Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-6511/2019 |
Datum: | 29.07.2020 |
Leitsatz/Stichwort: | Mehrwertsteuer |
Schlagwörter : | Steuer; Steuerperiode; Verjährung; MWSTG; Recht; Kontrolle; Steuerforderung; Einsprache; Mehrwertsteuer; Sachverhalt; Urteil; Festsetzung; Verfügung; Verjährungsfrist; Vorinstanz; Einspracheentscheid; Steuerperioden; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Einschätzungsmitteilung; Entgelt; Festsetzungsverjährung; Steuerpflichtigen; Person; Ankündigung; Verfahrens; Frist; Gericht |
Rechtsnorm: | Art. 13 BV ;Art. 34 MWSTG ;Art. 35 MWSTG ;Art. 39 MWSTG ;Art. 40 MWSTG ;Art. 42 MWSTG ;Art. 43 MWSTG ;Art. 48 BGG ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 71 MWSTG ;Art. 78 MWSTG ;Art. 81 MWSTG ; |
Referenz BGE: | 119 V 347; 126 II 1; 130 V 1; 133 II 366; 134 V 315; 137 II 17; 138 II 169; 140 II 202; 140 II 248; 142 II 182; 144 I 340 |
Kommentar: | Geiger, Schluckebier, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer [nachfolgend: MWSTG-Kommentar ], Art. 34 MWSTG, 2019 |
Abteilung I
A-6511/2019
Besetzung Richter Daniel Riedo (Vorsitz), Richterin Annie Rochat Pauchard, Richterin Sonja Bossart Meier,
Gerichtsschreiberin Zulema Rickenbacher.
[ ],
vertreten durch
Simone Gasser, Rechtsanwältin, [ ],
Beschwerdeführerin,
gegen
Hauptabteilung Mehrwertsteuer, [ ],
Vorinstanz.
Gegenstand MWST; Verjährung (2011 - 2013).
Bei der A. AG (nachfolgend: Steuerpflichtige) handelt es sich gemäss Eintrag im Handelsregister um eine im Immobiliengeschäft tätige Gesellschaft. Seit dem [Datum] 1998 ist sie im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen der Eidgenössischen Steuerverwaltung (nachfolgend: ESTV) eingetragen. Gestützt auf die entsprechende Bewilligung der ESTV vom [Datum] 1998 rechnet die Steuerpflichtige nach vereinnahmten Entgelten ab (vgl. nachfolgend E. 2.1.2 und E. 3.2).
Anlässlich einer gemäss Modul 11 des Kontrollberichts «im Frühsommer 2015» bzw. gemäss angefochtenem Einspracheentscheid «im April 2016» (recte wohl April 2015) mündlich angekündigten Mehrwertsteuerkontrolle wurden die Steuerperioden 2011 bis und mit 2013 (Zeitraum vom
1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2013) überprüft. Auch zum Zeitpunkt der Durchführung der Kontrolle befinden sich in den Akten unterschiedliche Angaben. So befindet sich im Modul 1 des Kontrollberichts ein handschriftlicher Eintrag, wonach die Kontrolle am «26. und 27. Mai 2015» stattgefunden habe und in Modul 11 die Information, mit der Kontrolle sei im «Herbst 2015» vor Ort begonnen worden. Im Zuge dieser Kontrolle wurde festgestellt, dass eine unübersichtliche Buchführung vorlag, insbesondere Umsatzabstimmungen auch auf Anfrage hin nicht erhältlich waren, Belege weder zeitnah noch einfach verfügbar waren und eine Durchmischung zwischen der Steuerpflichtigen und einem dieser nahestehenden Unternehmen vorlag.
Mit Einschätzungsmitteilung Nr. [ ] vom 30. März 2017 setzte die ESTV die Steuerforderung - gemäss den gestützt auf die Kontrolle vorgenommenen Korrekturen - für die genannten Steuerperioden fest. Die Einschätzungsmitteilung ging der Steuerpflichtigen gemäss Zustellnachweis am 31. März 2017 zu.
Mit «Einsprache» vom 27. April 2017 bestritt die Steuerpflichtige die Richtigkeit der Einschätzungsmitteilung vom 30. März 2017, wobei die Begründung erst in Aussicht gestellt wurde. Mit Schreiben vom 3. Juli 2017 ersuchte die Steuerpflichtige um eine Fristerstreckung zur Einreichung der Begründung bis «vorläufig Ende September 2017». Es folgten diverse Fristerstreckungsgesuche bis die Steuerpflichtige schliesslich mit Eingabe vom 26. Januar 2018 die Begründung ihrer Eingabe vom 27. April 2017 nachreichte. Die Steuerpflichtige rügte, die Umsatzaufrechnung für das
Jahr 2011 sei nicht nachvollziehbar und ersuchte um Erläuterung der Berechnung sowie anschliessende Gewährung des rechtlichen Gehörs.
Nach Prüfung der Vorbringen der Steuerpflichtigen erliess die ESTV am 11. März 2019 eine Verfügung. Mit dieser machte sie die Differenz zwischen der Steuerforderung und der deklarierten Steuer wie folgt geltend: 2011: Fr. 12'134.--; 2012: Fr. 1'187; 2013: Fr. 28'384.-- (Total:
Fr. 41'705.--).
Gegen die genannte Verfügung erhob die Steuerpflichtige mit Eingabe vom 5. April 2019 Einsprache und stellte folgende Anträge:
Es sei festzustellen, dass die Mehrwertsteuerforderung gegenüber der Steuerpflichtigen verjährt sei.
Eventualiter: Das Einspracheverfahren sei bis auf Weiteres zu sistieren.
Subeventualiter: Die Verfügung vom 11. März 2019 sei aufzuheben und die Mehrwertsteuerforderung gegenüber der Steuerpflichtigen sei für die Steuerperioden 2011 - 2013 neu festzusetzen.
Mit Einspracheentscheid vom 7. November 2019 wies die ESTV die Einsprache der Steuerpflichtigen vom 5. April 2019 ab und forderte für die Steuerperioden 2011 bis und mit 2013 Fr. 41'705.-- zuzüglich Verzugszins von 4% ab dem 31. Dezember 2012 nach.
Mit Eingabe vom 9. Dezember 2019 erhob die Steuerpflichtige (nachfolgend: Beschwerdeführerin) gegen den genannten Einspracheentscheid Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht. Beantragt wird - unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten der ESTV - die Aufhebung des angefochtenen Entscheides mit der Feststellung, dass die Mehrwertsteuerforderungen gemäss angefochtenem Entscheid für die Steuerperioden 2011 bis und mit 2013 verjährt seien.
Mit Vernehmlassung vom 17. April 2020 beantragt die ESTV (nachfolgend: Vorinstanz), die Beschwerde sei in Bezug auf die Steuerperiode 2011 aufgrund eingetretener Verjährung gutzuheissen, im Übrigen aber abzuweisen; dies unter Kostenfolge zu Lasten der Beschwerdeführerin.
Auf die konkreten Ausführungen der Parteien sowie die eingereichten Unterlagen wird - soweit entscheidwesentlich - im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen eingegangen.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Vorliegend stellt der angefochtene Einspracheentscheid vom 7. November 2019 eine solche Verfügung dar. Eine Ausnahme nach Art. 32 VGG liegt nicht vor. Die Vorinstanz ist zudem eine Behörde im Sinn von Art. 33 VGG. Das Bundesverwaltungsgericht ist demnach für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig.
Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).
Die Beschwerdeführerin ist als Adressatin des angefochtenen Einspracheentscheides zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die im Übrigen fristund formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG) ist nach dem Gesagten einzutreten.
Im Beschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundesverwaltungsgericht ist verpflichtet, auf den unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligen festgestellten Sachverhalt die richtigen Rechtsnormen und damit jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist (BGE 119 V 347 E. 1a; ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2013, Rz. 1.54).
Gemäss der Untersuchungsmaxime trägt die Behörde die Beweisführungslast (sog. subjektive oder formelle Beweislast). Gelangt der Richter trotz genügender Abklärung des Sachverhalts unter Respektierung des Untersuchungsgrundsatzes und aufgrund der (freien) Beweiswürdigung (vgl. Art. 81 Abs. 3 MWSTG) nicht zur Überzeugung, eine rechtserhebliche Tatsache habe sich verwirklicht, so stellt sich die Frage, ob zum Nachteil
der Steuerbehörde oder des Steuerpflichtigen zu entscheiden ist, mit anderen Worten, wer die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen hat (sog. materielle Beweislast; zum Ganzen: Urteil des BVGer A-5892/2018 vom 4. Juli 2019 E. 1.5.2). Im Steuerrecht gilt grundsätzlich, dass die Steuerbehörde für die steuerbegründenden und steuererhöhenden Tatsachen beweisbelastet ist, während der steuerpflichtigen Person der Nachweis der Tatsachen obliegt, welche die Steuerschuld mindern oder aufheben (statt vieler: BGE 140 II 248 E. 3.5, 121 II 257 E. 4 c/aa und E. 3 c sowie Urteile des BVGer A-3050/2015 vom 6. Oktober 2015 E. 1.4 und A-5556/2019 vom 28. Mai 2020 E. 1.3.2).
Nach den allgemeinen intertemporalen Regeln sind in verfahrensrechtlicher Hinsicht diejenigen Rechtssätze massgebend, welche im Zeitpunkt der Beschwerdebeurteilung Geltung haben (vgl. BGE 130 V 1
E. 3.2); dies unter Vorbehalt spezialgesetzlicher Übergangsbestimmungen. In materieller Hinsicht sind dagegen grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Sachverhalts Geltung hatten (vgl. BGE 134 V 315 E. 1.2; zum Ganzen: Urteil des BVGer A-5445/2017 vom 3. Januar 2019 E. 1.6.1).
Der vorliegende Sachverhalt betrifft die Steuerperioden 2011, 2012 und 2013. Damit kommt in materieller Hinsicht das am 1. Januar 2010 in Kraft getretene Mehrwertsteuergesetz - in der jeweils gültigen Fassung - zur Anwendung. Dies gilt insbesondere auch für die Bestimmungen zur Verjährung, zumal es sich dabei nicht um Verfahrensrecht sondern ein materiell-rechtliches Institut handelt (BGE 137 II 17 E. 1.1, BGE 126 II 1 E. 2a; Urteil des BVGer A-5410/2016 vom 8. November 2017 E. 1.3.2; MICHAEL BEUSCH, Der Untergang der Steuerforderung, 2012, S. 282 m.w.H.).
Gemäss Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20) erhebt der Bund gestützt auf Art. 130 BV eine allgemeine Verbrauchssteuer nach dem System der Netto-Allphasensteuer (Mehrwertsteuer). Die Steuer bezweckt die Besteuerung des nicht unternehmerischen Endverbrauchs im Inland (Art. 1 Abs. 1 MWSTG). Soweit hier interessierend, wird als Mehrwertsteuer eine Steuer auf den im Inland von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen erhoben (Inlandsteuer; Art. 1 Abs. 2 Bst. a MWSTG).
Über die Steuer wird grundsätzlich nach vereinbarten Entgelten abgerechnet (vgl. Art. 39 Abs. 1 MWSTG), wobei die ESTV der Steuerpflichtigen Person auf Antrag gestattet, über die Steuer nach vereinnahmten Entgelten abzurechnen (Art. 39 Abs. 2 MWSTG). Im Falle der Abrechnung nach vereinnahmten Entgelten - wie sie die Beschwerdeführerin vornimmt (vgl. Sachverhalt Bst. A.a) - entsteht die Umsatzsteuerschuld mit der Vereinnahmung des Entgelts (Art. 40 Abs. 2 MWSTG).
Die Veranlagung und Entrichtung der Inlandsteuer erfolgt nach dem Selbstveranlagungsprinzip. Dies bedeutet, dass der Leistungserbringer selbst für die Feststellung der Mehrwertsteuerpflicht bzw. -forderung verantwortlich ist (vgl. BGE 140 II 202 E. 5.4; Urteile des BVGer A-1418/2018 vom 24. April 2019 E. 2.2, A-2788/2018 vom 27. September 2018 E. 2.6; nichts daran ändert, dass neuere deutschsprachige Bundesgerichtsentscheide von «modifizierter Selbstveranlagung» sprechen [BGE 144 I 340 E. 2.2.1, mit Hinweisen]; vgl. zum Ganzen: Urteil des BVGer A-2978/2019 vom 30. April 2020 E. 2.2.1).
Gemäss Art. 34 Abs. 1 Bst. a MWSTG wird die Mehrwertsteuer je
«Steuerperiode» erhoben. Als Steuerperiode gilt grundsätzlich das Kalenderjahr (vgl. Art. 34 Abs. 2 und Abs. 3 MWSTG). Dies stellt gegenüber dem bis Ende 2009 geltenden Recht insofern eine Neuerung dar, als dass die Steuerperiode erstmals klar definiert wird (MICHAEL BEUSCH, in: Geiger/Schluckebier [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer [nachfolgend: MWSTG-Kommentar 2019], 2. Aufl. 2019, N 5 zu Art. 34). Innerhalb der Steuerperiode erfolgt die Abrechnung der Steuer in der Regel vierteljährlich (Art. 35 Abs. 1 Bst. a MWSTG). Das heisst, eine «Steuerperiode» umfasst grundsätzlich vier «Abrechnungsperioden» à drei Monate (Quartalsabrechnungen). Nach Art. 71 Abs. 1 MWSTG hat die steuerpflichtige Person gegenüber der ESTV innert 60 Tagen nach Ablauf der Abrechnungsperiode unaufgefordert in der vorgeschriebenen Form über die Steuerforderung abzurechnen.
Rechtskräftig wird die Steuerforderung durch eine in Rechtskraft erwachsene Verfügung, einen in Rechtskraft erwachsenen Einspracheentscheid oder ein in Rechtskraft erwachsenes Urteil (Art. 43 Abs. 1 Bst. a MWSTG), die schriftliche Anerkennung oder die vorbehaltlose Bezahlung einer Einschätzungsmitteilung durch die steuerpflichtige Person (Art. 43 Abs. 1 Bst. b MWSTG) oder den Eintritt der Festsetzungsverjährung (Art. 43 Abs. 1 Bst. c MWSTG).
Das Recht, eine Steuerforderung festzusetzen, verjährt gemäss Art. 42 Abs. 1 MWSTG fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden ist («relative Verjährungsfrist»).
Die Verjährung kann unterbrochen werden. Das bedeutet, dass die Verjährungsfrist im Zeitpunkt des Zugangs der verjährungsunterbrechenden Erklärung oder Handlung neu zu laufen beginnt (BAUMGARTNER/CLAVADETSCHER/KOCHER, Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz, 2010, § 8 N 45). Wird die Verjährung durch die steuerpflichtige Person unterbrochen, beträgt die relative Frist ab Unterbrechung wiederum fünf Jahre. Wird die Verjährung hingegen durch die ESTV oder eine Rechtsmittelinstanz unterbrochen, so beträgt die neu beginnende Frist zwei Jahre (vgl. Art. 42 Abs. 3 MWSTG). Diese relative Verjährungsfrist kann bis zum Zeitpunkt der «absoluten Festsetzungsverjährung» (vgl. nachfolgend E. 2.3.2) unterbrochen werden (Art. 42 Abs. 2 und Abs. 6 MWSTG; vgl. BLUM, in: MWSTG-Kommentar 2019, N 32 zu Art. 78).
Verjährungsunterbrechend wirken gemäss Art. 42 Abs. 2 MWSTG eine
«auf Festsetzung oder Korrektur der Steuerforderung gerichtete empfangsbedürftige schriftliche Erklärung», eine «Verfügung», ein «Einspracheentscheid» oder ein «Urteil». Sodann wird die Verjährungsfrist auch mit der (schriftlichen) Ankündigung einer Kontrolle nach Art. 78 Abs. 3 MWSTG oder mit dem Beginn einer unangekündigten Kontrolle unterbrochen.
Das Recht, die Steuerforderung festzusetzen, verjährt in jedem Fall zehn Jahre nach Ablauf der Steuerperiode, in der die Steuerforderung entstanden ist («absolute Verjährungsfrist»; Art. 42 Abs. 6 MWSTG).
Die Verjährung der Mehrwertsteuerforderung ist von Amtes wegen zu prüfen (BGE 142 II 182 E. 3.2.1, BGE 138 II 169 E. 3.2, BGE 133 II 366
E. 3.3; BVGE 2009/12 E. 6.3.1).
Im vorliegenden Verfahren bestreitet die Beschwerdeführerin die konkrete Höhe der mit Einspracheentscheid vom 7. November 2019 festgesetzten Steuernachforderung von gesamthaft Fr. 41'705.-- für die Steuerperioden 2011 bis und mit 2013 nicht. Sie verweist lediglich darauf, dass die Festsetzungsverjährung betreffend diese Steuerperioden bereits eingetreten sei (vgl. Sachverhalt Bst. B.a). Somit bilden weder die Begründetheit noch
die Höhe der Forderung Streitgegenstand und es ist im Rahmen des vorliegenden Verfahrens einzig die Verjährungsfrage zu klären.
Das Gericht hat den Eintritt der Verjährung von Amtes wegen zu prüfen (vgl. E. 2.3.3). Das bedeutet, dass ein Beschwerdeführer die Verjährung nicht selbst geltend zu machen braucht, damit sie - falls eingetreten - berücksichtigt wird. Umgekehrt hat dies auch zu bedeuten, dass das Gericht den Eintritt der Verjährung ebenso unabhängig zu prüfen hat, wenn die Vorinstanz - wie im vorliegenden Fall - anlässlich der Vernehmlassung im Beschwerdeverfahren zum Ergebnis gelangt, die Festsetzungsverjährung sei in Bezug auf eine bestimmte Steuerperiode bereits eingetreten (vgl. nachfolgend E. 3.2.1.3).
Wie erwähnt, verjährt das Recht, eine Steuerforderung festzusetzen, fünf Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden ist (E. 2.3.1). Die «Steuerforderung» bzw. die «Steuerschuld» entsteht gemäss Gesetz im Falle der Abrechnung nach vereinnahmten Entgelten
wie sie die Beschwerdeführerin vornimmt (Sachverhalt Bst. A.a) - zum Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts (E. 2.1.2).
Für die Steuerperiode 2011 bedeutet dies im vorliegenden Fall Folgendes:
Alle Entgelte, welche die Beschwerdeführerin im Jahr 2011 für steuerbare Leistungen vereinnahmt hat, sind für die Berechnung der Steuerschuld bzw. Steuerforderung für die Steuerperiode 2011 heranzuziehen (vgl. E. 2.1.2). Daraus folgt, dass die gesamte Steuerschuld bzw. Steuerforderung für die Steuerperiode 2011 zwischen dem 1. Januar 2011 und dem 31. Dezember 2011 entstanden ist. Da das Recht, die Steuerforderung festzusetzen, nach dem unmissverständlichen Gesetzeswortlaut, fünf Jahre «nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Steuerforderung entstanden ist» endet, begann die Verjährungsfrist für die gesamte Steuerforderung der Steuerperiode 2011 am 1. Januar 2012 und hätte - ohne Unterbruch - am 31. Dezember 2016 geendet. Daraus wird ersichtlich, dass die Argumentation der Beschwerdeführerin, wonach jede einzelne Quartalsabrechnung eine eigene Verjährungsfrist auslöse, welche individuell unterbrochen werden müsse, jeder Grundlage entbehrt.
Wie in Erwägung 2.3.1 festgehalten, kann die Festsetzungsverjährung unterbrochen werden. Dies geschieht gemäss Gesetz u.a. durch eine
auf Festsetzung oder Korrektur der Steuerforderung gerichtete empfangsbedürftige schriftliche Erklärung, eine Verfügung, einen Einspracheentscheid oder ein Urteil. Da Verfügungen im Gesetz explizit neben den «empfangsbedürftigen schriftlichen Erklärungen» genannt werden, steht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin fest, dass Letztere keine Verfügungen sein und auch keinen Verfügungscharakter aufweisen müssen. Auch Einschätzungsmitteilungen sind schriftliche Erklärungen, welche der Festsetzung bzw. Korrektur der Steuerforderung dienen. Dass ihnen verjährungsunterbrechende Wirkung zukommt, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden (vgl. Urteil A-6544/2012 vom 12. September 2013 E. 4.5).
Im vorliegenden Fall begann die Verjährungsfrist am 1. Januar 2012 zu laufen und hätte ohne Unterbrechung am 31. Dezember 2016 geendet (E. 3.2.1.1). Da die Einschätzungsmitteilung der ESTV vom 30. März 2017 der Beschwerdeführerin am 31. März 2017 zugegangen ist (vgl. Sachverhalt Bst. A.c), geht die Vorinstanz (allerdings erst seit ihrer Vernehmlassung im vorliegenden Beschwerdeverfahren) davon aus, dass die Festsetzungsverjährung betreffend die Steuerperiode 2011 bereits eingetreten ist - und zwar selbst unter ihrer Annahme, dass der 4. Quartalsabrechnung, welche am 21. März 2012 eingereicht worden war, verjährungsunterbrechende Wirkung zukomme. Das Gericht erachtet letztere Annahme als fraglich, verzichtet aber an dieser Stelle auf weitere Ausführungen diesbezüglich, zumal sich die Beantwortung dieser Frage im vorliegenden Fall als nicht entscheidrelevant erweist. Dass die Verjährung für die Steuerperiode 2011 eingetreten ist, würde jedenfalls zutreffen, sofern zwischen dem 1. Januar 2012 und dem 31. Dezember 2016 keine anderweitige verjährungsunterbrechende Handlung stattgefunden hat. Wie es sich damit verhält, ist aufgrund des in Erwägung 3.1 Gesagten im Folgenden zu prüfen.
Neben der hier bereits beschriebenen Unterbrechungshandlung (Einschätzungsmitteilung) wirkt beispielsweise auch eine von der ESTV durchgeführte Kontrolle verjährungsunterbrechend. Wie in Erwägung 2.3.1 erwähnt, werden Kontrollen in Angekündigte und Unangekündigte unterschieden, wobei erstere die Regel sind. Nur in begründeten Fällen kann eine «unangekündigte Kontrolle» durchgeführt werden (Art. 78 Abs. 3 MWSTG). Daraus folgt - soweit hier interessierend - dass eine formell inkorrekt angekündigte Kontrolle nicht automatisch als «unangekündigte Kontrolle» im Sinne des Gesetzes gewertet werden und somit nicht ohne
Weiteres nach den diesbezüglichen Bestimmungen hinsichtlich der Verjährungsunterbrechung vorgegangen werden kann.
Das Gesetz sieht vor, dass die Verjährungsfrist im Falle einer angekündigten Kontrolle mit (Zugang) der schriftlichen Ankündigung bei der steuerpflichtigen Person unterbrochen wird. Bei unangekündigten Kontrollen erfolgt der Unterbruch mit Beginn der Kontrolle (E. 2.3.1). Im vorliegenden Fall hat unbestrittenermassen eine angekündigte Kontrolle stattgefunden, wobei die Ankündigung nur mündlich erfolgt ist. Ob dies dazu führt, dass die Kontrolle überhaupt nicht verjährungsunterbrechend wirkt, oder ob allenfalls auch auf den Zeitpunkt der mündlichen Ankündigung abgestellt werden könnte, wäre durch Auslegung zu eruieren. Anlässlich des hier zu beurteilenden Falles erübrigt sich dies allerdings, zumal das genaue Datum der mündlichen Ankündigung nicht festgehalten worden bzw. nicht aktenkundig ist (vgl. Sachverhalt Bst. A.b). Da sich die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Ankündigung der Kontrolle vorliegend zu Gunsten der ESTV auswirken würde, wäre diese für den Umstand beweisbelastet, dass die (bloss mündliche) Ankündigung der Kontrolle tatsächlich nicht vor dem 31. März 2015 erfolgt ist, sondern innerhalb der entsprechenden zweijährigen Frist der Festsetzungsverjährung bis zum 31. März 2017 (Zustellung der Einschätzungsmitteilung). Dass ihr dieser Nachweis einzig mit dem Hinweis, die Ankündigung der Kontrolle habe «im Frühsommer 2015» bzw. «im April 2015» (vgl. Sachverhalt Bst. A.b) stattgefunden misslingt, wird auch ihr selbst bewusst gewesen sein, ist sie doch zum Schluss gekommen, dass die Verjährung bereits eingetreten sei.
Andere verjährungsunterbrechende Handlungen sind im vorliegenden Fall weder ersichtlich noch werden solche geltend gemacht. Angesichts dessen, ist dem Antrag der Vorinstanz auf Gutheissung der Beschwerde in Bezug auf die Steuerperiode 2011 stattzugeben.
Im Weiteren ist auf die Steuerperioden 2012 und 2013 einzugehen:
Entsprechend dem in Erwägung 3.2.1.1 Dargelegten, begann die Verjährungsfrist für die Festsetzung der Steuerforderung betreffend die Steuerperiode 2012 am 1. Januar 2013 und hätte ohne Unterbrechung am
31. Dezember 2017 geendet (E. 2.3.1). Daraus wird ersichtlich, dass die Unterbrechung durch die ESTV mit Einschätzungsmitteilung vom 30. März 2017 (vgl. Sachverhalt Bst. A.c) rechtzeitig erfolgt ist. Im Weiteren wurde die Verjährungsfrist spätestens mit der Verfügung der Vorinstanz vom
11. März 2019 (vgl. Sachverhalt Bst. A.e) erneut rechtzeitig unterbrochen.
Die nächsten Unterbrüche erfolgten durch die Beschwerdeführerin mit Einsprache vom 5. April 2019 sowie durch die Vorinstanz mit Einspracheentscheid vom 7. November 2019. Die absolute Verjährungsfrist betreffend die Steuerperiode 2012 tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2022 ein.
Da die relative Festsetzungsverjährung betreffend die Steuerperiode 2012 wie gezeigt noch nicht eingetreten ist, ist sie es im vorliegenden Fall auch für die Steuerperiode 2013 nicht. Dasselbe gilt selbstredend hinsichtlich der absoluten Verjährung (vgl. E. 2.3.2).
Die Verfahrenskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt; unterliegt diese nur teilweise, so werden die Verfahrenskosten ermässigt (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Insgesamt sind die Verfahrenskosten auf Fr. 3’000.-- festzusetzen (vgl. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE; SR 173.320.2]) und der zu rund einem Drittel obsiegenden Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 2’000.-- aufzuerlegen. Letzterer Betrag ist dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- zu entnehmen. Der Restbetrag von Fr. 1'000.-- ist der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückzuerstatten.
Der Vorinstanz können keine Verfahrenskosten auferlegt werden (Art. 63 Abs. 2 VwVG).
Der teilweise obsiegenden Beschwerdeführerin ist für die notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten ihrer Vertretung eine reduzierte Parteientschädigung zuzusprechen (vgl. Art. 64 Abs. 1 VwVG; Art. 7 Abs. 2
VGKE). Die Beschwerdeführerin hat keine Kostennote eingereicht. In Anwendung von Art. 14 Abs. 2 VGKE und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände erscheint eine reduzierte Parteientschädigung von praxisgemäss Fr. 1'500.-- als angemessen.
Das Dispositiv befindet sich auf der folgenden Seite.
Die Beschwerde wird in Bezug auf die Steuerperiode 2011 gutgeheissen, im Übrigen aber abgewiesen.
Die Verfahrenskosten werden auf Fr. 3’000.-- festgesetzt und der Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 2'000.-- auferlegt. Letzterer Betrag wird dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3’000.-- entnommen. Der Restbetrag von Fr. 1’000.-- wird der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.
Die Vorinstanz wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung in Höhe von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)
die Vorinstanz (Ref-Nr. [ ]; Gerichtsurkunde)
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
Daniel Riedo Zulema Rickenbacher
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen
Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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