Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-5105/2019 |
Datum: | 29.10.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Erlöschen des Asyls |
Schlagwörter : | Verfügung; Sachverhalt; Bundes; Migration; Vorinstanz; Bundesverwaltungsgericht; Asyls; Feststellung; Erlöschen; Sachverhalts; Gehör; Behörde; Entscheid; Migrationsamt; Verfahren; Umstände; Flüchtling; Schweiz; Aufenthalt; Abklärung; Akten; Sinne; Parteien; Frist; Anspruch; Beschwerdeführers |
Rechtsnorm: | Art. 25 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 61 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | 135 II 286 |
Kommentar: | - |
Abteilung V E-5105/2019
Besetzung Einzelrichterin Christa Luterbacher,
mit Zustimmung von Richter Daniele Cattaneo, Gerichtsschreiberin Susanne Bolz.
Parteien A. _, geboren am ( ), Syrien,
vertreten durch lic. iur. Michael Steiner, Rechtsanwalt, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Erlöschen des Asyls;
Verfügung des SEM vom 23. September 2019 / N ( ).
Mit Verfügung vom 23. Oktober 2014 anerkannte das vormalige Bundesamt für Migration (heute: SEM) den Beschwerdeführer gestützt auf Art. 3 Abs. 1 und 2 AsylG (SR 142.31) als Flüchtling und gewährte ihm in der Schweiz Asyl.
Mit Schreiben vom 23. September 2019 teilte das SEM dem Beschwerdeführer mit, es sei vom Migrationsamt des Kantons B. informiert worden, dass er sich vom 30. April 2018 bis 4. September 2019 in der Türkei aufgehalten habe. Durch den mehr als einjährigen Aufenthalt ausserhalb der Schweiz seien die Tatbestände des Art. 64 Abs. 1 Bst. a und b AsylG erfüllt, weshalb festgestellt werde, dass das Asyl erloschen sei. Zwar bleibe die Flüchtlingseigenschaft trotz Erlöschens des Asyls bestehen, jedoch müsse er sich betreffend die Abgabe eines Reiseausweises für Flüchtlinge nun an die Behörden des neuen Wohnsitzstaates wenden.
Die Mitteilung enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
Gleichentags wurde der Beschwerdeführer in einem weiteren Schreiben des SEM zur Stellungnahme innert Frist betreffend die eventuelle Aberkennung des Flüchtlingsstatus aufgefordert; es bestehe die Vermutung, er habe sich unerlaubterweise in sein Heimatland Syrien begeben.
Am 1. Oktober 2019 erhob der Beschwerdeführer mit seinem Rechtsvertreter (legitimiert durch Vollmacht vom 30. September 2019) Beschwerde und ersuchte um Aufhebung der angefochtenen Verfügung und um Rückweisung der Sache zur vollständigen und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts. In prozessualer Hinsicht wurde um die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung einhergehend mit dem Verzicht auf Erhebung eines Kostenvorschusses ersucht; eventualiter sei dem Beschwerdeführer eine Frist zur Bezahlung eines Kostenvorschusses anzusetzen.
In der Beschwerde wurde gerügt, das SEM habe den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör sowie die Pflicht zur vollständigen und richtigen Abklärung des rechtserheblichen Sachverhalts sowie das Willkürverbot (Art. 9 BV) schwerwiegend verletzt.
Die vorinstanzlichen Akten trafen am 3. Oktober 2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein (Art. 109 Abs. 6 AsylG).
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG und das AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Das Schreiben der Vorinstanz vom 23. September 2019 enthält die Feststellung, dass das Asyl des Beschwerdeführers gemäss Art. 64 Abs. 1 AsylG erloschen sei und stellt das - aus Sicht der Behörde - Nichtbestehen eines Rechtes des Beschwerdeführers fest; es hat Verfügungscharakter (vgl. Art. 5 Abs. 1 Bst. b VwVG). Für den Verfügungscharakter spricht auch, dass das Asylgesetz im Fall des Erlöschens des Asyls eine Anfechtungsmöglichkeit vorsieht - anders kann aArt. 110a Abs. 1 Bst. b AsylG respektive Art. 102m Abs. 1 Bst. b AsylG nicht verstanden werden. Konkret handelt es sich bei der Verfügung des SEM vom 23. September 2019 demnach um eine Feststellungsverfügung im Sinne von Art. 25 VwVG. Das Feststellungsverfahren unterscheidet sich nicht vom Verfügungsverfahren gemäss Art. 7 ff. VwVG (vgl. HÄNER, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, 2. Aufl. 2016, N 27 zu Art. 25). Nach Art. 44 VwVG unterliegt die Feststellungsverfügung ebenso der Beschwerde wie Gestaltungsund Leistungsverfügungen.
Die Beschwerde wurde fristund formgerecht eingereicht. Die angefochtene Verfügung vom 23. September 2019 enthielt keine Rechtsmittelbelehrung, jedoch wird durch den Beschwerdeeingang beim Bundesverwaltungsgericht am 2. Oktober 2019 die Frist jedenfalls gewahrt (vgl. Art. 108 Abs. 6 AsylG).
Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung; er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und Art. 108 Abs. 6 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Über offensichtlich begründete Beschwerden wird in einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters beziehungsweise einer zweiten Richterin entschieden (Art. 111 Bst. e AsylG). Vorliegend handelt es sich - wie nachfolgend aufgezeigt - um eine solche, weshalb der Beschwerdeentscheid nur summarisch zu begründen ist (Art. 111a Abs. 2 AsylG).
Gestützt auf Art. 111a Abs. 1 AsylG wurde auf die Durchführung eines Schriftenwechsels verzichtet.
Mit der Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreiten des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes, die eine unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes zur Folge hatte; das SEM habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör in schwerwiegender Weise verletzt.
Die formelle Rüge der unvollständigen und daher unrichtigen Feststellung des Sachverhaltes erweist sich aus den folgenden Erwägungen als begründet.
Gemäss Art. 12 VwVG stellt die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen fest und bedient sich nötigenfalls der unter Buchstaben a-e aufgelisteten Beweismittel. Im Asylverfahren findet der Untersuchungsgrundsatz
seine Grenze an der Mitwirkungspflicht der Asylsuchenden (Art. 8 AsylG; Art. 13 VwVG).
Unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn der Verfügung ein falscher und aktenwidriger Sachverhalt zugrunde gelegt wird oder Beweise falsch gewürdigt worden sind. Unvollständig ist ein Sachverhalt, der nicht alle für den Entscheid rechtswesentlichen Sachumstände berücksichtigt (vgl. KÖLZ/HÄNER/BERTSCHI, Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2013, Rz. 1043).
Art. 29 VwVG räumt den Parteien einen Anspruch auf rechtliches Gehör ein. Das rechtliche Gehör dient einerseits der Sachaufklärung und stellt andererseits ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht beim Erlass eines Entscheides dar, der in die Rechtsstellung des Einzelnen eingreift. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst als Mitwirkungsrecht alle Befugnisse, die einer Partei einzuräumen sind, damit sie in einem Verfahren ihren Standpunkt wirksam zur Geltung bringen kann (vgl. BGE 135 II 286
E. 5.1; BVGE 2009/35 E. 6.4.1 mit Hinweisen). Mit dem Gehörsanspruch korreliert die Pflicht der Behörden, die Vorbringen tatsächlich zu hören, ernsthaft zu prüfen und in ihrer Entscheidfindung angemessen zu berücksichtigen.
Eine Verfügung ist so zu begründen, dass der Betroffene den Entscheid gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann; daher sind kurz die wesentlichen Überlegungen zu nennen, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sie ihren Entscheid stützt.
Vorliegend ergibt sich aus den Akten, dass das SEM seinen Entscheid auf die Informationen des zuständigen Migrationsamts abstützte. Das Migrationsamt hatte die Vorinstanz mit Schreiben vom 13. September 2019 darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 10. September 2019 ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Kanton eingereicht hatte. Er habe in diesem Zusammenhang angegeben, am 22. August 2019 zunächst in Griechenland und am 4. September 2019 in die Schweiz eingereist zu sein. Gemäss den Angaben im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) gelte der Beschwerdeführer seit 30. April 2019 (recte 2018) als automatisch ins Ausland weggezogen. Da er sich nunmehr länger als ein Jahr im Ausland aufgehalten habe, ersuche das Migrationsamt die Vorinstanz um Prüfung, ob sein Asyl erloschen sei (vgl. act. 1051799- 1/5). In der Beilage zu diesem Schreiben übermittelte das Migrationsamt dem SEM einen ZEMIS-Auszug, wonach der Beschwerdeführer am
April 2018 aus dem Kanton C. weggezogen sei («Wegzugsart 26»), seinen Antrag um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung vom 10. September 2019 sowie eine Kopie seines Reiseausweises für Flüchtlinge, in dem ein Stempel die Einreise nach Griechenland am 22. August 2019 vermerkt. In der Folge informierte das SEM den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 23. September 2019 über das Erlöschen seines Asyls. Im Schreiben bezieht sich das SEM ohne weitere Begründung betreffend die Umstände des Erlöschens auf die Information des Migrationsamts.
Aus den Akten geht nicht hervor, dass das SEM den Beschwerdeführer aufgefordert hätte, zu den Umständen, welche zur erneuten Beantragung der Aufenthaltsbewilligung und allenfalls zum Erlöschen des Asyls geführt haben, Stellung zu nehmen. Dem ZEMIS ist zu entnehmen, dass seine ihm im Rahmen des Asyls gewährte Aufenthalts-Bewilligung noch bis zum
Oktober 2018 gültig war. Vorliegend hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer vor Erlass ihrer Verfügung keine Gelegenheit gegeben, sich zu ihrer Feststellung zu äussern. Das SEM hat insbesondere auch nicht eruiert, ob der Beschwerdeführer allenfalls besondere Umstände gemäss Art. 64 Abs. 2 AsylG hätte geltend machen können (zu den besonderen Umständen siehe Entscheidungen und Mitteilungen der [vormaligen] Schweizerischen Asylrekurskommission EMARK 2003 Nr. 23). Zwar erlischt das Asyl - ohne behördliches Zutun -, sobald eine Auslandsabwesenheit von mehr als zwölf Monaten vorliegt, jedoch kann das SEM diese Frist unter bestimmten Umständen verlängern (vgl. CARONI/SCHEIBER/PREISIG/ ZOETEWEIJ, Migrationsrecht, 4. Aufl. 2018, Ziff. 4.3.b, Erlöschen von Asyl, S. 479). Da der Verlust des günstigen Asylstatus für den Beschwerdeführer einen schwerwiegenden Eingriff in seine Rechtsposition bedeutet, wäre das SEM nicht nur zur Wahrung der Mitwirkungsrechte des Beschwerdeführers, sondern auch, um alle beachtlichen Aspekte des Sachverhalts abzuklären, gehalten gewesen, ihm zu diesem Sachverhalt das rechtliche Gehör zu gewähren und ihm Gelegenheit zu geben, sich zu äussern.
Aufgrund der vorliegenden Aktenlage kann das Gericht nicht abschliessend beurteilen, ob der Beschwerdeführer sich tatsächlich mehr als ein Jahr ausserhalb der Schweiz aufgehalten hat und - wie von der kantonalen Behörde behauptet - weggezogen ist. Auch zu dieser Frage wurde dem Beschwerdeführer bisher keine Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt. Die Abklärung dieser Umstände sprengt den Rahmen des Beschwerdeverfahrens, weshalb es angezeigt erscheint, die Sache gestützt
auf Art. 61 Abs. 1 VwVG zwecks Vornahme der erforderlichen Abklärungen an die Vorinstanz zurückzuweisen.
5.1 Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen. Die angefochtene Verfügung vom 23. September 2019 ist aufzuheben und die Sache in Anwendung von Art. 61 Abs. 1 VwVG in fine VwVG zur vollständigen und richtigen Sachverhaltsermittlung und Neubeurteilung im Sinne der vorstehenden Erwägungen an das SEM zurückzuweisen.
Bei diesem Ausgang werden keine Verfahrenskosten auferlegt (Art. 63 Abs. 1 und 2 VwVG). Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege (Art. 65 Abs. 1 VwVG) sowie um den Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses werden gegenstandslos.
Dem vertretenen Beschwerdeführer ist angesichts seines Obsiegens in Anwendung von Art. 64 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE, SR 173.320.2) eine Entschädigung für die ihm notwendigerweise erwachsenen Parteikosten zuzusprechen. Es wurde keine Kostennote eingereicht, weshalb die notwendigen Parteikosten aufgrund der Akten zu bestimmen sind (Art. 14 Abs. 2 in fine VGKE). Gestützt auf die in Betracht zu ziehenden Bemessungsfaktoren (Art. 9-13 VGKE) ist dem Beschwerdeführer zulasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1000.- zuzusprechen.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird gutgeheissen.
Die angefochtene Verfügung wird aufgehoben und die Sache wird zur Abklärung des Sachverhalts im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.
Das SEM wird angewiesen, dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eine Parteientschädigung von insgesamt Fr. 1000.- auszurichten.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Die Gerichtsschreiberin:
Christa Luterbacher Susanne Bolz
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