Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung IV |
Dossiernummer: | D-5076/2019 |
Datum: | 02.10.2019 |
Leitsatz/Stichwort: | Wegweisung und Wegweisungsvollzug (Beschwerde gegen Wiedererwägungsentscheid) |
Schlagwörter : | Wegweisung; Frankreich; Recht; Vorinstanz; Vollzug; Bundes; Verfügung; Zwischenverfügung; Wiedererwägungsgesuch; Schweiz; Verfahren; Urteil; Wegweisungsvollzug; Aussetzung; Beschwerdeführers; Bundesverwaltungsgericht; Interesse; Entscheid; Asylgesuch; Rechtskraft; Prozessführung; Gewährung; Gesuch; Behandlung; Richter; Migration; Wiedererwägungsverfahren |
Rechtsnorm: | Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 73 AIG ;Art. 83 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung IV D-5076/2019
Besetzung Einzelrichterin Jeannine Scherrer-Bänziger, mit Zustimmung von Richter Gérald Bovier; Gerichtsschreiber Patrick Blumer.
Parteien A. , geboren am ( ), Iran,
vertreten durch Ali Tüm, Asylum Rechtsberatung, Beschwerdeführer,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Aussetzung des Vollzugs der Wegweisung (Wiedererwägungsverfahren);
Zwischenverfügung des SEM vom 25. September 2019 / N ( ).
Der Beschwerdeführer gelangte seinen Angaben zufolge am 30. April 2019 in die Schweiz und suchte gleichentags um Asyl nach.
Das SEM trat mit Verfügung vom 15. Juli 2019 (dem dannzumaligen Rechtsvertreter am 17. Juli 2019 eröffnet) gestützt auf Art. 31a Abs. 1 Bst. b AsylG (SR 142.31) auf sein Asylgesuch nicht ein, ordnete die Wegweisung aus der Schweiz nach Frankreich an, und stellte fest, einer allfälligen Beschwerde komme keine aufschiebende Wirkung zu. Diese Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.
Der dannzumalige Rechtsvertreter teilte dem SEM mit Eingabe vom
18. Juli 2019 die Beendigung der Rechtsvertretung gemäss Art. 102h Abs. 4 AsylG mit. Dabei wies er darauf hin, der Beschwerdeführer sei über die Gründe der Mandatsniederlegung informiert worden.
Der Beschwerdeführer reichte mit Eingabe vom 14. August 2019 beim SEM ein Wiedererwägungsgesuch ein. Er beantragte, es sei die Verfügung des SEM vom 15. Juli 2019 wiedererwägungsweise aufzuheben und auf das Asylgesuch einzutreten. Der Vollzug der Wegweisung sei vorsorglich auszusetzen und es sei ihm die unentgeltliche Prozessführung samt Erlass eines Kostenvorschusses zu gewähren.
Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Schweiz müsse von ihrem Recht auf Selbsteintritt gestützt auf Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin-III-VO), Gebrauch machen.
Das zuständige kantonale Migrationsamt ordnete am 24. September 2019 gestützt auf Art. 73 bis 78 AIG (SR 142.20) eine Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers unter Gewährung des rechtlichen Gehörs an.
Das SEM stellte mit Zwischenverfügung vom 25. September 2019 - eröffnet am 27. September 2019 - fest, der Vollzug der Wegweisung werde nicht ausgesetzt.
Der Beschwerdeführer reichte mit Eingabe vom 30. September 2019 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des SEM vom 25. September 2019 ein und beantragte, die angefochtene Zwischenverfügung sei aufzuheben und zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersuchte er um unverzügliche Aussetzung des Wegweisungsvollzugs und Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung samt Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Zudem sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen und mittels beigelegten Beweismitteln festzustellen, dass er einen ( ) unternommen habe.
Gemäss Art. 31 VGG ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung von Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG zuständig und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG). Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG oder AsylG nichts anderes bestimmen (Art. 37 VGG; Art. 6 und Art. 105 ff. AsylG).
Anfechtungsgegenstand der vorliegenden Beschwerde bildet die Zwischenverfügung des SEM vom 25. September 2019. Eine Zwischenverfügung, mit der - wie hier - in einem Wiedererwägungsverfahren ein Gesuch um Aussetzung des Wegweisungsvollzugs abgelehnt wird, ist selbständig anfechtbar, weil die Verweigerung der Vollzugsaussetzung einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 107 Abs. 2 Bst. a AsylG bewirken kann (vgl. BVGE 2008/35; Urteil des BVGer E-2422/2012 vom 10. Mai 2012 E. 1.2).
Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG). Auf die formund fristgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 52 VwVG und Art. 108 Abs. 1 AsylG, 2. Halbsatz) ist einzutreten.
Das Bundesverwaltungsgericht überprüft die angefochtene Verfügung auf Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Missbrauch und Überschreitung des Ermessens, sowie unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters oder einer zweiten Richterin (Art. 111 Bst. e AsylG) ohne Weiterungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AsylG).
Gemäss Art. 111b Abs. 3 AsylG hemmt die Einreichung eines Wiedererwägungsgesuchs den Vollzug nicht, es sei denn, die für die Behandlung zuständige Behörde entscheide anders. Der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung oder der Aussetzung des Vollzuges kommt funktionell die Bedeutung einer vorsorglichen Massnahme gleich. Voraussetzung ist, dass konkrete Hinweise für die Begründetheit des Begehrens in der Sache vorliegen und der Vollzug der Wegweisung einen erheblichen und nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken würde (vgl. Art. 107 Abs. 2 AsylG). Der Beschwerdeführer hat demnach ein überwiegendes privates Interesse am Verbleib in der Schweiz darzutun, welches das grundsätzlich erhebliche öffentliche Interesse am rechtskräftig verfügten Vollzug der Wegweisung überwiegt (vgl. m.w.H. ALFRED KÖLZ/ISABELLE HÄNER/MARTIN BERTSCHI,
Verwaltungsverfahren und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 3. Aufl., 2013, S. 381 Rz. 1076; Urteil des BVGer E-2422/2012 vom 10. Mai 2012
E. 1.2).
Die Vorinstanz verweigert die Aussetzung des Wegweisungsvollzuges, da sie das öffentliche Interesse am fristgerechten Vollzug der in Rechtskraft erwachsenen Wegweisungsverfügung höher gewichtet als das private Interesse des Beschwerdeführers, sich während des vorliegenden Verfahrens in der Schweiz aufzuhalten. Die Vorbringen im Wiedererwägungsgesuch seien bereits im Entscheid vom 15. Juli 2019 gewürdigt worden. Der neu vorgebrachte ( ) sei vom Beschwerdeführer anlässlich des rechtlichen Gehörs zur Haftanordnung vom 24. September 2019 in keiner Weise erwähnt worden, woraus zu schliessen sei, dass keine unmittelbaren Gründe gegen eine Überstellung nach Frankreich sprechen würden.
Zudem trage die Vorinstanz dem Gesundheitszustand des Beschwerdeführers bei der Organisation der Überstellung nach Frankreich Rechnung, indem es die französischen Behörden im Sinne von Art. 31 und Art. 32 Dublin-III-VO vor der Überstellung über den Gesundheitszustand und die notwendige medizinische Behandlung informiere.
Der Beschwerdeführer wiederholt in der Beschwerde im Wesentlichen das im Wiedererwägungsgesuch Vorgebrachte. Er habe in Frankreich für beinahe die komplette Dauer seines Aufenthalts keinerlei Obdach erhalten. Er habe in einer permanenten existenziellen Notlage gelebt, was gravierende Auswirkungen auf sein bereits traumatisiertes und ( ) nachweislich schwer angeschlagenes Wohl gehabt habe. Die Vorinstanz habe sich nicht rechtsgenüglich um ihn gekümmert, indem es Abklärungen betreffend seine ( ) unterlassen habe. Der Wegweisungsvollzug nach Frankreich sei für ihn mit den von der Schweiz eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht vereinbar. Die Vorinstanz hätte von ihrem Recht auf Selbsteintritt gemäss Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO Gebrauch machen und auf sein Asylgesuch eintreten müssen.
Ein Wiedererwägungsgesuch ist gutzuheissen, wenn sich der rechtserhebliche Sachverhalt seit dem ursprünglichen Entscheid beziehungsweise seit dem Urteil der mit Beschwerde angerufenen Rechtsmittelinstanz in wesentlicher Weise verändert hat, so dass die ursprüngliche (fehlerfreie) Verfügung an nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen ist.
Aufgrund der Akten ist festzustellen, dass betreffend den Beschwerdeführer bereits eine Verfügung der Vorinstanz vom 15. Juli 2019 (Nichteintreten auf Asylgesuch und Anordnung Wegweisungsvollzug nach Frankreich) vorliegt, welche unangefochten in Rechtskraft erwuchs.
Mit seinen Ausführungen zur Situation von Asylsuchenden in Frankreich bringt der Beschwerdeführer nichts vor, was nicht bereits in die Erwägungen des vorinstanzlichen Entscheids vom 15. Juli 2019 Eingang gefunden hat. Damit sind alle relevant erscheinenden Vorbringen mit Rechtskraft belegt. Namentlich wurde die vom Beschwerdeführer bei einer Wegweisung nach Frankreich anzutreffende Situation bereits hinreichend gewürdigt. Es ist festgestellt worden, dass sich Frankreich als Mitgliedstaat des DublinRaums an die geltenden völkerrechtlichen Mindestverpflichtungen halte.
Weiter ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Rechtsmitteleingabe nicht aufzeigt, inwiefern die angefochtene Zwischenverfügung Bundesrecht verletzen soll. Solches ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr setzt sich der Beschwerdeführer kaum mit dem angefochtenen Entscheid auseinander und wiederholt wortwörtlich seine im Wiedererwägungsgesuch erwähnten Vorbringen. Diese stellen damit lediglich eine Kritik am rechtkräftigen Entscheid der Vorinstanz vom 15. Juli 2019 dar. Das SEM geht zutreffend davon aus, dass Frankreich sich an die Aufnahmerichtlinien halten würde und der Beschwerdeführer in Frankreich (erneut) um Asyl nachsuchen kann. Weiter weist es zu Recht darauf hin, dass der behauptete ( ) anlässlich des rechtlichen Gehörs zur Haftanordnung vom 24. September 2019 vom Beschwerdeführer unerwähnt geblieben ist. Ungeachtet dessen verfügt aber auch Frankreich über geeignete medizinische Einrichtungen, welche eine allenfalls notwendige ( ) Behandlung des Beschwerdeführers sicherstellen können. Auf den Antrag, es sei festzustellen, dass der Beschwerdeführer einen ( ) unternommen habe, ist vor diesem Hintergrund nicht weiter einzugehen.
Die Vorinstanz verletzt daher kein Bundesrecht, wenn sie im Rahmen ihrer antizipierten und summarischen Begründung die Aussichtslosigkeit des Wiedererwägungsgesuchs annimmt.
Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Vorinstanz den Vollzug der Wegweisung zu Recht nicht ausgesetzt hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass Frankreich sich nicht an die massgebenden völkerrechtlichen Bestimmungen, insbesondere an das Rückschiebungsverbot oder die einschlägigen Normen der EMRK, halten würde. Die Vorinstanz hat vor diesem Hintergrund zu Recht das öffentliche Interesse an einem Vollzug des rechtskräftigen Wegweisungsentscheids höher gewichtet und sie ist davon ausgegangen, dass es dem Beschwerdeführer zuzumuten ist, den Ausgang des Wiedererwägungsverfahrens im Nachbarland Frankreich abzuwarten, da er sich für allenfalls notwendige medizinische beziehungsweise ( ) Behandlungen an die zuständigen Institutionen in Frankreich wenden kann. Die Gesuche, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und der Wegweisungsvollzug sei unverzüglich auszusetzen, sind mit dem vorliegenden Endentscheid gegenstandslos geworden.
Mit dem vorliegenden Urteil ist das Beschwerdeverfahren abgeschlossen, weshalb sich der Antrag auf Erlass eines Kostenvorschusses als gegenstandslos erweist.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung ist abzuweisen, da die Begehren, wie sich aus den vorstehenden Erwägungen ergibt, als aussichtslos zu bezeichnen waren, weshalb die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 VwVG - ungeachtet der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers - nicht erfüllt sind.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 750.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]).
(Dispositiv nächste Seite)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung wird abgewiesen.
Die Verfahrenskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.
Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.
Die Einzelrichterin: Der Gerichtsschreiber:
Jeannine Scherrer-Bänziger Patrick Blumer
Versand:
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