Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung III |
Dossiernummer: | C-4429/2020 |
Datum: | 07.07.2021 |
Leitsatz/Stichwort: | Invalidenversicherung (Übriges) |
Schlagwörter : | Rente; Invalidenrente; Renten; Witwen; Witwenrente; Recht; Verfügung; Interesse; Urteil; Verzicht; IVSTA; Rentenversicherung; Deutsche; BVGer; Verfahren; Auskunft; Vorinstanz; Interessen; Anspruch; Deutschen; Rückzug; Schweiz; Einkommen |
Rechtsnorm: | Art. 23 ATSG ; Art. 48 BGG ; Art. 52 VwVG ; Art. 60 ATSG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; |
Referenz BGE: | 129 V 1; 131 V 164 |
Kommentar: | - |
Abteilung III C-4429/2020
Besetzung Richter David Weiss (Vorsitz), Richter Daniel Stufetti,
Richterin Madeleine Hirsig-Vouilloz, Gerichtsschreiberin Tania Sutter.
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Invalidenversicherung, Rentenart, Verfügung der IVSTA vom 3. August 2020.
Mit Verfügung vom 16. Februar 2015 sprach die Schweizerische Aus-
gleichskasse (nachfolgend: SAK) A.
(nachfolgend: Versicherte
oder Beschwerdeführerin) ab 1. Juni 2012 eine ordentliche Witwenrente im Betrag von monatlich Fr. 295.– zu (Akten der Vorinstanz [act.] 9). Diese Verfügung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.
Gemäss dem von der Deutschen Rentenversicherung Bund ausgefüllten Formular E204 «Bearbeitung eines Antrags auf Invaliditätsrente» vom
11. September 2017 stellte die Versicherte am 1. September 2015 im zwischenstaatlichen Verfahren einen Antrag auf Invaliditätsrente (act. 36). Im Formular E204 wurde zudem angemerkt, dass die Versicherte den Rentenantrag für Deutschland vorerst zurückgenommen habe (act. 36 S. 6). Die IV-Stelle für Versicherte im Ausland (nachfolgend: IVSTA oder Vorinstanz) bestätigte der Versicherten mit Brief vom 18. September 2017 den Erhalt der Anmeldung zum Bezug von Leistungen der schweizerischen Invalidenversicherung (IV; act. 21).
Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilte am 27. Oktober 2017 der SAK mit, die Versicherte habe ihren deutschen Rentenantrag vom
1. September 2015 am 12. Mai 2017 zurückgenommen und mit Datum vom 11. September 2017 formlos einen neuen deutschen Rentenantrag gestellt (act. 41)
Gemäss Telefonnotiz der IVSTA vom 14. Dezember 2017 habe die Versicherte ihren Antrag auf IV-Rentenantrag zurückziehen wollen, weil sie davon ausgehe, dass die IV-Rente tiefer als die Witwenrente sei. Sie habe bereits eine Vorausberechnung der Altersrente, jedoch nicht der Invalidenrente. Es wurde so verblieben, dass die Angelegenheit der Ausgleichskasse überwiesen werde, damit diese die Informationen bestätigen könne, und die Versicherte gestützt darauf entscheiden könne (act. 45).
Anlässlich des Telefongesprächs vom 21. Dezember 2017 wurde der Versicherten von Seiten der IVSTA mitgeteilt, dass es möglich sei, dass die Witwenrente höher als die Invalidenrente sei. Falls ein Antrag auf IV-Leistungen eingetroffen sei, könne dieser nicht ignoriert werden. Es bestehe die Möglichkeit eines Rückzuges, allerdings könnten schutzwürdige Interessen Dritter (Deutsche Rentenversicherung, Bundesagentur für Arbeit)
vorliegen. Es wurde der Versicherten geraten, eine Vorausberechnung der Invalidenrente zu verlangen und die zuständige Kundenbetreuerin zu bitten, das Verfahren so lange auf Eis zu legen (act. 48). Dies machte die Versicherte mit E-Mail vom 21. Dezember 2017 (act. 49). Mit E-Mail vom
28. Dezember 2017 teilte die zuständige Kundenbetreuerin der Versicherten mit, vor Weiterbearbeitung des Antrags werde die Vorausberechnung der Rente vorgenommen. Dennoch wurde ihr auch empfohlen, den Fragebogen für den Arbeitgeber schon ausfüllen zu lassen, um nicht unnötig Zeit zu verlieren, falls die Überprüfung des Leistungsgesuchs doch durchgeführt werden müsste (act. 52).
Mit Schreiben vom 4. Januar 2018 wurde der Versicherten mitgeteilt, dass die provisorisch berechnete Invalidenrente monatlich Fr. 321.– betrage. Des Weiteren wurde darauf hingewiesen, dass bei gleichzeitigem Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente und eine Invalidenrente lediglich die höhere Rente ausgerichtet würde (act. 54).
Mit Schreiben vom 30. Januar 2018 wurde die Versicherte um Mitteilung gebeten, ob die Prüfung ihres Leistungsgesuches weitergeführt werden solle. Der allfällige Rückzug des Gesuchs für die Schweiz sei der Verbindungsstelle in Berlin zu unterbreiten, welche dann mitteilen werde, ob dem Begehren stattgegeben werden könne. Die Versicherte wurde gebeten, bis zum 28. Februar 2018 der IVSTA die verlangten Unterlagen oder den Entscheid des Rückzugs zukommen zu lassen (act. 58).
Die Versicherte reichte mit Eingabe vom 3. Februar 2018 der IVSTA den Fragebogen für den Arbeitgeber vom 1. Februar 2018, den Fragebogen für die Versicherte vom 19. Januar 2018 sowie diverse Dokumente ein (act. 59).
Zum allfälligen Rückzug äusserte sich die Versicherte innert der angesetzten Frist nicht.
Die IVSTA stellte der Versicherten mit Vorbescheid vom 2. Mai 2018 die Zusprache einer Viertelsrente ab 1. Juni 2016 in Aussicht (act. 67). Die Versicherte liess sich dazu nicht vernehmen.
Mit Verfügung vom 28. August 2018 sprach die IVSTA der Versicherten mit Wirkung ab 1. Juni 2016 eine ordentliche Invalidenrente (ganze Rente) von monatlich Fr. 321.– zu (act. 77). Diese Verfügung blieb unangefochten und erwuchs in Rechtskraft.
Am 2. Juni 2020 ersuchte die Versicherte die SAK per E-Mail, die Umwandlung der Witwenin eine Invalidenrente rückgängig zu machen (act. 106).
Mit Schreiben vom 10. Juni 2020 teilte die SAK der Versicherten unter Hinweis auf Art. 43 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 24b AHVG mit, dass bei gleichzeitigem Bestehen eines Anspruchs auf eine Hinterlassenenund eine Invalidenrente nur die höhere der beiden Renten ausgerichtet werde. Aus diesem Grund könne ihrem Antrag auf Wiederausrichtung ihrer Hinterlassenenrente vom 2. Juni 2020 nicht entsprochen werden (act. 109).
Die Versicherte widersprach mit Eingabe vom 17. Juni 2020 dem Bescheid vom 10. Juni 2020 und bat abermals um Umwandlung ihrer Invalidenrente in ihre Witwenrente. Ferner hielt sie fest, dass sie definitiv auf die zusätzlichen 10–24 Euro monatlich zugunsten ihrer Witwenrente verzichte (act. 111).
In der Folge hielt die IVSTA mit Verfügung vom 3. August 2020 fest, dass der Versicherten rückwirkend ab dem 1. Juni 2016 statt der bisherigen Witwenrente eine ganze Invalidenrente ausgerichtet werde (act. 113).
Gegen die Verfügung vom 3. August 2020 erhob die Versicherte mit Eingabe vom 2. September 2020 (Postaufgabe) Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht und ersuchte um Wiederausrichtung der ursprünglichen Witwenrente (Akten im Beschwerdeverfahren [BVGer act.] 1).
Mit Zwischenverfügung vom 14. September 2020 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert, bis zum 14. Oktober 2020 einen Kostenvorschuss von Fr. 800.– zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen (BVGer act. 2). Am 21. September 2020 ging der Betrag von Fr. 821.59 in der Gerichtskasse ein (BVGer act. 5).
Mit Eingabe vom 15. September 2020 führte die Beschwerdeführerin aus, dass in der Bundesrepublik Deutschland die Witwenrente im Gegensatz zur Invalidenrente nicht zum Einkommen zählen würde. Dies habe sie bei der Umstellung im Jahr 2018 leider noch nicht gewusst. Aus diesem Grund wolle die Deutsche Rentenversicherung ihre deutsche Rente komplett streichen und die seit 2016 erhaltenen Beiträge zurückfordern. Sie
möchte daher ihre niedrigere Witwenrente zurückbekommen. Der Abteilungschef der SAK habe ihr vor ca. 1–1.5 Jahre telefonisch bestätigt, dass sie ihre Witwenrente zurückhaben könne (BVGer act. 6).
Die Vorinstanz beantragte mit Vernehmlassung vom 26. Oktober 2020 die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass beim gleichzeitigen Bestehen eines Anspruchs auf eine Hinterlassenenund eine Invalidenrente nur die höhere der beiden Renten ausgerichtet werde. Ein Wahlrecht des Berechtigten bestehe nicht. Soweit die Beschwerdeführerin einen rückwirkenden Verzicht auf die schweizerische Invalidenrente geltend machen möchte, wäre dies ohnehin nur für die Zukunft möglich und überdies aufgrund schutzwürdiger Interessen der Deutschen Rentenversicherung gar nicht zulässig (BVGer act. 8).
Mit Instruktionsverfügung vom 11. Dezember 2020 wurde zur Kenntnis genommen und gegeben, dass die Beschwerdeführerin auf die Einreichung einer weiteren Stellungnahme verzichtet habe und der Schriftenwechsel am 22. Dezember 2020 abgeschlossen werde (BVGer act. 11).
Auf den weiteren Inhalt der Akten sowie der Rechtsschriften ist – soweit erforderlich – in den nachfolgenden Erwägungen einzugehen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Zuständigkeit von Amtes wegen zu prüfen (Art. 7 Abs. 1 VwVG). Es ist zur Behandlung der vorliegenden Beschwerde zuständig (Art. 31, 32 und 33 Bst. d VGG; Art. 69 Abs. 1 Bst. b IVG [SR 831.20]). Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung, womit sie zur Erhebung der Beschwerde legitimiert ist (Art. 59 ATSG [SR 830.1]). Der Kostenvorschuss wurde rechtzeitig geleistet, sodass auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde vom 2. September 2020 einzutreten ist (Art. 60 Abs. 1 ATSG; Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Anfechtungsobjekt und damit Begrenzung des Streitgegenstandes des vorliegenden Beschwerdeverfahrens (vgl. BGE 131 V 164 E. 2.1) bildet die Verfügung vom 3. August 2020, mit welcher die Vorinstanz festgehalten
hat, dass der Beschwerdeführerin rückwirkend ab dem 1. Juni 2016 statt der bisherigen Witwenrente eine ganze Invalidenrente ausgerichtet werde. Streitig und vom Bundesverwaltungsgericht zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin zugunsten ihrer betragsmässig niedrigeren Witwenrente auf ihre Invalidenrente verzichten kann.
Die Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige und wohnt aktuell in Deutschland. Sie und ihr im Jahr 2012 verstorbene Ehemann waren während mehrerer Jahre in der Schweiz erwerbstätig. Damit gelangen das Freizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 1999 (FZA, SR 0.142.112.681) und die Regelwerke der Gemeinschaft zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäss Anhang II des FZA, insbesondere die für die Schweiz am 1. April 2012 in Kraft getretenen Verordnungen (EG) Nr. 883/2004 (SR 0.831.109.268.1) und Nr. 987/2009 (SR
0.831.109.268.11), zur Anwendung. Seit dem 1. Januar 2015 sind auch die durch die Verordnungen (EU) Nr. 1244/2010, Nr. 465/2012 und Nr. 1224/2012 erfolgten Änderungen in den Beziehungen zwischen der Schweiz und den EU-Mitgliedstaaten anwendbar. Soweit das FZA und die gestützt darauf anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte – wie bezüglich der hier zu beurteilenden Verzichtsproblematik – keine abweichenden Bestimmungen vorsehen, ist mangels einer einschlägigen gemeinschaftsbzw. abkommensrechtlichen Regelung auf die innerstaatliche Rechtsordnung abzustellen (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 234/04 vom 27. April 2005 E. 2.1).
Fest steht, dass die Beschwerdeführerin sowohl die Anspruchsvoraussetzungen für eine Witwenrente als auch diejenigen für eine Invalidenrente der schweizerischen Alters-, Hinterlassenenund Invalidenversicherung erfüllt. So wurde ihr zunächst mit Verfügung vom 16. Februar 2015 eine Witwenrente in Höhe von monatlich Fr. 295.– mit Wirkung ab 1. Juni 2012 und dann mit Verfügung vom 28. August 2018 eine ganze Invalidenrente in Höhe von monatlich Fr. 321.– mit Wirkung ab 1. Juni 2016 zugesprochen. Beide Verfügungen blieben unangefochten und sind damit in Rechtskraft erwachsen.
Gemäss Art. 43 Abs. 1 IVG haben Witwen, Witwer und Waisen, welche sowohl die Anspruchsvoraussetzungen für eine Hinterlassenenrente der
Altersund Hinterlassenenversicherung als auch für eine Rente der Invalidenversicherung erfüllen, Anspruch auf eine ganze Invalidenrente, wobei aber nur die höhere der beiden Renten ausgerichtet wird. Art. 24b AHVG sieht beim Zusammentreffen von Witwenoder Witwerrenten mit Altersoder Invalidenrenten ebenfalls vor, dass nur die höhere der beiden Renten ausbezahlt wird.
Im vorliegenden Fall trifft eine Witwenmit einer Invalidenrente zusammen. Nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ist in einem solchen Fall nur die höhere der beiden Renten auszurichten. Indem das Gesetz ausdrücklich die Ausrichtung der höheren Rente vorschreibt, wird ein Wahlrecht der berechtigten Person ausgeschlossen (vgl. Urteil des BVGer C-3164/2006 vom 10. Dezember 2008 E. 2.6.3). Folglich wurde der Beschwerdeführerin zu Recht ab 1. Juni 2016 die betragsmässig höhere Invalidenrente anstelle der früheren Witwenrente ausgerichtet (vgl. act. 77 S. 3).
Die Beschwerdeführerin ersuchte die Vorinstanz mit E-Mail vom 2. Juni 2020 um Wiederausrichtung der Witwenrente anstelle der Invalidenrente (act. 106). Mit Schreiben vom 17. Juni 2020 erklärte sie zudem, dass sie definitiv auf die zusätzlichen 10–24 Euro monatlich zugunsten ihrer Witwenrente verzichte (act. 111).
Gemäss Art. 23 Abs. 1 ATSG kann die berechtigte Person auf Versicherungsleistungen verzichten. Sie kann den Verzicht jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Verzicht und Widerruf sind schriftlich zu erklären. Verzicht und Widerruf sind gemäss Art. 23 Abs. 2 ATSG nichtig, wenn die schutzwürdigen Interessen von andern Personen, von Versicherungen oder Fürsorgestellen beeinträchtigt werden oder wenn damit eine Umgehung gesetzlicher Vorschriften bezweckt wird. Nach Art. 23 Abs. 3 ATSG hat der Versicherer der berechtigten Person Verzicht und Widerruf schriftlich zu bestätigen. In der Bestätigung sind Gegenstand, Umfang und Folgen des Verzichts und des Widerrufs festzuhalten.
Nach der Rechtsprechung ist ein Verzicht auf Leistungen der AHV und IV im Sinn von Art. 23 Abs. 1 ATSG nicht regelmässig, sondern nur in Ausnahmefällen zulässig, sofern ein schutzwürdiges Interesse der leistungsberechtigten Person vorliegt und keine Interessen anderer Beteiligter dadurch beeinträchtigt werden (Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts H 234/04 vom 27. April 2005 E. 6.1; BGE 129 V 1 E. 4.3; Urteil
des BGer 9C_576/2010 vom 26. April 2011 E. 4.3.2; BSK ATSG-FRÉSARD,
Art. 23 N 19). Wegen der Koordination der Leistungen der Sozialversicherungen kann der Verzicht auf die Leistungen der einen die Leistungspflicht (oder eine Erhöhung der Leistungspflicht) einer anderen Sozialversicherung oder einer nachgelagerten Institution wie der Sozialhilfe zur Folge haben. In diesem Fall verstösst er gegen die Interessen dieser Versicherungsträger und ist daher nichtig (BSK ATSG-FRÉSARD, Art. 23 N 37 m.H. auf Urteil des BGer 8C_130/2015 vom 18. Juni 2015 E. 6.3 und Urteil des BVGer C-2044/2016 E. 5.2; vgl. auch Urteil des BGer 9C_174/2008 vom
2. April 2008 E. 4). Die Umgehung von gesetzlichen Vorschriften verdient keinen Schutz, was sich bereits aus dem Grundsatz des Verbots des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens ergibt, welcher auch im Sozialversicherungsrecht massgebend ist. Insoweit hat die Bezugnahme im Art. 23 Abs. 2 ATSG auf den Tatbestand der Umgehung gesetzlicher Vorschriften keine eigenständige Bedeutung (vgl. UELI KIESER, ATSG-Kommentar, 4. Aufl. 2020, Art. 23, Rz. 50; BSK ATSG-FRÉSARD, Art. 23 N 41).
Aus dem Bescheid vom 20. August 2020 der Deutschen Rentenversicherung ergibt sich, dass der frühere Bescheid vom 19. Januar 2015, mit welchem eine Witwenrente in Deutschland bewilligt worden war, mit Wirkung ab dem 1. September 2016 teilweise aufgehoben werde. Namentlich werde die für die Zeit vom 1. September 2016 bis 31. Oktober 2019 entstandene Überzahlung zurückgefordert und die Rente ab 1. November 2019 nicht mehr gezahlt. Zur Begründung wurde angeführt, dass Einkommen, das mit einer Hinterbliebenenrente zusammentreffe, auf diese Rente anzurechnen sei. Bei der bisherigen Einkommensanrechnung seien die ebenfalls bezogenen Rentenleistungen aus Luxemburg nicht berücksichtigt worden, weshalb sich das anzurechnende Einkommen ab dem 1. September 2016 (Datum des Beginns der luxemburgischen Rentenleistungen, vgl. act. 104 S. 2) erhöht habe. Das nunmehr anzurechnende Einkommen habe Auswirkungen auf den Rentenzahlbetrag (Beilage zu BVGer act. 6). Sodann ergibt sich aus § 97 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) in Verbindung mit § 18a Abs. 1 Ziff. 2 und 3 Ziff. 2 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Viertes Buch (SGB VI), dass zum anzurechnenden Einkommen unter anderem auch ausländische Erwerbsersatzeinkommen wie Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gehören. Daraus folgt, dass die Leistungspflicht der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen der Koordination der Leistungen der Sozialversicherungen von der Einkommensanrechnung abhängig ist. Den Akten ist zudem zu entnehmen, dass die Anmeldung zum Erhalt einer schweizerischen Invalidenrente
von den deutschen Behörden im Rahmen des zwischenstaatlichen Verfahrens ausgegangen ist. Demzufolge kann das Interesse der Deutschen Rentenversicherung an der Zusprechung einer schweizerischen Invalidenrente an die Beschwerdeführerin als erstellt gelten. Nach der Rechtsprechung ist dieses Interesse auch schutzwürdig im Sinne von Art. 23 Abs. 2 ATSG (vgl. auch Urteil des BVGer C-2630/2006 vom 24.01.2018 E. 4.3.2, bestätigt mit Urteil des BGer 9C_174/2008). Der Verzicht der Beschwerdeführerin auf ihre schweizerische Invalidenrente würde die schutzwürdigen Interessen der Deutschen Rentenversicherung beeinträchtigen und erweist sich gemäss Art. 23 Abs. 2 ATSG als nichtig.
Die Beschwerdeführerin machte geltend, der Abteilungschef der SAK habe ihr telefonisch vor ca. 1–1.5 Jahren (2019) bestätigt, sie könne ihre Witwenrente wieder haben.
Nach dem in Art. 9 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben kann eine unrichtige Auskunft, welche eine Behörde dem Bürger erteilt, unter gewissen Umständen Rechtswirkungen entfalten. Voraussetzung dafür ist, dass: a) es sich um eine vorbehaltlose Auskunft der Behörden handelt;
b) die Auskunft sich auf eine konkrete, den Bürger berührende Angelegenheit bezieht; c) die Amtsstelle, welche die Auskunft gegeben hat, hiefür zuständig war oder der Bürger sie aus zureichenden Gründen als zuständig betrachten durfte; d) der Bürger die Unrichtigkeit der Auskunft nicht ohne weiteres hat erkennen können; e) der Bürger im Vertrauen hierauf nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Dispositionen getroffen hat; f) die Rechtslage zur Zeit der Verwirklichung noch die gleiche ist wie im Zeitpunkt der Auskunftserteilung; g) das Interesse an der richtigen Durchsetzung des objektiven Rechts dasjenige des Vertrauensschutzes nicht überwiegt. Diese Bedingungen müssen kumulativ erfüllt sein (vgl. Urteil des BGer 9C_296/2020 vom 4. September 2020 m.H.).
Zunächst ist festzuhalten, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Auskunft in den Akten nicht belegt ist. Abgesehen davon, wurde die Beschwerdeführerin gemäss Telefonnotiz am 21. Dezember 2017 darüber informiert, dass ein Rückzug ihres Rentenantrages vorbehältlich schutzwürdiger Interessen Dritter, wie der Deutschen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit möglich sei. Mit Schreiben der SAK vom
4. Januar 2018 wurde sie zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass
bei gleichzeitigem Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente und eine Invalidenrente lediglich die höhere Rente ausgerichtet werde. Nachdem die Beschwerdeführerin weder einen Rückzug des Rentenantrags erklärte noch sich zum Vorbescheid vom 2. Mai 2018 vernehmen liess, erging die Verfügung vom 28. August 2018, welche unangefochten blieb und in Rechtskraft erwuchs. In der Folge wurde ihr rückwirkend ab 1. Juni 2016 die höhere Invalidenrente ausbezahlt. Vor diesem Hintergrund ist fraglich, ob die von der Beschwerdeführerin behauptete – bislang aber unbewiesene – Auskunft im Jahr 2019 vorbehaltlos erfolgte und gegebenenfalls deren Unrichtigkeit nicht erkennbar gewesen wäre. Ungeachtet dessen fehlt es aber ohnehin, an einer nicht ohne Nachteil rückgängig zu machende Disposition, denn im Zeitpunkt der behaupteten Auskunft im Jahr 2019 war die Invalidenrente der Beschwerdeführerin bereits rechtskräftig zugesprochen. Ein Rückzug des Invalidenrentenantrags, wie er im Rentenverfahren 2017/2018 noch zur Diskussion gestanden hatte, war nach rechtskräftigem Abschluss desselben von vornherein nicht mehr möglich. Andere Dispositionen der Beschwerdeführerin sind weder ersichtlich noch werden solche geltend gemacht.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Verzicht der Beschwerdeführerin auf ihre Invalidenrente zugunsten der tieferen Witwenrente aufgrund entgegenstehender schutzwürdiger Interessen Dritter nichtig ist. Ferner kann sie auch nichts aus dem Grundsatz von Treu und Glauben für sich ableiten. Die Beschwerde ist folglich abzuweisen.
Das Beschwerdeverfahren ist kostenpflichtig (Art. 69 Abs. 1bis i.V.m. Art. 69 Abs. 2 IVG), wobei die Verfahrenskosten grundsätzlich der unterliegenden Partei auferlegt werden (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat die unterliegende Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten zu tragen. Diese sind auf Fr. 800.– festzusetzen. Der einbezahlte Kostenvorschuss ist zur Bezahlung der Verfahrenskosten zu verwenden. Der Restbetrag von Fr. 21.59 ist der Beschwerdeführerin nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils auf ein von ihr zu bezeichnendes Konto zurückzuerstatten.
Der unterliegenden Beschwerdeführerin ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 64 Abs. 1 VwVG; Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die obsiegende Vorinstanz hat ebenfalls keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 7 Abs. 3 VGKE).
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 800.– werden der Beschwerdeführerin auferlegt. Der einbezahlte Kostenvorschuss wird zur Bezahlung der Verfahrenskosten verwendet. Der Restbetrag von Fr. 21.59 wird der Beschwerdeführerin nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Einschreiben mit Rückschein; Beilage: Formular «Zahladresse»)
die Vorinstanz (Ref-Nr. […]; Einschreiben)
das Bundesamt für Sozialversicherungen (Einschreiben)
Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
David Weiss Tania Sutter
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
Versand:
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