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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-7419/2016

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-7419/2016

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-7419/2016
Datum:30.07.2018
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Bundesverwaltungsgericht; Vorinstanz; Verfügung; Vater; Vorbringen; Schweiz; Zwangsheirat; Aussagen; Sachverhalt; Recht; Recht; Flüchtling; Glaubhaft; Ausreise; Wegweisung; Bundesverwaltungsgerichts; Sinne; Person; Bericht; Ziffer; Bezug; Verfahren; Hochzeit
Rechtsnorm: Art. 181 StGB ;Art. 52 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-7419/2016

U r t e i l  v o m  3 0.  J u l i  2 0 1 8

Besetzung Richterin Andrea Berger-Fehr (Vorsitz), Richter David R. Wenger,

Richterin Muriel Beck Kadima; Gerichtsschreiberin Regina Seraina Goll.

Parteien A. , geboren am ( ), Eritrea,

vertreten durch ( ), Beschwerdeführerin,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug); Verfügung des SEM vom 27. Oktober 2016.

Sachverhalt:

A.

Die Beschwerdeführerin suchte am ( ) August 2016 in der Schweiz um Asyl nach. Anlässlich der Befragung zur Person (BzP) vom 30. August 2016 und der Anhörung vom 15. September 2016 machte sie im Wesentlichen Folgendes geltend:

Sie sei eritreische Staatsangehörige tigrinischer Ethnie, sei in B. aufgewachsen und habe dort bis zu ihrer Ausreise mit ihren Eltern und ( ) ihrer Geschwister gelebt. Nach Beginn des ( ) Schuljahres habe sie auf Geheiss ihres Vaters die Schule verlassen, um einen Mann aus einem anderen Dorf zu heiraten. Damit habe ihr Vater vermeiden wollen, dass sie in den Militärdienst eingezogen werde. Da sie sich dagegen gewehrt habe, sei sie einmal von ihrem Vater geschlagen worden. Um nicht heiraten zu müssen, habe sie Eritrea via Äthiopien verlassen. Auf der Ausreise seien sie und ihre beiden Freundinnen von mitreisenden Jugendlichen vergewaltigt worden. Sie sei über mehrere Länder schliesslich am ( ) August 2016 in die Schweiz gereist.

B.

Mit Verfügung vom 27. Oktober 2016 - eröffnet am 31. Oktober 2016 - verneinte die Vorinstanz die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin und lehnte ihr Asylgesuch ab. Gleichzeitig ordnete sie ihre Wegweisung aus der Schweiz und den Vollzug an.

C.

Mit Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht vom 30. November 2016 beantragte die Beschwerdeführerin die Verfügung der Vorinstanz sei aufzuheben, ihr sei Asyl in der Schweiz zu gewähren und es sei festzustellen, dass sie die Flüchtlingseigenschaft erfülle. Eventualiter sei sie als Flüchtling vorläufig in der Schweiz aufzunehmen. Subeventualiter sei die Unzumutbarkeit, Unzulässigkeit und Unmöglichkeit der Wegweisung festzustellen und sie sei in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. Subeventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

In prozessualer Hinsicht ersuchte sie um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung.

D.

Mit Verfügung vom 6. Dezember 2016 hiess das Bundesverwaltungsgericht den Antrag um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses.

E.

Am 7. Dezember 2016 reichte die Beschwerdeführerin einen Bericht der Psychiatrischen ( )klinik ( ), Klinik für ( ) vom 21. November 2016 nach, wonach sie posttraumatische Belastungssymptome aufweise und dringend eine psychotherapeutische Unterstützung benötige. Einem Schreiben vom

18. Januar 2017 legte die Beschwerdeführerin einen Bericht ihrer Fachpsychologin, C. , bei, demzufolge bei einer Ausweisung die psychische und physische Integrität der Beschwerdeführerin „ganz zu zerbrechen“ drohe. Mit Schreiben vom 24. Mai 2018 machte sie auf die weitere Verschlechterung ihres psychischen Gesundheitszustands aufmerksam und reichte erneut einen Bericht ihrer Fachpsychologin vom 18. Mai 2018 ein, wonach diese eine baldige Notwendigkeit eines stationären Aufenthalts befürchte. Sie ersuche daher das Bundesverwaltungsgericht um eine Priorisierung ihres Beschwerdeverfahrens.

F.

Mit Verfügung vom 8. Juni 2018 leitete das Bundesverwaltungsgericht die Berichte der Fachpsychologin an die Vorinstanz weiter und ersuchte diese um eine Vernehmlassung.

G.

Am 26. Juni 2018 verfügte die Vorinstanz die teilweise Wiedererwägung ihres Entscheids vom 27. Oktober 2016. In Würdigung aller Umstände und der von der Beschwerdeführerin eingereichten Dokumente würde sie vom Vollzug der Wegweisung absehen, weil ein solcher im heutigen Zeitpunkt nicht zumutbar sei. Die Beschwerdeführerin sei somit in der Schweiz vorläufig aufzunehmen. Sie hob die Dispositivziffern 3 bis 5 der Verfügung vom 27. Oktober 2016 auf und verfügte die vorläufige Aufnahme ab Datum der neuen Verfügung. In Ziffer 1 des Dispositivs verfügte sie dabei unter anderem die Aufhebung der Wegweisung (Ziffer 3 der angefochtenen Verfügung). Aus den Erwägungen geht jedoch klar hervor, dass dies nicht ihrer Absicht entsprach. Auf entsprechende Nachfrage vom 19. Juli 2018 durch das Bundesverwaltungsgericht, korrigierte die Vorinstanz gleichentags ihre Wiedererwägungsverfügung dahingehend, dass sie die Dispositivziffer 1 anpasste und die Aufhebung der Wegweisung (Ziffer 3 der angefochtenen Verfügung) widerrief.

H.

Mit Verfügung vom 2. Juli 2018 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführerin, mitzuteilen, ob sie an ihrer Beschwerde vom

30. November 2018, soweit diese nicht gegenstandlos geworden ist, festhalten oder diese zurückziehen wolle.

I.

Am 6. Juli 2018 teilte die Beschwerdeführerin mit, sie halte an den Anträgen ihrer Beschwerde in Bezug auf die frauenspezifischen Fluchtgründe fest. Da die Beschwerde vor Veröffentlichung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts D-7898/2015 vom 30. Januar 2017 eingereicht worden sei, würden sich unter Ziffer 6 in Bezug auf die subjektiven Nachfluchtgründe Ausführungen finden, die in der Zwischenzeit gegenstandslos geworden seien. An diesen werde daher auch nicht länger festgehalten.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - so auch vorliegend - endgültig (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Sie ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

Mit der Verfügung vom 26. Juni 2018 beziehungsweise 19. Juli 2018 betreffend die teilweise Wiedererwägung des Asylentscheids vom 27. Oktober 2016 gewährte die Vorinstanz der Beschwerdeführerin die vorläufige Aufnahme, weshalb die Anträge betreffend den Vollzug der Wegweisung als gegenstandslos geworden abzuschreiben sind.

4.

Mit Schreiben vom 6. Juli 2018 teilte die Beschwerdeführerin mit, dass sie an ihren Vorbringen zur illegalen Ausreise als subjektiven Nachfluchtgrund aufgrund des inzwischen veröffentlichten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts D-7898/2015 vom 30. Januar 2017, nicht festhalte. Die diesbezüglichen Anträge und Ausführungen in der Beschwerde (Ziffer 6) sind daher ebenfalls als gegenstandslos geworden abzuschreiben.

5.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

6.

    1. Zur Begründung des ablehnenden Asylentscheids brachte die Vorinstanz vor, die Antworten der Beschwerdeführerin seien insgesamt oberflächlich ausgefallen. So seien ihre Aussagen, wie sie von den Hochzeitsplänen ihres Vaters erfahren habe, auch auf wiederholtes Nachfragen allgemein und unsubstanziiert geblieben. Zur Person, die sie hätte heiraten sollen, und dessen Familie befragt, habe sie ebenfalls nur knappe Antworten zu Protokoll gegeben. Dementsprechend seien auch ihre Aussagen zu den Hochzeitsvorbereitungen und den Details zur Hochzeit sehr allgemein und wiederholt oberflächlich ausgefallen. Zudem habe sie zur Auseinandersetzung und einem Streit mit ihrem Vater nur oberflächliche Angaben machen können. Es wäre zu erwarten gewesen, dass sie mehr darüber hätte sagen können, gerade in Anbetracht der emotionalen Bedeutung dieser Gespräche. Dementsprechend habe sie zu ihren Reaktionen und Gefühlen in Bezug auf die von ihr geltend gemachte Situation befragt, auffallend pauschale und kurze Antworten gegeben. Es sei ihr somit offensichtlich nicht gelungen, glaubhaft darzulegen, das Geschilderte tatsächlich selbst erlebt zu haben. Da ihre Aussagen der Glaubhaftigkeit im Sinne von Art. 7 AsylG offensichtlich nicht standhalten würden, sei die Asylrelevanz nicht mehr zu prüfen.

      Die erlittene Vergewaltigung auf der Ausreise sei nicht asylrelevant, da Übergriffe durch Dritte auch in Eritrea strafrechtlich durch entsprechende Polizeiund Justizorgane verfolgt würden.

    2. Die Beschwerdeführerin entgegnete in Bezug auf die Glaubhaftigkeit ihrer Vorbringen sinngemäss, sie sei im Zeitpunkt der Befragungen erst ( )jährig gewesen, ihre Aussagen zu den Asylgründen seien daher gemäss Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts mit einer gewissen Vorsicht zu würdigen, es könne nicht vorschnell auf einzelne Widersprüche abgestellt werden. Der Sachverhalt sei mit Blick auf die Richtlinien zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden, welche der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) basierend auf die Kinderrechtskonvention (KRK, SR 01.107) erlassen habe, mit Sorgfalt zu ergründen. Es sei vorauszuschicken, dass die Beschwerdeführerin glaubhaft dargelegt habe, wie beschwerlich ihre Reise in die Schweiz gewesen sei. So zweifle die Vorinstanz auch nicht an der vorgebrachten Vergewaltigung. Die BzP und die Anhörung hätten in so kurzem Zeitraum nach ihrer Einreise stattgefunden, dass sie sich nicht genügend auf die Situation habe einlassen können. Dies obwohl das Bundesverwaltungsgericht fest-

halte, dass Kinder genügend Zeit brauchen würden, um sich auf das Verfahren vorzubereiten. Sie habe lediglich zwei Wochen Zeit gehabt, um ihre Vertrauensperson kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen und sich auf die Anhörung vorzubereiten. Sie habe sich von der ganzen Situation enorm überfordert gefühlt. Es sei ihr denn auch schwer gefallen, die Fragen umfassend und detailliert zu beantworten, insbesondere in Bezug auf die Gefühle, die sie bezüglich der vom Vater angeordneten Zwangsheirat verspürt habe. Dies vor allem deswegen, weil sie der familiäre Streit bis heute enorm belaste und letztendlich auch zu den schrecklichen Ereignissen auf der Ausreise geführt habe. Die enorme psychische Belastung und mögliche Traumatisierung im Zusammenhang mit den Erlebnissen auf ihrer Ausreise, seien bei der Prüfung der Glaubhaftigkeit zwingend zu berücksichtigen. Sie habe ihrer psychischen Verfassung und ihrem Reifegrad entsprechend glaubhaft angegeben, dass ihr Vater ihre Zwangsheirat organisiert habe. So schilderte sie die Situation und ihren Unwillen, wobei sie Gespräche mit ihrem Vater in direkter Rede wiedergegeben habe. Ihre Schilderungen hätten auch einige Realkennzeichen beinhaltet, wie beispielsweise, die ( ) als Grund für die Heirat, ihre Hoffnungen, ihr Vater würde seine Pläne nochmals überdenken oder wie sich ihre Mutter anfänglich auf ihre Seite gestellt habe. Da sie ihren geplanten zukünftigen Ehemann nur einmal gesehen habe, sei es auch nachvollziehbar, dass sie nicht mehr Angaben zu ihm habe machen können. Zur Hochzeit an sich und deren Vorbereitung habe sie jedoch zahlreiche Details, wie den Hochzeitsort und die notwendigen Einkäufe, nennen können. Zudem seien bereits ihre ( ) Schwestern zwangsverheiratet worden. Auch diese hätten Angst vor ihrem Vater. Ihre Aussagen würden exakt übereinstimmen und es seien keine Widersprüche festzustellen.

7.

    1. Glaubhaftmachung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 AsylG bedeutet - im Gegensatz zum strikten Beweis - ein reduziertes Beweismass und lässt durchaus Raum für gewisse Einwände und Zweifel an den Vorbringen der Gesuchstellerin. Entscheidend ist, ob die Gründe, die für die Richtigkeit der gesuchstellerischen Sachverhaltsdarstellung sprechen, überwiegen oder nicht. Dabei ist auf eine objektivierte Sichtweise abzustellen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Glaubhaftmachung eines Verfolgungsschicksals ist eine die eigenen Erlebnisse betreffende, substanziierte, im Wesentlichen widerspruchsfreie und konkrete Schilderung der dargelegten Vorkommnisse. Die wahrheitsgemässe Schilderung einer tatsächlich erlittenen Verfolgung ist gekennzeichnet durch Korrektheit, Originalität, hinreichende Präzision und innere Übereinstimmung. Unglaubhaft wird eine

      Schilderung von Erlebnissen insbesondere bei wechselnden, widersprüchlichen, gesteigerten oder nachgeschobenen Vorbringen. Bei der Beurteilung der Glaubhaftmachung geht es um eine Gesamtbeurteilung aller Elemente (Übereinstimmung bezüglich des wesentlichen Sachverhaltes, Substantiiertheit und Plausibilität der Angaben, persönliche Glaubwürdigkeit usw.), die für oder gegen den Gesuchsteller sprechen. Glaubhaft ist eine Sachverhaltsdarstellung, wenn die positiven Elemente überwiegen. Für die Glaubhaftmachung reicht es demnach nicht aus, wenn der Inhalt der Vorbringen zwar möglich ist, aber in Würdigung der gesamten Aspekte wesentliche und überwiegende Umstände gegen die vorgebrachte Sachverhaltsdarstellung sprechen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-5779/2013 vom 23. Februar 2015 E. 5.6.1 [als Referenzurteil publiziert] m.w.H.).

      1. Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, Opfer einer drohenden Zwangsheirat geworden zu sein. Entgegen der Schlussfolgerung der Vorinstanz kann nicht von der Unglaubhaftigkeit ihrer Aussagen ausgegangen werden. Die Schilderungen, wie ihr Vater sie zur Heirat des viel älteren D. zwingen wollte und wie sie sich dagegen aufgelehnt hat, sind durchaus schlüssig, nachvollziehbar und glaubhaft. Die einzelnen Darlegungen der Ereignisse weisen Details, Interaktionen und inhaltliche Besonderheiten auf, wie beispielsweise die direkte Wiedergabe von Gesprächen mit ihren Eltern. Übertreibungen lassen sich ebenfalls keine erkennen und Wissenslücken hat die Beschwerdeführerin jeweils eingestanden. Um weitere Wiederholungen zu vermeiden, wird im Übrigen auf die diesbezüglich zutreffenden Vorbringen in der Beschwerdeschrift verwiesen. Es ist folglich im Sinne der Gesamtbeurteilung der Aussagen der Beschwerdeführerin vom eingangs abgebildeten Sachverhalt auszugehen.

      2. Die Zwangsheirat bezieht sich auf den erzwungenen Prozess der Eheschliessung. Gemäss Art. 181a des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311.0) liegt eine Zwangsheirat vor, wenn jemand durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit genötigt wird, eine Ehe einzugehen (vgl. zum Ganzen auch Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten vom 23. Februar 2011, BBl 2011 2185). Eine Zwangsheirat stellt eine schwerwiegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts einer Person dar und verletzt etliche grundlegende Menschenrechte (siehe hierzu Strafbarkeit von Zwangsheiraten und arrangierten Heiraten: Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 05.3477 der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 9. Mai

        2005, https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/gesellschaft/gesetzgebung/a r- chiv/zwangsheirat/ber-br-zwangsheiraten-d.pdf, abgerufen am 19. Juli 2018). Neben dem Recht auf Eheschliessung gemäss Art. 12 EMRK, welches auch das negative Recht enthält, nicht zu heiraten, werden namentlich das Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens im Sinne von Art. 8 EMRK - respektive die Teilaspekte des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Körper, den Schutz der Privatsphäre und die freie Gestaltung der persönlichen Lebensgestaltung - und etliche weitere international verbriefte Menschenrechte verletzt (u.a. Art. 16 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom

        18. Dezember 1979 [SR 0.108]; Art. 10 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966 [UNO-Pakt, SR 0.103.1]; Art. 23 Abs. 3 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 [UNO-Pakt II, SR 0.103.2]). Im schweizerischen Strafrecht wird Zwangsheirat mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe sanktioniert (Art. 181a StGB). Schliesslich folgt auf eine Zwangsheirat eine Zwangsehe, woraus häufig Verletzungen der physischen und psychischen Integrität (bspw. Vergewaltigung, häusliche Gewalt, erniedrigende oder entwertende Behandlung, Zwangsarbeit) und etlicher sozio-ökonomischer Menschenrechte (Recht auf Bildung oder Recht auf Arbeit) resultieren. Schliesslich kommt hinzu, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Flucht ( ) Jahre alt war, mithin vorliegend von einer Kinderehe auszugehen wäre.

      3. Wie dargelegt, sind die Aussagen der Beschwerdeführerin insgesamt durchaus glaubhaft. Allerdings werden die Hürden betreffend die Annahme des Nötigungselements sehr hoch angesetzt. Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie sei einmal von ihrem Vater geschlagen worden, kann diese Situation aber trotz Nachfragen nicht beschreiben. Die Aussagen sind insbesondere im Vergleich zu den im Übrigen, wenn auch zum Teil erst auf Nachfrage, ausführlichen Darstellungen sehr unsubstanziiert. Dass sie mit der Befragungssituation überfordert gewesen sei, ist zu bezweifeln, da sie beispielsweise die Vergewaltigung, welche ebenfalls ein sehr einschneidendes Ereignis darstellt, sehr detailliert beschreiben konnte. Es ist zwar verständlich, dass es einer Beschwerdeführerin schwerfallen kann, über derartige familiäre Ereignisse zu sprechen, es können jedoch den Akten keine Hinweise dafür entnommen werden, dass diese einmalige Gewaltanwendung durch den Vater, die Intensität von ernsthaften Nachteilen im Sinne von Art. 181a StGB und Art. 3 Abs. 2 AsylG aufgewiesen hat. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die

Handlungsfreiheit der Beschwerdeführerin bezüglich der Frage der Eheschliessung trotz des Drucks seitens ihres Vaters nie ernsthaft eingeschränkt war. Im Ergebnis kann jedenfalls nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführerin gegen ihren ausdrücklichen Willen und unter Androhung von ernsthaften Nachteilen oder von Gewalt von ihrem Vater zur Eheschliessung gezwungen worden wäre. Das entsprechende Vorbringen entbehrt damit der asylrechtlichen Relevanz.

    1. Bezüglich der geltend gemachten Vergewaltigung auf der Ausreise, kann auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden. Es besteht für die Beschwerdeführerin die Möglichkeit, sich an die Behörden zu wenden, um die Straftat ahnden zu lassen. Zudem ist davon auszugehen, dass es sich dabei um ein einmaliges Delikt gehandelt hat, wobei der Täter sie, unabhängig von ihrer Person, willkürlich als Opfer ausgesucht hat. Es besteht in dieser Hinsicht daher kaum eine weitere Verfolgungsgefahr, weshalb dieses Vorbringen nicht asylrelevant ist.

    2. Die allgemeinen Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Vorinstanz mit ihrer Verfügung Bundesrecht verletzt, ihr Ermessen missbraucht und überschritten sowie den rechtserheblichen Sachverhalt unrichtig und unvollständig festgestellt haben soll sowie der angefochtene Entscheid unangemessen sei (Art. 106 Abs. 1 AsylG), werden über die erwogenen Argumente hinaus nicht ausgeführt, weshalb sich das Bundesverwaltungsgericht der eigenständigen Prüfung dieser Vorbringen enthält.

    3. Zusammenfassend hat die Beschwerdeführerin nichts vorgebracht, was geeignet wäre, ihre Flüchtlingseigenschaft nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen. Die Vorinstanz hat ihr Asylgesuch zu Recht abgelehnt.

8.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Die Beschwerde ist abzuweisen.

9.

Es sind keine Verfahrenskosten zu erheben. Die Gesuche um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verzicht auf die Erhebung eines

Kostenvorschusses wurden bereits mit Zwischenverfügung vom 6. Dezember 2016 gemäss Art. 65 Abs. 1 VwVG gutgeheissen und es ist nicht von einer veränderten finanziellen Lage der Beschwerdeführerin auszugehen.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten auferlegt.

3.

Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführerin, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Andrea Berger-Fehr Regina Seraina Goll

Versand:

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