Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung I |
Dossiernummer: | A-211/2016 |
Datum: | 07.07.2016 |
Leitsatz/Stichwort: | Amtshilfe |
Schlagwörter : | Amtshilfe; Vorinstanz; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Stuttgart; Amtshilfeersuchen; Schlussverfügung; Verfahren; Verfahrens; Behörde; Parteien; Bereich; Richter; Sinne; Verfahrens; Handlungen; Urteil; Ermittlungen; Zwischenverfügung; Unterlagen; Rückzug; Beschwerdeverfahren; BVGer; Ersuchen; Informationen; Verfahrenskosten; Höhe; Parteientschädigung |
Rechtsnorm: | Art. 115 ZG ; Art. 50 VwVG ; Art. 58 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 75 MWSTG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Abteilung I A-211/2016
Besetzung Richterin Salome Zimmermann (Vorsitz), Richter Pascal Mollard, Richter Daniel Riedo, Gerichtsschreiberin Kathrin Abegglen Zogg.
Parteien X.
vertreten durch lic. iur. Andreas Fäh, Beschwerdeführer,
gegen
Gegenstand Amtshilfeersuchen des Zollfahndungsamtes Stuttgart vom
17. April 2015.
Mit Schreiben vom 17. April 2015 ersuchte das Zollfahndungsamt Stuttgart, Dienstsitz Freiburg (ZFA Stuttgart), die Oberzolldirektion (OZD) um Amtshilfe betreffend X. bzw. die A. . Das ZFA Stuttgart erklärte, nach den Ermittlungen der deutschen Behörden bestehe der dringende Verdacht, dass X. als Mittäter am Handel mit Maschinen, die zur illegalen Herstellung von Zigaretten für den europäischen Markt verwendet würden, beteiligt sei. Durch die Herstellung und die illegale Einund Ausfuhr von unverzollten und unversteuerten Zigaretten seien Steuern in Deutschland und benachbarten Ländern in Millionenhöhe hinterzogen worden.
Mit Zwischenverfügung vom 22. April 2015 stellte die OZD fest, dass das genannte Amtshilfeersuchen die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen erfülle und dementsprechend bewilligt werde.
Am 29. April 2015 führte die Zollfahndungsstelle ( ) am Wohnund Geschäftssitz von X. in Anwesenheit eines Mitarbeiters der ZFA Stuttgart eine Hausdurchsuchung durch, wobei diverse Unterlagen als Beweismittel sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden. Am 5. Mai 2015 fand eine Einvernahme von X. zu den dem Amtshilfeersuchen zugrunde liegenden Tatvorwürfen statt.
Mit Schlussverfügung vom 23. November 2015 erkannte die OZD, dass dem Amtshilfeersuchen vom 17. April 2015 im Sinne der Erwägungen entsprochen werde und die Unterlagen gemäss Ziff. 5 der Schlussverfügung der ersuchenden Behörde zu übermitteln seien.
Dagegen liess X. (nachfolgend: Beschwerdeführer) mit Eingabe vom 11. Januar 2016 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erheben. Er beantragt, die Verfügung der OZD vom 23. November 2015 sei aufzuheben (Ziff. 1), das Amtshilfeersuchen vom 17. April 2015 sei abzulehnen (Ziff. 2), eventualiter sei das Verfahren an die Zollverwaltung zurückzuweisen (Ziff. 3); alles unter Kostenund Entschädigungsfolge.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht verlangte der Beschwerdeführer u.a. die Sistierung des Beschwerdeverfahrens. Mit Zwischenverfügung vom 14. Januar 2016 wies die Instruktionsrichterin diesen Antrag ab.
Mit Vernehmlassung vom 14. März 2016 schloss die Vorinstanz auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Mit Zwischenverfügung vom 7. April 2016 hiess die Instruktionsrichterin ein Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers vom 30. März 2016 in die Beilagen zur Vernehmlassung der Vorinstanz vollumfänglich gut.
Mit Eingabe vom 8. Juni 2016 liess der Beschwerdeführer - noch vor Ablauf der verlängerten Frist zur Einreichung einer Replik - eine Faxkopie des Schreibens des ZFA Stuttgart vom 7. Juni 2016 zugehen, wonach die deutschen Behörden aufgrund der zu erwartenden Einstellung des Strafverfahrens das Amtshilfegesuch zurückgezogen hätten.
Mit Schreiben vom 21. Juni 2016 reichte die Vorinstanz dem Bundesverwaltungsgericht das Originalschreiben des ZFA Stuttgart vom 7. Juni 2016 ein und bestätigte den Rückzug des Amtshilfeersuchens. Unter diesen Umständen erachte sie das Amtshilfeverfahren als gegenstandslos, weshalb das Beschwerdeverfahren abzuschreiben sei.
1.1 Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Beurteilung von Beschwerden gegen Schlussverfügungen der OZD betreffend Amtshilfe gestützt auf Art. 15 ff. des Abkommens vom 26. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen, die ihre finanziellen Interessen beeinträchtigen (Betrugsbekämpfungsabkommen [BBA, SR 0.351.926.81]) zuständig (Art. 31 und 33 Bst. d VGG; Art. 115i Abs. 3 ZG; dazu und zur Abgrenzung von Amtsund Rechtshilfe im Bereich des BBA ausführlich: Urteil des BVGer A-1735/2011 vom
21. Dezember 2011 E. 1.1 mit zahlreichen Hinweisen; ferner Urteil des BVGer A-1531/2015 vom 26. Juni 2015 E. 1.4 ff.). Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des VwVG, soweit das VGG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG). Der Beschwerdeführer ist als Adressat der angefochtenen Verfügung zur Beschwerdeerhebung legitimiert (Art. 48 VwVG; Art. 115i Abs. 3 ZG) und hat die Beschwerde fristund formgerecht eingereicht (Art. 50 und 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Grundlage der hier angefochtenen Schlussverfügung der OZD bildet das Amtshilfebzw. Ermittlungsersuchen der ZFA Stuttgart vom 17. April 2015, welches sich auf Art. 15 BBA stützt. Gemäss Art. 15 Abs. 1 BBA werden von der ersuchten Vertragspartei (hier: Schweiz) auf Ersuchen der ersuchenden Vertragspartei (hier: Deutschland) zweckdienliche Ermittlungen über Vorgänge oder Verhaltensweisen durchgeführt oder veranlasst, die rechtswidrige Handlungen im Sinne des BBA darstellen oder die bei der ersuchenden Behörde den begründeten Verdacht erwecken, dass solche rechtswidrige Handlungen begangen worden sind.
Im Bereich der internationalen Amtshilfe in Steuersachen hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, dass die Einstellung des im ersuchenden Staat geführten Steuerverfahrens grundsätzlich das Interesse der ersuchenden Behörde an ihrem Gesuch dahinfallen und die Amtshilfe mangels voraussichtlicher Erheblichkeit der Informationen bzw. wegen Unverhältnismässigkeit als unzulässig erscheinen lasse (vgl. Urteile des BVGer A-6099/2014 vom 27. November 2015 E. 2.7, A-7343/2014 vom 1. April 2015 E. 3, A-6600/2014 vom 20. März 2015 E. 6).
Im Gegensatz zu diversen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), welche regelmässig Rechtsgrundlage der Amtshilfe in Steuersachen bilden, erwähnt das BBA das Kriterium der voraussichtlichen Erheblichkeit der Information nicht explizit. Dennoch wird in Art. 15 Abs. 1 BBA der allgemeine Verhältnismässigkeitsgrundsatz präzisiert, indem die Amtshilfe auf „zweckdienliche“ Ermittlungen, d.h. solche die der Aufklärung und Verfolgung von rechtswidrigen Handlungen im Sinne des BBA dienen, beschränkt ist. Zudem sieht der hier anwendbare Art. 155h ZG, der das ordentliche (innerstaatliche) Verfahren der internationalen Amtshilfe im Bereich der Zölle regelt, in Abs. 2 vor, dass Informationen, Unterlagen, Gegenstände oder Vermögenswerte, die voraussichtlich nicht erheblich sind, nicht übermittelt
werden dürfen. Es besteht somit kein Grund für das Bundesverwaltungsgericht, die erwähnte Rechtsprechung nicht auch im Bereich des BBA analog heranzuziehen.
Im vorliegenden Fall ist unbestritten und durch das von der Vorinstanz eingereichte Originalschreiben der ZFA Stuttgart vom 7. Juni 2016 hinreichend belegt, dass die ersuchende Behörde ihr Amtshilfegesuch vom 17. April 2015 sowie ihr ergänzendes Ersuchen vom 11. April 2016 (welches dem Bundesverwaltungsgericht nicht vorliegt) zurückgezogen hat. Wie dem Schreiben zudem zu entnehmen ist, erfolgte der Rückzug nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft Koblenz. Dies legt zwar den Schluss nahe, dass das dem Amtshilfeersuchen zugrunde liegende Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht weiter geführt wird, vermag diesen Umstand indessen nicht rechtsgenügend zu beweisen. Ob aber das Strafverfahren letztlich eingestellt wird oder nicht, ist vorliegend nicht entscheidend. Denn indem die ZFA Stuttgart ihr Amtshilfeersuchen offiziell zurückzieht, fehlt es bereits an dem von Art. 15 Abs. 1 BBA verlangten Ersuchen. Zudem bringt die ZFA Stuttgart mit ihrem Rückzugsschreiben klar zum Ausdruck, dass sie die beantragten Ermittlungshandlungen und Informationen als nicht mehr zweckdienlich bzw. erheblich erachtet. Zusammengefasst erweist sich die von der Vorinstanz im Sinne der angefochtenen Schlussverfügung beabsichtigte Amtshilfeleistung als unzulässig.
Nach dem Gesagten darf vorliegend keine Amtshilfe geleistet werden. Die Beschwerde ist somit gutzuheissen und die angefochtene Schlussverfügung ist aufzuheben. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, die bisher noch nicht behandelten Verfahrensanträge zu prüfen.
Was die von der Vorinstanz beantragte Abschreibung des Beschwerdeverfahrens infolge Gegenstandslosigkeit betrifft, ist Folgendes anzumerken: Die Gegenstandslosigkeit des Verfahrens hätte im konkreten Fall eine verfügungsweise vollumfängliche Wiedererwägung der angefochtenen Schlussverfügung durch die Vorinstanz und deren unverzügliche Eröffnung an die Parteien und Mitteilung an die Beschwerdeinstanz vorausgesetzt (vgl. Art. 58 Abs. 1 und 2 VwVG). Dies ist vorliegend nicht geschehen. Auch hat die Vorinstanz dem Bundesverwaltungsgericht eine entsprechende Absicht nicht eindeutig kundgetan. Eine Verfahrenserledigung durch Abschreibung kommt damit nicht in Betracht.
Die Verfahrenskosten werden auf Fr. 5‘000.-- (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE; SR 173.320.2]) festgesetzt. Bei diesem Verfahrensausgang sind jedoch weder dem Beschwerdeführer noch der Vorinstanz Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 63 Abs. 1 e contrario und Abs. 2 VwVG). Dementsprechend ist dem Beschwerdeführer der einbezahlte Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 5'000.-- zurückzuerstatten.
Der obsiegende, anwaltlich vertretene Beschwerdeführer hat gemäss Art. 64 Abs. 1 und 2 VwVG i.V.m. Art. 7 ff. VGKE Anspruch auf eine Parteientschädigung. Da der Vertreter des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht keine Kostennote eingereicht hat, ist die Parteientschädigung vorliegend aufgrund der Akten praxisgemäss auf Fr. 7‘500.-- (inkl. Mehrwertsteuerzuschlag im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Bst. c VGKE) festzusetzen (vgl. Art. 14 Abs. 2 VGKE).
Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet auf dem Gebiet der internationalen Amtshilfe im Bereich der Zölle und der Mehrwertsteuer endgültig, wenn die Amtshilfe - wie vorliegend - ihre völkerrechtliche Grundlage im BBA hat (Art. 115i Abs. 3 ZG, Art. 75a Abs. 2 MWSTG i.V.m. Art. 115i Abs. 3 ZG; vgl. Botschaft StAhiG, BBl 2011 6193 ff., 6228; vgl. BEUSCH/IMSTEPF, Kommentar MWSTG, Art. 75a MWSTG, N. 5, 12 und 16).
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die angefochtene Schlussverfügung der OZD vom 23. November 2015 wird aufgehoben. Es wird keine Amtshilfe geleistet.
Es werden keine Verfahrenskosten erhoben. Der vom Beschwerdeführer geleistete Kostenvorschuss in der Höhe von Fr. 5'000.-- wird ihm zurückerstattet.
Die Vorinstanz wird verpflichtet, dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung in der Höhe von insgesamt Fr. 7‘500.-- zu bezahlen.
Dieses Urteil geht an:
den Beschwerdeführer (Gerichtsurkunde; Beilage: Kopie des Schreibens der Vorinstanz vom 21. Juni 2016 [ohne Beilage])
die Vorinstanz (Ref-Nr. ; Gerichtsurkunde)
Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:
Salome Zimmermann Kathrin Abegglen Zogg
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