Instanz: | Bundesverwaltungsgericht |
Abteilung: | Abteilung V |
Dossiernummer: | BVGE 2013/22 |
Datum: | 05.06.2013 |
Leitsatz/Stichwort: | Asyl und Wegweisung |
Schlagwörter : | Revision; Bundes; Beweis; Beweismittel; Bundesverwaltungsgericht; Verfahren; Tatsache; Sachen; Recht; Entscheid; Tatsachen; Revisionsverfahren; Urteil; Bundesverwaltungsgerichts; Revisionsgr; Wiedererwägung; Bundesgericht; Verfahrens; Praxis; Sinne; EMARK; Auslegung; Gesuchsteller; Revisionsgesuch; üher |
Rechtsnorm: | Art. 10 BV ; Art. 105 BGG ; Art. 12 BGG ; Art. 121 BGG ; Art. 12112 BGG ; Art. 123 BGG ; Art. 32 ZPO ; Art. 41 StPO ; Art. 410 StPO ; Art. 66 VwVG ; Art. 67 VwVG ; Art. 97 BGG ; |
Referenz BGE: | 101 IV 247; 107 Ia 187; 107 V 84; 108 V 170; 110 V 138; 110 V 291; 118 II 199; 118 Ia 366; 122 II 373; 123 II 511; 127 I 133; 133 IV 342; 134 III 286; 134 III 45; 134 III 47; 134 III 669; 99 V 189 |
Kommentar: | Spühler, Schweizer, Basler Kommentar Schweizerische Zivilprozessordnung, Art. 328 ZPO, 2010 |
Auszug aus dem Urteil der Abteilung V
i.S. X. gegen Bundesamt für Migration E3913/2009 vom 5. Juni 2013
Der Gesuchsteller verliess gemäss eigenen Angaben seinen angeblichen Heimatstaat Somalia am 29. Dezember 2007, worauf er am 27. Februar 2008 in der Schweiz ein Asylgesuch stellte. Dieses wurde durch das Bundesamt für Migration (BFM) mit Verfügung vom 13. Januar 2009 abgelehnt, wobei gleichzeitig die Wegweisung des Gesuchstellers aus der Schweiz und der Wegweisungsvollzug angeordnet wurden.
Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde vom 12. Februar 2009 wurde durch das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. März 2009 im Einzelrichterverfahren mit Zustimmung eines Zweitrichters letztinstanzlich abgelehnt.
Mit Eingabe seiner Rechtsvertreterin vom 17. Juni 2009 beantragte der Gesuchsteller die Revision des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. März 2009. Er beantragte insbesondere die Feststellung, dass er neue erhebliche Beweismittel im Sinne von Art. 123 Abs. 2 Bst. a des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG, SR 173.110) einbringe; es sei revisionsweise festzustellen, dass er die Flüchtlingseigenschaft erfülle und ihm Asyl zu gewähren sei. Eventualiter sei revisionsweise festzustellen, dass der Vollzug der Wegweisung unzulässig und unzumutbar sei, und in der Folge die vorläufige Aufnahme anzuordnen.
Seine Revisionseingabe stützte der Gesuchsteller unter anderem auf ein neues Beweismittel im Original (« Nationality Certificate », ausgestellt durch « The Republic of Somalia, The Transitional Federal Government, Somali Permanent Mission to the United Nations Office at Geneva and Specialized Institutions in Switzerland » in Genf), datiert vom ( ) April 2009. In diesem Dokument wird bestätigt, dass der Gesuchsteller die Staatsbürgerschaft von Somalia besitze.
Hierzu führte der Gesuchsteller insbesondere aus, im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren seien sowohl das BFM als auch das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass er kein somalischer Staatsbürger sei und seine wahre Nationalität verheimlicht habe. Die neu
beigebrachte Bestätigung der Richtigkeit der von ihm im rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren zu Protokoll gegebenen Angaben sei geeignet, dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren hätten festgestellt und bewiesen werden können, aber zu seinem Nachteil unbewiesen geblieben seien. Die Bestätigung seiner somalischen Staatsangehörigkeit vom ( ) April 2009 erschüttere die Beweisgrundlage des Urteils vom 30. März 2009 so, dass ein günstigerer Entscheid durchaus möglich sei, weshalb diesem revisionsrechtliche Erheblichkeit zukomme. Bis zum Entscheid des BFM vom 13. Januar 2009 sei dem Gesuchsteller nicht bewusst gewesen, dass die Behörden an seiner Staatsangehörigkeit Zweifel hegten. Im Weiteren habe er erst nach der Eröffnung des Urteils vom 30. März 2009 im Gespräch mit einem Mitarbeiter [der kantonalen Behörde] erfahren, dass die Vertretung der somalischen Übergangsregierung seit Kurzem (wieder) entsprechende Nationalitätsbescheinigungen ausstelle. Er habe umgehend nach seiner diesbezüglichen Kenntnisnahme die nötigen Schritte unternommen, um das « Nationality Certificate » zu erhalten. Da sein Heimatland Somalia während Jahren die elementarsten staatlichen Strukturen nicht habe aufrechterhalten können, sei diese Unkenntnis verständlich beziehungsweise entschuldbar.
Die Frage, die sich im vorliegenden Verfahren stellt - ob neu, das heisst nach dem ordentlichen Beschwerdeentscheid entstandene Beweismittel im Rahmen eines Revisionsverfahrens eingebracht werden können -, wurde innerhalb des Bundesverwaltungsgerichts als Frage von grundsätzlicher Bedeutung erkannt.
Die für das vorliegende Verfahren zuständige Abteilung V hat ein Koordinationsverfahren im Sinne von Art. 25 Abs. 2 VGG eingeleitet.
Sämtliche Abteilungen des Bundesverwaltungsgerichts haben sich als im Sinne von Art. 25 Abs. 2 VGG mitbetroffen erklärt.
Das Bundesverwaltungsgericht tritt auf das Revisionsgesuch nicht ein.
Aus den Erwägungen:
Nachdem das vom Gesuchsteller als Grundlage seines Revisionsgesuches eingereichte « Nationality Certificate » den ( ) April 2009 als Ausstellungsdatum trägt, steht fest, dass dieses Beweismittel
erst nach dem angefochtenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
30. März 2009 ausgestellt worden respektive entstanden ist.
Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Beweismittel im Rahmen eines Revisionsverfahrens vorgelegt werden kann oder ob ein solches « neu entstandenes » Beweismittel durch Art. 123 Abs. 2 Bst. a letzter Teilsatz BGG als Grundlage eines Revisionsverfahrens ausgeschlossen wird.
( ) (D)as Bundesverwaltungsgericht (hat) in dieser Fragestellung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Art. 25 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) erkannt, von welcher alle Abteilungen des Gerichts mitbetroffen sind.
Am 1. Januar 2007 ist die Bundesjustizreform in Kraft getreten. Das Bundesverwaltungsgericht hat seinen Betrieb aufgenommen, und die Abteilungen IV und V haben auf dem Gebiet des Asylrechts die Schweizerische Asylrekurskommission (ARK) als einzige gerichtliche und letztinstanzlich entscheidende Beschwerdeinstanz abgelöst. Die Organisation und die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts sind im VGG geregelt. Das VGG selbst enthält auch einige wenige Verfahrensvorschriften; ansonsten richtet sich das Verfahren nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz vom 20. Dezember 1968 (VwVG, SR 172.021), sofern das VGG nichts anderes bestimmt; vorbehalten bleiben in AsylBeschwerdeverfahren sodann verfahrensrechtliche Sondervorschriften des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) (vgl. Art. 6 AsylG). Wie bereits festgehalten, verweist das VGG betreffend die Revision von Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts auf die Bestimmungen der - ebenfalls per 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Art. 121128 BGG, wobei Art. 45 VGG diese als « sinngemäss » anwendbar erklärt.
In den nachfolgenden Erwägungen wird die Frage zu beantworten sein, wie diese sinngemässe Anwendung der revisionsrechtlichen Bestimmungen des BGG, namentlich im Asylverfahren, ausgestaltet werden muss.
Die Erwägungen skizzieren neben der Auslegung im grammatikalischen beziehungsweise historischen und teleologischen Sinn (E. 4.2 und 6) einen Überblick über die Praxis der Asylbehörden vor Inkrafttreten der Justizreform (E. 5) und stellen die Diskussionen in Doktrin und bundesgerichtlicher beziehungsweise bundesverwaltungsgerichtlicher Praxis zur altrechtlichen und neurechtlichen Gesetzesregelung dar (E. 68); im Sinne eines Exkurses wird auch die Rechtslage und Doktrin betreffend
die neu bundesrechtlich geregelten Zivilund Strafprozessordnungen beleuchtet (E. 9).
Um beurteilen zu können, ob nach dem angefochtenen (ordentlichen) Entscheid entstandene Beweismittel im Rahmen eines Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht angerufen werden können, ist zunächst auf dem Wege der Auslegung zu ermitteln, wie der Verweis des Art. 45 VGG auf die sinngemässe Anwendung der revisionsrechtlichen Bestimmungen des BGG interpretiert werden muss.
Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des wahren Sinngehaltes einer gesetzlichen Regelung. Das Bundesverwaltungsgericht schliesst sich dabei der höchstrichterlichen Auslegungsmethodik an, welche in BVGE 2009/8 eingehend dargelegt wird. Eine Gesetzesbestimmung muss in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihr zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden. Auszurichten ist die Auslegung auf die « ratio legis », die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach seinen eigenen, subjektiven Wertvorstellungen, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers aufgegeben ist. Die Auslegung des Gesetzes hat zwar nicht entscheidend historisch zu erfolgen, ist im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lässt, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten ist. Die Gesetzesauslegung hat sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstellt, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert ist die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Dabei folgt das Bundesverwaltungsgericht wie das Bundesgericht - einem pragmatischen Methodenpluralismus und lehnt es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätenordnung zu unterstellen (vgl. BVGE 2010/49 E. 9.3.1, BVGE 2009/8 E. 7.1 und BVGE 2008/9 E. 6, je m.w.H.).
Die grammatikalische Auslegung ist Ausgangspunkt jeder Auslegung. Sie stellt auf den Wortlaut einer Norm, ihren Sinn und den Sprachgebrauch ab.
Im Wortlaut von Art. 45 VGG ergeben sich in der deutschen, französischen und italienischen Fassung des Gesetzestextes keine wesentlichen Unterschiede, die näher zu untersuchen wären. Der deutsche Text von Art. 45 VGG sagt aus, dass die hier interessierenden BGGBestimmungen « sinngemäss » gelten, der französische und der italienische Text verweisen auf die analoge Anwendbarkeit der besagten BGG-Bestimmungen (« les articles [ ] s'appliquent par analogie » bzw.
« gli articoli [ ] si applicano per analogia »). Im Folgenden wird daher auf den deutschen Gesetzestext abgestellt.
Art. 45 VGG verweist hinsichtlich des Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht auf die sinngemässe Geltung beziehungsweise Anwendbarkeit der das bundesgerichtliche Verfahren beschlagenden revisionsrechtlichen Bestimmungen. Die in der vorliegenden Konstellation interessierende Regelung des BGG zur Revision (Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG) besagt:
« Die Revision kann [zudem] verlangt werden, wenn: a. in Zivilsachen und öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die ersuchende Partei nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte, unter Ausschluss der Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid entstanden sind » (französischer Text: « à l'exclusion des faits ou moyens de preuve postérieurs à l'arrêt »; respektive italienischer Text: « esclusi i fatti e i mezzi di prova posteriori alla sentenza »).
Zur systematischen Auslegung ist festzustellen, dass das Verfahren vor dem Bundesgericht regelnde BGG mit dem das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelnden VGG durch die Bestimmung von Art. 45 VGG miteinander verknüpft werden. Art. 45 VGG bestimmt, dass für Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die Art. 121128 BGG sinngemäss gelten. Der Gesetzgeber hat bewusst keine Sonderregelung für das Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgesehen, liess aber Raum für die Auslegung des Verweises von Art. 45 VGG offen. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes im Sinne einer Lücke kann keine Rede sein.
Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG schliesst sowohl im deutschsprachigen als auch im französischen und italienischen Sprachwortlaut
explizit die Tatsachen und Beweismittel, die « erst nach dem » - angefochtenen - « Entscheid entstanden sind », als Revisionsgrund aus.
Für neue Tatsachen, die nach Abschluss eines ordentlichen Asylverfahrens entstanden sind, entsprach dies der bis Ende 2006 geltenden, konstanten Praxis der Asylbehörden. Neue Tatsachen können nicht zur Revision führen, da sie nicht die ursprüngliche Fehlerhaftigkeit eines Urteils aufzuzeigen vermögen. Die Anpassung einer Verfügung an eine seit Erlass dieser Verfügung beziehungsweise seit Ergehen des Rechtsmittelentscheides veränderte Sachlage hat keinen Zusammenhang mit der formellen und materiellen Rechtskraft der damaligen Verfügung oder des damaligen Rechtsmittelentscheides, welche sich einzig auf die damals bestehende Sachund Rechtslage beziehen konnte. Macht ein Gesuchsteller geltend, die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen hätten sich seit Ergehen des Rechtsmittelentscheides nachträglich verändert, so verlangt er eine Wiedererwägung der Verfügung im Sinne der Anpassung an nachträglich eingetretene Veränderungen der Sachlage. Die Zuständigkeit zur Behandlung eines derartigen Wiedererwägungsgesuches liegt bei der zum Erlass der Verfügung zuständigen ersten Instanz (vgl. Entscheidungen und Mitteilungen der ARK [EMARK] 1995 Nr. 21 E. 1b letzter Abschnitt S. 203 f. mit weiteren Verweisen).
Es stellt sich indessen die Frage, wie Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG in Verbindung mit Art. 45 VGG weiter auszulegen ist, wenn nach Abschluss des ordentlichen Beschwerdeverfahrens neue, das heisst nach dem angefochtenen Entscheid entstandene Beweismittel, die sich auf vorbestandene Tatsachen beziehen, als Grundlage zur Einleitung eines ausserordentlichen Verfahrens um Neuüberprüfung (sei es revisionsweise oder wiedererwägungsweise Überprüfung) angerufen werden und diese inhaltlich als erheblich einzustufen sind.
In einem ersten Schritt wird im Sinne eines Überblicks im Folgenden die bis zum Inkrafttreten der Bundesjustizreform am 1. Januar 2007 geltende Praxis der Asylbehörden dargelegt und die seither praktizierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts untersucht. In einem zweiten Schritt wird im Rahmen einer weiteren, historischen beziehungsweise teleologischen Gesetzesauslegung versucht, den wahren Sinngehalt der gesetzlichen Regelungen der Art. 45 VGG und Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG zu ermitteln.
Bis zum Inkrafttreten der Totalrevision der Bundesrechtspflege am 1. Januar 2007 wurde das Revisionsverfahren in Asylsachen alleine vom VwVG geregelt (vgl. dazu ALBERTO ACHERMANN/CHRISTINA HAUSAMMANN, Handbuch des Asylverfahrens, 2. Aufl., Bern/Stuttgart 1991, S. 323 f.). Dabei hat die bis zum 31. Dezember 2006 in Asylsachen letztinstanzlich entscheidende Rechtsmittelinstanz ARK gestützt auf Art. 66 VwVG Revisionsgesuche, die sich gegen ihre Urteile richteten, behandelt.
Art. 66 VwVG lautete bis zur am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Bundesjustizreform wie folgt:
Absatz 1:
« Die Beschwerdeinstanz zieht ihren Beschwerdeentscheid von Amtes wegen oder auf Begehen einer Partei in Revision:
(Beeinflussung durch Verbrechen oder Vergehen)
(Gutheissung durch EGMR oder Ministerkomitee des Europarates)
Absatz 2:
Ausserdem zieht sie ihn auf Begehren einer Partei in Revision, wenn die Partei:
neue erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorbringt oder
(Übersehen einer aktenkundigen erheblichen Tatsache oder eines Begehrens)
(Verletzung bestimmter Verfahrensbestimmungen durch die Beschwerdeinstanz)
Absatz 3:
Gründe im Sinne von Abs. 2 gelten nicht als Revisionsgründe, wenn die Partei sie im Rahmen des Verfahrens, das dem Beschwerde-
entscheid voranging, oder auf dem Weg einer Beschwerde, die ihr gegen den Beschwerdeentscheid zustand, geltend machen konnte. »
Art. 66 VwVG wurde im Hinblick auf die besagte Justizreform sprachlich zwar umformuliert, inhaltlich aber nicht verändert. Die seit
Januar 2007 in Kraft stehende Fassung von Art. 66 VwVG lautet:
Absatz 1:
« Die Beschwerdeinstanz zieht ihren Entscheid von Amtes wegen oder auf Begehren einer Partei in Revision, wenn ihn ein Verbrechen oder Vergehen beeinflusst hat.
Absatz 2:
Ausserdem zieht sie ihn auf Begehren einer Partei in Revision, wenn:
die Partei neue erhebliche Tatsachen oder Beweismittel vorbringt;
(Übersehen einer aktenkundigen erheblichen Tatsache oder eines Begehrens)
(Verletzung bestimmter Verfahrensgarantien)
(Feststellung des EGMR, dass EMRK verletzt worden ist) Absatz 3:
Gründe im Sinne von Absatz 2 Buchstaben ac gelten nicht als Revisionsgründe, wenn die Partei sie im Rahmen des Verfahrens, das dem Beschwerdeentscheid voranging, oder auf dem Wege einer
Beschwerde, die ihr gegen den Beschwerdeentscheid zustand, geltend machen konnte. »
Gemäss der Rechtsprechung der ARK zu Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG brauchten Beweismittel - im Gegensatz zu geltend gemachten Tatsachen - nicht notwendigerweise aus der Zeit vor dem Beschwerdeentscheid zu stammen. Revisionsweise eingereichte Beweismittel wurden dann als neu und erheblich qualifiziert, wenn sie geeignet waren, dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil des Gesuchstellers unbewiesen geblieben waren, sofern sie bei Vorliegen im ordentlichen Verfahren vermutlich zugunsten des Gesuchstellers zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Die damalige Rechtsprechung hielt explizit fest, dass Beweismittel, die dem Beweis vorbestandener Tatsachen dienen sollten, im Rahmen eines Revisionsverfahrens zuzulassen sind, selbst wenn diese Beweismittel selbst aus einem Zeitpunkt stammten, der nach dem Beschwerdeentscheid lag (vgl. dazu EMARK 2002 Nr. 13 E. 5a S. 114, EMARK 1995 Nr. 9 E. 5 S. 81, EMARK 1994 Nr. 27 E. 5c S. 199).
Die dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Konstellation, dass der Gesuchsteller einen somalischen Nationalitätenausweis als neu entstandenes Beweismittel nachreicht und damit die erhebliche Tatsache seiner somalischen Staatsangehörigkeit (welche im vorangehenden, ordentlichen Asylverfahren als nicht glaubhaft qualifiziert wurde) zu belegen versucht, wäre gemäss der vor dem 1. Januar 2007 geltenden Rechtspraxis klarerweise unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft worden.
Auch zur Problematik der Abgrenzung zwischen den Rechtsmitteln der Revision und des Wiedererwägungsgesuches hat die damalige ARK eine reichhaltige Praxis entwickelt:
Gemäss der gefestigten, langjährigen ARK-Rechtsprechung wurden Vorbringen (Tatsachen und Beweismittel), die den Rechtsmittelentscheid als von Anfang an mit Mängeln behaftet erscheinen lassen sollten, unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten, von der ARK als Revisionsinstanz, geprüft. Richteten sich die Vorbringen eines Gesuchstellers an das BFM als zuletzt materiell verfügende Behörde, hatte das BFM im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens zu prüfen, ob die geltend gemachten Tatsachen und Beweismittel - unter analoger Heranziehung der Revisionsbestimmungen von Art. 66 VwVG - eine Neubeurteilung bezüglich Asylgewährung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder Feststellung eines Wegweisungshindernisses erforderten (vgl. EMARK 1998 Nr. 8 E. 3 S. 53 ff.).
Demgegenüber wurden Vorbringen (Tatsachen und Beweismittel), wonach ein ursprünglich fehlerfreier Entscheid an nachträglich, das heisst seit Ergehen eines Rechtsmittelentscheides der ARK, eingetretene Veränderungen der Sachlage anzupassen sei, unter dem Aspekt der Wiedererwägung, allenfalls in Form eines neuen Asylgesuchs, von der zum Erlass der Verfügung zuständigen ersten Instanz (vom BFM) geprüft (vgl. zum Ganzen EMARK 1995 Nr. 21 E. 1 S. 202 ff., EMARK 1998
Nr. 1 E. 6 S. 10 ff.).
Das Asylgesetz regelt den Fall der Wiedererwägung, wenn neue, nachträglich entstandene Tatsachen betreffend die Flüchtlingseigenschaft vorgebracht werden, durch die spezialrechtliche Bestimmung von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG ausdrücklich. Wenn nachträglich erhebliche Asylgründe, die für die Flüchtlingseigenschaft bedeutsam sind, vorgetragen werden, sind diese Wiedererwägungsgründe in Form eines zweiten Asylgesuches entgegenzunehmen (vgl. dazu: EMARK 1998 Nr. 1). Die gesetzliche Regelung basiert in der zitierten Asylgesetzbestimmung darauf, dass seit dem Abschluss des ursprünglichen ordentlichen Verfahrens « in der Zwischenzeit Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen » (vgl. dazu auch: BVGE 2009/53 E. 4.2 S. 769). Vorbestandene Ereignisse, das heisst Tatsachen, die bereits vor dem ordentlichen Entscheid eingetreten sind, können demgegenüber nicht Gegenstand eines zweiten Asylgesuches im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG darstellen.
Die ARK hat sodann mit ihrem Grundsatzentscheid EMARK 1995 Nr. 9 und dem darauf beruhenden Entscheid EMARK 1998 Nr. 3 klar festgehalten, dass (selbst verspätete) Vorbringen von völkerrechtlich relevanten Wegweisungshindernissen im Rahmen eines Revisionsoder Wiedererwägungsverfahrens geprüft werden müssen. Nach dieser publizierten und langjährigen Rechtspraxis sind landesrechtliche Prozessbestimmungen völkerrechtskonform auszulegen und anzuwenden, damit sie die Durchsetzung der staatsvertraglichen Garantien von zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts wie der Refoulement-Verbote gemäss Art. 3 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, SR 0.101), Art. 3 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (FoK, SR 0.105) und Art. 33 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK, SR 0.142.30) nicht vereiteln (EMARK 1995 Nr. 9 E. 7d-7f S. 86 ff.). Was die ARK für den damals zur Diskussion stehenden Art. 66 Abs. 3 VwVG (verspätetes Vortragen von Beweismitteln im Revisionsverfahren) festgehalten hat, muss - in Fortsetzung dieser Grundsatzpraxis - bei allen landesrechtlichen Prozessvorschriften, wie auch beim vorliegend zur Diskussion stehenden Art. 45 VGG, gelten, wenn Verletzungen des Non-Refoulement-Gebotes gemäss Art. 3 EMRK, Art. 3 FoK und Art. 33 FK drohen.
Im Asylverfahren ist die - nach Abschluss des ordentlichen Beschwerdeverfahrens erfolgte - Nachreichung neuer Beweismittel, mit denen eine vorbestandene Tatsache bewiesen werden soll, ein nicht seltener Vorgang, nachdem die Überprüfung des Sachverhaltes zur Kognition der Beschwerdeinstanz gehört. Das Bundesverwaltungsgericht als Beschwerdeinstanz in Asylsachen stellt - mit Ausnahme von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 letzter Teilsatz BGG - die erste und einzige Rechtsmittelinstanz dar, welche die korrekte Feststellung des Sachverhaltes sowie die Rechtmässigkeit und die Angemessenheit der vom BFM erlassenen Verfügungen in Asylsachen vollumfänglich überprüft (vgl. Art. 106 AsylG).
Insbesondere kommt es in der asylrechtlichen Praxis relativ häufig vor, dass nach Abschluss des ordentlichen Beschwerdeverfahrens beispielsweise Arztberichte nachgereicht werden, welche erst nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (im ordentlichen Beschwerdeverfahren) erstellt wurden und mit denen die - bisher als nicht glaubhaft gewürdigte - Tatsache eines erlittenen Übergriffes, einer Traumatisierung oder gesundheitlicher Beeinträchtigungen belegt werden. Solche Vorbringen können unter Umständen für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft respektive für die Feststellung der Unzulässigkeit (wegen drohender Foltergefahr oder einer anderweitigen Verletzung von Art. 3 EMRK) oder der Unzumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges von Relevanz sein, wobei es für verspätetes Geltendmachen gerade von Folteroder Vergewaltigungsvorbringen nachvollziehbare Gründe geben kann (vgl. EMARK 2003 Nr. 17 E. 4b S. 105 ff.; BVGE 2009/51 E. 4.2.3 mit Verweisen auf UDO RAUCHFLEISCH, Die Folter und ihre Folgen, in: ASYL 1995/1,
S. 8 ff.; WALTER KÄLIN, Grundriss des Asylverfahrens, Basel/Frankfurt a.M. 1990, S. 297).
Zu denken ist ferner an die nachträgliche Entdeckung eines vor dem ordentlichen Asylentscheid bestandenen oder eines nach einem solchen entstandenen ausländischen Gerichtsurteils, welches die im ordentlichen Asylund Beschwerdeverfahren als nicht glaubhaft gemacht gewürdigte Verfolgungssituation eines Asylsuchenden und die damit verbundene Gefahr einer Verletzung des Refoulementoder Folterverbotes als überwiegend wahrscheinlich aufzeigt.
Schliesslich beschlägt die Frage der Zulassung « neu entstandener Beweismittel » im Revisionsverfahren auch ergangene Prozessurteile des Bundesverwaltungsgerichts. Es kommt in der Praxis vor, dass nach Erlass eines formellen Urteils (bspw. eines Nichteintretensentscheides wegen verpasster Beschwerdefrist oder mangels fristgerechter Leistung des Kostenvorschusses) mit einem neuen, nach diesem Nichteintretensurteil entstandenen Beweismittel (z.B. Bestätigung der schweizerischen Post) der Nachweis dafür erbracht wird, dass zu Unrecht von einer Fristverpassung ausgegangen worden war und in der Folge der Nichteintretensentscheid zu Unrecht erging (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D8379/2010 vom 16. Februar 2011).
1. Januar 2007 in Kraft getretenen Bundesjustizreform heranzuziehen.
Ein klarer Wille des Gesetzgebers lässt sich den Gesetzesmaterialien für die vorliegend interessierende Fragestellung nicht entnehmen. Die Botschaft zur Totalrevision der Bundesrechtspflege vom
28. Februar 2001 (BBl 2001 4202 ff., nachfolgend: Botschaft) hält fest, dass das VwVG zurücktritt, soweit das VGG selber Verfahrensbestimmungen aufstellt. Das VGG tut dies insoweit, als das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht spezifische Vorschriften erfordert. Explizit werden hier genannt: die Zuständigkeit zur Instruktion, das Urteilsverfahren, die Öffentlichkeit der Parteiverhandlung und die Urteilsverkündung (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 4256 f.). Das VGG verweist jedoch, wie oben ausgeführt, auch bezüglich des Revisionsverfahrens auf das BGG und erklärt, dass die Art. 121128 BGG « sinngemäss » gelten (vgl. Art. 45 VGG). Soweit das BGG jedoch keine besonderen Bestimmungen betreffend die Revision enthält, gilt wiederum das VwVG, so namentlich für die Kosten (Art. 47 VGG [vgl. dazu Botschaft, a.a.O., S. 4396]). Bezüglich Form, Inhalt, Verbesserung und Ergänzung des Revisionsgesuches verweist das VGG ausdrücklich auf die Anwendbarkeit von Art. 67 Abs. 3 VwVG.
Derselben Botschaft ist hinsichtlich der Revisionsbestimmungen des BGG zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die « bewährten Regeln des geltenden Rechts über die Revision (Art. 136 ff. des Bundesrechtspflegegesetzes vom 16. Dezember 1943 [OG, BS 3 531, nachfolgend: OG]) ohne grosse Änderungen » übernehmen wollte. Abgesehen vom neuen Revisionsgrund der Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, wie sie heute in Art. 122 BGG geregelt ist, handle es sich bei den vorgenommenen Änderungen um « redaktionelle und systematische Modifikationen » (vgl. Botschaft, a.a.O., S. 4352).
Es gehen aus den einschlägigen Gesetzesmaterialien keine Hinweise hervor, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Justizreform eine Änderung der prozessualen Grundlagen für das neu zu schaffende Bundesverwaltungsgericht hat herbeiführen wollen. So ist den gesetzgeberischen Unterlagen explizit zu entnehmen, dass der Gesetzgeber beim klassischen Revisionsgrund der « nachträglich entdeckten Tatsachen und Beweismittel » keine materielle Änderung vornehmen wollte. Den diesbezüglichen Beratungsprotokollen des Nationalund Ständerates (Parlamentsgeschäft 01.023) ist zu entnehmen, dass im Zusammenhang mit der Frage nach den für Revisionsverfahren, die sich gegen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts richten, geltenden Bestimmungen respektive betreffend den mit Art. 45 VGG (gemäss Botschaftsentwurf des Bundesrates Art. 40 VGG) vorgenommenen Verweis auf die Revisionsbestimmungen von Art. 121128 BGG keinerlei Detailberatung stattgefunden hat (vgl. hierzu: Protokolle des Ständerates in der Herbstsession 2003 [22. September 2003] sowie die Protokolle des Nationalrates in der Herbstsession 2004 [5. und 6. Oktober 2004]). Beim hier interessierenden Art. 40 VGG (massgebliche Artikelnummerierung zum Zeitpunkt der bundesrätlichen Botschaft) werden keine Einzelvoten beziehungsweise erläuternde Erklärungen abgegeben, sondern es wird für die Art. 3843 dem Antrag der jeweiligen Kommission lautend auf Zustimmung zum Entwurf des Bundesrates gefolgt.
Die vorerwähnte Praxis der vor dem 1. Januar 2007 zuständigen ARK zur Auslegung von Art. 66 VwVG, wonach Beweismittel im Revisionsverfahren sich auf vorbestandene Tatsachen beziehen mussten, Beweismittel ihrerseits aber (auch) erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden sein durften, wurde in EMARK 1994 Nr. 27 publiziert und durch die jahrelange Praxis der ARK gefestigt und mehrfach in publizierten Entscheiden wiederholt und bekräftigt (EMARK 2002 Nr. 13 E. 5a
S. 114, EMARK 1995 Nr. 9 E. 5 S. 81). Es muss daher angenommen werden, dass diese in der Lehre nicht bestrittene Praxis dem Gesetzgeber bekannt war.
Der Gesetzgeber hatte durch den oben zitierten Verweis auf die
« bewährten Regeln des OG » mutmasslich in erster Linie das Verfahren vor dem Bundesgericht vor Augen. Der Wechsel vom damaligen Regelwerk des OG zum neuen BGG hat im hier interessierenden Zusammenhang keine massgeblichen materiellen Änderungen mit sich gezogen. Hingegen muss aufgrund der fehlenden Auseinandersetzung mit dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vermutet werden, dass
sich der Gesetzgeber nicht in vollem Umfang bewusst war, dass der
Wechsel der Verfahrensvorschriften des VwVG zum neuen BGG grössere inhaltliche, materiell-rechtliche Änderungen mit sich zog, namentlich was die Regelung des Revisionsverfahrens anbelangt.
Wenn der Gesetzgeber die oben erörterte gefestigte und publizierte Praxis der in Asylsachen letztinstanzlich entscheidenden ARK hätte beibehalten wollen, hätte sich dieser Wille durch die Formulierung in Art. 45 VGG, wonach für die Revision von Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts die Art. 121128 BGG « sinngemäss » gelten, niederschlagen müssen. Zu den Verfahrensvorschriften, welche die für die in der Regel letztinstanzliche Beurteilung von Asylentscheiden zuständigen Abteilungen IV und V anzuwenden haben, hat sich der Gesetzgeber, wie bereits dargelegt, jedoch nicht explizit geäussert.
Nach dem Gesagten muss festgestellt werden, dass den Gesetzesmaterialien nicht klar entnommen werden kann, ob durch den Verweis von Art. 45 VGG auf die Revisionsbestimmungen der Art. 121128 BGG die Gründe, die im Rahmen eines Revisionsverfahrens gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geltend gemacht werden können, abschliessend geregelt werden sollten oder ob das Gegenteil der Fall ist und Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG bei Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht insofern sinngemäss anzuwenden ist, als diese Bestimmung im Lichte von Art. 66 VwVG zu betrachten und teilweise entgegen ihrem Wortlaut auszulegen und anzuwenden ist.
Nachdem der Botschaft zur Bundesrechtspflegereform zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber die « bewährten Regeln des geltenden Rechts über die Revision (Art. 136 ff. OG; vgl. E. 6.1) ohne grosse Änderungen » übernehmen wollte, wird im Folgenden ein kurzer Abriss aus den OG-Kommentaren skizziert: Vor Inkrafttreten der Bundesjustizreform am 1. Januar 2007 wurde das Revisionsverfahren vor dem Bundesgericht durch das alte, das heisst bis 31. Dezember 2006 geltende OG in den Artikeln 136144 geregelt. Der hier interessierende Gesetzestext von Art. 137 OG, welcher seit 1. Oktober 1969 in Kraft war und nie abgeändert wurde (AS 1969 767 und 788; BBl 1965 II 1265), lautete:
« Die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides ist (ferner) zulässig: (a.: Einwirkung durch eine Straftat) b. wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. »
Anders als unter dem aktuell geltenden Recht enthält die Formulierung gemäss OG keinen ausdrücklichen Satzteil zum Ausschluss von später entstandenen Beweismitteln.
In der diesbezüglichen Lehre war gerade diese Frage sehr umstritten beziehungsweise die Frage, ob erst nach dem angefochtenen Urteil entstandene Beweismittel revisionsrechtlich zugelassen werden könnten, wurde uneinheitlich beantwortet. Einzelne Autoren plädierten tendenziell für eine Zulassung entsprechender Beweismittel (bei Dauerrechtsverhältnissen vgl. URSINA BEERLI-BONORAND, Die ausserordentlichen Rechtsmittel in der Verwaltungsrechtspflege des Bundes und der Kantone, Zürich 1985, S. 104 f. mit Verweis auf ROLANDO FORNI, Svista manifesta, fatti nuovi e prove nuove nella procedura di revisione davanti
al Tribunale federale, in: Kummer/Walder [Hrsg.], Festschrift zum
70. Geburtstag von Dr. iur. Max Guldener, Zürich 1973, S. 105 ff.), andere sprachen sich eher gegen eine Zulassung erst nachträglich entstandener Beweismittel aus (ELISABETH ESCHER, Revision und Erläuterung, in: Geiser/Münch [Hrsg.], Prozessieren vor Bundesgericht,
1. Aufl., Basel/Frankfurt a.M. 1996, Rz. 8.21 S. 257 und Rz. 8.25 S. 259; zum Novenverbot vgl. WILHELM BIRCHMEIER, Handbuch des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 16. Dezember 1943, Zürich 1950, Art. 137 Bst. b OG S. 506 ff., sowie RENÉ RHINOW/HEINRICH KOLLER/CHRISTINA KISS, Öffentliches Prozessrecht und Justizverfassungsrecht des Bundes, Basel/Frankfurt a.M. 1996, Kapitel VII Revision, Art. 137 Bst. b OG Rz. 1657 S. 324 ff.).
BEERLI-BONORAND hat bereits in ihrer aus dem Jahre 1985 stammenden Dissertation die aufgeworfene grundsätzliche Problematik erkannt. Zum Revisionsgrund « neue Tatsachen und Beweismittel » hält sie auf
S. 95 ff. fest, dass es sich hierbei - nebst demjenigen der Einwirkung durch eine strafbare Handlung - um einen klassischen Revisionsgrund handelt. Sie verweist auf den Grundsatz, dass die revisionsrelevante Tatsache zur Zeit der Entscheidung bereits bestanden haben muss. Die Anerkennung neuer Beweismittel als Revisionsgrund solle die Wiederaufnahme eines Verfahrens in denjenigen Fällen ermöglichen, in denen ein Gesuchsteller wegen nunmehr behobener Beweisschwierigkeiten einen Nachteil erlitten habe. Im Grundsatz vertritt sie die Auffassung, dass nur solche Beweismittel zur Begründung eines Revisionsgesuchs zugelassen werden sollen, die zur Zeit des Erlasses der Verfügung oder Entscheidung bereits bestanden haben, aber dem Gesuchsteller und den Behörden nicht bekannt gewesen sind. In der Literatur und in der Mehrheit der Judikatur würden als neue Beweismittel nur solche betrachtet, die schon zur Zeit des vorangegangenen Verfahrens vorhanden gewesen seien und mit denen der Gesuchsteller - wären sie ihm bekannt gewesen - den Beweis bereits damals hätte erbringen können. Im Anschluss an diese grundsätzlichen Ausführungen hält BEERLIBONORAND auf S. 104 ff. indessen die wesentliche Ausnahme fest, wonach das (damalige) Eidgenössische Versicherungsgericht auch solche Beweismittel als revisionsbegründend betrachtet habe, « die erst nach Abschluss des früheren Verfahrens eingetreten » seien, und verweist auf die diesbezügliche Rechtsprechung (BGE 108 V 170 E. 1 S. 172, BGE 99 V 189 ff.; EVGE 1959 S. 5 ff.). Auch ZEN-RUFFINEN verweist in seinem Kommentar auf den Umstand, dass die Einreichung neuer Beweismittel (als Beispiele werden genannt: Expertisen und Arztberichte, die nach dem vorangehenden Entscheid erstellt wurden) in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten in langjähriger Praxis zugelassen werde (vgl. PIERMARCO ZEN-RUFFINEN, Le réexamen et la révision des décisions administratives, Neuchâtel 2007, Rz. 133 f. S. 252 f.).
Im Rahmen dieser « Ausnahme » verweist BEERLI-BONORAND auf die zivilprozessuale Lehre und hält als Fazit fest, der Wortlaut der Verwaltungsrechtspflegegesetze schliesse nicht von vornherein die Möglichkeit aus, auch nach Erlass der Verfügung oder Entscheidung entstandene Beweismittel zu berücksichtigen. Es könne genügen, dass die zu beweisende Tatsache schon im vorangegangenen Verfahren vorhanden gewesen sei; der Zeitpunkt der Entstehung des Beweismittels würde bei dieser Betrachtungsweise keine Rolle spielen. Die Rechtskraft beziehe sich auf einen Sachverhalt, wie er zur Zeit des Erlasses der Verfügung oder Entscheidung bestanden habe, übe jedoch keinen Einfluss aus auf die Mittel, welche diesen Sachverhalt beweisen sollen.
Unter Berufung auf Rechtssicherheitsgründe und unter Hinweis auf FORNI zieht BEERLI-BONORAND schliesslich das Fazit, dass grundsätzlich nur bereits im vorangegangenen Verfahren vorhandene Beweismittel für die Begründung eines Revisionsgesuches zugelassen werden sollten. Hingegen dort, wo eine nachträglich entstandene Tatsache - wie bei Verwaltungsverfügungen mit Dauerwirkung - revisionsbegründend wirke, seien auch nach dem Entscheid entstandene Beweismittel im Revisionsverfahren zu berücksichtigen. An gleicher Stelle hält BEERLI-BONORAND die Praxis des damaligen Eidgenössischen Versicherungsgerichts (EVGE 1959 S. 5 ff.) für gerechtfertigt, weil der Sachverhalt, der sich in Kranken-, Unfallund Militärversicherungsfällen präsentiere, « oft schwer festzustellen » sei. In einem aus dem Jahr 1959 stammenden Urteil halte das Eidgenössische Versicherungsgericht fest, der (diesen Sozialversicherungsfällen zugrunde liegende) medizinische Sachverhalt sei wegen der « Verborgenheit der im Körperinnern sich abspielenden Krankheitsvorgänge » der Abklärung oft schwer zugänglich. Die entsprechenden Diagnosen und Kausalzusammenhänge liessen sich oft nur mit grösserer oder geringerer Wahrscheinlichkeit bestimmen, wobei leicht Fehler möglich seien. Den schutzwürdigen Interessen des Versicherten sei daher nicht genügend gedient, wenn ihm bloss diejenigen Beweismöglichkeiten garantiert würden, die zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden hätten. Er dürfe vielmehr erwarten, dass darüber
hinaus auch andere Beweise zugelassen würden, wenn sie eindeutig und wesentlich dazu beitragen könnten, den Tatbestand, wie er zur Zeit des früheren Verfahrens wirklich gewesen sei, in seiner wahren Gestalt zu ermitteln. Demzufolge erscheine es als geboten, dem Revisionskläger auch solche neuen Beweismittel zugutekommen zu lassen, die aus der Zeit nach dem Urteil datierten (vgl. BEERLI-BONORAND, a.a.O., S. 104 f.).
In den BGG-Kommentaren zeichnet sich folgendes Bild ab: ELISABETH ESCHER führt im Basler Kommentar zum Bundesgerichts-
gesetz aus, durch die Umschreibung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG werde nur verdeutlicht, was bereits unter altem, das heisst vor der Revision der Bundesrechtspflege geltendem Recht (Art. 137 Bst. b OG) gegolten habe, nämlich dass es sich beim Revisionsgrund des nachträglichen Beibringens von Tatsachen und Beweisen jeweils um solche handeln müsse, die nicht neu seien. Demzufolge könnten neuartige Beweismittel nicht zu einer Revision berechtigen (vgl. ELISABETH ESCHER, Art. 123 BGG, in: Niggli/Übersax/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 2. Aufl., Basel 2011, Rz. 5 ff. S. 1599 ff. mit Verweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung [nachfolgend: Basler Kommentar BGG]), wobei ESCHER in der ersten Auflage des Basler Kommentars auf die in diesem Zusammenhang umstrittene Auffassung von KARL SPÜHLER/ANNETTE DOLGE/DOMINIK VOCK (in: Kurzkommentar zum Bundesgerichtsgesetz [BGG], Zürich/St. Gallen 2006, Art. 123 Rz. 3 S. 229) hinweist (ELISABETH ESCHER, zu Art. 123 BGG,
in: Niggli/Übersax/Wiprächtiger [Hrsg.]: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 1. Aufl., Basel 2008, Rz. 5 S. 1186). ESCHER unterstreicht indessen den Aspekt der unterschiedlichen Kognition. Sie hält an anderer Stelle fest, das Bundesgericht greife nur in ganz bestimmten Fällen in den Sachverhalt ein, womit es nur ausnahmsweise für die Berücksichtigung unechter Noven im Rahmen eines Revisionsverfahrens zuständig sein könne. Ein entsprechendes Revisionsgesuch sei grundsätzlich immer an die Instanz zu richten, welche letztinstanzlich den Sachverhalt feststelle (vgl. dazu auch ELISABETH ESCHER, Revision, Erläuterung und Berichtigung, in: Geiser/Münch/Uhlmann/Gelzer [Hrsg.]: Prozessieren vor Bundesgericht, 3. Aufl., Basel 2011, Rz. 8.36 S. 362 mit Verweis auf BGE 134 III 45 E. 2.2 [nachfolgend: Prozessieren vor Bundesgericht]). Nur wenn das Bundesgericht den vorinstanzlichen Sachverhalt von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf eine entsprechende Rüge
hin berichtigen und ergänzen könne (Art. 97 Abs. 1 BGG) oder daran nicht gebunden sei (Art. 105 Abs. 3 BGG), könne es streng genommen in einer Revision nachträgliche Tatsachen und Beweismittel berücksichtigen und selber frei würdigen. Die Revision eines bundesgerichtlichen Entscheides hänge damit auch von der Kognition im vorangegangenen Verfahren ab (vgl. Urteil des Bundesgerichts 5P.510/2006 vom 6. Februar 2007 E. 3 m.w.H. auf BGE 118 Ia 366 E. 2 und BGE 107 Ia 187 E. 2
sowie die Lehre). Die bisherige Praxis, wonach das Bundesgericht die Revision von Beschwerdeund Berufungsentscheiden wegen nachträglich beigebrachter Tatsachen und Beweise unter bestimmten Voraussetzungen wiederholt und ungeachtet der Kognition in diesen Verfahren zugelassen habe (vgl. BGE 107 Ia 187 E. 1b und 2 mit Verweis auf die Lehre), sei gemäss ESCHER im Lichte des neuen und vereinheitlichten Rechtsmittelsystems überholt. Tatsachen und Beweise, die erst zu einem Zeitpunkt eingetreten beziehungsweise vorhanden gewesen seien, zu welchem sie nach den damals (d.h. im vorangehenden Verfahren) anwendbaren Verfahrensregeln nicht mehr vorgebracht werden konnten, berechtigten niemals zu einer Revision. Insoweit bestehe im Revisionsverfahren ein striktes Novenverbot (vgl. ESCHER, Basler Kommentar BGG, a.a.O., Art. 123 Rz 5 ff. S. 1599 f.).
Die Autoren SPÜHLER/DOLGE/VOCK halten fest, der bisherige Revisionsgrund der neuen Tatsachen und Beweismittel werde im BGG
« anders » umschrieben, womit klargestellt werde, dass nur nachträglich entdeckte, aber nicht nachträglich eingetretene Tatsachen einen Revisionsgrund darstellen könnten; sie verweisen auf die Botschaft vom
28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege (BBl 2001 4352) sowie auf PETER KARLEN (PETER KARLEN, Das neue Bundesgerichtsgesetz, Basel 2006, S. 64 Fn. 238). Erlaubt sei grundsätzlich nur die Geltendmachung von unechten Noven, das heisst von Tatsachen und Beweismitteln, die im Zeitpunkt der Urteilsfällung zwar vorlagen, dem Gesuchsteller damals aber nicht bekannt waren. Erkenne die Recht-
sprechung erst nach dem ersten Urteil ein neuartiges Beweismittel, wozu
als Beispiel eine neue Technologie angeführt wird, so sei umstritten, ob dies eine Revision rechtfertigen könne (vgl. SPÜHLER/DOLGE/VOCK, a.a.O., Art. 123 Rz. 3 S. 228 f.).
NICOLAS VON WERDT (in: Seiler/von Werdt/Güngerich [Hrsg.], Bundesgerichtsgesetz [BGG], Bern 2007, Art. 123 Rz. 6 ff. S. 526 f.) verweist auf ein Urteil des Bundesgerichts (C 234/00) vom 6. November
2000 und hält fest, dieses umschreibe den Revisionsgrund des nachträglichen Beibringens von erheblichen Tatsachen oder Beweismitteln umfassend. Das Urteil selbst stammt aus dem Jahr 2000, und damals war das OG anwendbar; es hält fest: « Nach Art. 137 lit. b in Verbindung mit Art. 135 OG ist die Revision eines Urteils des Eidgenössischen Versicherungsgerichts unter anderem zulässig, wenn der Gesuchsteller nachträglich neue erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel auffindet, die er im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. Als ‹ neu › gelten Tatsachen, welche sich bis zum Zeitpunkt, da im Hauptverfahren noch tatsächliche Vorbringen prozessual zulässig waren, verwirklicht haben, jedoch der um Revision ersuchenden Person trotz hinreichender Sorgfalt nicht bekannt waren. Die neuen Tatsachen müssen ferner erheblich sein ( ). Beweismittel haben entweder dem Beweis der die Revision begründenden neuen erheblichen Tatsachen oder dem Beweis von Tatsachen zu dienen, die zwar im früheren Verfahren bekannt gewesen, aber zum Nachteil der gesuchstellenden Person unbewiesen geblieben sind. Sollen bereits vorgebrachte Tatsachen mit den neuen Mitteln bewiesen werden, so hat die Person darzutun, dass sie die Beweismittel im früheren Verfahren nicht beibringen konnte. (...). Ausschlaggebend ist, dass das Beweismittel nicht bloss der Sachverhaltswürdigung, sondern der Sachverhaltsermittlung dient. Es genügt daher beispielsweise nicht, dass ein neues Gutachten den Sachverhalt anders bewertet; vielmehr bedarf es neuer Elemente tatsächlicher Natur, welche die Entscheidungsgrundlagen als objektiv mangelhaft erscheinen lassen. (...). Auch ist ein Revisionsgrund nicht schon gegeben, wenn das Gericht bereits im Hauptverfahren bekannte Tatsachen möglicherweise unrichtig gewürdigt hat. Notwendig ist vielmehr, dass die unrichtige Würdigung erfolgte, weil für den Entscheid wesentliche Tatsachen nicht bekannt waren oder unbewiesen blieben » (das Bundesgericht verweist auf seine Entscheide BGE 110 V 138 E. 2 S. 141 f., BGE 110 V 291 E. 2a S. 293, BGE 108 V
170 E. 1 S. 171 sowie BGE 118 II 199 S. 205).
Auch Kommentator DONZALLAZ hält fest, Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG nehme die OG-Regelung wieder auf. Die neuen Beweismittel müssten sich auf vorbestehende Tatsachen beziehen. Nur Beweismittel, die im Zeitpunkt, in dem sie im vorangehenden Verfahren hätten vorgebracht werden können, bereits existiert hätten, seien als Grundlage eines Revisionsverfahrens zuzulassen. Neue Beweismittel aus wissenschaftlichen Untersuchungsmethoden, die im Zeitpunkt des vorangehenden Entscheides nicht existiert hätten, könnten demgegenüber nicht revisionsrechtlich vorgebracht werden (vgl. YVES DONZALLAZ, La Loi sur le Tribunal Fédéral, Commentaire, Bern 2008, Art. 123 Rz. 4699, 4702,
4708 und 4710 S. 1693 ff.).
Unter der damaligen Herrschaft der OG-Rechtsprechung kam es zu zusätzlichen Sonderdiskussionen und Erörterungen zur Frage, ob im Rahmen von Revisionsverfahren auch Beweismittel zugelassen werden dürfen, die auf ganz neuen Technologien oder auf neuen wissenschaftlichen oder technischen Erkenntnissen basierten (z.B. neue Blutanalysemöglichkeiten, DNA-Beweisführung), wobei es auch hier in der Lehre divergierende Lösungsansätze gab (vgl. zum Ganzen BEERLIBONORAND, a.a.O., S. 105 f. mit Verweis auf die Kritik von MAX GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, Zürich 1979, Fn. 5
S. 531; SPÜHLER/DOLGE/VOCK, a.a.O., Rz. 3 zu Art. 123 S. 228 f. mit
Verweis auf KARL SPÜHLER/DOMINIK VOCK, Rechtsmittel in Zivilsachen im Kanton Zürich und im Bund, Zürich 1999, Rz. 161; DONZALLAZ, a.a.O., Rz. 4710 S. 1697 f.; PIERRE FERRARI, in: Corboz/Wurzburger/ Ferrari/Frésard/Aubry Girardin [Hrsg.], Commentaire de la Loi sur le Tribunal fédéral, Bern 2009, Art. 123 Rz. 22 S. 1207). Die angesprochenen Elemente aus « Wissenschaft und Technik » werden im hier untersuchten Fragenkomplex jedoch nicht eingehender erörtert, könnten sich aber auch im Rahmen von Asylverfahren stellen (beispielsweise DNA-Analyse zur Beweisführung der Verwandtschaft zu einem anerkannten Flüchtling).
Die Praxis des Bundesgerichts respektive des (früheren) Eidgenössischen Versicherungsgerichts war bezüglich der Frage der Zulassung neu entstandener Beweismittel nicht einheitlich respektive nicht immer klar.
Das Bundesgericht hat in seiner Rechtsprechung nach Inkrafttreten der Bundesjustizreform mehrfach festgehalten, die Bestimmung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG entspreche der - bis 31. Dezember 2006 - geltenden Verfahrensordnung des OG, namentlich Art. 137 Bst. b OG. Die Rechtsprechung zu Art. 137 Bst. b OG gelte weiterhin (vgl. dazu BGE 134 III 286 E. 2.1, BGE 134 III 45 E. 2.1 S. 47 und BGE 134 III 669 E. 2.1).
Im Entscheid 2F_8/2010 vom 25. Oktober 2010 ist die zweite öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts auf ein Revisionsgesuch eingetreten, welches unter anderem mit einem erst nach dem angefochtenen Entscheid entstandenen Rechtsgutachten begründet wurde. Das Bundesgericht wies dabei das Revisionsgesuch als offensichtlich unbegründet ab, nachdem es einem Rechtsgutachten den Beweismittelcharakter abgesprochen hatte. Zum Umstand, dass das besagte Rechtsgutachten offensichtlich nach dem mit Revision angefochtenen Entscheid entstanden ist, äusserte sich das Bundesgericht hingegen nicht (vgl. 2F_8/2010 E. 2.4).
Als weiteres Beispiel für die Zulassung eines neu entstandenen Beweismittels (Arztbestätigung zur fehlenden Urteilsfähigkeit) kann auf den BGE 134 III 45 verwiesen werden, in welchem das Bundesgericht eingangs festhält, dass die Praxis zu Art. 137 Bst. b OG in jeder Hinsicht weitergelte. In diesem Urteil zitiert das Bundesgericht seinen früheren Entscheid 4C.111/2006 vom 7. November 2006, in welchem ein Revisionsgesuch gestützt auf ein neues, nach dem angefochtenen Entscheid entstandenes, Beweismittel (Arztzeugnis) gutgeheissen worden war.
In ihrem Entscheid 9F_9/2007 vom 15. September 2008 hält die
II. Sozialrechtliche Abteilung des Bundesgerichts ebenfalls fest, dass die Rechtsprechung zu Art. 137 Bst. b OG weiterhin - auch nach Inkrafttreten des BGG - Gültigkeit beansprucht, was die Revisionsgründe betrifft. Im Entscheid wird indessen die Zulassung eines nach dem mit
Revision angefochtenen Entscheid entstandenen Beweismittels als
« höchst fraglich » bezeichnet; die Frage wird aber nicht abschliessend geprüft, da es an der Erheblichkeit des betreffenden Beweismittels (neues interdisziplinäres Gutachten der Unabhängigen Medizinischen Gutachtenstelle) mangelt.
Mit BGE 99 V 189 vom 21. September 1973 ist das Eidgenössische Versicherungsgericht auf ein Revisionsgesuch eingetreten (und hat dieses in der Folge gutgeheissen), welches mit der Einreichung eines - nach dem angefochtenen Urteil desselben Gerichts - neu entstandenen Arztberichts begründet worden ist. Das Gericht hält dazu fest, es sei von den betroffenen Vorinstanzen nicht geltend gemacht worden, dass dieses Dokument schon in einem früheren Zeitpunkt hätte beigebracht werden können, weshalb das Arztzeugnis als neues Beweismittel zu betrachten und auf das Revisionsgesuch einzutreten sei. Es wird weiter festgehalten, eine neue ärztliche Bescheinigung sei dann im Sinne von Art. 137 Bst. b OG entscheidend, « wenn sie den rechtserheblichen medizinischen Sachverhalt in einem derart neuen Lichte zeigt, dass anders zu entscheiden gewesen wäre, wenn das nunmehr angerufene Beweismittel schon im Beschwerdeverfahren vorgelegen hätte », wozu unter anderem auf
EVGE 1959 S. 5 ff. und EVGE 1968 S. 37 E. 2 und 3 sowie BGE 95 II
283 E. 2a S. 285 f. verwiesen wird.
Im Folgenden ist die bisherige Praxis des Bundesverwaltungsgerichts zu erörtern.
Wie neue, nach dem ordentlichen Rechtsmittelentscheid entstandene Beweismittel seit Inkrafttreten der Justizreform zu behandeln sind, hat das Bundesverwaltungsgericht bisher noch nicht in grundsätzlicher Form beantwortet. Diese Frage ist daher im Nachfolgenden zu prüfen und zu beantworten, um die bisher teilweise herrschende widersprüchliche Rechtspraxis - zumindest der beiden Asylabteilungen - des Bundesverwaltungsgerichts zu dieser Rechtsfrage zu vereinheitlichen.
Wie bereits oben festgehalten, richtet sich gemäss der seit Inkrafttreten der Bundesjustizreform am 1. Januar 2007 in Kraft stehenden Bestimmung des Art. 37 VGG das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach dem VwVG, sofern das VGG nichts anderes bestimmt. Verfahrensrechtliche Bestimmungen des VGG gehen denjenigen des VwVG vor, was auch - wie bereits oben festgestellt wurde - aus Art. 2 Abs. 4 VwVG hervorgeht.
Gemäss der ausdrücklichen Regelung des seit 1. Januar 2007 in Kraft stehenden Art. 45 VGG gelten für die Revision von Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts die Art. 121128 BGG « sinngemäss ».
In seiner bisherigen Rechtsprechung zur Revision hat das Bundesverwaltungsgericht bereits die Frage seiner eigenen Zuständigkeit bejaht bei Revisionsgesuchen, die gegen Urteile der Vorgängerorganisationen eingereicht wurden, und zwar unabhängig davon, ob das Revisionsgesuch vor oder nach Inkrafttreten des VGG (am 1. Januar 2007) eingereicht wurde (vgl. BVGE 2007/21 E. 25 mit Verweis auf BVGE 2007/11 E. 3 und 4). In beiden vorgenannten Fällen sind weiterhin die besonderen Bestimmungen des VwVG bezüglich Revision anwendbar (vgl. dazu BVGE 2007/11 E. 3 und 4).
In BVGE 2007/21 wurde weiter festgehalten, dass Klarheit bestehe für den Fall, dass die Revision eines Entscheides des Bundesverwaltungsgerichts verlangt werde. Hier komme als Revisionsinstanz zum vornherein ausschliesslich das Bundesverwaltungsgericht in Frage, indem für einen Revisionsentscheid jene Behörde zuständig sei, die den angefochtenen rechtskräftigen Entscheid erlassen habe. Dabei lege Art. 45 VGG fest, dass für die Revision von Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts die entsprechenden Art. 121128 BGG sinngemäss gelten würden. Zum einen gehe somit auch das VGG klarerweise von der entsprechenden Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts aus; zum andern sei mit diesem Gesetzesverweis für die genannte Verfahrenskonstellation die Frage des anwendbaren Rechts abschliessend beantwortet (vgl. BVGE 2007/21 E. 2.1).
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich seit Aufnahme seiner Tätigkeit am 1. Januar 2007 einerseits in mehreren Entscheiden, namentlich der Asylabteilungen, welche letztinstanzlich entscheiden, auf den Standpunkt gestellt, dass Beweismittel, welche erst nach Abschluss des ordentlichen Beschwerdeentscheides entstanden sind, als Grundlage eines Revisionsgesuches gestützt auf Art. 123 Abs. 2 Bst. a letzter Teilsatz BGG ausser Betracht fallen (vgl. unter vielen Urteile des Bundesverwaltungsgerichts D8194/2010 vom 21. Februar 2012, D90/2012 vom 23. Januar 2012, D6909/2008 vom 9. Februar 2009, D6668/2008 vom
8. Januar 2009, D2920/2008 vom 5. Juni 2008 und D6100/2007 vom
5. Februar 2008).
Auf der anderen Seite wurde in einigen Entscheiden ein nach Abschluss des ordentlichen Verfahrens entstandenes Beweismittel revisionsrechtlich zugelassen, wenn es sich auf erhebliche vorbestandene Tatsachen bezog (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts D2045/2009 vom 3. April 2009, E7893/2008 vom 22. Dezember 2008, D4547/2008 vom
18. August 2008, E546/2007 vom 2. Mai 2008).
In weiteren Entscheiden wurde die Frage nach dem Umfang beziehungsweise der Tragweite der sinngemässen Geltung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG ausdrücklich offengelassen (vgl. u.a. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts D6363/2011 vom 12. Januar 2012, D5415/2011 vom 28. November 2011, E5429/2011 vom 25. Oktober 2011 und E3443/2011 vom 20. Oktober 2011). In weiteren Entscheiden wurde die Frage nach der genauen Interpretation und Anwendung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG zwar explizit oder sinngemäss aufgeworfen, aber nicht näher erörtert, nachdem beispielsweise die in Frage stehenden Beweismittel als revisionsrechtlich nicht erheblich oder als verspätet eingereicht qualifiziert wurden (vgl. Urteile des Bundesverwaltungsgerichts E7198/2009 vom 3. Februar 2012, E5936/2011 vom 30. November
2011, E2602/2010 vom 14. Mai 2010, E6952/2008 vom 30. Dezember 2008 und D3309/2006 vom 23. Mai 2007). Im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E6842/2009 vom 10. November 2009 wurde das
vom BFM an die Hand genommene Wiedererwägungsverfahren, in welchem das Bundesamt eine nachträglich eingereichte Identitätskarte (welche zum Beweis der Herkunft angerufen worden war) geprüft hat, vom Bundesverwaltungsgericht als nichtig erklärt. Begründet wurde diese Nichtigkeit damit, dass das BFM für die Prüfung der geltend gemachten Revisionsgründe nicht zuständig gewesen sei; die Geltendmachung von Revisionsgründen beim BFM - in Form eines qualifizierten Wiedererwägungsgesuchs - sei nur möglich, wenn das ordentliche Verfahren ohne einen materiellen Beschwerdeentscheid abgeschlossen worden sei. Andernfalls sei ein Revisionsgesuch bei der Revisionsinstanz einzureichen, wozu auf BVGE 2007/21 verwiesen wurde.
Im Asylverfahren N ( ) hatte das BFM nach abgeschlossenem ordentlichem Verfahren eine Eingabe des Gesuchstellers als Wiedererwägungsgesuch entgegengenommen. Nachdem das BFM dieses Wiedererwägungsverfahren abgewiesen hatte, reichte der Gesuchsteller beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde ein. Mit Urteil E951/2009 vom
31. März 2009 hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, der Beschwerdeführer habe als Beweismittel mehrere seine Identität betreffende Dokumente eingereicht. Es sei evident, dass er hiermit keine seit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im ordentlichen Verfahren veränderte Sachlage geltend mache. Der Beschwerdeführer mache vielmehr neue erhebliche Tatsachen und Beweismittel im Sinne von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG geltend, weshalb die BFM-Verfügung in Sachen Wiedererwägungsgesuch mangels funktionaler Zuständigkeit aufzuheben und die Angelegenheit durch das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsverfahren weiterzubehandeln sei. Im daran anschliessenden Revisionsurteil E2141/2009 vom 7. Mai 2009 wurde festgestellt, die die Identität betreffenden Beweismittel seien gemäss ihrer Datierung erst nach dem angefochtenen Entscheid entstanden und daher schon deshalb revisionsrechtlich unbeachtlich. Als Zusatzargument wurden die betreffenden Beweismittel auch als revisionsrechtlich unerheblich qualifiziert.
Im Urteil vom 16. Februar 2011 (D8379/2010) hat das Bundesverwaltungsgericht ein Revisionsgesuch, das sich gegen ein Nichteintretensurteil (des Bundesverwaltungsgerichts) gerichtet hatte und welches mit der Einreichung eines - nach dem Nichteintretensentscheid entstandenen - Bestätigungsschreibens der schweizerischen Post begründet wurde, gutgeheissen. Mit diesem neu entstandenen Beweismittel wurde der Nachweis erbracht, dass im Nichteintretensentscheid zu Unrecht von
einer Nichteinhaltung der Beschwerdefrist ausgegangen worden war (vgl. die ähnliche Konstellation im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E546/2007 vom 2. Mai 2008).
8.1.1 Die Autoren MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER stellen sich auf den Standpunkt, der Gesetzgeber habe durch den Verweis des VGG auf das BGG (und nicht auf das VwVG) für die Revision von Bundesverwaltungsgerichtsurteilen die möglichen Revisionsgründe eingeschränkt. Dieser Standpunkt wird allerdings nicht weiter begründet oder argumentativ untermauert. Es wird ausgeführt, Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG stimme inhaltlich mit jenem von Art. 137 Bst. b OG beziehungsweise Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG überein, weshalb auf die diesbezügliche Rechtsprechung (BGE 134 III 47 E. 2.1) zurückgegriffen werden könne. Der Schluss wird gezogen, dass die BGG-Regelung klarstelle, dass die als Revisionsgrund tauglichen Tatsachen und Beweismittel - entgegen dem missverständlichen Wortlaut des unverändert gebliebenen Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG - insofern gerade nicht neu sein dürften, als sie vor dem Urteil entstanden sein müssten, das revidiert werden solle. Weiter zum Revisionsgrund « neue Beweismittel » halten dieselben Autoren demgegenüber fest, es sei - im Gegensatz zu nachträglich erfahrenen Tatsachen - nicht notwendig, dass die Beweismittel selbst aus der Zeit vor dem Beschwerdeentscheid stammten. In diesem Zusammenhang wird allerdings auf ein hier nicht einschlägiges Urteil des Bundesverwaltungsgerichts E4808/2006 vom 9. November 2007 verwiesen, bei dem es sich um ein gegen ein Urteil der ARK eingereichtes Revisionsverfahren handelte, bei welchem gemäss zwischenzeitlich publizierter Praxis (BVGE 2007/21 E. 25) ohnehin alleine das VwVG zur Anwendung gelangte (vgl. E. 7.2 sowie ANDRÉ MOSER/MICHAEL BEUSCH/ LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, Basel 2008, Rz. 5.41 und 5.455.48 S. 248 ff.).
Die genannten Autoren bezeichnen den Pauschalverweis von Art. 45 VGG als « nicht unproblematisch », namentlich weil die Revisionsgründe nach Art. 121 BGG für das Verfahren vor einem letztinstanzlichen Gericht zugeschnitten seien. Wo das Bundesverwaltungsgericht in dieser Funktion urteile (so die Asylabteilungen), erscheine die analoge
Anwendung von Art. 121123 BGG dagegen als unproblematisch (vgl. Rz. 5.40). Den wesentlichen weiteren Unterschied (nämlich betreffend die Kognition) zwischen den Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Bundesgericht, auf den im nächsten Abschnitt weiter eingegangen wird, erörtern die Autoren erst an anderer Stelle näher, ohne einen Zusammenhang zur Revisionsproblematik herzustellen (vgl. MOSER/BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 2.188 ff. S. 87 ff.).
Wie bereits festgehalten, ist für die Beurteilung von Revisionsverfahren, die sich gegen Entscheide des Bundesverwaltungsgerichts richten, Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG « sinngemäss » anwendbar (Art. 45 VGG). Zu beachten ist indessen, dass das BGG in erster Linie den Verfahrensprozess vor dem Bundesgericht darstellt beziehungsweise regelt. Das Bundesgericht entscheidet als Beschwerdeinstanz in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten in der Regel mit beschränkter Kognition; namentlich kann es die unrichtige Feststellung des Sachverhaltes nur in sehr eingeschränkter Form überprüfen (Art. 97 BGG). Zudem entscheidet das Bundesgericht als Beschwerdeinstanz nach einem vorangehenden Verfahren vor einer - ebenfalls gerichtlichen - Vorinstanz.
Demgegenüber entscheidet das Bundesverwaltungsgericht grundsätzlich und abgesehen von einer abweichenden spezialgesetzlichen Regelung (vgl. dazu die beispielhafte Aufzählung in MOSER/ BEUSCH/KNEUBÜHLER, a.a.O., Rz. 2.195 S. 89) mit voller Kognition. Art. 106 Abs. 1 AsylG hält diese umfassende Kognition (der Abteilungen IV und V) für den Asylbereich spezialgesetzlich fest. Die Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts entscheiden - vorbehältlich der Ausnahme bei Auslieferungsersuchen im Sinne von Art. 83 Bst. d Ziff. 1 letzter Teilsatz BGG - als erste, einzige und zugleich letzte gerichtliche Instanz über Asylentscheide, die das BFM gefällt hat. Dabei überprüfen die Asylabteilungen nebst der korrekten Anwendung des Bundesrechts auch die korrekte Sachverhaltsfeststellung und die Angemessenheit der vom Bundesamt erlassenen Verfügungen (Art. 106 Abs. 1 AsylG).
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass in der von den eidgenössischen Räten am 14. Dezember 2012 verabschiedeten Vorlage zur Asylgesetzrevision die Beschwerdegründe im Asylbeschwerdeverfahren eingeschränkt wurden: Art. 106 Abs. 1 Bst. c AsylG wird gestrichen werden. Inskünftig werden die Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts die Unangemessenheit bei Asylbeschwerdeverfahren nicht
mehr überprüfen können, womit die Kognition in diesem Bereich eingeschränkt wird. Das Inkrafttreten dieser Asylgesetzrevision wird vom Bundesrat festgesetzt werden (die Referendumsfrist ist abgelaufen; vgl. zum Ganzen BBl 2012 9685 bzw. zur vorgesehenen Abschaffung der Angemessenheitsüberprüfung vgl. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung [AB] 2012 N 1131 ff., AB 2012 N 1170 ff., AB 2012 S
707 f.).
Die angesprochene, bevorstehende Kognitionseinschränkung entfaltet im hier vorliegenden Kontext indessen keine Relevanz, da die Sachverhaltsüberprüfung des Bundesverwaltungsgerichts, namentlich der Asylabteilungen, dadurch nicht tangiert wird.
Wenn zu strittig gebliebenen Sachverhalten nachträglich Beweismittel auftauchen, müsste sich dies angesichts der im Vergleich zwischen dem mit beschränkter Kognition prüfenden Bundesgericht und den mit voller Kognition entscheidenden Asylabteilungen des Bundesverwaltungsgerichts unterschiedlichen Ausgestaltung der jeweiligen vorinstanzlichen Verfahren und der Überprüfungszuständigkeiten offenkundig auf die Behandlung revisionsrechtlicher Aspekte auswirken (zum Zusammenhang zwischen Revision und Kognition im vorangehenden Verfahren vgl. ESCHER, Basler Kommentar BGG, a.a.O., Art. 123 Rz. 6
S. 1599, sowie ESCHER, Prozessieren vor Bundesgericht, a.a.O., Rz. 8.36 S. 362).
Weitere Kommentare zum VwVG (vgl. AUGUST MÄCHLER zu Art. 66 VwVG, in: Auer/Müller/Schindler [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren [VwVG], Zürich/St. Gallen 2008, und KARIN SCHERRER, Art. 66 VwVG, in: Waldmann/ Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar zum Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren, Zürich/Basel/Genf 2009) verweisen auf die gesetzliche Regelung von Art. 45 VGG und Art. 121 ff. BGG, ohne dass im hier interessierenden Zusammenhang weitere rechtliche Überlegungen dargelegt werden.
Es ist nun in einem weiteren Schritt zu untersuchen, ob der juristischen Lehre und Literatur zu anderen Prozessrechtsregelungen klare Aussagen zum hier interessierenden Kontext zu entnehmen sind, die hinsichtlich der vorliegend untersuchten Frage nach der Zulassung neu entstandener Beweismittel im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht herangezogen werden können.
Durch die Legiferierung revisonsrechtlicher Bestimmungen im Rahmen der Vereinheitlichung der neuen Zivilprozessbeziehungsweise Strafprozessordnung ist der Bundesgesetzgeber in jüngster Vergangenheit aktiv geworden.
Die am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (ZPO, SR 272) weist eine Regelung auf, die im hier interessierenden Zusammenhang inhaltlich mit der Regelung des BGG übereinstimmt. So sieht der einschlägige Art. 328 ZPO vor, dass eine Partei beim Gericht, welches als letzte Instanz in der Sache entschieden hat, Revision des rechtskräftigen Entscheides verlangen kann, wenn sie (u.a.) nachträglich erhebliche Tatsachen erfährt oder entscheidende Beweismittel findet, die sie im früheren Verfahren nicht beibringen konnte, wobei « Tatsachen und Beweismittel, die erst nach dem Entscheid entstanden sind », ausdrücklich ausgenommen sind.
Die ZPO-Kommentare gehen tendenziell von einem klaren gesetzlichen Ausschluss von neu entstandenen Beweismitteln im Revisionsverfahren aus und halten fest, dass revisionsweise angerufene Beweismittel im Zeitpunkt des früheren Prozesses existiert haben müssen (vgl. u.a. ADRIAN STAEHELIN/DANIEL STAEHELIN/PASCAL GROLIMUND,
Zivilprozessrecht, Basel/Genf 2008, § 26 Rz. 54 S. 453; DIETER FREIBURGHAUS/SUSANNE AFHELDT, Art. 328 ZPO, in: Sutter-Somm/
Hasenböhler/Leuenberger [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO], Zürich/Basel/Genf 2010, Art. 328 Rz. 17 und 18 S. 2135; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Compétence, délais, procédures et voies de recours, Bern 2010, Rz. 31713174 S. 563;
CHRISTOPH LEUENBERGER/BEATRICE UFFER-TOBLER, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, Bern 2010, Rz. 12.85 S. 406).
Während der Ausschluss von neu entstandenen Tatsachen unbestritten bleibt, wird zum strengen gesetzlichen Ausschluss von neu entstandenen Beweismitteln aber doch immerhin Skepsis angebracht beziehungsweise festgehalten, dieser « pauschale Ausschluss » sei schwer nachzuvollziehen (vgl. NICOLAS HERZOG, Art. 328 ZPO, in: Spühler/ Tenchio/Infanger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Zivilprozessordnung, Basel 2010, Rz. 46 S. 1527). Es wird namentlich darauf verwiesen, dass im Grundsatz zwar Einigkeit herrsche, in der Praxis und Lehre indessen strittig sei, « wie streng die Beschränkung der Revision auf unechte Noven » zu befolgen sei. Namentlich wird darauf verwiesen, dass von der herrschenden Lehre anerkannt sei, dass ein nach Ent-
scheidfällung gemachtes Geständnis einen Revisionsgrund darstelle (vgl. ROMINA CARCAGNI ROESLER, Art. 328 ZPO, in: Baker & McKenzie [Hrsg.], Schweizerische Zivilprozessordnung [ZPO], Bern 2010, Rz. 8 S. 1204).
Ein Blick auf die Regelung der Schweizerischen Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (StPO, SR 312.0) ergibt ebenfalls kein eindeutiges Bild. Die seit 1. Januar 2011 geltende diesbezügliche Regelung des Art. 410 Abs. 1 Bst. a StPO sieht die Möglichkeit vor, Revision zu verlangen, wenn « neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere oder wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person oder eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen ».
In seinem Kommentar zur StPO verweist RIKLIN im Zusammenhang mit der Revision im Strafprozess darauf, dass - gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung - bereits gestützt auf Art. 29 Abs. 1 und 2 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV, SR 101) - unter anderen - auch eine Strafbehörde von Verfassungs wegen verpflichtet ist, auf einen rechtskräftigen Entscheid zurückzukommen und eine neue Prüfung vorzunehmen, wenn ein « klassischer Revisionsgrund » vorliegt, das heisst, ein Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel anführt, « die im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand ». Ein Urteil, das formell und materiell rechtskräftig sei, müsse als Folge der Verfahrensprinzipien (Grundsatz der materiellen Wahrheit und Gebot einer gleichen und gerechten Behandlung im Verfahren) korrigiert werden können, wenn sich nachträglich herausstelle, dass es auf einer falschen tatsächlichen Grundlage beruhe; dies stelle eine grundlegende Verfahrensgarantie dar (vgl. FRANZ RIKLIN, Schweizerische Strafprozessordnung, Zürich 2010, Art. 410 Rz. 3 S. 623 unter weiterem Verweis auf BGE 127 I 133 ff.). Als Beispiele entsprechender Tatsachen und Beweismittel nennt er: nachträglich gefundene, relevante Urkunden, das nachträgliche Geständnis eines freigesprochenen Täters, der Auftritt eines neuen Belastungsoder Entlastungszeugen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. RIKLIN, a.a.O., Rz. 6 S. 625).
Im Basler Kommentar verweist die Autorin HEER ebenfalls auf die von Art. 29 BV gewährte Verfahrensgarantie zugunsten einer verurteilten Person und die diesbezügliche bundesgerichtliche Rechtsprechung (BGE 127 I 133). Sie stellt weiter fest, dass ein neues Geständnis einen Revisionsgrund darstellen könne. Diese Ansicht sei zwar umstritten, was indessen nicht nachvollziehbar sei, nachdem der nachträgliche Widerruf eines Geständnisses als revisionsrechtlich bedeutsames Novum allgemein anerkannt sei. Bei den Gutachten als « neuen Beweismitteln » verweist HEER zunächst auf die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichts (BGE 101 IV 247). Einem Gutachten, mit welchem eine im früheren Verfahren geltend gemachte, aber nicht als erwiesen erachtete Tatsache darzutun gewesen sei, sei generell die Anerkennung als revisionstaugliches neues Beweismittel versagt worden, was in der Lehre schon damals kritisiert worden sei. HEER stellt sich explizit auf den Standpunkt, es könne « entgegen dem Wortlaut des Gesetzes ohnehin nicht daran festgehalten werden, dass das Gutachten bereits zum Zeitpunkt des früheren Sachurteils vorlag », ansonsten dieser Revisionsgrund obsolet würde (vgl. zum Ganzen MARIANNE HEER, Art. 410 StPO, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, Basel 2011, Rz. 7 S. 2696 sowie Rz. 5864
S. 2714 ff.).
In anderen StPO-Kommentaren wird demgegenüber ein nach rechtskräftiger Verurteilung abgelegtes, neues Geständnis als Revisionsgrund im Strafprozess - wiederum mit Verweis auf die Bundesgerichtspraxis gemäss BGE 133 IV 342 - ausdrücklich ausgeschlossen (vgl. u.a. THOMAS FINGERHUTH, Art. 410 StPO, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], Zürich 2010, Rz. 54 S. 1983). Als Beispiel für ein neues Beweismittel im Revisionsverfahren nennt der gleiche Autor hingegen das Privatgutachten, welches ein früher erhobenes Beweismittel infrage stellt (vgl. FINGERHUTH, a.a.O., Rz. 59 S. 1986).
MARC RÉMY hält zu Art. 410 StPO generell fest: ( ) « le caractère inconnu d'un fait ou d'un moyen de preuve implique que cet élément n'ait pas été soumis à l'autorité inférieure sous quelque forme que ce soit » (MARC RÉMY, Art. 410 StPO, in: Kuhn/Jeanneret [Hrsg.], Code de procédure pénale suisse, Basel 2011, Rz. 10 S. 1822), ohne eine Differenzierung zum Entstehungszeitpunkt der in Frage stehenden Tatsache oder des Beweismittels vorzunehmen.
Weitere Kommentatoren nennen als « neue Tatsache » im Sinne von Art. 410 StPO die nachträgliche Sicherstellung von DNA-Spuren am Tatort, die auf eine andere Täterschaft schliessen lassen (vgl. CHRISTOF RIEDO/GERHARD FIOLKA/MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Strafprozess-
recht sowie Rechtshilfe in Strafsachen, Basel 2011, Rz. 2948 S. 459).
Die Strafprozesskommentare unterstreichen beim Strafprozessrecht, dass Verfahrensprinzipien wie das Durchdringen der materiellen Wahrheit und die gerechte Behandlung im Verfahren dem allgemeinen Interesse an Rechtssicherheit vorgehen müssen.
Im Asylverfahren sind ähnliche Überlegungen wie bei der Erörterung der strafprozessualen Verfahrensgarantien anzustellen. Der Grundsatz der Rechtssicherheit - mithin der Leitgedanke, dem der Ausschluss neuer Beweismittel im Revisionsverfahren im Sinne von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG untersteht - hat gegenüber dem zwingenden Völkerrecht zurückzustehen. So verbieten beispielsweise Art. 3 EMRK und Art. 3 FoK die Ausschaffung eines abgewiesenen Asylsuchenden in ein Land, in dem ihm Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Angesichts des absoluten Charakters lassen Art. 3 EMRK und Art. 3 FoK keinerlei Einschränkungen, namentlich durch landesrechtliche Prozessbestimmungen wie Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG, zu. Auch die Garantie des - völkerrechtlich zwingenden - flüchtlingsrechtlichen Refoulement-Verbotes gemäss Art. 33 FK und Art. 5 AsylG muss vor Überlegungen der Rechtssicherheit den Vorrang haben. Auch das Bundesgericht hat den zwingenden Charakter des Rückschiebungsverbotes von Art. 3 EMRK und die Geltung von Art. 33 FK als zwingendes Völkergewohnheitsrecht explizit in seiner Rechtsprechung anerkannt (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/MARKUS SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz,
4. Aufl., Bern 2008, Art. 10 Abs. 2 und 3 BV S. 66 ff. mit Verweis auf die bundesgerichtliche Praxis zur absoluten Geltung des Verbots der Folter und unmenschlicher Behandlung [namentlich in: BGE 122 II 373 E. 2d S. 379 f., BGE 123 II 511 E. 6c S. 522]).
Entsprechende Grundsätze hat die ARK - wie bereits oben festgehalten - für das Asylverfahren entwickelt und festgelegt, was sich in der diesbezüglichen langjährigen und gefestigten Praxis niedergeschlagen hat (vgl. E. 5.5). Dabei wurde festgehalten, dass ein letztinstanzlicher Entscheid der Rechtsmittelinstanz in Asylsachen trotz verspäteter Geltendmachung von Vorbringen (im Sinne des damals anwendbaren Art. 66
Abs. 3 VwVG) in Revision gezogen werden muss, wenn durch den Vollzug des ursprünglichen Entscheides das Gebot des Non-Refoulement verletzt würde (vgl. Grundsatzentscheid vom 16. Mai 1995, publiziert in: EMARK 1995 Nr. 9 E. 7 S. 83 ff.).
Sofern nachträglich entstandene Beweismittel erheblich sind, das heisst geeignet sind, im ordentlichen Verfahren als nicht glaubhaft oder nicht asylbeachtlich qualifizierte Sachverhalte nunmehr zu untermauern und als bedeutsam im Hinblick auf Fragestellungen, die für das RefoulementVerbot relevant sind, erscheinen zu lassen, müssen die verfahrensrechtlichen Bestimmungen eine Anwendung finden, die deren Berücksichtigung garantieren kann. Ausgeschlossen ist, derartige Beweismittel nicht zu berücksichtigen einzig aufgrund von Überlegungen der Rechtssicherheit und Rechtskraft eines einmal gefällten Urteils. Gestützt auf eine mit zwingendem Völkerrecht konforme Auslegung der anwendbaren Verfahrensbestimmungen müssen daher nachträglich entstandene erhebliche Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen, sollten sie nicht im Rahmen eines Revisionsverfahrens berücksichtigt werden können, zu einer von der Vorinstanz vorzunehmenden Wiedererwägung führen (vgl. E. 11).
Das VwVG und der - im Rahmen der Neugestaltung der Bundesrechtspflege inhaltlich unverändert gebliebene - Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG sind heute noch gemäss Art. 1 VwVG generell für Verfahren in Verwaltungssachen, die durch Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden in erster Instanz - oder auf Beschwerdestufe - zu erledigen sind, anwendbar. Gemäss Art. 2 Abs. 4 VwVG richtet sich das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nach diesem - dem VwVG - Gesetz, soweit das VGG nicht davon abweicht. Dies bedeutet demnach, dass das BFM - falls die Zulassung neu entstandener, erheblicher Beweismittel im Rahmen eines Revisionsverfahrens ausgeschlossen wird - im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens neue Beweismittel, die sich auf vorbestehende Tatsachen beziehen, zu beurteilen hätte und diese Beurteilung in Anwendung von Art. 66 VwVG vorzunehmen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hätte dann auf Beschwerdestufe die korrekte Anwendung von Art. 66 VwVG durch das BFM, ebenfalls in Anwendung von Art. 66 VwVG, zu überprüfen.
verfahren dem Gesetzgeber im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten zur neuen Bundesrechtspflegereform offenkundig bekannt und auch bewusst hätten sein müssen. Der ausdrücklich im BGG übernommene, explizite Ausschluss der neu entstandenen Beweismittel stellt mutmasslich einen gesetzgeberischen Versuch dar, eine Klärung dieser in Lehre und Praxis höchst umstrittenen Frage herbeizuführen. Allerdings lassen sich keine diesbezüglichen Überlegungen oder Argumentationselemente aus der zugrunde liegenden Botschaft des Bundesrates oder aus den parlamentarischen Beratungen entnehmen. Aufgrund der vorliegend vorausgesetzten Bekanntheit der Rechtsproblematik wäre deshalb die Berufung auf das Vorliegen einer diesbezüglichen gesetzgeberischen Lücke schwierig zu begründen. Nach Sichtung der Kommentare und Auslegungsargumentarien muss daher das weitere Zwischenfazit gezogen werden, dass es sich bei der Frage nach der Zulassung neu entstandener Beweismittel im bundesrechtlichen Revisionsverfahren um eine Rechtsfrage handelt, die uneinheitlich beantwortet und daher nach wie vor umstritten ist.
Für das vorliegende Verfahren stellt sich konkret die Frage, ob nach dem Abschluss des ordentlichen Asylbeschwerdeverfahrens durch die Fällung des letztinstanzlichen Bundesverwaltungsgerichtsurteils vom 30. März 2009 mit der Einreichung eines neuen, das heisst nach dem ordentlichen Beschwerdeentscheid entstandenen Beweismittels das vorliegende Revisionsverfahren eingeleitet werden kann. Konkret muss die Frage untersucht werden, ob das am ( ) April 2009 und somit erst nach Abschluss des ordentlichen Beschwerdeverfahrens am 30. März 2009 entstandene Beweismittel (« Nationality Certificate ») Grundlage für eine revisionsweise Anfechtung/ein Revisionsverfahren darstellen kann oder ob - im Verneinungsfall - ein Wiedererwägungsverfahren einzuleiten ist (vgl. E. 9.3.2).
Die theoretische Möglichkeit, dass gemäss gesetzlicher Regelung keine Behörde - weder das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz noch die Vorinstanz (in Asylsachen das BFM) als für ein Wiedererwägungsgesuch zuständige Behörde - zur Entgegennahme und Würdigung nachträglich entstandener Beweismittel zuständig sein könnte und derartige Beweismittel trotz ihrer materiellen Erheblichkeit nicht berücksichtigt werden könnten, wird bewusst nicht als denkbare Lösungsalternative aufgenommen.
Eine derartige Lösung würde innerstaatlich Art. 29 BV verletzen, nachdem sich gemäss der langjährigen Praxis des Bundesgerichts zu Art. 4 aBV (BS 1 3) (BGE 127 I 133 E. 6 S. 137) ein Anspruch auf Wiedererwägung aus dem Verfassungsgrundsatz des Verbots der Rechtsverweigerung ergibt (vgl. dazu auch EMARK 2003 Nr. 7 E. 1), wenn erhebliche Tatsachen und Beweismittel geltend gemacht werden, die im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder damals noch nicht geltend gemacht werden konnten, oder wenn sich die Umstände seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben. Verwaltungsbehörden sind aufgrund von Art. 29 BV verpflichtet, auf einen rechtskräftigen Entscheid zurückzukommen und eine neue Prüfung vorzunehmen, wenn ein klassischer Revisionsgrund vorliegt. Dies ist der Fall, wenn ein Gesuchsteller erhebliche Tatsachen oder Beweismittel anführt, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand (vgl. GIOVANNI BIAGGINI, in: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Zürich 2007, Art. 29 Rz. 12 S. 213 mit Verweis auf BGE 127 I 133 ff.).
Bezogen auf Asylverfahren würde eine derartige Lösung der
« Nichtbehandlung » völkerrechtlich sowohl durch das flüchtlingsrechtliche als auch durch das menschenrechtliche Refoulement-Verbot der FK respektive der EMRK und der FoK ausgeschlossen (zur völkerrechtskonformen Auslegung von revisionsrechtlichen Verfahrensvorschriften und zur Entgegennahme verspäteter Vorbringen aufgrund von Überlegungen betreffend das völkerrechtliche Refoulement-Verbot vgl. die in
E. 5.4 und 9.3.2 bereits erwähnten Entscheide EMARK 1995 Nr. 9 und
EMARK 1998 Nr. 3).
Nachdem die theoretische Lösungsvariante der « Nichtbehandlung » nach dem Gesagten ausscheidet, stehen sich als konkrete Lösungsmöglichkeiten und Auslegungsergebnisse zwei gegensätzliche Grundvarianten gegenüber: Die nach dem angefochtenen Entscheid neu entstandenen Beweismittel werden aufgrund einer weiten, im Lichte von Art. 66 VwVG zu betrachtenden « sinngemässen » Auslegung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG ergänzend zu seinem eigentlichen Wortlaut revisionsrechtlich zugelassen (nachfolgend: « Variante 1: Zulassung ») oder solche Beweismittel sind durch den Wortlaut von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG explizit ausgeschlossen (nachfolgend: « Variante 2: Ausschluss »).
Bei der Lösung des Ausschlusses im Sinne der « Variante 2: Ausschluss » stellt sich die Anschlussfrage, ob beziehungsweise wie neu entstandene und als erheblich erachtete Beweismittel, die vor Inkrafttreten der Bundesjustizreform als Revisionsgrund angerufen werden konnten und nun nicht mehr als Grundlage für ein Revisionsverfahren zugelassen werden, im Rahmen eines Wiedererwägungsgesuches vorgebracht werden können.
In den nachfolgenden Erwägungen werden im Sinne des oben erwähnten Pro-/Contra-Argumentariums die jeweiligen Vorund Nachteile der beiden Lösungen « Variante 1: Zulassung » und « Variante 2: Ausschluss » präsentiert und gegeneinander abgewogen. Diese Gegenüberstellung soll der Übersicht und als Entscheidgrundlage für die vom Bundesverwaltungsgericht einzuschlagende zukünftige Rechtspraxis dienen.
Dieses Pro-/Contra-Argumentarium der zwei zur Diskussion stehenden Varianten (Zulassung bzw. Ausschluss von neuen Beweismitteln im Revisionsverfahren) bildete die Entscheidgrundlage des Grundsatzentscheides, den alle fünf Abteilungen des Gerichts getroffen haben.
Bei « Variante 1: Zulassung » wird davon ausgegangen, dass nachträglich, das heisst nach dem angefochtenen Entscheid entstandene Beweismittel im Rahmen eines Revisionsgesuches zuzulassen sind. Im Folgenden werden vorab jene Argumente zusammenfassend präsentiert, die für diesen Lösungsansatz sprechen (E. 11.3.111.3.5), um anschliessend die entsprechenden gegenteiligen Argumente zusammenzufassen (E. 11.3.6).
Der Umstand, dass Art. 45 VGG nur « sinngemäss » auf das BGG verweist, liesse grundsätzlich Auslegungsspielraum zu. Eine Auslegung wäre auch ergänzend oder gar gegen den Wortlaut einer Bestimmung möglich, wenn der Wortlaut nicht den wahren gesetzgeberischen Willen auszudrücken vermöchte. Es wäre daher durchaus denkbar, den Revisionsgrund von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG weiterhin im Sinne der früheren Praxis zu Art. 66 VwVG anzuwenden für die Revisionskonstellationen, die nicht durch die wortwörtliche BGG-Regelung erfasst sind.
Eine sinngemässe Anwendung der für das Bundesgericht geltenden Revisions-Verfahrensvorschriften auch für das Bundesverwaltungsgericht hätte namentlich den Unterschieden in den Beschwerdeverfahren vor diesen beiden Instanzen Rechnung zu tragen: Während das Bundesgericht bei der Überprüfung des Sachverhaltes eine beschränkte Kognition hat (Art. 97 und 105 BGG), prüft das Bundesverwaltungsgericht - unter anderem in Asylbeschwerdeverfahren - die unrichtige und unvollständige Sachverhaltsermittlung uneingeschränkt (Art. 106 Abs. 1 Bst. b AsylG). Ebenso fände die Beschränkung im Verfahren vor dem Bundesgericht betreffend die zulässige Einreichung neuer Beweismittel (Art. 99 BGG) im asylrechtlichen Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht angesichts der Geltung von Art. 32 VwVG keine Entsprechung.
Diese Umstände würden nahelegen, dass in jenen Beschwerdeverfahren, namentlich den Asylbeschwerdeverfahren, in denen das Bundesverwaltungsgericht als Rechtsmittelinstanz mit voller Kognition entscheidet und die letzte Gerichtsinstanz darstellt, welche den Sachverhalt überprüft respektive (ergänzend) feststellt, neu entstandene Beweismittel zum Beweis vorbestandener Tatsachen als Revisionsgründe (wie vor dem
1. Januar 2007) zuzulassen wären.
Die Prüfung nachträglich entstandener Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen durch das Bundesverwaltungsgericht hätte den Vorteil, dass gegebenenfalls ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts durch dieses Gericht selbst, im Rahmen eines Revisionsverfahrens, und nicht im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens durch die Vorinstanzen, korrigiert würde. Diese Lösung stünde sodann im Einklang mit dem in der Praxis der Asylbehörden geltenden Grundsatz, wonach das Institut der « Wiedererwägung » durch die Vorinstanz subsidiär zur
« Revision » durch die Beschwerdeinstanz steht (vgl. EMARK 1995
Nr. 21 E. 1c S. 204; sowie BGE 107 V 84 E. 1). Dieser Grundsatz leitet sich im Wesentlichen aus dem Umstand ab, dass die Revision vom Gesetz selbst (Art. 66 VwVG respektive Art. 121128 BGG) explizit vorgesehen ist, wogegen der Anspruch auf Wiedererwägung - bei Vorliegen von qualifizierten Wiedererwägungsgründen - durch die Praxis von einem Bundesverfassungsanspruch abgeleitet wird (vgl. BIAGGINI, a.a.O., S. 213).
Die Zulassung von neuen Beweismitteln im Revisionsverfahren stünde ferner im Einklang mit der klassischen Auffassung und dem Rechtsverständnis der Revision als Anpassung eines - in einem späteren Zeitpunkt - als ursprünglich fehlerhaft erkannten Urteils durch die Rechtsmittelinstanz selbst, die das als fehlerhaft erkannte Urteil gefällt hat. Ein Revisionsgesuch ist nicht von einer übergeordneten Instanz, sondern von derjenigen Instanz zu behandeln, die den Entscheid getroffen hat. Gleiches müsste umso mehr bei einer Devolution auf die untergeordnete Vorinstanz gelten.
Im asylrechtlichen Kontext bliebe diese klassische revisionsrechtliche Auffassung bei der « Variante 1: Zulassung » aufrecht: Nicht das BFM als Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts hätte bei der Beibringung von neuen erheblichen Beweismitteln, die sich auf vorbestehende Tatsachen beziehen, den letztinstanzlichen und rechtskräftigen Rechtsmittelentscheid des Bundesverwaltungsgerichts zu überprüfen, sondern das Gericht selbst.
Die « Variante 1: Zulassung » würde zudem vermeiden, dass eine
« neue » Wiedererwägungsart eingeführt werden müsste. Im klassischen Sinne bezweckt die Wiedererwägung, einen ursprünglich fehlerfreien Entscheid an später eingetretene Änderungen der Sachlage anzupassen (zur Unterscheidung von Revision und Wiedererwägung vgl. EMARK 1995 Nr. 21 E. 1b1d). Im Kontext des Asylverfahrens betrifft die klassische Konstellation der Wiedererwägung die nachträgliche Anpassung einer ursprünglich fehlerfreien Asylund Wegweisungsverfügung an nachträglich eingetretene Wegweisungshindernisse. Werden nämlich nicht erhebliche neue Sachverhaltselemente zur Wegweisungs(vollzugs)- frage geltend gemacht, sondern nachträgliche erhebliche Gründe für die Flüchtlingseigenschaft vorgetragen, findet die Wiedererwägung eine spezielle gesetzliche Grundlage in den Regeln betreffend Entgegennahme eines zweiten Asylgesuches im Sinne von Art. 32 Abs. 2 Bst. e AsylG (vgl. dazu EMARK 1998 Nr. 1). Die gesetzliche Regelung basiert in der
zitierten Asylbestimmung darauf, dass seit dem Abschluss des ursprünglichen ordentlichen Verfahrens « in der Zwischenzeit Ereignisse eingetreten sind, die geeignet sind, die Flüchtlingseigenschaft zu begründen » (vgl. BVGE 2009/53 E. 4.2 S. 769). Sind demgegenüber in der Zwischenzeit, seit Abschluss des ordentlichen Verfahrens, Ereignisse eingetreten, die neu den Vollzug der Wegweisung infrage stellen, sind diese Umstände vom BFM im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens zu prüfen.
Es würde dieser im Asylrecht vorgesehenen gesetzlichen Konstellation nicht entsprechen, dass eine Wiedererwägung (bzw. wenn es um Fragen betreffend die Flüchtlingseigenschaft geht ein neues Asylgesuch) mit vorbestandenen Tatsachen begründet wird, auf die sich nachträglich entstandene Beweismittel beziehen; deren Berücksichtigung würde in der klassischen Konzeption nicht im Wiedererwägungs-, sondern im Revisionsverfahren erfolgen.
Die Zulassung nachträglich entstandener erheblicher Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen als Revisionsgrund würde auch ein schwer nachzuvollziehendes Auseinanderklaffen der rechtlichen Argumentation verhindern, je nachdem, ob eine vorbestandene Tatsache im ordentlichen Verfahren überhaupt nicht geltend gemacht wurde und nun
gemäss der asylrechtlichen Praxis, welche diesbezüglich entschuldbare Gründe für die verspätete Geltendmachung anerkennt (vgl. BVGE 2009/51 E. 4.2.3; EMARK 2003 Nr. 17) - unter Umständen unter Beibringung entsprechender, neu entstandener Beweismittel als zulässiger Revisionsgrund angerufen werden kann oder ob eine vorbestandene Tatsache im ordentlichen Verfahren angerufen wurde, aber unglaubhaft blieb, mit Beweismitteln nun aber glaubhaft gemacht werden könnte.
Es bleibt unbestritten und entspricht gefestigter asylrechtlicher Praxis, dass alte, vorbestandene Tatsachen im Rahmen eines nachträglichen Revisionsverfahrens neu geltend gemacht werden können, sofern entschuldbare, nachvollziehbare Gründe für das verspätete Vorbringen bestehen. Dies muss dazu führen, dass es auch zulässig sein muss, diese Vorbringen mit Beweismitteln zu untermauern. Aus denselben Gründen, die das frühere Geltendmachen der Tatsache nachvollziehbar und entschuldbar verunmöglicht haben (bspw. die Offenbarung eines erlittenen traumatischen Erlebnisses), konnte sachlogisch auch das entsprechende Beweismittel zu diesen Tatsachen (z.B. schlüssiges psychiatrisches Gutachten) nicht zu einem früheren Zeitpunkt eingeholt werden. Nachdem in
diesem Sinne die revisionsweise Geltendmachung einer « neuen » Tatsache und entsprechender Beweismittel zu dieser Tatsache zulässig ist, bliebe es schwer verständlich, dass andererseits die Geltendmachung analoger Beweismittel zu einer allerdings im ordentlichen Verfahren bereits explizit angerufenen Tatsache ausgeschlossen sein sollte. Solange ein bestimmtes, verspätet, erst mit Revisionsgesuch, geltend gemachtes Erlebnis eine revisionsrechtlich zugelassene neue Tatsache darstellen kann, müsste auch ein nachträglich zu einem derartigen Erlebnis eingereichtes Beweismittel als Revisionsgrund zugelassen werden.
In den materiellen Revisionsbestimmungen hat sich durch die Bundesrechtspflegereform nichts geändert; die von der Asylrechtspraxis gezogene Abgrenzung zwischen Revision und Wiedererwägung könnte beibehalten werden. Den Gesetzesmaterialien (Botschaft des Bundesrates und parlamentarische Beratungsprotokolle) sind keine Hinweise dafür zu entnehmen, wonach durch die Bundesrechtspflegereform der bisherige Rechtsschutz hätte eingeengt, namentlich die bis Ende 2006 geltenden Revisionsgründe hätten eingeschränkt werden sollen. Die in den Asylverfahren in Frage stehenden völkerrechtlichen Positionen des Refoulement-Verbotes würden durch den im Lichte von Art. 66 VwVG auszulegenden Art. 45 VGG bestehen bleiben.
Die Prozessökonomie, das heisst die Vorteile des einstufigen Revisionsverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht anstelle des zweistufigen Verfahrens als Wiedererwägungsverfahren im Sinne von
« Variante 2: Ausschluss » (d.h.: erstinstanzliches Wiedererwägungsverfahren vor dem BFM, Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht), würde schliesslich ebenfalls eine Auslegung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG im Lichte von Art. 66 VwVG nahelegen.
Gegen die Zulassung von nach dem angefochtenen Entscheid erst entstandenen Beweismitteln im Revisionsverfahren würde andererseits primär der Umstand sprechen, dass Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG bei gewissen Konstellationen, namentlich bei Asylbeschwerdeverfahren, die vom Bundesverwaltungsgericht mit voller Kognition und letztinstanzlich beurteilt werden, im Rahmen der Auslegung des Verweises auf die
« sinngemässe » Anwendung der bundesgerichtlichen Revisionsbestimmungen im Lichte von Art. 66 VwVG und somit ergänzend oder gar gegen seinen Wortlaut angewandt werden müsste. Dies hiesse, dass der im Wortlaut der Bestimmung explizit genannte Ausschluss sich nur auf
neue Tatsachen, nicht aber zwingend auf neu entstandene Beweismittel beziehen würde.
Der Gesetzgeber hat zum einen explizit die wörtliche Formulierung des heutigen Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG statuiert, welche in ihrem Wortlaut nachträglich entstandene erhebliche Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen als Revisionsgrund ausschliesst. Zum andern lässt sich weder in den Materialien noch in der Formulierung der revisionsrechtlich massgeblichen Bestimmung von Art. 45 VGG eine Bezugnahme erkennen auf Fragen der speziellen Kognition des Bundesverwaltungsgerichts, namentlich in den Asylbeschwerdeverfahren, obwohl zu dieser Problematik eine langjährige publizierte Asylpraxis ebenso wie breite theoretische Diskussionen in der Doktrin vorlagen (vgl. E. 5 und 6.6.26.6.4). Diese Umstände würden es fraglich erscheinen lassen, ob die sich stellenden revisionsoder wiedererwägungsrechtlichen Probleme vom Gesetzgeber alle mit dem auslegungsbedürftigen Begriff der sinngemässen Anwendung der revisionsrechtlichen BGG-Normen für das Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erfasst werden sollten.
Bei « Variante 2: Ausschluss » wird davon ausgegangen, dass die Einreichung nachträglich, das heisst nach dem angefochtenen Entscheid, entstandener erheblicher Beweismittel im Rahmen eines Revisionsgesuches ausgeschlossen ist. Im Folgenden sind auch betreffend diese Auslegungsvariante die Argumente zusammenfassend zu präsentieren, die je für oder gegen diese « Variante 2: Ausschluss » sprechen.
Art. 45 VGG verweist für die Revisionsgründe auf Art. 121128 BGG; Art. 123 Abs. 1 Bst. a BGG schliesst in seinem expliziten Wortlaut nachträglich entstandene Tatsachen und Beweismittel als Revisionsgrund aus. Die Auslegung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG nach seinem klaren Wortlaut würde den Ausschluss von neu entstandenen Beweismitteln als zulässige Revisionsgründe nahelegen.
Auch dass die Revisionsbestimmungen des BGG nur « sinngemäss » anzuwenden sind, würde die grammatikalische Auslegung nicht zu überwiegen vermögen.
Es darf angenommen werden, dass der Gesetzgeber nicht - im Sinne einer Lücke - die Problematik und die Kontroversen betreffend nachträglich entstandene Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen übersehen hat. Diese Problematik bildet seit längerer Zeit Diskussionsgegenstand der revisionsbeziehungsweise wiedererwägungsrechtlichen Literatur. Dass sich gerade in Asylverfahren die Problematik ergeben kann, geht aus mehreren publizierten Entscheiden (und Grundsatzentscheiden) der ARK und einer damit einhergehenden langjährigen Praxis hervor (vgl. EMARK 1995 Nr. 9 E. 5, EMARK 1994 Nr. 27 E. 5c,
EMARK 1993 Nr. 18, EMARK 2002 Nr. 13 E. 5).
Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG und Art. 45 VGG lassen unbeantwortet, was beim Ausschluss neu entstandener Beweismittel als Revisionsgründe geschehen soll, wenn nach Abschluss des ordentlichen Verfahrens ein neues Beweismittel vorgelegt wird, das den Beweis erbringt, dass der angefochtene Entscheid ursprünglich falsch war (z.B. Geständnis, Widerruf einer Zeugenaussage; im Asylbereich: Gerichtsurteil, das eine asylrelevante Verfolgung und damit die Flüchtlingseigenschaft beweist; Arztzeugnis, das eine Traumatisierung belegt und erlebte Verfolgung glaubhaft macht etc.). In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass die bisherige asylrechtliche Praxis zur völkerrechtskonformen Auslegung von Verfahrensbestimmungen im Sinne des Grundsatzentscheides von EMARK 1995 Nr. 9 weiterhin zu beachten bliebe. Dieser im Revisionsverfahren geltende Grundsatz wurde in EMARK 1998 Nr. 3 auch auf Konstellationen als analog anwendbar erklärt, bei denen im Rahmen von Wiedererwägungsverfahren verspätet vorgebrachte, völkerrechtlich relevante Wegweisungshindernisse vorgetragen werden. Bei dieser Lösung wären die völkerrechtlich zwingenden Positionen des Refoulement-Verbotes bei der Rechtsanwendung sicherzustellen (vgl. dazu E. 5.4 und 9.3.2).
Die nachträglich entstandenen Beweismittel zu vorbestandenen Tatsachen wären von der Vorinstanz zu prüfen, welche Art. 66 VwVG anwenden müsste; dass dabei inhaltlich ein Urteil des - übergeordneten - Bundesverwaltungsgerichts überprüft und gegebenenfalls geändert oder aufgehoben würde, würde nichts an der Rechtslage ändern. Im Beschwerdefall hätte das Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen, ob die Vorinstanz Art. 66 VwVG korrekt angewandt hat oder nicht.
Die « Variante 2: Ausschluss » hätte mithin ein zweistufiges Verfahren zur Folge, womit das Verfahren in gewisser Weise weniger prozessökonomisch ausgestaltet würde: Die Vorinstanz würde die nachträglich entstandenen Beweismittel im Rahmen der wiedererwägungsweisen Prüfung in Anwendung von Art. 66 VwVG untersuchen. Dieser Entscheid wäre vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechtbar. Im Beschwerdefall
würde das Bundesverwaltungsgericht überprüfen, ob die Vorinstanz Art. 66 VwVG korrekt angewandt hat. Beim bisher « klassischen » Revisionsgrund der Einreichung nachträglich entstandener erheblicher Beweismittel, um eine vorbestandene, unbewiesen gebliebene und nun beweisbare Tatsache zu belegen, müsste demnach neu das BFM wiedererwägungsweise erstinstanzlich eine materielle Prüfung vornehmen, obwohl das angefochtene Urteil ein (letztinstanzliches) Rechtsmittelurteil des Bundesverwaltungsgerichts ist. Durch die Zweistufigkeit des Wiedererwägungsverfahrens würden die entsprechenden Beschwerden gegen die - formellen oder materiellen - Wiedererwägungsentscheide wieder zum Bundesverwaltungsgericht gelangen, das dann aber als Beschwerdeinstanz und in Anwendung des VwVG entscheiden würde. Auch das Argument, dass vor der Bundesjustizreform (d.h. vor dem 1. Januar 2007) derartige Konstellationen ein (einstufiges) Revisionsverfahren ausgelöst haben, würde nichts an der neuen Rechtslage ändern. Eine prozessökonomischere Gestaltung des Verfahrens obliegt dem Gesetzgeber.
Die anzuwendenden Verfahrensbestimmungen für Revisionsverfahren vor dem Bundesgericht und vor dem Bundesverwaltungsgericht wären - zumindest in Bezug auf die Nachreichung nachträglich entstandener Beweismittel - identisch, nämlich der Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG. Es fände keine nachwirkende Anwendung von Art. 66 Abs. 3 VwVG statt. Hingegen müsste die jahrelang praktizierte klassische Abgrenzung zwischen den Rechtsinstituten « Revision » bei ursprünglicher Fehlerhaftigkeit des Entscheides und « Wiedererwägung » bei nachträglicher Anpassung eines ursprünglich fehlerfreien Entscheides an nachträglich veränderte Sachlagen teilweise aufgegeben und neu gestaltet werden. Die Qualifizierung nachträglich entstandener Beweismittel als « klassischer » Revisionsgrund müsste ebenfalls aufgegeben und diese müssten als neue Art von Wiedererwägungsgrund anerkannt werden.
Die neue Abgrenzung würde in der Praxis zu einer Verlängerung der Verfahren und zu Einbussen in der Prozessökonomie führen, ohne dass gleichzeitig Rechtsvorteile erblickt werden könnten: Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem BFM hätte das BFM Art. 66 Abs. 2 Bst. a VwVG anzuwenden. Im anschliessenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hätte das Gericht - nicht mehr wie bisher als Revisionsinstanz, sondern als Beschwerdeinstanz im Wiedererwägungsverfahren - die korrekte Anwendung der Revisionsvorschriften des VwVG (Art. 66 Abs. 2 Bst. a) durch die Vorinstanz zu überprüfen.
Was die Problematik von neuen Beweismitteln gegen formelle Beschwerdeentscheide des Bundesverwaltungsgerichts anbelangt (vgl.
E. 5.5 Abschn. 4), könnten entsprechende, zu Unrecht ergangene Nichteintretensentscheide (wegen falscher Berechnung der Beschwerdefrist durch das Gericht oder wegen falscher Annahme der verspäteten
Einreichung der Beschwerde beziehungsweise der Bezahlung des Kostenvorschusses) beispielsweise durch die Heranziehung des Revisionsgrundes gemäss Art. 121 Bst. d BGG (versehentliche Nichtbe-
rücksichtigung von in den Akten liegenden, erheblichen Tatsachen)
nachträglich revisionsrechtlich korrigiert werden.
Die bisher aufgezeigten Argumente beziehungsweise Nachteile können nicht als vom Gesetzgeber gewollte Folgen der Bundesrechtspflegereform betrachtet werden. Indessen muss angenommen werden, dass der Gesetzgeber die Problematik erkannt hat, nicht zuletzt aufgrund kontroverser Literaturmeinungen und aufgrund der erstmals in EMARK 1994 Nr. 27 publizierten und später wiederholt bestätigten Praxis der ARK. Gemäss bereits gezogenem Fazit kann daher nicht von einer gesetzgeberischen Lücke ausgegangen werden, die durch richterliche Rechtsprechung zu füllen wäre. Auf dem Wege einer Auslegung im Lichte von Art. 66 VwVG beziehungsweise gegen den Wortlaut von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG können diese Nachteile nicht beseitigt werden. Die negativen Konsequenzen aus dieser Variante müssten auf dem gesetzgeberischen Weg gelöst werden, wobei eine entsprechende Anpassung der Gesetzesgrundlage mutmasslich mehrere Jahre beanspruchen würde.
Die bisher aufgeführten Nachteile könnten grundsätzlich durch Auffangen im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens teilweise beseitigt werden. Der verfassungsmässige Anspruch auf Behandlung und die Respektierung der zwingenden völkerrechtlichen Non-RefoulementBestimmungen blieben diesfalls erhalten; gegebenenfalls müssten Verfahrensgarantien durch prozessleitende Instruktionsmassnahmen gesichert werden, beispielsweise wenn ein sofortiger Wegweisungsvollzug verbunden mit einer Gefahr nicht wiedergutzumachender Nachteile drohen würde. Entsprechende Konstellationen wären jedoch auch bei der Ausgestaltung als Revisionsverfahren im Sinne von « Variante 1: Zulassung » nicht gänzlich auszuschliessen: Auch hier müssten gegebenenfalls prozessleitende Instruktionsmassnahmen erfolgen. Beim bisher « klassischen » Revisionsgrund der Einreichung nachträglich entstandener erheblicher Beweismittel, um eine vorbestandene, unbewiesen gebliebene und nun beweisbare Tatsache zu belegen, müsste somit in Asylverfahren neu das BFM wiedererwägungsweise erstinstanzlich eine materielle Prüfung vornehmen, obwohl das eigentlich angefochtene Urteil ein (letztinstanzliches) Rechtsmittelurteil des Bundesverwaltungsgerichts ist. Durch die Zweistufigkeit des Beschwerdeverfahrens würden die entsprechenden Beschwerden gegen die - formellen oder materiellen - Wiedererwägungsentscheide wieder zum Bundesverwaltungsgericht gelangen, das dann aber als Beschwerdeinstanz entscheiden würde und dabei das VwVG anzuwenden hätte.
Die Frage nach den bei der Nachreichung neu entstandener erheblicher Beweismittel anwendbaren Rechtsbestimmungen hat ausschlaggebenden Einfluss auf das vorliegende Verfahren.
Ist die Bestimmung von Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG im Lichte von Art. 66 Abs. 1 Bst. a VwVG ergänzend zu seinem Wortlaut auszulegen, so kann das vom Gesuchsteller eingereichte Beweismittel, das erst nach dem angefochtenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom
30. März 2009 entstanden ist, Prüfungsgegenstand eines Revisionsverfahrens bilden.
Sind hingegen einzig die Art. 121128 BGG einschlägig und Art. 123 Abs. 2 Bst. a BGG nicht ergänzend zu seinem Wortlaut auszulegen, so kann das neue, das heisst erst nach dem angefochtenen Entscheid entstandene Beweismittel nicht im Rahmen eines Revisionsverfahrens berücksichtigt werden, indem gerade solche nach dem angefochtenen Entscheid stammende oder entstandene Beweismittel als Revisionsgrund ausgeschlossen werden. Das entsprechende Beweismittel wäre im Rahmen eines Wiedererwägungsverfahrens vor dem BFM zu prüfen.
Das Gesamtgericht, das heisst sämtliche fünf Abteilungen des Bundesverwaltungsgerichts, hat am 20. Dezember 2012 im Rahmen des in E. 3.1 erwähnten Grundsatzund Koordinationsverfahrens im Sinne von Art. 25 VGG die in E. 11.3 dargelegte « Variante 1: Zulassung »
die Zulassung erheblicher, neu entstandener Beweismittel zur Stützung
vorbestandener Tatsachen im Rahmen eines Revisionsverfahrens abgelehnt. Dies bedeutet, dass inskünftig auf solche Revisionsgesuche nicht einzutreten ist.
Das Gesamtgericht hat in besagtem Grundsatzund Koordinationsverfahren am 20. Dezember 2012 ebenfalls beschlossen, dass an das Bundesverwaltungsgericht gerichtete Revisionsgesuche, welche mit erheblichen, neu entstandenen Beweismitteln begründet werden und auf welche nach dem bisher Gesagten im Rahmen eines Revisionsverfahrens nicht einzutreten ist, nicht von Amtes wegen zur Behandlung als Wiedererwägungsgesuche an die Vorinstanz überwiesen werden müssen.
Nachdem der Gesuchsteller im vorliegenden Revisionsverfahren ein erst nach dem revisionsweise angefochtenen Urteil entstandenes Beweismittel als Revisionsgrund anruft, ist auf das Revisionsgesuch im Sinne des vorstehend Dargelegten nicht einzutreten.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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