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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-2415/2020

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-2415/2020

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-2415/2020
Datum:18.06.2020
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Afghanistan; Halbbruder; Recht; Verfügung; Bundesverwaltungsgericht; Asylgesuch; Beschwerdeführers; Schweiz; Rückkehr; Akten; Pakistan; Verfolgung; Heimatstaat; Vorinstanz; Vater; Familie; Flüchtlingseigenschaft; Wegweisung; Verfahren; Über; Furcht; Eingabe; ätten
Rechtsnorm: Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-2415/2020

U r t e i l  v o m  1 8.  J u n i  2 0 2 0

Besetzung Einzelrichter Markus König,

mit Zustimmung von Richter Jürg Marcel Tiefenthal; Gerichtsschreiberin Eveline Chastonay.

Parteien A. , geboren am ( ), Afghanistan,

vertreten durch Fürsprecherin Laura Rossi, ( ),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);

Verfügung des SEM vom 8. April 2020 / N ( ).

Sachverhalt:

I.

A.

    1. Der Beschwerdeführer ersuchte im Sommer 2010 mit einer Eingabe an die Schweizer Vertretung in Teheran für sich und mehrere Angehörige um Schutz und Unterstützung. In einer Aktennotiz vom 27. Juli 2010 hielt die Botschaft fest, ein Telefongespräch mit dem Beschwerdeführer habe ergeben, dass dieser mit seinem Schreiben ein Asylgesuch aus dem Ausland stellen wolle; dies wurde unter der Verfahrensnummer N ( ) registriert.

    2. Am 30. Januar 2014 wurden der Beschwerdeführer und seine Ehefrau auf der Botschaft angehört. Das Asylgesuch wurde dabei im Wesentlichen damit begründet, dass der Vater des Beschwerdeführers, ein langjähriger Angestellter der Botschaft der Vereinigten Staaten in Kabul, von Islamisten ermordet worden sei, die nun ihn und seine Brüder zu töten versuchen würden. Die Familie habe sich daraufhin im Jahr 2000 im Iran in Sicherheit gebracht. Er sei nach vielen Jahren Aufenthalt im Iran nun von einer Deportation nach Afghanistan bedroht und müsse sich vor den iranischen Behörden verstecken.

A.c

Mit Verfügung vom 25. November 2015 wies das SEM das Asylgesuch aus dem Ausland ab und begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer und seine Familie im Iran Schutz vor den befürchteten Nachstellungen im Heimatstaat gefunden hätten, zumal die iranischen Ausländerbehörden die Deportation nach Afghanistan mehrere Jahre lang nicht durchgeführt hätten. Gemäss Akten erwuchs diese Verfügung unangefochten in Rechtskraft.

II.

B.

Der Beschwerdeführer stellte am 19. Januar 2016 in der Schweiz ein (Inland-) Asylgesuch. Am 29. Januar 2016 fand seine Befragung zur Person (BzP) statt; am 18. April 2018 sowie am 23. Mai 2018 wurden die Anhörungen des Beschwerdeführers zu den Asylgründen gemäss Art. 29 Abs. 1 AsylG (SR 142.31) durchgeführt.

    1. Der Beschwerdeführer führte zur Begründung seines Asylgesuchs in der BzP aus, er sei nach der Tötung seines Vaters durch Dorfbewohner, als er noch ein Kind gewesen sei, mit der Familie über Pakistan in den Iran gegangen. Er sei vor den Mördern seines Vaters auch im Iran nicht in Sicherheit. Im Iran habe er keine reguläre Aufenthaltsbewilligung erlangen können und sei von den Behörden diskriminiert und mit der Rückschaffung nach Afghanistan bedroht worden. Seine Frau und Angehörige seiner Ursprungsfamilie würden immer noch in Teheran leben.

    2. Mit Zwischenverfügung vom 6. April 2016 beendete das SEM ein (zuvor eingeleitetes) Dublin-Zuständigkeitsverfahren.

    3. In einer Eingabe an das SEM vom 9. Februar 2018 teilte das B. mit, der Beschwerdeführer habe in der Vergangenheit schreckliche Dinge erlebt, von denen er selbst in seiner Therapie noch nicht alles habe erzählen können. Er leide unter einer schweren Posttraumatischen Störung und die lange Wartezeit sei für ihn unerträglich. Es werde darum gebeten, ihn möglichst rasch zu seinem Asylgesuch anzuhören und über das Gesuch zu entscheiden.

      In der Folge reichte das B. einen ausführlichen Arztbericht vom

      19. März 2018 zu den Akten, in dem für den Beschwerdeführer die Diagnosen Posttraumatische Belastungsstörung mit dissoziativen Phänomenen, Opfer von Krieg, von Folterung und sexueller Gewalt gestellt wurden. Anamnestisch wurde unter anderem ausgeführt, ein Stiefbruder habe den Beschwerdeführer im Iran jahrelang festgehalten und sexuell ausgebeutet. Eines Tages habe er (Beschwerdeführer) das Haus, in dem er eingesperrt gewesen sei, verlassen können; er habe einen starken Hass und Rachedrang verspürt und sei deshalb mit einem Messer zum Haus des Stiefbruders gegangen; als dieser zur Tür gekommen sei, habe er auf ihn eingestochen und sei dann in Panik geflohen

    4. Am 7. März 2018 und am 15. November 2019 wurde der Beschwerdeführer zu seinen Asylgründen angehört. Er führte dabei im Wesentlichen aus, nach der Ermordung seines Vaters habe sein Stiefonkel die Mutter zu einer Heirat mit ihm zwingen wollen, weshalb diese mit ihren Kindern nach Pakistan gegangen sei, wo sie in einem Flüchtlingslager in prekären Verhältnissen gelebt hätten. Er habe in einer Bäckerei arbeiten müssen, wo er ausgenützt und erniedrigt worden sei. Einige Jahre später habe sich die Familie in Teheran niedergelassen, nachdem es der Mutter gelungen sei, dort seinen Halbbruder ausfindig zu machen. Er habe in dessen Restaurant

gearbeitet und sei von ihm misshandelt und bedroht worden. Der Halbbruder sei ein wichtiger Geschäftsmann gewesen und habe auch illegale Geschäfte mit Partnern in verschiedenen Ländern abgewickelt. Mit der Zeit habe er angefangen, ihn auch sexuell zu misshandeln und auszunutzen. Er habe Frauenkleider tragen, sich mit Glöckchen behängen und so vor dem Halbbruder und dessen Gästen tanzen müssen, und dieser habe ihn immer wieder zum sexuellen Verkehr mit ihm gezwungen. Zweimal habe er erfolglos versucht, vor diesem schlimmen Mann nach Pakistan zu fliehen; Geschäftspartner seines Halbbruders hätten ihn dort aufgespürt und in den Iran zurückgebracht. Der Halbbruder habe daraufhin von ihm verlangt, Crystal Meth von Afghanistan in den Iran zu schmuggeln. Weil er dies verweigert habe, sei er massiven Schlägen ausgesetzt worden. Er habe während dieses Angriffs auf dem Tisch vor sich ein Obstmesser gesehen, und es sei ihm gelungen, dieses zu ergreifen und dem Halbbruder in den Bauch zu stossen. Er habe damals gemeint, er habe ihn tödlich verwundet; später habe er erfahren, dass er den Halbbruder nur verletzt habe. Aus Angst vor dessen Rachehandlungen habe der Beschwerdeführer daraufhin den Iran verlassen und sei nach Europa geflüchtet. Für den Fall einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, vom Halbbruder aufgespürt zu werden; dieser verfüge im Heimatland über eine sehr grosse Familie, die vermutungsweise im Jahr 1995 seinen Vater ermordet habe.

C.

Mit Verfügung vom 8. April 2020 - eröffnet am folgenden Tag - stellte das SEM fest, dass der Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft nicht erfülle, lehnte sein Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz an. Hingegen verfügte es, dass der Vollzug der Wegweisung wegen Unzumutbarkeit zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufgeschoben werde.

D.

Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 7. Mai 2020 legte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen den Asylentscheid des SEM ein und beantragte, die Dispositivziffern 1-3 des Asylentscheids seien aufzuheben und ihm sei unter Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft Asyl zu gewähren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung (unter Beiordnung der Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin) sowie um Befreiung von der Kostenvorschusspflicht. Mit der Beschwerde

wurden unter anderem mehrere Arztberichte und eine Auskunft der Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) zu den Akten gereicht.

E.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte am 8. Mai 2020 den Eingang der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls - in der Regel und auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Am 1. März 2019 ist eine Teilrevision des AsylG in Kraft getreten (AS 2016 3101); für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom

      25. September 2015).

    3. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).

    4. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

Über offensichtlich unbegründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Wie nachstehend aufgezeigt wird, handelt es sich um eine solche Beschwerde, weshalb das Urteil nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).

Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.

4.

    1. In der Beschwerde wird vorab ausgeführt, das vorliegende Asylverfahren habe überaus lange gedauert, und die Eröffnung der Verfügung Anfang April 2020 erwecke den Eindruck, dass das SEM den Entscheid bewusst genau in dem Moment gefällt habe, in welchem es dem Beschwerdeführer wegen der Corona-Pandemie massiv erschwert gewesen sei, von seiner Beschwerdemöglichkeit Gebrauch zu machen.

      1. Nach Durchsicht der Akten ist zwar festzustellen, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers - auch bei Berücksichtigung der überdurchschnittlichen Komplexität der Sachverhaltsfeststellung - in der Tat viel zu lange gedauert hat (vgl. auch die erstinstanzlichen Behandlungsfristen von aArt. 37 AsylG). Für ein angeblich böswilliges Verhalten der Vorinstanz ergeben sich jedoch keinerlei Hinweise.

      2. In diesem Zusammenhang fällt nach Durchsicht der Akten auf, dass der Beschwerdeführer das SEM vor Erlass der angefochtenen Verfügung mehrmals aufgefordert hatte, nun endlich über sein Asylgesuch zu befinden (vgl. Aktenstücke A38, A41, A42, A44 und A48). In der letzten entsprechenden Eingabe vom 31. Januar 2020 führte er aus, wenn bis zum

21. Februar 2020 kein Asylentscheid ergehe, werde er seine Anwältin mit der Einreichung einer Rechtsverzögerungsbeschwerde beauftragen. Angesichts der Tatsache, dass das SEM kurze Zeit nach Ablauf dieses Ultimatums über das Asylgesuch befunden hat, erscheint die Mutmassung des Beschwerdeführers respektive seiner Rechtsvertreterin unverständlich, das SEM habe den Entscheid nur zu diesem Zeitpunkt getroffen, um ihm zu schaden.

    1. Der Beschwerdeführer ist durch eine patentierte Rechtsanwältin vertreten, die nach einem telefonischen Instruktionsgespräch ein einlässlich begründetes - und offensichtlich rechtsgenügliches - Rechtsmittel eingereicht hat. Hinweise auf Missverständnisse zwischen ihr und ihrem Mandanten ergeben sich aus der Begründung der Beschwerde nicht. Darin wird auch nicht substanziiert, welche Beweismittel noch nachgereicht würden und was damit bewiesen werden solle. Seit Einreichung der Beschwerde am 7. Mai 2020 wurden keine weiteren Eingaben mit Beweismitteln des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt.

    2. Über das spruchreife Rechtsmittel kann damit heute entschieden werden.

5.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

6.

    1. Die Vorinstanz stellte sich in der angefochtenen Verfügung im Asylpunkt im Wesentlichen auf den Standpunkt, den im Iran (und in Pakistan) erlittenen Nachteilen sei die flüchtlingsrechtliche Relevanz abzusprechen, und für die Annahme einer begründeten Furcht vor zukünftiger Verfolgung im Heimatstaat Afghanistan würden die objektiven Anhaltspunkte fehlen.

      Bei der tragischen Tötung des Vaters im Jahr 1995 habe es sich nicht um eine gezielt gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgungsmassnahme gehandelt, zumal er persönlich in diesem Zusammenhang nie irgendwelchen Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei. Die schlechte Behandlung in einer Bäckerei in Pakistan und die massiven Übergriffe durch seinen Halbbruder würden vom SEM ebenso wenig bestritten wie die schweren psychischen Folgen, an denen der Beschwerdeführer immer noch leide. Diese Erlebnisse hätten sich jedoch nicht im Heimatstaat Afghanistan, sondern in Drittstaaten ereignet. Sie seien dem Beschwerdeführer überdies nicht aus einem der im Asylgesetz genannten Verfolgungsmotive zugefügt worden; die sexuelle und wirtschaftliche Ausbeutung sei vielmehr auf kriminelle Handlungen zurückzuführen. Abgesehen von dieser juristischen Einordnung sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan weitere Nachteile durch seinen Halbbruder zu befürchten hätte. Es wäre auch nicht davon auszugehen, dass die von diesem verübten Übergriffe der Verwandtschaft in Afghanistan bekannt geworden seien. Die subjektive Befürchtung des Beschwerdeführers, durch den Halbbruder in Afghanistan (und in der Schweiz) gefährdet zu sein, sei objektiv nicht begründet. Soweit der Beschwerdeführer befürchte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den heimatlichen Behörden zur Rechenschaft gezogen zu werden, weil er den Stiefbruder mit einem Messer verletzt habe, wären solche Massnahmen ausschliesslich strafrechtlicher Natur und flüchtlingsrechtlich ebenfalls nicht relevant.

    2. Der Beschwerdeführer liess in seinem Rechtsmittel inhaltlich im Wesentlichen Folgendes ausführen: Er sei in der Vergangenheit unbestrittenermassen durch seinen einflussreichen Halbbruder erheblichen Nachteilen im Sinn des Asylgesetzes ausgesetzt worden und hätte bei einer Rückkehr nach Afghanistan begründete Furcht vor weiteren solchen Verfolgungsmassnahmen. Vom Halbbruder sei er als (Sex-) Sklave und Tanzknabe (Bacha Bazi) gehalten worden, und das Bundesverwaltungsgericht habe bereits in einem Urteil D-262/2017 vom 1. Mai 2017 festgehalten, dass zumindest für die Jahre der als Tanzjunge erlittenen Übergriffe die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe zu bejahen sei. Der afghanische Staat sei mit Bezug auf Opfer sexualisierter Gewalt und für Bacha Bazi nicht schutzfähig. Er erfülle damit die Flüchtlingseigenschaft.

7.

    1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Die von ihm geltend gemachten Nachteile hat er in Drittstaaten (Pakistan und insbesondere Iran) erlitten. Die Definition der Flüchtlingseigenschaft beinhaltet

      - vorbehältlich der hier nicht gegebenen Situation von staatenlosen Personen - zwingend eine Verfolgung im Heimatstaat (vgl. statt vieler etwa das Urteil BVGer D-6359/2018 vom 28. Oktober 2019 E. 6.2.6. m.w.H.). Damit kann in einem ersten Fazit festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Vergangenheit keiner flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt war.

    2. Damit stellt sich die Anschlussfrage, ob der Beschwerdeführer begründete Furcht vor zukünftiger Verfolgung hat.

      1. In der Beschwerde wird dies geltend gemacht und einleitend ausgeführt, es sei "nicht von vornherein auszuschliessen, dass der Halbbruder [ ] ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan dort [ ] aufspüren könnte", zumal ihm dies auch bei seinen beiden Fluchtversuchen nach Pakistan gelungen sei (vgl. Beschwerde S. 6).

      2. Mit dieser Argumentation verkennt der Beschwerdeführer offenbar die rechtlichen Voraussetzungen für die Annahme einer begründeten Furcht: Diese würde nach konstanter Praxis unter anderem voraussetzen, dass er bei einer Rückkehr erhebliche Nachteile gemäss Art. 3 Abs. 2 AsylG mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft zu gewärtigen hätte (vgl. etwa BVGE 2013/11 E. 5.1 und 2011/51 E. 6.1, je m.w.H.).

      3. Dies ist - ungeachtet der Tatsache, dass der Beschwerdeführer in der Schweiz vorläufig aufgenommen ist und eine Rückkehr nach Afghanistan demnach ohnehin nicht absehbar ist - offenkundig nicht der Fall: Die Akten lassen den Schluss nicht zu, dass es dem Halbbruder nach der hypothetischen Rückkehr des Beschwerdeführers in sein riesiges Heimatland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft gelingen könnte, ihn überhaupt aufzuspüren. Die Darstellung des Beschwerdeführers, der Halbbruder könne sich in den Ländern Saudi-Arabien, Iran, Pakistan und Afghanistan nach Belieben aufhalten und sich dort, ohne Furcht vor irgendwelchen Konsequenzen, nach Belieben wie ein König benehmen (vgl. Protokoll A47 S. 6 ff.), ist objektiv unrealistisch.

      4. Hinzu kommt, dass in der Tat das voraussichtliche Verhalten des Halbbruders nicht hervorsehbar wäre (vgl. Beschwerde S. 9), zumal der Beschwerdeführer angegeben hat, sich vor der Ausreise gegen diesen gewehrt und ihn mit einem Messer verletzt zu haben.

    1. Die vorinstanzliche Argumentation ist zudem auch mit Bezug auf das flüchtlingsrechtliche Verfolgungsmotiv zu bestätigen:

      1. In der Beschwerde lässt der Beschwerdeführer - soweit ersichtlich erstmals in seinen beiden Asylverfahren - ausführen, er sei ein Bacha Bazi gewesen.

      2. Gemäss der mit der Beschwerde eingereichten Dokumentation der SFH "Afghanistan: Bacha Bazi" vom 11. März 2013 handelt es sich beim Phänomen der Bacha Bazi (Knabenspiel) um Praktiken, die ursprünglich im Einflussbereich tadschikischer und usbekischer Warlords im Norden Afghanistans verbreitet waren und inzwischen auch in südlicheren Regionen des Landes und in Kabul festzustellen seien (vgl. a.a.O. S. 2). Dabei würden sich reiche, einflussreiche Männer Knaben zwischen elf und sechzehn Jahren halten, die als Frauen verkleidet an Festen tanzen müssten, wobei es in vielen Fällen auch zu sexuellem Missbrauch komme (vgl. a.a.O. S. 1). Sobald bei den betroffenen Jugendlichen der Bartwuchs einsetze, würden sie gegen jüngere Knaben ausgetauscht.

      3. Der Beschwerdeführer, der gemäss seiner Darstellung als ( )-jähriger Erwachsener aus den Fängen des Halbbruders geflohen ist, entspricht schon mit Bezug auf den Ort der erlittenen Nachteile und sein Alter nicht diesem Bild. Die von ihm beschriebene Situation unterscheidet sich offensichtlich auch in mehrfacher Hinsicht von derjenigen des Beschwerdeführers im Verfahren D-262/2017 (vgl. Beschwerde S. 7), der im Lebensalter von zehn bis achtzehn Jahren in Afghanistan als Tanzjunge und Sexsklave entführt wurde und den Heimatstaat ungefähr im Zeitpunkt des Erreichens der Volljährigkeit verliess.

      4. Personen, die von einem Verwandten ausserhalb des Heimatstaates wirtschaftlich und sexuell ausgebeutet werden, stellen als solche keine soziale Gruppe im Sinn von Art. 3 Abs. 2 AsylG dar; vielmehr sind sie, wie die Vorinstanz zutreffend festgestellt hat, Opfer krimineller Machenschaften.

      5. Die Feststellung des SEM, allfällige strafrechtliche Massnahmen, die der Beschwerdeführer in Afghanistan wegen seines Messerangriffs zu gewärtigen hätte, wären flüchtlingsrechtlich ebenfalls nicht relevant motiviert (vgl. angefochtene Verfügung S. 4), wurde in der Beschwerde zu Recht nicht bestritten.

    1. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer bei einer hypothetischen Rückkehr nach Afghanistan nicht befürchten müsste, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit und in absehbarer Zukunft flüchtlingsrechtlich relevante Nachteile zu erleiden.

    2. Der Beschwerdeführer erfüllt nach dem Gesagten die Flüchtlingseigenschaft nicht. Das SEM hat sein Asylgesuch zu Recht abgelehnt.

    3. Bei dieser Sachlage kann das Bundesverwaltungsgericht darauf verzichten, die Glaubhaftigkeit der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers zu überprüfen.

8.

    1. Lehnt das Staatssekretariat das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG).

    2. Der Beschwerdeführer verfügt insbesondere weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Auch die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

    3. Nachdem das SEM in seiner Verfügung vom 8. April 2020 die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers in der Schweiz anordnet hat, erübrigen sich praxisgemäss Ausführungen zur Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs.

9.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

Die Beschwerde ist abzuweisen.

10.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750. festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Die Beschwerdebegehren waren aussichtslos im Sinn von Art. 65 Abs. 1 VwVG. Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und um unentgeltliche Rechtsverbeiständung gemäss aArt. 110a AsylG sind deshalb ungeachtet der Frage der Mittellosigkeit abzuweisen. Der Antrag auf Befreiung von der Kostenvorschusspflicht wird mit dem vorliegenden Entscheid gegenstandslos.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Rechtsverbeiständung werden abgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:

Markus König Eveline Chastonay

Versand:

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