E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil D-5119/2018

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts D-5119/2018

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-5119/2018
Datum:19.08.2020
Leitsatz/Stichwort:Asyl und Wegweisung
Schlagwörter : Beschwerdeführers; Recht; Wegweisung; Türkei; Vollzug; Vorinstanz; Situation; Bundesverwaltungsgericht; Sachverhalt; Behandlung; Verfügung; Christ; Schutz; Wegweisungsvollzug; Ausländer; Ausreise; Hinsicht; Staat; Anhörung; Akten; Urteil; Aramäer; Schweiz
Rechtsnorm: Art. 11 ZPO ;Art. 25 BV ;Art. 44 BV ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-5119/2018

U r t e i l v o m 1 9 . A u g u s t 2 0 2 0

Besetzung Richter Jürg Marcel Tiefenthal (Vorsitz), Richterin Emilia Antonioni Luftensteiner, Richterin Daniela Brüschweiler, Gerichtsschreiber Daniel Merkli.

Parteien A. , geboren am (…), Türkei,

vertreten durch Annemarie Muhr, Rechtsanwältin, Advokatur Muhr,

Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl und Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 7. August 2018 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der Beschwerdeführer – ein syrisch-orthodoxer Christ (Aramäer) aus B. – suchte am 29. Juli 2015 in der Schweiz um Asyl nach. Am

13. August 2015 fand die Befragung zur Person (BzP) statt und am 12. September 2016 wurde er vom SEM angehört.

B.

Zur Begründung seines Asylgesuches machte der Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, als ausgebildeter und in einem Atelier in B. tätiger Goldschmied auch Goldhandel betrieben zu haben, wobei er auch mit ihm vertrauten Fremdkapital gearbeitet habe. Im Jahre 2001 sei er auf einer Landstrasse im (…) C. Opfer eines Raubüberfalls geworden

(u.a. Verlust von 2,5 kg Gold). Auch hätten ihn Wucherer betrogen. Aufgrund dieser Ereignisse habe er Schulden von insgesamt 120’000 Dollar angehäuft, was ihn schliesslich in den Konkurs getrieben habe. Später hätten muslimische Gläubiger ihn bedroht und nach seinem Leben getrachtet, weshalb er im März 2004 ein erstes Mal nach D. gezogen sei. In falscher Hoffnung, die Lage in B. habe sich beruhigt, sei er fünf Monaten später wieder nach B. zurückgekehrt, wo er von aus Mafiakreisen stammenden Unbekannten nach C. entführt und zirka zwei Monate festgehalten worden sei. Man habe ihn unter Drohungen und Misshandlungen zur Rückzahlung angeblicher Schulden aufgefordert und schliesslich nach B. zurückgebracht und freigelassen. In der Folge habe er sich im Dezember 2004 endgültig nach D. abgesetzt und im Verborgenen gelebt. Im Jahre 2015 hätten ihn seine Gläubiger ausfindig gemacht und ihn erneut mit dem Tod bedroht. Daher habe er sich zur Ausreise entschlossen. Bereits im Jahre 2013 habe er sich vorsorglich einen türkischen Reisepass ausstellen lassen. Im Jahre 2015 habe er sich sodann beim finnischen Konsulat in der Türkei ein Schengen-Visum eingeholt. Im April sei er in Begleitung eines Schleppers von E. über Wien nach Stockholm geflogen, wo er sich 20 bis 30 Tage aufgehalten habe, bevor er über Frankfurt schliesslich in die Schweiz gelangt sei.

Zum Nachweis seiner Identität und zur Stützung seiner Vorbringen reichte der Beschwerdeführer eine türkische Identitätskarte und ein Bestätigungsschreiben des Erzbischofsitzes B. der syrisch-orthodoxen Kirche ein.

C.

Mit Entscheid vom 7. August 2018 (Eröffnung am 8. August 2018) lehnte das SEM das Asylgesuch des Beschwerdeführers vom 29. Juli 2015 ab, ordnete dessen Wegweisung an und erachtete den Vollzug als zulässig, zumutbar und möglich.

D.

Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 7. September 2018 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid Beschwerde. Es wurde die Aufhebung der Verfügung, die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Asylgewährung, eventualiter die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zur rechtsgenüglichen Sachverhaltsabklärung sowie zur neuen Entscheidung beantragt. Subeventualiter sei aufgrund Unzulässigkeit beziehungsweise Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs die vorläufige Aufnahme zu gewähren. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde unter Einreichung eines vom Beschwerdeführer unterzeichneten Formularantrags einschliesslich Bedürftigkeitsnachweis ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 119 ZPO (Zivilprozessordnung) gestellt.

Mit der Beschwerdeeingabe wurden mehrere Dokumente eingereicht (u.a. ärztliche Berichte (…) vom 21. August 2018 und des (…) vom 24. August 2018, mehrere Bestätigungsund Referenzschreiben, mehrere Auszüge aus dem Internet zur allgemeinen Situation in der Türkei und dort lebenden Aramäer).

E.

Mit Schreiben vom 14. September 2018 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht den Eingang der Beschwerde.

F.

Mit Zwischenverfügung vom 12. November 2018 wurde festgehalten, dass, da es sich beim vorliegenden Beschwerdeverfahren um ein Verwaltungsverfahren handle, nicht Art. 119 ZPO, sondern Art. 65 Abs. 1 und 2 VwVG zur Anwendung gelange. Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im Sinne von Art. 65 Abs. 1 VwVG in Verbindung mit Art. 110a AsylG wurden gutgeheissen, auf die Erhebung eines Kostenvorschusses wurde verzichtet und Frau Annemarie Muhr, Rechtsanwältin, dem Beschwerdeführer als amtliche Rechtsvertreterin beigeordnet.

G.

In seiner Vernehmlassung vom 15. November 2018 beantragte das SEM die Abweisung der Beschwerde.

H.

Mit Replik vom 3. Dezember 2018 nahm die Rechtsvertretung zur Argumentation der Vorinstanz Stellung und reichte einen Zeitungsartikel der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) über den staatlichen Einfluss auf Nichtregierungsorganisationen in der Türkei ein.

I.

Mit Eingabe vom 16. August 2019 teilte die Rechtsvertretung unter Einreichung eines entsprechenden Lohnausweises mit, dass der Beschwerdeführer seit kurzem erwerbstätig sei und einen monatlichen Nettolohn von 2'485.65 erziele.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend

      – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]).

    2. Am 1. März 2019 ist die Teilrevision (AS 2016 3101) des AsylG in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom

      25. September 2015).

    3. Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde (aArt. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG) ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG, im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

    1. Die Vorinstanz erachtete die zentralen Vorbringen des Beschwerdeführers, wegen aufgelaufener Geldschulden von aus Mafiakreisen stammenden Unbekannten behelligt worden zu sein, weder als glaubhaft noch asylrelevant.

    2. Das SEM hielt fest, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer weder den Raubüberfall im Jahre 2001 noch die späteren Übergriffe zur Anzeige gebracht habe, zumal er im Zeitpunkt des Raubüberfalls noch keinen Bedrohungen ausgesetzt gewesen sei und sich nach seiner Entführung im Jahre 2004 ohnehin bei der Sicherheitsdirektion von B. gemeldet habe. Im Weiteren sei die Schilderung des Lebens im Verborgenen von 2004 bis 2015 in D. überaus schematisch ausgefallen. Namentlich sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen, seinen angeblichen unmittelbaren Ausreiseanlass im Jahre 2015, als er in D. entdeckt worden sei, auf nachvollziehbare Weise zu schildern. Dies gelte insbesondere für die Frage, auf welche Weise er in D. von seinen Verfolgern ausfindig gemacht worden sei und wie er selbst von dieser erneut drohenden Verfolgung überhaupt erfahren habe. Ebenso wenig vermöge in diesem Zusammenhang das geschilderte Ausreiseverhalten zu überzeugen. Gemäss diesem sei er bereits jahrelang von seinen Gläubigern verfolgt worden und habe sich seit 2004 in D. vor seinen Verfolgern versteckt. Im Jahre 2013 habe er sodann einen türkischen Reisepass erhalten und somit die Möglichkeit gehabt, umgehend in einen visumsbefreiten Staat (z.B. Südeuropa) auszureisen, was er nicht getan habe.

    3. Im Weiteren führte das SEM aus, dass die geltend gemachten Verfolgungshandlungen durch Dritte nicht aus einem asylrelevantem Motiv erfolgt seien. Hinzu komme, dass sich der Beschwerdeführer nie um staatlichen Schutz bemüht habe. Aufgrund der Aktenlage sei nicht ersichtlich, weshalb die zuständigen staatlichen Polizeistellen dem Beschwerdeführer (auch als syrisch-orthodoxem Christ) ihrer Schutzpflicht nicht nachgekommen wären. Es sei davon auszugehen, dass die zuständigen türkischen Polizeidienststellen rein kriminelle Straftaten, wie etwa Raubdelikte oder auch Drohungen, untersuchen und strafrechtlich verfolgen würden.

4.

    1. In der Beschwerde wurde geltend gemacht, das SEM habe anlässlich der Anhörung den labilen psychischen Zustand des Beschwerdeführers

      nicht hinreichend berücksichtigt. Wie dem Unterschriftenblatt der Hilfswerksvertretung (HWV) zu entnehmen sei, seien von dieser diverse Einwände geltend gemacht worden. So habe die HWV festgehalten, dass der Beschwerdeführer einen psychisch labilen Eindruck gemacht habe, es fraglich erscheine, ob er in der Lage gewesen sei, seine Asylgründe nachvollziehbar zu schildern, und weitere Abklärungen gemacht werden sollten. Trotz dieser Einwände sowie den mehrmaligen Unterbrechungen der Befragung aufgrund des Gesundheitszustands des Beschwerdeführers habe es die Vorinstanz unterlassen, vertiefte Abklärungen bezüglich Asylgründe zu tätigen, womit sie den Sachverhalt unvollständig festgestellt habe.

    2. In materieller Hinsicht wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei den Verfolgern nicht nur um private Gläubiger, sondern auch um Mitglieder der Hizbullah gehandelt habe. Dem ehemaligen Geschäftspartner des Beschwerdeführers sei sodann bekannt gewesen, dass der Beschwerdeführer Christ sei. Es sei daher keineswegs von einer rein privaten Bedrohung ohne asylrelevante Bedeutung auszugehen. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Religion sowie der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (syrisch-orthodoxer Christ, Aramäer) verfolgt worden. Im Weiteren verkenne das SEM, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger einer religiösen Minderheit keinen staatlichen Schutz erhalte, weshalb nachvollziehbar sei, dass er sich nicht um einen solchen bemüht habe. Er habe aufgrund der Vertreibung der Christen aus der Türkei in den vergangenen Jahren jegliches Vertrauen in den türkischen Staat verloren. Angesichts des bewaffneten Konflikts im Südosten der Türkei, der von den türkischen Sicherheitskräften mit grosser Brutalität gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) geführt werde, müsse davon ausgegangen werden, dass die türkische Polizei wohl kaum Raubdelikte und Drohungen eines Moslems gegenüber einem Aramäer untersuchen würde. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht festgehalten, dass sich die Situation in der Türkei besonders seit dem Putschversuch weiter verschärft habe. Die Vorinstanz habe pauschal angenommen, dass das türkische Justizsystem einwandfrei funktioniere, ohne jedoch die tatsächlichen Gegebenheiten abzuklären, womit sie den Sachverhalt unvollständig festgestellt habe. Schliesslich sei das Verhalten des Beschwerdeführers keineswegs wie von der Vorinstanz angenommen realitätsfremd und deswegen unglaubhaft. Aufgrund der Drohungen habe sich der Beschwerdeführer nur schützen können, indem er die Täter nicht angezeigt habe. Es sei im Weiteren nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer hätte erfahren sollen, wie seine Verfolger ihn in D. ausfindig gemacht hätten.

5.

    1. Hinsichtlich der Rüge der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung aufgrund des psychischen Zustands des Beschwerdeführers anlässlich der Anhörung ist festzustellen, dass der psychische Zustand des Beschwerdeführers und dessen bisherige und aktuelle medizinische Behandlung Gegenstand der Anhörung war (vgl. SEM-Protokoll A21 S. 3). Im Weiteren vergewisserte sich die befragende Person aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers (mehrfaches Weinen) stets, ob der Beschwerdeführer in der Lage war, die Anhörung fortzuführen (vgl. A21. S. 13). Die Anhörung wurde erst nach ausdrücklichem Einverständnis des Beschwerdeführers fortgesetzt. Die Aussagen des Beschwerdeführers waren hinreichend bestimmt und zeugen davon, dass er sie verstanden hatte. Es ergeben sich aus dem Anhörungsprotokoll keine konkreten Hinweise darauf, dass die Urteilsfähigkeit des Beschwerdeführers anlässlich der Befragung derart eingeschränkt gewesen wäre, dass dessen Prozessfähigkeit in Frage hätte gestellt werden müssen. Auch aus den später eingereichten ärztlichen Berichten ergeben sich keine Hinweise auf eine Urteilsunfähigkeit des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer war in der Lage, seine Asylgründe hinreichend darzulegen. Die Rüge der unvollständigen Sachverhaltsfeststellung erweist sich als unzutreffend.

    2. In materieller Hinsicht ist festzuhalten, dass das SEM die Vorbringen des Beschwerdeführers, wegen aufgelaufener Geldschulden von aus Mafiakreisen stammenden Unbekannten behelligt worden zu sein, zu Recht und mit zutreffender Begründung als weder glaubhaft noch asylrelevant erachtet hat.

      Zum einen konnte der Beschwerdeführer nicht plausibel erklären, warum er weder den Raubüberfall im Jahre 2001 noch die späteren Übergriffe im Jahre 2004 zur Anzeige gebracht hat. Die Hinweise in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer aufgrund der Drohungen von einer Anzeige abgesehen habe beziehungsweise als Angehöriger einer religiösen Minderheit keinen staatlichen Schutz erhalte hätte, vermögen nicht zu überzeugen, zumal er im Zeitpunkt des Raubüberfalls noch keinen Bedrohungen ausgesetzt gewesen war. Im Weiteren ist die Schilderung zu mehreren zentralen Sachverhaltselementen (Leben im Verborgenen von 2004 bis 2015 in D. , Ausreiseanlass im Jahre 2015) auffallend unbestimmt ausgefallen. Auch ist nicht einsehbar, warum der Beschwerdeführer trotz angeblicher Gefährdungslage erst 2015 ausreiste, obwohl er im Jahre 2013 einen türkischen Reisepass erhalten und somit die Möglichkeit gehabt hätte, umgehend in einen visumsbefreiten Staat (z.B. Südeuropa)

      auszureisen. Dem Beschwerdeführer ist es nicht gelungen, das Vorliegen der genannten Gefährdungssituation glaubhaft darzutun.

      Zum anderen sind die geltend gemachten Verfolgungshandlungen durch Dritte nicht aus einem asylrelevantem Motiv erfolgt. An dieser Einschätzung vermögen die Entgegnungen in der Beschwerde, wonach es sich bei den Verfolgern nicht nur um private Gläubiger, sondern auch um Mitglieder der Hizbullah gehandelt habe und dem ehemaligen Geschäftspartner des Beschwerdeführers bekannt gewesen sei, dass der Beschwerdeführer Christ sei, nichts zu ändern, gründen die Behelligungen doch in der Tatsache der geschuldeten Geldsumme und deren Einforderung (mit kriminellen Methoden). Hinzu kommt, dass sich der Beschwerdeführer nie um staatlichen Schutz bemüht hat und damit keine konkreten Anhaltspunkte auf einen fehlenden Schutzwillen beziehungsweise eine fehlende Schutzfähigkeit der türkischen Behörden im vorliegenden Fall bestehen. Schliesslich ist festzuhalten, dass das Vorliegen einer Kollektivverfolgung von Christen

      / Aramäern in der Türkei zu verneinen ist (vgl. US Department of State, 2019 Report on International Religious Freedom: Turkey, 10.06.2020, https://www.state.gov/reports/2019-report-on-international-religious-free- dom/, Bertelsmann Stiftung, BTI 2020 Country Report Turkey, 29.04.2020, https://www.ecoi.net/en/file/local/2028926/country_report_2020_TUR.pdf)

    3. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das SEM zu Recht die Flüchtlingseigenschaft verneint und das Asylgesuch abgelehnt hat.

6.

Lehnt das Staatssekretariat das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG). Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Bewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

7.

    1. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG [SR 142.20]).

      Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).

    2. Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AuG).

      1. So darf keine Person in irgendeiner Form zur Ausreise in ein Land gezwungen werden, in dem ihr Leib, ihr Leben oder ihre Freiheit aus einem Grund nach Art. 3 Abs. 1 AsylG gefährdet ist oder in dem sie Gefahr läuft, zur Ausreise in ein solches Land gezwungen zu werden (Art. 5 Abs. 1 AsylG; vgl. ebenso Art. 33 Abs. 1 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge [FK, SR 0.142.30]).

        Gemäss Art. 25 Abs. 3 BV, Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und der Praxis zu Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

      2. Die Vorinstanz wies in ihrer angefochtenen Verfügung zutreffend darauf hin, dass das Prinzip des flüchtlingsrechtlichen Non-Refoulement nur Personen schützt, die die Flüchtlingseigenschaft erfüllen. Da es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, eine asylrechtlich erhebliche Gefährdung nachzuweisen oder glaubhaft zu machen, kann der in Art. 5 AsylG verankerte Grundsatz der Nichtrückschiebung im vorliegenden Verfahren keine Anwendung finden. Eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Heimatstaat ist demnach unter dem Aspekt von Art. 5 AsylG rechtmässig.

      3. Sodann ergeben sich weder aus den Aussagen des Beschwerdeführers noch aus den Akten Anhaltspunkte dafür, dass er für den Fall einer Ausschaffung in den Heimatstaat dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotenen Strafe oder Behandlung ausgesetzt wäre; soweit die medizinische Situation betreffend, kann auf die nachfolgenden Erwägungen zur Frage der Zumutbarkeit des Vollzugs verwiesen werden. Gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie jener des UN-Anti-Folterausschusses

        müsste der Beschwerdeführer eine konkrete Gefahr ("real risk") nachweisen oder glaubhaft machen, dass ihm im Fall einer Rückschiebung Folter oder unmenschliche Behandlung drohen würde (vgl. Urteil des EGMR Saadi gegen Italien 28. Februar 2008, Grosse Kammer 37201/06,

        §§ 124–127 m.w.H.). Auch die allgemeine Menschenrechtssituation im Heimatstaat lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt nicht als unzulässig erscheinen.

      4. Nach dem Gesagten ist der Vollzug der Wegweisung sowohl im Sinne der asylals auch der völkerrechtlichen Bestimmungen zulässig.

    1. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

      1. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist – unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG – die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

      2. In der Türkei herrscht keine landesweite Situation allgemeiner Gewalt. Trotz Berücksichtigung des Wiederaufflammens des türkisch-kurdischen Konfliktes sowie der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und staatlichen Sicherheitskräften seit Juli 2015 in verschiedenen Provinzen im Südosten des Landes und den Entwicklungen nach dem Militärputschversuch vom 15./16. Juli 2016, ist gemäss konstanter Praxis nicht von einer Situation allgemeiner Gewalt oder bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen auszugehen (vgl. Referenzurteil des BVGer E-1948/2018 vom 12. Juni 2018). Ausgenommen sind die Provinzen Hakkari und Sirnak, in welche das Bundesverwaltungsgericht aufgrund einer anhaltenden Situation von allgemeiner Gewalt den Wegweisungsvollzug als unzumutbar erachtet (vgl. BVGE 2013/2 E.9.6). Der Wegweisungsvollzug in den Her-

        kunftsort des Beschwerdeführers B.

        wie auch in die Provinz

        D. , in welcher er ebenfalls gelebt hat, ist somit grundsätzlich zumutbar.

      3. In sozialer und ökonomischer Hinsicht ist festzustellen, dass der Beschwerdeführer gemäss seinen Angaben über mehrjährige Arbeitserfahrungen als Goldschmied und Mitarbeiter im Schneideratelier seines Vaters und ein familiäres Beziehungsnetz (Eltern, Geschwister) verfügt.

        Hinsichtlich der gesundheitlichen Situation ist den ärztlichen Berichten der MediZentrum Messen AG vom 21. August 2018 und des soH Ambulatorium Grenchen vom 24. August 2018 zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer an einer rezidivierenden depressiven Störung mit psychotischen Symptomen und unter Problemen mit Bezug auf (mit dem Asylverfahren zusammenhängende) andere psychosoziale Umstände leidet. Aufgrund des negativen Asylbescheids bestehe eine fragliche Suizidalität.

        Hierzu ist festzustellen, dass die Behandlung psychischer Probleme, wie sie in den vorliegenden ärztlichen Berichten aufgeführt werden, in der Türkei sowohl stationär als auch ambulant möglich ist. Es existieren landesweit psychiatrische Einrichtungen und es stehen moderne Psychopharmaka zur Verfügung. Trotz den neuesten politischen Entwicklungen ist namentlich in türkischen Grossund Provinzhauptstädten der Zugang zu Gesundheitsdiensten, Beratungsstellen und Behandlungseinrichtungen für psychische Leiden gewährleistet (vgl. hierzu etwa Urteile BVGer D-3305/2015 vom 4. Januar 2016 und E-3040/2017 vom 28. Juli 2017). Es ist mithin davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, sollte er weitergehende psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen müssen, auch in der Türkei eine adäquate Behandlung erhalten wird. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der medizinischen Rückkehrhilfe sowohl somatisch als auch psychisch mit geeigneten Medikamenten und Massnahmen unterstützt werden kann, mithin wäre eine allfällige Suizidalität beim Wegweisungsvollzug im Rahmen der Vollzugsmodalitäten Rechnung zu tragen (vgl. statt vieler etwa Urteil des BVGer E-2118/2018 vom 10. Juni 2020 E. 9.4.2.2).

      4. Insgesamt erweist sich der Vollzug der Wegweisung als zumutbar.

7.4. Der Vollzug der Wegweisung ist schliesslich bei der heutigen Aktenlage nach dem soeben Gesagten auch als möglich zu bezeichnen (Art. 83 Abs. 2 AuG).

7.5

Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1–4 AIG).

8.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und – soweit diesbezüglich überprüfbar – angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.

9.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten von Fr. 750.– (Art. 1–3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG).

      Indessen wurde mit Zwischenverfügung vom 12. November 2018 das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG) gutgeheissen. Aufgrund der Aktenlage ist – auch in Berücksichtigung der aufgenommenen Erwerbstätigkeit – von der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers im jetzigen Zeitpunkt auszugehen, da mit dem ausgewiesenen monatlichen Nettolohn in der Höhe von Fr. 2'485.65 das monatliche Existenzminimum nicht gedeckt werden kann. Bei dieser Sachlage werden keine Verfahrenskosten erhoben.

    2. Mit Zwischenverfügung vom 12. November 2018 wurde dem Beschwerdeführer die unentgeltliche Rechtsverbeiständung im Sinne von Art. 110a Abs. 1 Bst. a AsylG zugesprochen und die Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin beigeordnet.

Es wurde keine Kostennote zu den Akten gereicht, indessen lässt sich der notwendige Vertretungsaufwand aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen, weshalb auf die Einholung einer solchen verzichtet werden kann (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Unter Berücksichtigung der massgebenden Bemessungsfaktoren (Art. 9–13 VGKE) und der Entschädigungspraxis in vergleichbaren Fällen ist zulasten der Gerichtskasse ein amtliches Honorar von insgesamt Fr. 1’200.– (inkl. Auslagen und allfälliger MwSt.) zuzusprechen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Der amtlichen Rechtsvertreterin wird ein amtliches Honorar zulasten der Gerichtskasse in der Höhe von Fr. 1’200.– zugesprochen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Der vorsitzende Richter: Der Gerichtsschreiber:

Jürg Marcel Tiefenthal Daniel Merkli

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.