E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil A-5205/2018

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts A-5205/2018

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung I
Dossiernummer:A-5205/2018
Datum:14.10.2019
Leitsatz/Stichwort:Mehrwertsteuer
Schlagwörter : Liquidation; Liquidationsergebnis; Aktiven; Sachwalter; MWSTG; Liquidator; Urteil; Mehrwertsteuer; Recht; Konkurs; Gesellschaft; Steuer; Forderung; Liquidatoren; Liquidationsergebnisses; Liquidatorenhaftung; Beginn; Sachwalterinventar; Veräusserung; Bilanz; Urteile; Inventar; Lassvertrag; Betrag; Verfahren; Auslegung; ühre
Rechtsnorm: Art. 112 MWSTG ;Art. 13 BV ;Art. 15 MWSTG ;Art. 299 KG ;Art. 314 KG ;Art. 317 KG ;Art. 322 KG ;Art. 48 BGG ;Art. 48 VwVG ;Art. 49 VwVG ;Art. 50 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 55 DBG ;Art. 63 VwVG ;
Referenz BGE:114 III 120; 115 Ib 274; 119 V 347; 130 II 482; 131 II 13; 131 V 222; 134 II 249; 140 II 80
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung I

  1. 5/2018, A-5206/2018

    U r t e i l  v o m  1 4.  O k t o b e r  2 0 1 9

    Besetzung Richterin Sonja Bossart Meier (Vorsitz), Richter Daniel Riedo, Richter Raphaël Gani, Gerichtsschreiberin Anna Strässle.

    Parteien A. ,

    ( ),

    vertreten durch

    Tax Partner AG, ( ), Beschwerdeführer,

    gegen

    Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, Vorinstanz,

    Gegenstand MWST; solidarische Mithaftung Liquidator/Sachwalter.

    Sachverhalt:

    A.

    Die vormalige B. AG (nachfolgend: B. AG) war vom 1. Januar 1995 bis 24. September 2010 als Mitglied und Gruppenträgerin bzw.

    -vertreterin der MWST-Gruppe B. AG im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingetragen.

    B.

    Am 20. September 2007 wurde der B. AG nach den übereinstimmenden Angaben der Parteien durch das zuständige Gericht die Nachlassstundung gewährt und als Sachwalter wurde A. eingesetzt. Anstelle der ursprünglich beabsichtigten Nachlassstundung (Stundungsvergleich) wurde den Gläubigern - so auch der ESTV - mit Schreiben des Sachwalters vom 22. Juli 2008 ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung vorgeschlagen. Am 23. Februar 2009 wurde dieser Nachlassvertrag nach Angaben der Parteien gerichtlich genehmigt und A. als Liquidator mit Einzelunterschrift eingesetzt.

    C.

    Am 24. September 2010 wurde über die B. AG der Konkurs eröffnet. Die ESTV gab (soweit hier interessierend) ihre Forderungen in Höhe von CHF 142'681.55 (sowie Verzugszins und Betreibungskosten) für die Zeit vom 20. September 2007 bis zum 31. Dezember 2009 und von CHF 12'089.66 (sowie Verzugszins) für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis

    24. September 2010 ein. Mit Urteil vom 5. April 2011 wurde das Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt und die B. AG wurde am

    12. Juli 2011 von Amtes wegen im Handelsregister gelöscht.

    D.

    Nach diverser Korrespondenz zwischen der ESTV und A. bzw. dessen Vertreter teilte die ESTV A. mit Schreiben vom 5. September 2012 mit, es bestehe bei der ESTV eine Masseverbindlichkeit von CHF 154'771.21 zuzüglich Verzugszinsen betreffend die Zeit vom 20. September 2007 bis zum 24. September 2010. Sie forderte ihn aufgrund der Solidarhaftung der mit der Liquidation betrauten Personen (gemäss Art. 32 Abs. 1 Bst. c des Mehrwertsteuergesetzes vom 2. September 1999 [aMWSTG, AS 2000 1300] bzw. Art. 15 Abs. 1 Bst. e des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer [Mehrwertsteuergesetz, MWSTG, SR 641.20]) auf, ihr innert 10 Tagen mitzuteilen, wie dieser Ausstand bereinigt werden könne, einen Abzahlungsvorschlag zu unterbreiten

    oder den gesamten Betrag zu überweisen. Ohne Gegenbericht würde gegen ihn Betreibung eingeleitet.

    E.

    Am 27. Juli 2016 erliess die ESTV - nachdem A. die Mithaftung bestritt und einen anfechtbaren Entscheid verlangte - zwei Verfügungen

    gegen A.

    und forderte von ihm Mehrwertsteuern in Höhe von

    CHF 142'681.55 (sowie Verzugszins und Betreibungskosten) betreffend die Zeit vom 4. Quartal 2007 bis zum 4. Quartal 2009 und von

    CHF 21'271.-- (zuzüglich Verzugszins) betreffend das 1.-3. Quartal 2010.

    F.

    Mit Einsprache vom 13. September 2016 liess A. die Aufhebung der beiden Verfügungen vom 27. Juli 2016 beantragen.

    G.

    In ihren Einspracheentscheiden vom 19. und vom 30. Juli 2018 erkannte die ESTV, A. schulde der ESTV als solidarisch haftender Liquidator für die Zeit vom 20. September 2007 bis zum 31. Dezember 2009 Mehrwertsteuern in Höhe von CHF 142'681.55, Verzugszins von CHF 11'613.-- und Betreibungs- und Verfahrenskosten von CHF 900.-- (insgesamt CHF 155'194.55) und für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 24. September 2010 Mehrwertsteuern von CHF 21'271.-- zuzüglich Verzugszins von

    4.5 % für die Zeit vom 1. Juni 2010 bis 24. September 2010.

    Die ESTV erläutert namentlich, der Ansicht von A. , es liege kein Liquidationsergebnis vor, weil der Konkurs mangels Aktiven eingestellt worden sei und die B. AG bereits seit Ende 2006 jeweils ein negatives Eigenkapital ausgewiesen habe, könne nicht gefolgt werden. Bei einer vorausgegangenen faktischen Liquidation - so die ESTV - sei es nicht ungewöhnlich, dass im ordentlichen Konkursverfahren kein Liquidationsüberschuss mehr erzielt werden könne. Im Steuerrecht liege eine Liquidation nicht nur dann vor, wenn eine Gesellschaft formell aufgelöst werde, sondern auch, wenn sie durch Aufgabe ihrer Aktiven faktisch liquidiert werde. Werde anlässlich einer Liquidation keine Liquidationsbilanz erstellt bzw. eingereicht, müsse die ESTV das Liquidationsergebnis ermessensweise bestimmen. Vorliegend sei bereits im Jahr 2007, kurz nachdem A. als Sachwalter eingesetzt worden sei, mit der faktischen Liquidation der B. AG begonnen worden. Diese Annahme wird in der Folge näher begründet. Weiter könne die Einschränkung «bis zu Betrag des Liquidationsergebnisses» nach Art. 15 Abs. 2 Bst. e MWSTG und

    Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG nicht im Sinne des Verrechnungssteuerrechts, bei welchem auf das Ergebnis aus der letzten Bilanz vor Beginn der Liquidation nach Tilgung der Schulden und Liquidationskosten abgestellt werde, verstanden werden. Zur Bestimmung des Umfangs der Mithaftung seien somit vielmehr sämtliche Erlöse, die während der Liquidation erzielt worden seien, d.h. die Einnahmen aus den während der Liquidation erbrachten Leistungen, relevant.

    H.

    Mit Eingabe vom 12. September 2018 lässt A. (nachfolgend: Beschwerdeführer) dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erheben mit dem Antrag, die angefochtenen Einspracheentscheide seien unter Kostenund Entschädigungsfolgen zulasten der ESTV aufzuheben. In der Begründung wird hervorgehoben, dass der Liquidator nur bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses hafte; die Haftung setze einen Aktivenüberschuss voraus. Die Liquidation sei vorliegend (erst) mit der Genehmigung des Nachlassvertrages mit Vermögensabtretung Ende Februar 2009 eingeleitet worden. Die B. AG habe aber schon lange vorher ein negatives Eigenkapital aufgewiesen. Es sei auf die Jahresrechnungen abzustellen, welche ordnungsgemäss von der Revisionsgesellschaft geprüft und für richtig befunden worden seien. Selbst wenn die Aktiven zu den im Sachwalterinventar angenommenen Werten eingesetzt würden, wäre die B. AG immer noch überschuldet gewesen. Die ESTV mache es sich zu einfach mit ihrer «Milchmädchenrechnung», in welcher die Passiven schlicht nicht existierten. Massgebend sei das Gesamtvermögen, welches selbstverständlich auch die Schulden umfasse. Weiter wird ausführlich erläutert, dass der Beschwerdeführer nie über ein Liquidationsergebnis verfügt sowie keine Verteilung von Verwertungserlösen an die Aktionäre vorgenommen habe, was aber Voraussetzung einer faktischen Liquidation sei.

    I.

    Mit Vernehmlassung vom 29. Oktober 2018 beantragt die ESTV (nachfolgend auch: Vorinstanz) die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde. Sie hält an ihren in den Einspracheentscheiden gemachten Darlegungen fest und ergänzt diese.

    J.

    In seiner Replik vom 5. Dezember 2018 nimmt der Beschwerdeführer Stellung zur Vernehmlassung.

    K.

    Auf die weiteren Vorbringen der Verfahrensbeteiligen wird - soweit entscheidrelevant - nachfolgend eingegangen.

    Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

    1.

      1. Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG). Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Die angefochtenen Einspracheentscheide stellen solche anfechtbare Verfügungen dar. Eine Ausnahme nach Art. 32 VGG liegt nicht vor. Zudem ist die Vorinstanz eine Behörde im Sinne von Art. 33 VGG. Das Bundesverwaltungsgericht ist demnach für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerden zuständig. Der Beschwerdeführer ist als Adressat der angefochtenen Einspracheentscheide zu deren Anfechtung legitimiert (vgl. Art. 48 Abs. 1 VwVG). Die Beschwerde wurde im Übrigen fristund formgerecht eingereicht (Art. 50 Abs. 1 VwVG, Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist daher einzutreten.

      2. Grundsätzlich bildet jeder vorinstanzliche Entscheid bzw. jede Verfügung ein selbständiges Anfechtungsobjekt und ist deshalb einzeln anzufechten. Es ist gerechtfertigt, von diesem Grundsatz abzuweichen und die Anfechtung in einem gemeinsamen Verfahren mit einem einzigen Urteil zuzulassen, wenn die einzelnen Sachverhalte in einem engen inhaltlichen Zusammenhang stehen und sich in allen Fällen gleiche oder ähnliche Rechtsfragen stellen (vgl. anstelle vieler: BGE 131 V 222 E. 1; 128 V 124

        E. 1; Urteil des BVGer A-6390/2016 und A-6393/2016 vom 14. September 2017 E. 1.1.1 m.w.Hw.; MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, Rz. 3.17). Im vorliegenden Fall liegt eine solche Konstellation vor und die unter den Nummern A-5205/2018 und A-5206/2018 eröffneten Verfahren können vereinigt werden.

      3. Das Bundesverwaltungsgericht kann den angefochtenen Entscheid in vollem Umfang überprüfen. Der Beschwerdeführer kann neben der Verletzung von Bundesrecht (Art. 49 Bst. a VwVG) und der unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts (Art. 49 Bst. b VwVG) auch die Unangemessenheit rügen (Art. 49 Bst. c VwVG).

      4. Im Beschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen. Das Bundesverwaltungsgericht ist verpflichtet, auf den unter Mitwirkung der Verfahrensbeteiligten festgestellten Sachverhalt die richtigen Rechtsnormen und damit jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist (MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 1.54 unter Verweis auf BGE 119 V 347 E. 1a). Weiter gilt im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (BGE 130 II 482 E. 3.2).

      5. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut, wobei bei Erlassen des Bundesrechts die Fassungen in den drei Amtssprachen gleichwertig sind. Der Wortlaut (bzw. die grammatikalische Auslegung) ist jedoch nicht allein massgebend. Von ihm kann abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Vorschrift wiedergibt. Solche Gründe können sich aus dem Sinn und Zweck der Norm (teleologische Auslegung), der Entstehungsgeschichte bzw. dem Willen des Gesetzgebers (historische Auslegung) und/oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen (systematische Auslegung) ergeben (statt vieler: BGE 140 II 80 E. 2.5.3 m.w.Hw.). Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen (statt vieler: BGE 131 II 13 E. 7.1 m.w.Hw.). Es sollen all jene Methoden kombiniert werden, die für den konkreten Fall im Hinblick auf ein vernünftiges und praktikables Ergebnis am meisten Überzeugungskraft haben. Sind mehrere Lösungen denkbar, ist jene zu wählen, die der Verfassung entspricht (statt vieler: BGE 134 II 249 E. 2.3; BVGE 2007/41 E. 4.2; vgl. zum Ganzen: Urteil des BVGer A-5099/2015 vom 20. Januar 2016 E. 1.5 m.w.Hw.).

      6. Das MWSTG ist am 1. Januar 2010 in Kraft getreten. Es löste das vom

    1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2009 in Kraft gewesene aMWSTG ab. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die darauf gestützt erlassenen Vorschriften bleiben grundsätzlich weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar (Art. 112 Abs. 1 MWSTG). Vorliegend richtet sich die materielle Beurteilung in Bezug auf die Steuerperioden 2007 bis 2009 nach dem aMWSTG und für die Steuerperiode 2010 nach dem MWSTG (in der damaligen Fassung).

    2.

      1. Der Bund erhebt eine allgemeine Verbrauchssteuer nach dem System der Netto-Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug (sog. Mehrwertsteuer; vgl. Art. 130 BV sowie Art. 1 Abs. 1 aMWSTG bzw. Art. 1 Abs. 1 MWSTG). Die Steuer wird unter anderem auf den im Inland von steuerpflichtigen Personen gegen Entgelt erbrachten Lieferungen und Dienstleistungen erhoben (sog. Inlandsteuer vgl. Art. 5-7 aMWSTG bzw. Art. 1 Abs. 2 Bst. a und Art. 3 Bst. c-e MWSTG).

      2. Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG sehen eine sog. Liquidatorenhaftung vor, wonach

        • bei Beendigung der Steuerpflicht einer aufgelösten juristischen Person, Handelsgesellschaft oder Personengesamtheit ohne Rechtspersönlichkeit

        • die mit der Liquidation betrauten Personen

        • bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses mit der steuerpflichtigen Person solidarisch haften.

          Diese Personen haften nur für Steuer-, Zinsund Kostenforderungen, die während ihrer Geschäftsführung entstehen oder fällig werden; ihre Haftung entfällt, soweit sie nachweisen, dass sie alles ihnen Zumutbare zur Feststellung und Erfüllung der Steuerforderung getan haben (Art. 15 Abs. 2 MWSTG und Art. 32 Abs. 3 aMWSTG).

      3. Eine weitgehend identische Regelung kennt Art. 15 Abs. 1 Bst. a des Verrechnungssteuergesetzes vom 13. Oktober 1965 (VStG, SR 642.21; soweit Abweichungen bestehen, sind diese vorliegend nicht relevant). In der Lehre zur Mehrwertsteuer wird für die Liquidatorenhaftung weitgehend auf die Lehre und Rechtsprechung zum VStG verwiesen, zumal die mehrwertsteuerliche Liquidatorenhaftung derjenigen im VStG nachgebildet wurde (THOMAS A. MÜLLER, Die solidarische Mithaftung im Bundessteuerrecht, 1999, S. 150; SUSANNE GANTENBEIN, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, MWSTG, 2015, N. 24 zu Art. 15; THOMAS P. WENK, in: Kompetenzzentrum MWST der Treuhand-Kammer [Hrsg.], mwst.com, 2000, N. 16 zu Art. 32 aMWSTG; MOLLARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, Traité TVA, 2009, S. 545; ROBERT

    DANON, La responsabilité fiscale solidaire des organes en cas de liquidation d’une société de capitaux, in: Quelques actions en responsabilité,

    2008, S. 222; XAVIER OBERSON, La responsabilité fiscale des organes dirigeants des sociétés anonymes, in SJ 2006 II 293, S. 306; NORDIN/PORTMANN, Verantwortlichkeit im Unternehmenssteuerrecht, in: Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, 2014, S. 220). Auch Art. 55 Abs. 1 DBG (SR 642.11) sieht eine weitgehend identische Liquidatorenhaftung vor. Die diesbezügliche Rechtsprechung und Lehre stützt sich ebenfalls auf die Rechtsprechung zu Art. 15 Abs. 1 Bst. a VStG (Urteil des BGer 2C_607/2017 vom

    10. Dezember 2018 E. 5.2; MÜLLER, a.a.O., S. 154).

    2.4

        1. Die Liquidatorenhaftung nach Art. 15 Abs. 1 Bst. a VStG kommt auch bei einer faktischen Liquidation einer Gesellschaft zur Anwendung (statt vieler: Urteile des BGer 2C_499/2011 vom 9. Juli 2012 E. 7.2 und 2C_812/2010 vom 23. März 2011 E. 6.1; Urteile des BVGer A-5786/2012 vom 7. August 2013 E. 2.4.1 und A-1898/2009 vom 26. August 2010 E. 4.1 m.Hw.; diese Rechtsprechung wurde auch für Art. 55 Abs. 1 DBG übernommen: Urteil des BGer 2C_607/2017 vom 10. Dezember 2018 E. 5.2).

        2. Eine solche die Liquidatorenhaftung begründende faktische Liquidation liegt nach der Rechtsprechung vor, wenn die Gesellschaftsaktiven veräussert oder verwertet werden und der Erlös nicht reinvestiert, sondern an die Anteilsinhaber verteilt wird (BGE 115 Ib 274 E. 10a; Urteile des BGer 2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.2 und 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.1). Dabei ist nicht erforderlich, dass der Gesellschaft sämtliche Aktiven entzogen werden; es genügt, wenn die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Substanz entleert wird (BGE 115 Ib 274 E. 10a; Urteile des BGer 2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.2 und 2C_502/2008 vom

          18. Dezember 2008 E. 3.1). Verlangt wird für die Annahme einer faktischen Liquidation, dass die Gesellschaft ausgehöhlt bzw. ihr die wirtschaftliche Substanz entzogen wird, so dass die ordentliche Geschäftstätigkeit nicht mehr möglich ist (Urteil des BGer 2C_868/2010 vom 19. April 2011 E. 4.1 m.Hw.; ausführlich zum Ganzen auch: THOMAS MEISTER, in: Zweifel/Beusch/Bauer-Balmelli [Hrsg.], Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht, VStG, 2. Aufl. 2012, N. 11 f. zu Art. 15 VStG und MÜLLER, a.a.O., S. 142).

          In der Lehre wird teilweise für eine zurückhaltende Annahme der faktischen Liquidation plädiert. So hält etwa MÜLLER (a.a.O., S. 143) dafür, dass nicht jede sich nachträglich als objektiv unvernünftig herausstellende Disposition (welche etwa getätigt wurde, um einen Weg aus der Krise zu finden) als faktische Liquidation bzw. als Beginn derselben angesehen werden dürfe.

          Von anderen Autoren wird hervorgehoben, dass die Tatsache allein, dass die Geschäftstätigkeit aus wirtschaftlichen Gründen reduziert werden muss (und somit Aufwände wie auch Erträge zurückgehen) nicht zum Schluss führe, es sei eine faktische Liquidation im Gang, dies solange die Gesellschaft versuche, ihre Tätigkeit weiterzuführen (ROUILLER/BAUEN/BERNET/LASSERRE ROUILLER, La société anonyme suisse, 2. Aufl. 2017,

          S. 492; zum Ganzen auch: DANON, a.a.O., S. 207 f.).

        3. Als Beginn der faktischen Liquidation gilt der Zeitpunkt, in dem die Gesellschaftsaktiven versilbert werden und die Aktionäre bzw. die ihnen nahestehenden Personen den Verwertungserlös erhalten (vgl. Urteile des BGer 2C_607/2017 vom 10. Dezember 2018 E. 5.3 und 5.3.2,

          2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.3 und 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.1). Massgebend ist, dass in Würdigung der gesamten Umstände eine Vermögensdisposition nicht mehr als geschäftliche Transaktion, sondern als Aushöhlung der Gesellschaft bezeichnet werden muss (zum Ganzen: zum DBG: Urteil des BGer 2C_472/2015 vom 14. September 2016

          E. 3.3.3 und 3.3.4; zum VStG: Urteile des BVGer A-5786/2012 vom 7. August 2013 E. 2.5.2, A-567/2011 vom 29. Dezember 2011 E. 2.4.2 und

          A-2784/2010 vom 9. September 2010 E. 4.2.2).

        4. In der Lehre wird (unter Hinweis auf die vorgenannte Rechtsprechung) vertreten, dass auch im Bereich der Mehrwertsteuer eine «faktische Liquidation» als Auslöser der Liquidatorenhaftung genüge (ausführlich: MÜLLER, a.a.O., S. 151; GANTENBEIN, a.a.O., N. 24 zu Art. 15; WENK,

    a.a.O., N. 18 zu Art. 32 aMWSTG). Die Frage wurde bisher - soweit ersichtlich - noch nicht gerichtlich entschieden.

    Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG sprechen von «einer aufgelösten juristischen Person», zudem ist von «Liquidation» die Rede. Der Wortlaut stimmt insofern mit Art. 15 Abs. 1 Bst. a VStG überein. Dies spricht für eine einheitliche Auslegung des haftungsauslösenden Tatbestands. Dasselbe gilt aufgrund der Tatsache, dass die Liquidatorenhaftung im MWST-Recht grundsätzlich aus dem Verrechnungssteuerrecht übernommen wurde (vgl. E. 2.3).

    Weiter ist zu überprüfen, ob Sinn und Zweck der Bestimmungen ebenfalls eine einheitliche Auslegung nahelegen: Die solidarische Mithaftung und im Besonderen die Liquidatorenhaftung bezweckt einerseits die Absicherung der Steuerforderung durch die Ausweitung des Kreises der Haftenden. Andererseits soll auch eine Präventivwirkung erzeugt werden: So trifft die Mithaftung (wie namentlich die Liquidatorenhaftung) Personen, die auf die Erfüllung der Steuerpflicht Einfluss ausüben können. Durch die drohende Solidarhaftung sollen sie motiviert werden, für die Begleichung der Steuerforderung zu sorgen (MÜLLER, a.a.O., S. 55 ff. und zur Liquidatorenhaftung

    S. 56, 58 f., 140; Urteil des BGer 2C_472/2015 vom 14. September 2016

    E. 3.3.2; NORDIN/PORTMANN, a.a.O., S. 211). Dies entspricht dem Zweck der solidarischen Mithaftung bei der MWST; auch hier stellt neben der Absicherungsfunktion die Präventivfunktion Hintergrund der Haftung dar (GANTENBEIN, a.a.O., N. 1 zu Art. 15 m.Hw.; MOLLARD/OBERSON/TISSOT

    BENEDETTO, a.a.O., S. 545 Rz. 437; Bericht der Kommission für Wirtschaft und Abgaben vom 28. August 1996 zu einem Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer [Bericht WAK-N], BBl 1996 V 766). Sinn und Zweck der Liquidatorenhaftung der verschiedenen Steuerarten stimmen somit zweifellos überein (ebenso: MÜLLER, a.a.O, S. 151; DANON, a.a.O., S. 222). Auch dies spricht für eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Instituts der Liquidatorenhaftung. Wird eine Gesellschaft durch eine faktische Liquidation ausgehöhlt, so wird sich bei einer späteren formellen Liquidation kaum noch ein Liquidationsergebnis realisieren lassen (s.a. MÜLLER, a.a.O.,

    S. 151). Die faktische Liquidation kann dabei die Bezahlung der Mehrwertsteuer genauso gefährden wie die Bezahlung anderer Steuern. Es rechtfertigt sich somit, - im Einklang mit der herrschenden Lehre - die faktische Liquidation auch bei der Mehrwertsteuer als haftungsauslösenden Tatbestand anzusehen.

      1. Der Haftungsumfang ist gemäss Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG auf den Betrag des Liquidationsergebnisses begrenzt. Eine identische Haftungsbegrenzung ist in Art. 15 Abs. 1 Bst. a VStG und Art. 55 Abs. 1 DBG enthalten. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Haftungsbegrenzung; dass überhaupt ein Liquidationsergebnis vorliegt, ist gleichzeitig eine Bedingung der Liquidatorenhaftung. Verbleibt nach Abzug der Schulden und Liquidationskosten kein positives Liquidationsergebnis, entfällt die solidarische Haftung (MÜLLER, a.a.O., S. 147).

        1. Massgebend für die Bestimmung dieses Liquidationsergebnisses ist nach ständiger Rechtsprechung im Bereich der Verrechnungsteuer das Gesamtvermögen der Gesellschaft bei Beginn der Liquidation. Liquidationsüberschuss ist der Betrag, welcher der Gesellschaft nach Tilgung der Schulden und der Liquidationskosten verbleibt (Urteile des BGer 2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.5.1 und vom 17. Februar 1978, ASA

          47 541 ff. E. 9; Urteil des BVGer A-5786/2012 vom 7. August 2013 E. 2.6.1;

          s.a. zu Art. 55 Abs. 1 DBG: Urteile des BGer 2C_607/2017 vom 10. Dezember 2018 E. 5.3 und 2C_472/2015 vom 14. September 2016 E. 3.3).

        2. In der Lehre zur Mehrwertsteuer wird unter Hinweis auf die Rechtslage bei der Verrechnungssteuer davon ausgegangen, dass das Liquidationsergebnis für die mehrwertsteuerliche Liquidatorenhaftung ebenfalls nach diesen Grundsätzen zu bestimmen ist (GANTENBEIN, a.a.O., N. 25 zu Art. 15; WENK, a.a.O., N. 20 zu Art. 32 aMWSTG; bereits zur Verordnung vom 22. Juni 1994 über die Mehrwertsteuer [MWSTV, AS 1994 1464]:

          KUHN/SPINNLER, Mehrwertsteuer, 1994, S. 87).

        3. Massgebend ist gemäss der Rechtsprechung - wie erwähnt - das Gesamtvermögen bei Beginn der Liquidation. Liegt keine korrekt erstellte Liquidationsbilanz vor, wie dies etwa bei einer faktischen Liquidation in der Regel der Fall ist, wird zur Berechnung des mutmasslichen Liquidationsergebnisses auf die letzte vor Beginn der Liquidationshandlungen eingereichte Bilanz abgestellt (Urteile des BGer 2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.5.1 f., 2C_502/2008 vom 18. Dezember 2008 E. 4.2; zu Art. 55

          Abs. 1 DBG: Urteile des BGer 2C_607/2017 vom 10. Dezember 2018 E. 5.3.2 und 2C_472/2015 vom 14. September 2016 E. 3.3.4). Es handelt sich dabei nämlich um die letzte Bilanz, die noch nicht durch Liquidationshandlungen verfärbt worden ist (zum Ganzen: Urteil des BGer 2C_695/2009 vom 3. Februar 2010 E. 2.2 m.Hw.; Urteile des BVGer A-5786/2012 vom 7. August 2013 E. 2.5.2, A-567/2011 vom 29. Dezember

          2011 E. 2.4.2 und A-1898/2009 vom 26. August 2010 E. 5.2 m.Hw.).

          Zur Berechnung des Liquidationsergebnisses sind die Aktiven zum Verkehrswert einzusetzen (zum VStG: Urteil des BGer vom 17. Februar 1987, ASA 47 541, 550; Urteile des BVGer A-5786/2015 vom 7. August 2013

          E. 2.6.1 m.Hw. und A-2725/2008 vom 17. September 2009 E. 5.1). Unklare Positionen sind ermessensweise zu bestimmen (zum VStG: Urteile des BGer 2C_806/2013 vom 24. März 2014 E. 3.5.1 und 2C_695/2009 vom

          3. Februar 2010 E. 2.2; zum DBG: Urteile des BGer 2C_607/2017 vom 10. Dezember 2018 E. 5.3.2 und 2C_472/2015 vom 14. September 2016

          E. 3.3.4).

        4. Hinsichtlich der Berechnung des Betrages des Liquidationsergebnisses ist die ESTV der Ansicht, die Einschränkung «bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses» nach Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG sei nicht im Sinne des Verrechnungssteuerrechts

    (Aktiven abzüglich Schulden und Liquidationskosten, vgl. E. 2.5.1) zu verstehen. Bereits unter der Warenumsatzsteuer hätten die Liquidatoren dafür gehaftet, dass aus dem Liquidationserlös die verfallenen und während der Liquidation fällig werdenden Steuerbeträge vorweg bezahlt würden. Auch die Haftung nach dem hier anwendbaren Recht beziehe sich folglich auf die «während der (faktischen/förmlichen) Liquidation entstandenen, nicht mit den laufenden Einnahmen/Erlösen beglichenen Mehrwertsteuerschulden (Masseverbindlichkeiten)». Zur Bestimmung des Umfangs der Mithaftung seien somit sämtliche Erlöse, die während der Liquidation erzielt worden sind, relevant. Dazu gehörten vorliegend die Einnahmen aus den während der Liquidation erbrachten Leistungen, namentlich der (nicht deklarierte) Betriebsverkauf, sowie (zusätzliche) Veräusserungen von Gegenständen gemäss Sachwalterinventar (Einspracheentscheide [EE] Ziff. 2.4.4, bekräftigt in der Vernehmlassung S. 3).

    Dieser Auffassung der ESTV kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist der einhelligen Lehre, wonach die Rechtsprechung aus dem Bereich der Verrechnungssteuer zur Bestimmung des Liquidationsergebnisses auch für die Mehrwertsteuer übernommen werden kann (soeben E. 2.5.2), aus folgenden Gründen zuzustimmen:

    Wie bereits in Erwägung 2.4.4 gezeigt, legen sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck der Bestimmungen eine einheitliche Auslegung nahe.

    Die ESTV macht zwar in der Vernehmlassung zu Recht darauf aufmerksam, dass das Steuerobjekt bei der Verrechnungssteuer und der Mehrwertsteuer nicht das gleiche sei, namentlich bei der Verrechnungssteuer der Liquidationserlös steuerbar sei, während dies bei der Mehrwertsteuer nicht der Fall sei. Dies ändert jedoch nichts am Gesagten. Als Voraussetzungen der Liquidatorenhaftung gelten - wie gezeigt - das Vorliegen einer (formellrechtlichen/faktischen) Liquidation sowie ein Liquidationsergebnis, welche jedoch nichts mit dem Steuerobjekt zu tun haben. Mit der Liquidatorenhaftung sollen nicht nur ganz bestimmte Steuertatbestände (wie z.B. bei der Verrechnungssteuer der Liquidationserlös) abgesichert werden. Träfe die Auffassung der ESTV zu, wäre im Übrigen nicht nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber für die Mehrwertsteuer den Terminus «bis zum Betrag des Liquidationsergebnisses» gewählt hat, und nicht vielmehr «bis zum Betrag der Entgelte [oder Einnahmen] aus Leistungen».

    Der Verweis der ESTV auf den früheren Art. 12 Abs. 2 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Juli 1941 über die Warenumsatzsteuer, welcher noch

    von «Liquidationserlös» sprach, ändert ebenfalls nichts am Gesagten. Erstens können die Begriffe Liquidationserlös und Liquidationsergebnis durchaus als gleichbedeutend verstanden werden, womit fraglich ist, ob unter der Warenumsatzsteuer eine abweichende Regelung bestand. Zweitens wurde der Wortlaut der Bestimmung mit der aMWSTV gerade geändert und die Regelung im Bereich des Verrechnungssteuerrechts übernommen (E. 2.3), und auch der Begriff Liquidationsergebnis wurde an denjenigen des VStG angepasst. Seither ist von «Liquidationsergebnis» die Rede und vorliegend ist einzig dieser Begriff auszulegen.

    Insgesamt kann sich die Auslegung bei der Mehrwertsteuer also an die Auslegung im Verrechnungssteuerrecht anlehnen. Hierbei können die in Erwägung 2.5.1-2.5.3 dargelegten Grundsätze zur Höhe und Eruierung des Liquidationsergebnisses auch für die Mehrwertsteuer herangezogen werden.

    3.

      1. Die vorliegend strittigen Forderungen betreffen Mehrwertsteuern für die Zeit vom 20. September 2007 bis zum 31. Dezember 2009 und vom 1. Januar 2010 bis zum 24. September 2010. D.h. es geht um Forderungen ab dem Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung am 20. September 2007 und der gleichzeitigen Einsetzung des Beschwerdeführers als Sachwalter (erst später, mit dem am 23. Februar 2009 genehmigten Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung wurde dieser als Liquidator eingesetzt; vgl. Sachverhalt Bst. B). Die Forderungen der ESTV erstrecken sich bis zum Moment der Konkurseröffnung am 24. September 2010 (Sachverhalt Bst. C).

        Die Höhe der Mehrwertsteuerforderung der ESTV als solches ist nicht strittig. Streitpunkt ist im Wesentlichen die Frage, ob der Beschwerdeführer für diese Schulden solidarisch haftbar ist.

      2. Die Haftung nach Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG bedingt u.a. «die Beendigung der Steuerpflicht einer aufgelösten juristischen Person». Dies ist hier der Fall: Die B. AG wurde am 12. Juli 2011 im Handelsregister gelöscht, nachdem das Konkursverfahren am 5. April 2011 mangels Aktiven eingestellt worden war (vgl. Handelsregisterauszug). Die ESTV löschte sie per Datum der Konkurseröffnung (am 24. September 2010) ebenfalls im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen.

        Sodann ist die Haftung gemäss Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG begrenzt bis zum «Betrag des Liquidationsergebnisses», wobei das Vorliegen eines Liquidationsergebnisses gleichzeitig eine Voraussetzung der Haftung darstellt (E. 2.5). Ob diese vorliegend erfüllt ist, wird im Folgenden geprüft.

      3. Massgebender Ausgangspunkt für die Bestimmung des Liquidationsergebnisses ist das Gesamtvermögen der Gesellschaft «bei Beginn der Liquidation» (E. 2.5.1). Somit ist zwecks Eruierung der Höhe des Liquidationsergebnisses zunächst der Beginn der Liquidation zu bestimmen. Diesbezüglich sind sich die Parteien nicht einig.

      4. Zum Verständnis des Sachverhalts sind zunächst die konkreten Umstände des vorliegenden Falls zu umreissen.

        Die B. AG geriet offenbar aufgrund eines Grossauftrags des Kantons ( ), auf dessen Ausführung sie sich konzentriert habe, für welchen seitens des Kantons ( ) aber die Zahlungen eingestellt wurden, in Liquidationsschwierigkeiten. Die Auseinandersetzung sei Gegenstand eines Prozesses geworden (Bericht des ehemaligen Verwaltungsrats der B. AG vom 22. Juli 2008, Akten Vorinstanz [act.] 4).

        Am 20. September 2007 wurde der B. AG nach übereinstimmenden Angaben der Parteien (u.a. Einspracheentscheide S. 2) die Nachlassstundung gewährt und als Sachwalter wurde der Beschwerdeführer eingesetzt. Gemäss Letzterem sei zunächst ein Stundungsvergleich (gemäss Art. 314 ff. SchKG [SR 281.1]) beabsichtigt gewesen, dies bis zum Abschluss des Prozesses gegen den Kanton ( ). Der Betrieb sei deswegen auch unverändert weitergeführt worden. Im Verlaufe des Frühjahrs 2008 habe man dann aber festgestellt, dass die erforderlichen Barmittel nicht beschafft werden können. Aufgrund dessen habe der Beschwerdeführer als Sachwalter mit Schreiben vom 22. Juli 2008 (act. 4) den Gläubigern schliesslich einen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (vgl. act. 4) im Sinn von Art. 317 ff. SchKG vorgeschlagen (zum Ganzen: Schreiben vom

        1. März 2010 an die ESTV, act. 10; Schreiben vom 15. März 2010 an die

        Gläubiger, act. 10; Schreiben vom 27. Februar 2012 an die ESTV, act. 14; Beschwerde S. 5 ff.). Dieser Vertrag wurde am 23. Februar 2009 gerichtlich genehmigt und der Beschwerdeführer wurde als Liquidator eingesetzt (vgl. Handelsregisterauszug).

        Daraufhin wurde gemäss Ausführungen des Beschwerdeführers die Liquidation in Angriff genommen. Der Beschwerdeführer habe sich bemüht, den während der Nachlassstundung weitergeführten Betrieb telquel abzutreten. Im Oktober 2009 hätten zwei Offerten und im November 2009 sogar ein Vertragsentwurf vorgelegen. Nachdem völlig überraschend die Kündigung von sieben Mitarbeitern eingetroffen sei, habe der Interessent sein Angebot zurückgezogen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien keine Aktiven verwertet worden, da der Betrieb für den Interessenten möglichst attraktiv erhalten bleiben musste. Den restlichen drei Mitarbeitern sei schliesslich ebenfalls gekündigt worden und der Betrieb sei nach Ablauf der Kündigungsfrist (die letzte sei Ende März 2010 abgelaufen) eingestellt worden. Das gesamte Inventar sei mit Vertrag vom 17. März 2010 (Beilage 10 zu act. 14) zum Preis von CHF 130'000.-- (an den vorgenannten Interessenten) verkauft worden (vgl. Beschwerde S. 5 ff.; Schreiben vom 1. März 2010 an die ESTV, act. 10; Schreiben vom 15. März 2010 an die Gläubiger, act. 10; Schreiben vom 27. Februar 2012 an die ESTV, act. 14). Was dabei Gegenstand der Veräusserung vom 17. März 2010 gewesen ist, ist unter den Parteien umstritten.

        Wie der Beschwerdeführer weiter ausführt, hätten die nach dem Verkauf des Inventars noch vorhandenen Aktiven aus Forderungen bestanden, die mangels Liquidität nicht erstritten und somit nicht hätten verwertet werden können. Der Beschwerdeführer sei schliesslich gezwungen gewesen, das Konkursbegehren zu stellen (vgl. Schreiben vom 27. Februar 2012 an die ESTV, act. 14; Beschwerde S. 7).

        Wie erwähnt, wurde am 24. September 2010 über die B. AG der Konkurs eröffnet. Mit Schreiben vom 16. März 2011 (act. 12) teilte das zuständige Konkursamt den Gläubigern mit, dass sich bei der Erstellung des Inventars gezeigt habe, dass die Konkursmasse lediglich über liquide Mittel von CHF 10'920.30 verfüge und im Übrigen diverse bestrittene Guthaben und Ansprüche bestünden, welche (wenn überhaupt) auf gerichtlichem Weg geltend gemacht werden müssten. Hierfür würden die liquiden Mittel aber nicht ausreichen. Den Gläubigern werde Gelegenheit eingeräumt, einen Kostenvorschuss zu leisten, damit der Konkurs durchbzw. weitergeführt werden könne. Andernfalls werde beim zuständigen Gericht Antrag auf Einstellung des Konkurses mangels Aktiven gestellt. Das Konkursverfahren wurde am 5. April 2011 tatsächlich mangels Aktiven eingestellt und die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht (vgl. E. 3.2).

      5. Zunächst ist festzuhalten, dass vorliegend eine formelle Liquidation stattfand, indem ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung im Sinn von Art. 317 ff. SchKG genehmigt und abgewickelt wurde.

        Anders als der ordentliche Nachlassvertrag nach Art. 314 ff. SchKG (auch

        «Stundungsvergleich»), der eine Sanierung bezweckt, dient der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung (auch «Liquidationsvergleich»; Art. 317 ff. SchKG) der Liquidation des Vermögens des Schuldners (vgl. auch etwa Art. 318 Abs. 1 Ziff. 3, Art. 322 ff. SchKG). Es handelt sich um eine «abgeschwächte Form des Konkurses». Trotz des vertraglichen Elements liegt eine Zwangsvollstreckung und ein öffentlich-rechtliches Verfahren vor (zum Ganzen: BAUER/HARI/JEANNERET/WÜTHRICH, in: Basler Kommentar, SchKG, 2. Aufl. 2010, N. 3 zu Art. 317; BGE 114 III 120). Dass die

        B. AG nach Genehmigung des Nachlassvertrags liquidiert werden sollte, ergibt sich auch aus dem vorliegenden Nachlassvertrag vom 22. Juli 2008 (act. 4). Auch im Schreiben des Beschwerdeführers vom 8. April 2009 (act. 7) werden die nächsten Schritte zur Liquidation beschrieben. Vorliegend ist somit aufgrund des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung von einer eigentlichen, formellen Liquidation auszugehen.

        Wie bereits erwähnt, soll mit dem Abstellen auf den «Beginn der Liquidation» für die Eruierung des Liquidationsergebnisses sichergestellt werden, dass das ganze Vermögen erfasst wird, bevor die ersten Verwertungen stattfinden (vgl. E. 2.5.1 und 2.5.3). Als Beginn der Liquidation gilt vorliegend demnach die Genehmigung des Nachlassvertrags mit Vermögensabtretung am 23. Februar 2009, da nach dem gesetzlich vorgesehenen Ablauf erst nach dieser Genehmigung zur Liquidation (mit Verwertung der Aktiven) zu schreiten ist.

      6. Als Zwischenfazit ist somit festzuhalten, dass vorliegend eine formelle Liquidation vorlag, deren Beginn auf den 23. Februar 2009 festzusetzen ist.

      7. Die ESTV beruft sich jedoch auf die Rechtsfigur der «faktischen Liquidation» und geht davon aus, diese faktische Liquidation habe bereits im Jahr 2007, nämlich kurz nach der Einsetzung des Beschwerdeführers als Sachwalter, begonnen (vgl. Ziff. 2.4.3 des EE betreffend die Jahre 2007-2009). Sie geht damit offenbar, da der Sachwalter am 20. September 2007 eingesetzt worden ist, davon aus, der Beginn der faktischen Liquidation sei im Herbst 2007 anzusiedeln.

        1. Bevor auf die einzelnen Argumente der ESTV zur Begründung einer faktischen Liquidation eingegangen wird, ist Folgendes in Erinnerung zu rufen: Für die Annahme einer die Liquidatorenhaftung begründenden faktischen Liquidation ist nach der Rechtsprechung und Lehre - wie aufgezeigt

          • erforderlich, dass Veräusserungen von Aktiven stattfinden und die Erlöse an die Aktionäre oder nahestehenden Personen verteilt werden. Weiter wird verlangt, dass die Gesellschaft «ausgehöhlt» und ihr die eigentliche wirtschaftliche Substanz entzogen wird, so dass die ordentliche Geschäftstätigkeit nicht mehr möglich ist (E. 2.4.2). Dies wiederum bedingt, dass für den Betrieb der Gesellschaft wesentliche Aktiven veräussert werden.

        2. Die ESTV nennt verschiedene Vorkommnisse, die an sich eine Veräusserung von Aktiven beinhalten und aufgrund des soeben Gesagten theoretisch eine faktische Liquidation begründen könnten. Diese sind nachfolgend zu prüfen.

          1. Einerseits beruft sich die ESTV darauf, die B. AG habe mit Vereinbarung vom 9. November 2007 eine Forderung gegen den Kanton ( ) ihrer Schwestergesellschaft, der C. AG, unentgeltlich abgetreten (Ziff. 2.4.3 des EE betreffend die Jahre 2007-2009). Der Beschwerdeführer bestreitet diese Forderungsabtretung.

            Eine solche Forderungsabtretung ist aus den Bilanzen nicht ersichtlich: Die fragliche Forderung gegenüber dem Kanton ( ) wurde in der Bilanz der B. AG per Ende 2007 weiterhin aktiviert, soweit ersichtlich mit rund CHF 1,5 Mio. (vgl. act. 23: Anhang der Jahresrechnung per Ende 2007, Ziff. 13). Im Sachwalterinventar per 20. September 2007 (act. 4) ist sie mit CHF 1,3 Mio. aufgenommen. Im Jahr 2008 wurde sie in der handelsrechtlichen Jahresrechnung («vorsichtshalber») vollständig abgeschrieben, aber im Anhang Ziff. 13 nach wie vor erwähnt (act. 23). Im Konkursinventar vom 7. Februar 2011 (act. 12) wurde die Forderung noch pro memoria (p.m.) aufgeführt, da der Kostenvorschuss für das gerichtliche Verfahren zur Geltendmachung dieser Forderung nicht hatte bezahlt werden können.

            Die ESTV verweist zur Begründung der von ihr behaupteten Forderungsabtretung auf eine Verfügung vom 18. Februar 2008 des Handelsgerichts des Kantons ( ) (vgl. act. 3). Darin wurde tatsächlich festgehalten, dass die Forderung mit einer Vereinbarung vom 9. November 2007 der C. AG abgetreten worden sei. Gleichzeitig wurde jedoch angezweifelt, ob ein «realer Geschäftsvorgang» vorliege. Das Gericht nahm an, dass die Forderungsabtretung einzig oder zumindest im Hauptzweck dazu

            dienen sollte, die Kautionspflicht zu vermeiden und qualifizierte diese deswegen als unzulässige Gesetzesumgehung (Verfügung vom 18. Februar 2008, S. 4 f.). Dieses (mutmassliche) Vorgehen würde zwar ein zweifelhaftes Licht auf die B. AG werfen. Dies ist aber vorliegend nicht entscheidend. Massgeblich ist, dass angesichts der Ausführungen in dieser Verfügung und der weiterbestehenden Bilanzierung bei der B. AG, der Aufnahme ins Sachwalterinventar und in das Inventar des Konkursamtes von einer Forderungsabtretung nicht ausgegangen werden kann und somit auch nicht von einer Handlung (Veräusserung), die geeignet wäre, eine faktische Liquidation zu begründen.

          2. Zudem ergänzt die ESTV in der Vernehmlassung (S. 5), zu der Betriebsaushöhlung zugunsten Nahestehender passe auch, dass das gemäss Bilanz per Ende 2006 bestehende Aktivdarlehen von rund CHF 1,8 Mio. gegenüber der D. AG - einer weiteren Schwestergesellschaft der B. AG - nicht eingezogen worden sei.

            Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass die Tatsache, dass das erst per 31. Januar 2011 rückzahlbare Darlehen (vgl. act. 12, Konkursinventar vom 7. Februar 2011) in den hier fraglichen Jahren 2007 bis 2009 nicht eingezogen worden war, kein Indiz für einen Forderungsverzicht darstellt.

            Weiter ist festzustellen, dass das Darlehen im Sachwalterinventar per

            20. September 2007 (act. 4) und in der Bilanz per Ende 2007 (act. 23) noch in vollem Umfang von rund CHF 1,8 Mio. aufgeführt wird. Von einem Verzicht auf die Rückzahlung bereits im Jahr 2007 kann somit nicht ausgegangen werden.

            Ein Indiz auf einen Verzicht auf die Rückforderung könnte allenfalls in der per Ende 2008 vorgenommenen Rückstellung von CHF 851'808.42 (vgl. Jahresrechnung 2008 und ebenso 2009, beide in act. 23) gesehen werden. Im Inventar des Konkursamtes wurde das Darlehen hingegen wiederum in (vollem) Umfang von CHF 1,95 Mio. aufgenommen, allerdings darauf hingewiesen, dass der genaue noch offene Darlehensbetrag nicht eruiert werden konnte (act. 12, Konkursinventar vom 7. Februar 2011, S. 4 f.). Aufgrund der Aktenlage ist ein teilweiser Darlehensverzicht im Jahr 2008 denkbar, aber nicht erstellt.

            Die Frage braucht aber nicht abschliessend geklärt zu werden, denn ohnehin könnte der teilweise Verzicht auf eine Darlehensforderung gegenüber der Schwestergesellschaft allein nicht auf eine faktische Liquidation

            schliessen lassen. Wie dargelegt (E. 2.4.2 und 3.7.1) kann eine faktische Liquidation erst angenommen werden, wenn die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Substanz derart entleert wird, dass die ordentliche Geschäftstätigkeit nicht mehr möglich ist. Dies bedingt die Veräusserung der für den Betrieb der Gesellschaft wesentlichen Aktiven. Der fragliche teilweise Verzicht auf eine Forderung gegenüber der Schwestergesellschaft allein vermöchte diese Anforderungen nicht zu erfüllen.

          3. Sodann habe die B. AG - so die ESTV weiter - im Jahr 2007 mit der Veräusserung von Betriebsfahrzeugen begonnen und daraus einen ausserordentlichen Ertrag von CHF 8'349.85 erzielt. Angesichts der Höhe des Betrags kann, wie der Beschwerdeführer geltend macht, davon ausgegangen werden, dass die B. AG lediglich ein einziges Fahrzeug (von gemäss Sachwalterinventar per 20. September 2007 [act. 4] total 33 Fahrzeugen) veräussert habe. Dies kann nicht als Indiz für eine faktische Liquidation bezeichnet werden.

          4. Des Weiteren führt die ESTV unter Ziff. 2.4.5 der Einspracheentscheide Folgendes aus: Gemäss Inventar des Sachwalters per 20. September 2007 hätten «freie Aktiven» von rund CHF 3 Mio. bestanden (Fahrzeuge, Werkzeug, Mobiliar, Kontokorrentguthaben). Am 24. September 2010 sei der Konkurs eröffnet worden und am 16. März 2011 habe das Konkursamt der ESTV mitgeteilt, dass nur liquide Mittel von CHF 10'920.30 bestünden und der Konkurs mangels Aktiven eingestellt werde. Dies bedeute nichts anderes - so die Vorinstanz -, als dass die Gesellschaft in der Zwischenzeit (faktisch) liquidiert worden sei. Was mit den genannten

    «freien Aktiven» von rund CHF 3 Mio. geschehen sei, sei nicht bekannt. Dass diese insgesamt Gegenstand des Vertrags zur Veräusserung des Inventars vom 17. März 2010 gewesen seien, sei nicht belegt und namentlich im Hinblick auf die Bewertung allein der Fahrzeuge im Sachwalterinventar von CHF 385'380.-- nicht überzeugend. Unklar sei auch der Verbleib der Sachwerte des «Magazins E. ». Weiter seien gemäss den MWSTAbrechnungen in den Jahren 2007 bis 2009 noch beträchtliche Einnahmen aus Leistungen erzielt worden. Welche Sachverhalte diesen Umsätzen zugrunde gelegen hätten, sei der ESTV trotz Nachfrage nicht mitgeteilt worden. In Ziff. 2.4.3 der Einspracheentscheide erwähnt die Vorinstanz zudem, ein Vergleich der Jahresrechnungen mit dem Inventar des Sachwalters zeige, dass offensichtlich diverse (freie) Aktiven bestanden hätten, die nicht bilanziert und somit liquidiert worden seien.

    Dieses letztgenannte Argument wird von der ESTV nicht substantiiert; sie benennt die «diversen Aktiven» nicht, welche «offensichtlich» nicht bilanziert worden seien. Ein Vergleich zwischen Bilanz und Sachwalterinventar ist schwierig, da sie in Detaillierungsgrad und Gliederung voneinander abweichen. Die Annahme, dass das Sachwalterinventar Aktiven enthält, welche in den Bilanzen nicht aktiviert worden wären, ist jedenfalls nicht erstellt. Sofern die ESTV darauf Bezug nehmen sollte, dass die Werte teilweise

    (z.B. bei den Debitoren, Werkzeugen, Fahrzeugen) nicht übereinstimmen und im Sachwalterinventar höher sind als in der Bilanz, so wäre dazu Folgendes festzuhalten: Das Inventar muss durch eine Schätzung des Sachwalters erstellt werden (Art. 299 Abs. 1 SchKG) und ist nach Verkehrswerten (Wert, der bei einer Veräusserung der Gegenstände mutmasslich erzielt werden kann) zu erstellen (JOLANTA KREN KOSTKIEWICS, Schuldbetreibungs- & Konkursrecht, 3. Aufl. 2018, Rz. 1838 sowie JOLANTA KREN KOSTKIEWICS, SchKG Kommentar, 19. Aufl. 2016, Rz. 2 zu Art. 299). Die Bilanzen können demgegenüber handelsrechtlich zulässigerweise abgeschriebene Werte enthalten (namentlich im Jahr 2008 kam es denn auch offenkundig zu Abschreibungen [vgl. act. 23: a.o. Aufwand von rund CHF 4,8 Mio.]). Aus den Wertdifferenzen lässt sich deswegen nicht zwingend ableiten, dass gewisse Aktiven, welche im Sachwalterinventar aufgeführt waren, in der Bilanz nicht aktiviert (und bereits verkauft) worden wären.

    Was den Hinweis der ESTV auf Einnahmen aus Leistungen in den MWSTAbrechnungen 2007-2009 anbelangt, so weisen die Jahresrechnungen dieser Jahre im Ertrag keine Verkaufserlöse aus. Hingegen sind «Erlöse aus ausgeführten Arbeiten» vorhanden und es wurden somit offenbar noch Einnahmen aus der eigentlichen Geschäftstätigkeit erzielt, welche gemäss den Ausführungen des Beschwerdeführers bis Anfang 2010 (reduziert) weitergeführt wurde (E. 3.4). Die Vermutung der ESTV, dass es sich bei den Umsätzen um den Verkauf von Aktiven handelt, lässt sich somit aus den Akten nicht erhärten.

    In Bezug auf die von der ESTV genannten CHF 3 Mio. «freier Aktiven» gemäss Sachwalterinventar (beide in: act. 4) ist festzuhalten, dass darin neben Anlagevermögen von rund CHF 1,17 Mio. Kontokorrentguthaben von rund CHF 1,8 Mio. enthalten sind, namentlich die Forderung gegenüber der Schwestergesellschaft von rund CHF 1,7 Mio.; auf die Frage «was damit geschah», wurde bereits unter Erwägung 3.7.2.2 eingegangen. Somit ist noch auf den Verbleib des Anlagevermögens von rund CHF 1,17 Mio. einzugehen.

    Dass anlässlich der Eröffnung des Konkurses kein Anlagevermögen mehr vorhanden war, ist gemäss der Darstellung des Beschwerdeführers darauf zurückzuführen, dass das gesamte Inventar mit Vertrag vom 17. März 2010 (act. 14, Beilage 10) für CHF 130'000.-- verkauft worden sei. Die Zweifel der ESTV, ob dabei sämtliches Anlagevermögen übergegangen ist, sind zwar nachvollziehbar. So scheint der Preis von CHF 130'000.-- angesichts der Bewertung des Anlagevermögens im Sachwalterinventar von rund CHF 1,17 Mio. tatsächlich gering. Ebenfalls enthält der Vertrag vom

    17. März 2010 keine Inventarliste, womit unbekannt ist, was effektiv verkauft wurde. Auf der anderen Seite finden sich in den Akten keine Indizien für den von der ESTV vermuteten Verkauf von Anlagevermögen. Im Gegenteil ergibt sich aus einem Angebot vom 29. September 2009 (act. 14, Beilage 5) für die Übernahme des gesamten Betriebs, welches auch eine Auflistung der zu übernehmenden Posten enthält, dass 33 Fahrzeuge (was der Anzahl gemäss Sachwalterinventar entspricht) übernommen werden sollten, Werkzeuge im Wert von rund CHF 25'000.-- und Lagermaterial im Wert von CHF 90'000.--. Auch das von der ESTV erwähnte «Magazin E. » ist aufgeführt. Daraus ist zu schliessen, dass zumindest am

    29. September 2009 das im Sachwalterinventar ausgewiesene Anlagevermögen offenbar weitgehend noch existierte. Es kann somit bis zu diesem Datum nicht von (massgeblichen) Veräusserungen von Aktiven ausgegangen werden.

    Es wäre zwar allenfalls denkbar, dass (entgegen den Angaben des Beschwerdeführers) zwischen dem 29. September 2009 und dem Verkauf vom 17. März 2010 Anlagevermögen verkauft worden ist. Dies wäre jedoch vorliegend irrelevant, weil ohnehin per 23. Februar 2009 von einer formellen Liquidation auszugehen ist (E. 3.5). Relevant wären höchstens Veräusserungen vor diesem Datum, weil (nur) solche den Beginn der Liquidation zeitlich vorverschieben würden, und solche sind - wie ausgeführt - anhand der Akten nicht ersichtlich.

        1. Insgesamt ergibt sich, dass die Veräusserung von Aktiven in einem Umfang, der auf eine faktische Liquidation schliessen lassen würde, nicht stattgefunden hat. So ist im Jahr 2007 keinerlei massgebliche Veräusserung von Aktiven dokumentiert. Auch für die Folgejahre und bis zur formellen Liquidation steht lediglich eine einzige allfällige (unbewiesen gebliebene) Veräusserungshandlung im Raum, nämlich der teilweise Forderungsverzicht per Ende 2008, der allein nicht zur Annahme einer faktischen Liquidation führen könnte (E. 3.7.2.2). Abgesehen davon ist (vor dem Beginn der formellen Liquidation mit der Genehmigung des gerichtlichen

          Nachlassvertrages am 23. Februar 2009) keinerlei massgebliche Veräusserung von Aktiven belegt, und schon gar nicht in einem Umfang, der (was erforderlich wäre, vgl. E. 2.4.2 und 3.7.1) die Weiterführung der Geschäftstätigkeit verunmöglichen würde.

        2. Die weiteren von der Vorinstanz aufgeführten Elemente zur angeblichen faktischen Liquidation (wie z.B. eine Betriebsumstellung, eine beabsichtigte Veräusserung des Teils «F. », oder den Rückgang von Aufwänden und Erträgen) vermögen ebenfalls keine faktische Liquidation zu begründen, weil sie keinerlei Veräusserungshandlungen beinhalten (E. 2.4.2 und 3.7.1).

          Im Übrigen vermag die ESTV auch aus ihrem Vorbringen, die Mehrwertsteuer als Masseverbindlichkeit wäre vorab zu bezahlen gewesen und der Beschwerdeführer habe sich wiederholt nicht korrekt verhalten, nichts zu ihren Gunsten abzuleiten (z.B. Ziff. 2.4.5, 3. Absatz EE, Vernehmlassung

          S. 4 f., Verfügungen S. 6 und 8, vgl. act. 22). Schuldhaftes Verhalten dieser Art ist keine Voraussetzung der Liquidatorenhaftung gemäss Art. 15 Abs. 1 Bst. e MWSTG und Art. 32 Abs. 1 Bst. c aMWSTG (Garantenhaftung) und für sich allein nicht haftungsbegründend.

        3. Eine der formellen Liquidation mit Beginn am 23. Februar 2009 vorangegangene faktische Liquidation ist somit nicht anzunehmen.

      1. Relevanter Ausgangspunkt für die Bestimmung des Liquidationsergebnisses ist das Gesamtvermögen der Gesellschaft bei Beginn der Liquidation, hier am 23. Februar 2009. Der Liquidationsüberschuss ist der Betrag, welcher der Gesellschaft nach Tilgung der Schulden und der Liquidationskosten verbleibt (E. 2.5.1).

        1. Gemäss der Rechtsprechung wäre an sich auf die letzte vor Beginn der Liquidation erstellte Bilanz abzustellen (E. 2.5.3). Massgeblich wäre dabei (bei einem Beginn der Liquidation am 23. Februar 2009) die Bilanz per Ende 2008 (act. 23). Der Abschluss 2008 verfügt (gleich wie im Übrigen die Abschlüsse per 2006 und 2007, act. 23) über ein negatives Eigenkapital und somit über kein Liquidationsergebnis. Allerdings kann dann nicht (telquel) auf die Jahresrechnung abgestellt werden, wenn Aktiven (klar) unter den Verkehrswerten (welche zur Bestimmung des Liquidationsergebnisses relevant sind, vgl. E. 2.5.3) bewertet oder zu Unrecht gar nicht aktiviert wären oder Passiven (klar) überhöht wären. Die vorliegend relevante Bilanz 2008 enthält zum Teil (erheblich) abgeschriebene Werte. So wurde

          offenbar Anlagevermögen abgeschrieben (vgl. bereits E. 3.7.2.4), ebenso wie die Forderung gegenüber dem Kanton ( ) in Höhe von rund CHF 1,5 Mio. (vgl. dazu act. 23, Anhang zur Jahresrechnung 2008) und auf der Forderung gegenüber der Schwestergesellschaft eine Rückstellung gebildet (vgl. E. 3.7.2.1). Die Jahresrechnung per Ende 2008 bietet somit keine rechtsgenügende Grundlage für die Eruierung des effektiven Liquidationsergebnisses.

        2. Hingegen bietet sich vorliegend an, auf den Status per 20. September 2007 und das Inventar des Sachwalters (beide in: act. 4) abzustellen, welche - wie dargelegt - nach Verkehrswerten erstellt werden müssen (vgl.

          E. 3.7.2.4). Es bestehen keine Anzeichen, dass dies vorliegend nicht der Fall sein sollte oder der Status und das Inventar allfällige andere Fehler enthalten würden. So sind namentlich das Guthaben gegenüber dem Kanton ( ) (anders als in der Jahresrechnung 2008) mit CHF 1,3 Mio. und das Guthaben gegenüber der Schwestergesellschaft mit rund CHF 1,7 Mio. aufgeführt. Zudem wird das Sachwalterinventar auch von der ESTV nicht angezweifelt (im Gegenteil führt sie in Ziff. 2.4.5 der EE aus, das Inventar könne «als Ausgangswert» für das Liquidationsergebnis herangezogen werden). Weiter ergibt sich weder aus den Akten ein Grund für die Annahme noch wird von der Vorinstanz geltend gemacht, dass die Schulden klar überbewertet wären.

          Die Aktiven betragen gemäss Sachwalterinventar rund CHF 5,1 Mio. Gemäss Status per 20. September 2007 (act. 4) sowie dem Gläubigerverzeichnis des Sachwalters (vgl. act. 8, Beilage zum Schreiben des Sachwalters vom 10. Juni 2009) betragen die im Nachlassverfahren angemeldeten Forderungen total rund CHF 8,4 Mio. (CHF 7 Mio. anerkannt und CHF 1,4 Mio. bestritten). Damit ergibt sich ein klares negatives Ergebnis, die Schulden überwiegen die Aktiven um mehrere Millionen. Es ist somit kein positives Liquidationsergebnis vorhanden.

        3. Ist ein positives Liquidationsergebnis zu verneinen, ist eine Solidarhaftung des Beschwerdeführers ausgeschlossen (E. 2.5).

          Die weiteren Voraussetzungen der Liquidatorenhaftung müssen bei diesem Ergebnis nicht geprüft werden. Dies gilt namentlich etwa für die Frage, ob der Beschwerdeführer (wie die ESTV annimmt) bereits als Sachwalter gehaftet hätte, oder (wie er geltend macht) erst in seiner Funktion als Liquidator. Nicht zu untersuchen ist auch die Frage, ob der Liquidator einer Gesellschaft neben den Steuerforderungen, die aus der Tätigkeit dieser

          Gesellschaft resultierten, auch für die Steuerschulden anderer Gruppengesellschaften (für welche er nicht als Liquidator tätig war) haften würde (was der Beschwerdeführer in Abrede stellt). Ebenso wenig geprüft zu werden braucht die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Verjährung für das Jahr 2010.

      2. Zusammenfassend ergibt sich, dass die angefochtenen Einspracheentscheide in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben sind.

    4.

      1. Als obsiegende Partei hat der Beschwerdeführer keine Verfahrenskosten zu tragen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Entsprechend sind ihm die einbezahlten Kostenvorschüsse in Höhe von insgesamt CHF 6'000.-- nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückzuerstatten. Der Vorinstanz können als Bundesbehörde keine Verfahrenskosten auferlegt werden (Art. 63 Abs. 2 VwVG).

      2. Der obsiegende, vertretene Beschwerdeführer hat gemäss Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 VwVG in Verbindung mit Art. 7 ff. des Reglements vom

    21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht (VGKE; SR 173.320.2) Anspruch auf eine Parteientschädigung zulasten der Vorinstanz.

    Bei Fehlen einer (detaillierten) Kostennote wird die Entschädigung aufgrund der Akten festgesetzt (Art. 14 Abs. 2 VGKE). Diese ist vorliegend ermessensweise sowie praxisgemäss auf CHF 9'000.-- (inkl. Auslagen) festzusetzen.

    Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

    1.

    Die Verfahren A-5205/2018 und A-5206/2018 werden vereinigt.

    2.

    Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Einspracheentscheide vom

    19. und vom 30. Juli 2018 werden aufgehoben.

    3.

    Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Die vom Beschwerdeführer geleisteten Kostenvorschüsse in der Höhe von insgesamt CHF 6'000.-- werden ihm nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.

    4.

    Die Vorinstanz wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung von CHF 9'000.-- zu bezahlen.

    5.

    Dieses Urteil geht an:

    • den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)

    • die Vorinstanz (Ref-Nr. [ ]; Gerichtsurkunde)

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Sonja Bossart Meier Anna Strässle

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Frist ist gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben worden ist (Art. 48 Abs. 1 BGG). Die Rechtsschrift ist in

einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.