Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung VI |
Dossiernummer: | F-1429/2020 |
Datum: | 26.11.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Fürsorge (Asyl) |
Schlagwörter : | Einreise; Person; Personen; Vorinstanz; Einreisekosten; Übernahme; Flüchtling; Bundesverwaltungsgericht; Verfügung; Gesuch; BVGer; Verfahren; Akten; Recht; Reisekosten; Enkelkind; Ausreise; Richter; Migration; Tochter; Verfahrens; Ermessens; Urteil |
Rechtsnorm: | Art. 32 ZGB ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 62 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung VI F-1429/2020
Besetzung Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz), Richter Gregor Chatton,
Richterin Jenny de Coulon Scuntaro, Gerichtsschreiber Daniel Grimm.
Parteien A. , geboren am (…), Eritrea,
vertreten durch Lukas Siegfried,
Elim Open Doors Ausländerund Flüchtlingsdienst, Haltingerstrasse 4, 4057 Basel, Beschwerdeführerin,
gegen
Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.
Gegenstand Übernahme der Einreisekosten;
Verfügung des SEM vom 20. Februar 2020 / (…).
Die Beschwerdeführerin gelangte am 12. April 2011 in die Schweiz, wo sie am selben Tag um Asyl nachsuchte. Mit Verfügung vom 11. Januar 2013 hielt das damalige Bundesamt für Migration (BFM, heute: Staatssekretariat für Migration) fest, dass sie gemäss Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG (SR 142.31) die Flüchtlingseigenschaft erfülle und gewährte ihr Asyl. Die am 13. Januar 2012 nachgereiste Tochter B. (geb. […]) wurde gemäss Art. 51 Abs. 1 AsylG als Flüchtling anerkannt und in diesen Asylentscheid miteinbezogen. Im Rahmen eines Verfahrens um Familiennachzug wurde am 6. März 2014 auch den Kindern C. (geb. […]) und D. (geb. […]) die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und ihnen Asyl gewährt.
Mit Eingabe vom 22. Februar 2019 stellte die Beschwerdeführerin bei der Vorinstanz zugunsten ihrer in Eritrea verbliebenen Tochter E. (geb. […]) und des Enkelkindes F. (geb. […], Sohn von E. ) ein weiteres Gesuch um Familiennachzug (Akten der Vorinstanz [SEM act.] D1). Am
3. Mai 2019 erläuterte sie ihre Vorbringen und ergänzte, E. sei mit ihrem Kind inzwischen nach Äthiopien in ein Flüchtlingslager geflohen (SEM act. D6). Ein in der Folge durchgeführter DNA-Test bestätigte sowohl das Abstammungsverhältnis zwischen der Beschwerdeführerin und
E.
als auch dasjenige zwischen Letzterer und F.
(SEM
act. D13), worauf das SEM das Gesuch am 13. Dezember 2019 guthiess und ihnen die Bewilligung der Einreise in die Schweiz zwecks Familienvereinigung, mit Gültigkeit vom 27. Dezember 2019 bis 27. März 2020, erteilte.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2020 ersuchte die Beschwerdeführerin bei der Vorinstanz um Übernahme der Reisekosten für die Tochter E. und das Enkelkind. Weil die betreffenden Personen minderjährig seien, dürften sie nicht alleine reisen. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) habe sich zwar bereit erklärt, die Einreise zu organisieren, übernehme die Reisekosten aber leider nicht. Man habe sie gebeten, deswegen mit dem SEM Kontakt aufzunehmen.
Dem Gesuch waren Unterlagen der IOM und eine Bestätigung der Sozialhilfebehörde X. beigelegt.
Mit Verfügung vom 20. Februar 2020 wies die Vorinstanz das Gesuch um Übernahme der Einreisekosten ab.
Mit Rechtsmitteleingabe an das Bundesverwaltungsgericht vom 11. März 2020 (Datum des Poststempels) beantragt die Beschwerdeführerin die Übernahme der Einreisekosten, umfassend zwei einfache Flugtickets für das zweitjüngste Kind und das Enkelkind sowie ein Retourticket für die Begleitperson.
Das Rechtsmittel war mit einer aktuellen Sozialhilfebestätigung der Wohngemeinde und zwei Visakopien ergänzt, woraus hervorging, dass die erteilten Visa noch bis zum 27. März 2020 gültig waren (BVGer act. 1).
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 18. März 2020 verzichtete das Bundesverwaltungsgericht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses (BVGer act. 3).
Die Vorinstanz schliesst in ihrer Vernehmlassung vom 3. April 2020 auf Abweisung der Beschwerde (BVGer act. 4).
Von dem ihr am 9. April 2020 eingeräumten Replikrecht machte die Beschwerdeführerin keinen Gebrauch (BVGer act. 5 und 6).
Am 28. August 2020 verlängerte das SEM die fraglichen Einreisebewilligungen zwecks Familienvereinigung bis zum 30. November 2020. Sie enthielten den Hinweis, dass die Gültigkeitsdauer der Einreisebewilligungen vor Ablauf der Frist auf begründetes Gesuch hin verlängert werden könne.
Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägungen eingegangen.
Das Bundesverwaltungsgericht ist zuständig für die Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen des SEM (Art. 105 AsylG [SR 142.31], Art. 31 und 33 Bst. b VGG). Auf dem Gebiet des Asyls entscheidet es in der Regel – und so auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerdeführerin ist als Verfügungsadressatin zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 108 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet das Bundesrecht von Amtes wegen an und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen (Art. 62 Abs. 4 VwVG).
Art. 92 Abs. 1 AsylG sieht vor, dass der Bund die Kosten der Einund Ausreise von Flüchtlingen und Schutzbedürftigen übernehmen kann. Gemäss Art. 92 Abs. 4 AsylG regelt der Bundesrat die Voraussetzungen und das Verfahren zur Ausrichtung und Abrechnung der Beiträge. Der Bundesrat hat von der ihm übertragenen Rechtssetzungsbefugnis Gebrauch gemacht, indem er in Art. 53 der Asylverordnung 2 vom 11. August 1999 (AsylV 2, SR 142.312) den Kreis der Personen, für welche Einreisekosten übernommen werden können, festgelegt hat. Dazu gehören gemäss Art. 53 Bst. d AsylV 2 Personen, denen die Einreise im Rahmen der Familienzusammenführung mit anerkannten Flüchtlingen nach Art. 51 Abs. 4 AsylG oder nach Art. 85 Abs. 7 des Ausländerund Integrationsgesetzes (AIG, SR 142.20) bewilligt wird.
Aus den Materialien ergibt sich, dass die Übernahme von Einreisekosten nach dem Willen des Bundesrates grundsätzlich restriktiv zu handhaben ist und dem SEM im Einzelfall ein Ermessensspielraum zukommt (vgl.
Bericht vom Oktober 2007 zur Änderung der Asylverordnungen 1, 2 und 3 sowie der Verordnung über den Vollzug der Wegund Ausweisung von ausländischen Personen [VVWA], S. 34). Im erwähnten Bericht wird auf die Praxis des vormaligen BFM verwiesen, wonach die Einreisekosten in Härtefällen übernommen werden, namentlich um zu verhindern, dass sich durch eine Verzögerung der Ausreise bedürftiger Personen eine Gefahr für diese ergeben könnte. Das BFM verlangte dabei grundsätzlich den Nachweis einer Mittellosigkeit und setzte voraus, dass weder die eingereisten Personen selber noch Verwandtenunterstützungspflichtige nach Art. 328 ZGB und andere nahestehende Personen in der Lage sind, diese Kosten zu übernehmen beziehungsweise vorzuschiessen. Nach bereits erfolgter Einreise werden Gesuche um nachträgliche Übernahme beziehungsweise Rückerstattung der Einreisekosten abgewiesen, da die notwendigen finanziellen Mittel offensichtlich aufgebracht werden konnten (vgl. Ausführungsbestimmungen zur Teilrevision des Asylgesetzes vom 16. Dezember 2005, Bericht zur Änderung der Asylverordnungen 1, 2 und 3 sowie der VVWA).
Diese Praxis ist vom Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich bestätigt worden. Allerdings wurde – soweit nach erfolgter Einreise gestellte Gesuche um nachträgliche Übernahme beziehungsweise Rückerstattung der Einreisekosten vom SEM gemäss der in den Materialien genannten Praxis grundsätzlich abgewiesen werden – einschränkend festgestellt, dass ein solcher Automatismus nicht sachgerecht erscheint. Es ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, auf welche Weise die gesuchstellenden beziehungsweise einreisenden Personen die Kosten der Einreise beglichen haben; ferner dürfte von Bedeutung sein, in welcher Situation sich die einreisewillige Person in ihrem Heimatstaat befunden hat. Insbesondere in Fällen, bei denen sich die betreffende Person wegen fehlender eigener Mittel und solcher des familiären Umfeldes namentlich durch Aufnahme eines Darlehens bei einem Kreditinstitut verschulden musste, beziehungsweise wenn die finanziellen Mittel von dritter Seite vorgestreckt werden mussten, um einer akut gefährdeten Person die Ausreise zu ermöglichen, kann eine Kostenübernahme durch den Bund nicht von vornherein ausgeschlossen werden (vgl. Urteile des BVGer F-7064/2018 vom 21. Juni 2019 S. 5 f., F-2973/2015 vom 10. Januar 2018 S. 5/6 und D-8299/2015 vom 18. Februar 2016 E. 3.3 m.H.).
Das SEM begründet die angefochtene Verfügung damit, dass von der sich seit 2011 in der Schweiz aufhaltenden Beschwerdeführerin erwartet werden könne, dass sie eigenes Erwerbseinkommen generiere. Ebenso
sei von gewissen Rückstellungen auszugehen. Dafür spreche der Umstand, dass die bereits nachgereisten Kinder mittlerweile die Volljährigkeit erreicht hätten und nicht mehr betreuungsbedürftig seien. Zudem sei die Beschwerdeführerin im Rahmen dieses Familiennachzugsverfahrens in der Lage gewesen, die Kosten für den DNA-Test in der Höhe von Fr. 900.– zu begleichen. Demzufolge verfüge sie über alternative Finanzierungsmöglichkeiten, so dass kein Härtefall vorliege. Überdies lebten die beiden einreisewilligen Personen seit rund einem Jahr in einem Flüchtlingscamp in Äthiopien, weshalb nicht von einer akuten Gefährdung auszugehen sei.
Die Beschwerdeführerin lässt in der Rechtsmitteleingabe vom 11. März 2020 dagegen vorbringen, sich in einem Arbeitsintegrationsprogramm zu befinden und monatlich lediglich ein Einkommen von ungefähr Fr. 1'000.– zu erzielen. Weiter habe die IOM mitgeteilt, dass die Kinder die Flugreise auf keinen Fall unbegleitet antreten dürften, weshalb Kosten von Fr. 1'200.– für die Begleitperson hinzukämen. Somit sei es für sie unmöglich, die anfallenden Reisekosten zu bezahlen. Weil die Visa nur noch bis zum 27. März 2020 gültig seien, wäre sie dankbar, wenn die Vorinstanz die erforderlichen Auslagen übernehmen könnte. Andernfalls müsste eine Stiftung angefragt werden, deren Entscheid öfters erst nach Wochen eintreffe.
Das Bundesverwaltungsgericht prüft Verfügungen des SEM im Anwendungsbereich des Asylgesetzes nicht auf ihre Angemessenheit (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Gemäss BVGE 2014/22 (E. 5.4 – 5.8), handelt es sich beim Entscheid betreffend Übernahme der Einreisekosten um einen Ermessensentscheid. Die Kognition beschränkt sich auf qualifizierte Fehler, d.h. auf Missbrauch und Überoder Unterschreitung des Ermessens (vgl. Urteil des BVGer F-1534/2019 vom 11. September 2020 E. 4.3).
Ein solch qualifizierter Fehler liegt nicht vor. Die Regelung von Art. 53 Bst. d AsylV soll, wie erwähnt, insbesondere verhindern, dass sich durch die Verzögerung der Ausreise eine Gefahr für die schutzbedürftige Person ergibt (vgl. E. 3.3 weiter oben). In dieser Hinsicht geht aus den Akten hervor, dass sich die nachzuziehenden Personen seit Februar 2019 nicht mehr im Verfolgerstaat (Eritrea), sondern in Äthiopien in einem Flüchtlingscamp aufhalten (SEM act. D6 und D10), weshalb nicht von einer akuten Gefährdung der Familienangehörigen auszugehen ist. Dies wird denn auch nicht geltend gemacht. Aus diesem Grunde ist eine unmittelbare Ausreise nicht zwingend. Die zweitjüngste Tochter und das Enkelkind der Beschwerdeführerin haben befristete Einreisebewilligungen erhalten, die verlängert
werden können, was inzwischen geschah. Insoweit verbleibt hinsichtlich der Finanzierung der Reisekosten ein entsprechender zeitlicher Spielraum. Der Einwand der Dringlichkeit, um das benötigte Geld aufzubringen, fällt mithin weg.
Was die finanzielle Situation der Beschwerdeführerin anbelangt, so kann einer Bestätigung der Sozialen Dienste X. vom 9. März 2020 entnommen werden, dass sie ihm Rahmen eines Arbeitsintegrationsprogrammes monatlich Fr. 1'000.– (schwankend) verdient und auf dem sozialhilferechtlichen Existenzminimum lebt (Beilage zu BVGer 1). Abgesehen von der eingangs erwähnten sowie einer früheren Sozialhilfebestätigung vom 15. Januar 2020 liegen diesbezüglich keine Unterlagen vor. Mit Blick auf das hier zur Anwendung gelangende Prinzip der Subsidiarität (siehe
E. 3.2 weiter vorne) kann daraus allerdings nicht tel quel geschlossen werden, es fehle an anderen Möglichkeiten der Finanzierung. Die Vorinstanz weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Beschwerdeführerin in der Lage war, die Kosten der DNA-Tests für E. und das Enkelkind zu bezahlen. Den vorinstanzlichen Akten zufolge hat sie die am
18. November 2019 erhaltene Rechnung von Fr. 900.– denn binnen zehn Tagen anstandslos beglichen (vgl. SEM act. D11 bzw. D13). Abgesehen davon wurde bereits in der Beschwerdeschrift in Aussicht gestellt, dass eine alternative Finanzierungsmöglichkeit durch eine Stiftung bestehe. Zu ergänzen wäre, dass die Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und der Gläubigerin oder dem Gläubiger für das vorliegende Verfahren unerheblich ist (vgl. Urteil des BVGer F-7064/2019 vom 21. Juni 2018 S. 6).
Bei dieser Sachlage braucht nicht näher geprüft zu werden, ob die effektiven Reisekosten auch die Flugkosten einer allfälligen erwachsenen Begleitperson zu umfassen hätten. Festhalten lässt sich an dieser Stelle immerhin, dass sich die zu übernehmenden Kosten für die beiden minderjährigen Personen laut IOM auf Fr. 1'250.– belaufen würden, wobei der entsprechenden E-Mail vom 11. Februar 2020 keine Hinweise auf obgenanntes Erfordernis entnommen werden können (siehe SEM act., nicht paginiertes Aktenstück).
Zusammenfassend hat die Vorinstanz dem Gesuch um Übernahme der Einreisekosten zu Recht nicht stattgegeben.
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung
nicht zu beanstanden ist (Art. 106 AsylG). Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten grundsätzlich der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Aufgrund der besonderen Umstände und der eingereichten Unterlagen (Sozialhilfebestätigung) kann jedoch ausnahmsweise auf die Auferlegung von Verfahrenskosten verzichtet werden (Art. 63 Abs. 1 in fine VwVG i.V.m. Art. 6 Bst. b des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
Dispositiv Seite 9
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Einschreiben)
die Vorinstanz (Akten Ref-Nr. […] retour)
Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:
Regula Schenker Senn Daniel Grimm
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