar diverse gesundheitliche Probleme geltend gemacht, dem letzten Arztbericht zufolge sei er aber in einem stabilen Gesundheitszustand, die medikamentöse Behandlung habe abgesetzt werden können und seine psychischen Probleme könne er nun ambulant behandeln lassen. Somit handle es sich hierbei nicht um eine andauernde schwerwiegende Gesundheitsstörung, die ohne Behandlung in eine medizinische Notlage führen würde. Allfällige suizidale Tendenzen könnten medikamentös gedämpft werden, weshalb diese kein völkerrechtliches Wegweisungshindernis bilden würden.

    2. Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerdeschrift ein, seine Aussagen bezüglich des Todes seines Onkels seien durchaus glaubhaft ausgefallen. Er habe sich nicht widersprochen, weder zwischen der BzP und der Anhörung noch in der Anhörung selbst. Mit beispielhaften Hinweisen auf einzelne Protokollstellen macht er geltend, seine Schilderungen ergäben ein konsistentes Bild von der Zeit vor seiner Ausreise aus Guinea. Er habe präzise auf die Fragen geantwortet, Aussagen in direkter Rede wiedergegeben und Zusammenhänge hergestellt. Bei Episoden, die ihm besonders wichtig gewesen seien, habe er stets ausführlich geantwortet. Er habe auch immer gesagt, wenn er etwas nicht gewusst habe, und nichts erfunden.

      Zu berücksichtigen sei überdies, dass er zur Zeit dieser Ereignisse erst (…) Jahre alt gewesen sei und es sich bei der Person, die zusammengebrochen und später gestorben sei, um seine einzige und engste familiäre Bezugsperson gehandelt habe. Dass er sich nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern könne, sei nachvollziehbar. Hinzu komme, dass seit dem Ereignis bereits mehrere Jahre vergangen seien, was die Erinnerung ebenfalls beeinträchtigen dürfte. Seine Aussagen seien aber auch in zeitlich und räumlicher Hinsicht kongruent. Er habe mehrmals an verschiedenen Stellen ausgeführt, dass er nicht wisse, weshalb sein Onkel ihm nichts über seine Eltern habe erzählen wollen; es sei auch nicht dessen Absicht gewesen, ihn überhaupt über die Tatsache aufzuklären, dass er und seine Ehefrau nicht seine Eltern seien. Sodann sei darauf hinzuweisen, dass seine Aussagen zum Tod seiner Eltern mit den Ereignissen in Guinea im Jahr (…) übereinstimmten. Er habe aber stets offengelegt, dass es sich bei seinen Ausreisegründen um solche familiärer, existenzieller Natur gehandelt habe, und nicht versucht, sich als Verfolgten darzustellen.

      Es wird sodann geltend gemacht, von einer Verletzung der Mitwirkungspflicht könne nicht ausgegangen werden. Er sei bei seiner Ausreise aus dem Heimatstaat nur in Besitz seiner Geburtsurkunde und eines Schülerausweises gewesen, welche man ihm während der Haft in Libyen weggenommen habe. Eine Identitätskarte oder einen Pass habe er gar nie besessen. In Guinea habe er keine weiteren Familienangehörigen, zu denen er den Kontakt hätte aufrechterhalten können, und auch zu seinen Schulkameraden habe er keine Verbindung. Er habe seinen Heimatstaat noch als Kind verlassen und wichtige Jahre der Entwicklung gerade nicht dort verbracht. Er wäre bei einer Rückkehr auf ein familiäres und soziales Netz angewiesen; ein solches habe er aber gerade nicht. Demgegenüber habe er inzwischen in der Schweiz sowohl stabile menschliche Beziehungen als auch eine Ausbildungsstelle als (…), die er im August 2018 habe beginnen können. Hier habe er zum ersten Mal im Leben ein ihn unterstützendes soziales Netz, psychotherapeutische Betreuung und gute wirtschaftliche Aussichten. Es wäre auch aus entwicklungspsychologischer Sicht fatal, ihn in seinem Alter aus diesem Neuanfang herauszureissen, unabhängig davon, ob er das 18. Lebensjahr überschritten habe oder nicht. Schliesslich sei zu berücksichtigen, dass er seit August 2017 in psychotherapeutischer Behandlung stehe und an (…) und an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide. Er habe immer wieder Suizidgedanken und bei einem Vollzug der Wegweisung bestehe eine akute Suizidgefahr. Er sei sogar in die Psychiatrie eingewiesen worden. Die bis im August 2018 durchgeführte Therapie habe ihn etwas stabilisiert, auch der Beginn der Lehre habe dazu beigetragen. Eine PTBS verschwinde jedoch nicht einfach so nach ein paar Monaten. Die Stabilisierung sei der Behandlung in der Schweiz, der Unterstützung, die er hier erfahren habe, und dem einigermassen stabilen Umfeld anzurechnen. Würde er aus diesen Strukturen herausgerissen, wäre mit einer Verschlechterung des Zustandes zu rechnen. In Guinea stünden kaum psychiatrisch geschulte Ärztinnen oder Psychologen zur Verfügung und die Behandlungskosten könnte er ohnehin nicht tragen.

    3. In ihrer Vernehmlassung hielt die Vorinstanz mit Ergänzungen an ihren Erwägungen fest. Das eingereichte Beweismittel – die Zulassungsbestätigung für die Prüfungen der (…) Klasse in D. – liege lediglich in Kopie vor und sei ohne Beweiswert. Auch das persönliche Schreiben des Beschwerdeführers sei ohne Belang. Ihre Einschätzung hinsichtlich des Vollzugs der Wegweisung werde dadurch gestützt, dass keine neuen Arztberichte eingereicht worden seien. Der Beschwerdeführer sei demnach in den letzten zwei Jahren nicht auf medizinische Versorgung angewiesen

      gewesen. Ausserdem komme ihm bei der Wiedereingliederung in Guinea seine Arbeitserfahrung zugute.

    4. Darauf replizierte der Beschwerdeführer, der Zulassungsbestätigung könne nicht jeglicher Beweiswert abgesprochen werden, nur weil es sich lediglich um eine Kopie handle. Er habe nachvollziehbar erklärt, weshalb er nicht das Original habe einreichen können. Er lebe nun seit über (…) Jahren nicht mehr in Guinea und habe dort niemanden, der ihn bei der Wiedereingliederung unterstützen könnte. Er habe sein Heimatland als Kind verlassen und wisse nicht, wie er sich dort allein zurechtfinden könnte. Aus diesem Grund sei er nach wie vor als vulnerable Person zu bezeichnen, auch wenn er nicht mehr minderjährig sei. Er habe eine schwierige Kindheit gehabt und die prägenden Teenagerjahre auf der Flucht verbracht. Hier in der Schweiz habe er ein unterstützendes Umfeld, sei gut integriert und lebe in einer festen Beziehung. Er besuche derzeit zwar keine regelmässige therapeutische Behandlung mehr, melde sich aber bei seiner Therapeutin, wenn er Einbrüche in seinem psychischen Zustand habe. In einer Gesamtwürdigung der Umstände sei der Vollzug der Wegweisung unzumutbar.

    5. In seiner Eingabe vom 25. März 2021 führt der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Integrationsbemühungen und seiner persönlichen Situation in der Schweiz aus, er befinde sich mittlerweile im letzten Lehrjahr und spiele jeden Sonntag Fussball mit seiner Mannschaft. Die Ausbildung habe ihm ermöglicht, seine Sorgen zu vergessen. Seit Ende Dezember 2020 wohne er zudem mit seiner Freundin zusammen und sie beabsichtigten zu heiraten. Das Ehevorbereitungsverfahren sei bereits eingeleitet, aufgrund fehlender Dokumente werde dieses aber wohl noch andauern.

    6. In seiner Eingabe vom 9. September 2021 legte der Beschwerdeführer dar, dass er inzwischen in der Schweiz mehrere Landsleute kennengelernt habe. Zusammen mit seiner Freundin hätten sie sich um den Erhalt von Dokumenten gekümmert, damit sie heiraten könnten. Da Guinea keine Botschaft in der Schweiz habe, habe er einen Landsmann – den er im letzten Jahr kennengelernt habe und der Kontakte zu Guinea pflege – beauftragt, für ihn eine Identitätskarte, eine Geburtsurkunde, einen Strafregisterauszug sowie eine Ledigkeitsbescheinigung zu beantragen. Dass auf den Dokumenten K. als sein Geburtsort aufgeführt sei, erkläre er sich damit, dass er in B. bestimmt nicht registriert worden sei und deshalb die Hauptstadt als Geburtsort gelte. Der Fingerabdruck auf der Identitäts-

karte sei nicht sein eigener, sondern die Bestätigung des den Ausweis ausstellenden Beamten, neben den Stempeln und der Unterschrift der Behörde. Er wisse nicht, um wen es sich bei den im Gerichtsurteil aufgeführten Zeugen handle und kenne die Verwaltungsabläufe in Guinea nicht. Auch seine Rechtsvertreterin könne dazu nichts sagen, da auch sie mit den Verfahren in Guinea nicht vertraut sei. Jedenfalls verfüge er nun über eine Identitätskarte und weitere behördliche Dokumente. Seine Verlobte N. sei anerkannter Flüchtling und verfüge über eine Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Das Ehevorbereitungsverfahren sei noch immer pendent, da das Zivilstandsamt die Überprüfung der guineischen Identitätsdokumente durch die Schweizerische Botschaft in Abidjan / Côte d'Ivoire abwarte. Die Aufenthaltsbewilligung könne er danach beantragen. Des Weiteren habe er zwischenzeitlich seine Lehre abgeschlossen und schon einen Arbeitsvertrag unterschrieben, der von der kantonalen Arbeitsmarktbehörde noch bestätigt werden müsse.

5.

    1. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG).

    2. Die Bedingungen für einen Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung (Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit, Unmöglichkeit) sind praxisgemäss alternativer Natur – ist eine von ihnen erfüllt, erweist sich der Vollzug der Wegweisung als undurchführbar und die weitere Anwesenheit in der Schweiz ist gemäss den Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. etwa BVGE 2011/7 E.8).

    3. Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.). In der folgenden Erwägung ist zunächst der relevante Sachverhalt festzustellen und dazu ist zu prüfen, ob das SEM zu Recht festgestellt hat, der Beschwerdeführer habe seine Mitwirkungspflicht verletzt und die geltend gemachten Lebensverhältnisse in Guinea nicht glaubhaft gemacht.

6.

6.1 Glaubhaftmachung bedeutet im Gegensatz zum strikten Beweis ein reduziertes Beweismass und lässt durchaus Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen. Eine Behauptung gilt bereits als glaubhaft gemacht, wenn das Gericht von ihrer Wahrheit nicht völlig überzeugt ist, sie aber überwiegend für wahr hält, obwohl nicht alle Zweifel beseitigt sind. Demgegenüber reicht es für die Glaubhaftmachung nicht aus, wenn der Inhalt der Aussagen zwar möglich ist, aber in Würdigung der gesamten Aspekte wesentliche und überwiegende Umstände gegen die vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung sprechen. Entscheidend ist im Sinne einer Gesamtwürdigung, ob die Gründe, die für eine Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht; dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen (BVGE 2015/3 E. 6.5.1). Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 Abs. 3 AsylG).

6.2

      1. Das Bundesverwaltungsgericht kommt in Übereinstimmung mit den Ausführungen auf Beschwerdestufe sowie nach Überprüfung aller übrigen Akten zunächst zum Schluss, dass dem Beschwerdeführer keine Verletzung der Mitwirkungspflicht vorgehalten werden kann. Vielmehr geht aus den Protokollen in ihrer Gesamtheit hervor, dass er sich nach Möglichkeit bemüht hat, Angaben zu seiner Herkunft, seinem Lebenslauf und den Ausreisegründen zu machen. Es sind keine wesentlichen Unstimmigkeiten erkennbar und die Erklärungen zu den Papieren, über die er verfügt habe (Geburtsurkunde und Schülerausweis), sind übereinstimmend ausgefallen, obwohl sie jeweils in unterschiedlichem Kontext zur Sprache kamen. Bereits zu Beginn der BzP hatte der Beschwerdeführer angegeben, er habe bis Libyen eine Geburtsurkunde bei sich gehabt, sein Geburtsdatum sei darauf vermerkt gewesen (A9 Ziff. 1.06). Zu möglichen Dokumenten gefragt, gab er später an, nebst der Geburtsurkunde auch einen Schülerausweis besessen zu haben, auch dieser sei ihm in Libyen, im Gefängnis, abgenommen worden (ebd. Ziff. 4.04). In der Anhörung berichtet er wieder von diesen Dokumenten und macht ergänzende Angaben (A31 F11 ff.). Später, in anderem Zusammenhang, schildert er, wie er vor seiner Abreise nach F. noch diese beiden Dokumente an sich genommen habe. Auch diese Antwort wirkt authentisch, insbesondere, weil sie als unnötige Ergänzung auf die Frage folgt, wann er sich entschieden habe, nach

        F. zu reisen (vgl. ebd. F167). Die Ausführungen des Beschwerdeführers zu den vom zuständigen Zivilstandsamt überwiesenen Papieren scheinen vor dem entsprechenden Länderhintergrund plausibel. So könnten nicht alle Zivilstandsbeamten in Guinea lesen oder schreiben, was den Fingerabdruck auf der Identitätskarte erklären könnte. Die zuständigen Beamten würden Ersatzdokumente ohne jegliche Prüfung der personellen Daten und Hintergründe unterschreiben. Es müssten lediglich zwei Identitätskarten vorgelegt werden. Dies könnte auch die abweichenden Angaben zum Geburtsort und der ursprünglichen Adresse des Beschwerdeführers sowie die Namen der Zeugen, welche dem Beschwerdeführer nicht bekannt seien, erklären. Auch der übereinstimmende Familienname vermag daran nichts zu ändern, zumal dieser in Guinea sehr verbreitet ist (vgl. zu den Länderinformationen: Office français de protection des réfugiés et apatrides (OFPRA), Rapport de mission en Guinée du 7 au 18 novembre 2017, Februar 2018, S. 77 ff., https://www.ofpra.gouv.fr/sites/default/files/atoms/files/didr_rapport_de_mission_en_guinee_final.pdf, abgerufen am 15. September 2021). Letztlich vermögen die inzwischen vorliegenden Papiere aus Guinea dem Beschwerdeführer weder zum Vorteil, insbesondere aber auch nicht zum Nachteil zu gereichen.

      2. Das Gericht teilt sodann die vorinstanzliche Auffassung, wonach die Ausführungen des Beschwerdeführers stereotyp und konstruiert wirkten, nicht. Vielmehr hat er seine Erlebnisse authentisch und nachvollziehbar, in sich stimmig und überzeugend dargelegt. Dies gilt für seine ganze Lebensgeschichte, angefangen bei der Umgebung und den Umständen, in denen er in Guinea gelebt hat, bis zu seiner Ausreise über F. , seinem Aufenthalt in Algerien, seiner Weiterreise nach Libyen und schliesslich in die Schweiz. Wenn seine Beschreibungen auch teilweise kurz ausgefallen sind – etwa was die Beschreibung der Umgebung, wo er gelebt habe, anbelangt (vgl. etwa A31 F27 – 66) – so ist dies in einer Gesamtbetrachtung eher auf seine Erzählweise als auf eine fehlende Mitwirkung oder gar ein Verschweigen zurückzuführen. Er berichtet durch die ganze BzP und auch Anhörung hindurch in gleicher und authentisch wirkender Art und Weise, entsprechend auch seinem Alter und geltend gemachten Hintergrund. Seine Schilderungen wirken echt und gerade nicht konstruiert. Der Beschwerdeführer macht insgesamt einen persönlich glaubwürdigen Eindruck. Auch enthalten seine Angaben durchaus zahlreiche Details. Sie weisen auch Interaktionen, inhaltliche Besonderheiten und unwichtige Nebensächlichkeiten auf (vgl. ebd. F77, F80, F112, F122 ff., F128, F130, F137, F139, F149, F180, F184 ff., F191). Der Beschwerdeführer gibt mehrfach Gespräche in direkter Rede und durchlebte Emotionen glaubhaft wieder

        (vgl. ebd. F112, F117, F119, F121). Auch aus verschiedenen Blickwinkeln und nicht chronologisch erzählt, vermochte der Beschwerdeführer die Ereignisse stimmig zu schildern und einzuordnen, ohne dass sich dabei Fehler oder Unstimmigkeiten ergeben hätten (vgl. ebd. F151 und F164, oder A9 Ziff. 7.01 in fine sowie A31 F143 f. F167). Übertreibungen lassen sich ebenfalls keine erkennen (vgl. ebd. F80, F112 und F171). Allfällige Wissensoder Erinnerungslücken hat er frei eingestanden (vgl. ebd. F42, F68, F98, F157 f. und F181). Die Erklärung, weshalb er die Namen seiner Eltern nicht kenne, ist – entgegen der Auffassung der Vorinstanz – durchaus nachvollziehbar (vgl. A9 Ziff. 1.16.04 und Ziff. 3.01 sowie A31 F14 ff. und F83 ff.). Tatsächlich kam es im Zeitraum nach der Geburt des Beschwerdeführers sodann in seinem Herkunftsgebiet zu zahlreichen Gewaltausbrüchen, vorab im Zusammenhang mit den kriegerischen Auseinandersetzungen in den Nachbarsländern Liberia und Sierra Leone (vgl. u.a. UNHCR, The Global Report 2000, 30. Juni 2001, Guinea, S. 188, www.unhcr.org/3e23eb550.html; abgerufen, wie alle folgenden Links, am 26. Juli 2021). Dass der Onkel ihm von der Adoption erzählt, aber keine Details genannt hat, ist ebenfalls plausibel (vgl. ebd. F85 und F112). Ausserdem verschweigt der Beschwerdeführer auch nicht, dass er noch einen Onkel, (…) habe, und erklärt nachvollziehbar, weshalb er nicht wisse, wo sie sich aufhielten, oder ob sie überhaupt noch lebten (vgl. A9 Ziff. 3.01 sowie A31 F92 ff. und F112). Er habe vor seiner Ausreise erfolglos versucht, noch Verwandte zu finden; er beschreibt auch, weshalb er gerade nach F. gereist sei (vgl. ebd. F112).

      3. Zu Recht wird auf Beschwerdestufe sodann vorgebracht, das SEM habe weder das junge Alter des Beschwerdeführers noch die lange Zeitspanne seit der Ausreise aus dem Heimatstaat in die Glaubhaftigkeitsprüfung mit einbezogen. Nicht berücksichtigt hat es auch die Erlebnisse des sehr jungen Beschwerdeführers während seiner Reise in die Schweiz. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann hier auf die zutreffende Darlegung des Beschwerdeführers verweisen werden (vgl. Beschwerdeschrift sowie Zusammenfassung unter E. 4.2). Richtig ist zwar, dass Dokumenten in Kopie grundsätzlich kaum Beweiswert zukommt. Dennoch ist der Einwand in der Replik im vorliegenden Fall gerechtfertigt, zumal der Beschwerdeführer noch ausführlich beschreibt, wie er dazu gelangt sei und sie sich inhaltlich mit seinen glaubhaft gemachten Aussagen deckt.

6.3 Zusammenfassend hat es das SEM versäumt, eine Gesamtwürdigung aller wesentlichen Elemente vorzunehmen, es hat einseitig nur die zu Un-

gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Elemente gewürdigt, obwohl es zahlreiche Hinweise gibt, die für die Glaubhaftigkeit seiner Schilderungen und grundsätzlich für seine persönliche Glaubwürdigkeit sprechen. Diese überwiegen in einer Gesamtwürdigung. Es ist der folgenden Würdigung demnach der unter Buchstabe C sowie den Erwägungen 4.2,

4.4 und 4.5 festgehaltene Sachverhalt zu Grunde zu legen.

7.

    1. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Eine konkrete Gefährdung kann sich auch aufgrund einer desolaten humanitären Lage im Heimat- o- der Herkunftsstaat ergeben, wenn der betroffenen Person deswegen die materiellen Lebensgrundlagen entzogen sind (vgl. BVGE 2014/26 E. 7.5 m.w.H.). Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

      Am 7. November 2010 wurde nach 30 Jahren der Militärdiktatur zum ersten Mal in der Geschichte Guineas ein Präsident vom Volk gewählt: Alpha Condé, der sein Amt am 3. Dezember 2010 antrat. Im Vorfeld seiner 2015 erfolgten Wiederwahl prägten gewaltsame Ausschreitungen den guineischen Alltag. Hintergrund der politischen Spannungen bildete die Tatsache, dass die Fulbe/Peul – obwohl sie eine der grössten ethnischen Gruppen in Guinea bilden – bisher nie den Präsidenten des Landes stellten, weshalb sich viele Angehörige dieser Ethnie marginalisiert fühlen. Es kam dabei immer wieder zu Demonstrationen, an denen sich viele Fulbe/Peul als systematisch verfolgt durch die Staatsmacht sahen, auf der anderen Seite wurde ihnen unterstellt, sie missbrauchten Demonstrationen, um gewalttätige Ausschreitungen zu provozieren. Gemäss dem Immigration and Refugee Board of Canada machten die Peul/Fulbe den grössten Teil der Opfer und Inhaftierten bei Demonstrationsveranstaltungen aus (vgl. Landinfo, «Guinea: Forhold for den etniske gruppen fulani [peul]», 12. März 2013, https://landinfo.no/asset/2324/1/2324_1.pd sowie Immigration and Refugee Board of Canada, «Guinea: Ethnic composition of police and military forces; treatment of Peul by authorities, including police and military, and in cases where a Peul individual requires state protection; information on Camp Makambo, including location and purpose [2009 – May 2014]»,

      7. Mai 2014, www.refworld.org/docid/537db96b4.html). Auch seit April 2019 kam es immer wieder zu Massenprotesten und gewaltsamen Ausei-

      nandersetzungen mit zahlreichen Todesopfern in Zusammenhang mit einem umstrittenen Verfassungsreferendum, welches Alpha Condé eine dritte Amtszeit ermöglichen sollte.

      Trotz der von ethnischen Spannungen geprägten Sicherheitslage und politischen Entwicklungen ist nicht davon auszugehen, dass alle guineischen Staatsangehörigen, insbesondere auch nicht jene der Ethnie der Fulbe/Peul, in ihrem Heimatland im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG konkret gefährdet sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat auch in neueren Entscheiden bestätigt, dass in Guinea keine Situation von Krieg, Bürgerkrieg oder allgemeiner Gewalt herrscht (vgl. Urteile des BVGer E-73/2021 vom 26. Januar 2021; E-1705/2018 vom 16. Oktober 2020 E. 10.2; E-158/2020

      vom 13. Juli 2020 E. 8.5.2.1). Der Wegweisungsvollzug nach Guinea erweist sich unter dem Aspekt der allgemeinen Sicherheitslage grundsätzlich als zumutbar.

    2. Es gilt nun weiter zu prüfen, ob in den individuellen Lebensumständen des Beschwerdeführers eine konkrete Gefährdung zu sehen ist.

Der Beschwerdeführer hat seine Eltern bereits im Alter von wenigen Monaten verloren. Sein Onkel hat ihn aufgenommen und aus seinen Schilderungen geht hervor, dass dieser gut für ihn gesorgt hat. Nicht so dessen Ehefrau, bei der der Beschwerdeführer unerwünscht war, die ihn auch geschlagen und misshandelt hat. Nach dem Tod des Onkels hat sie ihn aus dem Haus gejagt. Im Alter von nur (…) Jahren hat der Beschwerdeführer seinen Heimatstaat verlassen. Auch wenn er in Algerien gemäss seinen Angaben unter einem gewissen Schutz seines Begleiters stand, ist naheliegend, dass die zwei Jahre dort als noch sehr junger Jugendlicher nicht einfach gewesen sein dürften. Dies lässt sich etwa auch dem Bericht der Psychiatrischen Klinik (…), wo der Beschwerdeführer im Januar 2018 stationär aufgenommen worden war, entnehmen (vgl. A42). In Libyen kam er dann in Haft, als er unterwegs war, um Arbeit zu suchen; dort verblieb er als knapp (…)zehnjähriger. Kurz nachdem der Beschwerdeführer in die Schweiz eingereist war, beging er am (…) 2017 einen Suizidversuch. Im Bericht der (…) vom 12. März 2018 (vgl. A44) wird dem Beschwerdeführer eine PTBS (ICD 10 F43.1), (…) sowie eine (…) diagnostiziert. Im bereits erwähnten Bericht der Psychiatrischen Klinik (…), wo der Beschwerdeführer im Januar 2018 stationär aufgenommen worden war, bevor er in die ambulante Behandlung der (…) übertrat, wird von erheblichen (…) berichtet. Die Entwicklung verlaufe nicht stabil, teilweise spreche der Beschwer-

deführer auf die Therapie an, nach wie vor bestünden unter anderem suizidale Ideen. Im Bericht der (…) wird festgehalten, der Beschwerdeführer habe in seiner Kindheit in Guinea und dann auf seiner Reise bis in die Schweiz mehrere Traumata erlebt.

Trotz dieser schwierigen Zeit nach seiner Einreise in die Schweiz gelang es dem Beschwerdeführer auf der anderen Seite überdurchschnittlich gut, sich hier zu integrieren. Er hat inzwischen seine Lehre als (…) absolviert und einen Arbeitsvertrag abgeschlossen (vgl. Eingabe vom 9. September 2021), lebt in einer stabilen Beziehung und nimmt in seiner Freizeit am sozialen Leben teil. Dass sich dies gemäss seinem persönlichen Schreiben vom 16. März 2021 (vgl. obenerwähnte Eingabe) aufgrund der Pandemie sowie seiner Vorbereitungen auf die Lehrabschlussprüfung auf Fussball am Sonntag beschränke, ändert nichts daran, dass in seinem Fall von einer überdurchschnittlich guten Integration in der Schweiz innerhalb der viereinhalbjährigen Anwesenheit auszugehen ist. Die Anstrengungen des Beschwerdeführers widerspiegeln sich in der positiven gesundheitlichen Entwicklung. Es kann festgestellt werden, dass er einen entscheidenden Teil in seiner Entwicklung hin zu einer beruflichen und persönlichen Zukunft im Umfeld und in der Kultur der Schweiz erlebt hat, auch wenn er sich erst seit fünf Jahren hier aufhält. Den Akten kann nicht entnommen werden, dass der Beschwerdeführer eine mit den hiesigen Bindungen vergleichbare Beziehung zu in Guinea lebenden Personen hat. Es ist im Gegenteil anzunehmen, dass er dort neben der Tante, die ihn misshandelt hat, keine Verwandten mehr hat. Er würde heute aus einer Lebensstruktur, die er inzwischen hier gefunden hat und die nun seinen Alltag prägt, herausgerissen, was angesichts des von ihm in seiner Kinderund Jungendzeit Erlebten mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit zu einer Entwurzelung führen würde. Nach Praxis der schweizerischen Asylbehörden kann die Verwurzelung einer asylsuchenden Person in der Schweiz eine reziproke Wirkung auf die Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs haben, indem eine starke Assimilierung in der Schweiz eine Entwurzelung im Heimatstaat zur Folge haben kann, welche unter Umständen die Rückkehr dorthin als unzumutbar erscheinen lässt; eine solche Überlagerung der früheren Sozialisierung durch die aktuelle Einbettung in die schweizerische Gesellschaft ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen zu beobachten und spielt regelmässig im Rahmen der Berücksichtigung des Kindeswohls eine gewichtige Rolle (vgl. BVGE 2009/51 E. 5.6 m.w.H, BVGE 2009/28 E. 9.3.2, je m.w.H.) Nicht von der Hand zu weisen ist die Gefahr einer Retraumatisierung des Beschwerdeführers mit schwerwiegenden Folgen. In Berück-

sichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles vermag der Umstand, dass der Beschwerdeführer inzwischen volljährig geworden ist und über eine Ausbildung verfügt nicht entscheidend zu seinen Ungunsten ins Gewicht zu fallen. Das öffentliche Interesse am Vollzug der Wegweisung ist schliesslich insofern relativiert, als der Beschwerdeführer für seinen Lebensunterhalt in der Schweiz selbst aufkommt.

In einer Gesamtwürdigung aller entscheidenden Umstände des vorliegenden Einzelfalles erweist sich der Vollzug der Wegweisung heute unzumutbar im Sinne von Art. 83 Abs. 4 AIG.

8.

Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen und die Dispositivziffern 4 und 5 der angefochtenen Verfügung des SEM vom 1. November 2018 sind aufzuheben. Das SEM ist anzuweisen, den Beschwerdeführer wegen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in der Schweiz vorläufig aufzunehmen (Art. 83 Abs. 8 AIG), zumal den Akten keine Hinweise auf Ausschlussgründe gemäss Art. 83 Abs. 7 AIG zu entnehmen sind.

9.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).

    2. Dem obsiegenden und vertretenen Beschwerdeführer ist zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung für die ihm erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten zuzusprechen (Art. 64 Abs.1 VwVG i.V.m. Art. 7 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die aktualisierte Kostennote vom 9. September 2021 weist einen Gesamtaufwand von Fr. 3'001.30 (inkl. Auslagen und Mehrwertsteuerzuschlag) aus. Der für die Bemühungen ausgewiesene Aufwand von 10.83 Stunden erscheint gerechtfertigt. Auch der Stundenansatz von Fr. 250.– liegt innerhalb der in Art. 10 Abs. 2 VGKE definierten Spannbreite. Der geforderte Betrag erweist sich folglich als angemessen und ist dem Beschwerdeführer von der Vorinstanz als Parteientschädigung auszurichten.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2.

Die Ziffern 4 und 5 des Dispositivs der Verfügung des SEM vom 1. November 2018 werden aufgehoben. Das SEM wird angewiesen, den Beschwerdeführer vorläufig aufzunehmen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 3'001.30 auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Esther Marti Regina Seraina Goll

Versand:

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