Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-5403/2021 |
Datum: | 28.02.2022 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) |
Schlagwörter : | Bulgarien; Behörde; Behörden; Recht; Türkei; Asyls; Asylgesuch; Mitgliedstaat; Asylsuchende; Staat; Verfahren; Dublin-III-VO; Asylverfahren; Überstellung; Beschwerdeführer; Verfügung; Beschwerdeführers; Bundesverwaltungsgericht; Behandlung; Sachverhalt; Hinweis; Wegweisung |
Rechtsnorm: | Art. 10 BV ;Art. 25 BV ;Art. 33 EMRK ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Abteilung IV D-5403/2021
law/bah
Besetzung Richter Walter Lang (Vorsitz), Richterin Jeannine Scherrer-Bänziger, Richterin Chiara Piras, Gerichtsschreiber Christoph Basler.
Parteien A. , geboren am (…), Türkei,
vertreten durch Leslie Spengler, Rechtsanwältin, Berner Rechtsberatungsstelle,
(…),
Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 1. Dezember 2021 / N (…).
Der Beschwerdeführer, ein Kurde mit letztem Aufenthalt in B. , verliess die Türkei gemäss seinen Angaben bei der Personalienaufnahme (PA) im Bundesasylzentrum (BAZ) C. vom 8. Oktober 2021 im Juni 2021 und suchte am 4. Oktober 2021 in der Schweiz um Asyl nach.
Ein Abgleich seiner Fingerabdrücke mit der Eurodac-Datenbank ergab, dass er am 15. Juli 2021 in Bulgarien um Asyl ersucht hatte.
Am 14. Oktober 2021 führte das SEM mit dem Beschwerdeführer in Anwesenheit seiner Rechtsvertretung ein persönliches Gespräch gemäss Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO), durch.
Dabei gab er zu Protokoll, er habe nicht gewusst, dass er in Bulgarien ein Asylgesuch gestellt habe. Die dortige Situation sei schlecht gewesen und er sei manchmal geschlagen worden. Auf eine allfällige Zuständigkeit Bulgariens für die Prüfung seines Asylgesuchs angesprochen, brachte er vor, er fürchte sich vor einer Rückkehr in dieses Land. In der Quarantäne habe ein türkischer Polizist mit ihm gesprochen und er habe etwas unterschreiben müssen. Falls er nach Bulgarien zurückkehre, könne er bis zu 18 Monate inhaftiert werden, weil er dieses Land illegal verlassen habe, und in die Türkei zurückgeschickt werden. Die bulgarischen Behörden arbeiteten mit der Türkei zusammen. Weil er in der Türkei politische Probleme gehabt habe, werde er auch in Bulgarien verfolgt werden. Er habe viele Dokumente unterschreiben müssen. Man habe ihm ein türkisches Dokument vorgelegt, gemäss dem man ihn legal an die türkische Grenze habe schicken wollen; er habe es nicht unterschrieben. Er sei in Bulgarien bedroht worden, für den Fall, dass er die Dokumente nicht unterschreibe. Man habe ihn an einen Ort gebracht, wo es keine Kameras gegeben habe, und er sei zweimal täglich geschlagen worden. Die bulgarischen Behörden hätten ihm mindestens 35 Mal gesagt, man werde ihn in die Türkei überstellen. Auf gesundheitliche Probleme angesprochen, sagte der Beschwerdeführer, es gehe ihm eigentlich gut.
Vor Abschluss des Gesprächs äusserte die Rechtsvertretung die Auffassung, dass es während des Gesprächs zu Missverständnissen gekommen und das Protokoll fehlerhaft sei. Sie stellte den Antrag, das Gespräch sei zu wiederholen.
Am 15. Oktober 2021 wandte sich die Rechtsvertretung an das SEM. Sie wies darauf hin, dass nach Art. 33 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) und Art. 25 Abs. 2 BV niemand in einen Staat zurücküberstellt werden dürfe, in dem sein Leben oder seine Freiheit aus asylrelevanten Gründen gefährdet sei. Das Non-Refoulement-Gebot verbiete die Rückführung in einen Staat, von dem aus eine Person voraussichtlich in ein Land abgeschoben werde, in dem ihr asylrelevante Verfolgung drohe (Art. 5 Abs. 1 AsylG, SR 142.31). Es sei bekannt, dass die Türkei Oppositionelle mit vorgetäuschten Anklagen wegen Terrorismusdelikten verfolge. Die Schutzquote für Asylsuchende aus der Türkei sei in der Schweiz im Jahr 2020 bei rund 80 % gelegen. Der Beschwerdeführer sei am 20. September 2018 von der Grossen Strafkammer von D. wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Urteil sei vom Regionalgericht (…) am 15. November 2019 bestätigt worden. Es bestünden Hinweise darauf, dass Bulgarien türkische Asylsuchende systematisch widerrechtlich in die Türkei zurückschaffe (im Folgenden wird aus dem Länderbericht des bulgarischen Helsinki-Komitees vom 21. April 2021 zitiert). Eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Bulgarien würde demnach das Non-Refoulement-Gebot verletzen. Er habe ein Recht darauf, dass die Schweiz sich nach Art. 17 Abs. 1 DublinIII-VO für die Prüfung seines Asylgesuchs zuständig erkläre und von einer Wegweisung nach Bulgarien absehe.
Der Eingabe lagen Kopien zweier den Beschwerdeführer betreffende Urteile bei.
Das SEM ersuchte die bulgarischen Behörden gestützt auf Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO am 18. Oktober 2021 um die Übernahme des Beschwerdeführers.
Am 27. Oktober 2021 ging beim SEM ein ärztlicher Bericht des (…) vom Vortag ein. Beim Beschwerdeführer wurde eine akute Belastungsreaktion (ICD-10 F43.0) diagnostiziert. Im Rahmen zweier Konsultationen bei der (…) vom 4. und 24. November 2021 wurde beim Beschwerdeführer
eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; ICD-10 F43.1) diagnostiziert.
Die bulgarischen Behörden nahmen innert Frist zum Übernahmeersuchen vom 18. Oktober 2021 keine Stellung.
Mit Verfügung vom 1. Dezember 2021 – eröffnet am 6. Dezember 2021 – trat das SEM in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, ordnete die Wegweisung in den für ihn zuständigen Dublin-Mitgliedstaat (Bulgarien) an und forderte ihn auf, die Schweiz spätestens am Tag nach Eintritt der Rechtskraft der Verfügung zu verlassen, ansonsten er in Haft genommen und unter Zwang zurückgeführt werden könne. Gleichzeitig stellte es fest, einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid komme keine aufschiebende Wirkung zu. Ferner beauftragte das SEM den zuständigen Kanton mit dem Vollzug der Wegweisung und ordnete die Aushändigung der editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis an den Beschwerdeführer an.
Der Beschwerdeführer erhob durch seine Rechtsvertretung mit Eingabe vom 13. Dezember 2021 (Poststempel) gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. In dieser wurde beantragt, die Verfügung der Vorinstanz sei aufzuheben und diese anzuweisen, auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers einzutreten. Eventualiter sei die Sache zur vollständigen Sachverhaltsabklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Vorinstanz anzuweisen, individuelle Zusicherungen bezüglich des Zugangs zum Asylverfahren, adäquater medizinischer Versorgung sowie Unterbringung von den bulgarischen Behörden einzuholen. Der Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zu gewähren und das SEM sowie die Vollzugsbehörden seien anzuweisen, bis zum Entscheid über das vorliegende Rechtsmittel von jeglichen Vollzugshandlungen abzusehen. Dem Beschwerdeführer sei die die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren; insbesondere sei von der Erhebung eines Kostenvorschusses abzusehen.
Der Eingabe lagen fünf Fotografien von Verletzungen an den Beinen des Beschwerdeführers und ein ärztlicher Bericht vom 1. Dezember 2021 bei.
Der Instruktionsrichter setzte den Vollzug der Überstellung am 14. Dezember 2021 gestützt auf Art. 56 VwVG per sofort einstweilen aus.
Mit Instruktionsverfügung vom 15. Dezember 2021 hiess der Instruktionsrichter die Gesuche um Gewährung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde, Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses gut. Die Akten überwies er zur Vernehmlassung an das SEM.
Am 23. Dezember 2021 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht einen Konsultationsbericht der (…) vom 20. Dezember 2021 und ein Überweisungsschreiben vom selben Tag an Dr. med. E. .
Das SEM hielt in seiner Vernehmlassung vom 4. Januar 2022 an seinem Standpunkt fest.
In seiner Replik vom 19. Januar 2022 nahm der Beschwerdeführer mittels seiner Rechtsvertretung zur Vernehmlassung Stellung.
Der Beschwerdeführer liess am 26. Januar 2022 einen Konsultationsbericht der (…) vom Vortag einreichen.
Mit Eingabe vom 7. Februar 2022 liess der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht einen Konsultations-Bericht von Dr. med. E. , (…), vom 1. Februar 2022 zukommen.
Am 15. Februar 2022 reichte der Beschwerdeführer einen weiteren Konsultationsbericht der (…) vom 11. Februar 2022 ein.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – und auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG).
Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG; Art. 105 AsylG i.V.m. Art. 37 VGG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, das Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu prüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob das SEM zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2012/4 E. 2.2 m.w.H.). Das Bundesverwaltungsgericht hebt deshalb die angefochtene Verfügung auf und weist die Sache zu neuer Entscheidung an das SEM zurück, sofern es den Nichteintretensentscheid als unrechtmässig erachtet (vgl. BVGE 2011/30 E. 3, 2011/9 E. 5).
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staats prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss der Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betref-
fende Mitgliedstaat einer Übernahme zugestimmt hat oder von dessen Zustimmung infolge unterlassener Antwort innerhalb der genannten Frist auszugehen ist, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO).
Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens (engl.: take charge) sind die in Kapitel III (Art. 8–15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem der Antragsteller erstmals einen Antrag in einem Mitgliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens (engl.: take back) findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1 m.w.H.).
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in jenem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtecharta; ABl. C 364/1 vom 18. Dezember 2000) mit sich bringen, ist zu prüfen, ob aufgrund dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann kein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden, wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zum zuständigen Mitgliedstaat (Art. 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 Dublin-III-VO).
Der nach der Dublin-III-VO zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet, einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Massgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin-III-VO wiederaufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO).
Jeder Mitgliedstaat kann abweichend von Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO beschliessen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist (sog. Selbsteintrittsrecht; Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin-IIIVO).
Der Abgleich der Fingerabdrücke des Beschwerdeführers ergab, dass er am 15. Juli 2021 in Bulgarien ein Asylgesuch eingereicht hatte. Anlässlich des Dublin-Gesprächs erklärte er zwar, er habe nicht gewusst, dass er in Bulgarien ein Asylgesuch gestellt habe, er bestritt dies aber nicht. Wie in der angefochtenen Verfügung zutreffend festgehalten wurde, steht durch den Abgleich der Fingerabdrücke mit der Zentraleinheit Eurodac fest, dass der Beschwerdeführer in Bulgarien als asylsuchende Person registriert worden ist. Auch in der Beschwerde wird die Einreichung eines Asylgesuchs in Bulgarien nicht bestritten.
Die bulgarischen Behörden liessen das Übernahmeersuchen vom
18. Oktober 2021 innert der in Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist unbeantwortet, womit sie die Zuständigkeit Bulgariens implizit anerkannten (Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO). Die grundsätzliche Zuständigkeit Bulgariens ist somit gegeben.
Das SEM führt zur Begründung seines Entscheides aus, gestützt auf die Dublin-III-VO sei Bulgarien für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens zuständig. Ihm lägen keine Hinweise vor, wonach asylsuchende Personen in Bulgarien systematisch eine Haftstrafe zu befürchten hätten. Bulgarien sei ein funktionierender Rechtsstaat und der Beschwerdeführer könne – sollte er sich ungerecht oder rechtswidrig behandelt fühlen – bei der zuständigen Stelle Beschwerde einreichen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass Bulgarien seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkomme, das Asylund Wegweisungsverfahren nicht korrekt durchführen und dem Beschwerdeführer insbesondere keinen effektiven Schutz vor Rückschiebung gewähren würde. Auch Berichte, die auf Diskriminierungen von bestimmten Staatsangehörigen im Asylverfahren hindeuteten, könnten für sich allein keinen Überstellungsstopp rechtfertigen, zumal gegen negative erstinstanzliche Entscheide Rechtsmittel zur Verfügung stünden (vgl. Urteile des BVGer F-5843/2019 vom 13. Mai 2020 und F-4373/2021 vom 22. November 2021). Es sei dem Beschwerdeführer
nicht gelungen darzutun, dass die bulgarischen Behörden sich weigern würden, ihn wiederaufzunehmen und seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen. Sollte sein Asylverfahren in Bulgarien abgeschrieben worden sein, seien die dortigen Behörden verpflichtet, dieses wiederaufzunehmen. Sollte das Verfahren bereits geprüft worden sein, könne er einen Folgeantrag stellen und allfällige neue Asylgründe geltend machen. Es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen darzutun, inwiefern die bulgarischen Behörden sich weigern würden, seinen Antrag auf internationalen Schutz unter Einhaltung der Regeln der Verfahrensrichtlinie zu prüfen.
Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts lägen keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Bulgarien würden allgemein systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung von Schutzsuchenden mit sich brächten. Es bestünden keine genügend konkreten Hinweise dafür, dass Schutzsuchende nicht Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren hätten (vgl. Urteil des BVGer D-2652/2017). Im Referenzurteil des BVGer F-7195/2018 vom 11. Februar 2020 sei festgehalten worden, es gebe keine Gründe für die Annahme, in Bulgarien bestünden systemische Mängel in Bezug auf die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren. Bulgarien habe die EU-Richtlinien für Asylverfahren ohne Beanstandungen seitens der Europäischen Kommission umgesetzt. Asylsuchende hätten dort denselben Anspruch auf medizinische Betreuung wie bulgarische Staatsangehörige. Bulgarien verfüge über eine ausreichende medizinische Infrastruktur und sei verpflichtet, dem Beschwerdeführer die erforderliche medizinische Versorgung zu gewähren. Es lägen vorliegend keine gegenteiligen Hinweise vor und eine Überstellung nach Bulgarien stelle keinen Verstoss gegen Art. 3 EMRK dar. Folglich bestehe keine Verpflichtung, die Souveränitätsklausel anzuwenden.
In der Beschwerde wird einleitend der Sachverhalt geschildert und geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht habe im Urteil E-3356/2018 vom 27. Juni 2018 festgehalten, dass im bulgarischen Asylsystem ernsthafte Mängel festgestellt worden seien. Dies sowohl betreffend die Aufnahmebedingungen, als auch den Zugang zum Verfahren und bei der Durchführung desselben. Gesuche von Asylsuchenden aus gewissen Staaten würden quasi-systematisch ohne genauere Prüfung als unbegründet abgewiesen. Asylgesuche von türkischen Staatsangehörigen würden in Bul-
garien als offensichtlich unbegründet eingestuft, weil die Türkei als sicheres Herkunftsland betrachtet werde. In den Jahren 2018 und 2019 seien alle von türkischen Staatsangehörigen gestellten Asylgesuche abgelehnt, 2020 sei ein solches Gesuch gutgeheissen worden. In der Schweiz habe die Schutzquote türkischer Asylsuchender im Jahr 2020 79,1 % betragen. Zudem gebe es bezüglich Bulgarien Hinweise auf grobe Verfahrensverstösse und Verletzung von Grundrechten türkischer Asylsuchender. Dies auch durch Zusammenarbeit bulgarischer und türkischer Behörden. Viele türkische Asylbewerber würden für die gesamte Dauer des Verfahrens inhaftiert und die bulgarischen Behörden nutzten die Covid-19-Quarantäne, um die Rückübernahme türkischer Asylsuchender zu organisieren. 2020 seien 28 türkische Staatsangehörige innerhalb der QuarantäneZeit in die Türkei überstellt worden. Diese langjährige Praxis scheine Ergebnis einer informellen Vereinbarung zwischen den entsprechenden Regierungen zu sein und führe regelmässig zu Verstössen gegen das NonRefoulement-Gebot. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe Bulgarien im Juli 2021 wegen der Rückschiebung eines türkischen Journalisten, ohne dass eine Prüfung des Risikos von Menschenrechtsverletzungen erfolgt sei, verurteilt. Der Beschwerdeführer habe im Dublin-Gespräch geschildert, er sei von den bulgarischen Sicherheitskräften und einem türkischen Polizisten unter Anwendung von Gewalt gedrängt worden, in die Türkei zurückzukehren. Aufgrund der Aktenlage lägen ernsthafte Hinweise vor, dass er in der Türkei ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 3 Abs. 2 AsylG ausgesetzt würde, womit er den Flüchtlingsstatus erfülle und bei einer Überstellung nach Bulgarien riskiere, in den Verfolgerstaat zurückgeführt zu werden.
Gemäss dem bulgarischen Helsinki-Komitee sei der Zugang zum bulgarischen Territorium für Asylsuchende eingeschränkt. Türkische Staatsangehörige würden am Zugang zum Asylverfahren gehindert und oftmals unter Verletzung des Non-Refoulement-Gebots in die Türkei zurückgeschafft. Seit dem Jahr 2017 veröffentliche Bulgarien die verhinderten Einreisen in sein Land nicht mehr. 2020 seien 296 Asylsuchende registriert worden, von denen nur 15 ohne vorhergehende Inhaftierung Zugang zum Asylsystem erhalten hätten. Die Menschenrechtsverletzungen durch die bulgarischen Behörden an den Grenzen seien gut dokumentiert; angesichts der Zahlen könne von einem systematischen Vorgehen ausgegangen werden. Das vom Beschwerdeführer Geschilderte decke sich mit den vorhandenen Länderberichten, was die Frage aufwerfe, ob ihm in Bulgarien tatsächlich ein faires Asylverfahren zuteilwürde. Aufgrund seiner Erlebnisse sei sein Vertrauen in die bulgarischen Behörden erschüttert. Zudem sei er aufgrund
seiner psychischen Probleme eine vulnerable Person. Eine vertiefte fachärztliche Abklärung habe bisher – insbesondere zum Behandlungsbedarf – nicht stattgefunden. In Bulgarien gebe es keine speziellen Behandlungen für Folteropfer oder psychisch Erkrankte. Eine Überstellung nach Bulgarien könne gravierende Konsequenzen haben, sei der Beschwerdeführer dort doch von Behördenvertretern unmenschlich und erniedrigend behandelt worden. Eine Überstellung nach Bulgarien würde seine psychischen Beschwerden verschlimmern und es sei zu befürchten, dass die psychischen Leiden angesichts der mangelhaften Versorgung nicht aufgefangen und angemessen behandelt werden könnten.
Der Beschwerdeführer habe dargelegt, dass er in Bulgarien krasse Verletzungen direkt anwendbarer Normen des Völkerrechts erlitten und solche erneut zu befürchten habe. Die Vermutung, dass Bulgarien die aus dem Völkerrecht fliessenden Verpflichtungen im Rahmen des Asylund Wegweisungsverfahrens respektiere, sei widerlegt worden. Eine Rückführung nach Bulgarien würde Art. 10 Abs. 3 BV, Art. 33 FK und Art. 3 EMRK sowie Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe verletzen.
Das Bundesverwaltungsgericht sei im Referenzurteil F-7195/2018 zum Schluss gelangt, dass ein vollständiges Aussetzen von Überstellungen nach Bulgarien nicht gerechtfertigt sei. Hingegen sei aufgrund einer Einzelfallprüfung festzulegen, ob auf eine Überstellung zu verzichten sei oder nicht, wobei der Stand des Asylverfahrens, die Aussichten auf medizinische Behandlung und allgemein die Aufnahmebeziehungsweise Haftbedingungen zu berücksichtigen seien. Das SEM sei vom Gericht mehrfach aufgefordert worden, eine konkrete, fallspezifische Abwägung vorzunehmen. Im Arztbericht vom 4. November 2021 sei beim Beschwerdeführer eine PTBS diagnostiziert worden. Er wünsche seit Anfang November explizit eine Gesprächstherapie zur Behandlung derselben. In Bulgarien gebe es keine speziellen Behandlungen für Folteropfer oder psychisch Erkrankte. Die Auswirkungen einer Überstellung auf die PTBS und die suizidalen Absichten liessen sich den Akten nicht entnehmen, sei er doch nie fachärztlich untersucht worden. Es sei nicht hinreichend klar, welche medizinische Behandlung er benötige. Der medizinische Sachverhalt sei vom SEM nicht vollständig erstellt worden, weshalb es diesem nicht möglich gewesen sei zu beurteilen, welche medizinische Behandlung der Beschwerdeführer benötige und ob diese in Bulgarien erhältlich sei. Das SEM habe diesbezüglich sein Ermessen nicht korrekt ausüben können.
Das SEM führt in seiner Vernehmlassung aus, bereits in der angefochtenen Verfügung sei festgehalten worden, dass Bulgarien über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfüge. Gemäss Rechtsprechung des EGMR könne eine Verletzung von Art. 3 EMRK nur unter ausserordentlichen Umständen vorliegen, wenn die zu überstellende Person einer schwerwiegenden, raschen und unumkehrbaren Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt wäre, die schweres Leiden oder eine erhebliche Verkürzung der Lebenserwartung zur Folge hätte. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Beschwerdeführer habe keine konkreten Hinweise dafür vorgebracht, dass Bulgarien ihm eine notwendige medizinische Behandlung verweigert hätte oder verweigern würde. Der Umstand, dass ihn eine Rückkehr nach Bulgarien psychisch belaste, begründe kein Recht auf Anwesenheit in der Schweiz. Die Infrastruktur zur Inanspruchnahme medizinischer Hilfe stehe in Bulgarien zur Verfügung. Hinsichtlich der systemischen Mängel, der angeblich drohenden Kettenabschiebung und der vorgebrachten Verfehlungen der bulgarischen Behörden werde auf die angefochtene Verfügung verwiesen. Der Beschwerdeführer könne aus den nachgereichten Fotografien nichts für sich ableiten, da mit diesen nicht belegt werden könne, wo und wie die dokumentierten Verletzungen entstanden seien. Bulgarien sei ein Rechtsstaat, der über eine funktionierende Polizeibehörde verfüge, die sowohl als schutzwillig wie auch als schutzfähig gelte. Sollte sich der Beschwerdeführer dort vor Übergriffen durch Dritte oder fehlbare Beamte fürchten oder solche erleiden, könne er sich an die zuständigen staatlichen Stellen wenden.
In der Replik wird entgegnet, beim Beschwerdeführer handle es sich um eine vulnerable Person, die an einer PTBS mit latenter Suizidalität und halluzinatorischem Stimmenhören leide. Als Symptome seien Flashbacks nach Misshandlung in Bulgarien, grosse Schlafprobleme, Alpträume, Zukunftsängste, Gedankenkreisen, Selbstgespräche und Belastung durch die schlechte Erfahrung in Bulgarien festgehalten worden. Bei der erfolgten Zuweisung zu einer fachärztlichen Begutachtung handle es sich nicht um eine «nachträgliche Aufbietung», da er gegenüber dem Gesundheitsdienst von Beginn weg seine Probleme geschildert und «unbedingt zum Psychiater» gewollt habe. Die Hinweise auf systematische Diskriminierung von türkischen Asylsuchenden in Bulgarien deckten sich mit seinen Erfahrungen. Es bestehe ein reales Risiko, dass er bei einer Wegweisung irreversibel traumatisiert würde und sich sein Gesundheitszustand verschlechtere. Zudem bestehe das Risiko einer Kettenabschiebung in die Türkei. Schliesslich fehlten bis anhin Informationen zum Verfahrensstand in Bulgarien und
damit zur Unterbringung, medizinischen Betreuung und Möglichkeit der Wiederaufnahme des Asylverfahrens.
– insbesondere auf Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 über Verfahrensfragen (AsylV 1, SR 142.311) – berufen, die einer Überstellung entgegensteht. Ist die Rüge begründet, muss die Souveränitätsklausel angewendet werden, und die Schweiz ist gehalten, sich für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig zu erklären (vgl. BVGE 2010/45 E. 5).
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Lage von Asylsuchenden in Bulgarien im Hinblick auf die Durchführung von Überstellungen im Rahmen von Dublin-Verfahren in einem länderspezifischen Koordinationsentscheid (vgl. Urteil des BVGer F-7195/2018 vom 11. Februar 2020 [als Referenzurteil publiziert]) einer einlässlichen Prüfung unterzogen.
Das Gericht stellte im dortigen Asylverfahren und bei den Aufenthaltsbedingungen von Asylsuchenden erhebliche Unzulänglichkeiten fest. Die erkannten Probleme lassen indes nicht den Schluss zu, es bestünden systemische Mängel, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta und Art. 3 EMRK mit sich brächten und es rechtfertigten, generell auf die Überstellung von Asylsuchenden nach Bulgarien zu verzichten (vgl. a.a.O., E. 6.6.7). Dies schliesst aber nicht aus, dass im Einzelfall von der Überstellung abzusehen ist, weil für die betroffene Person eine konkrete und ernsthafte Gefahr besteht, bei einem Vollzug der Wegweisung nach Bulgarien eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 4 EU-Grundrechtecharta oder Art. 3 EMRK zu erleiden (vgl. a.a.O., E. 6.6.9). Es ist somit im Einzelfall zu prüfen,
ob Hinweise auf die Gefahr einer entsprechenden Rechtsverletzung bestehen.
Gemäss Auffassung des Gerichts folgt aus den festgestellten Defiziten nicht, dass Asylsuchenden in Bulgarien systematisch die Möglichkeit einer korrekten Prüfung ihrer Asylgesuche verwehrt wird (vgl. a.a.O.,
E. 6.6.7). Vorliegend befürchtet der Beschwerdeführer aufgrund der geltend gemachten Erfahrungen, er könnte im Falle des Vollzugs der Wegweisung nach Bulgarien in die Türkei ausgeschafft werden, ohne dass sein Asylgesuch durch die bulgarischen Behörden rechtskonform geprüft würde. Dem Referenzurteil ist zu entnehmen, dass in den Jahren 2017 und 2018 eine diskriminierende Praxis der zuständigen bulgarischen Behörden gegenüber Staatsangehörigen verschiedener Herkunftsländer – Algerien, Bangladesch, China, Pakistan, Sri Lanka, Türkei und Ukraine – zu beobachten war. Asylgesuche von Staatsangehörigen der genannten Herkunftsländer wurden als offensichtlich unbegründet eingestuft, weshalb die Anerkennungsquote in Bezug auf die genannten Staaten null Prozent betrug (vgl. a.a.O., E. 6.6.1 S. 30). Diese Praxis scheint sich in Anbetracht des Länderberichts von aida (Asylum Report Database, Country Report: Bulgaria, 2020 Update, S. 50) auch in den Jahren 2019 und 2020 nicht grundlegend geändert zu haben. Der Beschwerdeführer führte im DublinGespräch aus, ihm sei von bulgarischen Beamten mehrmals beschieden worden, er werde in die Türkei zurückkehren müssen. Zudem sei ein türkischer Polizeibeamter zu ihm gekommen, der im Dialekt von Istanbul mit ihm gesprochen habe. Einmal habe man ihm ein türkischsprachiges Dokument zur Unterschrift unterbreitet, wonach er freiwillig in die Türkei zurückkehren wolle. Er sei von den bulgarischen Beamten bedroht und regelmässig geschlagen worden (der Beschwerde liegen fünf Fotografien bei, auf denen gemäss Angaben der Rechtsvertretung erhebliche Verletzungen an den Beinen des Beschwerdeführers ersichtlich seien). Da der Beschwerdeführer ein türkischer Staatsangehöriger ist, der geltend macht, er sei in der Türkei von asylrechtlich relevanter Verfolgung bedroht – mit der Eingabe seiner Rechtsvertretung vom 15. Oktober 2021 wurden Kopien zweier türkischer Gerichtsurteile eingereicht –, stellt sich unter Hinweis auf die vorstehend geschilderte Asylpraxis in Bulgarien und die Aussagen des Beschwerdeführers die Frage, ob sein Asylgesuch durch die bulgarischen Behörden in einer Weise geprüft würde, die dem Non-Refoulement-Gebot ausreichend Rechnung trägt. Da die bulgarischen Behörden das Rückübernahmegesuch des SEM unbeantwortet liessen, ist über den Stand seines Asylverfahrens in Bulgarien nichts bekannt.
In Bezug auf Bulgarien wurde angesichts der zahlreichen Probleme, mit denen besonders verletzliche Asylsuchende in diesem Land konfrontiert sind, im erwähnten Referenzurteil festgestellt, dass für Asylsuchende mit ernsthaften Erkrankungen gegebenenfalls die Einholung einer entsprechenden Zusicherung seitens der bulgarischen Behörden eine der Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs bildet (vgl. a.a.O. E. 7.4.1 f.).
Beim Dublin-Gespräch vom 14. Oktober 2021 sagte der Beschwerdeführer, es gehe ihm gesundheitlich eigentlich gut. Dem Kurzbericht der (…) vom 4. November 2021 ist zu entnehmen, dass er sich aufgrund psychischer Probleme im Zusammenhang mit der befürchteten Rückkehr nach Bulgarien bei der Ärztin meldete und zu einem Psychiater wolle. Es wurden ihm ein Psychopharmakon und ein Schlafmittel verschrieben. Am 24. November 2021 meldete er sich wegen Alpträumen und Schlafproblemen erneut bei der Ärztin. Bei einer Konsultation vom 1. Dezember 2021 gab er an, er erwache aufgrund der Alpträume morgens depressiv und latent suizidal. Der Gedanke an seine Töchter halte ihn von einem Suizid ab. Auf Nachfrage sagte er, er höre Stimmen, die ihm den Suizid vorschlügen. Bei einer erneuten Konsultation der Ärztin am 20. Dezember 2021 sagte er, es gehe ihm gar nicht gut. Er spreche im Schlaf und führe tagsüber Selbstgespräche. Er sei belastet durch die schlechte Erfahrung in Bulgarien, wo man ihm an den Beinen Schnittverletzungen zugefügt habe. Die behandelnde Ärztin überwies ihn gleichentags an Frau Dr. med. E. , BAZ Psychologie, und diagnostizierte eine PTBS mit latenter Suizidalität bei halluzinatorischer Komponente. Im Konsultationsbericht vom 25. Januar 2022 wurde der Verdacht auf eine Pneumopathie unklarer Ätiologie diagnostiziert und die Überweisung an einen Spezialisten empfohlen. Dr. med. E. diagnostizierte in ihrem Bericht vom 1. Februar 2022 das Vorliegen einer PTBS mit Suizidalität und Halluzination sowie eine reaktive Depression, aktuell schwer (ICD-10 F.32.2). Dem Konsultationsbericht vom
11. Februar 2022 ist zu entnehmen, dass beim Beschwerdeführer im Wesentlichen der Verdacht auf eine fibrosierende Pneumopathie, narbig imponierende Veränderungen der Lungenspitze beidseits und im apikalen Unterlappen rechts diagnostiziert wurden. In sechs Monaten sei eine Verlaufskontrolle indiziert.
Angesichts der Vorbringen in den Eingaben der Rechtsvertretung und den Hinweisen aus den ärztlichen Kurzberichten auf das Vorliegen von psychischen Problemen des Beschwerdeführers, die seinen Angaben ge-
mäss in Zusammenhang mit dem in der Türkei Erlebten und den in Bulgarien erlittenen Misshandlungen stünden, erscheint der Sachverhalt in dieser Hinsicht als nicht hinreichend erstellt, zumal bislang weder von der (…) noch von der Fachärztin für Psychiatrie ein ausführlicher ärztlicher Bericht verfasst wurde. In Anbetracht der derzeitigen Aktenlage lässt sich der psychische Gesundheitszustand des Beschwerdeführers nicht verlässlich einschätzen, zumal lediglich ärztliche Kurzberichte bei den Akten des SEM liegen. Angesichts des aktuellsten ärztlichen Kurzberichts vom 11. Februar 2022 kann nicht von einer Verbesserung oder Stabilisierung seines psychischen Zustands ausgegangen werden, da die bis zu diesem Zeitpunkt verordnete Medikation offenbar keine entscheidende Verbesserung seines psychischen Zustands zeigte. Aufgrund der Aktenlage lässt sich die Behandelbarkeit der beim Beschwerdeführer festgestellten psychischen Probleme in Bulgarien nicht zuverlässig beurteilen. Nach dem Gesagten ergibt sich, dass der rechtserhebliche Sachverhalt in medizinischer Hinsicht als unvollständig abgeklärt zu beurteilen ist. Damit kann (noch) nicht festgelegt werden, ob hinsichtlich des Beschwerdeführers die Einholung einer entsprechenden Zusicherung der medizinischen Behandlung bei den bulgarischen Behörden einzuholen ist. Weil vorliegend nichts über den Stand des Asylverfahrens des Beschwerdeführers in Bulgarien bekannt ist, kann nicht beurteilt werden, in welchen Strukturen er dort untergebracht würde und wie sich für ihn die Aufenthaltsbedingungen – namentlich der Zugang zu medizinisch-psychiatrischer Behandlung –, die zumindest teilweise als sehr schwierig zu bezeichnen sind, gestalten würden.
Somit erweist sich, dass der rechtserhebliche Sachverhalt in zweifacher Hinsicht nicht ausreichend abgeklärt ist.
Angesichts der vorstehenden Erwägungen kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass die Beachtung des Non-RefoulementGebots durch die bulgarischen Behörden gewährleistet ist, nachdem dem Beschwerdeführer seitens der bulgarischen Behörden eine Rückschaffung in die Türkei in Aussicht gestellt worden sei, bevor er zu seinen Fluchtgründen befragt worden sei. Sollte der Beschwerdeführer in Bulgarien tatsächlich von einem türkischen Polizisten aufgesucht worden sein, der ihm in Aussicht stellte, er werde ihn in die Türkei zurückschaffen, bestünden weitere Hinweise auf einen im vorliegenden Fall nicht rechtskonformen Ablauf des bulgarischen Asylverfahrens. Angesichts dieser Ausgangslage erweist es sich als erforderlich, bei den zuständigen bulgarischen Behörden wei-
tere Informationen über das in Bulgarien in Bezug auf den Beschwerdeführer eingeleitete Verfahren einzuholen und sich mit den konkreten Vorbringen des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen.
In Anbetracht der Rechtsprechung des EGMR und des Bundesverwaltungsgerichts ist der Sachverhalt auch im Hinblick auf die Frage ungenügend abgeklärt, ob eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Bulgarien den völkerrechtlichen Vorgaben im Sinne von Art. 3 EMRK (auch unter dem Aspekt einer aufgrund seines Gesundheitszustands spezifischen Verletzlichkeit) zu genügen vermag.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur, weshalb dessen Verletzung grundsätzlich ungeachtet der materiellen Auswirkungen zur Aufhebung des betreffenden Entscheides führt (vgl. BVGE 2008/47
E. 3.3.4). Vorliegend sieht sich das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst, mittels durch das Gericht vorzunehmender weiterer Sachverhaltsabklärungen eine Heilung der Gehörsverletzung vorzunehmen, zumal dem Beschwerdeführer dadurch eine Instanz verloren ginge und die fehlende Entscheidreife durch die Beschwerdeinstanz nicht mit vertretbarem Aufwand hergestellt werden kann.
Aufgrund des vorstehend Gesagten ist die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Sache zur weiteren vollständigen Sachverhaltsabklärung an das SEM zurückzuweisen. Das SEM wird bei den bulgarischen Behörden Abklärungen zum Stand des Asylverfahrens des Beschwerdeführers zu machen und sich mit seinen konkret begründeten Befürchtungen, die bulgarischen Behörden würden ihn in die Türkei zurückschaffen und damit das Gebot des Non-Refoulement verletzen, auseinanderzusetzen haben. Das SEM wird – sollte es erneut die Fällung eines Nichteintretensentscheids beabsichtigen – des Weiteren die Erstellung eines ausführlichen fachärztlichen Berichtes in Auftrag zu geben haben, in dem eine Anamnese, eine Diagnose und eine Prognose, insbesondere für den Fall einer Rückkehr nach Bulgarien, gestellt werden. Sollte der Beschwerdeführer auch nach der einlässlichen medizinisch-psychiatrischen Beurteilung als besonders vulnerabel erscheinen, hätte das SEM bei den bulgarischen Behörden eine Zusicherung, dass er in Bulgarien adäquat untergebracht und medizinisch behandelt würde, einzuholen. Nach rechtsgenüglicher Erstellung des Sachverhalts wird das SEM unter Berücksichtigung aller Sachverhaltselemente einen neuen Entscheid zu fällen haben.
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde hinsichtlich der Rechtsbegehren 1 und 3 gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung ist aufzuheben und die Sache zur vollständigen und richtigen Sachverhaltsermittlung im Sinne der Erwägungen sowie zur Neubeurteilung an das SEM zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG).
Da der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren durch die ihm zugewiesene Rechtsvertretung im Sinne von Art. 102f Abs. 1 i.V.m. Art. 102h Abs. 3 AsylG vertreten war, deren Leistungen vom Bund nach Massgabe von Art. 102k AsylG entschädigt werden, ist keine Parteientschädigung auszurichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird im Sinne der Erwägungen gutgeheissen.
Die Verfügung vom 1. Dezember 2021 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur vollständigen Sachverhaltsabklärung und Neubeurteilung an das SEM zurückgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.
Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:
Walter Lang Christoph Basler
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