E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Bundesverwaltungsgericht Urteil E-7364/2010

Urteilsdetails des Bundesverwaltungsgerichts E-7364/2010

Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung V
Dossiernummer:E-7364/2010
Datum:16.02.2012
Leitsatz/Stichwort:Asyl und Wegweisung
Schlagwörter : Wegweisung; Beschwerde; Bundesverwaltungsgericht; Vollzug; Dienst; Recht; Vorinstanz; Familie; Vorbringen; Flüchtlingseigenschaft; Verfahren; Wegweisungsvollzug; Verfügung; Schweiz; Ausreise; Erbil; Arbeit; Beschwerdeführers; Akten; Person; Beweis; Verfahrens; Sinne; Behörde
Rechtsnorm: Art. 44 BV ;Art. 64 VwVG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
-

Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung V E­7364/2010

U r t e i l  v o m  1 6.  F e b r u a r  2 0 1 2

Besetzung Richterin Regula Schenker Senn (Vorsitz),

Richterin Claudia Cotting­Schalch, Richter François Badoud, Gerichtsschreiberin Aglaja Schinzel.

Parteien A. ,

Irak, ( ),

Beschwerdeführer, gegen

Bundesamt für Migration (BFM), Quellenweg 6, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand Asyl und Wegweisung Verfügung des BFM vom

14. September 2010 / N ( ).

Sachverhalt:

A.

Gemäss eigenen Angaben verliess der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Ethnie, seinen Heimatstaat am 12. Oktober 2008 in Richtung Iran, von wo aus er über die Türkei nach Griechenland gelangte. Dort wurde er festgenommen und verbrachte drei Monate in Haft. Bei seiner Freilassung wurde er aufgefordert, das Land innert einem Monat zu verlassen, worauf er über ihm unbekannte Länder am 2. März 2009 in die Schweiz reiste. Anlässlich der Kurzbefragung vom 5. März

2009 im Empfangs­ und Verfahrenszentrum (EVZ) B.

und der

Anhörung vom 18. März 2009 zu den Asylgründen machte er im Wesentlichen Folgendes geltend:

Er stamme aus C. , Zentralirak, und habe dort von seiner Geburt bis im Jahr 2000 sowie von 2003 bis zu seiner Ausreise gelebt. Im Jahr 2000 sei seine Familie aufgrund ihrer kurdischen Ethnie aus C. vertrieben worden und nach Erbil gezogen. Drei Jahre später habe sie jedoch wieder nach C. zurückkehren müssen. Im Jahr 2004 sei sein Vater einer Herzkrankheit erlegen. Er sei von seinem Vater zum (...) ausgebildet worden und habe ab 2002 bei diesem und nach dessen Tod bis zu seiner Ausreise bei seinem Bruder im Familienbetrieb als (...) gearbeitet. Er habe aber zu wenig Arbeit gehabt und deshalb ab 2006 bis zu seiner Ausreise zusätzlich als (...) gearbeitet. Da die Arbeit als (...) mit Gefahren verbunden und mehrmals auf ihn geschossen worden sei, habe ihn seine Mutter aufgefordert, die Stelle aufzugeben. Er habe mehrmals versucht, sich nach Suleimaniya oder Erbil versetzen zu lassen, was aber nicht bewilligt worden sei. Ausserdem habe er gehört, dass er später in

die Provinz D.

hätte verlegt werden sollen. Dies sei die

gefährlichste Gegend im Irak, weshalb er eine Versetzung dorthin nicht habe riskieren wollen. Weiter führte er aus, weil er bei seiner Tätigkeit als (...) mehrmals angegriffen worden sei, sei er immer in zivil zum Dienst und vom Dienst nach Hause gegangen. Aber auch so habe er Angst und das Gefühl gehabt, komisch angeschaut beziehungsweise erkannt zu werden. Weil er seinen Dienst als (...) ohne Voranmeldung verlassen habe und ausgereist sei, fürchte er nun zudem, bei einer Rückkehr Probleme mit der Kurdistan Democratic Party (KDP) zu bekommen.

B.

Am 30. März 2009 gab der Beschwerdeführer beim Migrationsamt des Kantons Aargau drei (unübersetzte) heimatliche Originaldokumente

(Identitätskarte, (...)ausweis und Ausweis unbekannter Bedeutung) ab. Diese wurden gleichentags vom Migrationsamt ans BFM geschickt.

C.

Mit Verfügung vom 14. September 2010 (eröffnet am 16. September 2010) lehnte das BFM das Asylgesuch des Beschwerdeführers ab und ordnete seine Wegweisung aus der Schweiz sowie den Vollzug an. Die Vorinstanz begründete den ablehnenden Asylentscheid damit, dass die Vorbringen des Beschwerdeführers nicht asylrelevant seien und somit den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG, SR 142.31) nicht standhielten. Der Vollzug der Wegweisung sei zulässig, zumutbar und möglich. Für die detaillierte Begründung wird, soweit wesentlich, auf die Erwägungen verwiesen.

D.

Mit Beschwerde vom 13. Oktober 2010 an das Bundesverwaltungsgericht beantragte der Beschwerdefürer die Aufhebung der vorinstanzlichen Verfügung, die Gutheissung des Asylgesuchs, eventualiter die Anordnung der vorläufigen Aufnahme sowie in prozessualer Hinsicht die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. Als Beweismittel reichte er ein Schreiben der kurdischen Behörden vom 23. Oktober 2003 (in Kopie) sowie Wohnsitzbescheinigungen von ihm und seinen Eltern (im Original) zu den Akten. Ausserdem stellte er das Einreichen einer Fürsorgebestätigung in Aussicht, welche am 20. Oktober 2010 beim Bundesverwaltungsgericht einging.

E.

Mit separatem Schreiben vom 13. Oktober 2010 reichte der Beschwerdeführer die Übersetzung des Schreibens der kurdischen Behörden vom 23. Oktober 2003 betreffend die Organisation von Lebensmittelcoupons zu den Akten, welches bestätige, dass seine Familie Erbil nicht freiwillig verlassen habe.

F.

Mit Zwischenverfügung vom 22. Oktober 2010 stellte die Instruktionsrichterin den legalen Aufenthalt des Beschwerdeführers während des Verfahrens fest. Gleichzeitig hiess sie das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege gut und verzichtete auf die Erhebung eines Kostenvorschusses. Weiter setzte sie dem

Beschwerdeführer Frist zur Übersetzung der fremdsprachigen Beweismittel.

G.

Mit Schreiben vom 26. Oktober 2010 reichte der Beschwerdeführer Übersetzungen der drei Wohnsitzbestätigungen zu den Akten.

H.

Mit Vernehmlassung vom 23. Dezember 2010, welche dem Beschwerdeführer am 6. Januar 2011 zur Kenntnis gebracht wurde, hielt das Bundesamt an seiner Verfügung vollumfänglich fest und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021). Das BFM gehört zu den Behörden nach Art. 33 VGG und ist daher eine Vorinstanz des Bundesverwaltungsgerichts. Eine das Sachgebiet betreffende Ausnahme im Sinne von Art. 32 VGG liegt nicht vor. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher zuständig für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde und entscheidet auf dem Gebiet des Asyls endgültig, ausser bei Vorliegen eines Auslieferungsersuchens des Staates, vor welchem die beschwerdeführende Person Schutz sucht (Art. 105 AsylG Art. 83 Bst. d Ziff. 1 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]).

    2. Das Verfahren richtet sich nach dem VwVG, dem VGG und dem BGG, soweit das AsylG nichts anderes bestimmt (Art. 37 VGG und Art. 6 AsylG).

    3. Die Beschwerde ist frist­ und formgerecht eingereicht. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen, ist durch die angefochtene Verfügung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung beziehungsweise Änderung. Er ist daher zur Einreichung der Beschwerde legitimiert

(Art. 105 und Art. 108 Abs. 1 AsylG, Art. 48 Abs. 1 sowie Art. 52 VwVG). Auf die Beschwerde ist einzutreten.

2.

Mit Beschwerde kann die Verletzung von Bundesrecht, die unrichtige oder unvollständige Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts und die Unangemessenheit gerügt werden (Art. 106 Abs. 1 AsylG).

3.

    1. Gemäss Art. 2 Abs. 1 AsylG gewährt die Schweiz Flüchtlingen grundsätzlich Asyl. Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden. Als ernsthafte Nachteile gelten namentlich die Gefährdung des Leibes, des Lebens oder der Freiheit sowie Massnahmen, die einen unerträglichen psychischen Druck bewirken. Den frauenspezifischen Fluchtgründen ist Rechnung zu tragen (Art. 3 AsylG).

    2. Wer um Asyl nachsucht, muss die Flüchtlingseigenschaft nachweisen oder zumindest glaubhaft machen. Diese ist glaubhaft gemacht, wenn die Behörde ihr Vorhandensein mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für gegeben hält. Unglaubhaft sind insbesondere Vorbringen, die in wesentlichen Punkten zu wenig begründet oder in sich widersprüchlich sind, den Tatsachen nicht entsprechen oder massgeblich auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt werden (Art. 7 AsylG).

4.

    1. Die Vorinstanz begründete ihren ablehnenden Asylentscheid damit, die vom Beschwerdeführer geschilderte erschwerte berufliche Situation als (...) habe ihre Ursachen in der derzeitigen allgemeinen Lage im Zentralirak, wo er tätig gewesen sei. Erschwerten Bedingungen der vorgebrachten Art könnten alle Angehörigen der genannten Berufsgattung im Sinne eines Berufsrisikos gleichermassen ausgesetzt sein. Im Weiteren mache der Beschwerdeführer keine gezielten, persönlichen Verfolgungsmassnahmen gelten, so habe er erklärt, nie irgendwelche Probleme mit den Behörden seines Landes gehabt zu haben. Seine Vorbringen seien demzufolge nicht asylrelevant und hielten

      den Anforderungen an die Flüchtlingseigenschaft gemäss Art. 3 AsylG nicht stand.

    2. In seiner Rechtsmitteleingabe machte der Beschwerdeführer geltend, die Aussage des BFM, dass ihm keine Gefahr mehr drohe, wenn er seine Arbeit als (...) aufgeben würde, sei nicht zutreffend. Die Terroristen würden nicht unterscheiden zwischen ihm als Privatperson und ihm als (...). Ihr Ziel sei es, die Regierung zu schwächen und der Angriff auf (...), sei dies nun bei der Arbeit oder in zivil oder sogar auf (...), welche aus dem Dienst zurückgetreten seien, eigne sich hervorragend hierzu. Er habe befürchtet, dass ihn die Terroristen beobachten und zu Hause töten könnten. Daher sei er nach dem letzten Angriff vom September 2008 nicht mehr nach Hause zurückgekehrt, sondern habe sich bei einem Cousin versteckt. Ausserdem führte er aus, er könne seine Tätigkeit als (...) nicht wie jede andere Arbeit einfach niederlegen. Er habe den Dienst als (...) unerlaubt verlassen und werde daher von der KDP gesucht. Die Gründe für seine Ausreise seien überdies nicht wirtschaftlicher Natur gewesen. Das Anhörungsprotokoll sei diesbezüglich ungenau vieles, was er gesagt habe und der Dolmetscher rückübersetzt habe, sei nicht im Protokoll enthalten. So sei er nicht (...), sondern (...) und habe nebenberuflich als (...) und hauptberuflich als (...) gearbeitet. Es wäre ihm möglich gewesen, seine Arbeit als (...) auszudehnen, hätte er mehr Geld benötigt.

    3. In seiner die Abweisung der Beschwerde beantragenden Vernehmlassung vom 26. Januar 2006 verweist das Bundesamt vollumfänglich auf seine bisherigen Standpunkte und Erwägungen, ohne inhaltlich zur Beschwerde Stellung zu beziehen.

5.

    1. Nach Lehre und Rechtsprechung erfüllt eine asylsuchende Person die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Art. 3 AsylG, wenn sie in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnte, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zughörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauung ernsthaften Nachteilen ausgesetzt ist oder Nachteile einer bestimmten Intensität begründeterweise befürchten muss, welche ihr gezielt und aufgrund bestimmter Verfolgungsmotive zugefügt zu werden drohen und vor denen sie keinen ausreichenden staatlichen Schutz erwarten kann (vgl. BVGE 2007/31 E. 5.2 f. und 2008/4 E. 5, sowie die vom

      Bundesverwaltungsgericht fortgeführte Rechtsprechung der Schweizerischen Asylrekurskommission [ARK] in Entscheide und Mitteilungen der ARK [EMARK] 1995 Nr. 2 E. 3a, 2006 Nr. 18 E. 7­10 und

      Nr. 32 E. 8.7).

      Massgeblich für die Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft sind die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich im Zeitpunkt der Entscheidfällung präsentieren. Ausgangspunkt der Prüfung ist die Frage nach der im Zeitpunkt der Ausreise vorhandenen Furcht vor einer absehbaren Verfolgung im Heimatstaat. Veränderungen der objektiven Situation im Heimatstaat zwischen Ausreise und Asylentscheid sind zugunsten und zulasten der Asylgesuch stellenden Person zu berücksichtigen (vgl. BVGE 2008/4 E. 5.4 S. 38 mit weiteren Hinweisen).

    2. Der Beschwerdeführer macht auf Beschwerdeebene erneut geltend, er fürchte sich einerseits vor den Terroristen, von denen er als (...) (beziehungsweise ehemaligen (...)) verfolgt werde, und andererseits vor der KDP, da er seinen Dienst als (...) unerlaubt quittiert habe. Zum ersten Vorbringen führte die Vorinstanz zutreffend aus, dies habe seine Ursache in der derzeitigen allgemeinen Lage im Zentralirak und betreffe alle Angehörigen der genannten Berufsgattung gleichermassen. Dem ist beizufügen, dass es überdies der vom Beschwerdeführer geltend gemachten Verfolgung an der Gezieltheit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 AsylG mangelt. Der Beschwerdeführer berichtete von drei Vorfällen während seiner dreijährigen Tätigkeit als (...), bei denen er während des Dienstes unter Beschuss durch Terroristen gekommen sei. Er machte jedoch keine Aussagen, die darauf schliessen liessen, dass die Anschläge gezielt auf ihn gerichtet gewesen sein könnten. Weiter machte er zwar geltend, sich auch in Zivilkleidung gefürchtet zu haben. Diese Furcht vermag er jedoch nicht genügend zu konkretisieren. So ist ihm in zivil weder je etwas zugestossen, noch machte er substanziiert geltend, ausserhalb der Tätigkeit als (...) bedroht worden zu sein. Die vom Beschwerdeführer angeführten Vorfälle vermögen somit den Anforderungen an asylbegründende Nachteile nicht standzuhalten und sind nicht asylrelevant.

      Bezüglich des Vorbringens des Beschwerdeführers, er fürchte sich vor der KDP, da er seinen Dienst als (...) unerlaubt quittiert habe, ist festzuhalten, dass dieses weder eine asylrelevante Verfolgung noch eine begründete Furcht vor einer solchen zu begründen vermag, zumal er dieses anlässlich der Befragung zur Person mit keinem Wort erwähnte.

      Auch bei der Anhörung machte er lediglich geltend, er fürchte sich vor der KDP, weil er den Dienst ohne Voranmeldung verlassen habe. In der Beschwerdeschrift wiederholt er zwar das Vorbringen, enthält sich jedoch erneut konkreteren Angaben. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass für den Beschwerdeführer keine begründete Furcht vor einer Verfolgung durch die KDP besteht.

      Der Vollständigkeit halber ist ausserdem zu erwähnen, dass die in der Beschwerde geübte Kritik an der Übersetzung nicht gehört werden kann. Insbesondere erscheint es als höchst unwahrscheinlich, dass der Dolmetscher dem Beschwerdeführer etwas rückübersetzt habe, was nun nicht im Protokoll enthalten sei. Die Frage, ob der Beschwerdeführer nun (...) oder (...) gewesen sei und ob er haupt­ oder nebenberuflich als (...) gearbeitet habe, erweist sich ausserdem als nicht entscheidrelevant, weshalb auf diesbezügliche Ausführungen verzichtet werden kann.

    3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer keine flüchtlingsrechtlich beachtlichen Benachteiligungen oder Befürchtungen hat glaubhaft machen können. Aufgrund dieser Sachlage und in Würdigung der gesamten Umstände und Vorbringen des Beschwerdeführers - inklusive Beweismittel - ergibt sich, dass dieser die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht erfüllt. Die Vorinstanz hat das Asylgesuch zu Recht abgelehnt.

6.

    1. Lehnt das Bundesamt das Asylgesuch ab oder tritt es darauf nicht ein, so verfügt es in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz und ordnet den Vollzug an es berücksichtigt dabei den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 44 Abs. 1 AsylG).

    2. Der Beschwerdeführer verfügt weder über eine ausländerrechtliche Aufenthaltsbewilligung noch über einen Anspruch auf Erteilung einer solchen. Die Wegweisung wurde demnach zu Recht angeordnet (Art. 44 Abs. 1 AsylG BVGE 2009/50 E. 9).

7.

    1. Ist der Vollzug der Wegweisung nicht zulässig, nicht zumutbar oder nicht möglich, so regelt das Bundesamt das Anwesenheitsverhältnis nach den gesetzlichen Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme von Ausländern (Art. 44 Abs. 2 AsylG Art. 83 Abs. 1 des Bundesgesetzes

      vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer [AuG, SR 142.20]).

      Bezüglich der Geltendmachung von Wegweisungshindernissen gilt gemäss ständiger Praxis des Bundesverwaltungsgerichts und seiner Vorgängerorganisation ARK der gleiche Beweisstandard wie bei der Flüchtlingseigenschaft, das heisst, sie sind zu beweisen, wenn der strikte Beweis möglich ist, und andernfalls wenigstens glaubhaft zu machen (vgl. WALTER STÖCKLI, Asyl, in: Uebersax/Rudin/Hugi Yar/Geiser [Hrsg.], Ausländerrecht, 2. Aufl., Basel 2009, Rz. 11.148).

    2. Die erwähnten drei Bedingungen für einen Verzicht auf den Vollzug der Wegweisung (Unzulässigkeit, Unzumutbarkeit und Unmöglichkeit) sind alternativer Natur: Sobald eine von ihnen erfüllt ist, ist der Vollzug der Wegweisung als undurchführbar zu betrachten und die weitere Anwesenheit in der Schweiz gemäss den Bestimmungen über die vorläufige Aufnahme zu regeln (vgl. BVGE 2009/51 E. 5.4 S. 748).

Weil sich vorliegend der Vollzug der Wegweisung, wie im Folgenden aufzuzeigen ist, als unzumutbar erweist, ist auf eine Erörterung der beiden andern Voraussetzungen eines rechtmässigen Wegweisungsvollzugs zu verzichten.

8.

    1. Gemäss Art. 83 Abs. 4 AuG kann der Vollzug für Ausländerinnen und Ausländer unzumutbar sein, wenn sie im Heimat­ oder Herkunftsstaat auf Grund von Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt und medizinischer Notlage konkret gefährdet sind. Wird eine konkrete Gefährdung festgestellt, ist - unter Vorbehalt von Art. 83 Abs. 7 AuG - die vorläufige Aufnahme zu gewähren.

    2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im nach wie vor gültigen Grundsatzurteil BVGE 2008/5 vom 14. März 2008 ausführlich mit der Frage der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs in den kurdisch verwalteten Nordirak befasst. Es gelangte zum Schluss, dass in den drei kurdischen Provinzen (Dohuk, Erbil und Suleimaniya) keine Situation allgemeiner Gewalt herrscht und die dortige politische Lage nicht dermassen angespannt ist, dass eine Rückführung dorthin als generell unzumutbar betrachtet werden müsste. Die Anordnung des Wegweisungsvollzugs setzt jedoch voraus, dass die betreffende Person ursprünglich aus der Region stammt oder längere Zeit dort gelebt hat und

      über ein soziales Netz (Familie, Verwandtschaft oder Bekanntenkreis) oder über Beziehungen zu den herrschenden Parteien verfügt. Andernfalls dürfte eine soziale und wirtschaftliche Integration in die kurdische Gesellschaft nicht gelingen, da der Erhalt einer Arbeitsstelle oder von Wohnraum weitgehend von gesellschaftlichen und politischen Beziehungen abhängt. Zusammenfassend wurde festgehalten, dass die Anordnung des Wegweisungsvollzugs in der Regel für alleinstehende, gesunde und junge kurdische Männer, die ursprünglich aus der KRG­ Region stammen und dort nach wie vor über ein soziales Netz oder Parteibeziehungen verfügen, zumutbar ist. Für alleinstehende Frauen und für Familien mit Kindern sowie für Kranke und Betagte ist bei der Feststellung der Zumutbarkeit des Wegweisungsvollzugs grosse Zurückhaltung angebracht. Bei Kurden, welche aus kurdisch dominierten Gebieten ausserhalb der drei Provinzen Dohuk, Erbil und Suleimaniya stammen - namentlich aus Kirkuk und Mosul - bleibt die Zumutbarkeit des Vollzugs im Einzelfall zu prüfen.

    3. Beim Beschwerdeführer handelt es sich gemäss Akten um einen gesunden, (...)­jährigen Mann mit Berufserfahrung als (...) beziehungsweise (...), der eigenen Angaben zufolge vor seiner Ausreise aus dem Irak in C. wohnhaft war, von wo er auch stamme und wo seine Mutter und sein Bruder sowie weitere Verwandten lebten. Das BFM stellte diese Angaben des Beschwerdeführers nicht in Frage und anerkannte implizit, dass ein Wegweisungsvollzug nach C. (Zentralirak) nicht zur Diskussion stehe. Entgegen der vom BFM vertretenen Auffassung kann aufgrund der Aktenlage jedoch nicht davon ausgegangen werden, der Beschwerdeführer verfüge im Nordirak über ein enges Beziehungsnetz, welches einen Wegweisungsvollzug dorthin erlauben würde. Aufgrund seiner Aussagen anlässlich der Befragung zur Person lebten im März 2009 zwei Schwestern des Beschwerdeführers in Erbil, während der Rest der Familie 2003 nach C. zurückgekehrt sei. In seiner Rechtsmitteleingabe macht der Beschwerdeführer

ausserdem geltend, seine Schwester E.

lebe inzwischen auch

wieder in C. , da ihr der weitere Aufenthalt in Erbil nicht genehmigt worden sei. Der Beschwerdeführer führte weiter in seiner Beschwerde und auch bei der Anhörung glaubhaft aus, weshalb er und seine Familie im Jahr 2003 nach C. zurückkehren mussten (vgl. vorinstanzliche Akten A8 F101). Aufgrund seiner Vorbringen, es sei ihm, trotz mehrfachen Ersuchens, eine Wohnsitzverlegung in eine der drei nordirakischen Provinzen nicht bewilligt worden, ist in Übereinstimmung mit der Situation, wie sie dem Bundesverwaltungsgericht bekannt ist,

davon auszugehen, dass er nicht ohne Weiteres im Nordirak Wohnsitz nehmen könnte.

Der Vollzug der Wegweisung in den Irak erweist sich somit bei einer gesamtheitlichen Würdigung als unzumutbar im Sinne von Art 83 Abs. 4 AuG. Nachdem sich aus den Akten keine Hinweise auf das Vorliegen von Ausschlussgründen nach Art. 83 Abs. 7 AuG ergeben, sind die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Aufnahme erfüllt. Das BFM ist anzuweisen, den Beschwerdeführer in der Schweiz vorläufig aufzunehmen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens kann darauf verzichtet werden, näher auf die vom Beschwerdeführer bei der Vorinstanz und auf Beschwerdeebene eingereichten Beweismittel einzugehen, da diese im Wesentlichen Bezug nehmen auf seine Herkunft aus C. , welche weder vom BFM noch vom Bundesverwaltungsgericht angezweifelt wird.

9.

Zusammenfassend ist die Beschwerde betreffend Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft, Erteilung von Asyl und Aufhebung der Wegweisung abzuweisen. Hinsichtlich Anordnung des Wegweisungsvollzugs ist sie gutzuheissen.

10.

Nach dem Gesagten wären die Verfahrenskosten zufolge hälftigen Unterliegens grundsätzlich zur Hälfte dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art 63 Abs. 1 VwVG). Nachdem jedoch das Bundesverwaltungsgericht in seiner Zwischenverfügung vom 22. Oktober 2010 das Gesuch um unentgeltliche Rechtsführung gutgeheissen hat, sind keine Verfahrenskosten zu erheben.

11.

Dem im Beschwerdeverfahren anwaltlich nicht vertretenen Beschwerdeführer ist keine Parteientschädigung auszurichten, zumal davon auszugehen ist, dass ihm aus der Beschwerdeführung keine notwendigen und verhältnismässig hohen Kosten im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen (Art. 64 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 des Reglements vom 21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) entstanden sind.

(Dispositiv nächste Seite)

1.

Die Beschwerde wird betreffend Vollzug der Wegweisung (Dispositivziffern 4 - 5 der angefochtenen Verfügung) gutgeheissen. Das BFM wird angewiesen, den Beschwerdeführer vorläufig aufzunehmen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

2.

Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.

3.

Es wird keine Parteientschädigung zugesprochen.

4.

Dieses Urteil geht an den Beschwerdeführer, das BFM und die zuständige kantonale Behörde.

Die vorsitzende Richterin: Die Gerichtsschreiberin:

Regula Schenker Senn Aglaja Schinzel

Versand:

Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.