Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung III |
Dossiernummer: | C-4512/2017 |
Datum: | 31.08.2018 |
Leitsatz/Stichwort: | Alters- und Hinterlassenenversicherung (Übriges) |
Schlagwörter : | Hilfsmittel; Schweiz; Vorakten; Recht; Anspruch; Bundesverwaltungsgericht; Leistung; Wohnsitz; Schweizer; Urteil; Massschuhe; Einsprache; Verfahren; Parteien; Deutschland; Einspracheentscheid; Leistungen; BVGer; Schweizerische; Vorinstanz; Abgabe; Ausland; Verfahrens; Richter; Altersrente; Kostenbeitrag; Verordnung; Hilfsmitteln |
Rechtsnorm: | Art. 153 AHVG ;Art. 43q AHVG ;Art. 48 VwVG ;Art. 52 VwVG ;Art. 60 ATSG ;Art. 64 VwVG ;Art. 85b AHVG ; |
Referenz BGE: | 126 V. 136; 127 V 467; 130 V 1; 130 V 445; 130 V 51; 132 V 46; 133 V 137; 136 I 297 |
Kommentar: | - |
Abteilung III C-4512/2017
Besetzung Richter Daniel Stufetti (Vorsitz), Richterin Caroline Bissegger, Richter David Weiss, Gerichtsschreiberin Karin Wagner.
Parteien A. , (Deutschland), Beschwerdeführerin,
gegen
Vorinstanz.
Gegenstand Altersund Hinterlassenenversicherung, Anspruch auf Hilfsmittel, Einspracheentscheid SAK vom 4. August 2017.
Die am ( ) 1947 geborene, verheiratete, schweizerische Staatsangehörige A. (im Folgenden: Beschwerdeführerin), wohnt in Deutschland (Vorakten 9/1, 12) und bezieht seit dem 1. März 2011 eine ordentliche Altersrente (Vorakten 11).
Am 16. Juni 2017 (Posteingang; Vorakten 27) reichte die Beschwerdeführerin bei der Schweizerische Ausgleichskasse (im Folgenden: SAK oder Vorinstanz) ein Gesuch für einen Kostenbeitrag an orthopädischen Massschuhen ein. Sie gab an, die Schuhe wegen Überlastung und Fehlbelastung zu benötigen. Dem Gesuch lag ein Kostenvoranschlag vom 15. Juni 2017 in der Höhe von Fr. 3‘684.70 (Vorakten 29/1) bei, sowie ein Arztzeugnis von Med. Pract. B. _, vom 30. Mai 2017 (Vorakten 29/2), wonach die Beschwerdeführerin beidseits an ausgeprägtem Hallux valgus und Hallux rigidus Dig. II-IV leide und orthopädische Massschuhe benötige.
Mit Verfügung vom 5. Juli 2017 (Vorakten 30) teilte die SAK der Beschwerdeführerin mit, Art. 2 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung vom 28. August 1978 (HVA, SR 831.135.1) sehe vor, dass in der Schweiz wohnhafte Bezüger von Altersrenten der AHV, die für die Tätigkeit in ihrem Aufgabenbereich, für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstvorsorge auf Hilfsmittel angewiesen seien, Anspruch auf Leistungen hätten. Der Beschwerdeführerin könne kein Kostenbeitrag gewährt werden, da sie im Ausland wohnhaft sei.
Unter Beilage eines Berichts der Universitätsklinik C.
vom
7. Juni 2017 erhob die Beschwerdeführerin dagegen am 12. Juli 2017 (Posteingang) Einsprache (Vorakten 31), welche die SAK mit Entscheid vom 4. August 2017 (Vorakten 33) unter Hinweis auf den Wohnsitz in Deutschland abwies.
Gegen den Einspracheentscheid vom 4. August 2017 reichte die Beschwerdeführerin am 14. August 2017 (Postaufgabe; Vorakten 34/3, BVGer act. 1) Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein und legte zugleich Fotos ihrer Füsse und den bereits bei den Vorakten befindenden Bericht der Universitätsklinik C. vom 7. Juni 2017 bei. Sie beantragte sinngemäss Kostengutsprache für orthopädische Massschuhe, da
sie aus gesundheitlichen Gründen darauf angewiesen sei. Sie habe zeitlebens AHVund IV-Beiträge bezahlt. Eine Operation sei mit mehr Kosten verbunden und würde die Gefahr einer Invalidität beinhalten.
Mit Vernehmlassung vom 24. August 2017 (BVGer act. 3) beantragte die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde. Zur Begründung brachte sie sinngemäss in Ergänzung zum Einspracheentscheid vor, in konstanter Praxis des Bundesverwaltungsgerichts werde auch im Anwendungsbereich des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 (SR 0.142.112.681; Freizügigkeitsabkommen) ein Anspruch von AHV-Rentnern auf Export von Sachleistungen ins europäische Ausland verneint.
Nachdem sich die Beschwerdeführerin nicht mehr vernehmen liess, wurde der Schriftenwechsel mit Instruktionsverfügung vom 18. Oktober 2017 geschlossen (BVGer act. 5).
Auf den weiteren Inhalt der Akten und der Rechtsschriften der Parteien ist, soweit erforderlich, im Rahmen der nachfolgenden Erwägungen einzugehen.
Gemäss Art. 31 VGG (SR 173.32) in Verbindung mit Art. 33 Bst. d VGG und Art. 85bis Abs. 1 AHVG (SR 831.10) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden von Personen im Ausland gegen Verfügungen der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK). Da keine Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG vorliegt, ist das Bundesverwaltungsgericht zur Beurteilung der Beschwerde zuständig.
Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht richtet sich nach den Vorschriften des VGG und des VwVG (SR 172.021 [vgl. auch Art. 37 VGG]). Aufgrund von Art. 3 Bst. dbis VwVG findet das VwVG keine Anwendung in Sozialversicherungsrechtssachen, soweit das ATSG (SR 830.1) anwendbar ist. Gemäss Art. 1 Abs. 1 AHVG sind die Bestimmungen des
ATSG auf die im ersten Teil geregelte Altersund Hinterlassenenversicherung anwendbar, soweit das AHVG nicht ausdrücklich eine Abweichung vom ATSG vorsieht. Dabei finden nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Regeln diejenigen Verfahrensregeln Anwendung, welche im Zeitpunkt der Beschwerdebeurteilung in Kraft stehen (BGE 130 V 1 E. 3.2; vgl. auch Art. 53 Abs. 2 VGG).
In zeitlicher Hinsicht sind grundsätzlich diejenigen materiellen Rechtssätze massgebend, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung hatten (vgl. BGE 130 V 445 E. 1.2.1 f. m.H., BGE 127 V 467 E. 1, BGE 126 V. 136 E. 4b).
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Einspracheentscheid berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung, so dass sie im Sinne von Art. 59 ATSG beschwerdelegitimiert ist (vgl. auch Art. 48 Abs. 1 VwVG).
Da die Beschwerde im Übrigen fristund formgerecht eingereicht wurde, ist darauf einzutreten (vgl. Art. 60 Abs. 1 ATSG und Art. 52 Abs. 1 VwVG).
Das Bundesverwaltungsgericht prüft die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich die Überschreitung oder der Missbrauch des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit (Art. 49 VwVG).
Die Beschwerdeführerin ist Schweizer Bürgerin. Vorliegend bestimmt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf Kostenbeitrag für Hilfsmittel, namentlich orthopädische Massschuhe, hat aufgrund der schweizerischen Rechtsvorschriften, insbesondere nach dem AHVG sowie nach der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung (HVA, SR 831.135.1; Urteil des BVGer C-6556/2014 vom 27. April 2016 E. 3.3).
Da die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz in Deutschland hat, sind zudem das am 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihrer Mitgliedsstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA, SR 0.142.112.681) sowie die gemäss Anhang II des FZA anwendbaren Verordnungen (EG) des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 883/2004 vom 29. April 2004 (SR 0.831.109.268.1) und Nr.
987/2009 vom 16. September 2009 (SR 0.831.109.268.11) zu beachten (vgl. Urteil des BVGer C-780/2013 vom 27. Juni 2014 E. 3). Art. 153a AHVG verweist in lit. a auf diese beiden Koordinierungsverordnungen.
In zeitlicher Hinsicht ist das FZA anwendbar, weil hier eine AHV-Leistung (Kostenbeitrag an Massschuhen) für die Zeit nach dessen Inkrafttreten am
1. Juni 2002 zur Diskussion steht und der angefochtene Einspracheentscheid nach diesem Datum ergangen ist (vgl. BGE 133 V 137 E. 5). Ebenso ist der persönliche Geltungsbereich gegeben, da die Beschwerdeführerin Schweizer Bürgerin ist und in Deutschland Wohnsitz hat (vgl. Art. 2 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 883/2004).
Die Abgabe von Hilfsmitteln fällt in den sachlichen Anwendungsbereich der Koordinierungsverordnungen des FZA und stellt eine Leistung bei Krankheit und Mutterschaft dar, weshalb die Koordinierungsverordnungen nicht nur in zeitlicher und persönlicher, sondern auch in materieller Hinsicht anwendbar sind (vgl. HARDY LANDOLT, § 25 AHV-Leistungen: Hilfsmittel, Hilflosenentschädigung, Assistenzbeitrag, in: Steiger-Sackmann/Mosimann [Hrsg.], Recht der sozialen Sicherheit, Sozialversicherungen, Opferhilfe, Sozialhilfe, Basel 2014, mit Hinweis auf Urteil des BGer H215/03, S. 895, Rz. 25.2).
Soweit weder das FZA noch die gestützt darauf anwendbaren gemeinschaftsrechtlichen Rechtsakte abweichende Bestimmungen vorsehen, richtet sich die Ausgestaltung des Verfahrens und die Prüfung des Anspruchs auf Leistungen der AHV alleine nach der schweizerischen Rechtsordnung (vgl. BGE 130 V 51; SVR 2004 AHV Nr. 16 S. 49; Urteil des Eidgenössischen Versicherungsgerichts [EVG; seit 1. Januar 2007: Sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts] H 13/05 vom 4. April 2005
E. 1.1 mit Hinweisen).
Gemäss Art. 43quater Abs. 1 AHVG bestimmt der Bundesrat, unter welchen Voraussetzungen Bezüger von Altersrenten oder Ergänzungsleistungen mit Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt (Art. 13 ATSG) in der Schweiz, die für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedürfen, Anspruch auf Hilfsmittel haben.
Das Departement des Innern regelt die Voraussetzungen für die Abgabe von Hilfsmitteln an Altersrentner, die Art der abzugebenden Hilfsmittel
sowie das Abgabeverfahren (Art. 66ter Abs. 1 AHVV). Gestützt auf diese Delegationskompetenz hat das EDI in der Hilfsmittelverordnung (HVA) Folgendes konkretisiert: In der Schweiz wohnhafte Bezüger von Altersrenten der AHV, die für die Tätigkeit in ihrem Aufgabenbereich, für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontakts mit der Umwelt oder für die Selbstsorge auf Hilfsmittel angewiesen sind, haben Anspruch auf die in der Liste im Anhang aufgeführten Leistungen. Die Liste umschreibt Art und Umfang der Leistungen für jedes Hilfsmittel abschliessend (Art. 2 Abs. 1 HVA).
Vorliegend ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin ihren Wohnsitz in Deutschland hat (Vorakten 9/4, 12). Die Voraussetzungen für die beantragte teilweise Übernahme der Kosten für die orthopädischen Massschuhe sind daher nach den klaren schweizerischen gesetzlichen Bestimmungen aufgrund des Wohnsitzes im Ausland nicht erfüllt (vgl. auch BGE 132 V 46 E. 2).
Nachfolgend ist zu prüfen, ob gestützt auf das FZA und dessen Koordinierungsverordnungen ein Anspruch besteht.
Leistungen der schweizerischen Sozialversicherungen werden nach dem sogenannten Territorialitätsprinzip grundsätzlich nur in der Schweiz gewährt (vgl. SUSANNE BOLLINGER, Die Bedeutung des Wohnsitzes im Sozialversicherungsrecht, Ziffer. 4.1, in: Riemer-Kafka [Hrsg.], LBR - Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft Band/Nr. 112, Sozialversicherungsrecht: seine Verknüpfung mit dem ZGB, 2016 m.H.a. BGE 136 I 297 E. 5). Im Anwendungsbereich des Freizügigkeitsabkommens mit den EUund EFTA-Staaten werden aufgrund des Diskriminierungsverbotes Geldleistungen grundsätzlich exportiert. Ausnahmen bestehen insbesondere für sogenannte beitragsunabhängige Sonderleistungen wie Ergänzungsleistungen, Hilflosenentschädigungen, Sachleistungen und Arbeitslosenhilfe sowie Härtefallrenten der Invalidenversicherung (vgl. SUSANNE BOLLINGER a.a.O. Ziffer 4.2). Hilfsmittel sind Sachleistungen (vgl. Urteil des BGer 8C_126/2017 E. 1.1), womit keine Exportpflicht besteht.
Das Bundesverwaltungsgericht hat denn auch in konstanter Praxis im Anwendungsbereich des FZA einen Anspruch von AHV-Rentnern auf Export von Sachleistungen ins (europäische) Ausland verneint (vgl. Urteile des BVGer C-7058/2013 vom 18. Januar 2016; C-780/2013 vom 27. Juni 2014 und C-5234/2011 vom 14. Januar 2014).
Aus dem Gesagten folgt, dass die SAK das Leistungsbegehren - mangels Wohnsitzes der Beschwerdeführerin in der Schweiz (Art. 43quater Abs. 1 AHVG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 HVA) - zu Recht abgewiesen und die teilweise Übernahme der Kosten für die orthopädischen Massschuhe verweigert hat. Unter diesen Umständen erweist sich der angefochtene Einspracheentscheid vom 4. August 2017 als rechtmässig, und die Beschwerde ist abzuweisen.
Zu befinden bleibt über die Verfahrenskosten und eine allfällige Parteientschädigung.
Das Verfahren ist für die Parteien kostenlos (Art. 85bis Abs. 2 AHVG), sodass keine Verfahrenskosten zu erheben sind.
Weder die obsiegende Vorinstanz noch die unterliegende Beschwerdeführerin haben einen Anspruch auf Parteientschädigung (Art. 7 Abs. 3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2] und Art. 64 Abs. 1 VwVG e contrario).
Für das Urteilsdispositiv wird auf die nächste Seite verwiesen.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.
Es wird keine Parteientschädigung ausgerichtet.
Dieses Urteil geht an:
die Beschwerdeführerin (Einschreiben mit Rückschein)
die Vorinstanz (Ref-Nr. [ ]; Einschreiben)
das Bundesamt für Sozialversicherungen (Einschreiben)
Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:
Daniel Stufetti Karin Wagner
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, Beschwerde in öffentlichrechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 BGG). Die Rechtsschrift hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die beschwerdeführende Partei in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).
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