E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil E-6550/2016

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-6550/2016

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-6550/2016
Datum:08.06.2017
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Praxis; Protokoll; Quot;; Verfügung; Anhörung; Bundesverwaltungsgericht; Eritrea; Vorinstanz; Schule; Wegweisung; Person; Schweiz; Recht; Ausreise; Gericht; Beschwerdeführers; Behörde; Praxisänderung; Behörden; Akten; Flüchtlingseigenschaft; Aussage; Vollzug; Entscheid; Asyls; Fluchtgründe; äufige
Rechtsnorm: Art. 44 BV ;Art. 52 VwVG ;Art. 63 VwVG ;Art. 64 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-6550/2016

U r t e i l  v o m  8.  J u n i  2 0 1 7

Besetzung Richter Markus König (Vorsitz),

Richter Bendicht Tellenbach, Richterin Gabriela Freihofer, Gerichtsschreiberin Martina Stark.

Parteien A. _, geboren am ( ), Eritrea,

vertreten durch MA Tanja Bühler, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);

Verfügung des SEM vom 22. September 2016 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Der aus Eritrea stammende Beschwerdeführer verliess seinen Heimatstaat eigenen Angaben zufolge im Juni respektive Oktober 2014 in Richtung Äthiopien. Von dort gelangte er via den Sudan, Libyen und Italien am

13. November 2015 in die Schweiz, wo er gleichentags ein Asylgesuch stellte.

B.

Eine am 17. November 2015 im Auftrag des SEM erstellte radiologische Knochenaltersanalyse ergab ein Skelettalter des Beschwerdeführers von (...) Jahren.

C.

Am 11. Dezember 2015 fand die Befragung des Beschwerdeführers zur Person (BzP) statt. Als Ausreisegründe gab er dabei an, er habe die Schule ungefähr im ( ) 2014 in der (...) Klasse abgebrochen, um im Landwirtschaftsbetrieb der Familie mitzuhelfen; nach einiger Zeit sei er von heimatlichen Behörden schriftlich aufgefordert worden, wieder zur Schule zu gehen oder sich zwecks Absolvierung des Militärdiensts bei der Armeeverwaltung zu melden. Vor Ablauf der ihm gesetzten Frist sei er illegal aus dem Land geflohen.

D.

Am 10. Juni 2016 wurde der Beschwerdeführer - unter Mitwirkung einer Vertrauensperson für unbegleitete minderjährige Asylsuchende - einlässlich zu seinen Asylgründen angehört. Er bestätigte dabei grundsätzlich seine im Protokoll der BzP enthaltenen Angaben, schilderte jedoch insbesondere gewisse zeitliche Abläufe anders. Bei dieser Anhörung reichte er Kopien der Identitätskarte seiner Eltern zu den Akten.

E.

Mit Verfügung vom 22. September 2016 - eröffnet am folgenden Tag - lehnte das SEM das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete die Wegweisung aus der Schweiz an, wobei es den Vollzug der Wegweisung wegen Unzumutbarkeit zugunsten einer vorläufigen Aufnahme aufschob.

F.

Gegen diese Verfügung liess der Beschwerdeführer mit Eingabe vom

24. Oktober 2016 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben. Er beantragte die Aufhebung des Asylentscheids des SEM und die Asylgewährung, eventuell die Anerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft, subeventuell die Rückweisung der Sache an die Vorinstanz zum neuen Entscheid. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersuchte er um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung nach Art. 65 Abs. 1 VwVG und um Ausrichtung einer angemessenen Parteientschädigung für seine Rechtsvertreterin.

G.

Mit Zwischenverfügung vom 7. November 2016 forderte der Instruktionsrichter den Beschwerdeführer dazu auf, die angebotene Fürsorgebestätigung und die Vollmacht seiner Rechtsvertreterin ins Recht zu legen; der Instruktionsrichter lud ausserdem das SEM ein, eine Vernehmlassung zur Beschwerde zu den Akten zu reichen.

H.

Am 8. November 2016 wurden die Vollmacht und eine Fürsorgebestätigung nachgereicht.

I.

In seiner Vernehmlassung vom 17. November 2016 hielt das SEM an seiner Verfügung fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

J.

Mit Zwischenverfügung vom 23. November 2016 hiess der Instruktionsrichter das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gut, brachte dem Beschwerdeführer die Vernehmlassung des SEM zur Kenntnis und bot diesem Gelegenheit, sich zur Stellungnahme der Vorinstanz zu äussern.

K.

In der Replik vom 21. Dezember 2016 liess der Beschwerdeführer - innert erstreckter Frist - an seinen Anträgen festhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG. Das SEM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinn von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG [SR 142.31]; Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG). Eine solche Ausnahme im Sinn von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG liegt nicht vor, weshalb das Bundesverwaltungsgericht endgültig entscheidet.

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Die Beschwerde ist fristund formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert (Art. 105 und 108 Abs. 1 AsylG; Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 Abs. 1 VwVG).

    4. Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Die Kognition des Bundesverwaltungsgerichts und die zulässigen Rügen richten sich im Asylbereich nach Art. 106 Abs. 1 AsylG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

3.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

    3. Subjektive Nachfluchtgründe begründen unter Umständen - wenn die heimatlichen Behörden das Verhalten der asylsuchenden Person als staatsfeindlich einstufen und diese deswegen bei einer Rückkehr eine Verfolgung im Sinn von Art. 3 AsylG befürchten muss - die Flüchtlingseigenschaft und führen zur Feststellung der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs und zur vorläufigen Aufnahme in der Schweiz; gemäss Art. 54 AsylG wird jedoch kein Asyl gewährt (vgl. BVGE 2009/28 E. 7.1 m.w.H.).

4.

    1. Das SEM führte zur Begründung der angefochtenen Verfügung im Asylpunkt aus, die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Vorfluchtgründe müssten aufgrund verschiedener Aussagewidersprüche und Ungereimtheiten als unglaubhaft qualifiziert werden und die behauptete illegale Ausreise aus Eritrea sei - ungeachtet der Frage der Glaubhaftigkeit dieses Vorbringens - flüchtlingsrechtlich nicht relevant.

    2. Der Beschwerdeführer liess einerseits die Unglaubhaftigkeit seiner Asylgründe bestreiten. Andererseits kritisierte er die Praxis des SEM, illegale Ausreisen aus Eritrea nicht mehr in jedem Fall als flüchtlingsrechtlich relevant zu anerkennen. Die im Sommer 2016 diesbezüglich vorgenommene Praxisänderung des SEM sei inhaltlich falsch, zumal sie nur auf wissenschaftlich fragwürdige Quellen und Schlussfolgerungen abgestützt sei; das Vorgehen der Vorinstanz sei zudem mit Bezug auf das Vorgehen unzulässig, indem es nicht den durch das Bundesverwaltungsgericht (in BVGE 2010/54) festgelegten Anforderungen für Änderungen der Länderpraxis entsprochen habe.

5.

Was die Frage der Glaubhaftigkeit der Vorfluchtgründe anbelangt, schliesst sich das Gericht nach Durchsicht der gesamte Akten der Auffassung des SEM an:

5.1 Der Beschwerdeführer schilderte bei seinen Befragungen die Gründe für seinen Schulabbruch unterschiedlich: In der BzP gab er zweimal zu Protokoll, er habe seiner Familie im Landwirtschaftsbetrieb helfen müssen, weil der Vater und seine älteren Brüder zum Militärdienst eingezogen worden seien und sich ausser ihm niemand um den Betrieb habe kümmern können (vgl. Protokoll BzP S. 4 f. und 8). Bei der Anhörung erwähnte er diese Motivation für sein Verhalten von sich aus nicht mehr, sondern führte aus, der Schulabschluss habe in Eritrea keine wichtige Bedeutung und die Verhältnisse in den Schulen seien allgemein von Gewalt und Unterdrückung geprägt (vgl. Protokoll Anhörung S. 5). Erst auf Vorhalt der abweichenden Äusserungen bei der Erstbefragung gab er an, jene Erklärung sei ebenfalls richtig (vgl. a.a.O.). Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung (vgl. dort S. 4) ist dieses Aussageverhalten als klares Unglaubhaftigkeitsindiz zu werten.

Zudem wäre auch die Aussage in der BzP "Ich wäre gerne [weiter] in die Schule gegangen, das ging aber nicht" (vgl. Protokoll S. 8) mit den in der Anhörung zunächst protokollierten Schilderungen des überaus harten Schulalltags schwerlich vereinbar (vgl. Protokoll Anhörung S. 5: "Die Schule in Eritrea kann man nicht mit schweizerischen Verhältnissen vergleichen, weil in der Schule gibt es auch Gewalt. Man wird geschlagen, man muss machen was einem befohlen wird. Es gibt keine Demokratie dort. Deswegern hat man keine Freude in der Schule, weil es ein Zwang ist").

5.2

      1. In der BzP und zu Beginn der Anhörung gab der Beschwerdeführer wiederholt klar zu Protokoll, er sei nach Beginn der (...) Klasse aus der Schule ausgetreten (vgl. Protokoll BzP S. 4, Protokoll Anhörung S. 5), liess dann aber im Verlauf der Anhörung erkennen, dass er die Schule bereits vor Beginn des (...) Schuljahres verlassen habe.

      2. Das Argument in der Beschwerde, dieser Widerspruch sei "hinfällig", weil dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit geboten worden sei, hierzu Stellung zu nehmen, überzeugt schon deshalb nicht, weil anlässlich der Anhörung diesbezüglich explizit nachgefragt wurde und seine daraufhin protokollierten Aussagen unmissverständlich (widersprüchlich) sind

        (vgl. Protokoll Anhörung S. 6: "F42: Warst du nun schon in der ( ) Klasse oder hättest du erst damit anfangen sollen? Ich habe mich für dieses Jahr angemeldet. Ich war sogar dort registriert. Aber ich habe es nicht angefangen.").

      3. Im Übrigen ist zu Widersprüchen in eigenen Aussagen von Asylsuchenden - anders als bei Widersprüchen zwischen eigenen Angaben und denjenigen von Drittpersonen - nicht zwingend das rechtliche Gehör zu gewähren (vgl. bereits Entscheidungen und Mitteilungen der vormaligen Schweizerischen Asylrekurskommission [EMARK] 1994 Nrn. 13 und 14).

    1. Dass der Beschwerdeführer das konkrete Datum des Schulaustritts bei den beiden Befragungen nicht gleich schilderte, stellt hingegen in der Tat kaum ein starkes Unglaubhaftigkeitsmerkmal dar (vgl. Beschwerde S. 3 f.). Allerdings ist es merkwürdig, dass der Beschwerdeführer in der BzP und in der Anhörung einerseits zwar nur das Jahr (2014) des Schulabbruchs mit Sicherheit kennen wollte (vgl. Protokoll BzP S. 5, Protokoll Anhörung

      S. 6), andererseits dann aber trotzdem ein präzises Datum nannte (vgl. Protokoll BzP, a.a.O.: "[ ] ich glaube, es war am XX.XX.2014").

    2. Den Zeitpunkt seiner Ausreise aus Eritrea gab der Beschwerdeführer widersprüchlich an mit "Oktober 2014" (vgl. Protokoll BzP S. 7) beziehungsweise mit "Juni 2014" (vgl. Protokoll Anhörung S. 6).

5.5

      1. Insgesamt sind die protokollierten Aussagen zu den Vorfluchtgründen wenig substanziiert, und sie weisen auch sonst nur wenig Realitätskennzeichen auf.

      2. Soweit der Beschwerdeführer ergänzend zu Protokoll gab, er sei auch wegen des Militärdiensts aus der Schule ausgetreten (vgl. Protokoll Anhörung S. 5), ist dieses Vorbringen insofern unverständlich, als ihn ja gerade der Schulbesuch noch mehrere Jahre lang vor einer ungewollten Einziehung in den National Service bewahrt hätte (vgl. auch SEM-Verfügung S. 3).

      3. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bei einem Schulabbruch am "XX.XX.2014" erst ( ) Jahre alt gewesen wäre. Es ist (auch bei gebührender Berücksichtigung der Tatsache, dass ihr Verhalten häufig von Willkür geprägt ist) kaum vorstellbar, dass die eritreischen Behörden ein Kind in diesem Alter in den Militärdienst aufbieten würden.

      4. Schliesslich fällt auch auf, dass der Beschwerdeführer das angebliche Schreiben der heimatlichen Behörden nicht zu den Akten gereicht hat.

5.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das SEM zu Recht die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Vorfluchtgründe als unglaubhaft qualifiziert und sein Asylgesuch abgewiesen hat.

6.

    1. Gemäss langjähriger bisheriger Praxis der schweizerischen Asylbehörden begründete bereits eine (glaubhaft gemachte) illegale Ausreise aus Eritrea ohne weiteres die Flüchtlingseigenschaft. Das SEM verschärfte diese Praxis im Sommer 2016, wovon auch der Beschwerdeführer betroffen war. Dieser begründet sein Rechtsmittel auch mit dem Vorbringen, die Praxisänderung des SEM sei inhaltlich zu Unrecht (und überdies formal falsch) erfolgt.

    2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im Rahmen des (in seinen beiden Asylabteilungen kürzlich koordiniert entschiedenen und als Referenzurteil publizierten) Urteils D-7898/2015 vom 30. Januar 2017 mit der Frage befasst, ob Eritreerinnen und Eritreer, die ihr Land illegal verlassen haben, allein deswegen bei einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten haben.

      1. Nach einer umfassenden Analyse aller zur Verfügung stehenden Länderinformationen kam das Gericht zum Schluss, dass sich die bisherige Praxis nicht mehr aufrechterhalten liess und vom SEM zu Recht angepasst worden war.

        Für die Entscheidfindung des Gerichts war auch die Tatsache von Bedeutung, dass seit einiger Zeit Personen aus der eritreischen Diaspora für kurze Aufenthalte in ihren Heimatstaat zurückkehren und sich unter ihnen auch Personen befinden, die Eritrea zuvor illegal verlassen hatten.

      2. Es ist mithin nicht mehr davon auszugehen, dass einer Person einzig aufgrund ihrer unerlaubten Ausreise aus Eritrea eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung droht. Von der begründeten Furcht vor intensiven und asylrechtlich begründeten Nachteilen ist nur dann auszugehen, wenn zur illegalen Ausreise weitere Faktoren hinzukommen, welche die asylsuchende Person in den Augen der eritreischen Behörden als missliebige Person erscheinen lassen (vgl. Referenzurteil D-7898/2015 E. 5).

    3. Aus den Akten des Beschwerdeführers werden solche zusätzlichen Gefährdungsfaktoren nach dem oben Gesagten nicht ersichtlich. Die Frage der Glaubhaftigkeit der geltend gemachten illegalen Ausreise aus Eritrea kann damit offen bleiben.

    4. Es ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine relevante Verfolgungsgefahr im Sinn von Art. 3 respektive Art. 54 AsylG nachzuweisen oder glaubhaft darzutun. Das SEM hat seine Flüchtlingseigenschaft folglich zu Recht verneint.

7.

    1. In der Beschwerde wird gerügt, das SEM habe nicht das korrekte Vorgehen befolgt, welches ihm das Bundesverwaltungsgericht für Praxisänderungen in einem Grundsatzurteil vorgeschrieben habe.

    2. Das Gericht hatte sich im Urteil BVGE 2010/54 mit der Verbindlichkeit seiner publizierten Koordinationsentscheide für das SEM befasst, wenn diese Fragen der generellen Zumutbarkeit des Vollzugs von Wegweisungen in Herkunftsländer abgewiesener Asylsuchender betreffen. Dabei wurde festgestellt, dass in diesem Kontext für die Vorinstanz rechtlich kein Raum für eine eigene Länderpraxis bestehe, die der publizierten oder auf andere Weise kommunizierten offizielle Praxis des Bundesverwaltungsgerichts widerspreche (vgl. BVGE 2010/54 E. 7 f.). Falls die Vorinstanz dem Gericht, nach einer gewissen Zeit, eine Änderung dessen Praxis beantragen wolle, stehe es ihr frei, in einzelnen Asylverfahren von der Praxis der Beschwerdeinstanz abzuweichen. Bei derartigen Verfügungen sei jedoch unter Bezugnahme auf die geltende Praxis und mit einlässlicher Begründung klarzustellen, dass es sich um so genannte Pilotverfahren handle, bei denen bewusst von der publizierten Praxis des Gerichts abgewichen werde (vgl. a.a.O. E. 9.2.1).

    3. Diese Regeln waren indessen - entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers - für das SEM bei der Praxisänderung vom Sommer 2016 nicht massgebend:

      1. Vorab ist festzuhalten, dass die vorliegend durch die Vorinstanz angepasste Praxis nicht die in BVGE 2010/54 interessierende (ausländerrechtliche) Frage der Zumutbarkeit des Vollzugs von Wegweisungen im Sinn von Art. 83 Abs. 4 AuG betraf, sondern die Voraussetzungen für die Anerkennung für Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 und Art. 54 AsylG).

      2. Die bis Mitte 2016 geübte Praxis des SEM begünstigte die Asylsuchenden und wurde deshalb in den letzten Jahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nur in wenigen Urteilen thematisiert (vgl. etwa den im Referenzurteil D-7898/2015 erwähnten Entscheid D-3892/2008 vom 6. April 2010). Die langjährige Praxis der Vorinstanz basierte aber nicht auf einem in der amtlichen Sammlung publizierten Grundsatzoder Länderurteil des Bundesverwaltungsgerichts (respektive der vormaligen Schweizerischen Asylrekurskommission, ARK); dies im entscheidenden Gegensatz zu den in BVGE 2010/54 angesprochenen Konstellationen, bei denen das damalige Bundesamt für Migration (BFM) jeweils einer durch publizierte Koordinationsentscheide definierten Praxis der Beschwerdeinstanz stillschweigend die Anwendung versagt hatte (vgl. BVGE 2010/54 E. 6.1 und 6.3).

      3. Der Begründung in der vom Beschwerdeführer angefochtenen Verfügung waren zudem auch Hinweise auf die Praxisänderung des SEM zu entnehmen (vgl. Verfügung S. 4 f.).

      4. Schliesslich war die Praxisänderung des SEM - wiederum in auffälligem Gegensatz zu dem in BVGE 2010/54 zu beurteilenden Verhalten des damaligen BFM - dem Gericht vorgängig kommuniziert und der Öffentlichkeit durch eine Medienkonferenz vom 23. Juni 2016 bekannt gemacht worden, die eine umfassende Berichterstattung in den elektronischen Medien und in der Presse zur Folge hatte (vgl. statt vieler etwa die entsprechenden Berichte in der Neuen Zürcher Zeitung und im Tagesanzeiger vom 24. Juni 2016 oder die Medienmitteilung der SFH vom 27. Juli 2016). Überdies wurde die veränderte Einschätzung der Situation in Eritrea im Beschwerdeverfahren D-7898/2015, welches zum Koordinationsurteil vom 30. Januar 2017 führte, dem Gericht in einer ausführlichen Vernehmlassung vorgelegt.

      5. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Vorgehen des SEM im Zusammenhang mit der Praxisänderung vom Sommer 2016 auch unter diesem Blickwinkel nicht zu beanstanden ist.

8.

    1. Lehnt das Staatssekretariat das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an; es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 AsylG).

    2. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 AsylG; vgl. BVGE 2013/37 E. 4.4; 2009/50 E. 9, je m.w.H.).

9.

    1. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, regelt das Staatssekretariat das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme (Art. 44 AsylG; Art. 83 Abs. 1 AuG [SR 142.20]).

    2. Nachdem das SEM in seiner Verfügung vom 22. September 2016 die vorläufige Aufnahme des Beschwerdeführers in der Schweiz angeordnet hat, erübrigen sich praxisgemäss weitere Ausführungen zur Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs. Die vorläufige Aufnahme tritt mit dem vorliegenden Entscheid formell in Kraft.

10.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die angefochtene Verfügung Bundesrecht nicht verletzt und den rechtserheblichen Sachverhalt richtig sowie vollständig feststellt (Art. 106 Abs. 1 AsylG) . Für eine Rückweisung der Sache an die Vorinstanz besteht keine Veranlassung.

Die Beschwerde ist abzuweisen.

11.

    1. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wären die Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG). Nachdem der Instruktionsrichter sein Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung gutgeheissen hatte und den Akten keine Hinweise auf eine Veränderung der finanziellen Verhältnisse zu entnehmen sind, ist von einer Kostenauflage abzusehen.

    2. Für die beantragte Parteientschädigung besteht angesichts des Unterliegens des Beschwerdeführers kein Raum (Art. 64 Abs. 1 VwVG).

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das SEM und die kantonale Migrationsbehörde.

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Markus König Martina Stark

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.