Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-4584/2020 |
Datum: | 17.09.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren) |
Schlagwörter : | ändig; Italien; Recht; Beschwerdeführers; Dublin-III-VO; Akten; Asylgesuch; Verfahren; Behörden; Asyls; Überstellung; Bundesverwaltungsgericht; Urteil; Vorinstanz; Verfügung; Asylsuchende; Sachverhalt; Staat; Deutschland; Zuständigkeit; Vollzug; Dublin-Gesprächs; Mitgliedstaat; Schutz; Person |
Rechtsnorm: | Art. 48 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung VI F-4584/2020
Besetzung Einzelrichterin Regula Schenker Senn,
mit Zustimmung von Richter Yannick Antoniazza-Hafner, Gerichtsschreiberin Susanne Stockmeyer.
Parteien X. , geboren […], vertreten durch
MLaw Anja Freienstein, Rechtsschutz für Asylsuchende, Beschwerdeführer,
gegen
Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Nichteintreten auf Asylgesuch und Wegweisung (Dublin-Verfahren);
Verfügung des SEM vom 7. September 2020 / […].
Der Beschwerdeführer reichte am 14. August 2020 im Bundesasylzentrum Boudry ein Asylgesuch ein. Ein Abgleich seiner Fingerabdrücke mit der
«Eurodac»-Datenbank ergab, dass er am 8. Juli 2015 in Deutschland und am 25. Juni 2020 in Italien um Asyl nachgesucht hatte.
Im Rahmen des Dublin-Gesprächs vom 27. August 2020 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer im Beisein der zugewiesenen Rechtsvertretung das rechtliche Gehör zur Zuständigkeit Deutschlands oder Italiens für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens, zu einer allfälligen Rückkehr dorthin sowie zum medizinischen Sachverhalt.
Am 19. August 2020 ersuchte das SEM die italienischen Behörden um Übernahme des Beschwerdeführers gemäss Art. 18 Abs. 1 Bst. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (nachfolgend: Dublin-III-VO). Die italienischen Behörden stimmten dem Übernahmeersuchen 2. September 2020 zu.
Mit Verfügung vom 7. September 2020 (eröffnet am 8. September 2020) trat die Vorinstanz in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht ein, verfügte seine Überstellung nach Italien und forderte ihn – unter Androhung von Zwangsmassnahmen im Unterlassungsfall – auf, die Schweiz spätestens am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist zu verlassen. Gleichzeitig beauftragte das SEM den Kanton Bern mit dem Vollzug der Wegweisung, händigte dem Beschwerdeführer die editionspflichtigen Akten gemäss Aktenverzeichnis aus und stellte fest, dass einer allfälligen Beschwerde gegen den Entscheid keine aufschiebende Wirkung zukomme.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 15. September 2020 liess der Beschwerdeführer beantragen, die angefochtene Verfügung sei aufzuheben; die Sache sei zur vollständigen Sachverhaltsabklärung an
die Vorinstanz zurückzuweisen; eventualiter sei das SEM anzuweisen, individuelle Zusicherungen bezüglich Zugang zum Asylverfahren, adäquater medizinischer Versorgung sowie Unterbringung von den italienischen Behörden einzuholen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Der Beschwerde sei überdies die aufschiebende Wirkung zu gewähren und die Vorinstanz sowie die Vollzugsbehörden seien im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen unverzüglich anzuweisen, bis zum Entscheid über das vorliegende Rechtsmittel von jeglichen Vollzugshandlungen abzusehen.
Am 16. September 2020 setzte die Instruktionsrichterin gestützt auf Art. 56 VwVG den Vollzug der Überstellung per sofort einstweilen aus. Die vorinstanzlichen Akten lagen dem Bundesverwaltungsgericht gleichentags in elektronischer Form vor (Art. 109 Abs. 3 AsylG).
Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen des SEM (Art. 105 AsylG, Art. 31 und 33 Bst. b VGG). Auf dem Gebiet des Asyls entscheidet es in der Regel – und so auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 105 AsylG und Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 Abs. 3 AsylG sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten
Richters oder einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG), ohne Durchführung eines Schriftenwechsels und mit summarischer Urteilsbegründung, zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Bei Beschwerden gegen Nichteintretensentscheide, mit denen es das SEM ablehnt, ein Asylgesuch auf seine Begründetheit hin zu überprüfen (Art. 31a Abs. 1-3 AsylG), ist die Beurteilungskompetenz der Beschwerdeinstanz grundsätzlich auf die Frage beschränkt, ob die Vorinstanz zu Recht auf das Asylgesuch nicht eingetreten ist (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 3.1; 2012/4 E. 2.2, je m.H.).
Auf Asylgesuche wird in der Regel nicht eingetreten, wenn Asylsuchende in einen Drittstaat ausreisen können, der für die Durchführung des Asylund Wegweisungsverfahrens staatsvertraglich zuständig ist (Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG). Zur Bestimmung des staatsvertraglich zuständigen Staates prüft das SEM die Zuständigkeitskriterien gemäss Dublin-III-VO. Führt diese Prüfung zur Feststellung, dass ein anderer Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylgesuchs zuständig ist, tritt das SEM, nachdem der betreffende Staat einer Überstellung oder Rücküberstellung zugestimmt hat, auf das Asylgesuch nicht ein (vgl. BVGE 2017 VI/5 E. 6.2).
Gemäss Art. 3 Abs. 1 Dublin-III-VO wird jeder Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Asylantrag gestellt wird (Art. 20 Abs. 1 Dublin-III-VO). Im Fall eines sogenannten Aufnahmeverfahrens («take charge») sind die in Kapitel III (Art. 8–15 Dublin-III-VO) genannten Kriterien in der dort aufgeführten Rangfolge (Prinzip der Hierarchie der Zuständigkeitskriterien; vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin-III-VO) anzuwenden, und es ist von der Situation im Zeitpunkt, in dem die betreffende Person erstmals einen Antrag in einem Mit-
gliedstaat gestellt hat, auszugehen (Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO). Im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens («take back») findet demgegenüber grundsätzlich keine (erneute) Zuständigkeitsprüfung nach Kapitel III statt (vgl. zum Ganzen BVGE 2017 VI/5 E. 6.2 und 8.2.1 m.H.).
Der Beschwerdeführer hat gemäss «Eurodac»-Datenbank am 25. Juni 2020 in Italien ein Asylgesuch gestellt. Die italienischen Behörden haben dem Übernahmeersuchen im Sinne von Art. 18 Abs. 1 Bst. b Dublin-III-VO am 2. September 2020 zugestimmt. Die grundsätzliche Zuständigkeit Italiens ist somit gegeben und wird im Übrigen auch nicht bestritten.
Italien ist Signatarstaat der EMRK, des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) sowie des Zusatzprotokolls der FK vom 31. Januar 1967 (SR 0.142.301) und kommt seinen diesbezüglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen grundsätzlich nach. Es darf davon ausgegangen werden, dieser Staat anerkenne und schütze die Rechte, die sich für Schutzsuchende aus den Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (sog. Verfahrensrichtlinie) sowie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (sog. Aufnahmerichtlinie) ergeben.
Das Bundesverwaltungsgericht geht denn auch – wie dem Beschwerdeführer bekannt (vgl. Beschwerde III 3 S. 5 ff.) – in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das italienische Asylsystem trotz punktueller Schwachstellen keine systemischen Mängel im Sinn von Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz Dublin-III-VO aufweist (vgl. Referenzurteil E-962/2019 vom 17. Dezember 2019 E. 6.3). Solche Mängel können auch nicht aus dem pauschalen und durch nichts belegte Vorbringen des Beschwerdeführers abgeleitet werden, er sei in Italien bei der Registrierung umgefallen und man habe ihm zwei Tage die benötigte Hilfe nicht gewährt (vgl. Beschwerde III 1
S. 3 f.). Die Lebensumstände von Asylsuchenden, anerkannten Flüchtlingen und Personen mit einem subsidiären Schutzstatus in Italien sind zwar mit gewissen Mängeln behaftet, demgegenüber nehmen sich mehrere pri-
vate Hilfsorganisationen der Betreuung von Asylsuchenden und Flüchtlingen an (vgl. bspw. Urteile des BVGer F-2628/2020 vom 29. Mai 2020 E. 5.3 oder F-2009/2020 vom 24. April 2020 E. 8.3). Den Akten sind weiter keine Gründe für die Annahme zu entnehmen, das Land werde im Falle des Beschwerdeführers den Grundsatz des Non-Refoulements missachten und ihn zur Ausreise in ein Land zwingen, in dem sein Leib, sein Leben oder seine Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem er Gefahr laufen würde, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden. Unter diesen Umständen ist die Anwendung von Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO nicht gerechtfertigt.
Nachfolgend ist zu prüfen, ob das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 erster Satz Dublin-III-VO, konkretisiert in Art. 29a Abs. 3 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 (AsylV 1, SR 142.311), auszuüben ist.
In der Rechtsmitteleingabe vom 15. September 2020 machte der Beschwerdeführer unter anderem geltend, er habe anlässlich des Dublin-Gesprächs verschiedenste gesundheitliche Probleme erwähnt. Zudem habe er sich sofort nach der Gesuchseinreichung in der Schweiz in ärztliche Behandlung begeben und die entsprechenden Fachleute in Kenntnis über seine Krankengeschichte in Deutschland gesetzt und diesen auch entsprechende Dokumente ausgehändigt. Er sei seiner ihm obliegenden Mitwirkungspflicht im Rahmen der Feststellung des medizinischen Sachverhalts vollumfänglich nachgekommen. Eine 56-seitige medizinische Dokumentation sei im erstinstanzlichen Verfahren komplett unberücksichtigt geblieben, weshalb diese nun im Rahmen des Beschwerdeverfahrens «en bloc» ins Recht gelegt werde. Aufgrund der anlässlich des Dublin-Gesprächs vorgebrachten gesundheitlichen Probleme sowie des Umstands, dass der Beschwerdeführer kaum habe gehen, geschweige denn sitzen können, wäre die Vorinstanz im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes verpflichtet gewesen, von Amtes wegen Einsicht in die vorliegenden medizinischen Akten zu nehmen und den medizinischen Sachverhalt abschliessend abzuklären. Alternativ wäre es ihr mit absolut vertretbarem Aufwand möglich gewesen, sich bei der Rechtsvertretung vor Erlass bzw. Redaktion der angefochtenen Verfügung nach allfälligen Arztberichten zu erkundigen. Die Vorinstanz hätte dementsprechend prüfen müssen, welche konkreten medizinischen Behandlungen der Beschwerdeführer unbedingt benötige und ob er diese in Italien erhalten werde. Gegebenenfalls hätte das SEM von den italienischen Behörden eine individuelle Zusicherung bezüglich adäquater Unterbringung und medizinischer Versorgung einholen müssen. Schliesslich
hätte das SEM auch genauere Informationen zum Status des Beschwerdeführers und zum Stand seines Asylverfahrens von den italienischen Behörden einholen müssen (vgl. Beschwerde III 4.1 S. 8 f.).
Der medizinische Sachverhalt stellt sich in casu wie folgt dar:
Anlässlich der Registrierung des Beschwerdeführers im Bundesasylzentrum Boudry reichte der Beschwerdeführer diverse Dokumente aus Italien ein, darunter auch medizinische Akten. Diese sind dem vorinstanzlichen Dossier beiliegend. Den diversen Unterlagen kann entnommen werden, dass der Beschwerdeführer vom 23. Juni 2020 bis 24. Juni 2020 sowie vom 21. Juli 2020 bis 22. Juli 2020 in der Notaufnahme des Ospedale M. untersucht und behandelt wurde. Diagnostiziert wurden […].
Im Dublin-Gesprächs machte der Beschwerdeführer im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand geltend, es würde ihm nicht gut gehen, er habe überall Schmerzen. Da man ihn in Marokko geschlagen und verletzt habe, habe er Schmerzen. Solche habe er auch an der Wirbelsäule. Manchmal habe er drei bis vier Tage keinen Stuhlgang. Weiter habe er Probleme im Bereich des Herzens, der Wirbelsäule und des Magens. In Deutschland sei er am After operiert worden. In der Schweiz sei er schon beim Arzt/Pflege und in zwei Spitälern gewesen.
Auf Beschwerdeebene reichte er nebst diverser medizinischer Unterlagen aus Deutschland auch aktuelle Berichte bezüglich seines Gesundheitszustandes ein, die anlässlich seines Aufenthalts in der Schweiz erstellt worden sind (vgl. Beschwerdebeilage 5). Dem Austrittsblatt der Medic-Help vom 8. September 2020 sind dabei folgende Diagnosen zu entnehmen: […]. Aus einem Bericht des N. vom 24. August 2020 ergibt sich, dass der Beschwerdeführer an […] leidet. Unter «Beurteilung/Therapie und Verlauf» wurde im Bericht des Weiteren vermerkt, man habe die Beschwerden des Beschwerdeführers im Rahmen einer posttraumatischen Belastung gesehen. In der aktuellen Situation würde man aber keine notfallmässige Indikation für aktive invasive Prozeduren sehen; würden die Probleme andauern und die Angaben durch den Patienten und die Betreuer kongruent sein, wäre unter Umständen eine Rekto-Koloskopie zu organisieren.
Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes geltend macht, so ist darauf hinzuweisen, dass dieser seine Grenze an der Mitwirkungspflicht der Asylsuchenden findet (Art. 8 AsylG; Art. 13 VwVG). In einer den vorinstanzlichen Akten zu entnehmenden, vom
Beschwerdeführer am 26. August 2020 unterzeichneten Einwilligungserklärung (Formular «Einsicht in medizinische Akten») wurde der Beschwerdeführer darauf aufmerksam gemacht, dass er verpflichtet sei, sämtliche für das Asylgesuch relevanten medizinischen Akten unverzüglich nach Erhalt einzureichen. Diese Zustimmung wurde ihm in die Sprache […] übersetzt. Es wäre damit am Beschwerdeführer bzw. insbesondere seiner Rechtsvertretung gelegen, die Berichte bezüglich seiner diversen medizinischen Behandlungen unverzüglich beim SEM einzureichen, zumal das Vertretungsverhältnis gemäss Vollmacht bereits seit dem 20. August 2020 bestand. In diesem Sinn kann dem SEM keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes vorgeworfen werden, schliesslich waren weder den medizinischen Unterlagen aus Italien (E. 6.2.1) noch den Ausführungen des Beschwerdeführers anlässlich des Dublin-Gesprächs Hinweise auf schwerwiegende Erkrankungen zu entnehmen, welche weitere Abklärungen des SEM erforderlich gemacht hätten.
Ohnehin ist den vorliegenden medizinischen Akten keine Diagnose zu entnehmen, die eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien entgegenstehen könnte. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem bereits erwähnten Referenzurteil E-962/2019 vom 17. Dezember 2019 strengere Kriterien für Dublin-Überstellungen beschlossen, diese gelten jedoch nur für schwer erkrankte Asylsuchende, die sofort nach der Ankunft in Italien auf lückenlose medizinische Versorgung angewiesen sind. In diesem Sinne wurde das SEM verpflichtet, individuelle Zusicherungen betreffend die Gewährleistung der nötigen medizinischen Versorgung und Unterbringung bei den italienischen Behörden einzuholen (vgl. E-962/2019
E. 7.4.3). Der Beschwerdeführer fällt aber nicht in diese Kategorie. Seine dargelegten Leiden hat er offensichtlich schon seit längerer Zeit, wie bspw. den mit Beschwerde eingereichten Berichten der O. in Deutschland vom 4. November 2016 und 5. April 2017 zu entnehmen ist. Seine Reisetätigkeit war dabei offensichtlich nicht beeinträchtigt, und es geht auch nicht aus den medizinischen Akten hervor, dass er deswegen auf eine spezielle und lückenlose medizinische Behandlung angewiesen war (vgl. Urteil des EGMR Paposhvili gegen Belgien 13. Dezember 2016, Grosse Kammer 41738/10, §§ 180–193 m.w.H.). Das SEM war damit nicht gehalten gewesen, diese Leiden den italienischen Behörden anlässlich der Überstellungsanfragen mitzuteilen. Hinzu kommt, dass Italien grundsätzlich über eine ausreichende medizinische Infrastruktur verfügt, aufgrund welcher es möglich ist, die notwendigen allfälligen weiteren Untersuchungen durchzuführen. Dies belegen auch die medizinischen Berichte aus Ita-
lien, die entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers (vgl. Beschwerde III 1 S. 3) aufzeigen, dass er dort eingehend (auch gastroenterologisch) untersucht und behandelt wurde (vgl. E. 6.2.1).
Der Zugang für asylsuchende Personen zum italienischen Gesundheitssystem – über die Notversorgung hinaus – ist damit grundsätzlich gewährleistet, selbst wenn es in der Praxis zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann (vgl. D-2846/2020 E. 6.2.1 m.H.). In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht unlängst in seinem Urteil D-2846/2020 vom 16. Juli 2020 eine vom SEM angeordnete Überstellung eines Asylsuchenden mit gesundheitlichen Problemen, der lediglich auf gelegentliche Kontrollen angewesen gewesen ist, nach Italien bestätigt (vgl. auch Urteil des BVGer F-3816/2020 E. 9.2 vom 11. August 2020 betr. Überstellung nach Italien bei ärztlicher Diagnose «Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung»). Nichts abgeleitet werden kann schliesslich auch aus dem in der Beschwerde zitierten Entscheid des UNO-Ausschusses gegen Folter (CAT)
A.N. v. Switzerland vom 3. August 2018 (CAT/C/64/D742/2016), zumal es sich dort um ein zweifellos identifiziertes Folteropfer handelte. In casu sind weder die (medizinischen) Akten noch die auf Beschwerdeebene vorgebrachten pauschalen Vorbringen des Beschwerdeführers geeignet, Rückschlüsse auf eine allfällig erlittene Folter zu ziehen.
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nicht zur Gruppe der besonders verletzlichen Personen im Sinne des Urteils E-962/2019 E. 7.4 gehört. Ein Selbsteintritt aus humanitären Gründen ist bei dieser Sachlage nicht angezeigt. Im Weiteren werden die schweizerischen Behörden, die mit dem Vollzug der angefochtenen Verfügung beauftragt sind, die italienischen Behörden vorgängig in geeigneter Weise über allfällige spezifische medizinische Umstände des Beschwerdeführers informieren (Art. 31 f. Dublin-III-VO).
Das SEM ist demnach zu Recht in Anwendung von Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG auf das Asylgesuch des Beschwerdeführers nicht eingetreten. Da der Beschwerdeführer nicht im Besitz einer gültigen Aufenthaltsoder Niederlassungsbewilligung ist, wurde die Überstellung nach Italien in Anwendung von Art. 44 AsylG ebenfalls zu Recht angeordnet (Art. 32 Bst. a AsylV 1).
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen und die Verfügung des SEM zu bestätigen.
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird gegenstandslos und der angeordnete Vollzugsstopp fällt mit vorliegendem Urteil dahin.
Das mit der Beschwerde gestellte Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ist abzuweisen, da die Begehren – wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt – als aussichtslos zu bezeichnen sind, weshalb die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG nicht erfüllt sind. Die Verfahrenskosten sind daher dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.– festzusetzen (Art. 1 – 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.– werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Regula Schenker Senn Susanne Stockmeyer
Versand:
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