Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | E-1456/2019 |
Datum: | 04.06.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Vollzug der Wegweisung |
Schlagwörter : | Wegweisung; National; Nationaldienst; Bundesverwaltungsgericht; Eritrea; Verletzung; Wegweisungsvollzug; Zwangs; Recht; Zwangsarbeit; Verbot; Vollzug; Rückkehr; Gericht; Risiko; Verfügung; Wegweisungsvollzugs; Vorinstanz; Ausländer; Bundesverwaltungsgerichts; Nationaldienstes; Misshandlungen; Person |
Rechtsnorm: | Art. 15 EMRK ; Art. 49 BV ; Art. 52 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 65 VwVG ; Art. 83 AIG ; Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung V E-1456/2019
Besetzung Richterin Muriel Beck Kadima (Vorsitz),
Richterin Daniela Brüschweiler, Richter Grégory Sauder, Gerichtsschreiberin Janine Sert.
Parteien A. , geboren am ( ), Eritrea,
vertreten durch lic. iur. Kathrin Stutz, Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende (ZBA), ( ),
Beschwerdeführerin,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Vollzug der Wegweisung;
Verfügung des SEM vom 25. Februar 2019 / ( ).
Die Beschwerdeführerin ersuchte am 20. November 2016 in der Schweiz um Asyl und machte anlässlich der Befragung zur Person (BzP) vom
5. Dezember 2016 und der Anhörung vom 10. November 2017 im Wesentlichen Folgendes geltend:
Sie sei eritreische Staatsangehörige und Tigrinya aus B. , Subzoba C. . Nachdem ihre Mutter verstorben sei, habe sie die Schule abgebrochen, um sich um ihre Geschwister zu kümmern. Da sie keinen Passierschein gehabt habe, habe sie sich nicht frei bewegen können. Als sie nach einiger Zeit zurück zur Schule habe gehen wollen, sei ihr das nicht erlaubt worden, da sie älter als die übrigen Schüler gewesen sei. Da der Militärdienst unausweichlich erschienen, sie von ihrer Stiefmutter unterdrückt worden sei und sie sich nicht habe frei bewegen können, habe sie zusammen mit ihren Freundinnen beschlossen, das Land zu verlassen. Im September 2015 habe sie Eritrea verlassen und sei über Äthiopien und weitere Länder am 19. November 2016 in die Schweiz gelangt. Weil sie aus Eritrea geflüchtet sei, drohe ihr bei einer Rückkehr die Inhaftierung und die Einziehung in den Militärdienst.
Als Beweismittel reichte sie einen Taufschein, neun Fotos von eritreischen Ausweisen respektive einer Examination Admission Card von Familienangehörigen ein.
Wegen Zweifeln an der von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Minderjährigkeit bei Gesuchseinreichung wurde am 24. November 2016 im Radiologischen Institut in D. eine Handknochenanalyse durchgeführt. Diese ergab entsprechend den Tabellen von Greulich und Pyle ein Skelettalter von achtzehn Jahren. Anlässlich der Gewährung des rechtlichen Gehörs zum Resultat der Handknochenanalyse im Rahmen der ergänzenden Befragung am 5. Dezember 2016, hielt die Beschwerdeführerin an der geltend gemachten Minderjährigkeit fest. Als Geburtsdatum wurde in der Folge der ( ) aufgenommen.
Mit Verfügung vom 25. Februar 2019 - eröffnet am 1. März 2019 - verneinte das SEM die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin, lehnte ihr Asylgesuch ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz sowie
den Vollzug an. Gleichzeitig stellte es fest, als Geburtsdatum der Beschwerdeführerin bleibe im Zentralen Migrationsinformationssystem (ZEMIS) der ( ) vermerkt.
Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 25. März 2019 beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Anordnung der vorläufigen Aufnahme wegen Unzulässigkeit oder Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs. In prozessualer Hinsicht ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung unter Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses und um Beiordnung der rubrizierten Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin.
Mit Instruktionsverfügung vom 1. April 2019 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Gesuche um unentgeltliche Prozessführung sowie um amtliche Rechtsverbeiständung gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Gleichzeitig lud es die Vorinstanz zur Einreichung einer Vernehmlassung ein.
Mit Vernehmlassung vom 3. April 2019 hielt die Vorinstanz an ihren Erwägungen fest.
In ihrer Replik vom 3. Mai 2019 hielt die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen fest.
Am 1. März 2019 ist die Teilrevision (AS 2016 3101) des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) in Kraft getreten. Für das vorliegende Verfahren gilt das bisherige Recht (vgl. Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung des AsylG vom 25. September 2015).
Am 1. Januar 2019 wurde das Ausländergesetz vom 16. Dezember
2005 (AuG, SR 142.20) teilrevidiert (AS 2018 3171) und in Ausländerund
Integrationsgesetz (AIG) umbenannt. Die vorliegend anzuwendenden Gesetzesartikel (Art. 83 Abs. 1-4 und Abs. 7 sowie Art. 84) sind unverändert vom AuG ins AIG übernommen worden, weshalb das Gericht nachfolgend die neue Gesetzesbezeichnung verwendet.
Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinn von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet im Bereich der vorläufigen Aufnahme endgültig (Art. 83 Bst. c Ziff. 3 BGG).
Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).
Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht worden. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und aArt. 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Die Beschwerde beschränkt sich auf den Wegweisungsvollzug (Ziffern 5 und 6 der angefochtenen Verfügung), während die Feststellung des Geburtsdatums, die Verneinung der Flüchtlingseigenschaft, die Ablehnung des Asylgesuchs und die Anordnung der Wegweisung (Ziffern 1 bis 4 der angefochtenen Verfügung) unangefochten in Rechtskraft erwachsen sind. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens bildet demnach nur noch die Frage, ob das SEM den Wegweisungsvollzug zu Recht als durchführbar erachtet hat oder ob allenfalls anstelle des Vollzugs eine vorläufige Aufnahme anzuordnen ist.
Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Bereich des Ausländerrechts nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).
Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht
möglich, so regelt das SEM das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AIG).
Beim Geltendmachen von Wegweisungsvollzugshindernissen gilt gemäss Praxis des Bundesverwaltungsgerichts der gleiche Beweisstandard wie bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft; das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. BVGE 2011/24 E. 10.2 m.w.H.).
Das SEM führte in seinem ablehnenden Entscheid aus, Eritrea weise zwar Defizite im Bereich der Menschenrechte auf, eine schlechte Menschrechtslage genüge jedoch nicht, um dem Wegweisungsvollzug entgegenzustehen. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Behandlung oder Strafe drohen würde, die mit Art. 3 EMRK nicht vereinbar sei. Mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Grundsatzurteil BVGE 2018 VI/4) hält die Vorinstanz ferner fest, auch eine drohende Einziehung in den Nationaldienst stehe der Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs nicht entgegen. In Eritrea herrsche weder Krieg noch eine Situation allgemeiner Gewalt, weshalb nicht von einer generellen Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs gesprochen werden könne. Auch würden keine individuellen Gründe den Wegweisungsvollzug unzumutbar erscheinen lassen. Schliesslich sei der Vollzug technisch möglich und praktisch durchführbar.
Auf Beschwerdeebene konkretisierte die Beschwerdeführerin verschiedene Punkte ihrer Aussagen und führte aus, sie habe Eritrea im wehrdienstfähigen Alter illegal verlassen und würde bei einer Rückkehr unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert werden. Dies stelle eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar. Anschliessend würde sie in den Nationaldienst eingezogen werden. Dieser stelle eine Form von Leibeigenschaft und Zwangsarbeit im Sinne von Art. 4 EMRK dar. Die UN-Untersuchungskommission zu Eritrea habe in ihrem Bericht vom 8. Juni 2016 festgehalten, dass der Nationaldienst die Tatbestände der Sklaverei beziehungsweise der Zwangsarbeit nach dem Römerstatut erfülle. Die Menschenrechtsverletzungen in Eritrea würden gemäss dieser Kommission Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen. Das Bundesverwaltungsgericht habe im Grundsatzurteil E-5022/2017 vom 10. Juli 2018 denn auch festgehalten, dass der Nationaldienst Zwangsarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EMRK
darstelle. Das Verbot der Zwangsarbeit im Sinne dieses Artikels stelle ein absolutes Verbot dar. Der dritte Absatz dieser Bestimmung schränke deren sachlichen Schutzbereich ein und definiere die Tatbestände, welche keine Zwangsarbeit darstellen würden. Es handle sich somit nicht um eine Einschränkung des Verbots unter Abs. 2. Das Bundesverwaltungsgericht anerkenne, dass in Bezug auf den Nationaldienst kein Tatbestand von Art. 4 Abs. 3 EMRK vorliege und dieser unter den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 2 EMRK falle. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts lasse sich aus dem Umstand, dass gewisse Tatbestände nicht unter Art. 4 Abs. 2 EMRK fallen würden, nicht darauf schliessen, dass nur bei einer flagranten Verletzung ein Refoulement-Verbot bestehe. Da es sich sowohl bei dieser Bestimmung als auch bei Art. 3 EMRK um Fundamentalgarantien der EMRK und um ein absolutes Verbot der Zwangsarbeit handle, sei keine flagrante Verletzung für das Bestehen eines Refoulement-Verbotes nötig. Es gelte der gleiche Massstab wie bei Art. 3 EMRK; es müssten stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Fall einer Ausschaffung dem realen Risiko einer Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK ausgesetzt wäre. Dies werde gestützt durch die Rechtsprechung des UK Upper Tribunal (Urteil MST and others). Auch könne der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gefolgt werden, wonach aus dem Umstand, dass das Zwangsarbeitsverbot im Unterschied zum Verbot der Leibeigenschaft und Sklaverei in Art. 15 Abs. 2 EMRK nicht genannt werde, zu schliessen sei, dass eine flagrante Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK vorliegen müsse. Es verkenne, dass Art. 4 Abs. 3 lit. c EMRK eine eigenständige Notstandsklausel enthalte. Diese Ansicht werde ebenfalls vom UK Upper Tribunal gestützt. Auch leite der EGMR aus Art. 4 Abs. 2 EMRK positive Verpflichtungen der Vertragsstaaten ab. Insbesondere müsse ein Staat alle in seiner Macht stehenden notwendigen Massnahmen treffen, um Opfer oder potentielle Opfer zu schützen, sobald ein glaubhafter Verdacht bekannt sei, dass sich eine Person in einer Bedrohungssituation befinde. Das Refoulement-Verbot bei einem Risiko der Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK sei nichts anderes, als die positive Verpflichtung des Aufnahmestaates, die zukünftigen Opfer von Zwangsarbeit zu schützen. Entsprechend impliziere die Qualifizierung des Nationaldienstes als Zwangsarbeit durch das Bundesverwaltungsgericht die positive Pflicht des RefoulementVerbotes. Doch selbst wenn der Massstab einer flagranten Verletzung angesetzt würde, wäre diese gegeben, da gemäss UK Upper Tribunal bei einem Einzug in den Nationaldienst ohnehin die Gefahr einer flagranten Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK bestehe und andererseits die Zwangsarbeit im Rahmen des eritreischen Nationaldienstes auch eine Verletzung von
Art. 3 EMRK darstelle. Das Bundesverwaltungsgericht verkenne die Definition der Zwangsarbeit durch den EGMR. Eine konkrete Gefahr von Misshandlungen sei nicht vorausgesetzt. Im eritreischen Kontext sei eine flagrante Verletzung des Zwangsarbeitsverbots gegeben, weil die Betroffenen auf unbestimmte Zeit ihrer persönlichen Freiheit beraubt seien. Das nicht angezweifelte Bestehen von sexuellen Übergriffen im Rahmen des Nationaldienstes müsse - unabhängig davon, ob es deren systematisches Vorkommen formal belegt werden könne - als verschärfendes Element berücksichtigt werden. Bei seiner Schlussfolgerung, es würden keine systematischen Misshandlungen vorliegen, stütze sich das Bundesverwaltungsgericht auf nicht objektive Quellen, darunter auf den Bericht des Danish Immigration Service, obwohl es zuvor selbst festgehalten habe, dass dieser wegen mangelnder Kontextualisierung einzelner Aussagen und selektiver Verwendung von Informationen von verschiedener Seite öffentlich kritisiert worden sei. Insbesondere habe sich die einzige namentlich genannte Quelle vom Bericht distanziert, was vom Gericht nicht erwähnt worden sei. Die vom Gericht zitierten Quellen seien nicht geeignet, die Feststellung der UN-Untersuchungskommission zu Eritrea, sowie von Amnesty International und von Human Rights Watch, wonach es zu systematischen Misshandlungen im Rahmen des Nationaldienstes komme, zu widerlegen.
Vor dem Hintergrund der ungenügenden Informationslage sei die vorgenommene Verteilung der Beweislast problematisch. Es sei der Beschwerdeführerin nicht möglich, unter diesen Voraussetzungen den formalen Beleg für das systematische Vorkommen von Misshandlungen und sexuellem Missbrauch zu erbringen. Die Abklärung des herkunftslandspezifischen Sachverhaltes sei Sache der prüfenden Behörden. Das Gericht habe eine Beweislastverschiebung vorgenommen, die sich nicht an den internationalen Standards orientiere. Das Vorliegen eines ernsthaften Risikos einer Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund der vorgenannten Risiken sei vom Gericht mit der identischen Argumentation wie eine Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK - und damit unter Anwendung eines zu hohen Massstabs - verneint worden. Dem könne aus den oben genannten Gründen ebenfalls nicht gefolgt werden.
Somit würde beim Vollzug der Wegweisung eine Verletzung von Art. 3 EMRK und Art. 4 Abs. 2 EMRK vorliegen. Folglich sei die vorläufige Aufnahme anzuordnen. Des Weiteren gerate eine Person, welche im Rahmen des Nationaldienstes Zwangsarbeit leisten müsse, in eine persönliche Notlage. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Bundesverwaltungsgericht Zwangsarbeit als zumutbar erachte. Zudem scheine es in Bezug auf das
Risiko, im Rahmen des Nationaldienstes Misshandlungen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt zu sein, auch bei der Prüfung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges den offensichtlich zu hohen Massstab eines ernsthaften Risikos einer flagranten Verletzung anzuwenden. Die Beschwerdeführerin sei speziell gefährdet Opfer von sexueller Gewalt durch ihre Vorgesetzten oder andere Soldaten zu werden, da sie eine junge Frau sei. Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen, würden für Frauen kaum bestehen. Entsprechend sei eine Rückkehr in ihrem Fall auch nicht zumutbar.
In ihrer Vernehmlassung hielt die Vorinstanz fest, die Beschwerdeführerin habe - entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift - (anlässlich der BzP und Anhörung) geltend gemacht, Eritrea als Minderjährige und nicht im wehrdienstfähigen Alter illegal verlassen zu haben. Sie sei weder eine Refraktärin noch eine Deserteurin, weshalb sie nicht gegen die Proclamation on National Service aus dem Jahr 1995 verstossen habe. Auch seien den Akten keine Anhaltspunkte zu entnehmen, wonach sie bei einer Rückkehr ernsthafte Nachteile zu gewärtigen hätte, weshalb die Anforderungen an die Feststellung einer begründeten Furcht vor zukünftiger Verfolgung nicht erfüllt seien.
In ihrer Replik führte die Beschwerdeführerin aus, es sei bekannt, dass, obwohl gemäss Proclamation on National Service von 1995 eine Rekrutierung unter 18 Jahren verboten sei, regelmässig Minderjährige - insbesondere solche, welche wie die Beschwerdeführerin die Schule abgebrochen hätten - in den Nationaldienst eingezogen würden. So habe für die Beschwerdeführerin bereits als Minderjährige ein hohes Risiko bestanden, bald in den Nationaldienst eingezogen zu werden. Zudem habe sie begründete Furcht, bei einer Rückkehr in ihr Heimatland sofort inhaftiert und in den Militärdienst eingezogen zu werden, weshalb eine Wegweisung nach Eritrea eine Verletzung von Art. 3 und Art. 4 Abs. 2 EMRK darstellen würde.
Zu den Ausführungen des SEM in seiner Vernehmlassung betreffend eine allfällige begründete Furcht vor künftiger Verfolgung, auf welche in der Replik eingegangen wird, ist festzustellen, dass diese nicht Prozessgegen-
stand bildett (vgl. E. 2), sofern sie sich auf das Asyl beziehungsweise ein
flüchtlingsrechtliches Refoulement-Verbot beziehen sollte. Die Beschwerdeführerin beschränkt sich sowohl in ihrer Beschwerde als auch in ihrer Replik explizit auf das menschenrechtliche Non-Refoulement-Gebot nach Art. 3 und 4 EMRK, weshalb nachfolgend nur die Einhaltung dieses Gebots im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des Wegweisungsvollzugs geprüft wird.
Im Übrigen übt die Beschwerdeführerin in ihrer Rechtsmitteleingabe im Wesentlichen appelatorische Kritik am Grundsatzurteil BVGE 2018 VI/4. Dies vermag keine Änderung des dort vertretenen Standpunktes zu bewirken, zumal seit Ergehen des Urteils vor nicht einmal einem Jahr keine wesentliche Veränderung der Sachlage eingetreten ist. Es steht der Beschwerdeführerin jedoch frei, ihre Vorbringen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geltend zu machen.
Der Vollzug ist nicht zulässig, wenn völkerrechtliche Verpflichtungen der Schweiz einer Weiterreise der Ausländerin oder des Ausländers in den Heimat-, Herkunftsoder einen Drittstaat entgegenstehen (Art. 83 Abs. 3 AIG).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Grundsatzurteil BVGE 2018 VI/4 mit der Frage befasst, ob der Vollzug der Wegweisung auch angesichts einer drohenden Einziehung in den eritreischen Nationaldienst als zulässig (Art. 83 Abs. 3 AIG) qualifiziert werden könne. Das Gericht hat dies mit den folgenden Erwägungen bejaht:
Die Verpflichtung eritreischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, Nationaldienst zu leisten, könne nach Auffassung des Gerichts nicht als Ausübung quasi-eigentumsrechtlicher Befugnisse gegenüber der betreffenden Person durch den eritreischen Staat bezeichnet werden. Zudem könne, auch wenn der Nationaldienst formal nicht befristet sei und sich teilweise über Jahre erstrecke, nicht von jenem dauerhaften Zustand ausgegangen werden, der für die Annahme von Leibeigenschaft vorausgesetzt wäre. Beim eritreischen Nationaldienst handle es sich demnach weder um Sklaverei noch um Leibeigenschaft im Sinn von Art. 4 Abs. 1 EMRK (vgl. Urteil E-5022/2017 E. 6.1 insbes. 6.1.4).
In seiner heutigen Ausgestaltung (namentlich angesichts seiner Zweckentfremdung als Mittel zur Arbeitskraftbeschaffung für das gesamte Wirtschaftssystem und der unabsehbaren Dauer) könne der eritreische Nationaldienst nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zwar nicht als "übliche Bürgerpflicht" im Sinn von Art. 4 Abs. 3 Bst. d EMRK verstanden werden. Die Bedingungen im Nationaldienst seien folglich grundsätzlich als Zwangsarbeit im Sinn von Art. 4 Abs. 2 EMRK zu qualifizieren. Für die Annahme der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs reiche diese Einschätzung jedoch nicht aus. Vielmehr wäre hierfür erforderlich, dass durch die Einziehung das ernsthafte Risiko einer flagranten Verletzung von Art. 4 Abs. 2 EMRK bestünde, der eritreische Nationaldienst mithin diese Bestimmung ihres essenziellen Inhalts berauben würde. Eine solche Situation liege indessen - auch unter Berücksichtigung der Dienstdauer, der niedrigen Besoldung und der Berichte über Misshandlungen und Übergriffe während der Dienstzeit - nach Auffassung des Gerichts nicht vor (vgl. a.a.O. E. 6.1 insbes. 6.1.5).
In der Folge befasste sich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Koordinationsentscheid mit der Frage, ob bei einer Rückkehr nach Eritrea aufgrund der Verhältnisse im Nationaldienst oder im Zusammenhang mit einer allfälligen Inhaftierung - beispielsweise aufgrund einer illegalen Ausreise - eine Verletzung des konventionsrechtlichen Verbots von Folter oder unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) drohen könnte. Auch in diesem Zusammenhang ging das Gericht davon aus, dass in Eritrea Misshandlungen und sexuelle Übergriffe während der Dienstzeit oder im Fall einer Inhaftierung nicht derart flächendeckend seien, dass jede nach Eritrea zurückkehrende dienstpflichtige Person dem ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, selbst solche Übergriffe zu erleiden. Es bestehe daher auch insoweit kein ernsthaftes Risiko von Folter oder einer unmenschlichen Behandlung (vgl. a.a.O. E. 6.1 insbes. E. 6.1.6 und E. 6.1.8).
Nach dem vorstehend Ausgeführten stehen einerseits das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK) dem Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführerin auch bei einer anstehenden Einziehung in den Nationaldienst nicht entgegen. Andererseits ist aufgrund der verfügbaren Quellen auch nicht davon auszugehen, es bestehe generell das ernsthafte Risiko einer krassen Verletzung des Verbots der Zwangsund Pflichtarbeit während des Nationaldienstes (Art. 4 Abs. 2 EMRK).
Aus den Akten ergeben sich sodann auch anderweitig keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Beschwerdeführerin müsste bei einer freiwilligen Rückkehr in den Heimatstaat dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine nach Art. 3 EMRK oder Art. 1 FoK verbotene Strafe oder Behandlung befürchten. Auch die problematische allgemeine Menschenrechtssituation in Eritrea lässt den Wegweisungsvollzug zum heutigen Zeitpunkt praxisgemäss nicht als unzulässig erscheinen.
Gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimatoder Herkunftsstaat aufgrund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete
Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AIG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren.
Im oben zitierten Koordinationsentscheid erwog das Bundesverwaltungsgericht ebenso, dass allein die drohende Einziehung in den eritreischen Nationaldienst nicht zur Annahme einer existenziellen Gefährdung ausreicht und daher auch nicht generell zur Feststellung der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs gemäss Art. 83 Abs. 4 AIG führt (vgl. a.a.O. E. 6.2).
Im Urteil D-2311/2016 vom 17. August 2017 (als Referenzurteil publiziert) hatte sich das Bundesverwaltungsgericht ausführlich mit der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs nach Eritrea beschäftigt. Dabei kam es nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Quellen zum Schluss, angesichts der dokumentierten Verbesserungen in der Nahrungsmittelund Wasserversorgung, im Bildungswesen sowie im Gesundheitssystem Eritreas sei die frühere Praxis, wonach eine Rückkehr nur bei begünstigenden individuellen Umständen zumutbar sei (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 2005 Nr. 12), nicht länger berechtigt. Angesichts der schwierigen allgemeinen - und insbesondere wirtschaftlichen - Lage des Landes müsse bei Vorliegen besonderer individueller Umstände aber nach wie vor von einer Existenzbedrohung ausgegangen werden. Die Frage der Zumutbarkeit bleibe daher im Einzelfall zu beurteilen (vgl. Referenzurteil D-2311/2016 E. 17.2).
Aus den Akten ergeben sich ferner anderweitig keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Eritrea aufgrund individueller Gründe oder besonderer Umstände in eine existenzbedrohende Lage geraten würde, welche den Wegweisungsvollzug nach Eritrea als unzumutbar erscheinen liesse. Die junge und gesunde Beschwerdeführerin verfügt über gewisse Schulbildung und eine grosse Familie vor Ort (insbesondere ihr Vater sowie fünf Geschwister). Zudem würden zwei Geschwister in England und ein Bruder in Israel leben, letzterer habe sie gemäss eigenen Angaben bei der Ausreise finanziell unterstützt. Auf Beschwerdeebene wird dem nichts Stichhaltiges entgegengestellt. Es erweist sich somit, dass der Vollzug der Wegweisung der Beschwerdeführerin nach Eritrea als zumutbar zu erachten ist.
Die zwangsweise Rückführung abgewiesener Asylsuchender nach Eritrea ist zurzeit generell nicht möglich. Die Möglichkeit der freiwilligen Rückkehr steht jedoch praxisgemäss der Feststellung der Unmöglichkeit
des Wegweisungsvollzugs entgegen. Es obliegt daher der Beschwerdeführerin, sich bei der zuständigen Vertretung des Heimatstaates die für eine Rückkehr notwendigen Reisedokumente zu beschaffen (vgl. Art. 8 Abs. 4 AsylG und dazu auch BVGE 2008/34 E. 12), weshalb der Vollzug der Wegweisung auch als möglich zu bezeichnen ist (Art. 83 Abs. 2 AIG).
Zusammenfassend hat die Vorinstanz den Wegweisungsvollzug zu Recht als zulässig, zumutbar und möglich bezeichnet. Eine Anordnung der vorläufigen Aufnahme fällt somit ausser Betracht (Art. 83 Abs. 1-4 AIG).
Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt, den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) und angemessen ist. Die Beschwerde ist abzuweisen.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Da ihr jedoch mit Zwischenverfügung vom 1. April 2019 die unentgeltliche Prozessführung gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gewährt wurde und auch heute nicht von genügenden Mitteln auszugehen ist, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.
Mit derselben Zwischenverfügung wurde der Beschwerdeführerin ihre Rechtsvertreterin als amtliche Rechtsbeiständin gemäss Art. 110a Abs. 1 AsylG beigeordnet, weshalb dieser ein entsprechendes Honorar auszurichten ist. Die amtliche Rechtsbeiständin hat keine Kostennote eingereicht. Der notwendige Vertretungsaufwand lässt sich indes aufgrund der Aktenlage zuverlässig abschätzen (Art. 14 Abs. 2 des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Unter Berücksichtigung der massgebenden Berechnungsfaktoren (Art. 12 i.V.m. Art. 8 ff. VGKE) ist das amtliche Honorar auf pauschal Fr. 840.- (inklusive Auslagen) festzusetzen und lic. iur. Kathrin Stutz, Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende, zu Lasten der Gerichtskasse auszurichten.
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Der als amtliche Rechtsbeiständin eingesetzten Rechtsvertreterin, lic. iur. Kathrin Stutz, Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende, wird ein amtliches Honorar von Fr. 840.- zulasten der Gerichtskasse zugesprochen.
Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Muriel Beck Kadima Janine Sert
Versand:
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
Hier geht es zurück zur Suchmaschine.