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Bundesverwaltungsgericht Urteil A-2963/2012

Kopfdaten
Instanz:Bundesverwaltungsgericht
Abteilung:Abteilung I
Dossiernummer:A-2963/2012
Datum:12.03.2013
Leitsatz/Stichwort:Mehrwertsteuer
Schlagwörter : Steuer; Beschwerde; Rechnung; Mehrwertsteuer; Vorsteuer; MWSTG; Bundesverwaltungsgericht; Beschwerdeführerin; Leistung; AMWSTG; Urteil; Vorsteuerabzug; Mehrwertsteuern; Leistungserbringer; Recht; Konkurs; Mehrwertsteuernummer; Bundesverwaltungsgerichts; Scheid; AMWSTGV; Steuerpflicht; Pflichtigen; Rechnungen; Person; Urteile; Einsprache; Handelsregister; Verfahren; Voraussetzung; Verfügung
Rechtsnorm: Art. 112 MWSTG ; Art. 113 MWSTG ; Art. 14 MWSTG ; Art. 63 VwVG ; Art. 64 VwVG ; Art. 738 OR ; Art. 779 OR ; Art. 821 OR ; Art. 821a OR ; Art. 83 MWSTG ; Art. 931 OR ; Art. 932 OR ; Art. 933 OR ;
Referenz BGE:118 Ib 312; 130 III 321; 131 II 185; 131 II 627; 137 II 136; ;
Kommentar zugewiesen:
GUIDO MÜLLER, Kommentar, Schweizerisches Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Zürich, 2012
MICHAEL GWELESSIANI, Praxiskommentar zur Handelsregisterverordnung, 2012
MANFRED KÜNG, RAPHAËL CAMP, Kommentar, Das revidierte Recht zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Zürich, 2006
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid

B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t

T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i f f é d é r a l

T r i b u n a l e a m m i n i s t r a t i v o f e d e r a l e T r i b u n a l a d m i n i s t r a t i v f e d e r a l

Abteilung I

A-2963/2012

U r t e i l  v o m  1 2.  M ä r z  2 0 1 3

Besetzung Richter Daniel Riedo (Vorsitz),

Richter Michael Beusch, Richter Pascal Mollard, Gerichtsschreiberin Susanne Raas.

Parteien X. AG, ,

vertreten durch , Beschwerdeführerin,

gegen

Eidgenössische Steuerverwaltung ESTV, Hauptabteilung Mehrwertsteuer, Schwarztorstrasse 50, 3003 Bern, Vorinstanz.

Gegenstand MWST; Vorsteuerabzug (1/2006-4/2009).

Sachverhalt:

A.

    1. Die X.

      AG (nachfolgend: Steuerpflichtige) ist seit dem

      1. Januar 1999 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) eingetragen. In der Abrechnung über das 3. Quartal 2007 wies die Steuerpflichtige einen Vorsteuerüberhang aus. Zu dessen Plausibilisierung verlangte die ESTV stichprobenartig eine Rechnung von A. vom 27. Juli 2007 über Fr. 234'775.-- inkl. Mehrwertsteuer von 7.6 %. Die Steuerpflichtige reichte diese am 7. April 2008 ein. Die Rechnung wies die Mehrwertsteuernummer des Leistungserbringers nicht aus, enthielt jedoch den Hinweis, Letzterer sei steuerpflichtig und ein Beleg werde nachgeliefert. Da die Rechnung trotz der fehlenden Mehrwertsteuernummer plausibilisiert werden konnte, wurde die fehlende Nummer von der ESTV nachgetragen und die Rechnung akzeptiert.

    2. Am 14. und 15. Oktober 2010 führte die ESTV bei der Steuerpflichtigen eine Kontrolle durch, wobei sie die Abrechnungsperioden 1. Quartal 2006 bis 4. Quartal 2009 (Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2009) überprüfte. Dabei stellte die ESTV unter anderem fest, dass in der Buchhaltung teilweise Aufwendungen mit Vorsteuerabzug verbucht worden waren, für die keine oder nicht mehrwertsteuerkonforme Belege vorhanden waren. Sie rechnete verschiedene Vorsteuerabzüge wieder auf. Bei der Vorsteuerabstimmung nahm sie auch Korrekturen zugunsten der Steuerpflichtigen vor. Aufgrund der Kontrollergebnisse belastete die ESTV der Steuerpflichtigen mittels «Einschätzungsmitteilung (EM) Nr. [ ] / Verfügung» vom 20. Dezember 2010 für die genannten Abrechnungsperioden Mehrwertsteuern in Höhe von insgesamt Fr. 54'662.-- (gerundet) zuzüglich Verzugszins ab dem 31. August 2008 (mittlerer Verfall) nach. Die Nachbelastung erfolgte unter den Positionen «Umsatzdifferenz», «Verrechnungen mit Gegenleistungen» sowie «Vorsteuerkorrekturen / Vorsteueranspruch». Hiergegen erhob die Steuerpflichtige am

17. Januar 2011 Einsprache. Sie wehrte sich gegen die Aufrechnungen betreffend B. GmbH und C. GmbH, da für diese Unternehmen die Mehrwertsteuerpflicht abgeklärt und gegeben gewesen sei. Im Übrigen akzeptierte sie die EM Nr. ( ).

B.

Mit als Einspracheentscheid bezeichneter Verfügung vom 9. Mai 2012 erkannte die ESTV, mangels Anfechtung sei ihre «Einschätzungsmitteilung

(EM) Nr. [ ] / Verfügung» vom 20. Dezember 2010 im Teilbetrag von Fr. 5'991.75 zuzüglich Verzugszins in Rechtskraft erwachsen. Die Einsprache der Steuerpflichtigen vom 17. Januar 2011 wies sie ab und stellte fest, die Steuerpflichtige schulde ihr für die Steuerperioden 1. Quartal 2006 bis 4. Quartal 2009 Fr. 48'670.34 Mehrwertsteuern zuzüglich Verzugszins. Die Rechtsmittelbelehrung lautete dahingehend, dass gegen den Entscheid Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden könne. Die ESTV begründete den Einspracheentscheid zusammengefasst und im Wesentlichen damit, verschiedene Rechnungen wiesen einen Formmangel auf. Zwar anerkenne sie auch Rechnungen und Rechnungen ersetzende Dokumente, welche die Anforderungen an die Angaben zu Namen und Adresse der steuerpflichtigen Person und zum Empfänger der Lieferung oder Dienstleistung nicht vollumfänglich erfüllten, sofern die tatsächlich vorhandenen Angaben die betreffenden Personen eindeutig identifizierten, mit anderen formellen Mängeln behaftete Rechnungen könnten aber allenfalls unter Anwendung von Art. 45a der Verordnung vom 29. März 2000 zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (aMWSTGV; AS 2000 1347) akzeptiert werden. Bei Nichteinhaltung derartiger Formvorschriften müsse die steuerpflichtige Person jedoch nachweisen, dass dem Staat dadurch kein Steuerausfall drohe. Diesen Nachweis habe die Steuerpflichtige im vorliegenden Fall nicht erbracht und auch nicht erbringen können. Schliesslich könne sich die Steuerpflichtige auch nicht auf Vertrauensschutz berufen.

C.

Gegen diesen «Einspracheentscheid» erhob die Steuerpflichtige (nachfolgend: Beschwerdeführerin) am 31. Mai 2012 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde. Sie beantragt sinngemäss, den Einspracheentscheid der ESTV vom 9. Mai 2012 aufzuheben, eventuell den verlangten Betrag zu reduzieren, subeventuell den Entscheid aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht den in der Beschwerdeschrift gestellten Antrag auf Gewährung einer Frist zur Ergänzung der Beschwerde abgewiesen hatte, reichte die Beschwerdeführerin innerhalb der Beschwerdefrist am

9. Juni 2012 (Datum Poststempel) eine begründete Beschwerde nach. Sie beantragt «von den Aufrechnungen der Vorsteuerabzüge der

B.

GmbH sowie der C.

GmbH im Betrage von Total

CHF 60'962.25 (gemäss Beilage 1) abzusehen.» Sie bringt insbesondere vor, die Verantwortung für das Inkasso der von der Leistungserbringerin geschuldeten Mehrwertsteuer könne nicht bei ihr liegen. Sie beruft sich auf Vertrauensschutz. Auch hält sie fest, es könne passieren, dass die

falsche Mehrwertsteuernummer auf einer Rechnung aufgeführt sei. Es könne auch nicht sein und nicht der täglichen Praxis entsprechen, wenn die steuerpflichtige Person von allen Eintragungen im Handelsregister Kenntnis haben müsse.

D.

Mit Vernehmlassung vom 16. Juli 2012 beantragt die ESTV, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Sie hält im Wesentlichen an ihrer Begründung fest und legt ein vertrauliches Dossier zu den Akten, aus dem hervorgehe, dass die jeweiligen Leistungserbringer die Steuer nicht abgerechnet bzw. bezahlt hätten. Das Bundesverwaltungsgericht gewährte mit Verfügung vom 22. August 2012 der Beschwerdeführerin die beantragte Akteneinsicht in die amtlichen Akten der ESTV, verweigerte aber gleichzeitig die Akteneinsicht in die vertraulichen Akten, da diese schützenswerte Daten von Drittpersonen enthielten. Es führte aus, es halte die vertraulichen Akten für unbeachtlich. Sollte sich dies ändern, wäre der Beschwerdeführerin der Inhalt der Akten in geeigneter Form mitzuteilen.

E.

Auf die weiteren Begründungen in den Eingaben der Parteien wird - soweit sie entscheidrelevant sind - im Rahmen der folgenden Erwägungen eingegangen.

Das Bundesverwaltungsgericht zieht in Erwägung:

1.

    1. Gemäss Art. 31 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesverwaltungsgericht (VGG, SR 173.32) beurteilt das Bundesverwaltungsgericht Beschwerden gegen Verfügungen nach Art. 5 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1968 über das Verwaltungsverfahren (VwVG, SR 172.021), sofern keine Ausnahme nach Art. 32 VGG gegeben ist. Eine solche liegt nicht vor. Die ESTV ist eine Behörde im Sinn von Art. 33 VGG, gegen deren Verfügungen die Beschwerde zulässig ist. Das Bundesverwaltungsgericht ist daher für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde sachlich zuständig. Soweit das VGG nichts anderes bestimmt, richtet sich gemäss dessen Art. 37 das Verfahren nach dem VwVG.

    2. Auf die funktionale Zuständigkeit ist im Folgenden einzugehen, wobei zunächst festzustellen ist, welches Recht anwendbar ist.

      1. Am 1. Januar 2010 ist das Bundesgesetz vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer (MWSTG, SR 641.20) in Kraft getreten. Das MWSTG löst das Bundesgesetz vom 2. September 1999 über die Mehrwertsteuer (aMWSTG, AS 2000 1300) ab. Die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen sowie die darauf gestützt erlassenen Vorschriften bleiben grundsätzlich weiterhin auf alle während ihrer Geltungsdauer eingetretenen Tatsachen und entstandenen Rechtsverhältnisse anwendbar (Art. 112 Abs. 1 MWSTG). Die Beurteilung des vorliegenden Sachverhalts richtet sich demnach nach dem aMWSTG.

        Demgegenüber ist das neue mehrwertsteuerliche Verfahrensrecht im Sinn von Art. 113 Abs. 3 MWSTG auf sämtliche im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängige Verfahren anwendbar. Allerdings ist Art. 113 Abs. 3 MWSTG insofern restriktiv zu handhaben, als gemäss höchstrichterlicher Rechtsprechung nur eigentliche Verfahrensnormen sofort auf hängige Verfahren anzuwenden sind, und es dabei nicht zu einer Anwendung von neuem materiellen Recht auf altrechtliche Sachverhalte kommen darf (ausführlich: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-1113/2009 vom

        23. Februar 2010 E. 1.3, vgl. auch statt vieler: Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-2628/2012 vom 5. Februar 2013 E. 1.3, A-6299/2009

        vom 21. April 2011 E. 2.2 je mit Hinweisen).

        Unter anderen können Art. 78 Abs. 5 und Art. 83 Abs. 4 MWSTG unter die von Art. 113 Abs. 3 MWSTG anvisierten Verfahrensbestimmungen subsumiert werden (PASCAL MOLLARD/XAVIER OBERSON/ANNE TISSOT BENE-

        DETTO, Traité TVA, Basel 2009, S. 1235 Anhang 3 Rz. 669 und 671). Art. 83 Abs. 4 MWSTG gilt damit grundsätzlich sofort für alle hängigen Verfahren, und zwar auch für Rechtsmittelverfahren, insbesondere vor dem Bundesverwaltungsgericht.

      2. Im vorliegenden Fall wurde eine als «Einspracheentscheid» bezeichnete Verfügung der Vorinstanz angefochten. Der Erlass eines Einspracheentscheids setzt voraus, dass vorgängig eine Verfügung erging, welche überhaupt Gegenstand eines Einspracheverfahrens bilden kann (statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3480/2012 vom

        10. Dezember 2012 E. 1.2.2 f.). Ob es sich bei der EM Nr. ( ) um eine Verfügung handelt oder nicht, braucht vorliegend jedoch nicht abschliessend beurteilt zu werden. Unbestrittenermassen ist der «Einspracheentscheid» vom 9. Mai 2012 eine Verfügung gemäss Art. 5 VwVG. Indem die Beschwerdeführerin gegen den «Einspracheentscheid» beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde erhebt, hat sie einen allfälligen Verlust

        des Einspracheverfahrens zumindest in Kauf genommen. Ihre vorbehaltlose Beschwerdeführung direkt beim Bundesverwaltungsgericht ist unter diesen Umständen - in analoger Anwendung von Art. 83 Abs. 4 MWSTG

        • als «Zustimmung» zur Durchführung des Verfahrens der Sprungbeschwerde zu werten, zumal der «Einspracheentscheid» einlässlich begründet ist (statt vieler: Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-3480/2012 vom 10. Dezember 2012 E. 1.2.4).

      3. Das Bundesverwaltungsgericht ist demnach für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde auch funktional zuständig.

    1. Die ESTV verlangt von der Beschwerdeführerin Fr. 48'670.34, während Letztere meint, Aufrechnungen im Umfang von Fr. 60'962.25 seien zu Unrecht erfolgt. Diese unterschiedlichen Zahlen in den Rechtsbegehren stammen daher, dass die ESTV bei der Kontrolle vom 14. und

      15. Oktober 2010 einerseits Aufrechnungen zu Lasten der Beschwerdeführerin, andererseits aber auch (bei der Vorsteuerabstimmung) Korrekturen zu deren Gunsten vornahm. Die ESTV verrechnete diese Beträge miteinander, woraus die Nachforderung von Fr. 48'670.34 resultiert. Die Beschwerdeführerin beanstandet hingegen die Korrekturen zu ihren Gunsten nicht, sondern ausschliesslich einige Korrekturen zu ihren Ungunsten. Die von ihr beanstandeten Aufrechnungen betragen insgesamt Fr. 60'962.25 (vgl. Sachverhalt Bst. A.b). Im Ergebnis führt das dazu, dass sie einerseits bestreitet, der ESTV den von dieser verlangten Betrag von Fr. 48'670.34 zu schulden, und andererseits - zusätzlich dazu - Fr. 12'291.91 von der ESTV zurückverlangt.

    2. Auf die formund fristgerecht eingereichte Beschwerde (Sachverhalt Bst. C) ist vollumfänglich einzutreten.

2.

2.1 Verwendet ein Steuerpflichtiger Gegenstände oder Dienstleistungen für steuerbare Ausgangsleistungen, so kann er in seiner Steuerabrechnung Vorsteuern für Lieferungen und Dienstleistungen gemäss Art. 38 Abs. 1 und 2 aMWSTG abziehen.

Art. 38 Abs. 1 Bst. a aMWSTG sieht vor, dass zum Vorsteuerabzug nur berechtigt ist, wer die geltend gemachten Beträge mit Belegen nach Art. 37 Abs. 1 und 3 aMWSTG nachweisen kann. Die Rechnung des Leistungserbringers muss enthalten: seinen Namen und seine Adresse sowie seine Mehrwertsteuernummer; Namen und Adresse des Leistungsempfängers; Datum oder Zeitraum der Leistung; Art, Gegenstand und Umfang der Leistung; das Entgelt; den Steuersatz und den geschuldeten Steuerbetrag, wobei die Angabe des Steuersatzes genügt, wenn das Entgelt die Steuer einschliesst (Art. 37 Abs. 1 aMWSTG).

Von der Rechtsprechung wurde anerkannt, dass diese Regelung verfassungsmässig ist und die Verwaltung und die Gerichte im Prinzip durch diesen gesetzlichen Formalismus gebunden sind. Wenn die Rechnungen die im aMWSTG aufgestellten Voraussetzungen für die Vornahme des Vorsteuerabzugs nicht kumulativ erfüllen, muss die ESTV den Abzug verweigern (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-607/2012 vom 20. Dezember 2012 E. 2.4.1, A-4385/2009 vom 19. Dezember 2011

E. 2.3.1 je mit Hinweisen).

2.2

      1. Unter bestimmten Voraussetzungen kann nach der Verwaltungspraxis eine mangelhafte Rechnung innerhalb der Verjährungsfrist noch korrigiert und dem Leistungsempfänger damit der Vorsteuerabzug noch ermöglicht werden. Einerseits ist eine einfache Korrektur der Rechnung bzw. eine Richtigstellung durch den Leistungserbringer solange möglich, als die Rechnung noch nicht bezahlt ist. In diesem Fall können im Prinzip jegliche Mängel korrigiert werden (vgl. Wegleitung 2008 zur Mehrwertsteuer [gültig vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2009] und Weg-

        leitung 2001 zur Mehrwertsteuer [gültig vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2007] Rz. 807 sowie die Erläuterungen in den Vorbemerkungen zum Formular 1550). Andererseits ist eine nachträgliche Berichtigung bzw. Ergänzung der Rechnung nur noch unter eingeschränkten Bedingungen vorgesehen, wenn die Bezahlung der Rechnung bereits erfolgt ist (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-6152/2009 vom 22. März 2012

        E. 4.3, A-3603/2009 vom 16. März 2011 E. 4.2 auch zum Folgenden).

      2. Bei bestimmten, von der ESTV (abschliessend) aufgezählten Mängeln ist eine nachträgliche Korrektur anhand von Formular 1550 mit dem Titel «Bestätigung des Leistungserbringers an den Leistungsempfänger zwecks nachträglicher Ermöglichung des Vorsteuerabzugs bei formell ungenügender Rechnung oder Gutschrift» möglich: Wenn die Mehrwertsteuernummer des Leistungserbringers fehlt; wenn Datum oder Zeitraum, Art, Gegenstand und Umfang der Leistung nicht vollständig angegeben sind; wenn der Steuersatz fehlt. Wenn diese Mängel mit dem Formular beseitigt werden können, darf der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug vornehmen (vgl. zur näheren Regelung ausführlich: Ent-

scheid der Eidgenössischen Steuerrekurskommission [SRK] vom

25. März 2002, Verwaltungspraxis der Bundesbehörden [VPB] 66.97

E. 4d/bb [zum ausschliesslich im Rahmen von Kontrollen verwendeten Formular 1310]; s.a. BGE 131 II 185 E. 3.3; PASCAL MOLLARD, La TVA:

vers une théorie du chaos? in: Subilia-Rouge/Mollard/Tissot Benedetto [Hrsg.], Mélanges CRC, Lausanne 2004, S. 47 ff, 65 ff.). Die eigentliche Publikation dieser Praxis erfolgte erst mit der Wegleitung 2008 (Rz. 807); seit dem Jahr 2003 ergibt sie sich aber auch aus dem auf dem Internet aufgeschalteten Formular 1550 und dessen Erläuterungen (vgl. auch Praxisforum MWST, in: Steuerrevue [STR] 2003, S. 557 f.). Diese Praxis betreffend Formular 1550 wurde von den Gerichten - soweit hier interessierend - geschützt (BGE 131 II 185 E. 3.3; Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-6152/2009 vom 22. März 2012 E. 4.3.2, A-3603/2009

vom 16. März 2011 E. 4.2.2, A-6555/2007 vom 30. März 2010 E. 2.2.2.1

mit zahlreichen Hinweisen). Bei Formular 1550 handelt es sich, wie dessen Titel schon sagt, um eine «Bestätigung des Leistungserbringers». Er muss auf dem Formular mit seiner Unterschrift bestätigen, dass er die auf den fraglichen Rechnungen aufgeführten Leistungen ordnungsgemäss versteuert hat und dazu nähere Angaben machen.

2.3

      1. Am 1. Juli 2006 sind Art. 15a und Art. 45a aMWSTGV in Kraft getreten:

        Nach Art. 15a aMWSTGV hat die ESTV auch Rechnungen und Rechnungen ersetzende Dokumente anzuerkennen, welche die Anforderungen an die Angaben zu Namen und Adresse der steuerpflichtigen Person und zum Empfänger der Lieferung oder der Dienstleistung nach Art. 37 Abs. 1 Bst. a und b aMWSTG nicht vollumfänglich erfüllen, sofern die tatsächlich vorhandenen Angaben die betreffenden Personen eindeutig identifizieren (vgl. auch Wegleitung 2008 Rz. 807, 764a).

        Nach Art. 45a aMWSTGV wird allein aufgrund von Formmängeln keine Steuernachforderung erhoben, wenn erkennbar ist oder die steuerpflichtige Person nachweist, dass durch die Nichteinhaltung einer Formvorschrift des Gesetzes oder dieser Verordnung zur Erstellung von Belegen für den Bund kein Steuerausfall entstanden ist.

        Diese Verordnungsbestimmungen wurden von den Gerichten - soweit hier interessierend - als im Einklang mit dem Gesetz erachtet (Urteil des Bundesgerichts 2C_814/2010 vom 23. September 2011 E. 5.1; Urteil des

        Bundesverwaltungsgerichts A-6555/2007 vom 30. März 2010 E. 2.3.2 mit Hinweisen).

      2. Art. 15a und 45a aMWSTGV betreffen einzig Formmängel. Formvorschriften in Gesetz, Verordnungen und Verwaltungspraxis sollen nicht überspitzt formalistisch, sondern pragmatisch angewendet werden. Es soll vermieden werden, dass das Nichteinhalten von Formvorschriften zu Steuernachbelastungen führt. Gesetzmässige Vorschriften werden dadurch nicht aufgehoben. Sie bleiben vielmehr gültig und sind von den Steuerpflichtigen zu beachten. Materiellrechtliche Vorschriften oder materiellrechtliche Mängel bleiben vom neuen Verordnungsrecht folglich unberührt. So bleibt das Vorhandensein einer Rechnung (oder eines entsprechenden Belegs) eine unabdingbare, materiellrechtliche Voraussetzung für den Vorsteuerabzug (vgl. Urteil des Bundesgerichts 2C_356/2008 vom

        21. November 2008 E. 5.7). Fehlt die Rechnung, kann dieser Mangel nicht durch Art. 15a oder 45a aMWSTGV geheilt werden (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-6152/2009 vom 22. März 2012 E. 4.4.3,

        A-3603/2009 vom 16. März 2011 E. 4.3.3, A-6555/2007 vom 30. März

        2010 E. 2.3.3 mit Hinweisen).

      3. Art. 15a aMWSTGV erfasst Rechnungen, die betreffend Angaben zu Leistungserbringer und -empfänger mangelhaft sind. Für andere formelle Mängel in einer Rechnung kann allenfalls die Anwendung von Art. 45a aMWSTGV in Betracht kommen (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6152/2009 vom 22. März 2012 E. 4.4.2). Damit können formelle Fehler einer Rechnung unabhängig von einem ausgefüllten Formular 1550 aufgrund von Art. 45a aMWSTGV geheilt werden, sofern die Voraussetzungen dieser Bestimmung, also namentlich der fehlende Steuerausfall, gegeben sind. Diese Möglichkeit wurde vom Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die fehlende Mehrwertsteuernummer des Leistungserbringers bejaht (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-3603/2009 vom 16. März 2011 E. 4.3.3, A-6555/2007 vom 30. März

        2010 E. 2.3.4).

      4. Die Möglichkeit, eine Rechnung mittels Formular 1550 zu korrigieren hängt ebenso wie die Anwendung von Art. 45a aMWSTGV davon ab, dass dem Staat kein Steuerausfall entsteht. Daher muss der Leistungserbringer die Steuer, die der Empfänger als Vorsteuer geltend macht, tatsächlich bezahlt haben. Dies gilt, obwohl das Recht zum Vorsteuerabzug normalerweise nicht davon abhängt, dass der Leistungserbringer selbst die fakturierte Steuer abgerechnet hat (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-3603/2009 vom 16. März 2011 E. 4.4, A-6555/2007 vom 30. März 2010 E. 3.6.1; vgl. zum Recht auf Vorsteuerabzug: IVO P. BAUMGARTNER, mwst.com, Kommentar zum Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Basel/Genf/München 2000 [nachfolgend: mwst.com], Art. 38 N. 25; MOL-

        LARD/OBERSON/TISSOT BENEDETTO, a.a.O., S. 699 Kapitel 5 Rz. 49).

        Die Kongruenz zwischen beim Leistungserbringer abgerechneter Mehrwertsteuer und vom Leistungsempfänger geltend gemachtem Vorsteuerabzug ist immerhin Ziel der Mehrwertsteuer und Hintergrund verschiedener Vorschriften: So sollen etwa die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs, dass die Steuer durch einen Steuerpflichtigen in Rechnung gestellt wurde, wie auch Art. 37 Abs. 4 aMWSTG sicherstellen, dass der Leistungsempfänger nicht eine Steuer zurückfordern kann, die vom Erbringer gar nicht abgerechnet wurde (vgl. etwa ALOIS CAMENZIND/NIKLAUS HONAUER/KLAUS A. VALLENDER, Handbuch zum Mehrwertsteuergesetz [MWSTG], 2. Aufl., Bern 2003, Rz. 1374; UELI MANSER, mwst.com, Art. 37

        N. 27 f.). Insbesondere aber ist die Voraussetzung des Nachweises der Vorsteuer anhand einer - den Vorschriften von Art. 37 aMWSTG entsprechenden - Rechnung auf dieses Ziel ausgerichtet: Die Rechnung dient dem Empfänger der Leistung als Beleg, dass der Leistungserbringer die Mehrwertsteuer abgerechnet hat (Urteile des Bundesgerichts 2A.546/2000 vom 31. Mai 2002, veröffentlicht in: ASA 72 S. 727 E. 5a;

        2C_285/2008 vom 29. August 2008 E. 3.2, 2A.490/2003 vom 13. Januar 2005 E. 5; zum Ganzen s.a. DANIEL RIEDO, Vom Wesen der Mehrwertsteuer als allgemeine Verbrauchsteuer und von den entsprechenden Wirkungen auf das schweizerische Recht, Bern 1999, S. 263; CAMENZIND/HONAUER/VALLENDER, a.a.O., Rz. 1312). Sind diese Voraussetzungen erfüllt und liegt insbesondere eine vorsteuerkonforme Rechnung vor, wird der Vorsteuerabzug gewährt, auch wenn die Ablieferung der Steuer durch den Erbringer nicht erfolgt ist. Ist dies jedoch nicht der Fall, ist gemäss der gesetzlichen Regelung der Vorsteuerabzug zu verweigern.

        Wenn nun die Verwaltung mit ihrer Praxis zur Korrektur der Rechnung oder der Verordnungsgeber mit Art. 45a aMWSTGV in dieser Situation (mangelhafte Belege) aus Toleranzoder «Pragmatismus»-Überlegungen den - nach der gesetzlichen Regelung eigentlich ausgeschlossenen - Vorsteuerabzug doch noch gewähren will, dies aber wiederum an die Voraussetzung knüpft, dass der Erbringer die fakturierte Steuer abgeliefert hat, ist dies folglich nicht zu beanstanden (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-3603/2009 vom 16. März 2011 E. 4.4, A-6555/2007 vom 30. März 2010 E. 3.6.1).

      5. Demnach muss nach Art. 45a aMWSTGV erkennbar oder vom Steuerpflichtigen bewiesen sein, dass durch die Nichteinhaltung einer Formvorschrift für den Bund kein Steuerausfall entstanden ist. Dabei muss der fragliche Formfehler zumindest geeignet sein, einen Steuerausfall zu bewirken. Wenn diese mögliche Ursache für einen (allfälligen) Steuerausfall quasi durch eine andere Ursache «überholt» wird, müsste zumindest glaubhaft dargetan sein, dass ohne die zweite Ursache kein Steuerausfall eingetreten wäre (Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6555/2007 vom 30. März 2010 E. 3.5.2, vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-6152/2009 vom 22. März 2012 E. 5.2).

    1. Das aMWSTG stellt hohe Anforderungen an die steuerpflichtige Person, indem es ihr wesentliche, in anderen Veranlagungsverfahren der Steuerbehörde obliegende Pflichten überträgt (sog. Selbstveranlagungsprinzip; vgl. Art. 46 f. aMWSTG; ERNST BLUMENSTEIN/PETER LOCHER,

      System des schweizerischen Steuerrechts, 6. Aufl., Zürich 2002,

      S. 421 ff.). Dies bedeutet vorab, dass der Leistungserbringer für die richtige, vollständige und rechtzeitige Deklaration selber verantwortlich ist und selber abzuklären hat, ob er die Voraussetzungen der Steuerpflicht erfüllt oder nicht (mehr) erfüllt (vgl. statt vieler: Urteile des Bundesgerichts 2C_206/2012 vom 6. September 2012 E. 2.1, 2C_835/2011 vom 4. Juni

      2012 E. 2.1, 2C_650/2011 vom 16. Februar 2012 E. 2.5.2; statt vieler: Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-4728/2011 vom 20. August 2012

      E. 2.3, A-3075/2011 vom 30. Mai 2012 E. 3.1; vgl. GERHARD SCHAFROTH/

      DOMINIK ROMANG, in: mwst.com, Art. 56 N. 4 ff. und 8 ff.).

    2. Die Beweiswürdigung endet mit dem richterlichen Entscheid darüber, ob eine rechtserhebliche Tatsache als erwiesen zu gelten hat. Der Beweis ist geleistet, wenn das Gericht gestützt auf die freie Beweiswürdigung zur Überzeugung gelangt ist, dass sich der rechtserhebliche Sachumstand verwirklicht hat (vgl. BGE 130 III 321 E. 3.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts A-566/2012 vom 24. Januar 2013 E. 1.3.2, ANDRÉ MOSER/ MICHAEL BEUSCH/LORENZ KNEUBÜHLER, Prozessieren vor dem Bundesverwaltungsgericht, Basel 2008, Rz. 3.141). Gelangt das Gericht nicht zu diesem Ergebnis, kommen die Beweislastregeln zur Anwendung; es ist zu Ungunsten desjenigen zu urteilen, der die Beweislast trägt. Die Abgabebehörde trägt die Beweislast für Tatsachen, welche die Abgabepflicht als solche begründen oder die Abgabeforderung erhöhen, das heisst für die abgabebegründenden und -mehrenden Tatsachen. Demgegenüber ist der Abgabepflichtige für die abgabeaufhebenden und -mindernden Tatsachen beweisbelastet, das heisst für solche Tatsachen, welche eine Abgabebe-

freiung oder Abgabebegünstigung bewirken (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-6492/2011, A-6495/2011, A-3199/2012 vom 15. Januar 2013 E. 1.7, A-517/2012 vom 9. Januar 2013 E. 1.3.1 je mit Hinweisen; vgl. auch Urteil des Bundesgerichts 2A.642/2004 vom 14. Juli 2005, veröffentlicht in: ASA 75 S. 495 ff. E. 5.4).

Da es sich bei den Vorsteuern um steuermindernde Tatsachen handelt, obliegt der formgerechte Beweis für deren Vorliegen dem Steuerpflichtigen.

2.6

      1. Jede Person hat Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden (Art. 9 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 [BV, SR 101]). Nach dem Grundsatz des Vertrauensschutzes haben die Privaten Anspruch darauf, in ihrem berechtigten Vertrauen in behördliche Zusicherungen oder in anderes, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörden geschützt zu werden (Urteile des Bundesverwaltungsgerichts A-71848/2010 vom 19. Dezember 2012 E. 7.1, A-1374/2011 vom 5. Januar 2012 E. 3 auch zum Folgenden; ULRICH HÄFELIN/GEORG MÜLLER/FELIX UHLMANN, Allgemeines Verwaltungsrecht,

        6. Aufl., Zürich/St. Gallen 2010, Rz. 627).

      2. Als Folge der Bedeutung des Legalitätsprinzips im Abgaberecht ist der Vertrauensschutz in diesem Bereich praxisgemäss nur mit Zurückhaltung zu gewähren (BGE 131 II 627 E. 6.1). Eine vom Gesetz abweichende Behandlung eines Abgabepflichtigen kann nur in Betracht fallen, wenn die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes klar und eindeutig erfüllt sind (so schon BGE 118 Ib 312 E. 3b; Urteile des Bundesgerichts 2C_123/2010 vom 5. Mai 2010 E. 4, 2C_842/2009 vom 21. Mai 2010

E. 3.2).

2.7 Die Einträge im Hauptregister des Handelsregisters, die Anmeldungen und die Belege sind öffentlich (Art. 930 des Obligationenrechts vom

30. März 1911 [OR, SR 220], Art. 10 der Handelsregisterverordnung vom

17. Oktober 2007 [HRegV, SR 221.411]). Die Einträge im Hauptregister stehen im Internet unentgeltlich zur Verfügung (Art. 12 Abs. 1 HRegV), wobei bei Abweichungen zwischen dem physischen Hauptregister und den elektronischen Daten Ersteres vorgeht (Art. 12 Abs. 2 HRegV; vgl. auch Art. 14 Abs. 1 HRegV). Die Eintragungen im Handelsregister werden in der Regel durch das Schweizerische Handelsamtsblatt (SHAB) bekanntgemacht (Art. 931 Abs. 1 OR; auf Ausnahmen ist hier nicht einzugehen). Bei Eintragungen im SHAB ist die elektronische Fassung massgebend (Art. 9 der Verordnung vom 15. Februar 2006 über das Schweizerische Handelsamtsblatt [Verordnung SHAB, SR 221.415]). Gemäss Art. 933 Abs. 1 OR ist die Einwendung, dass jemand eine Dritten gegenüber wirksam gewordene Eintragung nicht gekannt habe, ausgeschlossen. Mit anderen Worten wird fingiert, die wirksam gewordenen Eintragungen im Handelsregister seien allgemein bekannt. Wirksam werden die Eintragungen am Werktag, der auf den aufgedruckten Ausgabetag derjenigen Nummer des SHAB folgt, in der die Eintragung veröffentlicht ist (Art. 932 Abs. 2 OR).

2.8

      1. Die Mehrwertsteuerpflicht endet(e) sowohl unter dem alten als auch unter dem neuen Gesetz unter anderem mit Abschluss des Liquidationsverfahrens (Art. 29 Bst. a aMWSTG bzw. Art. 14 Abs. 2 Bst. b MWSTG). Mehrwertsteuerrechtlich nicht direkt von Bedeutung ist damit die Konkurseinleitung. Diese bewirkt privatrechtlich, dass eine GmbH - um eine solche geht es vorliegend - aufgelöst wird (Art. 821 Abs. 1 Ziff. 3 OR). Die Gesellschaft tritt in Liquidation. Sie behält aber ihre juristische Persönlichkeit (für die GmbH: Art. 738 und 739 Abs. 1 OR i.V.m. Art. 821a Abs. 1 OR), verliert jedoch ihre Handlungsfähigkeit zugunsten der Konkursmasse (MANFRED KÜNG/RAPHAËL CAMP, GmbH-Recht, Kommentar, Das revidierte Recht zur Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Zürich 2006, Art. 821 N. 4). Dies ändert nichts daran, dass die GmbH (nunmehr mit dem Zusatz «in Liquidation») grundsätzlich weiterhin mehrwertsteuerpflichtig ist, denn ihre Mehrwertsteuerpflicht endet - wie gesagt - erst nach Abschluss des Liquidationsverfahrens.

        Wann das Liquidationsverfahren als abgeschlossen gilt, wird im Mehrwertsteuerrecht nicht definiert. Für den vorliegenden Fall relevant ist nun, wann ein Liquidationsverfahren als abgeschlossen gilt, wenn der Konkurs vom Konkursrichter mangels Aktiven eingestellt wurde.

      2. Der Entscheid des Richters, den Konkurs mangels Aktiven einzustellen, schliesst das Konkursverfahren nicht ab, weil es sich nur um eine vorläufige Einstellung des Verfahrens handelt (MICHAEL GWELESSIANI, Praxiskommentar zur Handelsregisterverordnung, 2. Aufl., Zürich/Basel/ Genf 2012, Art. 159 N. 559). Deutlicher als im deutschen Text, der von

        «Einstellung» redet, kommt dies im französischen («suspension») und italienischen Text («sospensione») zum Ausdruck. Wird das Konkursverfahren mangels Aktiven eingestellt, fand gerade keine Liquidation statt, weshalb hier nicht von einem Abschluss des Liquidationsverfahrens gesprochen werden kann. Dies ergibt sich auch daraus, dass bestellte Pfänder noch nach der Einstellung des Konkurses verwertet werden können (Art. 230a Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs [SchKG, SR 281.1]; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et concordat, 5. Aufl., Basel 2012, Rz. 1851a S. 438, der explizit darauf hinweist, dass die Einstellung des Konkurses mangels Aktiven bei einer juristischen Person nicht notwendigerweise das Ende des Liquidationsverfahrens bedeute). Ist nun aber das Liquidationsverfahren nicht abgeschlossen, bleibt auch die Steuerpflicht noch bestehen (vgl. zum Nachlassverfahren: BGE 137 II 136 E. 3.1).

      3. Wird der Konkurs mangels Aktiven eingestellt, wird die Gesellschaft bis zur Löschung ihres Eintrags im Handelsregister über ihr allfällig noch vorhandenes Vermögen wieder vollumfänglich verfügungsfähig. Der Konkursbeschlag des Vermögens der Gesellschaft fällt weg (URS LUSTENBERGER, in: Staehelin/Bauer/Staehelin, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 2. Aufl., Basel 2010, Art. 230 N. 20). Gemäss Art. 159 Abs. 3 HRegV muss im Handelsregister eingetragen werden, dass der Konkurs mangels Aktiven eingestellt wurde. Auch das Datum der Einstellungsverfügung ist einzutragen. Von Amtes wegen gelöscht wird die Rechtseinheit aber erst, wenn innert drei Monaten nach der Publikation der Eintragung kein begründeter Einspruch dagegen erhoben wurde (Art. 159 Abs. 5 Bst. a HRegV; GILLIÉRON, a.a.O., Rz. 1850

S. 438). Erst die definitive Löschung eines Steuersubjektes im Handelsregister, dessen Eintragung konstitutiv wirkte - wie dies bei einer GmbH der Fall ist (Art. 779 Abs. 1 OR) -, kann demnach mit Sicherheit als Abschluss einer Vermögensliquidation betrachtet werden (vgl. GUIDO MÜLLER, in: Geiger/Schluckebier [Hrsg.], MWST, Kommentar, Schweizerisches Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer, Zürich 2012, Art. 14 N. 13).

3.

    1. Gemäss ihrer Beilage 1 zur Beschwerde vom 9. Juni 2012, auf die sich die Beschwerdeführerin in ihrem Rechtsbegehren bezieht (vgl. Sachverhalt Bst. C), akzeptiert sie die Vorsteueraufrechnung für die Rechnungen der B. GmbH bzw. A. vom 25. März 2007,

      1. Dezember 2007 und 31. Dezember 2008. Damit ist auf diese nicht einzugehen.

    2. Die Beschwerdeführerin möchte den Vorsteuerabzug bezogen auf zwei Rechnungen der B. GmbH vom 19. November 2007 (hier fehlt die Mehrwertsteuernummer der Leistungserbringerin) und vom

  1. Dezember 2008 (hier ist die falsche Mehrwertsteuernummer angegeben) geltend machen. Da in einem Fall die Mehrwertsteuernummer fehlt und im anderen die falsche Mehrwertsteuernummer angegeben ist, genügen beide Rechnungen den Anforderungen nicht (oben E. 2.1). Damit wäre der Vorsteuerabzug grundsätzlich gänzlich zu verwehren. Es ist nun aber zu prüfen, ob Art. 15a oder Art. 45a aMWSTGV zur Anwendung kommen.

      1. Art. 15a aMWSTGV ist nicht anwendbar, da hiervon eine fehlende oder falsche Mehrwertsteuernummer nicht erfasst ist (E. 2.3.1 und 2.3.3).

      2. Art. 45a aMWSTGV stellt für den Betroffenen eine Rechtswohltat dar, indem er trotz mangelhafter Rechnung unter gewissen Voraussetzungen die Vorsteuer abziehen kann. Wie ebenfalls zuvor angemerkt wurde (E. 2.3.4), ist es nicht zu beanstanden, wenn diese Wohltat ihrerseits an Voraussetzungen geknüpft ist, hier insbesondere an jene, dass der Steuerpflichtige, der den Vorsteuerabzug geltend macht, nachweisen muss, dass die entsprechende Steuer vom Leistungserbringer gegenüber der ESTV abgerechnet und bezahlt wurde (E. 2.3.4 f. und E. 2.5). Mit anderen Worten hätte der Steuerpflichtige ohne Art. 45a aMWSTGV überhaupt keine Möglichkeit, die Vorsteuer abzuziehen. Dass der Staat nun seinerseits dem Steuerpflichtigen nur entgegenkommt, wenn ihm selber (dem Staat) kein Steuerausfall droht, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Immerhin ist eine falsche oder fehlende Mehrwertsteuernummer grundsätzlich geeignet, einen Steuerausfall zu bewirken (vgl. dazu E. 2.3.5). Von überspitztem Formalismus - wie ihn die Beschwerdeführerin geltend macht - kann keine Rede sein.

      3. Die ESTV hält fest, die Steuer, welche die Beschwerdeführerin als Vorsteuer geltend machte, sei nie abgeliefert worden. Dem widerspricht die Beschwerdeführerin nicht. Letztere hat den nunmehr ihr obliegenden Nachweis, dass dem Staat kein Steuerausfall entstanden ist, nicht erbracht. Damit ist aber eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass der Vorsteuerabzug trotz mangelhafter Rechnungen geltend gemacht werden könnte, nicht erfüllt. Daran ändert nichts, dass die B. GmbH vom ( ) 2007 bis zum ( ) 2009 im Register der mehrwertsteuerpflichtigen Personen aufgeführt war.

    1. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, es könne nicht sein, dass ein Steuerpflichtiger die Verantwortung dafür trage, dass die Vorsteuer (vom Leistungserbringer) bezahlt worden sei.

      Wie oben festgehalten wurde (E. 2.1), wird der Vorsteuerabzug gewährt, wenn der ESTV für die Eingangsleistung, für die der Vorsteuerabzug geltend gemacht wird, eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Rechnung vorgelegt wird. Die steuerpflichtige Person, die diesen Abzug geltend macht, muss dann nicht nachweisen, dass die auf der Rechnung vermerkte und für sie eine Vorsteuer darstellende Mehrwertsteuer tatsächlich bezahlt wurde (vgl. oben E. 2.3.4). Die Beschwerdeführerin übernimmt - entgegen ihrer Auffassung - also nicht die Verantwortung für das «Inkasso der Vorsteuer», sondern sie muss einzig darauf achten, dass die Rechnung, die sie von einem Leistungserbringer erhält, den gesetzlichen Anforderungen genügt. Erst wenn sie diese Obliegenheit nicht erfüllt - was vorliegend geschehen ist -, wirkt sich die Nichtbezahlung der Steuer durch den Leistungserbringer nachteilig aus.

    2. Die Beschwerdeführerin macht nun weiter geltend, die ESTV habe bei ihr durch die (interne) Revision eine klare Erwartungshaltung ausgelöst. Tatsächlich akzeptierte hier die ESTV eine Rechnung trotz fehlender Mehrwertsteuernummer des Leistungserbringers (vgl. Sachverhalt Bst. A.a). Dies geschah jedoch im April 2008, während die einzige hier noch zu beurteilende Rechnung, auf der die Mehrwertsteuernummer fehlt, aus dem Jahr 2007 stammt (oben E. 3.2.1). Schon aus zeitlichen Gründen konnte damit kein Vertrauen erweckt werden. Was die Rechnung mit der falschen Mehrwertsteuernummer anbelangt (oben E. 3.2.1), hätte ein Vertrauen schon deshalb nicht ausgelöst werden können, weil Vertrauensschutz im Abgaberecht nur mit Zurückhaltung zu gewähren ist (E. 2.6.2), und eine falsche Mehrwertsteuernummer angesichts der Formstrenge nicht mit einer fehlenden gleichgesetzt werden kann.

    3. Schliesslich erklärt die Beschwerdeführerin, es könne jedem passieren, dass eine falsche Mehrwertsteuernummer aufgeführt werde. Dieses Argument zielt am eigentlichen Problem vorbei. Es geht nämlich darum, wie vorzugehen ist, wenn ein solcher Fehler passiert ist. Im vorliegenden Fall hätte die Beschwerdeführerin die Mehrwertsteuernummern auf den Rechnungen prüfen müssen. Da sie dieser Anforderung nicht nachkam, trägt sie - nach dem oben Ausgeführten (E. 2.3.4 f. und E. 2.4) - nunmehr das Risiko eines Steuerausfalls für den Bund (vgl. schon zuvor E. 3.3).

    4. Die Beschwerdeführerin darf demnach die Vorsteuern weder auf der Rechnung der B. GmbH vom 19. November 2007 noch auf jener vom 30. Dezember 2008 abziehen.

    5. Damit ist auf die Rechnung (bzw. rechnungsersetzende Quittung) der C. GmbH vom 31. Dezember 2009 einzugehen. Hier sind Vorsteuern von Fr. 10'234.55 aufgeführt. Die Rechnung selbst weist unbestrittenermassen keinen Mangel auf. Gemäss ESTV befand sich aber die C. GmbH am 31. Dezember 2009 im Konkurs (Konkurseröffnung am 24. November 2009) und war nicht mehr steuerpflichtig, weshalb Letztere die Rechnung so nicht hätte ausstellen dürfen. Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, die C. GmbH sei erst am

24. März 2010 im Handelsregister gelöscht worden.

Aus dem oben Gesagten ergibt sich nun, dass die Konkurseröffnung am

24. November 2009 allein noch nicht geeignet war, die Steuerpflicht der C. GmbH zu beenden (oben E. 2.8.1). Gemäss Handelsregistereintrag stellte der Konkursrichter den Konkurs am 15. Dezember 2009 mangels Aktiven ein (Eintrag ins Tagesregister am 18. Dezember 2009, Veröffentlichung im SHAB am [ ]). Das Liquidationsverfahren war damit aber gerade nicht abgeschlossen. Erst der Abschluss des Liquidationsverfahrens führt jedoch zum Ende der Steuerpflicht. Mit der Einstellung des Konkurses mangels Aktiven lebte die Verfügungsmacht der Organe der Gesellschaft zudem wieder auf und bestand bis zur Löschung der

C.

GmbH im Handelsregister (Eintrag ins Tagesregister am

24. März 2010, Veröffentlichung im SHAB am [ ]) fort (oben E. 2.8.3). Damit durfte die Beschwerdeführerin aufgrund der öffentlichen und damit als bekannt geltenden Einträge im Handelsregister und im SHAB (oben

E. 2.7) davon ausgehen, dass die C. GmbH am 31. Dezember 2009 durch ihre Organe handeln konnte und die Rechnung mit ihrer Mehrwertsteuernummer ausstellen durfte. Eine allfällige vorherige Lö-

schung der C.

GmbH aus dem Register der mehrwertsteuer-

pflichtigen Personen - die die ESTV geltend macht - musste ihr dagegen nicht bekannt sein. Da die Rechnung somit keine Mängel aufweist, deren Folgen die Beschwerdeführerin zu tragen hätte, ist hier der Vorsteuerabzug zuzulassen.

4.

Dem Gesagten zufolge ist die Beschwerde im Sinn der Erwägungen teilweise - nämlich im Umfang von Fr. 10'234.55 - gutzuheissen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden die Verfahrenskosten auf Fr. 3'500.-- festgesetzt (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 des Reglements vom

21. Februar 2008 über die Kosten und Entschädigungen vor dem Bundesverwaltungsgericht [VGKE, SR 173.320.2]) und der nur teilweise unterliegenden Beschwerdeführerin gemäss Art. 63 Abs. 1 VwVG im Umfang von Fr. 2'800.-- auferlegt. Sie sind in diesem Umfang mit dem geleisteten Kostenvorschuss zu verrechnen. Der Überschuss ist der Beschwerdeführerin nach Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückzuerstatten. Der Vorinstanz können keine Verfahrenskosten auferlegt werden (Art. 63 Abs. 2 VwVG). Die ESTV hat der teilweise obsiegenden Beschwerdeführerin eine reduzierte Parteientschädigung auszurichten (Art. 64 Abs. 1 VwVG i.V.m. Art. 7 bis 9 VGKE). Angesichts der Schwierigkeit der rechtlichen Fragestellungen und unter Berücksichtigung der bloss teilweisen Gutheissung der Beschwerde sowie des Umstandes, dass mit einer Ausnahme alle Eingaben der Beschwerdeführerin von deren Verwaltungsrat und nicht der Vertreterin eingereicht wurden, wird die Parteientschädigung ermessensweise auf Fr. 500.-- (inkl. Mehrwertsteuer) festgesetzt.

Demnach erkennt das Bundesverwaltungsgericht:

1.

Die Beschwerde wird im Sinn der Erwägungen teilweise gutgeheissen.

2.

Die Verfahrenskosten werden der teilweise obsiegenden Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 2'800.-- auferlegt und in diesem Umfang mit dem geleisteten Kostenvorschuss von Fr. 3'500.-- verrechnet. Der Überschuss von Fr. 700.-- wird der Beschwerdeführerin nach Eintritt der Rechtskraft des vorliegenden Urteils zurückerstattet.

3.

Die Eidgenössische Steuerverwaltung wird verpflichtet, der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von Fr. 500.-- zu bezahlen.

4.

Dieses Urteil geht an:

  • die Beschwerdeführerin (Gerichtsurkunde)

  • die Vorinstanz (Ref-Nr. ; Gerichtsurkunde)

Der vorsitzende Richter: Die Gerichtsschreiberin:

Daniel Riedo Susanne Raas

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach Eröffnung beim Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten geführt werden (Art. 82 ff., 90 ff. und 100 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 [BGG, SR 173.110]). Die Rechtsschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten. Der angefochtene Entscheid und die Beweismittel sind, soweit sie die Beschwerdeführerin in Händen hat, beizulegen (Art. 42 BGG).

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