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Bundesverwaltungsgericht Urteil E-4578/2016

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-4578/2016

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-4578/2016
Datum:18.08.2016
Leitsatz/Stichwort:Asyl (ohne Wegweisungsvollzug)
Schlagwörter : Asayish; Desertion; Erstanhörung; Recht; Vorinstanz; Verfügung; Zweitanhörung; Angriff; Checkpoint; Bundesverwaltungsgericht; Person; Mitglied; Waffe; Flüchtlinge; Wehrdienstverweigerung; Syrien; Sicherheitseinheit; Kollegen; Familie; Wegweisung; Schweiz; Verfahren; Beschwerdeführers; Militärdienst; Militärbüchlein
Rechtsnorm: Art. 49 BV ;Art. 63 VwVG ;Art. 65 VwVG ;Art. 83 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Schmid, Schweizer, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxis, éd., Art. 436 StPO, 2015

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E-4578/2016

U r t e i l  v o m  1 8.  A u g u s t  2 0 1 6

Besetzung Einzelrichter David R. Wenger (Vorsitz), mit Zustimmung von Richter Gérald Bovier; Gerichtsschreiberin Eliane Kohlbrenner.

Parteien A. , geboren am ( ), B. , geboren am ( ), C. , geboren am ( ), Syrien,

alle vertreten durch MLaw Nicole Scheiber, Beschwerdeführer,

gegen

Staatssekretariat für Migration (SEM), Quellenweg 6, 3003 Bern,

Vorinstanz.

Gegenstand Asyl (ohne Wegweisungsvollzug);

Verfügung des SEM vom 16. Juni 2016 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Die Beschwerdeführer, syrische Kurden, ersuchten am 28. August 2015 im Empfangsund Verfahrenszentrum des SEM Kreuzlingen um Asyl.

  1. , geboren am ( ) (nachfolgend: Beschwerdeführer) machte anlässlich der Befragung zur Person vom 10. September 2015 (nachfolgend: Erstanhörung) im Wesentlichen geltend, er sei von Mitte 2011 bis Anfang/Mitte 2012 Mitglied der YPG/PYD gewesen. Nachdem sein Dorf D. vom IS angegriffen worden sei, habe er 20 Tage lang mit der YPG gekämpft. Danach habe er in E. bei der Sicherheitseinheit der YPG mitgeholfen. Als die Situation immer gefährlicher geworden sei, seien sie geflüchtet. Anlässlich der Anhörung vom 29. Januar 2016 (nachfolgend: Zweitanhörung) gab der Beschwerdeführer an, er sei 2011/2012 Mitglied der Asayish gewesen. Beim IS-Angriff auf D. im Jahr 2015 habe er sich als Bürger dieser Stadt zur Verteidigung seines Eigentums spontan der Asayish angeschlossen. Nach einem kurzzeitigen Aufenthalt in E. sei er wieder nach D. zurückgekehrt. Dort habe er manchmal mit der Asayish an Checkpoints zusammengearbeitet. Bei einem Angriff auf den Checkpoint seien zwei Kollegen getötet worden. Er und zwei weitere Kollegen hätten fliehen können. Auf der Flucht habe er seine Waffe weggeworfen und sich danach in F. versteckt. Von seiner Familie habe er erfahren, dass die Asayish bei ihm zu Hause gewesen sei und nach ihm gefragt habe, da er mit seiner Waffe verschwunden gewesen sei. Wer seine Waffe zurücklasse, werde als Verräter bezeichnet und verhaftet oder getötet. Daher sei er drei Tage später mit seiner Familie ausgereist.

  2. , geboren am ( ) (nachfolgend: Beschwerdeführerin), machte anlässlich der Befragung zur Person vom 10. September 2015 (nachfolgend: Erstanhörung) geltend, als der IS D. angegriffen habe, habe ihr Mann mit den Kurden gekämpft. Sie seien wegen dem IS aus Syrien geflohen. Anlässlich der Anhörung vom 29. Januar 2016 (nachfolgend: Zweitanhörung) ergänzte sie, ihr Mann werde von der Asayish gesucht, weil er nach einem Angriff auf einen Checkpoint seine Waffe weggeworfen habe.

Der Beschwerdeführer reichte Fotos von Demonstrationen aus dem Jahr 2011, der Unterstützung der YPG aus dem Jahr 2012 und von der Tätigkeit

beim Checkpoint in D.

aus dem Jahr 2015 ein. Des Weiteren

reichten die Beschwerdeführer Identitätskarten, den Eheschein und das Familienbüchlein als Beweismittel ein.

B.

Mit Verfügung vom 16. Juni 2016 stellte das SEM fest, die Beschwerdeführer erfüllten die Flüchtlingseigenschaft nicht, lehnte das Asylgesuch ab und verfügte die Wegweisung aus der Schweiz, welche aber wegen Unzumutbarkeit zu Gunsten einer vorläufigen Aufnahme aufgeschoben wurde.

C.

Am 23. Juni 2016 stellte das SEM dem Beschwerdeführer auf sein Gesuch hin die Kopie des Aktenverzeichnisses sowie der gewünschten Akten zu, soweit sie dem Akteneinsichtsrecht unterstanden.

D.

Mit Eingabe vom 25. Juli 2016 erhob der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Die Beschwerdeführer seien als Flüchtlinge anzuerkennen und es sei ihnen Asyl zu gewähren. Den Beschwerdeführern sei die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Insbesondere sei Ihnen die unterzeichnende Juristin als amtliche Rechtsbeiständin beizuordnen. Von der Erhebung eines Kostenvorschusses sei abzusehen.

Zudem reichte der Beschwerdeführer das Original seines Militärbüchleins als Beweismittel ein.

E.

Mit Schreiben vom 15. August 2016 reichte der Beschwerdeführer eine Fürsorgebestätigung ein.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

Gemäss Art. 31 VGG beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 VwVG und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls in der Regel - wie auch vorliegend - endgültig (Art. 83 Bst. d Ziff. 1 BGG; Art. 105 AsylG [SR 142.31]). Der Beschwerdeführer ist als Verfügungsadressat zur Beschwerdeführung legitimiert (Art. 48 VwVG).

2.

    1. Mit Beschwerde in Asylsachen kann die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich Missbrauch und Überschreitung des Ermessens) sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG). Im Ausländerrecht richtet sich die Kognition nach Art. 49 VwVG (vgl. BVGE 2014/26 E. 5).

    2. Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im Verfahren einzelrichterlicher Zuständigkeit mit Zustimmung eines zweiten Richters (Art. 111 Bst. E AsylG), ohne Weiterungen und mit summarischer Begründung zu behandeln (Art. 111a Abs. 1 und 2 AslyG).

    3. Nachfolgend wird hauptsächlich auf die Vorbringen des Beschwerdeführers eingegangen, da die Beschwerdeführerin und der Sohn keine eigenen asylrelevanten Vorbringen geltend machen und in der Beschwerdeschrift einzig auf die Ausführungen der Vorinstanz betreffend des Beschwerdeführers eingegangen wird.

3.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden (Art. 3 Abs. 1 AsylG). Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken (Art. 3 Abs. 2 AsylG).

    2. Keine Flüchtlinge sind Personen, die wegen Wehrdienstverweigerung oder Desertion ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden, wobei die Einhaltung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) vorbehalten bleibt (Art. 3 Abs. 3 AsylG).

4.

    1. Die Vorinstanz begründet ihren ablehnenden Entscheid damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers widersprüchlich und unglaubhaft seien. Der Beschwerdeführer habe in der Erstanhörung gesagt, er sei Mitglied der YPG gewesen und habe mit der YPG gekämpft. In der Zweitanhörung habe er behauptet, er habe sich für die Asayish engagiert und nicht für die YPG.

      Bei der Verteidigung von D. sei er als Bürger und nicht als Dienstmitglied der Asayish im Einsatz gewesen. In der Erstbefragung habe er die angebliche Desertion von der Asayish nicht erwähnt. Zudem sei es schwer vorstellbar, dass die Asayish in den Kriegswirren das Interesse und die Kapazität gehabt hätten, ihn bereits tags darauf zu Hause aufzusuchen.

    2. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe dargelegt, dass die YPG und die Asayish zur PYD gehörten und eng zusammen arbeiteten. Er sei zwar von der Asayish eingesetzt worden, habe aber im Namen der YPG gegen den IS gekämpft. Er habe nicht in einer Bürgerwehr gekämpft, sondern als aktives Mitglied der Asayish. Die Desertion habe er in der Erstanhörung nicht erwähnt, weil er mit dem Hinweis, er könne den Rest bei der Zweitanhörung erzählen, unterbrochen worden sei. Zudem macht er geltend, seine Mutter habe ihm ein Dokument zugestellt, wonach er in den Reservedienst eingeteilt worden sei und Militärdienst für die syrische Armee zu leisten hätte.

    3. Dem Beschwerdeführer ist insoweit Recht zu geben, als seine Angaben betreffend YPG respektive Asayish nicht als widersprüchlich zu werten sind. In der Erstanhörung gab er an, Mitglied der Sicherheitseinheit der YPG gewesen zu sein. Die Asayish stellt bekanntlich die Sicherheitseinheit der YPG dar. Indes kann er daraus nichts zu seinem Vorteil ableiten, da seine angebliche Desertion von der Asayish klar als Schutzbehauptung einzustufen ist. In der Erstanhörung brachte der Beschwerdeführer vor, nach dem Angriff des IS auf D. habe er 20 Tage mit der YPG gekämpft. Danach sei er nach E. gegangen und habe dort bis zur Ausreise bei der Sicherheitseinheit der YPG mitgeholfen. Erst bei der Zweitanhörung gibt er ergänzend an, dass er von E. nochmals nach D. zurückgekehrt sei und dort nach einem Angriff auf den Checkpoint, den er mit Kollegen bewacht habe, seine Waffe weggeworfen habe und geflüchtet sei. Seine Erklärung, er habe diese angebliche Desertion von der YPG respektive Asayish bei der Erstanhörung nicht erwähnt, weil diese kurz gewesen und er unterbrochen worden sei, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer wurde in der Erstanhörung zwei Mal nach den Asylgründen gefragt. Zusätzlich wurde er gefragt, was gegen eine Rückkehr nach Syrien spräche. Dennoch hat er mit keinem Wort die Desertion erwähnt. Er gab einzig an, D. sei noch immer vom IS besetzt und E. sei auch nicht mehr sicher. Es ist zu erwarten, dass er einen solch einschneidenden Vorfall wie den Angriff auf den Checkpoint mit zwei getöteten Kollegen und seiner anschliessenden Desertion erwähnen würde. Die Unglaubhaftigkeit dieses Vorbringens wird zudem durch die

      Angaben der Beschwerdeführerin verstärkt. So erwähnte sie - genau wie der Beschwerdeführer - bei der Erstbefragung die angebliche Desertion des Beschwerdeführers nicht; bei der Zweitbefragung hingegen gab sie die Desertion an. Es liegt nahe, dass sich die Beschwerdeführenden vor der Zweitanhörung hinsichtlich der Schutzbehauptung der Desertion abgesprochen haben.

    4. Der Beschwerdeführer reichte im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens sein Militärbüchlein ein und macht geltend, gemäss einem Dokument, das seine Mutter erhalten habe, sei er zum Reservedienst eingeteilt worden und müsse in den Militärdienst einrücken. Das Nichtfolgeleisten eines angeblichen Aufgebots zum Militärdienst könnte einen objektiven Nachfluchtgrund darstellen. Ein solcher ist dann gegeben, wenn äussere Umstände, auf welche die asylsuchende Person keinen Einfluss nehmen konnte, nach der Ausreise aus dem Heimatoder Herkunftsstaat zur drohenden Verfolgung führen. Vorliegend hat der Beschwerdeführer jedoch abgesehen von dem Militärbüchlein kein Dokument eingereicht, das ein angebliches Aufgebot zum Militärdienst belegen würde. Von einer Wehrdienstverweigerung kann deshalb nicht ohne Weiteres ausgegangen werden. Selbst wenn der Tatbestand der Wehrdienstverweigerung erfüllt wäre, ist auf den Grundsatzentscheid des Bundesverwaltungsgerichts BVGE 2015/3 zu verweisen. Darin wird festgehalten, dass eine Wehrdienstverweigerung oder Desertion die Flüchtlingseigenschaften nicht per se zu begründen vermögen, sondern nur dann, wenn damit eine Verfolgung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 AsylG verbunden ist. Im vorliegenden Fall entstammt der Beschwerdeführer weder einer oppositionellen Familie, noch hatte er je persönliche Probleme mit den syrischen Behörden. Es bestehen somit keinerlei Indizien dafür, dass die syrischen Sicherheitsbehörden den Beschwerdeführer als Regimegegner identifiziert hätten und er als solcher bei einer Rückkehr nach Syrien eine über die Bestrafung der Wehrdienstverweigerung hinausgehende Behandlung zu gewärtigen hätte. Angesichts dieser Überlegungen erübrigen sich Abklärungen über die Echtheit des eingereichten Militärbüchleins.

    5. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerdeführer weder asylrelevante Vorfluchtgründe noch einen objektiven Nachfluchtgrund glaubhaft machen konnten. Die Vorinstanz hat ihr Asylgesuch folglich zu Recht abgelehnt.

5.

    1. Lehnt die Vorinstanz das Asylgesuch ab oder tritt sie nicht darauf ein,

      so verfügt sie in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an (Art. 44 AsylG).

    2. Die Vorinstanz hat in der angefochtenen Verfügung vom 16. Juni 2016 die vorläufige Aufnahme der Beschwerdeführer in der Schweiz angeordnete. Demnach erübrigen sich praxisgemäss Ausführungen zur Zulässigkeit, Zumutbarkeit und Möglichkeit des Wegweisungsvollzugs.

6.

    1. Die gestellten Begehren erweisen sich als aussichtslos, weshalb das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Beiordnung einer Rechtsbeiständin ungeachtet einer allfälligen prozessualen Bedürftigkeit abzuweisen ist (Art. 65 Abs. 1 VwVG und Art. 110a Abs. 1 Bst. a AsylG).

    2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Kosten den Beschwerdeführern aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 VwVG) und auf insgesamt Fr. 600.- festzusetzen (Art. 1-3 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]). Das Gesuch um Verzicht auf die Erhebung eines Kostenvorschusses ist mit vorliegendem Urteil gegenstandslos geworden.

(Dispositiv nächste Seite)

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.

Die Verfahrenskosten von Fr. 600.- werden den Beschwerdeführern auferlegt. Dieser Betrag ist innert 30 Tagen ab Versand des Urteils zugunsten der Gerichtskasse zu überweisen.

3.

Dieses Urteil geht an die Beschwerdeführer, das SEM und die zuständige kantonale Behörde.

Der Einzelrichter: Die Gerichtsschreiberin:

David R. Wenger Eliane Kohlbrenner

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