Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-5523/2015 |
Datum: | 31.08.2016 |
Leitsatz/Stichwort: | Mehrwertsteuer |
Schlagwörter : | Steuer; MWSTG; Steuerbetrag; Recht; Betreibung; Abrechnung; Mahnung; Mehrwertsteuer; Zahlung; Verfahren; Person; Einsprache; Verfügung; Bundesverwaltungsgericht; Kommentar; Steuerbetrags; Vorinstanz; Betrag; Entscheid; Urteil; Konstellation; EIGER; Steuerforderung; GEIGER; Steuerpflicht; Semester; Ermessen; Umsatz |
Rechtsnorm: | Art. 10 MWSTG ; Art. 11 MWSTG ; Art. 112 MWSTG ; Art. 12 MWSTG ; Art. 13 BV ; Art. 14 MWSTG ; Art. 18 MWSTG ; Art. 29 BV ; Art. 30 VwVG ; Art. 34 MWSTG ; Art. 35 MWSTG ; Art. 35 VwVG ; Art. 37 MWSTG ; Art. 48 VwVG ; Art. 52 VwVG ; Art. 61 VwVG ; Art. 62 VwVG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 71 MWSTG ; Art. 72 MWSTG ; Art. 79 MWSTG ; Art. 81 MWSTG ; Art. 86 MWSTG ; Art. 87 MWSTG ; Art. 89 MWSTG ; Art. 8a KG ; Art. 92 MWSTG ; Art. 98 MWSTG ; |
Referenz BGE: | 131 II 13; 131 V 407; 133 I 201; 134 II 249; 134 V 1; 135 I 187; 136 I 229; 137 V 167; 140 II 202; 140 II 80 |
Kommentar: | Waldmann, Weissenberger, Praxis Verwaltungsverfahrensgesetz, Art. 52 VwVG, 2016 |
Abteilung I
A-5523/2015
Besetzung Richterin Salome Zimmermann (Vorsitz), Richter Daniel Riedo, Richter Michael Beusch,
Gerichtsschreiberin Monique Schnell Luchsinger.
Parteien A. ,
Beschwerdeführer,
gegen
Gegenstand Mehrwertsteuer (1. Semester 2013;
Provisorischer Steuerbetrag - Ermessenseinschätzung).
A. (nachfolgend Zahnarzt) ist mit Wirkung ab 2. Januar 2006 im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen. Die Eintragung erfolgte, weil der Zahnarzt per dato ein zahntechnisches Labor eröffnet hatte und für das Kalenderjahr 2006 einen Jahresumsatz von Fr. 100'000.- erwartete.
Mit Schreiben vom 25. August 2009 ersuchte der Zahnarzt um Löschung im Mehrwertsteuerregister, da er für die Jahre 2007 bis 2009 die Umsatzlimite von CHF 75'000.- nicht mehr erreicht habe. Mit Schreiben vom
21. September 2009 gab die Eidgenössische Steuerverwaltung (nachfolgend ESTV) dem Begehren per 31. Dezember 2009 statt.
Mit Fragebogen vom 13. November 2009 verlangte der Zahnarzt erneut die Eintragung ins Mehrwertsteuerregister per 1. November 2009, weil er einen Restaurantbetrieb eröffnet habe und mit einem Jahresumsatz von Fr. 100'000.- rechne. Gleichzeitig reichte er auch eine Unterstellungserklärung für Saldosteuersätze ein.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2009 trug die ESTV den Zahnarzt unter Bezugnahme auf die Anmeldung vom 13. November 2009 unter der bisherigen Mehrwertsteuernummer per 1. Januar 2010 wieder in das Mehrwertsteuerregister ein. Sie wies in diesem Schreiben daraufhin, dass ihr Brief vom 21. September 2009 gegenstandslos geworden sei. Zusätzlich zu den Umsätzen des Restaurants seien auch die Umsätze des zahntechnischen Labors wieder zu deklarieren.
In der Folge deklarierte der Zahnarzt für das 1. Semester 2010 für beide Betriebe zusammen einen Umsatz von Fr. 78'965.-, für das 2. Semester 2010 noch einen solchen von Fr. 17'856.30. Auf der Abrechnung strich er den Vermerk "Restaurant" handschriftlich durch. Die ESTV korrigierte bei beiden Abrechnungen die Höhe des Saldosteuersatzes auf den effektiv anwendbaren.
Im Mai 2012 teilte der Zahnarzt der ESTV mit, dass er nach einer von ihm begangenen Sachbeschädigung im (Ort) festgenommen und gravierend verletzt worden sei. Er sei zurzeit nicht in der Lage, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Gleichzeitig ersuchte er darum, die Forderungen und Rechnungen zu sistieren, bis ihm eine Schadenersatzforderung ausbezahlt worden sei. In einem weiteren Schreiben des Zahnarztes, welches vom 1. März 2012 datierte und sich an verschiedene Justizpersonen sowie an diverse Medien richtete, warf dieser den angesprochenen Justizpersonen diverse Rechtsverletzungen vor und erwähnte, dass er Konkurs angemeldet habe.
Mit Ergänzungsabrechnung vom 7. Januar 2014 forderte die ESTV für das
Semester 2013 einen provisorischen Steuerbetrag in der Höhe von Fr. 10'000.- ein, weil der Zahnarzt für die betreffende Abrechnungsperiode bis anhin keine Abrechnung eingereicht hatte.
In der Folge setze die ESTV den provisorischen Steuerbetrag von Fr. 10'000.- für das 1. Semester 2013 in Betreibung (Betreibung Nr. [ ] des Betreibungsamtes [Ort], Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014, zugestellt am 2. Mai 2014). Gegen diesen Zahlungsbefehl erhob der Zahnarzt am 5. Mai 2014 Rechtsvorschlag.
Mit Verfügung vom 22. Mai 2014 legte die ESTV in Anwendung von Art. 86 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG; SR 641.20) einen provisorischen Steuerbetrag in der Höhe von Fr. 10'000.- fest, zuzüglich Verzugszinsen zu 4% seit dem 1. September 2013. Gleichzeitig hob die ESTV den Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. ( ) des Betreibungsamtes (Ort) (Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014) auf.
Gegen diese Verfügung reichte der Zahnarzt mit Schreiben vom 2. Juni 2014 Einsprache bei der ESTV ein. Zur Begründung führte er aus, dass er seit dem Jahr 2007 in seinem zahntechnischen Labor keine mehrwertsteuerpflichtigen Umsätze mehr habe generieren können. Dies sei der ESTV rechtzeitig durch seinen Treuhänder mitgeteilt worden. Auch in den folgenden Jahren habe er die ESTV mehrfach schriftlich und mündlich auf seine äusserst aussergewöhnliche Situation aufmerksam gemacht. Falls die ESTV gewillt sei, ihn vor dem Konkurs zu bewahren, bitte er sie, auf die Mehrwertsteuerforderungen zu verzichten und alle Pfändungen und Betreibungen der letzten Jahre beim Betreibungsamt (Ort) zurückzuziehen.
Mit Einspracheentscheid vom 10. August 2015 wies die ESTV die Einsprache vom 2. Juni 2014 ab. Sie verpflichtete den Zahnarzt, für die Abrechnungsperiode des 1. Semesters 2013 (1. Januar 2013 bis 30. Juni 2013) einen provisorischen Steuerbetrag in der Höhe von Fr. 10'000.- zuzüglich Verzugszinsen zu 4% seit dem 1. September 2013 zu bezahlen. Gleichzeitig beseitigte sie den Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. ( ) des Betreibungsamtes (Ort) (Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014) im Umfang der betriebenen Forderung. Für das Einspracheverfahren wurden weder Kosten auferlegt noch eine Parteientschädigung ausgerichtet.
Die ESTV begründete ihren Einspracheentscheid im Wesentlichen damit, dass der Zahnarzt für die Abrechnungsperiode des 1. Semesters 2013 noch keine Abrechnung eingereicht habe. Seiner Darstellung sei entgegenzuhalten, dass er selber mit dem am 13. November 2009 bei der ESTV eingereichten Fragebogen schriftlich erklärt habe, seit dem 1. November 2009 mehrwertsteuerpflichtige Umsätze aus einem Restaurantbetrieb zu erzielen. Er habe denn auch bis Ende des Jahres 2010 die Mehrwertsteuerabrechnungen eingereicht und die getätigten Umsätze deklariert. In der Einsprache sei nichts vorgebracht worden, was eine Abänderung des geschuldeten Steuerbetrages notwendig erscheinen liesse. Abgesehen davon nehme er nicht wirklich Bezug auf die Verfügung vom 22. Mai 2014 und führe auch nicht konkret aus, inwiefern und weshalb diese Verfügung abgeändert werden müsse. Seine Vorbringen würden vielmehr andere Verfahren mit anderen Behörden betreffen und gäben keinen Anlass, den provisorisch bestimmten Steuerbetrag abzuändern. Auch aus den der Einsprache beigefügten Beilagen oder den sonstigen vorliegenden Akten seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, die für eine Anpassung des nach pflichtgemässem Ermessen bestimmten Steuerbetrages sprechen würden. Zudem sei der ESTV die fehlende Abrechnung bis dato nicht eingereicht worden.
Mit Eingabe vom 12. September 2015 (bereits am 10. September 2015 eingegangen) erhebt der Zahnarzt (nachfolgend auch Beschwerdeführer) gegen den Einspracheentscheid vom 10. August 2015 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Hierbei beantragt er, das zuständige Mehrwertsteueramt sei anzuweisen, die Betreibungen einzustellen und die bereits vorgenommenen Pfändungen zu annullieren.
Er begründet seine Beschwerde im Wesentlichen damit, dass er in den Jahren 2008 und 2009 in seinem Betrieb nicht mehr die für die Mehrwertsteuerpflicht relevanten Umsätze habe erarbeiten können und sich offiziell von der Mehrwertsteuer abgemeldet habe. Die Deklaration der Mehrwertsteuer für das Restaurant beruhe auf einem Versehen des Treuhänders. Der Betrieb sei nach weniger als sechs Monaten wieder eingestellt worden, weil die relevanten Umsätze nicht erreicht worden seien und weil der Geschäftsführer Fr. 20'000.- bis Fr. 30'000.- aus der Kasse gestohlen habe. Ferner führt der Beschwerdeführer aus, dass er unverschuldet in die heutige aussichtslose Lage geraten und auf finanzielle Hilfe seiner Kinder angewiesen sei.
Nach weiterer Korrespondenz bewilligte die Instruktionsrichterin mit Zwischenverfügung vom 20. Oktober 2015 für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die unentgeltliche Rechtspflege.
Mit Vernehmlassung vom 20. November 2015 beantragt die ESTV (nachfolgend auch Vorinstanz), auf die Beschwerde vom 12. September 2015 sei nicht einzutreten. Eventualiter sei die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen; unter Kostenund Entschädigungsfolge zu Lasten des Beschwerdeführers.
Die ESTV führt im Wesentlichen aus, dass im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 86 MWSTG der materielle Bestand der Steuerpflicht sowie der Umfang der Steuerforderung nicht festgesetzt und beurteilt werden könne. Der Beschwerdeführer habe es trotz mehrfacher Ermahnungen und Hinweise noch immer unterlassen, die betreffende Abrechnung nachzureichen, so auch im laufenden Verfahren vor Bundesverwaltungsgericht.
Nach erfolgter Akteneinsicht ersucht der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11. Januar 2016 um Beizug diverser Rechtsöffnungsakten aus anderen Verfahren.
Mit Replik vom 25. Januar 2016 beantragt er, auf die Mehrwertsteuerforderungen zu verzichten, die Betreibungen zu löschen und ihm eine „ungetrübte Pension“ zu ermöglichen. Ferner macht er sinngemäss geltend, er
habe offensichtlich zeitweilig unter psychischem Stress gestanden und daher die mehrwertsteuerlichen Belange vernachlässigt. Die Forderung sei uneinbringlich. Ihm seien durch manipulierte Gerichtsentscheide, falsche Anschuldigungen und willkürliche Entscheide der Behörden nicht nur die Patienten seiner Praxis genommen worden, sondern es sei ihm auch - nach über 32-jähriger unbescholtener Tätigkeit - seine Berufsbewilligung als Zahnarzt entzogen worden. Es sei nie seine Absicht gewesen, die Mehrwertsteuer nicht zu deklarieren, nicht zu bezahlen oder gar zu umgehen. Er bitte um „Entschuldigung und Vergebung“.
Mit Verfügung vom 17. März 2016 ersuchte die Instruktionsrichterin die Vorinstanz um den Nachweis, dass letztere den Beschwerdeführer gemäss Art. 86 Abs. 2 MWSTG gemahnt habe. Ferner stellte sie es der Vorinstanz frei, hierzu allfällige weiterführende Angaben zu machen.
Die Vorinstanz reichte mit Eingabe vom 1. April 2016 erneut die Ergänzungsabrechnung vom 7. Januar 2014 ein, welche sie gleichzeitig auch als Mahnung zur Zahlung betrachtet. Ferner legte sie einen EDV-Auszug vor, aus welchem sich die Daten und kurze Inhaltsangaben zu diversen Mahnhandlungen ergeben. In diesem Zusammenhang führte die Vorinstanz aus, dass der Beschwerdeführer anfangs Oktober 2013 gemahnt worden sei, die Abrechnung einzureichen. Anfangs Dezember 2013 sei gegen ihn deswegen ein Strafbescheid ergangen. Sinngemäss macht die Vorinstanz weiter geltend, der provisorisch geschuldete Steuerbetrag sei nach Art. 71 Abs. 1 MWSTG zu deklarieren und gemäss Art. 86 Abs. 1 MWSTG fällig. Ferner sei von Gesetzes wegen ab dem Verfall ein Verzugszins geschuldet. Die Mahnung diene daher nicht dazu, den Steuerpflichtigen in Verzug zu setzen, sondern es werde ihm lediglich mitgeteilt, dass er durch die Zahlung innerhalb der nächsten 20 Tage die Betreibung abwenden könne. Es sei daher zulässig, wenn im Schreiben vom 7. Januar 2014 (Ergänzungsabrechnung) der provisorisch geschuldete Betrag bestimmt und gleichzeitig zur Zahlung gemahnt werde.
Der Beschwerdeführer reichte dem Bundesverwaltungsgericht am 20. März 2016, am 28. März 2016, am 11. April 2016, am 26. Juni 2016,
am 11. Juli 2016, am 1. August 2016 sowie am 15. August 2016 diverse Eingaben und Orientierungskopien ein, welche unter anderem Anschuldigungen gegen verschiedene Gerichtsund Betreibungspersonen enthalten. Zur Eingabe der Vorinstanz vom 1. April 2016 hatte er nichts beizufügen.
Auf die weiteren Vorbringen der Parteien und die eingereichten Akten wird nachfolgend eingegangen, soweit sie für den Entscheid wesentlich sind.
Angefochten ist ein Einspracheentscheid der ESTV über einen in Betreibung gesetzten ermessensweise bestimmten provisorischen Mehrwertsteuerbetrag. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig (Art. 86 Abs. 5 MWSTG). Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 81 Abs. 1 MWSTG in Verbindung mit Art. 37 VGG).
Der Beschwerdeführer ist als Adressat der angefochtenen Verfügung zur Anfechtung derselben berechtigt und hat ein schutzwürdiges Interesse an ihrer Aufhebung oder Abänderung (Art. 48 Abs. 1 VwVG). Er hat die Beschwerde im Übrigen grundsätzlich formund fristgerecht eingereicht (Art. 50 Abs. 1 und Art. 52 Abs. 1 VwVG). Auf die Beschwerde ist daher - vorbehältlich der nachfolgenden Ausführungen (E. 1.3.4.2 und 1.3.4.3) - einzutreten.
Gemäss Art. 52 Abs. 1 VwVG hat die Beschwerdeschrift die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift des Beschwerdeführers oder seines Vertreters zu enthalten. Aus der Beschwerde muss der unmissverständliche Wille einer Person hervorgehen, als Beschwerdeführende auftreten zu wollen und die Änderung einer bestimmten, sie betreffenden und mittels Verfügung geschaffenen Rechtslage anzustreben (ANDRÉ MOSER et al., Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, 2. Aufl. 2013, N. 2.211). Die Anforderungen an die Formulierung eines Rechtsbegehrens sind im Allgemeinen nicht sehr hoch. Besonders bei Laieneingaben dürfen in sprachlicher und formeller Hinsicht keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Aus der Beschwerde muss insgesamt klar und deutlich hervorgehen, was der Beschwerdeführer verlangt und in welchen Punkten er die angefochtene Verfügung beanstandet. Ein sinngemässer Antrag, welcher sich aus dem Zusammenhang
unter Zuhilfenahme der Begründung ergibt, ist genügend (FRANK SEETHALER/FABIA PORTMANN, in: Waldmann/Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2016 [nachfolgend Praxiskommentar], Art. 52 N. 45 ff.; zum Ganzen: Urteil des BVGer A-5107/2013 vom 1. Mai 2014 E. 1.5.1).
Nach Ablauf der Beschwerdefrist können Beschwerdebegehren nicht mehr erweitert, sondern höchstens präzisiert, eingeengt oder fallengelassen werden (MOSER et al., a.a.O., N. 2.218; SEETHALER/PORTMANN, Praxiskommentar, Art. 52 N. 41 f.).
Der Beschwerdeführer kann durch das Bundesverwaltungsgericht nur Rechtsverhältnisse überprüfen bzw. beurteilen lassen, zu denen die zuständige Behörde vorgängig und verbindlich - in Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens kann deshalb nur sein, was Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens war oder bei richtiger Rechtsanwendung hätte sein sollen. Fragen, über welche die verfügende Behörde nicht entschieden hat, dürfen somit grundsätzlich im Beschwerdeverfahren nicht beurteilt werden (vgl. Urteile des BVGer A-7728/2015 vom 26. Mai 2016 E. 1.2, A-2588/2013 vom 4. Februar 2016
E. 1.3.1, C-32/2013 vom 17. August 2015 E. 3.1).
Gegenstand der vorliegenden Beschwerde ist der Einspracheentscheid vom 10. August 2015. In diesem weist die Vorinstanz vorab die Einsprache vom 2. Juni 2014 ab (Ziff. 1 des Dispositivs). Sie verpflichtet den Beschwerdeführer zur Zahlung eines provisorischen Steuerbetrages in der Höhe von Fr. 10'000.- zuzüglich Verzugszinsen (Ziff. 2 des Dispositivs). Sodann beseitigt sie den Rechtsvorschlag in der Betreibung Nr. ( ) des Betreibungsamtes (Ort) (Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014).
Mit seinem Antrag, die Betreibungen seien einzustellen, wehrt sich der Beschwerdeführer auch gegen die Betreibung, in welcher er den von der Vorinstanz beseitigten Rechtsvorschlag erhoben hat, auch wenn er dazu keine umfassende, jedoch eine rechtgenügende Begründung liefert, und er verlangt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Somit ist insoweit auf die Beschwerde einzutreten. Die Prüfung der Rechtmässigkeit des angefochtenen Entscheids umfasst auch die Prüfung der Frage nach der Rechtmässigkeit der Rechtsöffnung, vorbehältlich der nachfolgenden Einschränkungen:
Soweit der Beschwerdeführer beantragt, die Betreibungen seien einzustellen und die bereits vollzogenen Pfändungen seien zu annullieren, gilt es festzuhalten, dass vorliegend einzig die im Einspracheentscheid vom 10. August 2015 erwähnte Betreibung Nr. ( ) des Betreibungsamtes (Ort) (Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014) zu beurteilen ist. Weitere Betreibungen und Pfändungen sind nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, weshalb auf das entsprechende Begehren insoweit nicht einzutreten ist.
Soweit der Beschwerdeführer in seiner Replik vom 25. Januar 2016 schliesslich beantragt, die Betreibungen seien im Betreibungsregister zu "löschen", ist anzumerken, dass das Bundesverwaltungsgericht für die Beurteilung einer "förmlichen Löschung" nicht zuständig ist, weshalb auch auf dieses Begehen nicht einzutreten ist (vgl. Urteil des BVGer A-3942/2013 vom 6. März 2013 E. 1.2). Auch ein Antrag, wonach Dritten von der Betreibung keine Kenntnis gegeben werden solle, läge ausserhalb des Zuständigkeitsbereichs des Bundesverwaltungsgerichts, weshalb darauf ebenfalls nicht einzutreten wäre (Art. 8a Abs. 3 SchKG; Urteil des BGer 4A_440/2014 vom 27. November 2014 E. 4.2).
Auch im Umfang, in dem er mit seiner Eingabe vom 12. September 2015 grundsätzliche Einwendungen gegen den Fortbestand seiner Steuerpflicht geltend macht, wäre nicht auf die Beschwerde einzutreten; darauf ist im Rahmen der Erwägungen zurückzukommen (E. 5.4. 1).
Das Bundesverwaltungsgericht prüft die Verletzung von Bundesrecht einschliesslich der Überschreitung oder des Missbrauchs des Ermessens, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit, wenn nicht eine kantonale Behörde als Beschwerdeinstanz verfügt hat (Art. 49 VwVG). Bei zulässigerweise erfolgten Ermesseneinschätzungen ist die Kognition mit Bezug auf die Höhe des geschätzten Betrages praxisgemäss auf eine Willkürprüfung beschränkt (dazu nachfolgend E. 4.6. 3).
Der im Beschwerdeverfahren geltende Grundsatz der Rechtsanwendung von Amtes wegen verpflichtet das Bundesverwaltungsgericht, auf den festgestellten Sachverhalt jenen Rechtssatz anzuwenden, den es als den zutreffenden erachtet, und ihm jene Auslegung zu geben, von der es überzeugt ist. Dies hat zur Folge, dass das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz an die rechtliche Begründung der Begehren nicht ge-
bunden ist (vgl. Art. 62 Abs. 4 VwVG) und eine Beschwerde auch aus anderen als den geltend gemachten Gründen (teilweise) gutheissen oder den angefochtenen Entscheid im Ergebnis mit einer von der Vorinstanz abweichenden Begründung bestätigen kann (Motivsubstitution; vgl. BVGE 2007/41 E. 2 mit Hinweisen). Gestützt auf das Rügeprinzip, welches im Beschwerdeverfahren vor Bundesverwaltungsgericht in abgeschwächter Form zur Anwendung gelangt, ist das Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht gehalten, nach allen möglichen Rechtsfehlern zu suchen; für entsprechende Fehler müssen sich mindestens Anhaltspunkte aus den Parteivorbringen oder den Akten ergeben (Urteil des BVGer A-1335/2014 vom
14. Dezember 2015 E. 2.2; MOSER et al., a.a.O., N. 1.54 f.).
Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kann das Beweisverfahren geschlossen werden, wenn die noch im Raum stehenden Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen oder offensichtlich untauglich sind, etwa weil ihnen die Beweiseignung abgeht oder umgekehrt die betreffende Tatsache aus den Akten bereits genügend ersichtlich ist, oder wenn das Gericht seine Überzeugung bereits gebildet hat und annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (sog. antizipierte Beweiswürdigung; Urteil des BGer 8C_417/2011 vom 2. September 2012 E. 5.4.1; Urteil des BVGer A-253/2015 vom
14. September 2015 E. 3.3).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ergibt sich aus Art. 29 Abs. 2 BV. Er umfasst eine Anzahl verschiedener verfassungsrechtlicher Verfahrensgarantien (vgl. H ÄFELIN et al., Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Aufl. 2016, Rz. 1001 ff.). Dazu zählt auch die Pflicht der Behörde, ihren Entscheid ausreichend zu begründen (vgl. Art. 35 Abs. 1 VwVG; BGE 136 I 229 E. 5.2,
126 I 97 E. 2).
Die Begründung eines Entscheids muss so abgefasst sein, dass die betroffene Person ihn sachgerecht anfechten und auch die Rechtsmittelbehörde sich mit dem Entscheid auseinandersetzen kann. Dies ist nur möglich, wenn sich beide über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sie ihren Entscheid stützt. Sie kann sich dabei auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken. Die Gerichtspraxis verlangt nicht, dass sich eine verfügende Behörde ausdrücklich mit jeder tatbeständlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzt (BGE 141
III 28 E. 3.2.4). Erforderlich ist aber stets eine Auseinandersetzung mit dem konkret zu beurteilenden Sachverhalt. Erwägungen allgemeiner Art ohne Bezugnahme auf den Einzelfall genügen nicht (BGE 136 I 229 E. 5.2; BVGE 2010/35 E. 4.1.2; vgl. auch HÄFELIN et al., a.a.O., Rz. 1038; LORENZ
KNEUBÜHLER, Die Begründungspflicht, 1998, S. 22 ff.).
Der Gehörsanspruch ist nach feststehender Rechtsprechung formeller Natur, mit der Folge, dass seine Verletzung ungeachtet der Erfolgsaussichten der Beschwerde grundsätzlich zur Aufhebung des mit dem Verfahrensmangel behafteten Entscheids führt (vgl. statt vieler BGE 135 I 187 E. 2.2; HÄFELIN et al., a.a.O., Rz. 1039). Nach der Rechtsprechung kann eine Verletzung des Gehörsanspruchs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die unterbliebene Gewährung des rechtlichen Gehörs in einem Rechtsmittelverfahren nachgeholt wird, in dem die Beschwerdeinstanz mit der gleichen Prüfungsbefugnis entscheidet wie die untere Instanz. Die Heilung ist aber ausgeschlossen, wenn es sich um eine besonders schwerwiegende Verletzung der Parteirechte handelt, zudem darf dem Beschwerdeführer kein Nachteil erwachsen und die Heilung soll die Ausnahme bleiben (BGE 133 I 201 E. 2.2; BVGE 2008/47 E. 3.3.4; Urteil des BVGer A-2925/2010 vom
25. November 2010 E. 1.2.2.3; HÄFELIN et al., a.a.O., Rz. 1174 f.).
Der Beschwerdeführer hat zwar nicht geltend gemacht, dass die vorinstanzliche Verfügung ungenügend begründet sei. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich jedoch trotzdem mit dieser Frage befassen, wenn sich dazu Anhaltspunkte aus den Akten ergeben (E. 2. 2), was vorliegend der Fall ist.
Aus den Akten ergibt sich, dass die ESTV am 7. Januar 2014 dem Beschwerdeführer unter dem Titel „Abrechnung nicht eingereicht - der Steuerbetrag wird geschätzt“ mitgeteilt hat, er habe die Abrechnung für das
1. Semester 2013 nicht eingereicht, weshalb der geschuldete Steuerbetrag
„wie angekündigt“ geschätzt werde. Die nächste Zeile in diesem Schreiben
fett gedruckt - lautet:
„(EA-Nr. ) provisorisch bestimmter Steuerbetrag CHF 10‘000“
Weiter enthält das Schreiben den Satz: „Bezahlen Sie diesen Betrag in den nächsten 20 Tagen und vermeiden Sie damit, dass - ohne weitere Mahnung - die Betreibung gegen Sie eingeleitet wird.“ (vgl. auch Sachverhalt D).
Nachdem der entsprechende Betrag in Betreibung gesetzt worden war und der Beschwerdeführer hiergegen Rechtsvorschlag erhoben hatte, erliess die ESTV am 22. Mai 2014 eine Verfügung, mit welcher sie den provisorischen Steuerbetrag von Fr. 10‘000.- samt Verzugszinsen zu 4% seit dem
September 2013 einforderte und den Rechtsvorschlag des Beschwerdeführers beseitigte (vgl. Sachverhalt E und F). In Ziff. 4 der Begründung heisst es, „die steuerpflichtige Person hat für das 1. Semester 2013 (01.01.2013 bis 30.06.2013) keine Zahlungen geleistet und aus den Akten ergeben sich keine Hinweise, dass der provisorisch geschuldete Betrag abgeändert werden müsste“.
Im Einspracheentscheid vom 2. Juni 2014 führt die Vorinstanz unter Ziff. 6 der Begründung vorab aus, „In der Einsprache ist nichts vorgebracht worden, was eine Abänderung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrages notwendig erscheinen liesse“.
Die Überlegungen, aufgrund derer die ESTV dazu kam, die Höhe des provisorischen Steuerbetrages auf Fr. 10’000.- festzusetzen, werden somit überhaupt nicht, auch nicht kurz, genannt, weder in der Ergänzungsabrechnung bzw. Einschätzungsmitteilung vom 7. Januar 2014 noch in der Verfügung vom 22. Mai 2014 noch im angefochtenen Einspracheentscheid. Auch in der Vernehmlassung geht die ESTV mit keinem Wort auf die Betragshöhe ein, obwohl der Beschwerdeführer ausgeführt hatte (vgl. Sachverhalt G), er habe die für die Steuerpflicht relevanten Umsätze nicht erreicht. Indem er einspracheweise zudem geltend machte, er habe den Restaurantbetrieb geschlossen und in der Zahnarztpraxis seien die Patienten ausgeblieben, weshalb er kein Einkommen mehr habe generieren können (vgl. Schreiben vom 20. Mai 2014 als Beilage zur Einsprache vom 2. Juni 2014), bestritt er zumindest indirekt auch die Höhe des provisorischen Steuerbetrages. Dies hat die Vorinstanz verkannt. Sie nennt keinerlei Überlegungen, von denen sie sich leiten liess und auf welche sie ihren Entscheid stützt. Sie hat sich auch nicht auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränkt; vielmehr fehlt jegliche Begründung. Aufgrund des vollständigen Fehlens einer Begründung für die Betragshöhe ist es für das Bundesverwaltungsgericht nicht möglich, die Überlegungen der ESTV nachzuvollziehen und deren Entscheid zu überprüfen.
Auch aufgrund der Aktenlage lässt sich der geschätzte Betrag nicht nachvollziehen: Der Beschwerdeführer hatte in der Anmeldung für sein zahntechnisches Labor den Umsatz auf Fr. 100'000.- geschätzt. In der
Folge verfehlte er jedoch sein Umsatzziel mehrfach, so dass er im Herbst 2009 um Löschung im Mehrwertsteuerregister ersuchte. Diese Löschung wäre auch erfolgt, wenn der Beschwerdeführer nicht zwischenzeitlich einen Restaurantbetrieb angemeldet hätte. Für diesen schätzte der Beschwerdeführer in der Anmeldung vom 13. November 2009 den Jahresumsatz wiederum auf Fr. 100'000.-. In der Steuerperiode 2010 erzielte er für das erste Semester noch einen Umsatz von Fr. 78'965.- (Fr. 34'205.- für den 1. Saldosteuersatz [Ziff. 320]; Fr. 44'760.- für den
Saldosteuersatz [Ziff. 320]), während er für das zweite Semester 2010 lediglich noch einen einzigen Umsatz von Fr. 17'856.30 [ohne Saldosteuersatz; Ziff. 200] deklarierte. Es erscheint daher fraglich, ob die von der ESTV vorgenommene Schätzung des provisorischen Steuerbetrages auf Fr. 10'000.- für die Abrechnungsperiode des
1. Semesters 2013 sachgerecht ist. Ein provisorischer Steuerbetrag in dieser Höhe würde - in Anwendung eines Saldosteuersatzes von 5,2% - einem Semesterumsatz von rund Fr. 192'000.- entsprechen. Damit liegt die aktuelle Schätzung wohl weit ausserhalb des letzten bekannten Umsatzes für das 1. Semester 2010, ohne dass Anhaltspunkte für eine entsprechende Umsatzsteigerung ersichtlich wären.
Weil weder aus der Begründung des vorinstanzlichen Entscheids noch aus den Akten ersichtlich ist, wie die ESTV dazu kommt, den provisorischen Steuerbetrag auf Fr. 10‘000.- festzusetzen, liegt eine Verletzung der Begründungsplicht vor, die nicht geheilt werden kann. Der Entscheid ist wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (vgl. E. 2 .1 und 3.1).
Die Beschwerde erweist sich auch im Hinblick auf die Beseitigung des Rechtsvorschlags als berechtigt und die entsprechende Vollstreckungsanordnung ist aufzuheben (vgl. Entscheid des BVGer A-4463/ 2011 vom
29. November 2011 E. 4.4). Der angefochtene Einspracheentscheid ist damit vollumfänglich aufzuheben.
Anstelle eines Entscheids in der Sache selbst kann das Bundesverwaltungsgericht die Angelegenheit auch mit verbindlichen Weisungen an die Vorinstanz zurückweisen (Art. 61 Abs. 1 VwVG). Bei der Wahl zwischen diesen beiden Entscheidarten steht dem Gericht ein weiter Ermessensspielraum zu. Liegen sachliche Gründe vor, ist eine Rückweisung regelmässig mit dem Untersuchungsgrundsatz und dem Prinzip eines einfachen und raschen Verfahrens vereinbar (vgl. BGE 131 V 407 E. 2.1.1; Urteil des
BVGer A-5017/2013 vom 15. Juli 2014 E. 1.5). Eine Rückweisung rechtfertigt sich insbesondere dann, wenn die Vorinstanz den Sachverhalt unrichtig oder unvollständig abgeklärt, einen Nichteintretensentscheid gefällt und folglich keine materielle Prüfung vorgenommen hat oder das Vorliegen eines Tatbestandselements zu Unrecht verneint und die anderen Elemente deshalb gar nicht geprüft hat (statt vieler: Urteil des BVGer A-6365/2012 vom 24. September 2013 E. 1.3). Die Vorinstanz ist mit den tatsächlichen Verhältnissen besser vertraut und darum im Allgemeinen besser in der Lage, die erforderlichen Abklärungen durchzuführen. Zudem bleibt der betroffenen Partei dergestalt der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug erhalten (vgl. Urteile des BVGer A-1696/2015 vom 27. April 2016 E. 2.4, A-770/2013 vom 8. Januar 2014 E. 1.3, A-4677/2010 vom 12. Mai 2011
E. 1.3, A-7604/2008 vom 6. Februar 2010 E. 3.2).
Weil das Bundesverwaltungsgericht - wie gezeigt - mangels Begründung nicht in der Lage ist, den vorinstanzlichen Entscheid zu überprüfen, ist das Verfahren zur neuen Beurteilung und Begründung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Rahmen dieses weiteren Verfahrens hat die Vorinstanz die nachfolgenden Erwägungen zu beachten.
Per 1. Januar 2010 ist das MWSTG in Kraft getreten. Auf die zwischen 1. Januar 2001 und 31. Dezember 2009 eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse sind zwar die Bestimmungen des Mehrwertsteuergesetzes vom 2. September 1999 (aMWSTG; AS 2000 1345) und die zugehörigen Ausführungsbestimmungen weiterhin anwendbar, sofern diese Bestimmungen dem materiellen Recht zuzurechnen sind (Art. 112 Abs. 1 und 2 MWSTG). Da nachfolgend jedoch der provisorische Mehrwertsteuerbetrag für die Abrechnungsperiode 1. Semester 2013 zu beurteilen ist, findet das neue Recht uneingeschränkt Anwendung.
Der Bund erhebt eine allgemeine Verbrauchssteuer nach dem System der Netto-Allphasensteuer mit Vorsteuerabzug (Mehrwertsteuer; Art. 130 BV; Art. 1 Abs. 1 MWSTG). Art. 18 Abs. 1 MWSTG hält fest, dass der Inlandsteuer die im Inland durch steuerpflichtige Personen gegen Entgelt erbrachten Leistungen unterliegen. Diese sind steuerbar, soweit das MWSTG keine Ausnahme vorsieht.
Mehrwertsteuerpflichtig ist, wer unabhängig von Rechtsform, Zweck und Gewinnabsicht ein Unternehmen betreibt und nicht von der Steuer-
pflicht befreit ist. Ein Unternehmen betreibt, wer eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit selbständig ausübt und unter eigenem Namen nach aussen auftritt (Art. 10 Abs. 1 Bst. a und b MWSTG). Seit dem 1. Januar 2010 ist ein Steuerpflichtiger unter anderem dann von der Mehrwertsteuerpflicht befreit, wenn er im Inland innerhalb eines Jahres weniger als Fr. 100'000.- Umsatz aus steuerbaren Leistungen erzielt (Art. 10 Abs. 2 Bst. a MWSTG).
Die Steuerpflicht beginnt mit der Aufnahme der unternehmerischen Tätigkeit und endet mit der Beendigung derselben (Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 Bst. a MWSTG).
Wer ein Unternehmen betreibt und nach Art. 10 Abs. 2 oder Art. 12 Abs. 3 MWSTG von der Steuerpflicht befreit ist, hat das Recht auf die Befreiung von der Steuerpflicht zu verzichten (Art. 11 Abs. 1 MWSTG). Auf die Befreiung von der Steuerpflicht muss während mindestens einer Steuerperiode verzichtet werden (Art. 11 Abs. 2 MWSTG).
Unterschreitet der massgebende Umsatz der steuerpflichtigen Person die Umsatzgrenze nach Art. 10 Abs. 2 Bst. a oder c oder Art. 12 Abs. 3 MWSTG und ist zu erwarten, dass der massgebende Umsatz auch in der folgenden Steuerperiode nicht mehr erreicht wird, so muss sich die steuerpflichtige Person abmelden. Die Abmeldung ist auf das Ende der Steuerperiode möglich, in der der massgebende Umsatz nicht erreicht worden ist. Nichtabmeldung gilt als Verzicht auf die Befreiung von der Steuerpflicht nach Art. 11 MWSTG. Der Verzicht gilt ab Beginn der folgenden Steuerperiode (Art. 14 Abs. 5 MWSTG).
Wer als steuerpflichtige Person jährlich nicht mehr als Fr. 5,02 Mio. steuerbaren Umsatz tätigt und im gleichen Zeitraum nicht mehr als Fr. 109'000.- Mehrwertsteuer - berechnet nach dem massgebenden Saldosteuersatz - zu bezahlen hat, kann gemäss Art. 37 Abs. 1 MWSTG (in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung; für die Zeit vom 1. Januar 2010 bis 31. Dezember 2010 betrugen die entsprechenden Limiten Fr. 5 Mio. bzw. Fr. 100'000.-) nach der Saldosteuersatzmethode abrechnen. Bei Anwendung der Saldosteuersatzmethode ist die Steuerforderung durch Multiplikation des Totals aller in einer Abrechnungsperiode erzielten steuerbaren Entgelte, einschliesslich Steuer, mit dem von der ESTV bewilligten Saldosteuersatz zu ermitteln (Art. 37 Abs. 2 MWSTG). Der Saldosteuersatz
berücksichtigt die branchenübliche Vorsteuerquote (Art. 37 Abs. 3 Satz 1 MWSTG).
Die Steuer wird je Steuerperiode erhoben (Art. 34 Abs. 1 MWSTG). Als Steuerperiode gilt das Kalenderjahr (Art. 34 Abs. 2 MWSTG). Innerhalb der Steuerperiode erfolgt die Abrechnung der Steuer bei der Anwendung von Saldosteuersätzen halbjährlich (Art. 35 Abs. 1 Bst. b MWSTG).
Die Veranlagung und Entrichtung der Inlandsteuer erfolgt grundsätzlich nach dem Selbstveranlagungsprinzip. Der Steuerpflichtige stellt dabei eigenständig fest, ob er die Voraussetzungen der subjektiven Steuerpflicht (Art. 10 und Art. 66 MWSTG) erfüllt, ermittelt die Steuerforderung selber (Art. 71 MWSTG) und begleicht diese innerhalb von 60 Tagen nach Ablauf der Abrechnungsperiode (Art. 86 Abs. 1 MWSTG). Das Selbstveranlagungsprinzip wurde per 1. Januar 2010 zwar leicht gelockert (BGE 140 II 202 E. 5.4; Urteil des BGer 2C_678/2012 vom 17. Mai 2013 E. 2.1; Urteil des BVGer A-351/2014 vom 10. Juli 2014 E. 4.1); der Leistungserbringer ist jedoch auch unter dem neuen Recht selbst für die Feststellung der Mehrwertsteuerpflicht bzw. -forderung verantwortlich (vgl. Urteile des BGer 2C_1077/2012 vom 24. Mai 2014 E. 2.1; Urteile des BVGer A-788/2015 vom 24. Dezember 2015 E. 2.2.2, A-589/2014 vom 27. August 2014
E. 2.6.1, A-351/2014 vom 10. Juli 2014 E. 4.1, A-6198/2012 vom 3. Sep-
tember 2013 E. 2.7.1).
Mit der Erstellung des Jahresabschlusses überprüft die steuerpflichtige Person die Buchhaltung. Teil dieser Überprüfung ist die Kontrolle der gesetzeskonformen Abrechnung der Mehrwertsteuer (B ÉATRICE BLUM, in: Geiger/Schluckebier [Hrsg.], MWSTG Orell Füssli Kommentar, 2012 [nachfolgend OFK], Art. 72 N. 7 mit Hinweis). Um dies sicherzustellen, verlangt der Gesetzgeber die Erstellung einer Mehrwertsteuerabrechnung für die Steuerperiode, eine Umsatzabstimmung und gegebenenfalls eine Vorsteuerabstimmung sowie weitere Unterlagen. Diese Kontrollarbeiten werden als sog. Finalisierung bezeichnet (BLUM, OFK, Art. 72 N. 7 mit zahlreichen Hinweisen). Allfällige hierbei festgestellte Mängel sind innerhalb eines halben Jahres zu korrigieren (vgl. Art. 72 Abs. 1 MWSTG; FELIX GEIGER, in: Zweifel/Beusch/Glauser/Robinson [Hrsg.], Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, 2015 [nachfolgend Kommentar MWSTG], Art. 86 N. 6; ALOIS CAMENZIND et al., Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz (MWSTG), 3. Aufl. 2012 [nachfolgend Handbuch MWSTG], N. 2335). Damit ist bei Ablauf der
Zahlungsfrist von Art. 86 Abs. 1 MWSTG die Steuerschuld (für die Steuerperiode und damit für das ganze Jahr) noch nicht endgültig bestimmbar (vgl. GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 6).
4.3.1 Der erwähnte Gesetzesartikel unterscheidet zwei Konstellationen (CAMENZIND et al., Handbuch MWSTG, N. 2337 und 2340 sowie Grafik auf
S. 869; GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 5 mit Hinweis; MOLLARD et al., Traité TVA, 2009, S. 1199, N. 492; GUIDO MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 24
ff.; MARLISE RÜEGSEGGER, Ausgewählte Aspekte des neuen Verfahrensrechts, Archiv für Schweizerisches Abgaberecht [ASA] 17 S. 85 ff., Grafik
S. 95), die sich hinsichtlich Voraussetzungen, Verfahrensschritten durch die ESTV und Rechtsmittelverfahren unterscheiden. In der ersten Konstellation reicht die steuerpflichtige Person zwar die Abrechnung ein, erbringt aber keine oder eine offensichtlich ungenügende Zahlung. Dann setzt die ESTV nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 MWSTG den für die jeweilige Abrechnungsperiode provisorisch geschuldeten Steuerbetrag (zu dessen Finalisierung vgl. E. 4.2. 2) nach vorgängiger Mahnung in Betreibung. In der zweiten Konstellation liegt gar keine oder eine offensichtlich ungenügende Abrechnung der steuerpflichtigen Person vor. Hier bestimmt die ESTV nach Art. 86 Abs. 2 Satz 2 MWSTG den provisorisch geschuldeten Steuerbetrag vorgängig nach pflichtgemässem Ermessen. Im Einzelnen geht die ESTV in den beiden Konstellation wie folgt vor:
Erste Konstellation : Hat die steuerpflichtige Person eine Abrechnung eingereicht, aber keine Zahlung (oder eine offensichtlich ungenügende Zahlung; zu diesem Begriff BAUMGARTNER et al., Vom alten zum neuen Mehrwertsteuergesetz, 2010, S. 355 N.135; GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 10 sowie MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 11) geleistet, hat die ESTV zunächst eine Mahnung auszusprechen („nach vorgängiger Mahnung“; BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 351, N. 129; CAMENZIND et al., Handbuch MWSTG, N. 2338; MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492) und nach
GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 9 auch eine Betreibungsandrohung. Dann leitet die ESTV die Betreibung ein. Die steuerpflichtige Person kann gegen die Betreibung Rechtsvorschlag erheben. Für dessen Beseitigung ist die ESTV selber zuständig. Sie erlässt eine entsprechende Verfügung. Nach Art. 30 Abs. 2 Bst. b VwVG ist sie nicht verpflichtet, vorgängig
das rechtliche Gehör zu gewähren, weil gegen diese Verfügung eine Einsprache zulässig ist, wobei die Einsprachefrist hier ausnahmsweise lediglich 10 Tage beträgt. Der Einspracheentscheid ist endgültig, d.h. die Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht ist nicht zulässig (Art. 86 Abs. 4 MWSTG; BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 353, N. 132; CAMENZIND et al.,
Handbuch MWSTG, N. 2339 sowie 2341; MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492).
Hat jedoch die steuerpflichtige Person gar keine Abrechnung eingereicht (oder ist die Abrechnung offensichtlich unzureichend; zu diesem Begriff vgl. G EIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 11 sowie MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 13) - d.h. in der zweiten Konstellation -, fehlt es an der Deklaration und deshalb auch an der Festlegung eines Betrages. Ein solcher muss erst noch bestimmt werden. Das Gesetz spricht davon, dass die ESTV den provisorisch geschuldeten Steuerbetrag [nicht die Steuerforderung] vorgängig nach pflichtgemässem Ermessen festsetzt. In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, ob es sich bei dieser Festsetzung um eine Ermessenseinschätzung handelt, welche in einer separaten Verfügung zu erfolgen hat (so aber MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492 [mit dem Hinweis, gegen diese Verfügung sei die Einsprache innert 30 Tagen zulässig] und wohl auch BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 352, N. 130, 132 und 138) oder ob eine gewöhnliche Einschätzungsmitteilung ohne Verfügungscharakter genügt (so CAMENZIND et al., Handbuch MWSTG, N. 2338 und 2345 sowie wohl auch MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 15) und die verfügungsweise Festsetzung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrags erst im Rechtsöffnungsverfahren erfolgt, wenn die steuerpflichtige Person Rechtsvorschlag erhoben hat (so GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 13 und wohl MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 26 und 27). Zu dieser Kontroverse vgl.
E. 4.5.2 f., zur Mahnung in dieser zweiten Konstellation vgl. E. 4.4.2.3 f.. Hat die steuerpflichtige Person Rechtsvorschlag erhoben, ist dieser auch hier durch die Steuerverwaltung mittels Verfügung zu beseitigen. In dieser Verfügung wird dann die ermessensweise Festsetzung des Steuerbetrags beurteilt und über die Beseitigung des Rechtsvorschlags entschieden (so ausdrücklich GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 16). Es gilt ebenfalls Art. 30 Abs. 2 Bst. b VwVG, d.h. die Verfügung kann ohne Gewährung des rechtlichen Gehörs erlassen werden. Auch gegen diese Verfügung ist innert der verkürzten Frist eine Einsprache zulässig und - anders als bei der ersten Konstellation - kann die steuerpflichtige Person beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einreichen. Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet endgültig (BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 353, N. 132; GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 24; MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 31).
Im Inkassoverfahren nach Art. 86 können in beiden Konstellationen (E. 4.3.1.1 und 4.3.1 .2) angesichts des provisorischen Charakters des Verfahrens sowohl im Einsprachewie auch im Beschwerdeverfahren nur beschränkt Einwände erhoben werden. Unzulässig sind sämtliche Einwendungen, welche die Steuerforderung selber - nicht den provisorischen Steuerbetrag - betreffen (Botschaft vom 25. Juni 2008 zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer, BBl 2008 6885 [nachfolgend Botschaft 2010],
7008). So kann beispielsweise nicht vorgebracht werden, es lägen von der Steuer ausgenommene Umsätze vor, es sei ein anderer Steuersatz anwendbar oder der Vorsteuerabzug sei zu Unrecht gekürzt worden. Gehört werden können hingegen Einreden gegen die Zulässigkeit des provisorischen Bezugs. Also sind insbesondere formelle Einwände gegen das Vollstreckungsverfahren und die "Rechtsöffnungsverfügung" bzw. den entsprechenden Einspracheentscheid zulässig: Vorgebracht werden kann beispielsweise, der provisorische Steuerbetrag sei bezahlt (GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 19; Botschaft 2010, S. 7008). Weiter kann die Schätzung beanstandet, d.h. die Höhe des provisorischen Steuerbetrags bestritten werden.
Nach dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 MWSTG wird das Verfahren des provisorischen Bezugs gegenüber einer „steuerpflichtigen Person“ durchgeführt. Die Frage, ob in diesem Verfahren der Einwand zulässig ist, die Steuerpflicht sei nicht gegeben, wird in der Literatur nicht behandelt. Bei ihrer Beantwortung ist zu unterscheiden:
Wenn diese Frage Gegenstand eines hängigen ordentlichen Verfahrens ist, muss dies im Verfahren des provisorischen Bezugs vorgebracht werden können. Sonst wäre es möglich, über das Verfahren des provisorischen Steuerbezugs die aufschiebende Wirkung einer Einsprache oder einer Beschwerde zu umgehen.
Ist die Frage der Steuerpflicht hingegen (noch) nicht hängig, kann sie im Verfahren nach Art. 86 Abs. 2 MWSTG nicht aufgeworfen werden, da sie mit der Steuerforderung selber im Zusammenhang steht, weil die Steuerpflicht von der Höhe des steuerbaren Umsatzes abhängt (E. 4.1.3 ff.).
Bei Art. 86 Abs. 2 - 7 MWSTG handelt es sich um eine Sicherungsmassnahme (B AUMGARTNER et al., a.a.O., S. 351 N. 129; PIRMIN BISCHOF,
Revision des MWST-Verfahrensrechts und MWST-Strafrechts in: Der Schweizer Treuhänder 2009 [heute Expert Focus], S. 493; CAMENZIND et
al., Handbuch MWSTG, N. 2335 ff.; GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86
N. 5 mit Hinweis; MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492; MÜLLER, OFK,
Art. 86 N. 6). In Fällen renitenter Steuerpflichtiger soll das der Abrechnungsperiode zeitnahe Inkassoverfahren Steuerausfälle verhindern (CAMENZIND et al., Handbuch MWSTG, N. 2335; Botschaft 2010, S. 7007; vgl. auch Amtliches Bulletin Ständerat 2009, Einführungsvotum der damaligen Ständerätin Simonetta Somaruga, S. 436). Das Vollstreckungsverfahren für den provisorisch geschuldeten Steuerbetrag berührt deshalb die Festsetzung der endgültigen Steuerforderung nicht (vgl. Art. 86 Abs. 7 MWSTG), insbesondere präjudiziert es weder den Bestand noch den Umfang der definitiven Steuerforderung für die gesamte Steuerperiode (vgl. GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 28). Art. 86 Abs. 2 MWSTG spricht denn auch lediglich vom provisorisch geschuldeten Steuerbetrag und nicht von der Steuerforderung (vgl. GEIGER , Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 2 mit Hinweisen). Vielmehr hat der Steuerpflichtige zum Ende des Geschäftsjahres gleichwohl in üblicher Weise die mehrwertsteuerliche Finalisierung vorzunehmen (vgl. E. 4.2. 2). Ein Saldo zugunsten der ESTV ist zu begleichen, während ein Überschuss zugunsten der steuerpflichtigen Person gemäss Art. 88 MWSTG zurückzuzahlen ist (GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 29; BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 355 N. 136; Bot-
schaft 2010, S. 7007 f.).
Im Resultat kommt die Bezahlung eines provisorischen Steuerbetrags einer Akontozahlung gleich. Daraus folgt, dass auf dem provisorischen Steuerbetrag selber keine (zusätzlichen) Verzugszinsen verlangt werden dürfen: Diese laufen nämlich sowohl in der ersten als auch in der zweiten Konstellation (E. 4.3.1.1 und E. 4.3.1. 2) bereits mit Bezug auf die
zwar noch nicht definitiv festgelegte, aber doch bestimmbare - Steuerforderung, denn Verzugszinsen sind nach Art. 87 Abs. 1 MWSTG ohne Mahnung ab verspäteter Zahlung geschuldet und die Zahlung ist nach Art. 86 Abs. 1 MWSTG verspätet, wenn sie nicht innert 60 Tagen nach Ablauf der Abrechnungsperiode erfolgt. Diese Folgerung wird auch dadurch untermauert, dass Art. 86 Abs. 2 MWSTG, wie in E. 4.3.3 erwähnt, nicht von Steuerforderung spricht, sondern lediglich von Steuerbetrag. Zinsen können begriffsnotwendig nur auf einer Forderung entstehen, nicht aber auf einem blossen Betrag.
Hat die steuerpflichtige Person bislang keine Mehrwertsteuerabrechnung eingereicht, kann sie dies während des gesamten Verfahrens, mithin auch noch vor Bundesverwaltungsgericht, nachholen (ähnlich GEIGER,
Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 20 und N. 23). Diesfalls wird der provisorische Steuerbetrag dem gemäss der Abrechnung geschuldeten Steuerbetrag angepasst, soweit die Abrechnung nicht offensichtlich ungenügend ist (Botschaft 2010, S. 7007). Weist die steuerpflichtige Person nach, dass sie den provisorischen Steuerbetrag inzwischen bezahlt hat, ist die Betreibung einzustellen (Botschaft 2010, S. 7008).
E. 4.3.1 .2) eine Mahnung erforderlich ist. Hierzu ist Art. 86 Abs. 2 MWSTG auszulegen.
18. Juni 2004 über die Sammlungen des Bundesrechts und das Bundesblatt [PublG; SR 170.512] sowie BGE 134 V 1 E. 6.1). Der Wortlaut kann jedoch nicht allein massgebend sein. Von ihm kann abgewichen werden, wenn triftige Gründe für die Annahme bestehen, dass er nicht den wahren Sinn der Vorschrift wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus Sinn und Zweck der Norm oder aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen ergeben (BGE 140 II 80
E. 2.5.3, 136 III 373 E. 2.3). Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets von einem Methodenpluralismus leiten lassen (statt vieler: BGE 131 II 13 E. 7.1, mit Hinweisen; vgl. auch [allgemein] THOMAS GÄCHTER, Rechtsmissbrauch im öffentlichen Recht, 2005, S. 69 ff., S. 254 ff.; [steuerrechtsspezifisch] PETER LOCHER, Rechtsmissbrauchsüberlegungen im Recht der direkten Steuern der Schweiz, in: ASA 75 682). Es sollen alle jene Methoden kombiniert werden, die für den konkreten Fall im Hinblick auf ein vernünftiges und praktikables Ergebnis am meisten Überzeugungskraft haben. Sind mehrere Lösungen denkbar, ist jene zu wählen, die der Verfassung entspricht (statt vieler: BGE 134 II 249 E. 2.3; BVGE 2007/41 E. 4.2).
Gesetzesmaterialien können insbesondere, wenn eine Bestimmung unklar ist oder verschiedene, einander widersprechende Auslegungen zulässt, ein wertvolles Hilfsmittel bilden, um den Normsinn zu erkennen und damit unrichtige Auslegungen zu vermeiden. Nicht dienlich als Auslegungshilfe sind die Materialien, wenn sie keine klare Antwort geben. Zwar darf der Wille des historischen Gesetzgebers namentlich bei relativ jungen Gesetzen
nicht übergangen werden (MICHAEL BEUSCH, Kommentar MWSTG, Auslegung, N. 18), hat dieser Wille aber keinen Niederschlag im Gesetzestext gefunden, ist er für die Auslegung nicht massgebend (vgl. BGE 137 V 167
E. 3.2 mit Rechtsprechungshinweisen; zum Ganzen: Urteil des BVGer A-5099/2015 vom 20. Januar 2016 E. 1.5).
Nach dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 Satz 1 MWSTG erfolgt die Betreibung nach vorgängiger Mahnung. Aus der absoluten Formulierung ergibt sich, dass in der ersten Konstellation (E.4.3.1. 1) eine Mahnung zwingend ist.
Im Satz 2 derselben Bestimmung, welcher die zweite Konstellation (E. 4.3.1. 2) betrifft, jene der u.a. fehlenden Mehrwertsteuerabrechnung, ist die Mahnung nicht erwähnt. Dieser Satz befasst sich jedoch nicht mit der Zahlung, sondern mit der Festlegung des provisorischen Steuerbetrags. Da aber auch diese zweite Konstellation in Abs. 2 von Art. 86 MWSTG und nicht in einem separaten Absatz geregelt wird und ebenfalls keine Zahlung erfolgt ist, ist aus dieser Systematik heraus zu folgern, dass auch bei ihr vor der Einleitung der Betreibung eine Mahnung erforderlich ist (vgl. auch GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 13).
Diese Folgerung wird aufgrund der historischen Auslegung bestätigt: Die in Art. 86 Abs. 2 MWSTG statuierte Mahnung war im bundesrätlichen Vorentwurf noch nicht vorgesehen. Die Wirtschaftsund Abgabenkommission des Nationalrates (WAK-N) schlug jedoch in der Folge vor, dass die ESTV, wenn die steuerpflichtige Person die Steuer nicht fristgerecht begleiche, nach erfolgter Mahnung die Bezahlung des abgerechneten Steuerbetrages verfüge. Die Wirtschaftsund Abgabenkommission des Ständerates (WAK-S) erarbeitete einen weiteren Vorschlag, welcher das Mahnerfordernis aufnahm, die verfügungsweise Festsetzung des eingeforderten Betrages indes erst nach der Einleitung der Betreibung vorsah (vgl. Gesetzesfahne des Ständerates Sommersession 2009 Geschäft 08.053 Vereinfachung der Mehrwertsteuer, im E-Kommentar zum Schweizer Mehrwertsteuerrecht - MWSTG 2010 unter www.mwstnetzwerk.co m, besucht am 31. August 2016). Die damalige Ständerätin Simonetta Somaruga hatte hierzu im Ständerat ausgeführt, die Inkassomassnahmen würden ausschliesslich steuerpflichtige Personen betreffen, die ihren Pflichten auch nach erfolgter Mahnung nicht nachkommen würden (Amtliches Bulletin Ständerat 2009
S. 436). Dieser Vorschlag der WAK-S wurde im Rat ohne weitere
Diskussion angenommen. Damit lässt sich aus den Materialien schliessen, dass eine Mahnung in beiden Konstellationen erforderlich ist.
Aus dem Wortlaut von Art. 86 Abs. 2 Satz 1 MWSTG ergibt sich weiter, dass die dort vorgesehene Mahnung vorgängig zur Betreibung zu erfolgen hat. Gemäss Satz 2 derselben Bestimmung hat bei fehlender Abrechnung die ESTV den provisorisch geschuldeten Betrag vorgängig nach pflichtgemässem Ermessen zu bestimmen; worauf sich „vorgängig“ hier bezieht, ist jedoch nicht von vornherein klar. Da Satz 1 - wie eben festgestellt - für beide Konstellationen gilt, ergibt eine systematische Auslegung, dass in einem ersten Schritt („vorgängig“ zur Mahnung nach Satz 1) der provisorische Steuerbetrag bestimmt und in einem zweiten Schritt („vorgängig“ zur Betreibung) eine Mahnung erfolgen muss. Dies erweist sich auch insoweit als zwingend, als bei fehlender Abrechnung vorerst bezüglich des Betrags, der eingetrieben werden soll, eine Grundlage geschaffen werden muss, ehe ein Zahlungsbefehl ergehen kann (vgl. auch GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 12 mit Hinweis), dies deshalb, weil im nachfolgenden Betreibungsbegehren der Betrag zu beziffern ist (vgl. Art. 67 Abs. 1 Ziff. 3 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG, SR. 281.1). Damit ergibt sich auch aus diesen Überlegungen, dass bei fehlender Mehrwertsteuerabrechnung die ESTV in einem ersten Schritt den provisorischen Steuerbetrag zu schätzen hat und in einem zweiten Schritt diesen Betrag aber auch mahnen muss.
Damit ist auch klargestellt, was Inhalt dieser Mahnung ist. Weil die Mahnung im 1. Satz geregelt ist und sich auf die ausstehende Zahlung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrags bezieht, geht die Mahnung inhaltlich auch in der zweiten Konstellation auf Zahlung des provisorischen Steuerbetrags. Sie wird deshalb nachfolgend als „Zahlungsmahnung“ bezeichnet.
Anderer Meinung ist GEIGER (Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 13 mit Hinweisen). Nach ihm hat die Mahnung in der zweiten Konstellation einzig und allein zum Zweck, den Steuerpflichtigen an seine Abrechnungspflichten zu erinnern (nachfolgend „Mahnung auf Abrechnung“). Erst nach erfolgloser Mahnung habe die ESTV den provisorisch geschuldeten Betrag festzusetzen. Dieser Lehrmeinung ist entgegenzuhalten, dass das MWSTG keine Mahnpflicht der Steuerverwaltung für die Einreichung der Abrechnung kennt. Vielmehr ist in Art. 71 Abs. 1 MWSTG ausdrücklich festgehalten, dass die steuerpflichtige Person unaufgefordert innert 60 Tagen nach Ablauf der
Abrechnungsperiode abzurechnen habe. Es wäre widersinnig, bei provisorischer Bestimmung des Steuerbetrages bezüglich des Einreichens der Abrechnung doch wieder eine Mahnung vorzusehen. Auch diese systematische Überlegung spricht dafür, dass die in Art. 86 Abs. 2 Satz 1 MWSTG vorgesehene Mahnung in beiden Konstellationen lediglich auf Zahlung geht. Richtig ist zwar, dass nach Art. 98 Bst. b MWSTG mit Busse bestraft wird, wer trotz Mahnung seine Steuerabrechnung nicht einreicht. In Art. 86 Abs. 2 Satz 2 MWSTG eine Koordination mit dieser Bestimmung zu sehen (so wohl BISCHOF, a.a.O., S. 496 und Anm. 17), geht jedoch zu weit.
Die Zahlungsmahnung hat jedoch keine unmittelbaren Rechtswirkungen auf die Steuerforderung: Die Mehrwertsteuerforderung wird nach Art. 86 Abs. 1 MWSTG 60 Tage nach Ablauf der Abrechnungsperiode von Gesetzes wegen fällig. Gleichzeitig tritt, ohne dass es einer Mahnung bedarf, der Verzug ein (Art. 87 Abs. 1 MWSTG). Im Gegensatz zur Wirkung einer Mahnung im Zivilrecht, welche den Schuldnerverzug und damit die Pflicht zur Zahlung von (Verzugs)zinsen bewirkt (Art. 102 Abs. 1 und 104 des Bundesgesetzes vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Fünfter Teil: Obligationenrecht, OR, SR 220]), hat die Zahlungsmahnung nach Art. 86 Abs. 2 Satz 1 MWSTG somit keinen Einfluss auf die Forderung selber; sie ist also „nur“ eine „Zahlungserinnerung“; die Steuerforderung selber ist bereits fällig und die steuerpflichtige Person mit der Zahlung im Verzug. Im Wissen darum hat der Gesetzgeber für den Bezug des provisorischen Steuerbetrags - im Gegensatz zum bundesrätlichen Vorentwurf - „trotzdem“ eine Mahnung explizit vorgesehen (vgl. E. 4.4. 2.2). Sie soll den Steuerpflichtigen nochmals an seine Zahlungspflicht erinnern, bevor ihn die betreibungsrechtlichen Folgen seiner Säumnis treffen. Diese Rechtswohltat soll auch dem mit der Abrechnung Säumigen zu Gute kommen, zumal er mit der Mitteilung des provisorisch geschuldeten Betrages erstmals über die von der ESTV geschätzte Höhe des provisorischen Steuerbetrages informiert wird.
Demzufolge kommt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts der Lehrmeinung von RÜEGSEGGER (ASA 79 85 S. 93) der Vorrang zu. Diese Autorin geht - zwar ohne nähere Begründung - davon aus, dass die Mahnung im Sinne von Art. 86 Abs. 2 MWSTG erst erfolgt, wenn die ESTV den provisorisch geschuldeten Steuerbetrag festgesetzt hat.
Mehrwertsteuerabrechnung säumige Mehrwertsteuerpflichtige erforderlich ist und nach der ermessensweise erfolgten Bestimmung des provisorischen Steuerbetrages zu erfolgen hat. Hingegen verlangt der Gesetzestext bezüglich der Einreichung der Abrechnung keine Mahnung.
Damit stellt sich die Frage, ob die Festlegung des Steuerbetrags und die Zahlungsmahnung an die steuerpflichtige Person gleichzeitig, mittels ein und desselben Schreibens, mitgeteilt werden dürfen.
In E. 4.4.2.3 ist dargelegt worden, dass nach dem Gesetzestext von Art. 86 Abs. 2 MWSTG die Festlegung des provisorischen Steuerbetrages vorgängig zur Mahnung zu erfolgen hat. Der Absatz äussert sich aber nicht darüber, ob sich das „vorgängig“ nur auf die Festlegung des provisorischen Steuerbetrags bezieht oder auch auf die Mitteilung dieser Schätzung an die steuerpflichtige Person. Dass die Festlegung zeitlich vor deren Mitteilung an die steuerpflichtige Person zu erfolgen hat, ist selbstverständlich. Zu verlangen, dass die beiden Mitteilungen zeitlich gestaffelt erfolgen, würde nur dann Sinn ergeben, wenn gegen die Festlegung des provisorischen Betrags vorgegangen werden könnte und erst dessen endgültige Festlegung abgewartet werden müsste, bis gemahnt werden kann. Damit gilt es, zu den in E. 4.3.1.2 wiedergegebenen Lehrmeinungen zur Frage, in welcher Form der provisorische Steuerbetrag festzulegen ist, Stellung zu nehmen.
In der Literatur herrscht, wie in E. 4.3.1.2 erwähnt, keine Einigkeit darüber, ob es sich bei dieser Festsetzung um eine Ermessenseinschätzung handelt, welche in einer separaten Verfügung zu erfolgen hat (so MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492 [mit dem Hinweis, gegen diese Verfügung sei die Einsprache innert 30 Tagen zulässig] und wohl auch BAUMGARTNER et al., a.a.O., S. 352, N. 130, 132 und 138) oder ob eine gewöhnliche Einschätzungsmitteilung ohne Verfügungscharakter vorliegt (so CAMENZIND et al., Handbuch MWSTG, N. 2338 und 2345 sowie wohl auch MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 15) und die verfügungsweise Festsetzung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrags erst im Rechtsöffnungsverfahren erfolgt, wenn die steuerpflichtige Person Rechtsvorschlag erhoben hat (so GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 13 und wohl MÜLLER, OFK, Art. 86 N. 26 und 27). Aus dem Wortlaut der Bestimmung lässt sich die Frage nicht beantworten. Die Materialien liefern dazu ebenfalls keine Hinweise. In teleologischer Hinsicht ist zu berücksichtigen, dass die Festlegung des Steuerbetrags lediglich provisorischen Charakter hat und auf
die Festlegung einer Art Akontozahlung hinzielt (E. 4.3 .4). Wenn das Bundesgericht schon entschieden hat, dass es sich bei der Einschätzungsmitteilung zur Festlegung der Steuerforderung selber nicht um eine Verfügung handelt (BGE 140 II 202 E. 6.4), ist die Einschätzungsmitteilung zur Festlegung des provisorischen Steuerbetrags umso weniger eine Verfügung. Dies zeigt sich in systematischer Hinsicht darin, dass das Gesetz keinen Rechtsweg gegen diese Einschätzungsmitteilung erwähnt, während in Abs. 4 von Art. 86 MWSTG ausdrücklich von einer Verfügung gesprochen wird und die in Abs. 5 erwähnte Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht begriffsnotwendig eine Verfügung voraussetzt. Könnte bereits gegen die Festsetzung des provisorischen Steuerbetrags Einsprache und Beschwerde geführt werden, bevor die ESTV aufgrund des Rechtsvorschlages tätig wird, wäre in der gleichen Rechtsfrage zweimal Beschwerde möglich (so MOLLARD et al., a.a.O., S. 1199, N. 492), was im Widerspruch zum provisorischen Charakter der Festlegung des Steuerbetrags steht. Zudem spricht der Umstand, dass die Massnahme Sicherungscharakter hat (E. 4.3. 3) und deshalb auch kurzfristig anberaumt werden können muss, dafür, dass kein zweimaliger Rechtsschutz möglich ist.
Demzufolge ist der Auffassung von C AMENZIND et al. und MÜLLER zu folgen, wonach die verfügungsweise Festsetzung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrags erst im Rechtsöffnungsverfahren erfolgt, wenn die steuerpflichtige Person Rechtsvorschlag erhoben hat (so GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 86 N. 13 und wohl MÜLLER, OFK Art. 86
N. 26 und 27). Weil der steuerpflichtigen Person somit aus der gleichzeitigen Mitteilung von Steuerbetrag und Mahnung keine Nachteile entstehen, ist zu schliessen, dass es zulässig ist, ihr die Festsetzung des provisorischen Steuerbetrags und die Zahlungsmahnung gleichzeitig, mit einem einzigen Schreiben, mitzuteilen.
Die Schätzung gemäss Art. 86 Abs. 2 Satz 2 MWSTG hat nach pflichtgemässem Ermessen zu erfolgen (BAUMGARTNER et al, a.a.O.;
S. 351, N. 130). Dies gilt nicht nur für die ermessensweise Bestimmung des provisorischen Steuerbetrages vor Einleitung der Betreibung, sondern selbstredend auch für eine Schätzung im Rahmen der nachfolgenden "Rechtsöffnungsverfügung" bzw. in einem allfälligen Einspracheentscheid.
Bei einer Schätzung nach pflichtgemässem Ermessen, hat die Behörde diejenige Schätzungsmethode zu wählen, die den individuellen Verhältnissen im Betrieb der steuerpflichtigen Person soweit als möglich
Rechnung trägt, auf plausiblen Annahmen beruht und deren Ergebnis der wirklichen Situation möglichst nahe kommt (statt vieler: Urteil des BGer 2C_82/2014 vom 6. Juni 2014 E. 3.1 zum aMWSTG, 2C_1077/2012 vom
24. Mai 2014 E. 2.3).
Diese für die Ermesseneinschätzung bei der Mehrwertsteuer nach Art. 79 Abs. 1 MWSTG entwickelten Grundsätze können auch bei der Bestimmung des provisorischen Steuerbetrages grundsätzlich analog Anwendung finden. Allerdings gilt es zu berücksichtigen, dass eine Schätzung des provisorischen Steuerbetrages weniger genau zu sein braucht als eine Schätzung der definitiven Steuerforderung, weil es hier lediglich um die Bestimmung einer Art „Anzahlung“ auf die Steuerforderung geht und die ESTV, wenn die Mehrwertsteuerabrechnung nicht eingereicht wurde, auch nur über wenige oder gar keine Informationen verfügt. Informationen, die ihr zur Verfügung stehen, hat sie aber zu verwenden.
Das Bundesverwaltungsgericht prüft die Voraussetzungen für die Vornahme einer Schätzung uneingeschränkt. Bei der Überprüfung einer zulässigerweise erfolgten Schätzung auferlegt es sich indessen eine gewisse Zurückhaltung und setzt nur dann sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vorinstanz, wenn dieser bei der Schätzung erhebliche Ermessensfehler unterlaufen sind (vgl. zur Ermessenseinschätzung statt vieler: Urteil des BVGer A-665/2013 vom 10. Oktober 2013 E. 2.8.3 mit Hinweisen). In Umkehr der allgemeinen Beweislast ist es in der Folge am Steuerpflichtigen, den Nachweis für die Unrichtigkeit der Schätzung zu erbringen (vgl. hierzu statt vieler: Urteil des BGer 2C_970/2012 vom 1. April 2013 E. 4.2; Urteil des BVGer A-3292/2015 vom 8. Januar 2016 E. 3.5 mit weiteren Hinweisen; zur Ermessenseinschätzung bei der Einfuhrsteuer vgl. auch BVGE 2014/7 E. 3.6). Im Verfahren betreffend den provisorischen Steuerbetrag gemäss pflichtgemässem Ermessen wird der Steuerpflichtige diesen Nachweis regelmässig mittels Einreichung der Abrechnung für die betreffende Abrechnungsperiode erbringen können.
1. Semester 2013 nicht eingereicht, weshalb der geschuldete Steuerbetrag
„wie angekündigt“ geschätzt werde. Die nächste Zeile in diesem Schreiben
fett gedruckt - lautet:
„(EA-Nr. ) provisorisch bestimmter Steuerbetrag CHF 10‘000“
Weiter enthält das Schreiben den Satz: „Bezahlen Sie diesen Betrag in den nächsten 20 Tagen und vermeiden Sie damit, dass - ohne weitere Mahnung - die Betreibung gegen Sie eingeleitet wird.“
Aus seinem Titel ist zu folgern, dass es sich beim Schreiben zum einen zweifellos um die Mitteilung der Schätzung des provisorisch geschuldeten Steuerbetrags handelt; das Gleiche lässt sich auch der erwähnten fett gedruckten Zeile mit dem Betrag entnehmen. Ebenso befassen sich der zweite Satz des zweiten Absatzes, die beiden ersten Sätze des dritten Absatzes sowie der letzte Absatz mit der Schätzung.
Dass das Schreiben eine Mahnung darstellt, wie dies im Übrigen die Auffassung der ESTV ist, geht zwar weder aus seiner Überschrift hervor, noch werden die Begriffe „Mahnung“ oder „mahnen“ verwendet; der Begriff findet sich einzig in der Wendung „ohne weitere Mahnung“, worauf gleich zurückzukommen ist. Materiell enthält das Schreiben jedoch eine Zahlungsaufforderung, nämlich den Satz: „Bezahlen Sie diesen Betrag in den nächsten 20 Tagen“. Damit wird der Adressat unzweideutig aufgefordert, eine Zahlung zu leisten, d.h. es liegt eine Mahnung vor.
Der zitierte Satz enthält nun noch den Einschub „- ohne weitere Mahnung -“. Dieser Einschub macht zum einen klar, dass zwischen dem vorliegenden Schreiben und der Einleitung der Betreibung keine zusätzliche Zahlungseinladung erfolgt. Er lässt aber auch schliessen, dass nach Auffassung der ESTV mit diesem Schreiben bereits eine Mahnung erfolgt, denn sonst wäre die Formulierung „ohne Weiteres“ oder „ohne Mahnung“ verwendet worden. Mit dem Hinweis, dass vor der Betreibung bereits gemahnt wurde, kann sich die ESTV nur auf das vorliegende Schreiben beziehen, denn es ist weder aus den Akten ersichtlich, dass
zwischen ihr und dem Beschwerdeführer bereits bezüglich des zu zahlenden provisorischen Steuerbetrags korrespondiert wurde, noch wurde dies von den Parteien behauptet. Aus der gewählten Formulierung ist ersichtlich, dass die ESTV, wie sie in der Vernehmlassung ausführt, dieses Schreiben sowohl als Einschätzungsmitteilung bezüglich des provisorischen Steuerbetrags als auch als Zahlungsmahnung betrachtet. Das Bundesverwaltungsgericht teilt diese Ansicht in inhaltlicher Hinsicht, da das Schreiben sowohl die Informationen über die Festlegung des provisorischen Steuerbetrags enthält - dieser wird mittels EA-Nr. ( ) auf Fr. 10‘000.- festgelegt -, als auch die Zahlungsaufforderung - mittels des Satzes „Bezahlen Sie diesen Betrag in den nächsten 20 Tagen“. Zudem beinhaltet das Schreiben eine Betreibungsandrohung, wenn auch in einer indirekten Formulierung. Hier wird jedoch anstatt der üblichen Formulierung, dass bei Nichtbezahlen die Betreibung eingeleitet werde, der Satz verwendet „und vermeiden Sie damit, dass die Betreibung gegen Sie eingeleitet wird.“
Das von der ESTV praktizierte Verfahren genügt somit dem Mahnerfordernis (E. 4.4.2. 3). Dass die ESTV den Beschwerdeführer auch gemahnt hat, die Abrechnung einzureichen - wie sie dies in ihrer Eingabe vom 1. April 2016 darlegt -, ist vorliegend ohne Belang.
Demzufolge wären noch Bemerkungen zum geltend gemachten provisorischen Steuerbetrag anzubringen:
Vorweggenommen werden kann, dass auf dem provisorischen Steuerbetrag nach Art. 86 Abs. 2 MWSTG keine Verzugszinsen geschuldet sind (vgl. E. 4.3. 4). Demzufolge wäre Ziffer 2 des Einspracheentscheids vom
10. August 2015 insofern aufzuheben, als Verzugszinsen festgelegt werden, selbst wenn es vorliegend nicht zu der in E. 3.2.2 festgehaltenen Rückweisung gekommen wäre.
Darauf, dass die Höhe des in Betreibung gesetzten provisorischen Steuerbetrags einer Willkürprüfung wohl kaum standhalten würde, ist ebenfalls bereits eingegangen worden. (E. 4.6. 3; vgl. dazu auch Ausführungen unter E. 3.2. 2).
Was die weiteren vom Beschwerdeführer vorgebrachten Argumente anbelangt, gilt Folgendes:
Nicht weiter helfen würde dem Beschwerdeführer der Einwand, er sei für den massgeblichen Zeitraum weder für sein zahntechnisches Labor noch für seinen Restaurantbetrieb mehrwertsteuerpflichtig gewesen. Er ist nämlich unstreitig noch immer im Register der Mehrwertsteuerpflichtigen eingetragen und die Frage seiner subjektiven Steuerpflicht ist weder rechtskräftig entschieden, noch ist darüber ein Verfahren hängig. Dass er auf der Abrechnung für das 1. Semester 2010 die Bezeichnung „Restaurant“ durchgestrichen hat, stellt keine Abmeldung dar, ebenso wenig die Deklaration eines Umsatzes von weniger als Fr. 100‘000.-. Der Einwand, er sei nicht steuerpflichtig, stellt folglich einen materiellen Einwand dar, der im vorliegenden Inkassoverfahren betreffend den provisorischen Steuerbetrag nicht gehört werden kann (E. 4.3. 2).
Angesichts des vorliegenden Prozessausgangs kann von vornherein auf den beantragten Beizug weiterer Rechtsöffnungsakten in antizipierter Beweiswürdigung verzichtet werden (vgl. E. 2.3). Zudem hat es der Beschwerdeführer unterlassen darzulegen, weshalb diese Akten im vorliegenden Verfahren wesentlich sein sollen. Für das Bundesverwaltungsgericht ist auch nicht ersichtlich, was sich mit diesen Akten mit Bezug auf den vorliegend allein zu beurteilenden Einspracheentscheid vom 10. August 2015 und die Rechtsöffnung in der Betreibung Nr. ( ), des Betreibungsamtes (Ort) (Zahlungsbefehl vom 26. Februar 2014) nachweisen liesse.
Soweit der Beschwerdeführer verlangt, auf die Steuerforderung sei wegen offensichtlicher Uneinbringlichkeit zu verzichten, wäre zu berücksichtigen, dass die vermögensrechtliche Situation des Beschwerdeführers keinerlei Einfluss auf die Einforderung eines provisorischen Steuerbetrages hat. Dieser wird einzig deshalb einverlangt, weil die auf den steuerpflichtigen Umsätzen geschuldete Mehrwertsteuer vom Beschwerdeführer nicht ermittelt und deklariert worden ist. Zudem kann die ESTV nur nach Art. 89 Abs. 7 MWSTG auf den Einzug der Steuer verzichten, d.h. für eine Steuerforderung. Diese Bestimmung ist nicht auf den provisorischen Steuerbezug anwendbar (vgl. GEIGER, Kommentar MWSTG, Art. 89 N. 1). Es bleibt anzumerken, dass ein allfälliges Erlassgesuch für die definitive Steuerforderung nach Art. 92 MWSTG im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht zu prüfen wäre, da dieses voraussetzt, dass die Steuerforderung definitiv festgelegt ist (Art. 92 Abs. 1 MWSTG).
Dem Beschwerdeführer wurde mit Verfügung vom 20. Oktober 2015 die unentgeltliche Prozessführung gewährt, weshalb ihm trotz teilweisem Unterliegen (Nichteintreten auf gewisse Anträge) keine Kosten aufzuerlegen sind. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege hatte der Beschwerdeführer keinen Kostenvorschuss geleistet.
Der Vorinstanz sind keine Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 2 VwVG).
Dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer sind keine verhältnismässig hohe Kosten entstanden, weshalb ihm keine Entschädigung zuzusprechen ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 VwVG; Art. 7 ff. des Reglements vom
21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE; SR 173.320.2]).
Dieses Urteil ist endgültig (Art. 86 Abs. 5 MWSTG).
Das Dispositiv befindet sich auf der nächsten Seite.
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf eingetreten wird. Der Einspracheentscheid vom 10. August 2015 wird vollumfänglich aufgehoben. Das Verfahren wird im Sinne der Erwägungen zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Es werden keine Kosten erhoben.
Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.
Dieses Urteil geht an:
den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde)
die Vorinstanz (Ref-Nr.[ ]; Gerichtsurkunde; inkl. Kopien sämtlicher der in Sachverhalt unter O erwähnten Eingaben des Beschwerdeführers)
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Salome Zimmermann Monique Schnell Luchsinger
Versand:
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