E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil E-3260/2020

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-3260/2020
Datum:14.07.2020
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Bundesverwaltungsgericht; Flüchtling; Vorinstanz; Verfügung; Akten; Beschwerdeführers; Reflexverfolgung; Schweiz; Flüchtlingseigenschaft; Wegweisung; Befragung; Verfahren; Recht; Vorbringen; Sachverhalt; SEM-Akten; Urteil; Glaubhaft; Behörde; Gericht; Erwägungen; Aussagen; Probleme; Befragungen; Richter; Syrien
Rechtsnorm: Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-3260/2020

U r t e i l  v o m  1 4.  J u l i  2 0 2 0

Besetzung Einzelrichter David R. Wenger,

mit Zustimmung von Richter Gérard Scherrer; Gerichtsschreiber Michal Koebel.

Parteien A. , geboren am ( ), Syrien,

( ),

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);

Verfügung des SEM vom 25. Mai 2020 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer suchte am 3. Oktober 2017 in der Schweiz um Asyl nach. Anlässlich der Befragung zur Person vom 13. Oktober 2017, der Anhörung vom 26. September 2019 und der ergänzenden Anhörung vom

2. März 2020 machte er geltend, er sei syrischer Staatsangehöriger kurdischer Ethnie. Er sei Mitglied des B. und Mitglied des regionalen C. gewesen. Er habe kurdischen Deserteuren geholfen, indem er sie im kurdischen Kulturzentrum D. in E. beherbergt habe. Zudem habe er mit drei Kollegen gefälschte Karten gedruckt, die den Deserteuren ermöglicht hätten, die Kontrollen zu passieren, um nach Hause zu gelangen. Das sei aufgeflogen, weshalb er befürchtet habe, verhaftet zu werden und die Hilfsaktionen für die kurdischen Soldaten beendet habe. Er habe Syrien schliesslich im Frühjahr 2014 auch wegen fehlender Arbeit und der allgemeinen Lage vor Ort verlassen. Inzwischen sei er von der Mutter seiner fünf Kinder geschieden und habe ( ) in Istanbul eine Marokkanerin geheiratet.

B.

Mit Verfügung vom 25. Mai 2020 stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte das Asylgesuch ab, verfügte die Wegweisung aus der Schweiz und ordnete aufgrund der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme an.

C.

Mit Eingabe vom 25. Juni 2020 reichte der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein und beantragte, es sei die angefochtene Verfügung des SEM vom 25. Mai 2020 aufzuheben, die Flüchtlingseigenschaft anzuerkennen und Asyl zu gewähren. Eventualiter sei er als Flüchtling vorläufig aufzunehmen. Subeventualiter sei die Sache zur hinreichenden Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht sei auf die Erhebung eines Kostenvorschusses zu verzichten und die unentgeltliche Prozessführung zu gewähren.

D.

Mit Schreiben vom 2. Juli 2020 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Am 1. März 2019 ist die Teilrevision (AS 2016 3101) des Asylgesetzes vom

26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).

2.

Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend

- endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG, Art. 105 AsylG). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (aArt. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

3.

    1. Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG.

    2. Der Wegweisungsvollzug wurde zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufgeschoben und bildet deshalb nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.

    3. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung einer zweiten Richterin oder eines zweiten Richters (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Weiterungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).

4.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (vgl. Art. 3 AsylG).

    2. Die Flüchtlingseigenschaft muss nachweisen oder zumindest glaubhaft machen, wer um Asyl nachsucht (Art. 7 Abs. 1 AsylG). Glaubhaft gemacht ist die Flüchtlingseigenschaft, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 Abs. 2 und 3 AsylG). Das Bundesverwaltungsgericht hat die Anforderungen an das Glaubhaftmachen der Vorbringen in einem publizierten Entscheid dargelegt und folgt dabei ständiger Praxis. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. BVGE 2015/3 E. 6.5.1, m.w.H.).

5.

    1. Nach Prüfung der Akten durch das Gericht ist in Übereinstimmung mit der Vorinstanz festzustellen, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers weder den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft noch an das Glaubhaftmachen standzuhalten vermögen, weshalb vorab auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz zu verweisen ist, die insbesondere zum Schluss kam, die Aussagen des Beschwerdeführers - der keine Reflexverfolgung geltend gemacht habe - seien unglaubhaft, weil sie zu zentralen Elementen widersprüchlich und oberflächlich ausgefallen seien. Die vorinstanzlichen Erwägungen sind weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht zu beanstanden. Die angefochtene Verfügung ist ausreichend begründet, zumal sich die Vorinstanz nicht mit jedem Argument auseinanderzusetzen hat. Dass eine sachgerechte Anfechtung möglich war, zeigt die Beschwerde selbst. Der Sachverhalt ist ausreichend abgeklärt. Die entsprechenden oberflächlich getätigten Rügen erweisen sich als unbegründet.

      Es trifft zu, dass im Rahmen von Krieg oder Situationen allgemeiner Gewalt erlittene Nachteile oder Probleme wirtschaftlicher Natur keine Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes darstellen und somit die diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz zu entfalten vermögen.

      Die im Zentrum der Fluchtgeschichte stehende Suche nach dem Beschwerdeführer erweist sich als reine Vermutung, die ausschliesslich auf Informationen Dritter basiert (hierzu z. B. SEM-Akten C9 Ziff. 7.02). Zudem gab er mehrmals zu Protokoll, keine sonstigen Probleme mit den syrischen Behörden gehabt zu haben (z. B. SEM-Akten C9 Ziff. 7.02, C19 F84 ff. insb. F87). Vorbringen, die sich lediglich auf Informationen Dritter stützen, sind nicht nur stereotyp, mithin unglaubhaft, sondern genügen auch nicht

      den Anforderungen an eine Verfolgung im asylrechtlichen Sinne (vgl. Urteile des BVGer E-801/2015 vom 6. Oktober 2017 E. 3.7, E-4329/2006 vom 17. Oktober 2011 E. 4.4, «Le Tribunal rappelle également que, de pratique constante, il considère que le fait d'avoir appris un événement par des tiers ne suffit pas pour établir l'existence d'une crainte fondée de future persécution», vgl. auch D-6056/2016 vom 19. Januar 2018 E. 5.2). Sodann trifft zu, dass die Aussagen des Beschwerdeführers in den verschiedenen Befragungen zu zentralen Elementen wesentlich voneinander abweichen (namentlich zu den Überbringern beziehungsweise zur Übermittlung der Information, zu Zeitangaben der darauffolgenden Abreise, zur Anzahl Personen, zum Ablauf des Fälschungsprozesses, SEM-Akten C9 Ziff. 7.02, C19 F65 und F99, C23 F22 ff. und F54 ff.). Aussagen, die in der Erstbefragung von den späteren Aussagen abweichen, sind Widersprüche, die im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen sind (so bereits Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1993 Nr. 3 E. 3). Schliesslich sind die Ausführungen in Bezug auf die angeblichen politischen Aktivitäten oberflächlich ausgefallen und hinterlassen einen stereotypen Eindruck; ihnen ist auch aus diesem Grund die Glaubhaftigkeit abzusprechen.

      Was die erst auf Beschwerdeebene geltend gemachte Reflexverfolgung anbelangt, ist der Vorinstanz darin beizupflichten, dass der Beschwerdeführer in keiner der drei Befragungen entsprechende Probleme geltend machte und es nicht genügt, lediglich Vater oder Ex-Mann von anerkannten Flüchtlingen mit Asylstatus zu sein. Vielmehr müssen konkrete und präzise Hinweise vorliegen, um eine Furcht vor Reflexverfolgung objektiv zu begründen. In der Beschwerdeschrift wird nicht ausgeführt, aus welchen konkreten Gründen die Gefahr einer Reflexverfolgung des Beschwerdeführers aufgrund seiner Familienangehörigen genau bestehen soll. Mithin werden im Beschwerdeverfahren keine konkreten Gründe vorgebracht, weshalb der Beschwerdeführer zum heutigen oder einem künftigen Zeitpunkt aufgrund seiner Ex-Frau, Kinder oder allenfalls seiner Schwester persönlich einer asylrechtlich relevanten Gefährdung ausgesetzt sein könnte. Es trifft zwar zu, dass mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-2/2017 vom

      17. Dezember 2018 eine Verfügung des SEM betreffend eine Tochter des Beschwerdeführers kassiert wurde. Es trifft ebenfalls zu, dass darin festgehalten wurde, dass auch Ehepartner und entfernte Verwandte Reflexverfolgung ausgesetzt sein können. Vor dem Hintergrund jedoch, dass der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Verfahren keine Reflexverfolgung geltend machte und stattdessen erklärte, keine Probleme mit den Behörden gehabt zu haben, ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer - der nach seiner Ex-Frau aus Syrien ausgereist ist - entsprechende Nachteile wegen ihr zu gewärtigen hatte. Hinzu kommt, dass er nicht nur seit längerer Zeit von ihr geschieden ist und eine neue Frau geheiratet hat, sondern, dass sich seine Wege von denjenigen seiner Ex-Frau und Kindern bereits seit langer Zeit getrennt haben (z. B. SEM-Akten C19 F96). Die Erklärung, er habe die Reflexverfolgung in den Befragungen nicht erwähnt, weil er nicht danach gefragt worden sei, geht ins Leere, hat er doch die Kenntnisnahme seiner Wahrheitsund Vollständigkeitspflicht schriftlich bestätigt und in jeder der drei Befragungen bestätigt, keine weiteren als die dargelegten Asylgründe zu haben. Auch aus dem Kassationsurteil des Bundesverwaltungsgerichts E-1511/2018 vom 1. Mai 2018 und dem pauschalen Hinweis auf seine Schwester kann der Beschwerdeführer nichts zu seinen Gunsten ableiten.

      Im Übrigen ist anzumerken, dass das dargelegte exilpolitische Engagement des Beschwerdeführers (normaler Demonstrant an ungefähr zehn Demonstrationen in der Schweiz, hierzu z. B. SEM-Akten C23 F74 ff.) nicht über die massentypischen und niedrigprofilierten Erscheinungsformen exilpolitischer Proteste gegen das syrische Regime hinausgeht und keine weiteren glaubhaften Aktivitäten aktenkundig sind, die ihn als ernsthaften und potenziell gefährlichen Regimegegner erscheinen lassen könnten.

    2. Angesichts der aufgezeigten Sachlage erübrigt es sich, auf weitere Ausführungen in der Beschwerde einzugehen, da diese nicht geeignet sind, zu einer anderen rechtlichen Würdigung der Aktenlage zu führen. Es ist festzustellen, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, einen flüchtlingsrechtlich bedeutsamen Sachverhalt darzulegen. Die Feststellung der Vorinstanz, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht, ist dementsprechend zu bestätigen. Die Vorinstanz hat das Asylgesuch zu Recht abgelehnt.

6.

Gemäss Art. 44 AsylG verfügt das Staatssekretariat in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz, wenn es das Asylgesuch ablehnt oder darauf nicht eintritt. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen (vgl. BVGE 2009/50 E. 9). Die Wegweisung wurde zu Recht angeordnet.

7.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig und vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist abzuweisen. Nach dem Gesagten besteht auch kein Anlass zur Rückweisung der Sache an die Vorinstanz, der Subeventualantrag ist ebenfalls abzuweisen.

8.

    1. Der Beschwerdeführer beantragt die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass seine Begehren als aussichtslos zu gelten haben. Damit ist eine der kumulativ zu erfüllenden Voraussetzungen nicht gegeben, weshalb dem Gesuch nicht stattzugeben ist.

    2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten von Fr. 750.- (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE], SR 173.320.2) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Mit vorliegendem Urteil ist der Antrag auf Verzicht auf Erhebung eines Kostenvorschusses gegenstandslos geworden.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.

Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zu Gunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Der Einzelrichter: Der Gerichtsschreiber:

David R. Wenger Michal Koebel

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.