Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-2652/2020 |
Datum: | 16.11.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | ühre; Somali; Wegweisung; Vorinstanz; Recht; Person; Herkunft; LINGUA; Beschwerdeführers; Schul; Abklärung; Somalia; Verfügung; Bundes; Analyse; Bundesverwaltungsgericht; Identität; Wegweisungsvollzug; Mitwirkung; Verfahren; Verletzung; Ausreise; Familie; ässig |
Rechtsnorm: | Art. 25 BV ; Art. 32 BV ; Art. 49 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 61 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 69 AIG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 135 II 286; 136 I 184 |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-2652/2020
Besetzung Richterin Mia Fuchs (Vorsitz),
Richterin Christa Luterbacher, Richter Walter Lang, Gerichtsschreiberin Mareile Lettau.
Parteien A. , geboren am (…), Somalia,
vertreten durch MLaw Janine Hess, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Asyl und Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 17. April 2020 / N (…).
Der somalische Beschwerdeführer reiste eigenen Angaben gemäss im Jahr 2016 aus dem Heimatland aus und gelangte über Äthiopien, den Sudan, Libyen und Italien am 17. November 2019 in die Schweiz, wo er gleichentags ein Asylgesuch stellte. Am 28. November 2019 wurde er summarisch im (…) zu seiner Person befragt. Da das SEM Zweifel an der Altersangabe (…) hatte, wurde am 11. Dezember 2019 im Kantonsspital
B.
eine forensische Altersdiagnostik durchgeführt. Als Ergebnis
der Untersuchung wurde festgehalten, dass das angegebene Geburtsdatum zutreffen und eine Vollendung des 18. Lebensjahres nicht mit der erforderlichen Sicherheit belegt werden könne. Basierend auf den Ergebnissen dieser Untersuchung wurde der Beschwerdeführer vom SEM im Folgenden als minderjährige Person betrachtet, weswegen ihm für das weitere Verfahren eine Vertrauensperson zur Seite gestellt wurde. Die vertiefte Anhörung gemäss Art. 29 AsylG (SR 142.31) erfolgte am 30. Januar 2020.
Zur Begründung seines Asylgesuchs machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, er sei somalischer Staatsangehöriger und gehöre der Clanfamilie C. , Clan D. , Subclan E. , an. Er sei in F. geboren und habe dort die Primarschule bis zur achten Klasse besucht. Er habe bis zuletzt mit seinen Eltern und Geschwistern im Distrikt G. in F. gelebt. Sein Vater habe für die Regierung als Soldat gearbeitet.
Einige Monate vor der Ausreise seien bewaffnete Mitglieder der AlShabaab abends nach Hause gekommen und hätten seinen Vater mitgenommen. Am nächsten Tag, als er mit zwei Freunden aus seinem Quartier unterwegs gewesen sei, seien erneut ungefähr zehn bewaffnete AIShabaab-Mitglieder aufgetaucht und hätten ihn und die beiden anderen Jugendlichen in einem Pick-up mitgenommen und in ein Ausbildungslager ausserhalb der Stadt gebracht. Er sei ungefähr fünf Monate in diesem Lager festgehalten und von den AI-Shabaab-Männern aufgefordert worden, für sie zu kämpfen, was er verweigert habe. Daraufhin sei er geschlagen worden. Dann sei das Lager von Soldaten angegriffen worden, und er habe von dort fliehen können. Es sei ihm gelungen, nach Hause zurückzukehren. Er habe aber seine Familie nicht mehr vorgefunden und wisse nicht, wo sie sich momentan aufhalte. Er habe ein paar Freunde getroffen, die ausreisen wollten und ihn mitgenommen hätten. Mit Hilfe eines Schleppers hätten sie Somalia in Richtung Äthiopien und Sudan verlassen. In Libyen
sei er drei Jahre lang von einer Schlepperbande in Haft festgehalten und misshandelt worden.
Am 3. Februar 2020 führte eine sachverständige Person im Auftrag der Fachstelle LINGUA ein Telefoninterview mit dem Beschwerdeführer durch. Gestützt darauf wurde ein Gutachten erstellt.
Am 4. Februar 2020 wurde der Beschwerdeführer dem erweiterten Verfahren zugewiesen.
Mit Schreiben vom 17. Februar 2020 gewährte die Vorinstanz dem Beschwerdeführer das rechtliche Gehör zu den wesentlichen Ergebnissen der LINGUA-Analyse und gab ihm den Werdegang sowie die Qualifikation der sachverständigen Person bekannt. Gleichzeitig informierte sie ihn über die Möglichkeit, die Gesprächsaufzeichnung anzuhören, und gewährte ihm eine Frist zur Einreichung einer Stellungnahme.
Der Sachverständige sei nach einer Auswertung der Kenntnisse in den Bereichen Stammbaum, Geografie, Schulsystem und Speisen zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer zwar seine Clanzugehörigkeit habe nennen können, aber nicht gewusst habe, welchem Stamm seine Mutter angehöre. Diese Wissenslücke sei für einen somalischen Jugendlichen seines Alters unerwartet. Auch habe er keinen der vier Nachbarquartiere seines Heimat-Distrikts G. aufzählen können. Zudem sei es ungewöhnlich, dass er angeblich nie an den Strand gegangen sei und den Namen des Strandes nicht kenne, da Kinder und Jugendliche in F. ihre Freizeit typischerweise am Strand verbringen würden. Die Information, dass er in der Schule keinen Unterricht in Somali besucht habe, stimme nicht mit dem Bildungssystem überein, da überall in Somalia Somali als Schulfach unterrichtet werde. Auch habe er bei einigen Wörtern aus dem Alltag (Freizeit, Essensgerichte) Begriffe benutzt, die in F. nicht geläufig seien, sondern in den nördlichen Regionen benutzt würden. Mit den aufgezeigten Wissensund Erfahrungslücken sei bei einer einheimischen Person seines Alters und dem angegebenen sozialen, ethnischen Hintergrund nicht zu rechnen.
Auch habe die linguistische Analyse der Sprechund Sprachkompetenz ergeben, dass er zwar fliessend Somali spreche, sein Dialekt in den Bereichen Phonologie und Syntax aber keine Gemeinsamkeiten mit dem in F. zu erwartenden H. -Dialekt aufweise, sondern sich vielmehr Übereinstimmungen mit den nördlichen Dialekten finden würden. Aufgrund der linguistischen Analyse sei er sehr wahrscheinlich nicht wie angegeben in F. sozialisiert worden.
Insgesamt würden die mangelnden landeskundlich-kulturellen Kenntnisse und die linguistische Analyse nicht die angegebene Herkunft aus F. glaubhaft machen. Die Hauptsozialisation in F. sei als zweifelhaft zu erachten.
Am 6. März 2020 reichte die Rechtsvertretung eine Stellungnahme ein. In dieser wurde entgegnet, es sei nicht ungewöhnlich, dass er nicht habe angeben können, welchem Clan seine Mutter angehöre, da die Clanzugehörigkeit ausschliesslich über die Vaterlinie der Abstammungsgruppe vererbt werde und Frauen im Clansystem praktisch keine Rolle spielten. Zudem habe er angegeben, seine Mutter habe ihn früh verlassen, als er etwa (…) Jahre alt gewesen sei. Da es ihm nicht erlaubt gewesen sei, an den Strand zu gehen, habe er dort nicht seine Freizeit verbringen können, und es fehle ihm daher auch das Wissen über den Namen des Strandes. Da er seine Freizeit zu Hause habe verbringen müssen, kenne er auch keine Nachbarquartiere. Auch sei es durchaus glaubhaft, dass er angesichts des Zusammenbruchs des Bildungssystems in Somalia und des Fehlens eines einheitlichen Lehrplans in den privaten und religiösen Schulen in seiner Schule keinen eigentlichen Somali-Unterricht habe erfahren dürfen. Dass er Wörter verwendet habe, die lediglich in nördlichen Gebieten des Landes benutzt würden, und seine Sprache Übereinstimmungen mit dem nördlichen Dialekt aufweise, bedeute nicht, er sei im Norden anstatt wie angegeben in F. sozialisiert worden. Schliesslich habe sich das auf den nördlichen Dialekt gestützte Standardsomali landesweit verbreitet. Es sei im Übrigen durchaus denkbar, dass ein Teil der Familie, vielleicht die Mutter, aus einem nördlichen Teil Somalias stamme und gewisse sprachliche Eigenheiten an die Kinder weitergegeben habe. Möglicherweise sei es auch üblich gewesen, bestimmte, im Norden typische Speisen in der Familie zuzubereiten. Insgesamt könne durch das durchgeführte Telefoninterview die Herkunft aus F. nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden.
Der Stellungnahme lagen Berichte zum Schulund Bildungssystem in Somalia bei.
Mit Verfügung vom 17. April 2020 verneinte die Vorinstanz die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers, lehnte das Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete den Vollzug an.
Der Beschwerdeführer habe angesichts der Ergebnisse der LINGUA-Analyse zu landeskundlich-kulturellen Kenntnissen und zur Sprechund Sprachkompetenz, auch unter Berücksichtigung der Argumente seiner Stellungnahme, nicht glaubhaft machen können, von der Geburt bis zur Ausreise in F. sozialisiert worden zu sein. Es stehe angesichts der unglaubhaften Herkunft aus F. fest, dass seine Identität unglaubhaft sei. Mit diesem Verhalten habe er nicht überzeugen können, des Schutzes vor Verfolgung im Sinne von Art. 3 Abs.1 und 2 AsylG zu bedürfen. Zudem fehle dadurch die Basis für die geltend gemachten Asylgründe, die Entführung durch die AI-Shabaab und fünfmonatige Haft. Ausserdem seien die Schilderungen der Entführung, des Alltags im Lager und der Flucht aus dem Lager substanzlos und es fehle an persönlichen Aspekten des Erlebten. Er habe diese einschneidenden Ereignisse distanziert vorgebracht, wodurch der Eindruck entstehe, er habe die Verfolgung nicht selbst erlebt. Die Asylgründe erwiesen sich daher als unglaubhaft.
Den Wegweisungsvollzug erachtete das SEM als zulässig, zumutbar und möglich, da der Beschwerdeführer durch seine grobe Verletzung der Mitwirkungspflicht eine sinnvolle Prüfung der wahren Herkunft verunmöglicht habe. Angesichts dessen, dass er unglaubhafte Angaben gemacht und keine Identitätspapiere eingereicht habe, stehe seine Identität und Herkunft nicht zweifelsfrei fest. Es sei demnach nicht möglich, sich in voller Kenntnis der tatsächlichen persönlichen und familiären Verhältnisse zum Vollzug der Wegweisung, auch in Bezug auf die im Rahmen des Kindeswohles spezifisch zu berücksichtigenden Aspekte, zu äussern. Es sei nicht Sache der Asylbehörden, nach allfälligen Wegweisungshindernissen in hypothetischen Herkunftsländern zu forschen. Die Pflicht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, habe auch der Beschwerdeführer als unbegleiteter Minderjähriger. Bei pflichtwidriger Unterlassung habe er die Folgen der Beweislosigkeit in Bezug auf die unter dem Aspekt des Kindeswohls gegebenenfalls zu berücksichtigenden Tatsachen zu tragen. Somit sei im vorliegenden Fall insbesondere auch zu berücksichtigen, dass er gemäss
seinen Angaben (…) Jahre alt sein dürfte und eine nicht geringe Selbständigkeit aufweise. Es sei somit vermutungsweise davon auszugehen, es stünden einer Wegweisung in den bisherigen Aufenthaltsort keine Vollzugshindernisse entgegen.
Mit Beschwerde seiner Rechtsvertreterin vom 22. Mai 2020 beantragte der Beschwerdeführer, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben, es sei die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen und ihm Asyl zu gewähren. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung sowie zur Durchführung einer erneuten LINGUA-Analyse an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei nach Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung festzustellen, dass der Wegweisungsvollzug unzulässig, unzumutbar und unmöglich sei und es sei die vorläufige Aufnahme anzuordnen. Prozessual sei ihm die unentgeltliche Prozessführung, inklusive Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses, und die amtliche Verbeiständung mit der Unterzeichnenden zu gewähren.
In der Beschwerde wurde vorgebracht, die Vorinstanz habe das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt, indem sie seine Vorbringen nicht gehört und nicht sorgfältig und ernsthaft geprüft habe, sondern sich bei der Behauptung, die angegebenen Personalien sowie die Sozialisierung in F. seien als unglaubhaft zu erachten, ausschliesslich auf die am
3. Februar 2020 durchgeführte LINGUA-Analyse verlassen habe. Es sei auch festzuhalten, dass das Gutachten zum Schluss komme, der Beschwerdeführer stamme tatsächlich aus Somalia. Das SEM habe sich auch nicht richtig mit den Argumenten in der Stellungnahme auseinandergesetzt und nicht berücksichtigt, dass er bei seiner Ausreise aus dem Heimatland erst (…) Jahre alt gewesen sei. Auch die schwere Traumatisierung durch die Erlebnisse im Heimatland und in Libyen sei von der Vorinstanz nicht berücksichtigt worden. Überdies könne nicht nachvollzogen werden, weshalb der Sachverständige zu der Annahme komme, der Dialekt des Beschwerdeführers weise Gemeinsamkeiten mit dem nördlichen Dialekt auf. Dieser Punkt könne daher nicht sachgerecht angefochten werden, weshalb das rechtliche Gehör verletzt sei. Auch werde die ausreichende Qualifikation des Sachverständigen bestritten, zumal Somali anscheinend nicht seine Muttersprache sei und er einen grossen Altersunterscheid zum Beschwerdeführer aufweise, weshalb sich seine Sprache von der Jugendsprache des Beschwerdeführers unterscheiden könne. Der Beschwerdeführer habe zudem detaillierte, präzise und konkrete Aussagen zu seiner
Sozialisierung in F. machen können, insbesondere im Hinblick darauf, dass er lediglich bis zum Alter von 13 Jahren in F. gelebt habe. Der Vorwurf der Vorinstanz, er habe die Asylgründe substanzlos und distanziert geschildert, sei nicht nachvollziehbar angesichts seines jungen Alters und der Traumatisierung, die er durch die Entführung im Heimatland und Freiheitsberaubung in Libyen erfahren habe. Die Vorinstanz habe es unterlassen, das Asylgesuch unter diesen Aspekten zu prüfen. Auch wenn sie sodann der Ansicht sei, er stamme aus dem Norden Somalias und nicht aus F. , hätte sie die Vorbringen prüfen müssen. Der Beschwerdeführer habe die Mitwirkungspflicht nicht verletzt und eine Prüfung seiner wahren Herkunft sei im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit und Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges nicht verunmöglicht. Im Übrigen sei festzuhalten, dass einem sehr jungen Minderjährigen aufgrund nicht klarer und unvollständiger Darlegung der Asylgründe oder seiner Identität keine Verletzung der Mitwirkung zulasten gelegt werden könne. Es sei unverhältnismässig, so hohe Anforderungen an ein Kind zu stellen, das eine jahrelange traumatische Flucht hinter sich habe und vorab von seiner Familie getrennt worden sei. Auch stehe das Kindeswohl der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges entgegen, habe der Beschwerdeführer doch sein gesamtes familiäres Beziehungsnetz verloren.
Am 25. Mai 2020 bestätigte das Gericht den Eingang der Beschwerde.
Mit Zwischenverfügung vom 11. Juni 2020 wurde das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gutgeheissen und auf die Erhebung eines Kostenvorschusses verzichtet. Zudem wurde das Gesuch um amtliche Rechtsverbeiständung gutgeheissen und MLaw Janine Hess, Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende Aargau, als amtliche Rechtsbeiständin des Beschwerdeführers eingesetzt. Gleichzeitig wurde das SEM zur Vernehmlassung eingeladen.
Die Vernehmlassung vom 12. August 2020, in welcher das SEM vollumfänglich an seinen Erwägungen festhielt, wurde dem Beschwerdeführer am
18. August 2020 zur Kenntnis gebracht.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Der Beschwerdeführer ist, ausgehend vom angegebenen Geburtsdatum, nach seinen Angaben heute 17-jährig (zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung 16-jährig) und damit noch nicht volljährig. Den Akten sind indes keine Anhaltspunkte zu entnehmen, die zu Zweifeln an seiner Urteilsfähigkeit in Bezug auf das Einreichen des Asylgesuches, das Vortragen seiner Asylvorbringen oder auf die Erhebung der Beschwerde Anlass geben würden. Infolgedessen ist von der Urteilsfähigkeit und damit von der Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers auszugehen (vgl. auch Urteil des BVGer D-770/2014 vom 17. Juni 2014 E. 2.1).
Die Beschwerde ist im Übrigen fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 2 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Vorab ist die formelle Rüge der Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör beziehungsweise der Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes zu beurteilen, da diese allenfalls geeignet wäre, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügung zu bewirken.
Die Rechtsvertreterin rügt, das SEM habe die Asylvorbingen des Beschwerdeführers in der Verfügung unzureichend geprüft und den entscheidrelevanten Sachverhalt unrichtig und unvollständig festgestellt, weil es sich bei der Glaubhaftigkeitsprüfung ausschliesslich auf die LINGUAAbklärung, wonach eine Sozialisierung in F. unglaubhaft sei, gestützt und den Schluss gezogen habe, es fehle somit an der Basis der geltend gemachten Asylgründe. Es hätte die Vorbringen sorgfältig und ernsthaft prüfen müssen, auch unter Berücksichtigung der Minderjährigkeit und erlebten Traumatisierung. Auch liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die unzureichende Offenlegung der linguistischen Analyse des LINGUA-Gutachtens vor.
Gemäss Art. 29 VwVG haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör, welcher als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse umfasst, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 135 II 286 E. 5.1; BVGE 2009/35 E. 6.4.1). Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen. Nicht erforderlich ist, dass sich die Begründung mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt (vgl. BGE 136 I 184 E. 2.2.1).
Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind; unvollständig ist sie, wenn nicht alle für den Entscheid rechtswesentlichen Sachumstände berücksichtigt werden (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl., 2013, Rz. 1043).
Es ist zunächst festzustellen, dass es sich bei der Rüge in der Beschwerde um eine Frage der Sachverhaltswürdigung und nicht der Verletzung formeller Verfahrensgarantien handelt. So hat sich das SEM entgegen der Auffassung in der Beschwerde bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Asylvorbringen zwar auf die LINGUA-Abklärungen gestützt und festgehalten, dass die behauptete Verfolgung in F. angesichts der unglaubhaften Hauptsozialisation dort als unglaubhaft zu erachten sei. Gleichzeitig würdigte es aber auch die Aussagen in den Befragungen zu den Asylvorbringen, wenn auch lediglich in einem kurzen Abschnitt (vgl. Verfügung S. 6). Auch mit den Argumenten der Stellungnahme zur LINGUA-Abklärung hat es sich in der Verfügung – entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers (vgl. Beschwerde S. 7) – sehr wohl auseinandergesetzt (vgl. Verfügung S. 5). Eine diesbezügliche Aufhebung und Rückweisung an die Vorinstanz rechtfertigt sich somit nicht. Auch in Bezug auf die Bekanntgabe der Ergebnisse der linguistischen Analyse des LINGUAGutachtens liegt keine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, da dem Beschwerdeführer gemäss der geltenden Praxis zu den diesbezüglichen wesentlichen Unstimmigkeiten das rechtliche Gehör gewährt wurde. Analyseberichte wie die vorliegende LINGUA-Evaluation werden nicht vollständig offengelegt, da dem gewichtige öffentliche Interessen entgegenstehen (vgl.
u.a. Urteil des BVGer D-8113/2015 vom 26. März 2018 E. 4.1). Überdies stand es dem Beschwerdeführer offen, sich die Gesprächsaufzeichnungen anzuhören (vgl. Schreiben des SEM vom 17. Februar 2020).
Es liegt damit betreffend die Asylvorbringen weder eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes noch des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor.
Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).
Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die
Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).
Das SEM hat sich bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Asylvorbringen auf die Ergebnisse der LINGUA-Abklärung gestützt, wonach die Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers nicht in F. , im Distrikt G. , stattgefunden habe. Dies habe eine fehlende Glaubhaftigkeit der Identitätsangaben zur Folge und führe zum einen zum Schluss, er benötige keinen Schutz vor asylrelevanter Verfolgung, zum anderen, dass den sich auf F. beziehenden Asylvorbringen die Grundlage entzogen sei. Zudem würdigte es auch die Aussagen des Beschwerdeführers in den Befragungen und erachtete diese als unsubstantiiert, wobei die Aussagequalität den Eindruck vermittle, er habe die Verfolgung nicht selbst erlebt.
In der Beschwerde wird dem entgegengehalten, die Aussagen hinsichtlich der Sozialisierung in F. seien detailliert und präzise, ebenso weise die Schilderung der Entführung durch die Al-Shabaab eine Vielzahl von Realkennzeichen auf. Bei der Beurteilung der Aussagequalität habe das SEM die Minderjährigkeit und Traumatisierung des Beschwerdeführers ausser Acht gelassen.
In Bezug auf die Identität und Herkunft des Beschwerdeführers ist Folgendes auszuführen:
Die Fachstelle LINGUA führte eine Herkunftsanalyse durch. Dieser sind keine Hinweise zu entnehmen, dass die von der Rechtsprechung definierten Mindeststandards (vgl. BVGE 2014/12) nicht eingehalten worden wären. Entgegen der vom Beschwerdeführer in der Rechtsmitteleingabe vertretenen Ansicht wurde seitens des LINGUA-Experten für die Einschätzung des sprachlichen Ausdrucks der geltend gemachten Minderjährigkeit Rechnung getragen. Die Analyse ist ferner fundiert und mit einer überzeugenden sowie ausgewogenen Begründung versehen, die zu keinen Beanstandungen Anlass gibt. Der Bericht erfüllt die inhaltlichen Qualitätsanforderungen und aufgrund des Werdeganges, welcher dem Beschwerdefüh-
rer bekannt gegeben wurde, ist die Qualifikation der sachverständigen Person nicht anzuzweifeln. Die vom Beschwerdeführer bemängelte Herkunft und das Alter der sachverständigen Person sind für deren Qualifikation vor dem Hintergrund der vorhandenen analyserelevanten Sprachkenntnisse und Ausbildung unerheblich. Dem Fazit des Berichts, der Beschwerdeführer sei definitiv nicht im Distrikt G. in F. , Südsomalia, sozialisiert worden, kommt daher erhebliches Gewicht zu. Die in der Stellungnahme zur LINGUA-Abklärung aufgeführten Argumente konnten sodann nicht überzeugen, da sie weder die fehlenden Landeskenntnisse des Beschwerdeführers noch dessen sprachliche Besonderheiten zufriedenstellend erklären konnten. Sie erscheinen vielmehr als Schutzbehauptungen. Entgegen der Auffassung in der Beschwerdeschrift ging es in der LINGUAAnalyse nicht um das Ergebnis, der Beschwerdeführer komme aus Somalia. Gegenstand der LINGUA-Analyse war vielmehr die Frage der Soziali- sation in F. . Darüber hinaus wurden keine weiteren Schlüsse gezogen (vgl. Schreiben des SEM vom 17. Februar 2020 betreffend das rechtliche Gehör zur LINGUA-Abklärung S. 1 f.).
Die Einschätzung, dass der Beschwerdeführer seine Herkunft verschleiert, wird auch durch seine diesbezüglichen Aussagen in der Anhörung verstärkt. So kennt er nicht nur den Stamm der Mutter nicht, sondern kann auch die väterliche Linie der Abstammung nicht nennen (vgl. act. A23,
S. 7, F58-60). Auch vermag er in der Anhörung, wie im Telefoninterview, sein Quartier und die Umgebung der nahegelegenen Schule nicht zu beschreiben. Die Argumentation in der Stellungnahme, das fehlende Wissen zur Umgebung beruhe darauf, dass er seine Freizeit zu Hause habe verbringen müssen, überzeugt schon deshalb nicht, weil sie seinen Verfolgungsvorbringen widerspricht. Er hatte geltend gemacht, er sei mit anderen Jugendlichen auf der Strasse in der Nähe eines Hotels unterwegs auf dem Weg nach Hause gewesen, als er entführt worden sei (vgl. act. A11,
S. 10). Er konnte mithin im Quartier, und nicht nur zu Hause, seine Freizeit verbringen. Auffällig ist auch, dass er trotz der behaupteten Sozialisation in F. weder die Währung noch die Merkmale der Autokennzeichen korrekt beschreiben kann (vgl. act. A23, S. 5-11, F33-107).
Die Angaben zu seiner Identität waren überdies in Bezug auf seine Altersangaben widersprüchlich. So machte er in den Befragungen abweichende Aussagen zu seinem Alter beziehungsweise dem Alter bei Schulbesuch und Ausreise. Er will die Schule bereits mit drei Jahren begonnen und dann acht Jahre lang besucht haben; mit elf Jahren habe er mit der
Schule aufgehört (vgl. act. A11, S. 4 f.). Ausgehend von seinem Geburtsdatum (…) müsste er demnach bis (…) zur Schule gegangen sein. Im Jahr 2016 sei er ausgereist (vgl. act. A11, S. 8), mithin wäre er noch (…) Jahr im Heimatland geblieben bis zur Ausreise. Zuerst kann er aber nicht sagen, wieviel Zeit zwischen seinem letzten Schultag und der Ausreise vergangen sei. Auf weitere Nachfrage sagt er dann aus, er sei nach Schulabschluss noch (…) Jahre dort geblieben, bis er im Jahr 2016 ausgereist sei (vgl. act. A11, S. 5). Wenn er die Schule mit elf Jahren abgeschlossen hätte (…) und noch (..) Jahre lang geblieben sei, müsste er mit (…) Jahren im Jahr 2020 ausgereist sein. Wenn er aber 2016 ausgereist ist, müsste er nach seinem angegebenen Geburtsdatum und Schuleintrittsalter mit (…) Jahren ausgereist sein. Später sagt er in der BzP aus, er sei mit (…) Jahren ausgereist, es habe wohl noch (…) Jahr nach Schulende bis zur Ausreise gelegen (vgl. act. A11, S. 8). Er wisse nicht, warum er vorher von (…) Jahren nach Schulende bis zur Ausreise geredet habe (vgl. act. A11, S. 8). Erstaunlicherweise behauptet er dann in der Anhörung, er sei (…) Jahre alt gewesen bei der Ausreise (vgl. act. A23, S. 4, F26), was mit dem angegebenen Geburtsdatum und Ausreisejahr sowie dem geltend gemachten dreijährigen Aufenthalt in Libyen nicht übereinstimmen kann. Später sagt er in der Anhörung wiederum, er sei (…) Jahre alt gewesen, als er ausgereist sei (vgl. act. A23, S. 10, F106).
In Würdigung der Akten gelangt das Gericht im Sinne einer gesamthaften Betrachtungsweise zum Schluss, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers, auch unter Berücksichtigung seines jungen Alters sowie der möglicherweise traumatischen Erlebnisse auf der Flucht, hinsichtlich seiner Herkunft als überwiegend unglaubhaft zu qualifizieren sind.
Wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, ist den Asylvorbringen bereits dadurch die Grundlage entzogen, dass die Entführung durch die AlShabaab Miliz in F. angesichts der unglaubhaften Herkunft ebenfalls nicht geglaubt werden kann.
Davon abgesehen fielen die auf der Sozialisation in F. beruhenden Asylvorbringen nicht nur substanzlos aus, wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, sondern auch teilweise widersprüchlich und realitätsfern. So schilderte der Beschwerdeführer seine Festnahme nur pauschal, sie seien einfach festgehalten worden und man habe gewollt, dass sie irgendwann für sie kämpften (vgl. act. A11, S. 10). Auch kann er nicht zum Ausdruck bringen, was er bei der Mitnahme und Festhaltung gedacht habe (vgl. act. A23, S. 12, F123). Schwer vorstellbar bleibt auch, wie sich
zehn Al-Shabaab-Männer den Jugendlichen von hinten genähert und diese auf offener Strasse in ein Auto gezwungen haben sollen, ohne dass dies weiter aufgefallen sei (vgl. act. A23, S. 13, F132). Wenig anschaulich kann er auch die Fahrt im Auto mit den zwei anderen Jugendlichen und die Ankunft am Zielort sowie den Zielort selber beschreiben (vgl. act. A23, S. 14, F140-146). Er vermag es nicht, den Tagesablauf während der Haft zu beschreiben (vgl. act. A23, S. F150, S. 15 f., F156), auch das Zimmer nicht, obwohl er dort fünf Monate festgehalten worden sei (vgl. act. A23, S. 15, F151). Undetailliert schildert er überdies den Angriff auf das Haus und wie er habe fliehen können (vgl. act. A23, S. 15, F154). Im Gegensatz dazu kann er über seine Haft in Libyen detaillierter und anschaulicher berichten (vgl. act. A23, S. 18, F173).
Auch widerspricht er sich in Bezug auf die Frage, ob er noch Kontakt zu seiner Familie nach der Flucht aus dem Lager gehabt habe. In der BzP sagte er aus, er habe sie nicht mehr erreichen können, er sei aus Angst nach der Flucht aus der Haft nicht mehr zu ihnen zurückgegangen (vgl. act. A11, S. 11). In der Anhörung gab er demgegenüber zu Protokoll, er sei nochmal nach Hause zurückgekehrt, seine Familie sei aber nicht mehr dort gewesen, auch die Nachbarn seien alle weg gewesen (vgl. act. A23, S. 3, F15, 20 f.). Es ist überdies schwer vorstellbar, dass er nichts unternommen haben will, um seine Familie zu finden, als er sie nicht vorgefunden habe. Es fragt sich, wieso er nicht beispielsweise seine Verwandten aus dem gleichen Quartier kontaktiert hat (vgl. act. A23, S. 4, F23, 25). Auch erscheint es nicht realistisch, dass er seine Familie weder telefonisch noch über die sozialen Medien habe erreichen können, auch seine Geschwister nicht (vgl. act. A23, S. 2, F10 f.), und die Telefonnummern von Nachbarn nicht kenne (vgl. act. A23, S3, F13). Schliesslich will er seine Freunde nicht auf Facebook gefunden haben (vgl. act. A23, S. 3, F16).
Mit der Vorinstanz ist festzustellen, dass ein solches Aussageverhalten nicht darauf schliessen lässt, der Beschwerdeführer berichte über tatsächlich Erlebtes. Die Ausführungen in der Rechtsmitteleingabe sind nicht geeignet, zu einem anderen Schluss zu führen, zumal der Beschwerdeführer darin lediglich an der Glaubhaftigkeit seiner Herkunft aus F. und seinen Asylgründen festhält.
Schliesslich ist festzuhalten, dass es gemäss Art. 8 AsylG den Asylsuchenden im Rahmen ihrer Mitwirkungspflicht unter anderem obliegt, ihre Identität offenzulegen und Reisepapiere und Identitätsausweise abzugeben. Der Beschwerdeführer hat bis zum heutigen Zeitpunkt keine Reise-
oder Identitätspapiere zu den Akten gereicht, die es erlauben würden, Rückschlüsse auf seine Identität zu geben (vgl. dazu Art. 1a Bst. a AsylV 1 [SR 142.311]).
Zusammenfassend ergibt sich, dass keine asylrechtlich relevanten Verfolgungsgründe ersichtlich sind, weshalb das SEM die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers zu Recht verneint und sein Asylgesuch abgelehnt hat. Es erübrigt sich, auf die weiteren Ausführungen in der Beschwerde näher einzugehen, da sie an der vorliegenden Würdigung des Sachverhalts nichts zu ändern vermögen.
Lehnt das SEM das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG).
Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG, Art. 32 AsylV 1; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).
Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).
Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG). So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1
AsylG; Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]). Gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Die Vorinstanz wies in der angefochtenen Verfügung zutreffend darauf hin, dass das Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Refoulementverbots nur Personen schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, findet der in Art. 5 AsylG verankerte Grundsatz der Nichtrückschiebung im vorliegenden Verfahren keine Anwendung. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in seinen Heimatstaat ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig. Des Weiteren ergeben sich weder aus seinen Aussagen noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass er für den Fall einer Ausschaffung in den Heimatstaat dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre. Auch die allgemeine Menschenrechtssituation im Heimatstaat lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen. Diesbezüglich kann darauf verwiesen werden, dass das Bundesverwaltungsgericht selbst für F. nicht von einer Situation allgemeiner Gewalt ausgeht (vgl. BVGE 2013/27). Ferner vermag der Beschwerdeführer auch aus dem Übereinkommen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK, SR 0.107) nichts abzuleiten, was gegen die Zulässigkeit seines Wegweisungsvollzugs sprechen würde.
Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im Sinne der asylals auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.
Nach Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit ist auch der Situation unbegleiteter minderjähriger Asylgesuchsteller besondere Beachtung zu schenken (vgl. Art. 3 und Art. 12 KRK). Die Vorinstanz ist verpflichtet, die spezifisch mit der Minderjährigkeit verbundenen Aspekte vertieft abzuklären und den individuellen Verhältnissen der
betroffenen Person gebührend Rechnung zu tragen. Ausserdem hat sie gemäss Art. 69 Abs. 4 AIG vor einer Ausschaffung einer unbegleiteten minderjährigen Person sicherzustellen, dass diese im Rückkehrstaat einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann, welche den Schutz des Kindes gewährleistet. Diese konkreten Abklärungen inklusive der allfälligen Übernahmezusicherungen einer geeigneten Institution sind vor Erlass einer wegweisenden Verfügung vom SEM vorzunehmen beziehungsweise einzuholen, damit sie einer gerichtlichen Prüfung offenstehen können (vgl. BVGE 2015/30 E. 7.2 f. m.w.H.).
Das SEM ist jedoch nur in dem Ausmass zur Untersuchung des Sachverhaltes verpflichtet, wie man dies vernünftigerweise von ihm erwarten kann. Der Untersuchungsgrundsatz wird durch die Mitwirkungspflichten eingeschränkt, die das Gesetz vorsieht. Art. 13 VwVG verpflichtet die Parteien, an der Feststellung des Sachverhaltes in Verfahren mitzuwirken, die sie durch ihr Begehren eingeleitet haben. Art. 8 AsylG konkretisiert diese Mitwirkungspflicht für das Asylverfahren. Insbesondere verpflichtet Art. 8 Abs. 1 Bst. a AsylG Asylsuchende dazu, ihre Identität offenzulegen. Die
Identität einer Person ist eine Tatsache, die von den Behörden ohne die Mitwirkung der Gesuchstellenden gar nicht oder nicht mit vernünftigem Aufwand festgestellt werden kann. Die Mitwirkungspflicht trifft grundsätzlich auch unbegleitete minderjährige Asylsuchende, soweit diese dazu aufgrund ihres Alters, ihrer Reife und ihrer Ausbildung in der Lage sind. Bei der Beurteilung von Verletzungen der Mitwirkungspflicht sind die Umstände des Einzelfalles zu beachten.
Damit bei unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden vom Vorliegen einer Betreuung ausgegangen werden kann, muss die Vorinstanz sich auf festgestellte Tatsachen stützen, welche aus den Akten ersichtlich sind, andernfalls müssen geeignete Abklärungen getroffen werden. Bei diesen Abklärungen handelt es sich um notwendige Informationen zur Beurteilung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges. Die Abklärungspflicht des SEM wird einzig durch die Minderjährigkeit der betreffenden Person begründet. Steht diese fest, kann auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht das SEM grundsätzlich nicht von der Verpflichtung entbinden abzuklären, ob die unbegleitete minderjährige Person bei einer Rückkehr eine geeignete Unterkunft erhält – sei dies bei Familienangehörigen oder, wenn diesbezüglich keine Informationen vorliegen oder dies nicht möglich ist, in einer geeigneten Institution. Nur in Ausnahmefällen, in welchen das Ausmass
der Mitwirkungspflichtverletzung eine Abklärung durch die Vorinstanz vollkommen verunmöglicht, da dieser jegliche Anhaltspunkte fehlen, kann diese Abklärungspflicht erlöschen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn sich die Person in Bezug auf ihre Nationalität und Herkunft so widerspricht, dass weder Abklärungen betreffend die familiäre Situation möglich sind noch eine geeignete Institution gesucht werden kann. Eine allfällige Verletzung der Mitwirkungspflicht wird regelmässig – nach erfolgten Abklärungen
bei der Beurteilung der Zumutbarkeit zum Tragen kommen (vgl. zum Ganzen ausführlich Urteile des BVGer D-5411/2019 und D-5414/2019 vom
20. September 2021 je E. 11.5.2 m.w.H. [zur Publikation vorgesehen]).
Der Wegweisungsvollzug nach Somalia ist nur eingeschränkt zumutbar. Im grössten Teil Somalias (Landesteile Südund Zentralsomalia) herrschen seit längerer Zeit Verhältnisse, aufgrund welcher der Wegweisungsvollzug praxisgemäss generell – das heisst ungeachtet aller individueller Umstände – als unzumutbar zu qualifizieren ist (vgl. BVGE 2013/27 E. 8.3 m.w.H.).
Gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts kann sich der Vollzug von Wegweisungen jedoch in die im Norden Somalias gelegenen Regionen Somaliland oder Puntland bei Vorliegen begünstigender Umstände als zumutbar erweisen (vgl. Referenzurteile BVGer E-591/2018 vom 29. Juli 2020 E. 9, insb. E. 9.3.5 [Somaliland] und E-6310/2017 vom 15. Januar 2020 E. 10 f., insb. E. 11.2.4 [Puntland]). Bei beiden Leitentscheiden wurde die prekäre Gesundheitsversorgung sowie die generelle Verletzlichkeit von Frauen und Kindern in diesen Regionen betont (vgl. BVGer E-591/2018
E. 9.3.4 [Somaliland] und E-6310/2017 E. 11.2.3 [Puntland]). Ein Vollzug wird aber nicht als generell unzumutbar erachtet.
Vorliegend ist unumstritten, dass es sich beim Beschwerdeführer um eine minderjährige Person somalischer Staatsangehörigkeit handelt. Die durchgeführte LINGUA-Analyse ergab, dass die Muttersprache des Beschwerdeführers Somali ist; seine Sprache weist Übereinstimmungen mit den nördlichen Dialekten Somalias auf. Eine sich daraus ergebende mögliche Herkunft aus dem Norden Somalias wurde aber vom SEM nicht weiter abgeklärt. Die LINGUA-Analyse diente nur dazu, die Frage der Hauptsozi-
alisation in F.
zu klären, aber nicht den Herkunftsort des Be-
schwerdeführers ausfindig zu machen. Es bestehen somit Unstimmigkeiten hinsichtlich des genauen Herkunftsortes des Beschwerdeführers. Die Vorinstanz erachtet es als unglaubhaft, dass er in F. aufgewach-
sen ist, während dieser auf seiner Herkunft aus F. besteht. Zweifelhaft ist auch, ob seine gesamte Familie tatsächlich, wie von ihm behauptet, verschwunden ist und er keinen Kontakt mehr zu ihr hat.
Wie in den dargelegten aktuellen Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. soeben E. 8.3.1) festgehalten wurde, wird die Abklärungspflicht des SEM einzig durch die Minderjährigkeit der betreffenden Person begründet. Steht diese – wie vorliegend – fest, kann auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht das SEM grundsätzlich nicht von der Verpflichtung entbinden, die Unterbringungsmöglichkeit der um Asyl ersuchenden minderjährigen Person im Heimatstaat abzuklären. Mangels Einreichung von Identitätsdokumenten und sonstigen Beweismitteln sowie angesichts der unglaubhaften Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Biografie dürfte es sich zwar als schwierig erweisen abzuklären, ob und wo er in Somalia
entgegen seinen Ausführungen – in ein familiäres Umfeld zurückgeführt werden könnte. Jedoch sollten zumindest Abklärungen hinsichtlich einer anderweitigen Unterbringung in seinem Heimatland beziehungsweise das Einholen einer Übernahmezusicherung einer geeigneten somalischen Institution möglich sein.
Nach dem Gesagten hat das SEM nicht geklärt, in wessen Obhut der Beschwerdeführer beim angeordneten Wegweisungsvollzug in Somalia übergeben werden kann und wie die Empfangnahme konkret vonstattengehen soll. Es ist somit seinen durch die Rechtsprechung entwickelten Verpflichtungen nicht nachgekommen und mithin den Anforderungen zur umfassenden Würdigung sämtlicher für das Kindeswohl relevanter Kriterien nicht gerecht geworden.
Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Eine Kassation und Rückweisung an die Vorinstanz ist insbesondere angezeigt, wenn weitere Tatsachen festgestellt werden müssen und ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen ist (vgl. WEISSENBERGER/HIRZEL, Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016, Art. 61 VwVG, N 16 S.1264). Die in diesen Fällen fehlende Entscheidungsreife kann grundsätzlich zwar auch durch die Beschwerdeinstanz selbst hergestellt werden, wenn dies im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen angebracht erscheint; sie muss dies aber nicht (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der vormaligen Asylrekurskommission [EMARK] 2004 Nr. 38 E. 7.1).
Im vorliegenden Fall ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, da die Erstellung des Sachverhalts bezüglich des Wegweisungsvollzuges weiterer Abklärungen bedarf und die weiteren Untersuchungsmassnahmen den Rahmen des Beschwerdeverfahrens sprengen würden.
Die Beschwerde ist demnach betreffend Flüchtlingseigenschaft, Asyl und Wegweisung abzuweisen, im Wegweisungsvollzugspunkt aber gutzuheissen. Die Dispositivziffer 4 der angefochtenen Verfügung ist aufzuheben und das Verfahren ist diesbezüglich zur vollständigen und richtigen Sachverhaltsermittlung und Neubeurteilung an das SEM zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wäre dem Beschwerdeführer aufgrund seines teilweisen Obsiegens ein reduzierter Anteil der Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da indes mit Zwischenverfügung vom
11. Juni 2020 das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG gutgeheissen wurde, ist von der Kostenerhebung abzusehen.
Der Beschwerdeführer ist im Umfang seines Obsiegens – praxisgemäss hälftig – für die ihm erwachsenen notwendigen Kosten zu entschädigen (Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die Rechtsvertreterin reichte am 9. Oktober 2020 eine Honorarnote ein, in welcher ein Stundenansatz von Fr. 250.– veranschlagt wird und ein Zeitaufwand von 755 Minuten (versehentlich wurden 710 Minuten errechnet), was nicht zu beanstanden ist. Zudem wurden Auslagen von Fr. 28.80 geltend gemacht. Demnach ist dem Beschwerdeführer durch die Vorinstanz eine reduzierte Parteientschädigung in der Höhe von insgesamt Fr. 1'587.30 (inkl. Auslagen) auszurichten.
Die Beschwerde wird, soweit den Wegweisungsvollzug betreffend, gutgeheissen. Im Übrigen wird sie abgewiesen.
Die Dispositivziffer 4 der vorinstanzlichen Verfügung vom 17. April 2020 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen zur Neubeurteilung an das SEM zurückgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1'587.30 auszurichten.
Der amtlichen Rechtsvertreterin, MLaw Janine Hess, wird durch das Bundesverwaltungsgericht ein amtliches Honorar von Fr. 958.20 ausgerichtet.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Mia Fuchs Mareile Lettau
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