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Bundesverwaltungsgericht Urteil D-2633/2019

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts D-2633/2019

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung IV
Dossiernummer:D-2633/2019
Datum:27.11.2020
Leitsatz/Stichwort:Vollzug der Wegweisung
Schlagwörter : Recht; Familie; Verfügung; Vorinstanz; Kindes; Botschaft; Lanka; Beschwerdeführers; Wegweisung; Sachverhalt; Schweiz; Verfahren; Adoptivmutter; Rechtsvertreter; Person; Familien; Dispositivziffer; Richter; Vollzug; Behörde; Akten; Abklärungen; Bundesverwaltungsgericht; Priester; öglich
Rechtsnorm: Art. 306 ZGB ;Art. 49 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 61 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 69 AIG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung IV D-2633/2019

U r t e i l v o m 2 7 . N o v e m b e r 2 0 2 0

Besetzung Richter Simon Thurnheer (Vorsitz), Richter Daniele Cattaneo, Richterin Daniela Brüschweiler,

Gerichtsschreiberin Bettina Hofmann.

Parteien A. , geboren am (…), Sri Lanka,

vertreten durch MLaw Eliane Gilgen,

Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Vollzug der Wegweisung;

Verfügung des SEM vom 26. April 2019 / N (…).

Sachverhalt:

A.

Der eigenen Angaben zufolge minderjährige Beschwerdeführer suchte am

27. Februar 2018 im Empfangsund Verfahrenszentrum (EVZ) des SEM in B. um Asyl nach. Dort wurde er am 5. März 2018 zu seiner Person, zu seinem Reiseweg und summarisch zu seinen Asylgründen befragt (Befragung zur Person [BzP]). Dabei brachte er unter anderem vor, sein Heimatland Anfang Januar 2018 verlassen zu haben und mit einer unbekannten Begleitperson von C. auf dem Luftweg via D. und ihm unbekannte Länder am 20. Januar 2018 in die Schweiz gelangt zu sein. Dort habe ihn eine ihm unbekannte Frau namens E. abgeholt, bei welcher er sich bis zur Einreichung seines Asylgesuches aufgehalten habe.

B.

Am 6. März 2018 stellte der Beschwerdeführer beim SEM einen Antrag auf Privatunterkunft bei E. (sri-lankische Staatsangehörige; geboren am […]), bei welcher es sich um eine Cousine handle. Diesem Antrag legte er eine Kopie des Ausländerausweises von E. (Aufenthaltsbewilligung B [Anmerkungen: {…}]; Einreisedatum: […]; gültig bis: […]) bei.

C.

Das SEM lehnte den Antrag auf Privatunterkunft – vor dem Hintergrund seiner Angaben anlässlich der BzP – ab und wies den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 7. März 2018 dem Kanton B. zu. Gleichzeitig informierte es die zuständige kantonale Behörde, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA) handle, weshalb entsprechende Schutzmassnahmen einzuleiten seien und gemäss Art. 17 Abs. 3 AsylG (SR 142.31) dem SEM sowie dem Beschwerdeführer nach Ernennung der gesetzlichen Vertretung deren Namen und Adresse mitzuteilen sei. Die zuständige kantonale Behörde setzte sodann bis zur Errichtung einer Beistandschaft oder bis zur Erreichung der Volljährigkeit des Beschwerdeführers Frau F. der Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen in Not als dessen gesetzliche Vertretung (Vertrauensperson) ein.

D.

Am 4. Mai 2018 hörte ihn das SEM – im Beisein seines damaligen Rechtsvertreters – eingehend zu seinen Asylgründen an (Anhörung).

Dabei brachte er im Wesentlichen vor, er sei sri-lankischer Staatsangehöriger tamilischer Ethnie und stamme aus G. (Distrikt H. ,

Nordprovinz). Sein (…) sei ein hochrangiges Mitglied der LTTE (Liberation Tigers of Tamil Eelam) gewesen und seine Eltern seien im Jahr 2009 im (...)-Gebiet erschossen worden. Danach habe er rund eineinhalb Jahre bei einem Geistlichen in der (…)-Kirche in I. verbracht, bevor er im Jahr 2011 zur Adoption freigegeben worden sei. In der Folge habe er bei seinen Adoptiveltern in C. (Westprovinz) gelebt. Deren Nachnamen sowie die genaue Adresse kenne er nicht, da er nicht nach draussen habe gehen dürfen. Gegen Ende des Jahres 2017 seien bewaffnete Unbekannte zu ihnen nach Hause gekommen und hätten zuerst seine Adoptivmutter und später auch ihn mitgenommen sowie während zweier Tage festgehalten und geschlagen. Von seiner Adoptivmutter habe er erfahren, dass man ihm vorwerfe, Geld aus dem Ausland zu erhalten und daran mitzuarbeiten, die LTTE neu zu formieren. Kurz darauf habe ihn seine Adoptivmutter ins Ausland geschickt.

Bis auf seine Geburtsurkunde (beglaubigte Kopie; inklusive englischer Übersetzung) reichte er keine Identitätspapiere oder Beweismittel zu den Akten.

E.

Mit Schreiben vom 28. Mai 2018 forderte das SEM den Beschwerdeführer

  • unter Bezugnahme auf seine Mitwirkungspflicht – auf, bis zum 11. Juni 2018 über seine Adoptiveltern folgende Angaben zu machen:

    • die genauen Personalien (Name, Vorname, Geburtsdatum),

    • letzte bekannte Adresse,

    • Kontaktmöglichkeiten (Telefonnummer, E-Mail-Adresse).

    F.

    Mit Eingabe seines damaligen Rechtsvertreters vom 8. Juni 2018 kam der Beschwerdeführer dieser Aufforderung nach und gab – unter Beilage einer E-Mail von E. vom 6. Juni 2018 an seinen Rechtsvertreter – die Kontaktdaten seiner Adoptivmutter bekannt: (…).

    G.

    Am 14. Juni 2018 ersuchte das SEM die Schweizerische Botschaft in Colombo um nähere Abklärungen zur geltend gemachten Situation des Beschwerdeführers und seiner Familie. Dem Ersuchen lagen unter anderem die eingereichte Geburtsurkunde sowie der Visumsantrag von E. vom 15. April 2010 bei.

    H.

    Mit Beschluss vom 3. August 2018 errichtete die Kindesund Erwachsenenschutzbehörde (KESB) J. für den Beschwerdeführer eine Beistandschaft gemäss Art. 306 Abs. 2 ZGB und ernannte K. , (…), als Beistand.

    I.

    Mit Bericht vom 18. Dezember 2018 legte die Schweizerische Botschaft in Colombo ihre Abklärungsergebnisse dar.

    Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Familie wurde ausgeführt, dass die wahre Herkunft des Beschwerdeführers nicht habe ausfindig gemacht werden können. Fest stehe, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um die in der Geburtsurkunde angegebene Person handle und ihm jene von Personen aus der (...)-Region auf die Reise mitgegeben worden sei. Ferner habe die angebliche Adoptivmutter an der angegebenen Adresse ausfindig gemacht werden können. Sie lebe dort bei der Familie ihres getrennt lebenden Ehemannes, welcher die Familie für eine andere Frau verlassen habe. Sie habe erklärt, den Beschwerdeführer auf einer Pilgerreise in die (...)-Kirche in L. (in der Nähe von M. ) gesehen und den Priester gefragt zu haben, ob sie ihn nach C. mitnehmen könne. Der Priester habe dem – mit dem Einverständnis des Vaters des Beschwerdeführers – zugestimmt; eine legale Adoption habe aber nicht stattgefunden. Der Priester habe den Namen des Vaters genannt, doch könne sie sich nicht an diesen erinnern. Auch den Namen des Priesters wisse sie nicht mehr. In der Folge habe der Beschwerdeführer immer wieder Anrufe von seiner Familie erhalten und nach jedem Telefonat geweint, jedoch nicht über seine Probleme gesprochen. Die Familie habe den Beschwerdeführer zurückhaben wollen, es sei jedoch nie jemand zu ihnen nach Hause gekommen, um ihn zu suchen. Um den Beschwerdeführer zu schützen, habe sie ihn nicht einmal zur Schule geschickt. Irgendwann habe sie die Situation nicht mehr ausgehalten und sich darüber hinaus – infolge der Trennung von ihrem Ehemann – nicht mehr um den Beschwerdeführer kümmern können. Darum habe sie den Beschwerdeführer dem Priester zurückgebracht und diesen darum gebeten, den Beschwerdeführer aus dem Land zu bringen, wofür sie allen Schmuck verkauft habe. Ausserdem habe sie angegeben, ihr getrennt lebende Ehemann respektive der Adoptivvater habe immer eine gute Beziehung zum Beschwerdeführer gehabt und den Kontakt auch nach ihrer Trennung weitergepflegt. Die Botschaft habe jedoch vergebens versucht, den angeblichen Adoptivvater an seinem Arbeitsplatz ausfindig zu machen. Gemäss dessen Familienangehörigen

    habe er als (…) im Umkreis einer bestimmten Kreuzung in C. gearbeitet. Alle hätten behauptet, keine Telefonnummer von ihm zu besitzen und seit der Trennung von seiner Ehefrau keinen Kontakt mehr mit dem Beschwerdeführer zu haben. Abklärungen der Botschaft hätten ferner ergeben, dass die angeblichen Adoptiveltern nicht in C. registriert seien, weshalb nicht in Erfahrung gebracht werden könne, ob das Ehepaar eigene Kinder habe. Die angebliche Adoptivmutter habe ferner erklärt, den Namen E. nicht zu kennen. Die Botschaft habe daraufhin vergebens versucht, Familienmitglieder an der in deren Visumsantrag angegebenen Adresse zu finden. Die dort angetroffene Frau habe den Namen nicht gekannt und angegeben, vor ihr habe ebenfalls eine Hindu-Familie dort gelebt. Bei der Familie N. handle es sich jedoch um einen christlichen Namen, weshalb höchst fraglich sei, ob diese Person mit dem Beschwerdeführer verwandt sei. Weiter habe die Botschaft den Priester ausfindig machen können, welcher zwischen 2004 und 2018 für die (...)- Kirche zuständig gewesen sei und wenige Kinder von armen Familien betreut habe. Dieser habe weder den Namen des Beschwerdeführers, noch denjenigen der angeblichen Adoptivmutter gekannt. Er sei bestürzt gewesen zu erfahren, dass jemand vorbringe, er habe Kinder zur Adoption freigegeben.

    Hinsichtlich der Möglichkeit einer allfälligen Fremdplatzierung wurde festgehalten, dass es in Sri Lanka verschiedene Aufnahmeeinrichtungen für Minderjährige gebe. Das «Department for Probation and Childcare Services» der zuständigen Provinz sei für die Fremdplatzierung eines Kindes verantwortlich, wobei dem dafür zuständigen Kommissar («Commissionar on Probation and Childcare Services») ein entsprechender Antrag gestellt werden müsse. Dieser prüfe denselben und beauftrage einen Beamten («District Probation Officer»), die tatsächliche Situation des Kindes und dessen Familie in dessen Herkunftsregion (falls diese bekannt ist) zu untersuchen. Der danach erstellte Rapport werde dem Richter unterbreitet, welcher über die Fremdplatzierung entscheide, was in der Regel ein bis eineinhalb Monate in Anspruch nehme. Für den Fall, dass die Schweiz einen Antrag auf Fremdplatzierung einreiche, bevor der Beschwerdeführer nach Sri Lanka zurückkehre, würden alle Untersuchungen bereits vor dessen Ankunft abgeschlossen. Nach der Ankunft in Colombo würde das Kind von einem «Probation Officer» vom «Department for Probation and Childcare Services» im Distrikt Negombo (Gerichtsbarkeit des Flughafens) abgeholt und wenn möglich gleichentags dem Richter des Amtsgerichts Negombo vorgeführt. Je nach Aussagen des Kindes entscheide der Richter gleichentags über die Fremdplatzierung im Heim. Falls die Aussagen

    des Kindes zu weiteren Untersuchungen führten, würde das Kind zwischenzeitlich in einer Kinderinstitution in seiner Heimatregion (falls diese bekannt ist) oder in Negombo untergebracht, bis der Richter das endgültige Urteil fälle.

    J.

    Am 16. Januar 2019 erhielt der Beschwerdeführer Gelegenheit, sich bis zum 6. Februar 2019 zu den Botschaftsabklärungen zu äussern.

    K.

    Mit Eingabe seiner neu mandatierten Rechtsvertreterin vom 5. Februar 2019 ersuchte der Beschwerdeführer das SEM um vollständige Akteneinsicht sowie um Einräumung einer Fristerstreckung zur Stellungnahme bis zum 20. Februar 2019.

    L.

    Am 20. Februar 2019 nahm der Beschwerdeführer innert erstreckter Frist

  • handelnd durch seine Rechtsvertreterin – zu den Botschaftsabklärungen Stellung. Dabei machte er im Wesentlichen geltend, zum ersten Mal davon zu hören, dass er nicht A. sein und die abgegebene Geburtsurkunde nicht ihm gehören solle. Seit seiner Ankunft in der Schweiz habe er keinen Kontakt mehr zu seiner Adoptivmutter gehabt. In welchem Verhältnis E. zu seiner Adoptivmutter stehe, sei ihm unbekannt. Des Weiteren könne er sich an den Namen des Priesters, welcher ihn damals zur Adoption freigegeben habe, nicht erinnern. Er habe generell viele Gedächtnislücken aus dieser Zeit, da er in seiner früheren Kindheit Schlimmes erlebt habe.

M.

Am 13. März 2019 gewährte das SEM dem Beschwerdeführer – unter Berücksichtigung der gemäss Rechtspraxis zu beachtenden Einschränkungen – vollständige Akteneinsicht.

N.

Mit Verfügung vom 26. April 2019 – eröffnet am 29. April 2019 – stellte das SEM fest, der Beschwerdeführer erfülle die Flüchtlingseigenschaft nicht (Dispositivziffer 1), lehnte sein Asylgesuch ab (Dispositivziffer 2), verfügte die Wegweisung aus der Schweiz (Dispositivziffer 3) und ordnete den Vollzug an (Dispositivziffern 5 und 6). Ferner hielt es fest, dass der Antrag auf vollständige Offenlegung des Botschaftsberichts abgelehnt (Dispositivziffer

4) und die ihm nicht zustehende Geburtsurkunde eingezogen werde (Dispositivziffer 7).

O.

Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 29. Mai 2019 (Datum des Poststempels) erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte, die angefochtene Verfügung sei im Vollzugspunkt aufzuheben und die Sache zur vollständigen Sachverhaltsabklärung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei die Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs festzustellen und die vorläufige Aufnahme anzuordnen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung inklusive Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses sowie um Beiordnung der rubrizierten Rechtsvertreterin als amtlichen Rechtsbeistand.

Der Beschwerde beigelegt waren eine Kopie der angefochtenen Verfügung, die Sendungsverfolgung der Schweizerischen Post, eine Vollmacht vom 5. Februar 2019, eine Fürsorgeabhängigkeitsbestätigung vom 28. Mai 2019 und eine Kostennote der Rechtsvertreterin vom 29. Mai 2019.

P.

Mit Zwischenverfügung vom 5. Juli 2019 stellte der Instruktionsrichter fest, der Beschwerdeführer dürfe den Ausgang des Verfahrens in der Schweiz abwarten. Gleichzeitig hiess er die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sowie der amtlichen Rechtsverbeiständung gut und ordnete dem Beschwerdeführer MLaw Eliane Gilgen als amtlichen Rechtsbeistand bei. Ferner wurde das SEM zur Einreichung einer Vernehmlassung bis zum 21. August 2019 eingeladen.

Q.

In seiner Vernehmlassung vom 10. Juli 2019 hielt das SEM vollumfänglich an seinen Erwägungen fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

R.

Am 26. August 2019 wurde die Vernehmlassung dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht.

S.

Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 4. November 2019 legte der Beschwerdeführer eine Therapiebestätigung vom 1. November 2019 (von Psychologin O. ; Kinder- und Jugendpsychiatrie [KJP] Region

B. ) mitsamt einer Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht vom 15. Oktober 2019 ins Recht und stellte einen Fachbericht in Aussicht.

T.

Am 17. Februar 2020 reichte der Beschwerdeführer den in Aussicht gestellten Fachbericht vom 13. Februar 2020 (von P. [Leitende Psychologin] und O. ; KJP B. ) nach. Darin wird ihm eine (…) sowie eine (…) diagnostiziert.

U.

Mit Eingabe vom 8. Juli 2020 reichte der Beschwerdeführer einen weiteren Bericht der KJP B. vom 25. Juni 2020 ins Recht.

V.

Am 6. November 2020 reichte der Beschwerdeführer einen aktuellen Bericht der KJP B. vom 28. Oktober 2020 zu den Akten.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Am 1. März 2019 ist eine Teilrevision des AsylG vom 26. Juni 1998 (AS 2016 3101) in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).

    2. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel – wie auch vorliegend – endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (aArt. 108 Abs. 1 AsylG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

2.

    1. Die Beschwerde richtet sich ausschliesslich gegen den von der Vorinstanz angeordneten Vollzug der Wegweisung (Ziffern 4 und 5 des Dispositivs der angefochtenen Verfügung), womit die Verfügung des SEM vom

      26. April 2019, soweit sie die Frage der Flüchtlingseigenschaft und der Asylgewährung betrifft, unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist,

      und auch die verfügte Wegweisung nicht mehr zu überprüfen ist (Ziffern 1 bis 3 des Dispositivs).

    2. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet demnach einzig die Frage, ob das SEM den Vollzug der Wegweisung zu Recht als durchführbar erachtet hat oder ob allenfalls anstelle des Vollzugs eine vorläufige Aufnahme anzuordnen ist.

3.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

4.

    1. In der Beschwerde wird eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes gerügt. Dabei handelt es sich um eine formelle Rüge, welche vorab zu beurteilen ist, da sie gegebenenfalls geeignet ist, eine Kassation der vorinstanzlichen Verfügung zu bewirken.

    2. Der Untersuchungsgrundsatz gehört zu den allgemeinen Grundsätzen des Asylverfahrens (vgl. Art. 12 VwVG i.V.m. Art. 6 AsylG). Demnach stellt die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls der unter Buchstaben a–e aufgelisteten Beweismittel. Dieser Grundsatz gilt indes nicht uneingeschränkt; er findet seine Grenzen an der Mitwirkungspflicht des Asylsuchenden (vgl. Art. 8 AsylG). Dazu gehört unter anderem, die Identität offenzulegen, vorhandene Identitätspapiere abzugeben und an der Feststellung des Sachverhalts mitzuwirken.

      Die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts in Verletzung der behördlichen Untersuchungspflicht bildet einen Beschwerdegrund (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger oder nicht weiter belegbarer Sachverhalt zugrunde gelegt wurde. Unvollständig ist sie, wenn die Behörde trotz Untersuchungsmaxime den Sachverhalt nicht von Amtes wegen abgeklärt oder nicht alle für die Entscheidung wesentlichen Sachumstände berücksichtigt hat (vgl. dazu CHRISTOPH AUER/ANJA MARTINA BINDER, in: Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], 2. Aufl. 2019, Art. 12 N 16).

    3. Die Vorinstanz hielt in der angefochtenen Verfügung in Bezug auf den Vollzug der Wegweisung unter anderem fest, dem Beschwerdeführer sei es nicht gelungen, seine wahre Identität zu belegen. Sie gehe aber davon

      aus, dass er sri-lankischer Staatsangehöriger sei und einen Teil seines Lebens nicht bei der eigenen Familie verbracht habe. Gemäss Aktenlage sei es zudem denkbar, dass er in Sri Lanka noch Familienangehörige habe.

      Im Rahmen der Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs sowie der Ausführungen zur Stellungnahme zum Botschaftsbericht stellt sich die Vorinstanz zusammengefasst auf den Standpunkt, dass der Beschwerdeführer seine Mitwirkungspflicht verletzt habe und es daher unmöglich sei, sich in voller Kenntnis der tatsächlichen persönlichen und familiären Verhältnisse – insbesondere auch unter dem Aspekt des Kindeswohls gemäss Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes (KRK, SR 0.107) – zur Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs zu äussern. Im Übrigen gehe aus dem Botschaftsbericht hervor, dass es – sollte der Beschwerdeführer nicht mehr zu seiner Adoptivfamilie oder zu mutmasslich noch in Sri Lanka lebenden Familienangehörigen zurückkehren können – in Sri Lanka verschiedene Aufnahmeeinrichtungen für Minderjährige gebe und ein Eintritt jederzeit von den Schweizer Behörden beantragt werden könne (vgl. SEM-Akten A30/13 S. 8 f.). Hierzu habe der Beschwerdeführer im Rahmen des rechtlichen Gehörs keine Einwendungen gemacht.

    4. Auf Beschwerdeebene wird hierzu gerügt, dass das Kindeswohl bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs von gewichtiger Bedeutung sei. Es müsse konkret abgeklärt werden, ob die Angehörigen im Heimatstaat beziehungsweise dort vorhandene Institutionen den Schutz des Kindes ausreichend gewährleisten könnten. Nach ständiger Rechtsprechung genüge dabei die blosse Feststellung, dass im Heimatstaat Eltern oder andere Angehörige lebten, nicht (vgl. Urteil des BVGer E-6621/ 2012 E. 4.3.3; BVGE 2011/23 E. 5.4.5; EMARK 2006 Nr. 24 E. 6.2.4). Fer-

ner habe die zuständige Behörde gemäss Art. 69 Abs. 4 AIG (SR 142.20) vor einer Ausschaffung von unbegleiteten minderjährigen Personen sicherzustellen, dass diese im Heimatstaat einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung übergeben werden könnten, welche den Schutz des Kindes gewährleisteten. Vorliegend gehe aus der Botschaftsabklärung nur hervor, dass es – sollte der Beschwerdeführer nicht mehr zu seinen Adoptiveltern oder zu mutmasslich noch in Sri Lanka lebenden Familienangehörigen zurückkehren können – in Sri Lanka verschiedene Aufnahmeeinrichtungen für Minderjährige gebe und ein Eintritt jederzeit von den Schweizer Behörden beantragt werden könne. Zudem werde im darauf verwiesenen Botschaftsbericht beschrieben, wie das dies-

bezügliche Verfahren ablaufen würde. Es fehle aber an weiteren Abklärungen, ob der Beschwerdeführer zu seiner Adoptivmutter zurückkehren könne respektive an einer individuellen Zusicherung einer geeigneten Institution. Alleine das Vorhandensein von Möglichkeiten einer Unterbringung reiche, wie soeben dargelegt, gerade nicht aus. Somit sei die Vorinstanz ihrer diesbezüglichen Abklärungspflicht nicht in rechtsgenügender Weise nachgekommen.

4.5

      1. Angesichts der von der Vorinstanz angenommenen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ist nachfolgend die einschlägige Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Anordnung des Wegweisungsvollzugs von unbegleiteten Minderjährigen heranzuziehen. Danach ist die Vorinstanz von Amtes wegen verpflichtet, das Kindeswohl zu berücksichtigen, zumal Kinder nicht ohne guten Grund aus einem vertrauten Umfeld herausgerissen werden sollten (vgl. BVGE 2015/30 E. 7.2 und 2009/51 E. 5.6). Weiter sind bei einer allfälligen Rückkehr ins Heimatland spezifische Abklärungen der persönlichen Situation unter dem Blickwinkel des Kindeswohls vorzunehmen (vgl. EMARK 2006 Nr. 24 E. 6.2.4 und 1998 Nr. 13 E. 5.e). Die zuständige Behörde hat gemäss Art. 69 Abs. 4 AIG vor einer Ausschaffung von unbegleiteten minderjährigen Personen sicherzustellen, dass diese im Rückkehrstaat einem Familienmitglied, einem Vormund oder einer Aufnahmeeinrichtung übergeben werden können, welche den Schutz des Kindes gewährleisten. Diese konkreten Abklärungen inklusive der allfälligen Übernahmezusicherungen einer geeigneten Institution sind vor Erlass einer wegweisenden Verfügung vom SEM vorzunehmen respektive einzuholen, damit sie einer gerichtlichen Überprüfung offenstehen können. Solche Sachverhaltselemente sind Voraussetzung und Teil der anfechtbaren Verfügung, und stellen nicht etwa von der Rechtsmittelinstanz nicht mehr überprüfbare Vollzugsmodalitäten dar (vgl. BVGE 2015/30 E. 7.3 m.w.H.).

      2. Vorliegend ist – nach Prüfung der Akten durch das Gericht – zunächst festzuhalten, dass die vom SEM angeführten Zweifel an der vom Beschwerdeführer behaupteten Biografie und seinen Lebensumständen in Sri Lanka berechtigt erscheinen. Indes ist ebenso festzuhalten, dass das SEM sowohl die vom Beschwerdeführer angegebene Minderjährigkeit als auch die angegebene Herkunft aus Sri Lanka nicht als unglaubhaft bezeichnete respektive ihn als unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden und sri-lankischen Staatsangehörigen registrierte. Vor diesem Hintergrund durfte sich das SEM bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nicht darauf beschränken, auf eine Verletzung der Mitwirkungspflicht des

        Beschwerdeführers zu verweisen und die im Gesetz vorgesehenen spezifischen Abklärungen bei unbegleiteten Minderjährigen dem vollziehenden Kanton zu überlassen. Mangels Einreichung von Identitätsdokumenten und sonstigen Beweismitteln sowie angesichts der Ergebnisse aus der Botschaftsabklärung dürfte es sich zwar als schwierig erweisen abzuklären, ob in Sri Lanka Familienmitglieder oder ein Vormund vorhanden sind und eine Rückführung dem Kindeswohl entspricht. Die Vorinstanz hat aber die Pflicht, von Amtes wegen Abklärungen hinsichtlich einer anderweitigen Unterbringung in seinem Heimatland zu tätigen. Es reicht folglich nicht aus – wie in der angefochtenen Verfügung – pauschal auf das grundsätzliche Vorliegen entsprechender sozialer Institutionen und das Verfahren einer möglichen Fremdplatzierung in Sri Lanka zu verweisen (vgl. bspw. Urteil des BVGer E-4258/2019 vom 12. September 2019 E. 5.4).

      3. Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz angesichts der von ihr angenommenen Minderjährigkeit des Beschwerdeführers den Sachverhalt unvollständig erstellt. Abklärungsbedürftig ist unter dem Aspekt des Kindeswohls (Art. 3 Abs. 1 KRK) sowohl die heutige persönliche Lage des Beschwerdeführers in der Schweiz als auch bei einer allfälligen Rückführung nach Sri Lanka die Situation betreffend konkreter und kindgerechter Unterbringungsmöglichkeiten vor Ort.

5.

    1. Gemäss Art. 61 Abs. 1 VwVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in der Sache selbst oder weist diese ausnahmsweise mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurück. Eine Kassation und Rückweisung an die Vorinstanz ist insbesondere angezeigt, wenn weitere Tatsachen festgestellt werden müssen und ein umfassendes Beweisverfahren durchzuführen ist. Die in diesen Fällen fehlende Entscheidungsreife kann grundsätzlich zwar auch durch die Beschwerdeinstanz selbst hergestellt werden, wenn dies im Einzelfall aus prozessökonomischen Gründen angebracht erscheint; sie muss dies aber nicht (vgl. BVGE 2012/21 E. 5 m.w.H.).

    2. Vorliegend ist aufgrund des Gesagten keinesfalls von einer bestehenden oder leicht herstellbaren Entscheidungsreife auszugehen. Ausserdem soll das Gericht grundsätzlich nicht anstelle der verfügenden Verwaltungsbehörde die Grundlagen des rechtserheblichen Sachverhalts erstellen, weil die beschwerdeführende Partei bei diesem Vorgehen eine Instanz verlieren würde. Vor diesem Hintergrund ist eine Rückweisung angezeigt, zumal die Vorinstanz auch in der Vernehmlassung darauf verzichtete, das Versäumte nachzuholen. Der Vorinstanz ist es dabei unbenommen, auch

Abklärungen (wie bspw. ein Altersgutachten; vgl. Art. 17 Abs. 3bis AsylG sowie Art. 7 Abs. 1 der Asylverordnung 1 vom 11. August 1999 [AsylV 1, SR 142.311]) betreffend die (vorgebliche) Minderjährigkeit des Beschwerdeführers vorzunehmen.

6.

Zusammenfassend ist die Beschwerde insofern gutzuheissen, als die Dispositivziffern 5 und 6 der vorinstanzlichen Verfügung aufzuheben und die Sache in Anwendung von Art. 61 Abs. 1 VwVG zur vollständigen und richtigen Sachverhaltsermittlung und Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an das SEM zurückzuweisen ist. Angesichts der Rückweisung der Sache erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Vorbringen auf Beschwerdeebene, weil das Beschwerdedossier ebenfalls Gegenstand des wiederaufzunehmenden erstinstanzlichen Verfahrens sein und die Vorinstanz sich damit zu befassen haben wird.

7.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Verfahrenskosten zu erheben (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG). Damit wird die mit Zwischenverfügung vom 5. Juli 2019 gewährte unentgeltliche Prozessführung nachträglich gegenstandslos.

    2. Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom

21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers reichte am 29. Mai 2019 eine Kostennote zu den Akten, die einen Vertretungsaufwand von 9.5 Stunden zu einem Stundenansatz von Fr. 180.– und eine Spesenpauschale von Fr. 50.– ausweist. Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9–13 VGKE), ist der zur Anwendung gebrachte Stundenansatz bei Fr. 180.– zu belassen. Der geltend gemachte zeitliche Aufwand erscheint indes im Verhältnis zu anderen Verfahren gleichen Umfangs zu hoch und wird um zweieinhalb Stunden gekürzt. Ferner sind Spesen gemäss Art. 11 Abs. 1 VGKE aufgrund der tatsächlichen Kosten auszuzahlen. Die geltend gemachte Pauschale ist somit nicht zu vergüten, zumal keine besonderen Verhältnisse vorliegen, welche die Auszahlung eines Pauschalbetrags rechtfertigen würden (vgl. Art. 11 Abs. 3 VGKE). Demnach ist das SEM anzuweisen, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von gerundet Fr. 1’357.– (inkl. Mehrwertsteuerzuschlag) auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit die Aufhebung der Dispositivziffern 5 und 6 der vorinstanzlichen Verfügung vom 26. April 2019 beantragt wird.

2.

Die Dispositivziffern 5 und 6 der vorinstanzlichen Verfügung vom 26. April 2019 werden aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an das SEM zurückgewiesen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1’357.– auszurichten.

5.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Simon Thurnheer Bettina Hofmann

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