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Bundesverwaltungsgericht Urteil F-4874/2016

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts F-4874/2016

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung VI
Dossiernummer:F-4874/2016
Datum:19.09.2019
Leitsatz/Stichwort:Reisedokumente für ausländische Personen (Übriges)
Schlagwörter : Reise; Vorinstanz; Ausstellung; Person; Konsulat; Behörde; Identität; Geburt; China; BVGer; Registrierung; Behörden; Adoption; Bundesverwaltungsgericht; Einwohnerkomitee; Identitäts; Einbürgerung; Reisedokument; Reisepapier; Schweiz; Verfügung; Gesuch; SEM-D-; Adoptionsurkunde; Urteil; Reisepass; BVGer-act
Rechtsnorm: Art. 41 ZGB ;Art. 48 VwVG ;Art. 50 VwVG ;Art. 59 AIG ;Art. 62 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung VI F-4874/2016

U r t e i l  v o m  1 9.  S e p t e m b e r  2 0 1 9

Besetzung Richter Andreas Trommer (Vorsitz), Richter Yannick Antoniazza-Hafner, Richterin Susanne Genner, Gerichtsschreiber Mathias Lanz.

Parteien A. ,

Beschwerdeführerin,

vertreten durch Filiz-Félice Aydemir Séquin, Rechtsanwältin,

gegen

Staatssekretariat für Migration SEM,

Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person.

Sachverhalt:

A.

Die Beschwerdeführerin reiste am 9. Juni 2003 in die Schweiz ein und ersuchte am nächsten Tag um Asyl. Im Asylverfahren gab sie - zu ihrer Herkunft und zu ihren Personalien befragt - an, sie sei kurz nach ihrer Geburt in China von ihren leiblichen Eltern, die sie nie kennen gelernt habe, ausgesetzt worden. Daraufhin hätten Pflegeeltern sie aufgenommen. Eine formelle Adoption habe aber nicht stattgefunden. Ihr Geburtsdatum ([ ] 1987) kenne sie, weil es ihre Eltern auf einem Zettel an ihrem Körper aufgeschrieben hätten. Die Geburt sei nie registriert worden und sie habe nie chinesische Ausweisoder Identitätspapiere gehabt. Die Pflegeeltern seien im Dezember 2002 beziehungsweise im März 2003 verstorben (Akten der Vorinstanz, Asylverfahren [SEM-A-act.] 1, 2 und 10).

Das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) trat in einer Verfügung vom

8. September 2003 auf das Asylgesuch der Beschwerdeführerin nicht ein und wies sie aus der Schweiz weg. Das Nichteintreten erfolgte gestützt auf eine damals geltende Bestimmung des Asylgesetzes, welche um Asyl ersuchende Personen dazu verpflichtete, innerhalb von 48 Stunden nach Einreichung des Gesuchs Reisepapiere oder andere Dokumente abzugeben, die es erlaubten, die gesuchstellende Person zu identifizieren (SEM- A-act. 11).

Eine gegen den Nichteintretensentscheid erhobene Beschwerde schrieb das Bundesverwaltungsgericht am 12. Juni 2009 als durch Rückzug erledigt ab, nachdem der Beschwerdeführerin am 7. April 2009 im Rahmen einer Härtefallregelung im Sinne von Art. 14 Abs. 2 AsylG (SR 142.31) eine Aufenthaltsbewilligung erteilt worden war.

B.

Im Jahre 2009 ersuchte die Beschwerdeführerin insgesamt drei Mal um Ausstellung eines Passes für ausländische Personen. Das damalige Bundesamt für Migration (BFM) wies die Gesuche mit Verfügungen vom

24. Juni 2009, vom 27. Oktober 2009 und vom 15. Dezember 2009 allesamt ab. Das BFM machte geltend, die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person seien nicht erfüllt, weil die Beschwerdeführerin nicht als schriftenlos gelten könne. Sie habe nicht alle ihr möglichen Schritte unternommen, um ein heimatliches Reisedokument erhältlich zu machen (vgl. Akten der Vorinstanz, Schweizerische Reisedokumente [SEM-D-act.] 4, 11 und 14).

C.

Am ( ) 2012 heiratete die Beschwerdeführerin in der Schweiz einen chinesischen Staatsangehörigen. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor (geb. [ ] bzw. [ ]; Akten der Vorinstanz, Staatenlosigkeitsverfahren [SEM-C-act.] 2).

D.

Mit Gesuch vom 17. Januar 2012 beantragte die Beschwerdeführerin erneut die Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person (SEM-D- act. 16). Das BFM empfahl ihr daraufhin mit Schreiben vom 30. März 2012, bei ihm ein Gesuch um Anerkennung der Staatenlosigkeit einzureichen (SEM-D-act. 21). Am 4. Juli 2013 lehnte das BFM das entsprechende Gesuch der Beschwerdeführerin vom 18. Juni 2013 ab (SEM-C-act. 4). Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diesen Entscheid in einem Urteil vom

27. April 2015 mit der Begründung, die Beschwerdeführerin verfüge kraft des Staatsangehörigkeitsgesetzes der Volksrepublik China über die chinesische Staatsangehörigkeit (Urteil des BVGer E-4985/2013; SEM-C- act. 15).

E.

Am 14. August 2015 beantragte die Beschwerdeführerin abermals die Ausstellung eines Passes für ausländische Personen (SEM-D-act. 23). Mit Verfügung vom 8. Juli 2016 lehnte die Vorinstanz auch dieses Gesuch ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen an, es sei nicht erwiesen, dass sich die Beschwerdeführerin intensiv um die nachträgliche Registrierung bei den chinesischen Behörden, respektive um die Beschaffung einer Geburtsoder Adoptionsurkunde bemüht hätte. Zudem sei es ihr aufgrund ihrer Ehe mit einem chinesischen Staatsangehörigen gemäss chinesischem Staatsangehörigkeitsgesetz möglich und zumutbar, sich in der Volksrepublik China einbürgern zu lassen. Die Beschwerdeführerin habe somit nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um einen heimatlichen Reisepass zu erhalten und gelte nicht als schriftenlos (SEM-D-act. 29).

F.

Gegen diese Verfügung gelangte die Beschwerdeführerin mit einer Rechtsmitteleingabe vom 11. August 2016 an das Bundesverwaltungsgericht. Sie beantragte darin, die verweigernde Verfügung der Vorinstanz sei aufzuheben und ihr Gesuch um Ausstellung eines Passes für ausländische Personen sei gutzuheissen. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Ergänzung der Entscheidsgrundlagen und zur Neubeurteilung. Zur Begründung führt sie an, es sei ihr nicht möglich gewesen,

nachträglich eine Geburtsoder Adoptionsurkunde erhältlich zu machen. Deshalb könne sie sich weder registrieren noch einbürgern lassen. Ohne die Registration bei den chinesischen Behörden könne sie keinen chinesischen Reisepass beschaffen und sei als schriftenlos anzusehen (Akten des Bundesverwaltungsgerichts [BVGer-act.] 1).

G.

In ihrer Vernehmlassung vom 25. Oktober 2016 beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Sie führt im Wesentlichen aus, es gebe keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb die chinesischen Behörden nicht in der Lage sein sollten, die Beschwerdeführerin nachträglich zu registrieren. Sie habe zudem nur ungenügend belegt, dass sie sich bei den Behörden in China und beim Generalkonsulat der Volksrepublik China in Zürich (nachfolgend: Konsulat) um eine Registrierung oder eine Einbürgerung bemüht hätte (BVGer-act. 5).

H.

Mit Replik vom 27. Dezember 2016 hält die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest und reicht unter anderem die Kopie eines Schreibens eines

Einwohnerkomitees C.

aus dem Bezirk D. , Shanghai,

vom 30. November 2016 ein, in dem festgehalten wird, dass der Beschwerdeführerin keine Adoptionsurkunde mehr ausgestellt werden könne und auch die Registrierung nicht nachgeholt werden könne. Ebenso wenig sei, trotz Heirat mit einem chinesischen Staatsbürger, eine Einbürgerung möglich (BVGer-act. 9).

I.

In ihrer Duplik vom 30. Januar 2017 erläuterte die Vorinstanz unter anderem, dass sie die Echtheit der Bescheinigung des Einwohnerkomitees C. nicht beurteilen könne, da diese nur in Form einer Kopie vorliege (BVGer-act. 11).

J.

Mit Triplik vom 28. Februar 2017 reichte die Beschwerdeführerin das Original des Schreibens des Einwohnerkomitees C. nach (BVGeract. 13).

K.

Am 11. April 2017 führte die Vorinstanz in einer weiteren Stellungnahme aus, Abklärungen des Schweizer Generalkonsulates in Shanghai hätten

ergeben, dass im Stadtbezirk D. in Shanghai kein Einwohnerkomitee C. existiere. Sowohl Form als auch Inhalt des Dokuments erweckten Zweifel an dessen Echtheit. Zudem sei fragwürdig, ob ein kleines Einwohnerkomitee kompetent sei, zu bestimmen, ob eine Person die Voraussetzungen zur Registrierung respektive zur Einbürgerung erfülle (BVGer-act. 15).

L.

In ihrer Quadruplik vom 28. Juli 2017 erachtete die Beschwerdeführerin die von der Vorinstanz geäusserten Zweifel an der Echtheit des Bestätigungsschreibens vom 30. November 2016 als unbegründet und machte geltend, dass das Einwohnerkomitee C. existiere, für die Registrierung zuständig und befugt sei, Bestätigungen für den Bezirk auszustellen (BVGeract. 21).

M.

Auf den weiteren Akteninhalt wird, soweit rechtserheblich, in den Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Verfügungen der Vorinstanz betreffend Reisedokumente und Bewilligungen zur Wiedereinreise sind mit Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht anfechtbar (vgl. Art. 31 ff. VGG; Art. 5 VwVG; Art. 59 AIG [SR 142.20]; Art. 1 der Verordnung über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen vom 14. November 2012 [RDV, SR 143.5]).

    2. Das Rechtsmittelverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG).

    3. Die Beschwerdeführerin ist als Verfügungsadressatin zur Beschwerde legitimiert (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Auf die fristund formgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten (Art. 50 und 52 VwVG).

    4. Die streitige Verfügung datiert vom 8. Juli 2016. Die einschlägigen Verordnungsbestimmungen haben sich seither inhaltlich nicht geändert, weshalb sie in der aktuell gültigen Fassung zitiert werden.

2.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht kann die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und - sofern nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat - die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 49 VwVG). Das Bundesverwaltungsgericht wendet im Beschwerdeverfahren das Bundesrecht von Amtes wegen an. Es ist gemäss Art. 62 Abs. 4 VwVG an die Begründung der Begehren nicht gebunden und kann die Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen gutheissen oder abweisen. Massgebend ist grundsätzlich die Sachlage zum Zeitpunkt seines Entscheides (vgl. BVGE 2014/1 E. 2 m.H.).

3.

    1. Einer schriftenlosen Person mit Aufenthaltsbewilligung kann die Vorinstanz einen Pass für eine ausländische Person abgeben (vgl. Art. 59 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Bst. a RDV). Schriftenlos ist eine ausländische Person gemäss Art. 10 Abs. 1 RDV dann, wenn sie über kein gültiges Reisedokument ihres Heimatoder Herkunftsstaates verfügt und von ihr nicht verlangt werden kann, dass sie sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimatoder Herkunftsstaates um die Ausstellung oder Verlängerung von Reisedokumenten bemüht (Bst. a) oder für welche die Beschaffung von Reisedokumenten unmöglich ist (Bst. b).

    2. Die Ausstellung von Reiseund Identitätspapieren liegt in der Kompetenz des jeweiligen Heimatstaates. Diesem kommt bei der Ausübung seiner Passhoheit ein erheblicher Gestaltungsspielraum zu, den es zu respektieren gilt (BVGE 2014/23 E. 5.3.2 und E. 5.9; Urteile des BVGer F-1906/2018 vom 8. April 2019 E. 5.3; C-6458/2010 vom 20. Mai 2011

E. 4.3). Als unmöglich im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Bst. b RDV wird die Papierbeschaffung daher nur angesehen, wenn sich die ausländische Person bei den Behörden ihres Heimatstaates darum bemüht, die Ausstellung der Papiere aber ohne zureichende Gründe verweigert wird, oder wenn es an den rechtlichen Möglichkeiten fehlt, vom Heimatbeziehungsweise Herkunftsstaat überhaupt Papiere zu erlangen (Urteile des BVGer F-499/2018 vom 23. Mai 2019 E. 5.2; C-7204/2014 vom 30. Juni 2015 E. 5.1 m.H.).

4.

    1. Strittig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz die Schriftenlosigkeit der über eine Aufenthaltsbewilligung verfügenden Beschwerdeführerin zu Recht verneint hat. Da die Beschwerdeführerin weder schutzbedürftig noch asylsuchend ist, kann ihr eine Kontaktaufnahme mit den chinesischen Behörden unbestrittenermassen zugemutet werden (vgl. Art. 10 Abs. 1 Bst. a RDV i.V.m. Art. 10 Abs. 3 RDV). Somit bleibt einzig darüber zu befinden, ob der Beschwerdeführerin die Papierbeschaffung möglich ist (Art. 10 Abs. 1 Bst. b RDV).

    2. Ausser Frage und unbestritten ist vorliegend, dass die Ausstellung eines chinesischen Reisepapieres die Registrierung der Beschwerdeführerin bei den chinesischen Behörden voraussetzt. Eine solche Registrierung kann wiederum nur nach Vorlage von Identitätspapieren durch die Beschwerdeführerin erfolgen (vgl. zur Eintragung in das sog. Haushaltsregistrierungsbuch beziehungsweise zum sog. hukou-System in China ausführlich Urteil des BVGer C-4005/2013 vom 28. Juli 2014 E. 7). Während die Vorinstanz grundsätzlich nicht in Abrede stellt, dass die Beschwerdeführerin bei den chinesischen Behörden nicht registriert ist, sind sich die Parteien vor allem darüber uneins, ob sie sich nachträglich noch registrieren lassen, respektive sich eine Geburtsoder Adoptionsurkunde ausstellen lassen und so ein chinesisches Reisepapier beschaffen kann.

    3. Diesbezüglich bringt die Beschwerdeführerin vor, die für eine Registrierung notwendigen Dokumente nicht beschaffen zu können. Hätte sie die Möglichkeit dazu, hätte sie dies längst getan. Ohne ihren Identitätsnachweis sei auch die Registrierung ihrer beiden Kinder in China nicht möglich; entsprechende Versuche ihres chinesischen Ehemannes seien erfolglos geblieben. Als Findelkind verfüge sie weder über eine Geburtsnoch über eine Adoptionsurkunde. Sie sei formell nicht adoptiert und in der chinesischen Haushaltsregistrierung (hukou) nie erfasst worden. Sie habe mehrmals persönlich beim Konsulat vorgesprochen. Dieses stelle jedoch keine Bestätigungsschreiben über ihre persönlichen Vorsprachen aus. Sie sei jedes Mal darauf hingewiesen worden, dass ihr Gesuch um Registrierung oder Einbürgerung ohne Vorlage vollständiger Unterlagen (Geburtsurkunde, Pass etc.) nicht entgegengenommen werden könne. Das Konsulat habe ihr nie einen Weg aufgezeigt, wie sie die Erfordernisse an den Nachweis ihrer Identität trotz der fehlenden Dokumente erfüllen könne. Betreffend die Geburtsurkunde sei sie vielmehr dazu angehalten worden, diese Angelegenheit direkt mit den zuständigen Behörden des betroffenen Bezirks in China zu regeln. Dies habe sie mehrmals versucht, was die Schreiben des Einwohnerkomitees C. im Bezirk D. , Shanghai, vom 28. März 2011, vom 18. Mai 2011, vom 28. Mai 2015 und vom 30. November 2016 belegten. Darin werde neben ihrer damaligen persönlichen Situation vor ihrer Ausreise aus China auch bestätigt, dass ohne Geburtsurkunde und Adoptionsformalitäten keine Registrierung erfolgen könne. Zudem werde darin festgehalten, dass eine nachträgliche Registrierung nicht möglich sei, weil ihre leiblichen Eltern unbekannt und die Pflegeeltern verstorben seien. Die für eine Registrierung notwendigen Belege könnten demnach nicht mehr beigebracht werden. Ausserdem seien aufgrund einer zwischenzeitlich erfolgten Stadtumgestaltung keine ausführlichen Daten zum Nachweis ihrer Herkunft mehr vorhanden.

    4. Demgegenüber stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, dass die Beschwerdeführerin nicht als schriftenlos gelten könne, weil sie noch nicht alle ihr möglichen Schritte unternommen habe, um ihre Herkunft nachzuweisen, sich eine Geburtsoder Adoptionsurkunde ausstellen und sich bei den chinesischen Behörden registrieren zu lassen. Die Vorinstanz argumentiert, dass die Beschwerdeführerin beim Konsulat noch persönlich vorsprechen und sich dort erkundigen könne, wie sie nachträglich eine Geburtsoder Adoptionsurkunde beschaffen könne beziehungsweise welche Möglichkeiten ihr sonst noch offen stünden. Die Bemühungen seien mit schriftlichen Bestätigungen der chinesischen Behörden zu belegen.

Mit dem eher knappen Schriftenwechsel zwischen ihr und dem Einwohnerkomitee C. sei nicht erwiesen, dass sich die Beschwerdeführerin intensiv um die Beschaffung einer Geburtsoder Adoptionsurkunde bemüht habe. Aufgrund von Rückmeldungen des Schweizer Generalkonsulats in Shanghai zweifle sie die Echtheit der Bestätigungen des Einwohnerkomitees C. an. Im Stadtbezirk D. in Shanghai existiere kein Einwohnerkomitee C. . Form und Inhalt der Bestätigungen machten einen zweifelhaften Eindruck. Aus den Schreiben des Einwohnerkomitees gehe zudem nicht hervor, dass der Beschwerdeführerin die Beschaffung einer Geburtsurkunde oder das Nachholen von Adoptionsformalitäten unmöglich sei. Es gebe denn auch keinen nachvollziehbaren Grund, weshalb die chinesischen Behörden nicht in der Lage sein sollten, die Beschwerdeführerin nachträglich zu registrieren. Es sei nicht belegt, dass das Nachholen der Adoptionsformalitäten nicht möglich sei. Die Existenz und Geschichte der Beschwerdeführerin sei den lokalen Behörden offenbar bekannt. Es sei daher davon auszugehen, dass betreffend ihre Geburt Unterlagen vorhanden sein müssten. Es liege in der Zuständigkeit der Beschwerdeführerin, diesbezüglich nachzuhaken und allenfalls durch eine Drittperson vor Ort Nachforschungen zu veranlassen.

Schliesslich sei es der Beschwerdeführerin möglich und zumutbar, sich in der Volksrepublik China einbürgern zu lassen, da sie mit einem chinesischen Staatsbürger verheiratet sei. Könne sie sich bei den chinesischen Behörden nicht registrieren lassen, habe sie alle notwendigen Anforderungen für eine Einbürgerung zu erfüllen. Ausser der Telefonnummer und der Adresse des Konsulats lege die Beschwerdeführerin keinerlei Beweise dafür ins Recht, dass sie versucht habe, ihre Einbürgerung voranzutreiben.

4.5

      1. Im September 2011 musste die Beschwerdeführerin zur Durchführung des Vorbereitungsverfahrens für den Eheschluss ihre Personalien gerichtlich feststellen lassen. Dieses Verfahren wurde notwendig, weil die Beschwerdeführerin den Zivilstandsbehörden keine Ausweispapiere über ihre Identität und Zivilstandsdokumente über Geburt, Geschlecht, Namen, Abstammung, Zivilstand und Staatsangehörigkeit vorgelegt hatte, und ihre Angaben als strittig erachtet wurden (vgl. Art. 41 f. ZGB; Art. 17 der Zivilstandsverordnung vom 28. April 2004 [ZStV, SR 211.112.2]). Mit Entscheid vom 13. Dezember 2011 hiess das Kreisgericht E. das Gesuch der Beschwerdeführerin gut und stellte ihre Personalien fest. Es erwog dabei unter anderem, dass sich die Beschwerdeführerin "bei den chinesischen Behörden aktiv darum bemüht und nun wohl auch sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft" habe, ihre Identität feststellen zu lassen und einen chinesischen Reisepass zu erhalten. Die Darstellung der Lebensgeschichte und damit die Erklärung für das Fehlen jeglicher Identitätspapiere könne nicht als realitätsfremd beurteilt werden. Die Problematik der fehlenden Registrierung beziehungsweise der Unmöglichkeit weiterer Nachforschung in chinesischen Verwaltungsregistern sei nachvollziehbar (SEM-C- act. 2).

      2. Ob und inwieweit diese zivilrechtliche Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit für das vorliegende Verfahren präjudizierend oder bindend wirkt, braucht nicht näher untersucht zu werden, weil das Bundesverwaltungsgericht die kreisgerichtliche Auffassung weitgehend teilt. Die Beschwerdeführerin hat sowohl im Asyl-, als auch im Staatenlosigkeitsverfahren sowie in ihren bisherigen Reisepapierverfahren ihre Personalien sowie ihre persönlichen Verhältnisse vor ihrer Abreise aus China konstant vorgetragen. Es besteht daher kein Anlass, Herkunft und Identität der Beschwerdeführerin in Frage zu stellen (vgl. auch Urteil des BVGer E-4985/2013 vom 27. April 2015 E. 5 f.). Demzufolge ist vorliegend in Würdigung aller Umstände davon auszugehen, dass es der Beschwerdeführerin vor allem mangels Kenntnis der leiblichen Eltern und Fehlens jeglicher Formalitäten bei der Aufnahme durch ihre Pflegeeltern sowie aufgrund ihres Wegzugs aus China nicht möglich ist, von den chinesischen Behörden nachträglich noch eine Geburtsoder Adoptionsurkunde erhältlich zu machen. Davon unberührt bleibt übrigens die Passhoheit Chinas, da eine solche Unmöglichkeit der Passbeschaffung nicht allein darauf beruht, dass die Beschwerdeführerin formelle Voraussetzungen nicht erfüllt, sondern vielmehr auch auf ihre persönliche Situation vor ihrer Abreise in China zurückzuführen sein dürfte (vgl. Urteil C-4005/2013 E. 8.2).

      3. Während ihres mittlerweile 16-jährigen Aufenthalts in der Schweiz musste die Beschwerdeführerin nicht unerhebliche Einschränkungen in ihrem Privatleben auf sich nehmen, einen grossen administrativen Aufwand betreiben sowie diverse gerichtliche Verfahren durchlaufen, weil sie keinen heimatlichen Reisepass hatte. Ohne den Identitätsnachweis gelang es der Familie offenbar auch nicht, ihre beiden in der Schweiz geborenen Kinder in China registrieren zu lassen (Schreiben des Volkskomitees F. vom 29. Juli 2016 [BVGer-act. 1]). Es ist nicht ersichtlich, welches Interesse die Beschwerdeführerin daran haben sollte, ihre Bemühungen nur vorzutäuschen beziehungsweise nicht ernsthaft voranzutreiben. Es erscheint daher glaubhaft, wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, sie hätte längst Identitätsund Reisepapiere beschafft oder ein Einbürgerungsverfahren eingeleitet, wenn ihr dies möglich gewesen wäre.

    1. Die Beschwerdeführerin hat über Jahre hinweg erfolgslos versucht, in den Besitz eines chinesischen Reisepapiers zu gelangen:

      1. Am 2. Juli 2009 fuhr sie zur chinesischen Botschaft in Bern und sprach dort betreffend Ausstellung eines Reisepasses vor (SEM-D-act. 5). Mit Schreiben vom 23. Juli 2009 ersuchte das damalige BFM beim Konsulat gleich selbst um Ausstellung eines Passes oder eines Passersatzdokuments und bat das Konsulat, die Beschwerdeführerin - falls notwendig - zu ihrer Identität zu befragen (SEM-D-act. 8). Beim Konsulat sprach die Beschwerdeführerin dann am 21. Oktober 2009 sowie am 10. November 2009 vor und beantragte ein chinesisches Reisedokument (SEM-D- act. 13). Gemäss Bescheinigung einer Begleitperson suchte die Beschwerdeführerin im Juli 2011 erneut das Konsulat auf und bemühte sich dort vergeblich um heimatliche Papiere (BVGer-act. 21). Im Oktober 2013 wandte sich die Beschwerdeführerin via ihre Rechtsvertreterin an das Konsulat. Am 2. Oktober 2013 ersuchte sie dieses mit eingeschriebener Postsendung, ihr einen chinesischen Reisepass auszustellen (SEM-C-act. 7; BVGer [E-4985/2013]-act. 3). Mit Schreiben vom 31. Oktober 2013 fragte die Beschwerdeführerin sodann beim Konsulat nach, ob sie mit der Ausstellung eines Reisepasses rechnen könne und wie lange die Abklärungen dauerten (SEM-C-act. 7; BVGer [E-4985/2013]-act. 7). Ihr Ehemann bestätigte schliesslich am 26. Februar 2017, mit der Beschwerdeführerin beim Konsulat vorgesprochen zu haben, um sich eine Bescheinigung über ihre Bemühungen zur Papierbeschaffung ausstellen zu lassen, was ohne Erfolg geblieben sei (BVGer-act. 13).

      2. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die zahlreichen Bemühungen der Beschwerdeführerin zur Beschaffung heimatlicher Identitätsund Reisepapiere mittels Urkunden, Bahntickets, Aussagen von Begleitpersonen sowie durch die Schilderung der Beschwerdeführerin von detaillierten Gesprächsverläufen mit den Mitarbeitenden des Konsulats hinreichend belegt. Das damalige BFM selbst hatte das Konsulat bereits im Juli 2009 um Ausstellung eines chinesischen Reisepasses zu Gunsten der Beschwerdeführerin und notwendigenfalls um Abklärung ihrer Identität ersucht. Gemäss einer Notiz des BFM bestätigte das Konsulat in der Folge zwar telefonisch den Eingang des Passgesuchs, teilte aber gleichzeitig mit, dass für die Passausstellung Angaben zur Identifikation der Beschwerdeführerin fehlten (SEM-D-act. 8). Aus den Akten ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass sich die Beschwerdeführerin geweigert hätte, dem Konsulat Angaben zu ihrer Identität zu machen, trat sie doch stets mit ihren in der Schweiz gerichtlich festgestellten und zivilstandesamtlich registrierten Personalien auf. Dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen ist, eine Bestätigung über ihre Bemühungen zur Beschaffung von Identitätsoder Reisepapieren zu erhalten, kann ihr nicht entgegengehalten werden, weil ihre seriösen Anstrengungen zur Papierbeschaffung und eine zumindest telefonische Rückmeldung des Konsulats ausgewiesen sind.

      3. Somit ist nicht ersichtlich, welche ihr zumutbaren Bemühungen die Beschwerdeführerin noch treffen könnte, um an eine Geburtsoder Adoptionsurkunde heranzukommen, welche wiederum vorausgesetzt werden für eine Registrierung und Ausstellung eines Reisepapiers. Insbesondere dürfte es entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht zielführend sein, von der Beschwerdeführerin zu verlangen, ein weiteres Mal beim Konsulat

        vorzusprechen und sich bezüglich Registrierung nach noch unausgeschöpften Lösungsvarianten zu erkundigen. Sämtliche bisherigen Anfragen und Gesuche der Beschwerdeführerin zur Beschaffung eines Reisepapiers blieben erfolglos, eine Unterstützung durch das Konsulat erfolgte jeweils nicht. Daher kann vorliegend durchaus von einer Unmöglichkeit ausgegangen werden, die Voraussetzungen für die Ausstellung von chinesischen Reisepapieren zu schaffen.

      4. Zwar trifft es zu, dass abgesehen von zwei offenbar unbeantwortet gebliebenen E-Mails der Beschwerdeführerin an das Konsulat (E-Mails vom 9. November 2016 und vom 8. Dezember 2016 [BVGer-act. 9]) keine Belege aktenkundig sind, die konkrete Bemühungen der Beschwerdeführerin zur Einbürgerung in China aufzeigen. Ausserdem äussert die Vorinstanz Zweifel an der Echtheit der Bestätigungen des Einwohnerkomitees C. . Diese Bedenken können aufgrund der Abklärungen des schweizerischen Generalkonsulats in Shanghai auch nicht leichthin von der Hand gewiesen werden. Ob das fragliche Einwohnerkomitee in Shanghai existiert und für die Ausstellung von Identitätspapieren oder für die Einbürgerung der Beschwerdeführerin zuständig wäre, kann vorliegend jedoch dahin gestellt bleiben. Aufgrund der fehlenden Identitätsund Adoptionspapiere sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Registrierung sowie auf eine Einbürgerung äusserst gering (vgl. Urteil C-4005/2013 E. 8.2). Eine weitere Kontaktnahme mit chinesischen Behörden erscheint daher nicht als erfolgversprechend und verhältnismässig, zumal nicht einmal klar ist, welche chinesische Behörde für die Ausstellung von Identitätspapieren sowie für die Registrierung der Beschwerdeführerin überhaupt zuständig sein soll. Mit E-Mail vom 23. März 2017 teilte die schweizerische Vertretung in Shanghai der Vorinstanz mit, sie habe "keine Antwort" auf die Frage, wie sich die Beschwerdeführerin in China registrieren lassen könne (SEM-D- act. 36). Das chinesische Konsulat hat sich bisher trotz zahlreicher Bemühungen der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit der Ausstellung eines Reisepasses äussert passiv verhalten. Es ist deshalb nicht davon auszugehen, allfällige (weitere) Einbürgerungsbemühungen der Beschwerdeführerin würden von dieser Seite unterstützt. Ohnehin wäre es aber fraglich, ob eine Einbürgerung in China nach 16-jährigem Aufenthalt der Beschwerdeführerin in der Schweiz eine verhältnismässige Massnahme zum Zwecke der Papierbeschaffung wäre.

5.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass es der Beschwerdeführerin nicht möglich im Sinne von Art. 10 Abs. 1 Bst. b RDV ist, ein Reisedokument respektive die hierzu notwendigen Identitätspapiere zu beschaffen. Indem die Vorinstanz ihre Schriftenlosigkeit zu Unrecht verneint hat, hat sie Bundesrecht verletzt (Art. 49 VwVG). Die Beschwerde ist demnach gutzuheissen und die angefochtene Verfügung aufzuheben. Nach dem Gesagten steht fest, dass die Ausstellung eines Reisedokumentes für ausländische Personen vorliegend nicht mit der Begründung verweigert werden darf, die Beschwerdeführerin sei nicht schriftenlos (Art. 59 Abs. 1 AIG i.V.m. Art. 4 Abs. 2 Bst. a und Art. 10 Abs. 1 RDV). Zu prüfen bleibt der Vorinstanz, ob die übrigen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reisedokumentes für eine ausländische Person erfüllt sind. Die Sache ist deshalb zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

6.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG). Als obsiegende Partei hat die Beschwerdeführerin für die ihr erwachsenen notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten Anrecht auf eine Parteientschädigung zu Lasten der Vorinstanz (Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 ff. des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Da keine Kostennote vorliegt, ist die Parteientschädigung von Amtes wegen und aufgrund der Akten pauschal auf Fr. 1'500.- festzusetzen (Art. 14 Abs. 2 VGKE).

7.

Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet in der vorliegenden Streitsache endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 6 BGG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und die angefochtene Verfügung wird aufgehoben.

2.

Die Sache wird zur neuerlichen Abklärung und Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

3.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

4.

Der Beschwerdeführerin wird zu Lasten der Vorinstanz eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.- zugesprochen.

5.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Einschreiben)

  • die Vorinstanz (Beilage: Akten Ref-Nr. [ ] zurück)

Versand:

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