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Bundesverwaltungsgericht Urteil A-668/2020

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung I
Dossiernummer:A-668/2020
Datum:23.11.2020
Leitsatz/Stichwort:Auflösung des Arbeitsverhältnisses
Schlagwörter : Arbeit; Beschwerdegegner; Recht; Vertrag; Arbeitsvertrag; Verfahren; Urteil; Beschwerdegegners; Arbeitsverhältnis; Bewerbung; Täuschung; Zeitpunkt; Vorinstanz; Offenbarungspflicht; Arbeitgeber; Krankheit; Bundesverwaltungsgericht; Entschädigung; Verfahren; Willensmangel; Lebenslauf; Bereich
Rechtsnorm: Art. 13 StGB ; Art. 23 OR ; Art. 28 OR ; Art. 31 OR ; Art. 319 OR ; Art. 320 OR ; Art. 48 BGG ; Art. 48 VwVG ; Art. 49 StGB ; Art. 52 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:132 I 161; 132 II 161; 133 I 270; 137 III 243; 143 III 495
Kommentar:
-, Basler Kommentar Obligationenrecht I, Art. 28 OR, 2020
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung I A-668/2020

U r t e i l v o m 2 3 . N o v e m b e r 2 0 2 0

Besetzung Richterin Christine Ackermann (Vorsitz), Richterin Claudia Pasqualetto Péquignot, Richter Maurizio Greppi, Gerichtsschreiber Tobias Grasdorf.

Parteien EMPA Dübendorf,

Überlandstrasse 129, 8600 Dübendorf, vertreten durch

Dr. Daniel Alder, Rechtsanwalt, Kellerhals Carrard Zürich KIG, Beschwerdeführerin,

gegen

A. ,

vertreten durch

MLaw Angelika Häusermann, Rechtsanwältin, Walder Häusermann Rechtsanwälte AG, Beschwerdegegner,

ETH Beschwerdekommission, Effingerstrasse 6a, Postfach, 3001 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Auflösung des Arbeitsverhältnisses, fristlose Auflösung.

Sachverhalt:

A.

A. (Beschwerdegegner) war ab dem 1. Juli 2017 mit einem bis Ende Dezember 2017 befristeten Arbeitsvertrag bei der EMPA (Beschwerdeführerin) als «juristischer Mitarbeiter ohne Einstufung ins Lohnsystem» im Bereich […] angestellt (Beschäftigungsgrad: 50 %). Per 1. September 2017 schlossen der Beschwerdegegner und die Beschwerdeführerin einen neuen, unbefristeten Arbeitsvertrag für eine Anstellung als «juristischer Mitarbeiter / FS 10 (2044)» mit einem Beschäftigungsgrad von 90 % bis Ende Dezember 2017 und danach von 80 % ab.

B.

Am 25. November 2018 erfuhr die Beschwerdeführerin, dass gegen den Beschwerdegegner ein Strafverfahren wegen Veruntreuung läuft. Am

27. November 2018 stellte sie dem Beschwerdegegner den Entwurf eines Aufhebungsvertrages zu. Die Verhandlungen zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner bezüglich einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsverhältnisses scheiterten in der Folge jedoch.

C.

Am 29. November 2018 kündigte der Beschwerdegegner das Arbeitsverhältnis mit der Beschwerdeführerin ordentlich auf den 28. Februar 2019.

D.

Nach der Gewährung des rechtlichen Gehörs kündigte die Beschwerdeführerin mit Verfügung vom 11. Dezember 2018 das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdegegner fristlos und rückwirkend per 30. November 2018. Zudem stellte sie fest, dass sie das Arbeitsverhältnis mit dem Beschwerdegegner ohnehin infolge Täuschung als (nachträglich) unverbindlich erachte.

E.

Die gegen die Verfügung vom 11. Dezember 2018 erhobene Beschwerde des Beschwerdegegners hiess die ETH-Beschwerdekommission (Vorinstanz) mit Urteil vom 19. Dezember 2019 teilweise gut. Sie hob die Verfügung der Beschwerdeführerin betreffend fristloser Kündigung auf und verpflichtete sie, dem Beschwerdegegner bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Ende Februar 2019 den Lohn zu bezahlen und ihm eine Entschädigung in der Höhe von sechs Monatslöhnen (brutto) ohne Abzug der Sozialversicherungsbeiträge auszurichten. Zudem verpflichtete sie die Beschwerdeführerin dazu, dem Beschwerdegegner nach Eintritt der

Rechtskraft des Urteils eine Parteientschädigung von Fr. 7'539.– (inkl. MWST) auszuzahlen. Schliesslich wies sie den Bereich Finanzen / Stab ETH-Rat an, dem Beschwerdegegner nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils die «restlichen» Fr. 1'129.80 (inkl. MWST [infolge unentgeltlicher Prozessentschädigung]) auszuzahlen.

F.

Am 3. Februar 2020 erhebt die Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen das Urteil der Vorinstanz vom 19. Dezember 2019 und beantragt, das Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass die fristlose Entlassung beziehungsweise Aufhebung des Arbeitsvertrages gültig erfolgt sei.

G.

Am 18. Februar 2020 reicht die Vorinstanz ihre Akten ein, beantragt die Abweisung der Beschwerde und verzichtet auf weitere Ergänzungen.

H.

In seiner Beschwerdeantwort vom 6. März 2020 beantragt der Beschwerdegegner die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. In prozessualer Hinsicht ersucht er unter anderem um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege, Beigabe einer unentgeltlichen Rechtsbeiständin in der Person seiner Rechtsvertreterin und Verzicht auf eine allfällige von ihm zu leistende Parteientschädigung aufgrund fehlender Leistungsfähigkeit.

I.

Mit Zwischenverfügung vom 24. März 2020 heisst das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch des Beschwerdegegners um Gewährung der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung gut und setzt Rechtsanwältin Angelika Häusermann als unentgeltliche Rechtsbeiständin ein.

J.

Am 20. Mai 2020 reicht die Beschwerdeführerin eine Replik ein. Die Vorinstanz verzichtet am 23. Juni 2020 auf eine Duplik und der Beschwerdegegner reicht seine Duplik am 14. August 2020 ein.

K.

Die Beschwerdeführerin reicht am 20. August 2020 unaufgefordert eine weitere Stellungnahme ein.

L.

Der Beschwerdegegner nimmt am 4. September 2020 zur Eingabe der Beschwerdeführerin vom 20. August 2020 Stellung; die Vorinstanz verzichtet auf eine Stellungnahme.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG, sofern keine Ausnahme nach Art. 32 VGG gegeben ist und eine Vorinstanz im Sinne von Art. 33 VGG entschieden hat.

      Bei der EMPA handelt es sich um eine Forschungsanstalt des ETH-Bereichs (Art. 1 Bst. c der Verordnung des ETH-Rates vom 13. November 2003 über die Forschungsanstalten des ETH-Bereichs [SR 414.161]). Gegen Verfügungen der Forschungsanstalten der ETH kann bei der ETH-Beschwerdekommission Beschwerde geführt werden (Art. 37 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Eidgenössischen Technischen Hochschulen [ETH-Gesetz, SR 414.110]). Die ETH-Beschwerdekommission stellt als eidgenössische Kommission im Sinne von Art. 33 Bst. f VGG eine zulässige Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts dar. Eine Ausnahme nach Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist somit zur Beurteilung der Beschwerde zuständig (vgl. auch Art. 36 Abs. 1 des Bundespersonalgesetzes vom 24. März 2000 [BPG, SR 172.220.1]

      i.V.m. Art. 17 Abs. 2 ETH-Gesetz sowie Art. 62 Abs. 2 der Verordnung des ETH-Rates vom 15. März 2001 über das Personal im Bereich der Eidgenössischen Technischen Hochschulen [Personalverordnung ETH-Bereich, PVO-ETH, SR 172.220.113]).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Die Beschwerdeführerin hat sich am vorinstanzlichen Verfahren beteiligt und ist als Adressatin der angefochtenen Verfügung sowohl formell als auch materiell beschwert, weshalb sie zur Beschwerde legitimiert ist (vgl. Art. 48 Abs. 1 VwVG und Art. 37 Abs. 2 ETH-Gesetz).

    4. Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist somit einzutreten (vgl. Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG).

2.

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet grundsätzlich mit uneingeschränkter Kognition. Es überprüft die angefochtene Verfügung auf Verletzungen des Bundesrechts – einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens –, auf unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und auf Unangemessenheit (Art. 49 VwVG). Dabei muss sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit jeder tatbestandlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen. Vielmehr kann es sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (vgl. statt vieler BGE 133 I 270 E. 3.1).

3.

    1. Streitig und zu prüfen ist vorliegend, ob die fristlose Kündigung respektive die einseitige Unverbindlichkeitserklärung des Arbeitsvertrages durch die Beschwerdeführerin zu Recht erfolgt ist.

      Als Erstes ist zu beurteilen, ob sich die Beschwerdeführerin zu Recht auf einen Willensmangel bezüglich des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner zufolge absichtlicher Täuschung durch diesen beruft.

    2. Die Beschwerdeführerin macht bezüglich des Abschlusses des Arbeitsvertrages vom 1. September 2017 mit dem Beschwerdegegner einen Willensmangel geltend. Sie bringt vor, der Beschwerdegegner habe bei seinen kurz aufeinanderfolgenden Bewerbungen verschwiegen, dass er zuvor acht Jahre in einem privaten Unternehmen als […] tätig und zum Zeitpunkt der Bewerbungen in ein strafrechtliches Verfahren wegen mehrfacher Veruntreuung mit einer Deliktssumme von Fr. […] Mio. involviert war. Zudem habe er seine psychische Krankheit verschwiegen. Im […] sei er während […] Monaten in Untersuchungshaft gewesen.

      Der Beschwerdegegner habe die Beschwerdeführerin mit bewusst irreführenden und verschleiernden Angaben über seinen Werdegang getäuscht und so diesbezügliche Nachfragen verhindert. Er habe im Rahmen seiner Bewerbung bezüglich des eingereichten Lebenslaufs speziell darauf hingewiesen, dass er aufgrund seiner selbständigen Tätigkeit von 2006 bis 2016 über keine Referenzen und Arbeitszeugnisse verfüge. Seinen Lebenslauf habe er absichtlich so gestaltet, dass keine Lücken erkennbar gewesen seien, sondern die Beschwerdeführerin von der Annahme habe ausgehen müssen, in der fraglichen Zeit sei die selbständige Erwerbstätigkeit seine Hauptbeschäftigung gewesen sei. Durch die gezielte Unterdrückung seiner achtjährigen Tätigkeit als […] in einem privaten Unternehmen

      und durch die zu diesem Zweck vorgeschobene berufliche Selbständigkeit habe der Beschwerdegegner die Einholung entsprechender Referenzauskünfte verhindert, was dazu geführt habe, dass die Beschwerdeführerin von seinen jahrelang andauernden Straftaten zulasten seines früheren Arbeitgebers und dessen Kunden nichts erfahren habe. Der Beschwerdegegner habe damit bewusst und gezielt unvollständige Angaben zu seiner bisherigen beruflichen Laufbahn gemacht.

      Die strafrechtlichen Verfehlungen des Beschwerdegegners hätten erhebliche Auswirkungen auf die Reputation und Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin und wögen ausserordentlich schwer. Über vertragswesentliche Tatsachen dieser Art bestehe im Rahmen der Vertragsanbahnung eine Auskunftsund Offenbarungspflicht. Dieser sei der Beschwerdegegner nicht nachgekommen. Im Gegenteil habe er durch die gezielte Unterdrückung von Angaben beziehungsweise durch falsche Angaben im Lebenslauf seine diesbezüglichen Pflichten vorsätzlich verletzt, womit er Rückfragen, Rückschlüsse und Referenzanfragen verunmöglicht habe. Angesichts dieser Umstände sei von einer gezielten Täuschung durch den Beschwerdegegner hinsichtlich wesentlicher Grundlagen beim Vertragsschluss auszugehen, woraus eine (aufgrund des faktischen Arbeitsverhältnisses nachträgliche) Unverbindlichkeit des Vertrages resultiere.

    3. Der Beschwerdegegner bringt demgegenüber vor, es habe im Bewerbungsverfahren bei der Beschwerdeführerin keine Aufklärungspflicht betreffend seine Krankheit, das gegen ihn laufende Strafverfahren oder seine frühere Anstellung bei einem privaten Unternehmen bestanden. Deshalb liege auch keine widerrechtliche Täuschung vor. Er habe zudem keine falschen Angaben gemacht, sondern lediglich seine frühere Arbeitsstelle nicht angegeben. Wäre eine straflose Vergangenheit für die Beschwerdeführerin wesentlich gewesen, hätte sie diese erfragen müssen.

      Der Beschwerdegegner führt weiter aus, das Strafverfahren habe sich zum Zeitpunkt der Bewerbung erst im Untersuchungsverfahren befunden, Anklage sei erst am […] 2018 erhoben worden. Nur schon aufgrund der Unschuldsvermutung habe er das Strafverfahren nicht offenlegen müssen. Die selbständige berufliche Tätigkeit sei nicht lediglich vorgeschoben gewesen und es hätten sich keine falschen Angaben im Lebenslauf befunden. Es sei bei ihm eine […] diagnostiziert worden und er habe sich im Tatzeitpunkt in einer […] befunden, weshalb er die Taten in voll schuldunfähigem Zustand begangen habe. Es habe weder im Zeitpunkt des Bewerbungsprozesses noch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses mit der

      Beschwerdeführerin die Gefahr bestanden, dass ihn wieder […] überkämen und er infolgedessen wieder deliktisch tätig werden könnte, da er seine Krankheit zu diesem Zeitpunkt dank regelmässigen therapeutischen und medikamentösen Behandlungen unter Kontrolle gehabt habe. Er habe zu keinem Zeitpunkt böswillig seine frühere Anstellung verschleiert, sondern für ihn sei klar gewesen, dass mit der Behandlung seiner Krankheit und der medikamentösen Einstellung keine weitere Gefahr von ihm ausgehe. Hätte er der Beschwerdeführerin von seiner Krankheit erzählt, hätte er die Arbeitsstelle nicht bekommen. Da er nicht habe voraussehen können, wie das Strafverfahren ausgehe, er aber gewusst habe, dass er mit der Therapie keine Gefahr mehr darstelle, sei ihm keine Offenbarungspflicht oblegen. Es sei für ihn nicht absehbar gewesen, dass es zu einer mehrjährigen unbedingten Freiheitsstrafe kommen würde. Er habe zudem bei der Beschwerdeführerin gar keine Funktion gehabt, bei der er ein Vermögensdelikt hätte begehen können, da ihm die Kompetenz und die Zeichnungsberechtigung gefehlt hätten.

    4. Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdegegner habe aufgrund des Strafprozesses oder der psychischen Erkrankung keine Offenbarungspflicht verletzt, weder in Bezug auf seine Geeignetheit für die Arbeitsstelle noch im Hinblick auf eventuelle Abwesenheiten vom Arbeitsplatz. Deshalb liege kein Willensmangel und insbesondere keine Täuschung vor und der Arbeitsvertrag sei gültig zustande gekommen.

4.

    1. Auf das in Frage stehende Arbeitsverhältnis sind primär das BPG und die PVO-ETH anwendbar. Soweit das BPG und andere Bundesgesetze nichts Abweichendes bestimmen, gelten für das Arbeitsverhältnis zudem sinngemäss die einschlägigen Bestimmungen des Obligationenrechts (OR, vgl. Art. 6 Abs. 2 BPG). Sinngemässe Anwendung bedeutet Anwendung der Bestimmungen des OR als öffentliches Personalrecht, soweit nicht verfassungsrechtliche Anforderungen oder gesetzliche Besonderheiten eine von der Zivilrechtspraxis abweichende Regelung gebieten (vgl. PETER HELBLING, Handkommentar zum Bundespersonalgesetz, Art. 6 N 25; vgl. auch BVGE 2015/20 E. 3.4.3). Der Verweis bezieht sich nicht nur auf die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des OR (Art. 319 ff. OR), sondern auf sämtliche Regeln, die sich im Hinblick auf die Besonderheiten des öffentlichen Arbeitsverhältnisses für einen Beizug als ergänzendes öffentliches Recht eignen. Erfasst werden damit insbesondere auch die Bestimmungen über die Willensmängel (Art. 23–31 OR; vgl. BGE 132 II 161 E. 3.1 m.w.H.).

    2. Gemäss Art. 23 OR ist ein Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Ist ein Vertragsabschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des anderen zum Vertragsabschluss verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn gemäss Art. 28 Abs. 1 OR auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war.

    3. Der Tatbestand einer absichtlichen Täuschung nach Art. 28 Abs. 1 OR erfordert ein täuschendes und widerrechtliches Verhalten, eine Täuschungsabsicht, ein Irrtum des Getäuschten und eine Kausalität zwischen Täuschung und Willenserklärung (vgl. INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, Basler Kommentar Obligationenrecht I, [BSK OR I], 7. Aufl. 2020, Art. 28 N 3 ff.; Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September

      2020 E. 6.3).

    4. Ein täuschendes Verhalten im Sinne von Art. 28 OR ist anzunehmen, wenn dem Betroffenen widerrechtlich Tatsachen vorgespiegelt oder verschwiegen wurden, ohne die er den Vertrag nicht oder nicht mit dem entsprechenden Vertragsinhalt abgeschlossen hätte. Das Verschweigen von Tatsachen ist dabei (nur) insoweit verpönt, als eine Offenbarungsoder Aufklärungspflicht besteht. Wann dies der Fall ist, bestimmt sich auf Grund der Umstände im Einzelfall (BGE 132 I 161 E. 4.1 m.w.H.; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 ff.; Urteil

      des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.2).

    5. Den Arbeitnehmer trifft im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine vorvertragliche, auf Art. 2 ZGB beruhende Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Der Umfang und die Tragweite dieser vorvertraglichen Pflichten sind in Lehre und Rechtsprechung im Einzelnen umstritten. Grundsätzlich ist bei Vertragsverhandlungen im Hinblick auf einen unbefristeten Arbeitsvertrag ein erhöhtes Mass an Aufklärungspflichten anzunehmen, da es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, das regelmässig ein besonderes Vertrauensverhältnis voraussetzt (BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 28 N 10 und 47; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 f.).

4.5.1 Dem Arbeitnehmer erwachsen im Rahmen von Vertragsverhandlungen insbesondere gewisse vorvertragliche Auskunftsund Offenbarungspflichten. Lehre und Rechtsprechung unterscheiden im Rahmen von Vertragsverhandlungen im – privatrechtlichen – Arbeitsbereich drei Formen von Informationspflichten der Vertragsparteien: eine Offenbarungspflicht,

eine Auskunftspflicht und eine Wahrheitspflicht, wobei die Begriffe teilweise unterschiedlich verwendet werden (vgl. BGE 132 II 161 E. 4.2 sowie MANFRED REHBINDER/JEAN-FRITZ STÖCKLI, BK OR, 2010, Art. 320 Rz. 32 ff.; BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 28 N 47; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 8 f.; ULLIN STREIFF

ET AL., Arbeitsvertrag, 7. Aufl. 2012, Art. 328b N 11 f.; vgl. auch Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.2). Die Offenbarungspflicht verpflichtet die Verhandlungspartner, gewisse Informationen von sich aus – das heisst auch ohne spezifische Fragen des Verhandlungspartners – preiszugeben. Eine Offenbarungspflicht ist nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen: Der Arbeitnehmer hat im Rahmen seiner Offenbarungspflicht alles mitzuteilen, was ihn zur Übernahme der Stelle als (absolut) ungeeignet erscheinen lässt, die vertragsgemässe Arbeitsleistung praktisch ausschliesst oder diese doch erheblich vermindert. Die Auskunftspflicht beinhaltet die Pflicht, Fragen der anderen Verhandlungspartei zu beantworten, soweit diese von unmittelbarem und objektivem Interesse für das spezifische Arbeitsverhältnis sind. Die Wahrheitspflicht schliesslich verpflichtet die Verhandlungsparteien dazu, sich bei ihren Aussagen an die Wahrheit zu halten, unabhängig davon, ob sie diese von sich aus oder im Rahmen ihrer Offenbarungsoder Auskunftspflicht machen. Liegt die Täuschungshandlung in der unterlassenen Aufklärung, ist in der Bejahung der Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzeitig auch die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens erstellt (vgl. INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR I, Art. 28 N 12; vgl. auch Urteil des BVGer A-1893/2020 vom

2. September 2020 E. 5.2).

5.

    1. Zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin im Bewerbungsverfahren bezüglich der unbefristeten Stelle als juristischer Mitarbeiter widerrechtlich täuschte, indem er sie nicht über seine frühere Anstellung, die von ihm begangenen Delikte und das gegen ihn laufende Strafverfahren informierte.

    2. Der massgebliche Sachverhalt ist grundsätzlich erstellt und wird von keiner Seite bestritten. Der Beschwerdegegner bewarb sich bei der Beschwerdeführerin zuerst auf eine befristete und später, im September 2017, auf eine unbefristete Arbeitsstelle als juristischer Mitarbeiter im Bereich […]. Von der einseitigen Aufhebung des Arbeitsverhältnisses betroffen ist dieser zweite, unbefristete Arbeitsvertrag. In dessen Rahmen übernahm der Beschwerdegegner hauptsächlich Aufgaben im Bereich Legal and Compliance, insbesondere interne Kontrollen und Vertragsprüfungen,

wobei er sowohl intern als auch extern selbständige Kontakte und Auftritte hatte. Im Rahmen des Bewerbungsverfahrens für diese Stelle gab der Beschwerdegegner nicht an, dass er ab 2007 während acht Jahren für ein privates Unternehmen als […] gearbeitet hatte. Er informierte die Beschwerdeführerin auch nicht darüber, dass zum Zeitpunkt der Bewerbung ein Strafverfahren gegen ihn hängig war, in dem er beschuldigt wurde, im Rahmen seiner früheren Tätigkeit als […] im Wert von Fr. […] Mio. veruntreut zu haben. Am 25. November 2018 wurde die Beschwerdeführerin aufgrund von Medienberichten auf den Strafprozess gegen den Beschwerdegegner aufmerksam. In einer telefonischen Kontaktaufnahme durch die Beschwerdeführerin bestätigte der Beschwerdegegner am gleichen Tag, dass er in das Strafverfahren verwickelt sei. Mit Urteil des Bezirksgerichts […] vom […] 2019 wurde der Beschwerdegegner zu einer Freiheitsstrafe von […] Monaten wegen mehrfacher Veruntreuung von […] mit einer Deliktssumme von Fr. […] Mio. verurteilt, wobei ihm dabei eine leicht verminderte Schuldfähigkeit aufgrund seiner psychischen Krankheit zugestanden wurde. Das Obergericht des Kantons […] bestätigte das erstinstanzliche Urteil am […] 2020 vollumfänglich. Der Beschwerdegegner ist, was den Sachverhalt angeht, grundsätzlich geständig, behauptet aber weiterhin eine vollständige Schuldunfähigkeit.

5.3

      1. Eine Offenbarungspflicht besteht dann, wenn der Arbeitnehmer die zur Diskussion stehende Arbeitsleistung mangels entsprechender Fähigkeiten überhaupt nicht erbringen kann (fehlende Ausbildung oder Berufspraxis), wenn er zur Arbeitsleistung infolge chronischer Leiden, schwerer oder ansteckender Krankheiten ausserstande ist oder wenn feststeht, dass er bei Dienstantritt aller Voraussicht nach krank oder zur Kur sein wird. Ob und inwieweit bezüglich eines hängigen Strafverfahrens (Ermittlungs-, Untersuchungsund Hauptverfahren) eine Offenbarungspflicht besteht, ist umstritten. Eine solche Offenbarungspflicht wird tendenziell hinsichtlich arbeitsplatzbezogener Delikte und bezüglich solcher Verfahren bejaht, bei denen die konkret absehbare Gefahr einer Arbeitsverhinderung oder doch das erhebliche Risiko einer wesentlichen Verminderung der Arbeitsleistung besteht (BGE 132 II 161 E. 4.2 m.w.H.).

        Die vom Beschwerdegegner begangenen und von ihm gestandenen Delikte (zur Unschuldsvermutung siehe E. 5.3.2) können insofern als arbeitsplatzbezogen bezeichnet werden, als er sie im Rahmen seiner früheren Anstellung und zudem zum Nachteil seines damaligen Arbeitgebers respektive teilweise zum Nachteil von dessen Kunden begangen hatte. Sie

        waren damit grundsätzlich auch für einen zukünftigen Arbeitgeber von Relevanz. Der Bereich Legal and Compliance, dem der Beschwerdegegner angehörte, hat innerhalb der Institution der Beschwerdeführerin eine besondere Vertrauensposition inne. Diese Position bringt eine besondere Verantwortung mit sich, da sie für die Einhaltung der relevanten rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards verantwortlich ist. Die Aufgabe des Beschwerdegegners setzte damit ein besonderes Vertrauen in seine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit voraus (vgl. Urteil des BGer 4A.569/2010 vom 14. Februar 2011 E. 2.5, bzgl. einer fristlosen Entlassung). Eine Person, die sich an ihrem früheren Arbeitsort zum Nachteil des Arbeitgebers massiv deliktisch betätigt hat, erscheint für eine Arbeitsstelle, die spezifisch die Aufgabe umfasst, die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen und der organisationsinternen Standards zu überwachen, als ungeeignet. Die Beschwerdeführerin als Arbeitgeberin konnte unter diesen Umständen nicht vollständig darauf vertrauen, dass der Beschwerdegegner seine Arbeit korrekt ausführen würde, ein Vertrauen, ohne das eine solch verantwortungsvolle Tätigkeit nicht ausgeübt werden kann. Damit hatte die deliktische Tätigkeit des Beschwerdegegners an seinem früheren Arbeitsort unmittelbare Auswirkungen auf die berufliche Eignung für die mit dem neuen Arbeitgeber verabredete Arbeitsleistung (vgl. BGE 132 II 161

        E. 4.3.1). Dies scheint auch dem Beschwerdegegner klar gewesen zu sein, führt er doch in einer E-Mail vom 28. November 2018 aus, er hätte wohl den Job nicht bekommen, wenn er gleich am Anfang von seiner Vergangenheit erzählt hätte. Der Beschwerdegegner bringt wiederholt vor, er habe die Straftaten aufgrund seiner psychischen Krankheit in voll schuldunfähigem Zustand begangen. Gleichzeitig macht er jedoch auch geltend, zum Zeitpunkt der Bewerbung bei der Beschwerdeführerin habe er seine psychische Krankheit durch regelmässige therapeutische und medikamentöse Behandlung unter Kontrolle gehabt. Damit kann aber davon ausgegangen werden, dass er sich – als Jurist – zu diesem Zeitpunkt auch der Schwere seiner Straftaten bewusst war. Der von ihm ins Feld geführte Umstand, dass er während der Zeit, in der er für die Beschwerdeführerin tätig war, keine Delikte verübte und seine Arbeit zur allgemeinen Zufriedenheit erledigte, ändert an der Beurteilung nichts, da es sich um nachträgliche Tatsachen handelt. Nur nebenbei sei bemerkt, dass es sich mit knapp 15 Monaten ohnehin nicht um eine hinreichend lange (Bewährungs-)Zeit gehandelt hätte. Insgesamt sprechen die genannten, besonderen Umstände dafür, dass der Beschwerdegegner im Rahmen seiner Offenbarungspflicht verpflichtet gewesen wäre, seine deliktische Tätigkeit bei seinem früheren Arbeitgeber im Rahmen des Bewerbungsverfahrens bekannt zu geben, da

        sie ihn für die in Frage stehende Stelle objektiv ungeeignet erscheinen liessen.

        Ebenfalls für das Vorliegen einer Offenbarungspflicht spricht der Umstand, dass der Beschwerdegegner zum Zeitpunkt des Bewerbungsverfahrens davon ausgehen musste, dass er aufgrund seiner deliktischen Tätigkeit und des laufenden Strafverfahrens wahrscheinlich für längere Zeit von seiner neuen Arbeitsstelle abwesend sein würde: Zum Zeitpunkt der Bewerbung auf die unbefristete Stelle im September 2017 hatte der Beschwerdegegner bereits […] Monate in Untersuchungshaft verbracht (im […]). Da er gemäss seinen eigenen Aussagen seine psychische Krankheit zu diesem Zeitpunkt unter Kontrolle hatte, muss ihm auch bewusst gewesen sein, dass es sich bei den von ihm verübten Delikten nicht um kleinere Vergehen, sondern um Verbrechen mit entsprechend hohen Strafandrohungen handelt. So sieht Art. 138 StGB für Veruntreuung eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor, wobei das Höchstmass der angedrohten Strafe bei mehrfacher Begehung um maximal die Hälfte erhöht werden kann, vorliegend also auf siebeneinhalb Jahre (Art. 49 Abs. 1 StGB). Als Jurist muss dem Beschwerdegegner auch bewusst gewesen sein, dass die ernsthafte Gefahr besteht, dass er trotz seiner psychischen Krankheit eine längere, unbedingte Freiheitsstrafe erhalten würde. Insofern bestand zu diesem Zeitpunkt eine konkret absehbare Gefahr einer längeren Arbeitsverhinderung, die er dem Arbeitgeber von sich aus hätte offenlegen müssen.

      2. Selbst wenn nicht von einer Offenbarungspflicht beziehungsweise einem Verstoss dagegen auszugehen wäre, wäre festzustellen, dass der Beschwerdegegner zumindest gegen die Aufklärungsund Wahrheitspflicht verstiess, indem er im Bewerbungsverfahren falsche Angaben zu seinen früheren Arbeitstätigkeiten machte.

        Der Beschwerdegegner stellte den bei der Beschwerdeführerin eingereichten Lebenslauf so dar, dass daraus zu schliessen war, er sei von […] 2006 bis […] 2016 ausschliesslich selbständig tätig gewesen ([…]). In Tat und Wahrheit war er jedoch ab 2007 acht Jahre lang bei einem privaten Unternehmen angestellt. Dies wurde aber in dem seiner eigenen Ansicht nach

        «wohl auf den ersten Blick ein wenig überladenen» Lebenslauf mit keinem Wort erwähnt. Angaben zu früheren Arbeitsstellen in einem im Bewerbungsverfahren eingereichten Lebenslauf unterliegen im Sinne einer Reaktion auf ein entsprechendes Auskunftsbegehren des Arbeitgebers, meist

        in einer Stellenausschreibung, grundsätzlich der Auskunftsund Wahrheitspflicht. Die entsprechenden Angaben im Lebenslauf des Beschwerdegegners suggerierten mit ihrer chronologischen und ansonsten ausführlichen Darstellung Vollständigkeit. Deshalb durfte die Beschwerdeführerin aufgrund der Verpflichtung des Beschwerdegegners, die Verhandlungen in guten Treuen zu führen, davon ausgehen, dass diese Angaben zumindest insofern vollständig waren, als dass sie keine substantiellen, offensichtlich relevanten Auslassungen enthalten würden. Das Weglassen einer achtjährigen unselbständigen Tätigkeit stellt jedoch eine substantielle Auslassung dar. So suggerierte der Lebenslauf fälschlicherweise, dass der Beschwerdegegner zwischen […] 2006 und […] 2016 ausschliesslich selbständig tätig gewesen sei und unterschlug dessen achtjährige Anstellung bei einem privaten Unternehmen. Der Beschwerdegegner gab zudem der Beschwerdeführerin gegenüber im Bewerbungsverfahren zu verstehen, dass er für die Zeit von 2006 bis 2016 weder Arbeitszeugnisse einreichen noch Referenzen angeben könne, da er in dieser Zeit nur selbständig tätig gewesen sei. Diese Angaben entsprachen ebenfalls nicht der Wahrheit, da der Beschwerdegegner nicht aufgrund seiner Selbständigkeit keine Arbeitszeugnisse einreichen und Referenzen angeben konnte, sondern er dies nicht wollte, da er seine frühere Anstellung und die mit dieser in Zusammenhang stehenden Delikte zu verheimlichen versuchte.

        An dieser Beurteilung ändert auch der Verweis des Beschwerdegegners auf die Unschuldsvermutung nichts. Die Unschuldsvermutung gilt hauptsächlich gegenüber staatlichen Stellen und entfaltet ihre Wirkung vor allem im strafrechtlichen Verfahren. Eine – lediglich indirekte respektive mittelbare – Drittwirkung wird höchstens für die Medien angenommen (vgl. TARKAN GÖKSU, Basler Kommentar BV, Art. 32 N 6, und ESTHER TOPHINKE, Basler Kommentar Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, Art. 19 N 31; eher zurückhaltend zudem: WOLFGANG WOHLERS, Zürcher Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, Art. 10 N 19). Der Beschwerdegegner kann sich deshalb nicht auf die Unschuldsvermutung berufen um zu rechtfertigen, wieso er gegenüber der Beschwerdeführerin seiner Auskunftsund Wahrheitspflicht nicht nachgekommen ist. Auch mit dem Hinweis, er habe bei der Beschwerdeführerin gar nicht die Kompetenzen (Zeichnungsberechtigung) gehabt, um erneut deliktisch tätig zu werden, vermag der Beschwerdegegner sein Verhalten nicht zu rechtfertigen, da deliktische Tätigkeiten zulasten eines Arbeitgebers zwangsläufig Kompetenzüberschreitungen beinhalten.

        Indem der Beschwerdegegner in seinem Lebenslauf eine nur kurze Zeit zurückliegende, unselbständige Tätigkeit von acht Jahren unterschlug und wahrheitswidrig geltend machte, er könne aufgrund seiner Selbstständigkeit in diesem Zeitraum keine Arbeitszeugnisse oder Referenzen angeben, verstiess er gegen seine aus der vorvertragliche Treupflicht fliessende Aufklärungsund Wahrheitspflicht gegenüber der Beschwerdeführerin.

      3. Ein widerrechtliches täuschendes Verhalten des Beschwerdegegners liegt damit vor. Aufgrund des Verhaltens des Beschwerdegegners ging die Beschwerdeführerin irrtümlich davon aus, dass der Beschwerdegegner von […] 2006 bis […] 2016 ausschliesslich selbständig tätig gewesen sei und in dieser Zeit keine Anstellung innehatte. Ein Irrtum liegt damit ebenfalls vor.

    1. Die Täuschung muss vorsätzlich oder eventualvorsätzlich erfolgen (BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 28 N 67 ff.; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR, Art. 28 N 11; Urteil des BVGer

      A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 6.3.2). Der Beschwerdegegner machte bewusst unwahre Angaben bezüglich seiner früheren beruflichen Tätigkeit und täuschte eine selbständige Beschäftigung als ausschliessliche Tätigkeit vor. Er nahm damit zumindest in Kauf, dass die Beschwerdeführerin aufgrund dieser Aussagen diesbezüglich eine irrtümliche Meinung bildete und gestützt darauf auch handelte, das heisst, den Arbeitsvertrag mit ihm abschloss. Es ist daher ein zumindest eventualvorsätzliches Vorgehen des Beschwerdegegners anzunehmen und eine Täuschungsabsicht zu bejahen.

    2. Die Beschwerdeführerin legt nachvollziehbar dar, dass sie den Vertrag bei Kenntnis der deliktischen Tätigkeit des Beschwerdegegners bei seinem ehemaligen Arbeitgeber nicht abgeschlossen hätte. Hätte die Beschwerdeführerin von der früheren Anstellung des Beschwerdegegners während acht Jahren gewusst, hätte sie ihn zweifellos nach entsprechenden Arbeitszeugnissen und Referenzen gefragt. Hätte der Beschwerdegegner in diesem Fall ein Arbeitszeugnis seines früheren Arbeitgebers vorgelegt oder Referenzen angegeben, hätte die Beschwerdeführerin von seiner deliktischen Tätigkeit erfahren, was dazu geführt hätte, dass sie den Arbeitsvertrag nicht abgeschlossen hätte. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Beschwerdegegner zu diesem Zeitpunkt seine psychische Krankheit angeblich unter Kontrolle hatte, zumal ihm sowohl das Bezirksgericht […] als auch das Obergericht […] lediglich eine leicht verminderte Schuldunfähigkeit bezüglich der begangenen Veruntreuungen zugestanden. Aber

      auch wenn der Beschwerdegegner Arbeitszeugnis und Referenzen verweigert hätte, wäre die Beschwerdeführerin den Arbeitsvertrag wohl kaum eingegangen, da sie gemerkt hätte, dass der Beschwerdegegner etwas zu verbergen versucht. Ob die Beschwerdeführerin die Täuschung durch eine Internetrecherche oder die Einholung eines Strafregisterauszugs hätte erkennen können, ist nicht erheblich, da ein allenfalls fahrlässiges Verhalten des Getäuschten die Kausalität nicht aufhebt (Urteil des BGer 4A_141/2017 vom 4. September 2017 E. 3.1.4 [nicht publiziert in BGE 143 III 495]). Das Verhalten des Beschwerdegegners war damit (hypothetisch) kausal für das Eingehen des Arbeitsvertrages durch die Beschwerdeführerin.

    3. Insgesamt ist damit eine absichtliche Täuschung der Beschwerdeführerin durch den Beschwerdegegner zu bejahen. Die Beschwerdeführerin war entsprechend berechtigt, von der Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner auszugehen. Die Frage, ob der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin auch über seine Krankheit hätte informieren müssen, kann damit offenbleiben.

6.

6.1 Es ist zu klären, welche Folgen die Unverbindlichkeit des öffentlichrechtlichen Arbeitsvertrags vorliegend hat.

6.2

      1. Will der von einem Willensmangel betroffene Teil den Vertrag zu Fall bringen, so muss er den WiIlensmangel innerhalb eines Jahres geltend machen, indem er der anderen Partei erklärt, dass er den Vertrag nicht halte, oder indem er eine schon erfolgte Leistung zurückfordert. Andernfalls gilt der Vertrag als genehmigt (Art. 31 Abs. 1 OR). Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit deren Entdeckung zu laufen (Art. 31 Abs. 2 OR). Die Erklärung des Berechtigten im Sinne von Art. 31 OR ist eine einseitige Willenserklärung, die an keine besondere Form gebunden ist. Inhaltlich muss die Anfechtungserklärung insofern substantiiert sein, als der Berechtigte der anderen Partei ausdrücklich oder konkludent zu eröffnen hat, dass er den Vertrag wegen eines WiIlensmangels nicht gelten lassen will (BRUNO SCHMIDLIN, Berner Kommentar Obligationenrecht [BK OR], 2013, Art. 31 N 68; WOLFGANG PORTMANN, Die Anfechtung des öffentlich-rechtlichen Arbeitsvertrags wegen eines Willensmangels, recht 4/2006, S. 150; Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 5.3).

      2. Wer gemäss Art. 31 Abs. 1 OR erklärt, dass er den Vertrag nicht halte, macht geltend, der Vertrag sei wegen eines Willensmangels nicht gültig zustande gekommen. Sofern die Berufung auf den Willensmangel – wie vorliegend – begründet ist, besteht die Rechtsfolge dieser Erklärung grundsätzlich darin, dass der Vertrag von Anfang an unwirksam ist. Die Erklärung nach Art. 31 Abs. 1 OR wirkt also ex tunc (vgl. BRUNO SCHMIDLIN, BK OR, 2013, Art. 31 N 83 ff.; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS,

BSK OR, Art. 31 N 15). Diesbezüglich gilt jedoch eine Ausnahme für das Arbeitsverhältnis, wenn der Tatbestand von Art. 320 Abs. 3 OR erfüllt ist. Demnach haben, wenn der Arbeitnehmer in gutem Glauben Arbeit im Dienste des Arbeitgebers auf Grund eines Arbeitsvertrages leistet, der sich nachträglich als ungültig erweist, beide Parteien die Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis in gleicher Weise wie aus gültigem Vertrag zu erfüllen, bis dieses wegen Ungültigkeit des Vertrages vom einen oder andern aufgehoben wird. In diesem Fall wirkt die Erklärung nach Art. 31 Abs. 1 OR entsprechend ex nunc (BGE 137 III 243 E. 4.4.4; 132 III 242 E. 4.2; 129 II 320

E. 7.1.2; vgl. WOLFGANG PORTMANN/ROGER RUDOLPH, BSK OR, Art. 320 N 23; INGEBORG SCHWENZER/CHRISTIANA FOUNTOULAKIS, BSK OR,

Vor Art. 23–31 N 7). Bezüglich der Frage, ab wann der Vertrag unverbindlich ist, ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Willensmangels abzustellen (vgl. Urteil des BVGer A-1893/2020 vom 2. September 2020 E. 7.2).

    1. Die Beschwerdeführerin stellte dem Beschwerdegegner am 27. November 2018 den Entwurf eines Aufhebungsvertrages zu, in dem sie ausführte, sie wolle das Arbeitsverhältnis unter anderem «wegen Verschleierung von vertragswesentlichen Tatsachen» auf den 30. November 2018 beenden. Aufgrund dieser Aussagen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin dem Beschwerdegegner gegenüber (spätestens) am

      27. November 2018 den Willensmangel geltend machte. Der genannte Entwurf enthielt jedoch auch die Aussage, die Beschwerdeführerin verzichte ab sofort auf die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers (Freistellung), zahle ihm aber (längstens) bis zum 30. November 2018 den Lohn weiter. Sowohl der Umstand, dass die Beschwerdeführerin eine Freistellung des Beschwerdegegners vorsah als auch, dass sie bereit war, ihm den Lohn bis am 30. November 2018 weiterzubezahlen, lassen darauf schliessen, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt zumindest von einem faktisch geltenden Arbeitsvertrag ausging. Darauf deutet auch der Umstand hin, dass die Beschwerdeführerin die fristlose Kündigung auf den 30. November 2018 aussprach. Entsprechend rechtfertigt es sich, die Unverbindlichkeit des Vertra-

      ges erst ab dem auf den 30. November 2018 folgenden Tag, dem 1. Dezember 2018, anzunehmen. Bis zum 30. November 2018 waren die Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegner grundsätzlich verpflichtet, ihre arbeitsvertraglichen Pflichten – namentlich Austausch von Arbeitsleistung gegen Lohn – zu erfüllen.

    2. Der Arbeitsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner ist damit ab dem 1. Dezember 2018 unverbindlich im Sinne von Art. 28 Abs. 1 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 OR. Auf die Prüfung der Rechtmässigkeit der fristlosen Kündigung durch die Beschwerdeführerin auf den 30. November 2018 kann somit verzichtet werden und es ist keine Entschädigung geschuldet.

7.

    1. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdegegner die Beschwerdeführerin über seine frühere Arbeitsstelle bei einem privaten Unternehmen absichtlich täuschte und die Beschwerdeführerin deshalb rechtmässig die Unverbindlichkeit des Arbeitsvertrages mit dem Beschwerdegegner aufgrund eines Willensmangels geltend machte.

    2. Die Beschwerde ist entsprechend gutzuheissen und das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben. Es ist festzustellen, dass der Arbeitsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner vom […] September 2017 seit dem 1. Dezember 2018 unverbindlich ist.

    3. Im Kostenpunkt ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen zur neuen Regelung der Kostenund Entschädigungsfolgen für das vorinstanzliche Verfahren entsprechend dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens.

8.

    1. Das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ist in personalrechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich kostenlos (Art. 34 Abs. 2 BPG), weshalb keine Verfahrenskosten zu erheben sind.

    2. Der unterliegende Beschwerdegegner und die unterliegende Vorinstanz haben keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 64 Abs. 1 VwVG und Art. 7 Abs. 1 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2] e contrario). Die Beschwerdeführerin hat als Bundesbehörden trotz ihres Obsiegens von vornherein keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 7 Abs. 3 VGKE).

    3. Die Rechtsanwältin des unterliegenden Beschwerdegegners wurde mit Zwischenverfügung vom 24. März 2020 als unentgeltliche Rechtsbeiständin eingesetzt. Sie hat somit Anspruch auf eine Entschädigung aus der Gerichtskasse. Diese richtet sich sinngemäss nach den Art. 8–11 VGKE (vgl. Art. 12 VGKE). Die Entschädigung wird aufgrund der Kostennote festgesetzt, wenn eine solche eingereicht wird (vgl. Art. 14 Abs. 2 VGKE).

Die unentgeltliche Rechtsbeiständin reichte mit ihrer Eingabe vom 18. August 2020 eine Kostennote ein, in der sie ihren Zeitaufwand mit insgesamt 28:55 Stunden und die Entschädigung mit total Fr. 6'964.20 beziffert. Der angegebene Zeitaufwand ist angesichts der umfangreichen Akten sowie des Schwierigkeitsgrads des Falls in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht noch vertretbar. Der unentgeltlichen Rechtsbeiständin ist deshalb aus der Gerichtskasse eine Entschädigung in der von ihr verlangten Höhe auszurichten (inkl. Mehrwertsteuerzuschlag im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Bst. c).

Der Beschwerdegegner wird darauf hingewiesen, dass er nach Art. 65 Abs. 4 VwVG, sollte er später zu hinreichenden Mitteln gelangen, der Gerichtskasse für die erwähnte Entschädigung Ersatz zu leisten hat.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil der ETHBeschwerdekommission vom 19. Dezember 2019 aufgehoben.

2.

Der Arbeitsvertrag zwischen der Beschwerdeführerin und dem Beschwerdegegner vom […] September 2017 ist seit dem 1. Dezember 2018 unverbindlich.

3.

Im Kostenpunkt wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen zur neuen Regelung der Kostenund Entschädigungsfolgen für das vorinstanzliche Verfahren.

4.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

5.

Der unentgeltlichen Rechtsbeiständin des Beschwerdegegners wird zu Lasten der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 6'964.20 ausgerichtet. Diese ist nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zu zahlen.

6.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)

  • den Beschwerdegegner (Gerichtsurkunde)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. ; Gerichtsurkunde)

Für die Rechtsmittelbelehrung wird auf die nächste Seite verwiesen.

Die vorsitzende Richterin: Der Gerichtsschreiber:

Christine Ackermann Tobias Grasdorf

Rechtsmittelbelehrung:

Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts auf dem Gebiet der öffentlichrechtlichen Arbeitsverhältnisse können beim Bundesgericht angefochten werden, sofern es um eine vermögensrechtliche Angelegenheit geht, bei welcher der Streitwert mindestens Fr. 15'000.– beträgt oder bei der sich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt (vgl. Art. 85 Abs. 1 Bst. b und Abs. 2 BGG). Bei einer nicht vermögensrechtlichen Angelegenheit ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Gleichstellung der Geschlechter betrifft (vgl. Art. 83 Bst. g BGG). Steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten offen, kann sie innert 30 Tagen nach Eröffnung dieses Entscheids beim Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, erhoben werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand:

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